Fremdsprachen Lehren und Lernen
flul
0932-6936
2941-0797
Narr Verlag Tübingen
Es handelt sich um einen Open-Access-Artikel, der unter den Bedingungen der Lizenz CC by 4.0 veröffentlicht wurde.http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/121
2006
351
Gnutzmann Küster SchrammSchöne Andenken von der Bundeswehr - Interkulturelles Lernen anhand zweier Critical Incidents im Schüleraustausch:
121
2006
Astrid Ertelt-Vieth
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Astrid ERTELT-VIETH * Schöne Andenken von der Bundeswehr - Interkulturelles Lernen anhand zweier Critical Incidents im Schüleraustausch: Unterrichtsvorschläge Abstract. Based upon her own personal empirical research into the observation and analysis of genuine critical incidents, the author makes recommendations on the incorporation of these results into intercultural language teaching in 6 steps. She establishes targets, formulates tasks for the pupils, provides (short) exemplary texts and worksheets and gives guidance to reinforcement ofthe same whererequired. With the aid of such small examples, taken from every-day happenings in students exchange, systems of cultural meanings can be reconstructed. When carrying this out, individuality should not be adverse to culture, moreover individuality should be seen within the context of culture itself. Diese Unterrichtvorschläge in Auszügen oder als Abfolge realisierbar-,fußen auf einer umfangreichen empirischen Studie zum Schüleraustausch (ERTELT-VIETH 2005). Obwohl sich diese Studie dem deutsch-russischen Schüleraustausch widmet, können wir davon ausgehen, dass sich die beiden hier ausgewählten Critical incidents in anderen Konstellationen ähnlich abspielen können und ihre mehrperspektivische fü,arbeitung in verschiedenen Fremdsprachenfächern möglich ist, außerdem natürlich in sprach- und fächerübergreifenden Projekten etwa zusammen mit Gemeinschaftskunde oder Offenem Lernen. Denn die beschriebenen Handlungen, tatsächliche oder mögliche Motive, Wertungen und Reaktionen sind nur zum Teil und nur relativ kulturspezifischer Art: In mancherlei Hinsicht gibt es mehr Gemeinsamkeiten im Denken und Handeln zwischen russischen und z. B. US-amerikanischen als zwischen russischen und deutschen Jugendlichen oder lassen sich weltweit vergleichbare Handlungsweisen und Wertvorstellungen unter Jugendlichen oder bestimmten Jugendgruppen ausmachen. Wenn wir hier trotzdem von Kulturen und kulturellen Spezifika sprechen, so meinen wir dies als Hypothese auf spezifischen Sinn, genauer: aufkulturspezifischeSinnsysteme, die oft erst in der Begegnung mit anderem bewusst und/ oder problematisch werden. Diese Hypothese aufkulturelle Spezifika ist also ein Suchauftrag, der beim Erkennen und Bearbeiten von Missverständnissen und Konflikten in.Schüleraustauschen und anderen Begegnungen helfen kann, aber selbstredend nicht alleine und nicht in jedem Fall. Korrespondenzadresse: PD Dr. Astrid ERTELT-VIETH, Universität Koblenz-Landau, Campus Landau, Institut für Bildung im Kindheits- und Jugendalter, Arbeitsbereich: Interkulturelle Bildung, Thomas-Nast- Straße 44, 76829 LANDAU. E-mail: ertelt-vieth@t-online.de Arbeitsbereiche: Interkulturelle Bildung. lFLuL 35 (2006) 78 Astrid Ertelt- Vieth Der Terminus Critical incident wurde in der Bundesrepublik vor allem durch Arbeiten zum „interkulturellen Handeln" um den Kulturpsychologen Alexander Thomas bekannt (THOMAS 1996). Mit Critical incidents werden einerseits spezifische Daten bezeichnet, die im Rahmen von empirischen Studien schriftlich (mit Fragebogen) oder mündlich (in Form von problemzentrierten Interviews, Expertenbefragungen bzw. -diskussionen u.ä.) erhoben werden. Solche empirischen Daten und ihre Analyse (ERTELT-VIETH 2005, vor allem 150-168) bilden die empirische Basis für unsere didaktisch-methodischen Überlegungen. Zugleich wird Critical incident als didaktisch-methodischer Begriff verwendet, der spezifische Text- und Aufgabenformate bezeichnet. Sie stehen im Zentrum unserer Unterrichtsvorschläge. Die zitierte Studie von ERTELT-VIETH (2005) zum russisch-deutschen Schüleraustausch ging der Frage nach: Welche Bilder von sich und vom Gegenüber entwickeln russische Austauschschüler vor, während und nach ihrer Reise nach Deutschland? Auf der Basis von Fragebogen, Interviews, Gesprächen und Feldnotizen werden dort acht Fallanalysen, darunter die zur Schülerin Asja, ausführlich dargestellt. Um Deuten, Variieren, Weiterspinnen und Übertragen (etwa auf deutsch-französische oder andere Kontexte) der hier vorgestellten Texte und Aufgaben zu ermöglichen, werden alle weiteren Informationen aus unserem empirischen Material erst sukzessive ergänzt, aber nicht gekennzeichnet, weil sie mitnichten die Funktion eines „Lösungsschlüssels" haben. Die Fallanalyse zur Schülerin Asja in ihrer ganzen Komplexität können Interessierte in ERTELT-VIETH (2005) nachlesen. 1 Die hier angebotenen sechs Schritte können als Abfolge oder Teileinheiten im Fremdsprachenunterricht realisiert werden, sei es in direkter Vorbereitung eines Schüleraustausches oder im Rahmen eines Projektnachmittages im Schüleraustausch selbst oder unabhängig davon im fremdsprachigen Klassenzimmer. 2 Details müssen dann geändert werden. Weil es hier nicht nur um Russischunterricht gehen soll, werden alle Textvorlagen und Arbeitsanweisungen (hier immer kursiv) für die Schüler/ innen in deutscher Sprache gegeben. Sie müssen in die jeweilige Fremdsprache übertragen und an das entsprechende Könnensniveau angeglichen werden, außerdem natürlich an den landeskundlichen Erfahrungs- und Wissensschatz der Schüler/ innen. Alle Bezüge auf die hier zum Ausgangspunkt genommenen empirisch untersuchten Austauschschülerinnen mit ihren Gruppen werden hier mit „Asja" und „Karin" sowie Im Sinne der qualitativen Einzelfallanalyse handelt es sich beim Kapitel „6.1.3 Schülerin Asja" (ebenda: 159-168) um (nur) einen „objektiven" Fall. "Objektiv" meint: relativ gut belegt und auf Wesentliches (nicht DAS Wesentliche) konzentriert sowie für Leser/ innen sinnhaft nachvollziehbar. Es meint außerdem: unter ähnlichen Bedingungen ähnlich möglich und insofern ein Stück weit voraussagbar, zugleich tatsächlich unwiederholbar und einzigartig vor dem Hintergrund potenziell unendlich vieler individueller Einzelfälle. 2 Einerseits sorgt die zunehmend multikulturelle Zusammensetzung von Schulklassen für unterschiedliche Perspektiven schon im fremdsprachigen Klassenzinnner. Andererseits leben unsere Schüler (z. B. mit russischem Migrationshintergrund) alle immerhin in Deutschland, während Austauschschüler in der Regel aus einer ganz anderen Lebenswelt kommen, möglicherweise noch nie im Ausland waren. FLuL 35 (2006) Schöne Andenken von der Bundeswehr ~ Interkulturelles Lernen anhand ... 79 „russische" und „deutsche" Austauschgruppe benannt; selbstredend können oder sollten je nach Art der Adaption diese Namen (Mary, Michele ... ) und/ oder das Herkunftsland der Gäste verändert werden. 1. Warum besucht die Austauschgruppe die Bundeswehr? Meiner Schulerfahrung und Kenntnis des fremdsprachendidaktischen Diskurses (ERTELT- VIETH 2003b) nach finden solche Besuche in Kontexten von interkulturellem Lernen und Schüleraustauschen eher nicht statt, stellt der hier geschilderte Fall eine Ausnahme dar. Er ist trotzdem für uns von Interesse, weil in Begegnungsprogrammen mit Jugendlichen immer früher oder später das Thema Politik auftaucht. Der hier als Einstieg vorgeschlagene Arbeitsschritt „Warum besucht die Austauschgruppe die Bundeswehr? " kann auch später, nach der Präsentation der Critical incidents zu deren Analyse dienen (s. u. Abschnitte 2 und 4). Ziele und Arbeitsweise: In Partner- oder Gruppenarbeit werden unterschiedliche Motive bzw. explizite Begründungen für einen Besuch bei der Bundeswehr gesammelt, mögliche gruppen-, kultur- oder länderspezifische Zugänge/ Argumente eruiert, verglichen und auf mögliche Zusammenhänge mit möglichen Verhaltensweisen während des Besuches bezogen. In anderen Worten: Kulturspezifische Aspekte beim Planen eines Schüleraustausch-Programms, beim Verhalten und Urteilen während seiner Realisierung sollen herausgearbeitet werden. Diese Erläuterungen zum Kontext bilden den Anfang, dann folgt eine der beiden (oder beide) Textvarianten zu „Eine Exkursion im Schüleraustausch" zusammen mit den Arbeitsblättern A und B. Kontext: Ein gelungener Schüleraustausch Während des Deutschlandbesuches der Austauschgruppe aus ... (Frankreich, Großbritannien, Polen, Russland, Türkei, Ukraine, USA ...) gibt es kaum eine Aufteilung in deutsche und ... (französische, russische ...) Grüppchen. Die jeweiligen Partner/ innen sitzen im Bus meist nebeneinander und bewegen sich auch sonst eher paarweise. Asja und ihre deutsche Gastgeberin Karin konzentrieren sich vom ersten Tag an stark aufeinander. Sie gelten als Paar, das sich besonders sympathisch ist und sich besonders gut versteht. Eine Exkursion im Schüleraustauschprogramm, Textvariante 1 Amfan.ften Tag des zweiwöchigen Aefenthaltes der Austauschgäste steht eine ganztägige Exkursion an den Rhein auf dem Programm: Mit vorbereiteten Ansagen und Erläuterungen zur Gegend verkürzen die Gastgeber die lange Busfahrt. Außerdem haben sie Liedtexte zum gemeinsamen Singen mitgebracht. Ausfahrliche Besichtigungen sind in der Stadt Bacharach, auf der Marks-Burg und in der alten Bundeshauptstadt Bonn vorgesehen, das Mittagessen und eine Diskussion mit einem Jugendoffizier in einer Kaserne der Bundeswehr. Fahrtpausen werden am Deutschen Eck und an der Loreley eingelegt... 3 Erläuterung: Während des Besuches bei der Bundeswehr und kurz danach kommt es zu zwei Critical incidents zwischen Asja und Karin. lFLuL 35 (2006) 80 Astrid Ertelt-Vieth Eine Exkursion im Schüleraustauschprogramm, Textvariante 2 (Ausschnitt) Besuch von unserer Partnerschule ... aus ... Programm 1. Samstag, 11. März 2006, 11. 3 0 Treffen am Bahnhofvon XX, gemeinsame Fahrt zum Frankfurter Flughafen, 12.40 Landung der Maschine aus YY, gemeinsames Eintreffen am Bahnhof von YY gegen 14.00 -Abholen von Eltern 2. 3. 4. Donnerstag, 16. März, Große Rhein-Exkursion 7.30 Uhr~ Abfahrt vor der Schule 8.30- 9.30 Uhr -Aufenthalt und Stadtführung in Bacharach (vorbereitet von Daniel und Moritz) 10.15 - 11.15 Uhr Aufenthalt am Deutschen Eck (Kurzreferat von Helga und Tim) 11.45 Empfang vom Jugendoffizier in derXY-Kaserne, Vortrag mit Diskussion 12.45 Essen in der Kantine der XY-Kaserne ... usw. Arbeitsaufträge zum Arbeitsblatt A: a) Wählt auf dem Arbeitsblatt A Gründe für die Aufnahme des Programmpunktes „Besuch bei der Bundeswehr" aus, die euch persönlich plausibel erscheinen und gebt an, warum! b) Wählt Erklärungen aus (oder nennt andere), die aus der Sicht eines bestimmten Herkunftslandes und seiner politischen Kultur (u. U. nur bestimmter Bevölkerungs- oder Interessensgruppen dort) nachvollziehbar und daher in diesem Schüleraustausch nicht unwahrscheinlich sind: Frankreich, Großbritannien, Polen, Russland, Türkei, Ukraine, USA ... Arbeitsblatt A Gründe für den Programmpunkt „Bundeswehr" 1. Wenn „Die alte undjüngere Geschichte der Bundesrepublik" Thema der Exkursion ist, passt dies gut. 2. Wenn es sich um einen großen und bekannten Standort der Bundeswehr handelt, warum nicht? 3. Handelt es sich um Abschlussklassen, so steht.für die Jungen beider Austauschgruppen die Einberufung in die Armee vor der Tür. Für sie ist ein solcher Besuch von aktuellem persönlichem Interesse. 4. Die gesamte Schülergruppe kommtaus einer Internationalen Schule in Hessen; die meisten EItern der amerikanischen Schüler sind Angehörige der US-Armee in Deutschland. Diese amerikanischen Schüler und ihre Klassenkameraden wollen die Bundeswehr kennen lernen. 5. In der Kantine der Bundeswehr bekommt die ganze Reisegruppe ein Essen umsonst eine gute Entlastung derExkursionskasse. 6. Die Gäste kommen aus einem Land, das Mitglied der NATO werden möchte. 7. In letzter Zeit häufen sich Meldungen über Misshandlungen in Armeen. Die Bundeswehr dagegen ist trotz einiger Vorfälle auch in ihren Reihen für ihr modernes Konzept der „ inneren Führung" bekannt und daher von aktuellem Interesse. 8. Die Schülergruppe kommt aus der Stadt ... in Rheinland-Pfalz. Die dort stationierten amerikanischen Truppen bieten Arbeitsplätze und wirtschaftliche Vorteile für die Region. Privatleute, _,. lFLuL 35 (2006) Schöne Andenken von der Bundeswehr - Interkulturelles Lernen anhand ... Kommunalpolitiker und Geschäftsleute pflegen gute Beziehungen zu ihren ausländischen Mitbürgern. Diese Exkursion ist Teil des städtischen Begegnungs-Programms for einheimische und ausländische Schüler/ innen. 9 .... Arbeitsauftrag zum Arbeitsblatt B 81 Welche Verhaltensweisen -auf der Grundlage der Arbeitsergebnisse mit Blatt A -sind jeweils denkbar? Kann es zu Staunen oder Unwillen kommen (bei wem? ), sind offene Meinungsverschiedenheiten denkbar, wenn ja, zwischen welchen Personen? Die auf dem Arbeitsblatt mit Punkten ... offen gelassenen Herkunftsangaben der Schüler können von der Lehrkraft oder von den Schüler/ innen eingetragen werden. Arbeitsblatt B Wie verhalten sich welche Schüler beim Besuch der Bundeswehr? 1. Beim Essen rühren die Schüler/ innen aus ... unwillig im Eintopf Sie sind nicht gewohnt ... (oder: nicht einverstanden .. .) 2. Die ... Schüler haben eine Reihe von Fragen vorbereitet, die sie dem Jugendoffizier nach dem Essen stellen wollen. Dessen Antworten protokollieren sie sorgfältig. 3. Es gibt keine besonderen Vorkommnisse. Alle hören dem Jugendoffizier zu, stellen einige Fragen und bedanken sich am Schluss for die Informationen und die Gastfreundlichkeit (das Essen in der Kantine). 4. Die ... Schüler/ innen in der Gruppe sind deutlich gelangweilt. Sie machen Witze über die kurzen Haare der Soldaten, den „geschniegelten" Jugendoffizier, die ungewohnten Hinweisschilder und Reglementierungen auf dem Kasernengelände. 5. Die Ausfohrungen des Jugendoffiziers über die Ausbildungs- und Verdienstmöglichkeiten in der Bundeswehr stoßen auf Interesse und Wohlwollen bei ... 6. Ein kurzer Film über die Fliegerstaffel in dieser Kaserne begeistert... 7. Die ... Schüler/ innen hören dem Jugendoffizier regungslos zu. Offensichtlich ... 8. Einige ... stellen dem Jugendoffizier nach seiner positiven Selbstdarstellung kritische Fragen zum Einsatz der Bundeswehr in Krisenregionen, zur Teilnahme an Kriegshandlungen. Den ... imponiert das. (Oder: Den ... ist das sehr peinlich). 9. ... Hinweise für die Arbeit mit den Blättern A und B Bitte beachten: Ihr müsst euch nicht zu allen oben genannten Schülergruppen und zu allen möglichen Erklärungen (Arbeitsblatt A) bzw. Verhaltensweisen (Arbeitsblatt B) äußern. Sucht diejenigen Aspekte aus, die eurer Meinung nach zueinander passen, begründet warum und stellt sie im Plenum als denkbare Varianten vor, auf die sich Austauschteilnehmer einstellen sollten. lFLuL 35 (2006) 82 Astrid Ertelt-Vieth 2. Critical incident I: Ein Foto mit dem Barett der Panzertruppe auf dem Kopf Der Vorfall Im Foyer des Gebäudes far Besucher und Öffentlichkeitsarbeit imponiert den Gastschüler/ innen die Gestaltung mit modernen Plakaten zur Bundeswehr, der dort dargestellte Anspruch der Bundeswehr, ihre Aufgabengebiete und Abteilungen usw. Reich bebilderte Materialien liegen zum Mitnehmen aus. Ein Gastschüler hält plötzlich ein Barett der Panzertruppe in der Hand und setzt es auf Es gibt Gelächter. Fast alle Gastschülerinnen und-schüler fotografieren sich damit gegenseitig, aber kein einziger, keine einzige von den Deutschen. Die geschilderte Situation soll in einem Standbild (oder mehreren Standbildern) dargestellt werden, um dann drei Fragen (s. u.) systematisch zu bearbeiten. Die Arbeit an Standbildern bringt ein neues Medium und eine neue Arbeitsform ein, ist stark schüleraktivierend und erleichtert das Übernehmen, Vergleichen und Koordinieren von unterschiedlichen Perspektiven. Hilfreich wären zwei Requisiten: Fotokamera und Barett (oder eine andere militärische Kopfbedeckung oder eine ähnliche Kappe/ Mütze). Arbeitsanweisung für ein Standbild: Stellt die Szene im Foyer des Besucher-Pavillons der Kaserne nach! Achtet auf Gruppierungen der Personen, ihre Haltung und Mimik. JedeFigur im Standbild soll zum Schluss artikulieren, wo sie steht und warum, was sie tut, denkt und empfindet, was die anderen möglicherweise über sie denken, wer möglicherweise ein Problem hat. Alternative oder Vertiefung: Fotografiert das Standbild und beschriftet das Foto mit „Denkblasen"far jede dargestellte Person! Vertiefende Fragen: 1. Wer bemerkt was nicht? Wer bemerkt es schon, hält es aber nichtfar gravierend, zumindest nicht der Diskussion wert? 2. Welche der mit dem Arbeitsblatt A erörterten Kontexte persönlicher und/ oder gruppen- oder länderspezifischer Art könnten hier eine Rolle spielen? 3. Was kann statt dessen oder zusätzlich eine Rolle spielen? 4 Mit neuen Standbildern können wünschenswerte und weniger wünschenswerte Alternativen ausprobiert werden. Einigen Fragen aus der „Checkliste für interkulturelle Begegnungen normativer Teil" (Fragen 1. bis 4. siehe unten, Abschnitt 5) können diese ursprünglich offene Aufgabe fokussieren: Haben Asja und Karin sich an diese Normen gehalten? 4 Mögliche Impulse für die Schüler/ innen: pazifistische, antimilitaristische Einstellungen oder unpolitische, antipolitische Grundüberzeugungen... FLuL 35 (2006) Schöne Andenken von der Bundeswehr - Interkulturelles Lernen anhand ... 83 3. Hut ist nicht gleich Hut, Fotografieren nicht gleich Fotografieren? In der Arbeit am Standbild konnten die Schüler/ innen nachvollziehen und erörtern, warum sich Personen so und nicht anderes verhalten, wie sie sich dabei sehen, wie sie von den anderen gesehen werden, warum die Symbolik, sprich gruppen- oder kulturspezifisch unterschiedliche Deutungen, schon bei Kleinigkeiten zur Verstimmung sogar unter solchen Austauschpaaren führen kann, die sich sonst eigentlich sehr gut verstehen. Diese Einsicht soll vertieft werden: Die starke emotionale Verankerung dieser Symbole und ihr großer unbewusster Anteil wird häufig unterschätzt. Beides ist verantwortlich dafür, dass man oft nicht so ohne weiteres „aus seiner Haut heraus kann", dass Bedeutungen nicht beliebig (wie manche didaktischen Ausführungen glauben machen) „ausgehandelt" werden können. Vor allem sollen die Schüler/ innen dies nicht nur bei den anderen feststellen, sondern wie den „Balken im Auge" auch bei sich selbst. Hierbei sollen zwei Experimente helfen. Erneut werden andere Rollen übernommen und gewechselt, außerdem (fiktiv) die Orte des Geschehens, mithin die Perspektiven auf Welt, die eigene Positionierung in Welt. Haben die deutschen Gastgeber den Ulk der Gastschüler mit dem Barett „ernst" genommen und eindeutig kritisch interpretiert, sollen sie nun erleben, wie sie sich selbst an anderen Orten, in anderen Rollen ähnlich „ulkig" verhalten und vielleicht von anderen (zu) ernst und (zu) eindeutig interpretiert werden. Die beiden Experimente werden arbeitsteilig oder nacheinander durchgeführt. Experiment 1: Hut ist nicht gleich Hut Die Schüler/ innen bringen verschiedene Kopfbedeckungen mit im Idealfall berufsbezogene, auch von Militärs, von heute, von früher. Sie fotografieren sich gegenseitig mit diesen Kopfbedeckungen und hängen die Bilder an die Wandtafel. (Können nicht entsprechende Kopfbedeckungen aufgetrieben werden, helfen Fotoschablonen oder Abbildungen aus dem Internet, in die die Gesichter der Schüler eingepasst werden können. Ebenfalls relativ leicht zu beschaffen und zu bearbeiten sind Abbildungen von Berufskleidung in Versandhauskatalogen. Meist finden sich auch Schüler/ innen, die so etwas gerne vorbereiten.) Arbeitsanweisung für Partner- oder Gruppenarbeit zum Experiment 1 1. Jeder Fotografierte schreibt in einer kurzen Bildunterschrift, wie wohl oder unwohl er/ sie sich beim Fotografieren und/ oder beim Anblick ihres/ seines Fotos gefühlt hat und warum. 2. Notiert im Plenum, wer welche Kopfbedeckung meidet oder besonders lustig findet oder aus anderen Gründen aufziehen möchte (z.B. eines Feuerwehrmannes, aber nicht eines Offiziers) und warum! Experiment 2: Fotografieren (bzw. Posieren) ist nicht gleich Fotografieren Die Lehrkraft oder die Schüler/ innen bringen Fotos und Ansichtskarten mit in den Unterricht von im allerweitesten Sinne militärischen Objekten: Wache am Buckingham-Palast; Wache am Leninmausoleum; große Leuchttafeln eines russischen bzw. amerikanischen Soldaten am Checkpoint-Charlie in Berlin-Mitte; flielFLuL 35 (2006) 84 Astrid Ertelt-Vieth gende Händler ebendort mit Mützen, Fahnen u. a. "Reliquien" aus der UdSSRbzw. DDR-Zeit; das Grab des unbekannten Soldaten in Paris oder in Moskau; das Ehrendenkmal für die russischen Armee in Berlin (oder Wien oder anderswo); die Panzersperren vor den Toren Moskaus; ein Kleinkünstler, der in der Aufmachung einer Bronze-Statue vor dem Brandenburger Tor für Touristen posiert... Arbeitsteilig und aus zwei verschiedenen Perspektiven geben die Schüler Auskunft über sich und andere, spekulieren, tauschen ihr Wissen aus: 1. Ihr seid als Touristen oder Weltenbummler unterwegs. Wo würdet ihr ein Erinnerungsfoto machen, bzw. euch selbst vor diesem Hintergrundfotogrqfieren lassen, wo sicherlich nicht? 2. Welche Touristen oder andere Personen lassen sich an welchen Orten fotografieren (aus bestimmten Ländern, zu bestimmten sozialen- oder Interessengruppen gehörig oder ohne Unterschied? ): 2.a Was vermutet ihr? 2.b Wer hat wo was selbst beobachtet? Wer hat Kenntnisse aus welchen Quellen? 4. Critical incident II: Ein schönes Andenken von der Bundeswehr Erweiterung der o. g. Lernziele durch (Probe-)Handeln in einer interkulturellen Kommunikationssituation: Die Schüler sollen im Rekonstruieren kultureller Sinnsysteme einen Schritt weitergehen. Sie sollen dieses Rekonstruieren als eine unter anderen notwendige Maßnahmen für Verstehen und Verständigen erkennen, handhaben und zugleich relativieren. Dabei sollen sie lernen, Individuelles nicht in Kontrast zu Kulturellem, sondern Individuelles im Kontext von Kulturellem zu sehen 5 • Mit dem Einordnen des Individuellen im Kulturellen sind nicht Prioritäten bzw. Hierarchien gemeint, sondern Sinnsysteme, die nie eindeutig, eindimensional oder feststehend, eher offen und flexibel sind. Sie werden von konkreten, einzelnen Menschen in konkreten Situationen gemacht, dienen dann im Gedächtnis immer auf Wesentliches reduziert als Orientierungsrahmen, die man kennen und ständig erweitern 6 sollte. Die Schüler sollen die Sinnhaftigkeit des Handelns anderer aus deren Perspektive nachvollziehen können, eine Außenperspektive auf ihr eigenen Handeln einnehmen 7 und vor diesem Hintergrund Konflikte, Konfliktpotenzial erkennen und im Unterricht probehandelnd vermeiden oder bearbeiten können. Rollenspiel: In Viergruppen entwickeln und proben die Schüler/ innen ein Rollenspiel mit 3 Szenen nach folgenden Vorgaben: Siehe Kapitel 7.12. in Ertelt-Vieth.(2005: 292-294): "Das Individuelle ist das Vielfältige, ,Dichte' das Kulturelle ist das Allgemeine, ,Dünne', der gemeinsame Nenner in der Vielfalt". 6 Siehe Kapitel 7.4: "Kultur als konkreter Kontext von Bildern und Kultur als Horizont, der sich mit dem Fortgang der Untersuchung verschiebt" (ebenda: 276-278). 7 Siehe Kapitel 7.5: "Innensicht und Außensicht zwei notwendige, spiralisch aufeinander folgende Stationen im Erkenntnis- und Handlungsprozess" (ebenda: 278-279). FLuL 35 (2006) Schöne Andenken von der Bundeswehr - Interkulturelles Lernen anhand ... 85 a) Ausgangssituation: Die Gastschülerin Asja (oder Agnieska, Mary, Chantalle .. .) nimmt im o. g. Foyer Informationsmaterial mit: Ansichtskarten von der Kaserne und vom Verteidigungsministerium, Heftehen mit bunten Hochglanzfotos zu Uniformen und Rangabzeichen. Von jedem nimmt sie zwei Exemplare, um sie anschließend auf dem Weg zum Bus mit ihrer deutschen Gastgeberin Karin zu teilen. b) Dialog der beiden auf dem Weg zum Bus. c) Schlussszene: Beide sitzen im nebeneinander im Bus. Karin schaut abwechselnd geradeaus oder aus dem Fenster. Asja hat das gesamte Material auf dem Schoß und schaut sich die Fotos zu den Uniformen an. Aufgabenstellung für das Rollenspiel: Die Mimik, Gestik und Rede jeder Figur sowie ihre Abfolge sollen fiir sich Sinn machen. Aus dem Zusammenspiel der beiden Figuren, insbesondere der Ausgestaltung von Dialog b), soll die Schlussszene verstehbar werden. Unter Umständen können präzisierende Fragen hilfreich sein: Ist alles in Ordnung, ist jeder mit sich zufrieden aus dem Fenster schauend oder in den Heftehen blätternd? - Ist Karin müde und Asja nicht? Beides denkbar und normal! - Hat eine von beiden oder haben beide miteinander ein Problem (enttäuscht, ratlos, böse)? Hat nur eine ein Problem und die andere merkt es nicht? Aufgabe des Plenums wäre, • die innere Logik und das darstellerische Geschick der Rollenspiele zu beurteilen • festzuhalten, dass viele Varianten möglich sind • Bezüge auf die mit den Arbeitsblättern A und B erarbeiteten kulturellen Hintergründe und spezifischen Einstellungen herzustellen, um sie als mögliche Verstehenshilfen zu nutzen -wohl wissend, dass es keine „richtigen Varianten" gibt, sondern nur Varianten, die demKenntnis- und Erfahrungsstand der Interpreten entsprechend plausibel sind • zu entscheiden, ob die Erarbeitung kultureller Hintergründe vertieft werden soll und dann neue Rollenspiele mit Handlungsaltemativen erarbeitet werden sollen oder umgekehrt. Die Frage nach den möglichen kulturellen Hintergründen kann mit der Erarbeitung von Assoziationsketten oder Mind-maps zu länderspezifischen und gruppenspezifischen Einstellungen zur Armee vertieft werden oder auch mit der Erarbeitung von Personenprofilen. Je nach Zusammensetzung der Lerngruppe (Schüler aus Russland oder USA usw. oder Schüler, denen dort verbreitete Meinungen und Einstellungen gut bekannt sind, etwa aus einem Auslandjahr, regelmäßiger Zeitungslektüre, persönlichen Kontakten) können Assoziationen zu verschiedenen Armeen aus verschiedenen Perspektiven erarbeitet werden, können mit unterschiedlichen Personen-Profilen von Asj a und Karin die Unterschiede und Verwobenheit von persönlichen Eigenschaften einerseits mit sozialen, kulturellen Kontexten andererseits aufgezeigt werden. Mögliche Assoziationen in Deutschland zur Bundeswehr (und Armee generell): Jugoslawien, Afghanistan, "Demokratie am Hindokusch verteidigen", Verteidigungsminister, Einberufung, Zivildienst, .Frauen in der Bundeswehr, Neonazi-Sprüche, das FLIIL 35 (2006) 86 Astrid Ertelt-Vieth Konzept der „ inneren Führung", Hochwasserkatastrophe in Sachsen, Berufsarmee, NATO, Demokratie und innere Sicherheit, Fußballweltmeisterschaft, Bundeswehrhochschule, " Soldaten sind Mörder" ... Mögliche Assoziationen z. B. in Russland zur Russischen Armee (und Armee generell): Brüder und Cousins, Söhne und Neffen, zum Mann werden, Durchhalten, Tschetschenien, Kriegsinvaliden, Offizier, Putin, Rekruten, Uniformen, Militärparade, Afghanistan, Großer vaterländischer Krieg 8, Stalingrad, in der DDR stationiert, Brüderlichkeit und Zusammenhalt, Brutalität, Misshandlungen, dedovscina9, Deserteure, Organisation der „Soldatenmütter"... Hier wäre wichtig zu benennen (eventuell mit Farbe in die Mind-map eintragen), ob es sich um persönliche Assoziationen einzelner Schüler/ innen handelt, ob so die öffentliche Meinung in einem Land charakterisierbar ist welche Großgruppen sich dort unterscheiden lassen oder ob sich die Assoziationen der Schüler/ innen auf das Wissen aus Fachtexten stützen (etwa aus anderen Unterrichtsstunden und Schulfächern). Außerdem wären inhaltlicheBezüge bzw. Gegensätze zwischen verschiedenen Assoziationen zu kennzeichnen. Mögliche Personenprofile der Gastschülerin Asja: VarianteAsja 1: Asja interessiert sichfiir Architektur, Malerei und Mode, hat ein ausgeprägtes Verständnisfiir Formen und Farben. In Deutschlandfotografiert sie systematisch Sehenswürdigkeiten und lässt sich selbst vor entsprechenden Objekten abbilden. Sie ist stark beeindruckt von dem, was sie in Deutschland gesehen und erlebt hat. Es ist so ganz anderes als bei ihr zu Hause in ... Variante Asja 2: Asjas Vater ist beim Militär, der Großvater war es zu seiner Zeit ebenso. Vor allem die Oma hat ihr viel von der DDR/ BRD erzählt, weil der Opa dort stationiert war und die Oma ihn dorthin begleitet hat. Asjas Kleidung, Auftreten und Sprechweise weisen daraufhin, dass sie aus einer materiell gut situierten, sozial anerkannten, gebildeten und standesbewussten Offiziersfamilie kommt. Asja ist ausgesprochen höflich und zuvorkommend Variante Asja 3: Asja kommt aus einem kleinen Dorfin ... , schon eine Fahrt in die Großstadt ... ist ein Ereignis. Nun ist sie das erste Mal im Ausland Alles ist ungewöhnlich: die Bankenstadt Franlifurt am Main, die mittelalterlichen Burgen am Rhein, die deutsche Art, akribisch den Tisch zu decken, schon die kleinen Kinder zu lehren mit Messer und Gabel zu essen. Die Nachrichtensendungen im Fernsehen ... das politische System in Deutschland... Variante Asja 4: Für Karin brauchen wir hier keine Varianten vorgeben, was aber nicht heißt, dass manche Schüler (vor allem wenn die Klasse sozial und/ oder kulturell recht homogen ist) Unter- 8 So wurde in der UdSSR und wird im heutigen Russland die Verteidigung der UdSSR gegen den Angriffskrieg des nationalsozialistischen Deutschlands vom 22. Juli 1941 bis zum 8./ 9. Mai 1945 benannt. 9 Das sogenannte „Großväter-System" in der Russischen Armee, mit dem sich die Älteren auf brutale Weise den absoluten Gehorsam der Jüngeren, Dienstrang-Niederen erzwingen. FLuL 35 (2006) Schöne Andenken von der Bundeswehr - Interkulturelles Lernen anhand ... 87 stützung dabei brauchen, Karins Verhalten NICHT als „logisch" oder „natürlich" anzusehen. Stichwörter können Impulse geben: Müdigkeit nach dem Mittagessen, eher schweigsamer Mensch, unzufrieden mit dem wenig schmackhaften Eintopf, überzeugte Christin und Pazifistin, Reiseübelkeit, Unwillen über die „Raffgier" von Asja, die so viel Material mitgenommen hat, Erschöpfung und Ärger wegen der Hetze im dichten Austauschprogramm ... In einem weiteren Schritt können für die Rollenspiele mit problematischem Ausgang (ein oder beide Mädchen sind unzufrieden) Handlungsalternativen entwickelt werden entweder im Gespräch oder zunächst wieder als Rollenspiel. Dabei können die normative Vorgaben aus der „Checkliste für interkulturelle Begegnungen" (ERTELT-VIETH 2003a: 100) den Arbeitsauftrag präzisieren und in der Auswertung der Rollenspiele (ebenda) genutzt werden 10: Arbeitsblatt C (Checkliste für interkulturelle Begegnung normativer Teil) Du kannst und du solltest: 1. möglichst viel erfahren und ausprobieren: Gemeinsames, Unterschiedliches, Ungewohntes, Missverständliches, 2. dich oft in die anderen hineinversetzen, um sie zu verstehen, 3. das Ungewöhnliche, vielleicht auch Merkwürdige deiner (unserer) eigenen Gewohnheiten und Sichtweisen entdecken und den anderen verständlich machen, 4. in jeder Situation neu Gemeinsamkeiten suchen, Kompromisse eingehen oder manchmal nötigdas andere kritisieren oder dich abgrenzen, aber immer gesprächsbereit bleiben und nicht verletzen 5. überlegen, was du far dich ändern oder beibehalten willst nur vorübergehend in der interkulturellen Begegnung oder dauerhaft, 6. bedenken, dass Verstehen wie eine Spirale verläuft und verlaufen sollte: Man kommt immer wieder an gleiche oder ähnliche Punkte, fängt von vorne an und bewegt sich doch vorwärts! Alternativen: Die Schüler erörtern, ob diese hier vorgegebenen Normen hilfreich oder überhaupt legitim sind. Sie können einen eigenen Normenkatalog für einen Schüleraustausch entwerfen. (Sicherlich wäre dann über notwendiges Differenzieren von solchen Normenkatalogen für Schüleraustausche auf der einen Seite und anderen Formen der „Begegnung", etwa internationalen staatlichen Beziehungen, auf der anderen Seite zu sprechen.) Folgende Umformulierungen der Fragen vom Arbeitsblatt C können praktisch sein: 1. Haben Asja und Karin versucht, möglichst viel voneinander zu erfahren? 2. · An welcher Stelle hätte sich wer in die andere hineinversetzen sollen? 3. Wer hat welche bisher unbekannten Seiten an sich, an der anderen entdeckt? 4. Konnten sie der jeweils anderen verständlich gemacht werden? 5. Wäre ein Kompromiss erforderlich, möglich gewesen? 10 Die russische Fassung der „Checkliste" ebenda: l O1. - Alternatives Vorgehen: Die Checkliste wird erst im letzten Schritt 6 der Unterrichtseinheit verwendet. FLuL 35 (2006) 88 Astrid Ertelt-Vieth 6. Was können beide (könnt ihr)aus den Critical incidentslernen? 7. Was ist das Wichtigste an einem Schüleraustausch oder sollte es sein, z. B. zwischen Asja und Karin? 5. Vertiefung: Popularität von Armeen in unterschiedlichen Ländern und Kontexten Die Bearbeitung der Fragen, welche handlungsleitenden Motive von Asja und Karin denkbar sind, welche Arten des Dialogs zwischen beiden verständlich oder wünschenswert wären, kann auf die Basis umfangreicherer Recherchen gestellt werden. Spätestens an diesem Punkt lässt sich das Projekt gut fachübergreifend realisieren (verschiedene Fremdsprachen und/ oder Sozialkunde-/ Gemeinschaftskundeunterricht). Unterschiede und Gemeinsamkeiten (nach der Selbstdarstellung der Armeen 11 und ihren übergeordneten Ministerien auf ihren offiziellen Homepages, nach der Darstellung in verschiedenen regierungstreuen sowie kritischen - Massenmedien) können nach thematischen oder systematischen Gesichtspunkten zusammengestellt werden: allgemeine langfristige und konkrete kurzfristige Ziele der Armee, Vorzüge, Verdienste, Aufbau, Prinzipien, Entwicklungsaufgaben... Ein origineller Ansatz wäre, unterschiedliche PR-Konzepte und Designs von Homepages verschiedener Armeen zu vergleichen, dabei das Zusammenspiel von Texten und Bildern, von Inhalten und Formen. 12 Weiterhin wäre zu fragen: Worin unterscheiden oder ähneln sich die armeekritischen Stimmen in den verschiedenen Ländern? Wie verbreitet sind sie, welches Gewicht haben sie für wen, was haben sie bisher bewirkt? 13 6. Was sollte im Zentrum stehen: Gemeinsamkeit oder Verschiedenheit? Was soll im Zentrum interkulturellen Lernens stehen: Gemeinsamkeit oder Verschiedenheit? Aus der Sicht von Schüleraustausch und Schülerbegegnung erscheint diese Gegenüberstellung müßig, machen diese Maßnahmen doch nur Sinn, wenn vorher Verschiedenheit, in welcher Hinsicht auch immer, präsumiert wurde und die wichtigste Gemeinsamkeit im beiderseitigen Wunsch nach Begegnung besteht. Außerdem kann jede Austauschlehrerin, jeder Austauschlehrer ein Lied davon singen, welch vielfältige Missven~tändnisse in der täglichen Praxis aufgedeckt, Enttäuschungen verarbeitet, handfeste Konflikte geschlichtet werden müssen. 11 www.bundeswehr.de (letzter Besuch am 02,04.2006), www.mil.ru (letzter Besuch am 02.04.2006). 12 Sehr empfehlenswerte Hilfen bieten MACAIRE/ HOSCH 1996. 13 Hierzu gibt es unzählige Foren (in russischer Sprache etwa www.prizyvnik.info/ letzter Besuch am 02.04.2006). Interessant zur öffentlichen Meinung die Studien des renommierten Levada-Institutes in Moskau (www.levada.ru/ letzter Besuch am 02.04.2006). FLuL 35 (2006) Schöne Andenken von der Bundeswehr - Interkulturelles Lernen anhand ... 89 Gleichwohl bleibt zu fragen, ob die hier ausgewählten und ähnliche Critical incidents tatsächlich so „kritisch" waren, ja, überhaupt der Rede wert sind. Gehört nicht Ambiguitätstoleranz zu den Zielen von interkulturellem Lernen, von jedem sozialen Lernen? Muss Asja nicht aushalten können, dass ihre Gastgeberin Karin so aufmerksam und interessiert sie sonst istsich auch einmal missmutig abwendet? Einerseits: Ja. Andererseits: Solches zu reflektieren und zu trainieren gehört zu den Aufgaben und besonderen Möglichkeiten von interkulturellem Fremdsprachenunterricht auch unanhängig von Austausch- und Begegnungsmaßnahmen. Die hier dargestellten Critical incidents kann man gut als Präzedenzfälle nutzen, gerade weil es relativ kleine, harmlose Konflikte sind. Ihre Bearbeitung eröffnet große Spielräume, in denen Schülerinnen und Schüler lernen, sowohl Grenzen zu überschreiten als auch Grenzen zu respektieren oder gar zu ziehen, denn wie oben schon gesagt: ... du sollst 4. in jeder Situation neu Gemeinsamkeiten suchen, Kompromisse eingehen oder manchmal nötigdas andere kritisieren oder dich abgrenzen, aber immer gesprächsbereit bleiben und nicht verletzen 5. überlegen, was du für dich ändern oder beibehalten willst nur vorübergehend in der interkulturellen Begegnung oder dauerhaft ... Literatur ERTELT-VIETH, Astrid (2003a): "Privetsvie russkich druzej - Schüleraustausch gut vorbereitet". In: ERTELT-VIETH, Astrid (Hrsg.): Russisch in Projekten lernen. Berlin: Volk und Wissen, 77-102. ERTELT-VIETH, Astrid (2003b): "Schülerbegegnung und Schüleraustausch". In: BAUSCH, Karl-Richard / CHRIST, Herbert/ KRUMM, Hans-Jürgen (Hrsg.): Handbuch Fremdsprachenunterricht. 4. Aufl. Grundlegende Neubearbeitung. Tübingen/ Basel: Narr, 274-276. ERTELT-VIETH, Astrid (2005): Interkulturelle Kommunikation und kultureller Wandel. Eine empirische Studie zum russisch-deutschen Schüleraustausch. Tübingen: Narr. MACAIRE, Dominique / HOSCH, Wolfram (1996): Bilder in der Landeskunde: Berlin [usw.]: Langenscheidt. THOMAS, Alexander (1996): "Analyse der Handlungswirksamkeit von Kulturstandards". In: THOMAS, Alexander (Hrsg.): Psychologie interkulturellen Handelns. Göttingen [usw.]: Hogrefe, 107-135. Internet www.bundeswehr.de (letzter Besuch am 02.04.2006) www.levada.ru (letzter Besuch am 02.04.2006) www.mil.ru (letzter Besuch am 02.04.2006) www.prizyvnik.info/ (letzter Besuch am 02.04.2006) lFLulL 35 (2006)
