Fremdsprachen Lehren und Lernen
flul
0932-6936
2941-0797
Narr Verlag Tübingen
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2005
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Gnutzmann Küster SchrammAntje STORK: Vokabellernen. Eine Untersuchung zur Effizienz von Vokabellernstrategien. Tübingen: Narr 2003 (Giessener Beiträge zur Fremdsprachendidaktik), 254 Seiten [30 €]
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2005
Wolfgang Borner
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226 Buchbesprechungen • Rezensionsartikel Evidenz für die Überlegenheit der daraus abgeleiteten methodischen Leitprinzipien insbesondere hinsichtlich der erhofften Optimierung und Effektivierung der Lehr-Lern-Verfahren? Wie wurden die 'neuen' methodisch-didaktischen Grundsätze von der Praxis rezipiert und sind wie Helmut Sauer5 zugespitzt formuliert - "die hohen Erwartungen an die postulierte »Lernautonomie« und das »selbst gesteuerte Lernen«[...] nachweisbar eingelöst worden"? Auf diese und andere unterrichtsrelevante Fragen bleibt auch diese Neuauflage die Antwort (zwangsläufig? ) schuldig. Bielefeld EKKEHARD ZÖFGEN Antje ST0RK: Vokabellernen. Eine Untersuchung zur Effizienz von Vokabellernstrategien. Tübingen: Narr 2003 (Giessener Beiträge zur Fremdsprachendidaktik), 254 Seiten [30 €] Christiane NEVELING: Wörterlernen mit Wörternetzen. Eine Untersuchung zu Wörternetzen als Lernstrategie und als Forschungsverfahren. Tübingen: Narr 2004 (Giessener Beiträge zur Fremdsprachendidaktik), 369 Seiten+ unpag. Anhang [42 €] Die Frage, was Fremdsprachenlernen erfolgreich macht, sollte eigentlich im Zentrum der Fremdsprachenforschung stehen. Bekanntlich sind aber in Deutschland Untersuchungen, die die Effizienz von fremdsprachlichen Lehr- oder Lernprozessen messen, außerordentlich rar, vermutlich, weil sie methodologisch riskant und mühsam durchzuführen sind. Daher ist jede Forschung, die sich einem solchen Risiko aussetzt und damit den Fortschritt vorantreibt, grundsätzlich zu begrüßen. Dies sei der folgenden, stellenweise durchaus kritischen Doppelrezension vorausgeschickt. Beginnen wir mit der Arbeit von Antje ST0RK. Sie untersucht die Effizienz von vier Vokabel- Lernstrategien, die sie dem Katalog von SCHMITT (1997) entnimmt. "Vokabellernen" wird bei allen vieren als isoliertes Paar-Assoziations-Lernen verstanden, d.h. es geht darum, eine neue zielsprachliche Wortform mit einem ausgangssprachlichen Wort (Form+ Bedeutung) ohne weitere Kontexte möglichst dauerhaft im Gedächtnis zu verknüpfen. Die vier Strategien sind: Auswendiglernen, Visualisierung der Wortbedeutung, (visuelle) Schlüsselwortmethode und Ausführen von Bewegungen. Ordnungsstrategien bleiben damit unberücksichtigt, ebenso alle Elaborations- oder Repetitionsstrategien, die Kontexte verwenden. Vf.s Arbeitshypothese (S. 127) lautet vereinfacht: Mindestens eine der Strategien, nämlich die Schlüsselwortmethode, führt zu besseren kurz-, mittel- und langfristigen Behaltensleistungen, und dies überindividuell, d.h. unabhängig von der jeweiligen Lernerpersönlichkeit. Angesichts der vorliegenden umfangreichen, auch Strategien vergleichenden Forschung zur Schlüsselwortmethode 1 kann diese Hypothese nicht als sehr innovativ angesehen werden. Methodisch ist die Arbeit eindeutig quantitativ-experimentell ausgerichtet; ökologische Validität wird nicht angestrebt. Die Arbeit nähert sich ihrem Gegenstand in einem umfassenden, durchweg von kritischer Sachkenntnis zeugenden Forschungsüberblick zum Wortschatzerwerb, zu Gedächtnistheorien, zum Mentalen Lexikon und zu Vokabellernstrategien, der die erste Hälfte des Buches ausmacht (Kap. 2-5). Die eigentliche empirische Erhebung (Kap. 6) deckt dann nur einen kleinen Ausschnitt davon Helmut Sauer: "Anmerkungen zur Neuauflage des Handbuches Fremdsprachenunterricht". In: Neusprachliche Mitteilungen 57.3 (2004), 181. Vgl. den jüngsten Forschungsüberblick von Peter EcKE: "Die Schlüsselwort-Mnemonik für den fremdsprachigen Wortschatzerwerb: Zum Stand der Forschung". In: FLuL 33 (2004), 213-230. lFJLlllL 34 (2005) Buchbesprechungen • Rezensionsartikel 227 ab. Ihr Design: Deutschsprachigen Fremdsprachenstudenten (n = 41, Alter mehrheitlich 20-29 Jahre) wurden Sets von 20 Wortpaaren auf Wortkarten vorgelegt, die mit Hilfe der vier o.g. Lernstrategien innerhalb von 20 Minuten memoriert werden mussten. Insgesamt wurden so von jeder Versuchsperson vier verschiedene Sets im Wochenabstand mit jeweils wechselnden Lernstrategien gelernt. Diese wurden unmittelbar vor der Memorieraufgabe in mündlicher Unterweisung explizit ohne weiteres Training vermittelt. Strategieerfahrungen und -bewertungen sowie ihre tatsächliche Verwendung bei der Lernaufgabe wurden durch zeitnahe Befragungen per Fragebogen ermittelt. Die Behaltensrate wurde zum einen sofort nach der Lernaufgabe "kurzfristig") sowie im Abstand von einer Woche "mittelfristig") und zwei Wochen "langfristig") gemessen, und zwar als Hinübersetzungsleistung. Diese in ihren kurzen Intervallen wenig übliche dreistufige Zeiteinteilung . gehorchte erhebungspraktischen Zwängen (S. 140); sie erschwert den Vergleich mit anderen Studien. Um Sequenzierungseffekte möglichst zu neutralisieren, wurde das Sample in zwei Gruppen eingeteilt, die nach je verschiedener Strategien-Reihenfolge lernten. Die ausgangssprachliche Wortliste wurde aus dem deutschen Grundwortschatz gewählt und umfasste ausschließlich konkrete Nomina wie Nase, Streichholz, Kuh oder Benzin. Die zielsprachlichen Wortformen wurden künstlich aus einer randomisierten Silbenstruktur CVCV gebildet, um interlingualen Transfer oder Form-Bedeutungs-Motivation, die STORK beide als lexikalische Störvariablen ansieht, auszuschalten. Aus dem Verfahren resultiert eine relativ hohe Ähnlichkeit der Wortformen (die o.g. Wörter heißen übersetzt heja,jeti, zopu und sudi). Welches sind die Ergebnisse (Kap. 7)? Die sorgsame statistische Auswertung der Behaltenswerte zeigt, wie erwartet, dass die Schlüsselwortmethode zu grosso modo 30 % besseren Leistungen führt als die drei anderen Strategien, deren Effizienz etwa gleich groß erscheint. Diese Überlegenheit ist beim kurzfristigen Lernen inferenz-statistisch signifikant, beim mittel- und langfristigen Behalten jedoch nur deskriptiv-statistisch nachzuweisen, weil dort Sequenzeffekte die anzunehmende Behaltensqualität überlagern. Einige Zahlen zur Orientierung: Kurzfristig wurden mit Hilfe der Schlüsselwortstrategie 18-19 von 20 Wörtern behalten, bei den anderen Strategien waren es ca. 15 Wörter. Nach einer Woche waren mit der Schlüsselwortstrategie noch zwischen 6 und 9 Wörter verfügbar, bei den anderen zwischen 2 und 7. Die Behaltensrate nach zwei Wochen ergab die Werte 6-7 bzw. 1-6. Die Fragebögen zeigten einen gleichmäßig fallenden Bekanntheitsgrad vom Listenlernen (90 %) über Visualisierung und Schlüsselwortstrategie zur Ausführung von Bewegungen (22 %), dem in etwa auch die Angaben zur bisherigen gewohnheitsmäßigen Nutzung der Strategien entsprach. Die berichteten Schwierigkeiten der Strategieanwendung in der Erhebung selber boten jedoch ein anderes Bild: Die Anwendung des Listenlernens und der Schlüsselwortstrategie erschien einfacher als die übrigen Strategien, bei denen ca. zwei Drittel der Probanden kleinere und größere Schwierigkeiten meldeten. Die vorgeschriebene Strategie wurde am konsequentesten befolgt im Falle der Schlüsselwortstrategie, am widerstrebendsten im Falle der Visualisierung. Soweit zur Auswertung. Eine Abgleichung der subjektiven Daten mit den individuellen Behaltenswerten nimmt STORK nicht vor. Auch die wichtige Frage, ob die genannten Ausführungsschwierigkeiten, die für eine geringe face validity einzelner Teile der Erhebung sprechen, die jeweiligen Behaltensleistungen mit beeinflusst haben, wird nicht erörtert. Die Gesamtergebnisse werden lernpsychologisch mit größer Vorsicht interpretiert (S. 171 f), dies wohl zu Recht, da das Erhebungsverfahren keinen Einblick in Verarbeitungsprozesse erlaubte und drei der vier Strategien sich als gleich (in-)effizient erwiesen. Auch bei der Erörterung didaktischer Konsequenzen (S. 174 ff.) lässt STORK Vorsicht walten ihrem Plädoyer für die allein hervorragende Schlüsselwortmethode wird keiner widersprechen wollen. Zur Forschungsmethode: Design und Auswertung verraten, dass es STORK vor allem um die Absicherung von Objektivität und Reliabilität geht, weniger um die Validität eines der Lehr- und lFLulL 34 (2005) 228 Buchbesprechungen • Rezensionsartikel Lernrealität nahen Konstrukts „Vokabellernstrategie". Vf. weist selber (S. 171) auf zwei Randbedingungen hin, die die Generalisierung ihrer Ergebnisse einschränken: sie gelten für „sprachlernerfahrene Erwachsene, die sich bei der Aneignung einer Fremdsprache im Anfangsunterricht befinden", denen also noch nicht genügend Wortschatz zur zielsprachlichen Vernetzung des Wissens zur Verfügung steht. Man kann hinzufügen, dass das Sprachmaterial mit seiner systematischen Vermeidung von Kognaten, morphologischer Durchsichtigkeit und Kontexten wohl nur das Wortschatzlernen von typologisch weit entfernten Sprachen ohne Internationalismen simuliert. Auch manch anderer Faktor des realen Wortschatzlernens wird ausgeblendet bzw. extrem vereinfacht: Die Strategieunterweisung erfolgte einmalig über einen kurzen Instruktionstext, problemabhängige Strategiewahl wurde nicht zugelassen, ebensowenig eine Strategienkombination. Die Semantisierung erfolgte über eine Herübersetzung, die Kontrolle des Lernergebnisses über eine Hinübersetzung. Die eigentliche inhaltliche Verarbeitung wurde damit auf das Minimum des Bedeutungsaufrufs in L1 reduziert; syntaktische bzw. semantische Kontraste oder gar fremdkulturelle Inhalte fehlten. Das Erhebungsformat simulierte mithin eine Form der Wortschatzaneignung, wie sie alle Schüler zu allen Zeiten praktiziert haben: Vokabeln zu lernen, indem man eine L2- Wortform quasi als Etikett auf eine vertraute LI-Bedeutung klebt. Variiert wurde in der Erhebung sozusagen nur der Kleber die jeweilige Strategie. Wer dieses Konstrukt des Vokabellernens für untersuchenswert hält, wird der Studie entnehmen können, dass die Schlüsselwortmethode mit ihrer Mischung aus kognitiver Bizarrheit und vertrauter LI-Form-Bedeutungs-Beziehung eine effiziente Ergänzung dazu darstellt. Wer einem Strategientraining die Aufgabe zumisst, dieses Etiketten- Lernen durch andere, tiefere oder komplexere Verarbeitungsprozesse zu ersetzen, wird in der Arbeit wenig Interessantes entdecken. Fazit: STORKS Arbeit ist in ihrer quantitativen Methodologie ausgereift; die qualitativen Vorgaben aber, die in sie einfließen, bieten Anlass zur Kritik. Die Ergebnisse bestätigen weitgehend die bisherige Forschung; Anders als ST0RK leistet Christiane NEVELING mehr als nur die Überprüfung vorhandener lexikalischer Lernstrategien, sie entwickelt eine neue, relativ komplexe Lernstrategie, die Wörternetzstrategie, und überprüft deren unterrichtliche Anwendung und Effizienz im Rahmen einer breit angelegten Erhebung im Unterrichtskontext. Des weiteren versucht sie, die mit der Strategie verbundene Manipulation von Wörtern als neues Elizitationsverfahren zur Analyse des Lernerlexikons zu etablieren. Ausgangspunkt für beides sind neuere Forschungen zur Repräsentation von lexikalischen Einheiten im Mentalen Lexikon, insbesondere die Synthese von KIELHÖFER (1994) mit ihren sieben Teilnetzen: Begriffsnetze, Klangnetze, Wortfamiliennetze, Merkmalnetze (bei KIELHÖFER Wortnetze genannt), Sachnetze, affektive Netze und syntagmatische Netze. NEVELING nutzt diese spezielle multiple Netztheorie (zu ihrer Validität s.u.) als Grundlage für die Konstruktion ihrer Wörternetzstrategie. Diese besteht darin, Listen von zielsprachlichen Wörtern in eine zweidimensionale graphische Zusammenstellung umzuformen, vergleichbar den bekannten mind maps. Dabei bilden die Wörter Knoten, semantische und formale Relationen werden durch verbindende Linien ausgedrückt und so je nach Wortmaterial Teilnetze konstituiert, die zu einem Gesamt- Wörternetz zusammengefügt werden. Diese räumliche Ordnung wird ergänzt durch verschiedene graphische Elaborationsverfahren: farbige Linien, Symbole, icons, kleine Zeichnungen usw. Die Art der Netzbildung und Elaboration liegt in der Entscheidung der Lerner, die nach entsprechender Unterweisung angehalten werden, diese Strategie auf neu zu lernenden und zuvor semantisierten Wortschatz anzuwenden. Dessen Auswahl für das Wörternetz wird im fortlaufenden Strategietraining zunächst per Liste vorgegeben, später nur noch über Kernkonzepte suggeriert. Es ist unmittelbar einleuchtend, welche lerntheoretischen Vorteile diese Strategie für das Festigen von Wortschatz hat: Sie bringt den Lerner dazu, Wortform und Wortbedeutung nicht nur zu verknüpfen, lFLllllL 34 (2005)
