eJournals Fremdsprachen Lehren und Lernen 34/1

Fremdsprachen Lehren und Lernen
flul
0932-6936
2941-0797
Narr Verlag Tübingen
Es handelt sich um einen Open-Access-Artikel, der unter den Bedingungen der Lizenz CC by 4.0 veröffentlicht wurde.http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/121
2005
341 Gnutzmann Küster Schramm

Werner HÜLLEN: Kleine Geschichte des Fremdsprachenlernens. Berlin: Erich Schmidt Verlag 2005, 184 Seiten [19,95 €]

121
2005
Ekkehard Zöfgen
flul3410235
Buchbesprechungen • Rezensionsartikel 235 Johannes ECKERTH hat ein sehr wichtiges, sehr lesenswertes, aber auch anspruchsvolles Buch vorgelegt. In der stimmigen Verbindung von theoretischen, methodologischen und methodischdidaktischen Reflexionen, Interpretationen und Setzungen verschafft es insbesondere dem bereits etwas sachkundigen Leser den Zugriff auf eine Reihe wichtiger Einzelbeobachtungen und Einsichten. Es wird mehr als deutlich, dass der Fremdsprachenerwerb in aufgabenbasierten Interaktionen ein höchst relevantes, Theorie und Praxis effektiv verschränkendes Forschungsfeld darstellt. Bochum HORSTRAABE Werner HÜLLEN: Kleine Geschichte des Fremdsprachenlernens. Berlin: Erich Schmidt Verlag 2005, 184 Seiten [19,95 €] Lenkt man den Blick aus heutiger Zeit zurück auf die mehr als tausendjährige Geschichte des Fremdsprachenunterrichts, so kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, als sei die Fremdsprachendidaktik dazu verdammt, in bestimmten Zeitabständen das 'methodische Rad' immer wieder neu zu erfinden. In der Tat ergibt sich für den Betrachter der facettenreichen und wechselvollen Geschichte des Fremdsprachenunterrichts keineswegs das Bild einer „einsinnigen Entwicklung oder gar eines deutlich erkennbaren Fortschritts"' in der Auseinandersetzung um methodische Konzepte und Positionen. Offensichtlich hat es im Bereich der Fremdsprachenmethodik nie so etwas wie einen linearen Fortschritt gegeben, so dass man wie Schröder mit ironischem Unterton formuliert - "vom Fortschritt [auch nicht] überrollt werden kann" 2 • Solche (aber auch andere) Einblicke in historische Zusammenhänge dürfen in ihrer Bedeutung für das unterrichtliche Handeln des Fremdsprachenlehrers nicht unterschätzt werden. Aus dem Vergleich mit Erfahrungen, die seine beruflichen Vorgänger in der Vergangenheit bereits gemacht haben, lassen sich nämlich ganz neue Bewertungsmaßstäbe gewinnen, aus denen dann wiederum jene kritische Distanz gegenüber dem eigenen Tun erwächst, die man gerade bei Fremdsprachenlehrern gelegentlich vermisst. Größtes Hindernis auf dem Weg, dieses Wissen in verständlicher und anschaulicher Form zu vermitteln, ist neben den bekannten Lücken in der historiographischen Forschung zu diesem Thema die Tatsache, dass es nur wenige überblicksartige Darstellungen gibt, die den Ansprüchen genügen, wie sie üblicherweise an die Fremdsprachenlehrerausbildung gestellt werden. Genau dieser ebenso ambitionierten wie schwierigen Aufgabe hat sich Werner HÜLLEN verschrieben. Ehrgeiziges Ziel seiner „kleinen" Geschichte des Fremdsprachenlernens ist es, auf weniger als 150 Seiten Text „eine ideengeschichtlich inspirierte kontinuierliche Beschreibung der historischen Befunde zum Fremdsprachenlernen zwischen den spätklassischen Anfängen in Rom und (etwa) dem Jahr 1965 mit einem Ausblick bis zum Jahrhundertende-" (S. 7 f) zu liefern. Im Unterschied zu konkurrierenden Monographien etwa von TITONE (1968), KELLY (1969), KANA (1980) oder CARAVOLAS (1994, 2000) 3 geht es nicht um einzelne Epochen, auch nicht um arealtypische oder sprachspezifische Herbert CHRIST: "Einleitung". In: Id. (Hrsg.): Didaktik des Französischunterrichts. Wiesbaden: Wiss. Buchgesellschaft 1985, 1-22 (hier: 5). 2 Konrad SCHRÖDER: "Frühe Auffassungen vom Fremdsprachenerwerb". In: Dieter BUTTJES (Hrsg.): Neue Brennpunkte des Englischunterrichts. Festschrift für Helmut Heuer zum sechzigsten Geburtstag. Frankfurt/ M. [etc.]: Lang 1992, 133-144 (hier: 133). 3 Kurze Erläuterungen mit entsprechenden bibliographischen Angaben zu der von HOLLEN nicht erwähnten Untersuchung von KANA sowie zu anderen nur beiläufig genannten Darstellungen finden sich in meinem Rezensionsaufsatz zum ersten Band der Trilogie von CARAVOLAS (in: Zeitschrift für Fremdsprachenforschung lFLllllL 34 (2005) 236 Buchbesprechungen • Rezensionsartikel Phänomene und erst recht nicht um didaktische Fragestellungen. Herausgestellt werden sollen vielmehr die Gemeinsamkeiten und Ähnlichkeiten nationaler Traditionen, deren Analyse dann in eine europäische Geschichte· des Fremdsprachenlernens „mit ihren Kontinuitäten und Brüchen" (S. 7) münd.et. Zwei Grundannahmen, die dem Autor zugleich als Rechtfertigung fiir das Buch selbst dienen, bestimmen Auswahl und Interpretation des zugrunde gelegten Materials; (1) Bis in die frühe Neuzeit - und das heißt bis mindestens Ende des 17. Jahrhunderts - "[kann] die Geschichte der Sprachtheorie [... J angemessen nur als eine europäische Tradition beschrieben werden[ ...], in die nationale Traditionen eingelagert sind" (S. 14). (2) Von Beginn an bestand ein enger Zusammenhang zwischen Sprachlehre und Sprachbeschreibung. Aus dieser Affinität erklärt sich, dass Grammatikographie und Lexikographie -wenn auch nicht ausschließlich so doch weitgehendaus einem didaktischen Interesse heraus entstanden sind. Diese beiden Thesen werden vor allem im ersten Teil (Kap. II [19-72]) entwickelt, der dem frühen Fremdsprachenlernen gewidmet ist und der primär die spätrömischen, die mittelalterlichen sowie die humanistischen (bzw. früh-modernen) Epochen urnfasst. Konstitutives Merkmal der Zeit bis etwa 1650, in der sich folgerichtig die didaktisch-methodischen Prinzipien auch nicht an Sprachgrenzen festmachen lassen, ist „die eine dominante Fremdsprache, das Lateinische" (S. 13), insbesondere die nachhaltige Wirkung ihrer linguistischen Beschreibung und ihrer stark formalisierten Vermittlung. Sichtbarer Ausdruck dieser transnationale Gemeinsamkeiten stiftenden -'- Prädominanz des Lateinischen sind bekanntlich die römischen (lateinischen) Grammatiken, allen voran die Ars minor und Ars maior des Aelius DONA TUS sowie die lnstitutiones grammaticae des PRiSCIAN, die „über Jahrhunderte hinweg eine kanonische Wirkung in jeder Art von Sprachunterricht [...] entfalteten" (S. 22). Ein verbindendes Element von vergleichbarer Bedeutung stellen daneben die Glossen bzw. Glossare dar, in denen der lateinische Wortschatz seit dem 8. Jahrhundert für den Unterricht aufbereitet war. In zweierlei Hinsicht erweist sich das Lateinische hier erneut „als gemeinsamer Bezugspunkt selbst für das Erlernen von Nationalsprachen" (S. 57). Zum einen leitete die Glossarliteratm eine_ Entwicklung ein, an deren Ende zunächst die Nominalien bzw. Verbalien, schließlich die zweisprachigen übersetzenden Wörterbücher standen. Zum anderen wurden an die thematisch ordnenden Wortlisten Unterrichtsgespräche zwischen Lehrern und Schülern angehängt, aus denen dann im 16. Jahrhundert ein neues Lehrbuchgenre hervorging, die sog. Gesprächsbücher. Anknüpfend an eine „geradezu ehrwürdige Lehrform" (S. 48), wie wir sie bereits in den griechisch~latein: ischen Hermeneumata vorfinden, und ausgehend von zwei Erstpublikationen dem 1477 ih Venedig erschienenen Buch lntroito e porta des Adam von ROTTWEIL sowie dem seit 1536 nachgewiesenen, auf dem Livre des mestiers aufbauenden: Buch von Noel V AN BERLEMONT (oder DE BARLAIMONT) Colloquia et Dictionariolum verbreitete sich dieses Genre in Form großer Textbuchfamilien mit bis zu 100 verschiedenen Ausgaben sehr rasch auf dem ganzen Kontinent. Das Zeitalter der Aufklärung, in der das Französische zur europäischen Universalsprache avanciert und höfische Bildung nach französischem Vorbild zum neuen Erziehungsideal wird, markiert fiir HOLLEN das Ende des frühen Fremdsprachenunterrichts. Er nennt diese Epoche die "stille Periode" (Kap. H.5 [63-72)); eine recht ungewöhnliche und trotz entsprechender Rechtfertigungsversuche nur schwer nachvollziehbare Sicht auf das 18. Jahrhundert. Richtig ist, dass in der Tradition der magistri linguarum viele methodische Ansätze aus der humanistischen Ära unverändert fortgesetzt werden und dass sich umgekehrt der methodische Einfluss des formalisier• 9.2 (1998), S. 294, Anm. 3). Zur kritischen Würdigung des 2. Bandes von CARAVOLAS vgl. in diesem Band SS. 219-223. lFLuL 34 (ZOOS) Buchbesprechungen • Rezensionsartikel 237 ten Lateinunterrichts gerade in den öffentlichen Schulen sogar noch verstärkt. Und richtig ist sicher auch, dass „trotz der Vielfalt der Überlegungen und der Vielzahl der beteiligten Personen[...] die zündende Idee, die laute Stimme, in dieser Zeit fehlte" (S. 72). Dennoch bleibt das 18. Jahrhundert die Epoche, in der das Lateinische vom aufkommenden sprachlichen Nationalismus zurückgedrängt wird, in der die Verankerung der nationalen Fremdsprachen im öffentlichen Schulwesen einsetzt und in dem die Wurzeln für das neuhumanistische Gedankengut gelegt werden; es ist wie an anderer Stelle erwähnt das Jahrhundert großer pädagogischer Umwälzungen, "das Jahrhundert vemunftgemäßer Ordnung und Reglementierung des Schul- und Erziehungswesens", das in die Fremdsprachengeschichte als „Jahrhundert der methodischen Schulbildung" 4 eingegangen ist. Mit der sich abzeichnenden Nationalisierung des bis dahin eher europäisch ausgerichteten Fremdsprachenunterrichts verliert das Lateinische seine vorherrschende Stellung; die Gewichtung zwischen neuen und alten Sprachen kehrt sich zugunsten der Ersteren um. Die gedanklichen Grundlagen für diesen neuzeitlichen Fremdsprachenunterricht, "auf den sich die Didaktik noch bis etwa 1965 berufen konnte" (S. 13), werden bekanntlich in der neuhumanistischen Ära des 19. Jahrhunderts gelegt. Dieser Zeitabschnitt steht im Mittelpunkt des zweiten Teils (Kap. III [73- 156]), wobei die auch im ersten Teil stärker auf die Entwicklungen im deutschen Sprachraum fokussierte Darstellung nunmehr ganz auf das Geschehen in Deutschland begrenzt ist. Gestützt auf ein gründliches Studium der einschlägigen Quellen rekonstruiert HÜLLEN in fünf Abschnitten die Entwicklungen, die wichtige Stationen auf dem Weg in die Gegenwart markieren 5 und die damit Eckpfeiler der jüngeren (nationalen) Ideen- und Praxisgeschichte des Fremdsprachenunterrichts darstellen. Schlaglichtartig beleuchtet werden u.a.: die im Fahrwasser neuhumanistischer Vorstellungen entstandenen staatlichen Ordnungen und unterrichtlichen Konzepte für Gymnasien und Realschulen, die unterschiedlichen Formen der sog. Grammatik-Übersetzungsmethode, die Philologisierung des Fremdsprachenlehrerberufes (an den Gymnasien) und damit die endgültige Ablösung des nur praktisch erfahrenen Sprachmeisters, die untrennbar mit dem Namen VIETOR verbundene Reformbewegung (die allerdings in vielerlei Hinsicht auf Überlegungen von James HAMILTON und Joseph JACOTOT zurückgreift und die die endgültige Abkehr vom methodischen Vorbild des Lateinunterrichts bedeutete), das im Rahmen der „Richtlinien für die Lehrpläne der höheren Schulen Preußens" (1924) von Hans RICHERT herausgearbeitete kulturkundliche Konzept und dessen Einfluss auf den Fremdsprachenunterricht, die Pervertierung dieses Konzepts durch Umdeutung zur 'Wesenskunde' in den nationalsozialistisch geprägten Richtlinien von 1938 (die nebenbei gesagt das Französische als Sprache des Erbfeindes zur Bedeutungslosigkeit verurteilten) sowie schließlich die für die Bildungspolitik zwischen 1945 und 1965 maßgeblichen Abkommen der Kultusminister von Düsseldorf (1955) und Hamburg (1964), bei denen durch Fortschreibung bisheriger Organisationsformen, Fächerkombinationen 6 und adaptierten, der sog. vermittelnden Methode folgenden- Unterrichtsroutinen aus der Vor-NS-Zeit „eine Konsolidierung des deutschen Schulwesens und also auch des Fremdsprachenunterrichts" (S. 131) angestrebt wurde. Obwohl die historiographische Rekonstruktion an dieser Stelle eigentlich enden sollte (und auch könnte), lässt es sich der Autor nicht nehmen, "einen abschließenden Blick auf die Gegenwart" 4 Franz-Rudolf WELLER: "Französischunterricht in Deutschland am Vorabend der Französischen Revolution". In: Die Neueren Sprachen 88.6 (1989), 620--648 (hier: 621 und 626). Vgl. dazu in diesem Band S. 219. 5 Die Abschnitte sind überschrieben: 1. Das innovative 19. Jahrhundert; 2. Der Wettbewerb der Methoden; 3. Die Preußische Schulreform von 1924; 4. Fremdsprachenunterricht im Nationalsozialismus; 5. Fremdsprachenunterricht nach der großen Katastrophe. 6 Bei den Regelungen über die Fächerkombinationen nimmt das Übergewicht des Englischen gegenüber dem Französischen allerdings nochmals deutlich zu. lFJLi.ulL 34 (2005) 238 Buchbesprechungen • Rezensionsartikel (S. 140) zu werfen und in einem mit „Focus Gegenwart" betitelten sechsten Abschnitt Strömungen bzw. Umstände zu skizzieren, die ursächlich für die Mitte der sechziger Jahre einsetzenden Veränderungen im Fremdsprachenunterricht waren. Erwähnt seien hier lediglich sechs dieser Fakten und Argumente: (1) Die europäischen Sprachen werden für viele Menschen zu einer Alltagserfahrung. Zusammen mit der Forderung nach einem 'Fremdsprachenunterricht für alle' setzte sich die Erkenntnis durch, dass Sprachfertigkeit (kommunikative Kompetenz) "das primär legitimierende Ziel eines jeden Fremdsprachenunterrichts ist" (S. 142). (2) Die vor allem aus den USA kommenden Entwicklungen in Linguistik und Psychologie bilden wie man weiß die theoretische Grundlage für neue Techniken (so etwa das Sprachlabor) und für methodische Experimente (beispielsweise die audio-oralen Verfahren) und setzen zudem intensive Forschungsaktivitäten insbesondere zum (Fremd)Sprach(en)erwerb in Gang. Im Gefolge der Rezeption der einschlägigen Publikationen war die Abhängigkeit des fachdidaktischen Denkens in Deutschland von angelsächsischen Theorie-Vorbildern unverkennbar. (3) Das die fachdidaktische Diskussion der siebziger und achtziger Jahre beherrschende Schlagwort 'Kommunikative Kompetenz' hatte natürlich erheblichen Einfluss auf die Erstellung von Richtlinien und Lehrwerken. Im Konzept des handlungsorientierten Fremdsprachenunterrichts sind seine Nachwirkungen bis in die jüngste Zeit zu spüren. (4) 'Interkulturelles Lernen' schließlich steht für ein Programm, das darauf abzielt, beim Fremdsprachenlerner ein Bewusstsein für die kulturelle Relativität aller Sprachen zu schaffen. Im gegenwärtigen Fremdsprachenunterricht geht es folgerichtig nicht (mehr) um die Wahrung nationalsprachlicher Interessen. 'Fremdsprachenkompetenz' wird vielmehr als „europäische Kulturtechnik", "das Nachdenken über Fremdsprachen [...] als ein internationales (amerikanisch-westeuropäisches) Phänomen begriffen" (S. 144 t). (5) Galten in der Nachkriegszeit die meisten didaktisch-methodischen Probleme als gelöst und war der Zeitraum zwischen 1945 und 1965 von Methodenmonismus und Dogmatismus durchzogen, so zeichnete sich nach 1965 insofern eine gegenläufige Tendenz ab, als nahezu alles (auch und gerade die Unterrichtsroutinen) in Frage gestellt und experimentell überprüft wurde. Die in diesem Kontext entstandene, explosionsartig anwachsende Forschungsliteratur und das darin dokumentierte 'neue' Wissen haben allerdings eine Kehrseite, nämlich die nunmehr zwischen Forschung und Praxis sich auftuende tiefe, unüberbrückbar scheinende Kluft. Denn ein einzelner Fremdsprachenlehrer dürfte kaum in der Lage sein, die äußerst differenzierten Ergebnisse partikularisierter Forschungsinteressen zu integrieren und in die Praxis umzusetzen. (6) Aus guten Gründen ist die Länge bestimmter fremdsprachlicher Lehrgänge (insbesondere des in der Regel ab Klasse 5 beginnenden Englischunterrichts) auf Kritik gestoßen. In der Tat bringt schulischer Fremdsprachenunterricht ab etwa dem 7. Lernjahr einen vergleichsweise geringen Kompetenzzuwachs und erweist sich häufig als wenig effektiv. Mit dem allenthalben propagierten Frühbeginn des Fremdsprachenunterrichts stellt sich deshalb das Problem „einer neuen Formierung des Fächerkanons und der Curricula für die oberen Klassen" (S. 153) in aller Schärfe. HüLLENS Antwort auf die Frage, wie ein solches „schlüssiges Konzept für die Sekundarstufe II" auszusehen hat, ist eindeutig. Für ihn muss es darum gehen, "die 'Idee Europa' zu einem pädagogischen Projekt zu machen" (S. 153). Es ist das unbestreitbare Verdienst von Werner HÜLLEN, mit dieser kleinen Monographie in äußerst kompakter und konziser Form ein Stück europäische Kulturgeschichte verfasst zu haben eine Leistung, der wir nicht zuletzt wegen der Fülle der verarbeiteten Literatur den schuldigen Respekt zollen. Gleichwohl seien einige wenige kritische Anmerkungen gestattet, die dieses Verdienst in keiner Weise schmälern sollen. (1) Zu der konsequent durchgehaltenen These von einer kontinentalen Tradition des Fremdsprachenlernens, in der sich zwei dynamische Phasen des neuzeitlichen Bildungswesen ausmachen lassen, passt die Feststellung, dass das 18. Jahrhundert diese beiden Phasen als eine Art „stille lFlLl.lL 34 (2005) Buchbesprechungen • Rezensionsartikel 239 Periode" voneinander trennt, sie „dadurch aber auch dialektisch miteinander verbindet" (S. 13). Eine solche Charakterisierung wird wie oben angedeutet der Bedeutung des Zeitalters der Aufklärung für die Geschichte des Fremdsprachenunterrichts nicht gerecht. Nicht hinreichend gewürdigt wird damit insbesondere das didaktisch-methodische Reflexionsniveau vieler Sprachlehrwerke, in denen teilweise bereits systematisch diverse Lernfaktoren und Lernervariablen unterschieden sind. Nicht angemessen berücksichtigt da nur sporadisch thematisiert (S. 66 und 108) wird zudem die Tatsache, dass selbstverständlich auch der europäisch geprägte Fremdsprachenunterricht in einen übergeordneten Bedingungszusammenhang eingebunden ist, der für (Fremd)Sprach(en)unterricht schlechthin konstitutiv war und weiterhin ist. Auch diese kleine Geschichte des Fremdsprachenlernens verdeutlicht nämlich, dass die relativ begrenzte Zahl an Grundmethoden über die Jahrhunderte stabil geblieben ist und dass somit auch die manchmal propagierte grenzenlose Erweiterung dieses Grundbestandes auf einem fatalen Trugschluss beruht. Dies erklärt, warum die Kernprobleme des Fremdsprachenunterrichts fortbestehen und warum sich jede noch so ausgefeilte Art des Unterrichtens einer Fremdsprache immer auf einer Skala zwischen einem Lernen ex usu und einem Lernen ex regulis bewegt (vgl. in diesem Band S. 222). (2) Der erheblichen Risiken, die eine geraffte Darstellung von z.T. hochkomplexen Phänomenen über einen so langen Zeitraum birgt, ist sich HÜLLEN sehr wohl bewusst. Aus der daraus resultierenden „Engführung der historiographischen Rekonstruktion" (S. 13) und einer gelegentlich stark verallgemeinernden, auch Vereinfachungen nicht scheuenden Deskription wird man ihm deshalb keinen Vorwurf machen wollen. Dennoch hätte man sich den einen oder anderen ergänzenden oder präzisierenden Kommentar etwa in Form einer Anmerkung gewünscht, mit dem pauschalierende Einschätzungen zumindest relativiert werden. Dies gilt z.B. für jene Passage, in der darüber spekuliert wird, dass junge Adlige sich andere Sprachen als das Lateinische wahrscheinlich „bei Aufenthalten als Knappen an fremden Höfen ohne Unterweisung angeeignet haben" (S. 39). Wir vermissen einen Hinweis darauf, dass es einer bis ins Mittelalter zurück reichenden Tradition entsprach, die jungen Adligen in Begleitung eines 'Hofmeisters' auf eine längere Auslandreise, vorzugsweise Frankreich und Italien, zu schicken. 7 Voreilig ist auch der unter Berufung auf STREUBER (1914) 8 gezogene Schluss, bei den für das 16. und 17. Jahrhundert nachgewiesenen Lehrbüchern der französischen Sprache handele es sich trotz der praktischen Zielsetzung im Wesentlichen um Grammatiken, die zu der Vermutung Anlass geben, dass „der Unterricht [...] deduktiv gewesen sein [dürfte], mit der besonderen Übungsform des Deklinierens und Konjugierens in ganzen Sätzen" (S. 48). Mit den Bekundungen von Grammatikern wie CACHEDENIER (1601), DOERGANG (1604), GARNIER (1607) oder gar DES PEPLIERS (1689) 9, die nicht nur die Unabdingbarkeit praktischer Anwendung grammatischer Regeln durch Usus betonen und dabei besonderen Wert auf Variation legen, sondern die-wie etwa DOERGANG-solchen Empfehlungen 7 Vgl. Franz-Rudolf WELLER: "Skizze einer Entwicklungsgeschichte des Französischunterrichts in Deutschland bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts". In: Die Neueren Sprachen 79 (1980), 135-161 (hier: 142). 8 Albert STREUBER: Beiträge zur Geschichte des französischen Unterrichts im 16. bis 18. Jahrhundert. I. Die Entwicklung der Methoden im allgemeinen und das Ziel der Konversation im besonderen. Berlin: Matthiesen 1914 (repr. Nendeln 1967) (Romanische Studien; Heft 15). 9 Vgl. dazu neben der in Anm. 8 zitierten Untersuchung von STREUBER (1914 ): Karl DORFELD: "Beiträge zur Geschichte des französischen Unterrichts in Deutschland". In: Beilage zum Programm des Grossherzoglich Hessischen Gymnasiums zu Giessen, [... ]. Giessen: Keller 1892, 1-29 und Alwin LEHMANN: "Der neusprachliche Unterricht im 17. und 18. Jahrhundert, insbesondere seine Methode im Liebte der Reform der Neuzeit". In: Jahresbericht der Annenschule (Realgymnasium) zu Dresden-Altstadt, [... ]. Dresden: Teubner 1904, 3-39. f'Ll! IL 34 (2005) 240 Buchbesprechungen • Rezensionsartikel sogar Taten folgen ließen 10, lässt sich diese Annahme jedenfalls nicht in Einklang bringen. Und wenn im Zusammenhang mit der Aufzählung der Erstveröffentlichung nationalsprachlicher Grammatiken die in lateinischer Sprache abgefasste französische Grammatik von Jacques DUBOIS (eigentlich: Jacques DEL Bor) erwähnt wird (S. 57 f, Anm. 7), so ergibt sich daraus insoweit ein leicht schiefes Bild, als wir es mit einer vergleichenden lateinisch-französischen Grammatik zu tun haben, in der DELBOI versucht, der seiner Ansicht nach 'rohen' französischen Sprache feste Regeln zu geben, um sie möglichst weit dem klassischen Idiom anzunähern. (3) Das Buch will ganz im Sinne seines einführenden Charakters - "nur Einstiege in genauere Erkundungen zum Thema anbieten" (S. 8). Dementsprechend ist jedem Kapitel weiterführende Literatur vorangestellt, deren Kenntnis für das Verständnis des Textes ausdrücklich nicht vorausgesetzt wird. Dennoch: Auch der durchweg klare und unprätentiöse Stil kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Lektüre von zweitausend Jahren Fremdsprachenunterricht in dieser hochkondensierten Form trotz thematischer Beschränkungen und argumentativer Verkürzungen einige Anforderungen an den 'unvorbereiteten' Leser stellt. Insofern bleibt abzuwarten, ob die anvisierte Zielgruppe (Studierende der einschlägigen Philologien bzw. Teilnehmer an Lehrerfortbildungsveranstaltungen) dieses Buch ohne ein adäquates Niveau des (Vor)Wissens gewinnbringend lesen kann und ob sich die „kleine Geschichte des Fremdsprachenlehrens" wie erhofft als Textgrundlage für Veranstaltungen im Grundstudium eignet. 11 Bielefeld EKKEHARD ZÖFGEN Lars SCHMELTER: Selbstgesteuertes oder potenziell expansives Fremdsprachenlernen im Tandem. Tübingen: Narr 2004 (Giessener Beiträge zur Fremdsprachendidaktik), 595 Seiten ( + 55 Seiten Anhang) [54 €] Die umfangreiche Monographie stellt den Abdruck der Dissertation dar, die Lars SCHMELTER im Seminar für Sprachlehrforschung der Ruhr-Universität Bochum vorgelegt hat. Mit diesem Band wird ein wichtiger Beitrag zur Schließung der Forschungslücke im Bereich des durch Beratung unterstützten Fremdsprachenlernens im (Präsenz-)Tandem geliefert, einem Bereich, der sich in den letzten Jahrzehnten zunehmender Beliebtheit und vielfältiger Angebotsstrukturen erfreut. Gerade der Standort Bochum hat sich auf vielfältige Weise hierbei verdient gemacht durch die Entwicklung von entsprechenden Handbüchern und didaktischen und organisationsstrukturellen Grundlagen (darunter dem Internationalen Tandem-Server). SCHMELTERs Forschungsprojekt „erwuchs aus der eigenen Praxis als Berater und dem Wunsch, sowohl meine Praxis als Berater auf eine empirisch abgesicherte konzeptuelle Basis zu stellen als auch den Lernern, die zu mir in die Beratung kamen, dabei zu helfen, ihr selbstgesteuertes Fremdsprachenlernen im Tandem gemessen an ihren eigenen Kriterien effizienter zu gestalten" (S. 347). Sein Erkenntnisinteresse umfasst das potenziell hi; mdlungsleitende Wissen der Lerner, den Zusammenhang von Wissen und Handlungsbegründun- 10 D0ERGANG setzte seine Theorie dadurch in die Praxis um, dass er „mit einigen seiner Schüler, die als Pensionäre bei ihm waren, auch bei Tisch französisch sprach" (STREUBER, a.a.O. 1914, 37). 11 Das Buch ist leider nicht frei von Druckfehlern. Wir begnügen uns mit Hinweisen auf die fremdsprachlich relevanten 'coquilles': Vacabularius ex quo (36 und 160 [Literaturverzeichnis]) ➔ lies: Vocabularius ex quo, ! es examples ➔ lies: ! es exemples, al'example (44) ➔ lies: al'exemple, ! es exercises (44) ➔ lies: ! es exercices, precepts (44) ➔ lies: preceptes, coeur (44) ➔ lies: cceur, Hermenumata (48) ➔ lies: Hermeneumata, methode direct (105, Anm. 21) ➔ lies: methode directe. lFLulL 34 (2005)