eJournals Fremdsprachen Lehren und Lernen 35/1

Fremdsprachen Lehren und Lernen
flul
0932-6936
2941-0797
Narr Verlag Tübingen
Es handelt sich um einen Open-Access-Artikel, der unter den Bedingungen der Lizenz CC by 4.0 veröffentlicht wurde.http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/121
2006
351 Gnutzmann Küster Schramm

Interkulturelles und sprachliches Lernen mit fremdsprachlichen literarischen Texten:

121
2006
Eva Burlitz-Melzer
flul3510104
Eva BURWITZ-MELZER * Interkulturelles und sprachliches Lernen mit fremdsprachlichen literarischen Texte: n: Zweizentrale Elemente eines neuen Lesekompetenzmodells Abstract. Communicative EFL syllabuses and the new output-oriented curricula consider the teaching of literature as a matter of minor importance. The following article argues against this point of view and proposes a model ofcompetences which can be achieved with authentic literary texts in EFL classrooms. Building on the current discussion of reading competences in the German classroom for native speakers, the author draws up a ! ist ofreading competences for the EFL classroom that focus exclusively on literary texts, taking into account the concepts of the response theory. The model unites motivational, cognitive, affective and reflexive competences, but focuses on the acquisition of intercultural and communicative competences: 1. Literarisches Lesen und der Kompetenzbegriff geht das überhaupt zusammen? Die Bildungspolitik versucht, Lernen durch Standardorientierung und Kompetenzbeschreibungen aktuellen Erkenntnissen und Anforderungen anzupassen, um es leichter planbar und überprüfbar zu machen. Dahinter steckt zum einen das Motiv, frühzeitig jene zentralen Kompetenzen auszubilden und zu fördern, die im späteren Berufsleben gebraucht werden, zum anderen die Hoffnung, den schulischen Bildungsprozess stärker zu steuern und in den Bundesländern möglichst einheitliche Lernziele zu erreichen (vgl. hierzu BURWITZ-MELZER 2005). Dies gilt natürlich auch für den Bereich der Fremdsprachendidaktik, in dem der schulische Unterricht durch die Standarddiskussion und Kerncurricula der einzelnen Bundesländer für die Klassen 3 bis 10 ebenso vorangebracht werden sollte, wie durch die Bildungsstandards für die erste Fremdsprache (Englisch/ Französisch) far den Mittleren Schulabschluss (KMK 2004) und die Diskussion über ein Oberstufencurriculum. Zahlreiche Veröffentlichungen der letzten Zeit haben sich mit diesen nur teilweise erfolgreichen bildungspolitischen Maßnahmen befasst und sie ausführlich diskutiert. Dabei wurden immer wieder Mängel in den Kompetenzlisten sowie Ungenauigkeiten in den Formulierungen von Standards, mangelnde Sachkenntnis Korrespondenzadresse: Prof. Dr. Eva BURWITZ-MELZER, Univ.-Profin, Justus-Liebig-Universität Gießen, Didaktik der englischen Sprache und Literatur, Otto-Behaghel-Str. 1 OB, 35394 GIEßEN, E-mail: Eva.Burwitz-Melzer@anglistik.uni-giessen.de Arbeitsbereiche: Literaturdidaktik, empirische Unterrichtsforschung, Frühenglisch-Unterricht und die Übergangsproblematik, Portfolio-Assessment. lFLuL 35 (2006) Interkulturelles und sprachliches Lernen mit fremdsprachlichen literarischen Texten ... 105 spezieller Fachgebiete der Fremdsprachendidaktik und auch eine schlechte Umsetzung der Kompetenzanforderungen in Klassenzimmer-Szenarios und Musteraufgaben kritisiert. Der vorliegende Artikel befasst sich mit einem Teilbereich der Fremdsprachendidaktik, mit der fremdsprachlichen Literaturdidaktik, die sowohl im Gemeinsamen europäischen Referenzrahmen (EUROPARAT 2001) wie auch in den „Bildungsstandards für die erste Fremdsprache" zu kurz gekommen ist (vgl. BURWITZ-MELZER 2005). Es wird ein Kompetenzmodell entworfen, das es erlaubt, auch diesen für Lernende wichtigen Bereich des Fremdsprachenunterrichts in die Diskussion mit einzubeziehen. Das Lesekompetenzmodell, das hier vorgestellt werden soll, basiert auf Grundgedanken der Lesekompetenzforschung, die im ersten Kapitel kritisch vorgestellt wird. Für den fremdsprachlichen Literaturunterricht muss das Lesekompetenzmodell der Deutschdidaktik, dks wird sehr schnell deutlich, anders konzipiert und operationalisiert werden. Deshalb bietet das zweite Kapitel ein fremdsprachliches Lesekompetenzmodell an, das sich ganz besonders auf den Einsatz literarischer Texte bezieht. Insbesondere die sprachlichen Fertigkeiten und der Aufgabenbereich des kulturellen und des interkulturellen Lernens, die im Entwurf für Deutsch keine Rolle spielen, erlangen für den Umgang mit Literatur in den Fremdsprachenfächern eine zentrale Bedeutung. An einer genauen Aufschlüsselung der Aufgabenfelder wird erläutert, wie das Kompetenzmodell die Sicht auf Lernprozesse und Lernleistungen im fremdsprachlichen Literaturunterricht verändert. 2. Die Lesekompetenz-Diskussion und Lesekompetenzen im fremdsprachlichen Literaturunterricht Betrachtet man die verkürzten, unsystematisch aufgelisteten Kompetenzbeschreibungen der „Bildungsstandards für die erste Fremdsprache" (KMK 2004), also eines national erstellten, einflussreichen Dokuments der Bildungspolitik für den Fremdsprachenunterricht, so wird deutlich, dass in der fremdsprachlichen Literaturdidaktik ein systematisches, die Jahrgangsstufen kontinuierlich durchschreitendes Stufenmodell von Lernzielen und Kompetenzen fehlt, die von der ersten Enkulturation mit fremdsprachlichen Texten (z.B. Bilderbüchern) bis zu einer vielfältigen, projektorientierten Arbeit mit authentischen Texten verschiedener Gattungen aus unterschiedlichen Zielkulturen reicht. Ein solches Konzept ist noch nicht einmal angedacht, von vereinzelten Vorstößen einmal abgesehen (BREDELLA 2006; BURWITZ-MELZER 2005). In der germanistischen muttersprachlichen Literaturdidaktik hat man schneller auf PISA und die Kompetenz-Diskussion reagiert. Zwar ist auch dort noch kein umfassendes Kompetenzmodell für den schulischen Literaturunterricht entwickelt worden, doch geht man in der Lesekompetenzforschung heute von mehreren Fähigkeits- und Kompetenzbereichen aus, die sich auch ein fremdsprachliches Lesekompetenzmodell zunutze machen könnte. Ein kurzer Blick auf die aktuelle Auseinandersetzung mit der muttersprachlichen Lesekompetenz im Fach Deutsch mag deshalb hier als Ausgangspunkt für die weiteren Ausführungen zur fremdsprachlichen Lesekompetenz dienen. Dabei möchte ich mich ganz besonders auf das von Groeben und Hurrelmann herausgegebene Buch zur Lesekompetenz (GROEBEN/ HURRELMANN 2002) lFlLuL 35 (2006) 106 Eva Burwitz-Melzer beziehen: In einer groben Übersicht unterscheidet Hurrelmann als Komponenten ihres Lesekompetenzkonstrukts zunächst 1. kognitive Teilkompetenzen, durch die der Lesende mentale Repräsentationen des Textes gewinnt, 2. dann die motivationale und emotionale Bereitschaft, den Leseprozess zu beginnen und aufrecht zu erhalten und 3. reflexionsbezogene Fähigkeitskomponenten und Kompetenzen während der Anschlusskommunikation (vgl. HURRELMANN 2002: 277-279). Diese Kompetenzbereiche scheinen, obwohl die Lesekompetenzforschung in der Deutschdidaktik nicht mehr stringent zwischen literarischen und nicht-literarischen Texten unterscheidet, auch für ein fremdsprachliches Lesekompetenzmodell interessant. Hurrelmanns Ansichten über kognitive Teilkompetenzen sind nicht neu, denn aus der kognitionspsychologischen Leseforschung wissen wir bereits seit mehr als drei Jahrzehnten, welche Teilleistungen als zentrale Kompetenzen beim Lesen eines Textes erbracht werden. Sie fasst die hierarchischen kognitiven Prozesse für das muttersprachliche Lesen folgendermaßen zusammen: Danach sind beim Lesen Prozesse auf mindestens fünf Ebenen zu bewältigen und zu verknüpfen, die sich unterteilen lassen in eher automatisierte, hierarchieniedrige Prozesse [...] und eher strategisch-zielbezogene, hierarchiehöhere Prozesse.[...] Aus dem Zusammenspiel der Operationen auf den verschiedenen Prozessebenen und unter Einbezug seines Vorwissens gewinnt der Leser eine mentale Repräsentation des im Text beschriebenen Sachverhalts (mentales Modell bzw. Situationsmodell). Interindividuelle Unterschiede der Lesekompetenz ergeben sich vor allem aus unterschiedlichen Fähigkeiten im Bereich der hierarchiehöheren Prozesse, wobei leseunspezifische Komponenten wie Vorwissen, Kapazität des Arbeitsgedächtnisses und allgemeine Denkfähigkeiten eine wichtige Rolle spielen (HURRELMANN 2002: 277). Zwar weisen muttersprachliche und fremdsprachliche Leseprozesse viele Gemeinsamkeiten auf, für den Bereich des fremdsprachlichen Lesens von literarischen Texten müssen diese kognitiven Kompetenzen jedoch um einige Kompetenzbereiche ergänzt werden. Die Erforschung von Leseprozessen in einer Fremdsprache ist noch lange nicht abgeschlossen, es herrscht jedoch seit den siebziger und achtziger Jahren eine rege Forschungstätigkeit (OLLER 1972; ESKEY 1973; ULIJNIKEMPEN 1976; CLARKE/ SIL- BERSTEIN 1977; CLARKE 1980; ALDERS0N 1984; CARRELL 1984), vor allem auch im Bereich Deutsch als Fremdsprache (KARCHER 1988; LUTJEHARMS 1988; STIEFENHÖFER 1986; EHLERS 1992, 1998). Lesen in der Fremdsprache ist kein „defektes muttersprachliches Lesen" (EHLERS 1998: 182 f), sondern ein Prozess mit eigener Gesetzmäßigkeit und einer eigenen Dynamik, die von vielen verschiedenen Variablen bestimmt wird. Bei einer genaueren Abgrenzung spielen mehrere Theorien eine große Rolle: Von zentraler Bedeutung für die Leseforschung ist die besonders von GO0DMAN (1967) und SMITH (1971) vertretene psycholinguistische Universalitätshypothese, die davon ausgeht, dass in Mutter- und Fremdsprache die gleichen Lesestrategien angewandt werden, dass das Lesen in der Mutter- und in der Fremdsprache also identische Prozesse sind. Empirische Forschungen brachten jedoch immer wieder Ergebnisse zutage, die dieser Hypothese lFLuL 35 (2006) Interkulturelles und sprachliches Lernen mit fremdsprachlichen literarischen Texten ... I 07 zumindest teilweise widersprachen, weil die fremdsprachliche Lesefähigkeit deutlich hinter der muttersprachlichen zurückstand (EHLERS 1998: 110 f). Die sprachliche Schwellenhypothese versucht, die unterschiedlichen Leseergebnisse mit mangelnder Fremdsprachenkompetenz zu erklären, wobei man davon ausgeht, dass erfolgreiche muttersprachliche Leser auch in der Fremdsprache erfolgreich sind, falls die Sprachkompetenz über einem gewissen Schwellenniveau liegt. Nach CLARKE (1980) fällt der fremdsprachige Leser, wenn er dieses Niveau der Sprachkompetenz nicht erreicht hat, auf weniger komplexe Strategien und ein Leseverhalten zurück, das nicht seinem muttersprachlichen Leseverhalten entspricht. Erst mit der zunehmenden Verankerung mentaler Repräsentationen im Gedächtnis und nach Aufbau eines wachsenden „Sichtwortschatzes" kann das Lesetempo erhöht werden (KOPPERS 1999: 50), bis schließlich bei höherem lexikalischem Kenntnisstand und syntaktisch-semantischer Erfahrung die muttersprachlichen Lesestrategien auch beim Lesen in der Fremdsprache aktiviert werden können (KARCHER 1988: 159 f). Nach der Forschungslage, die die eben dargestellten Universalitäts- und die Schwellenhypothese einbezieht, scheint es also unabdingbar, dass für das Textverstehen im Bereich der kognitiven Kompetenzen die fremdsprachlichen Kompetenzen eine ganz besondere Rolle spielen. Die Interdependenz-Hypothese bezieht allerdings eine andere Position, indem sie behauptet, dass erfolgreiche Leser in der Muttersprache auch als Leser in einer Fremdsprache erfolgreich seien (BERNHARDT 1991; COADY 1979). Zwar zeigten auch hier empirische Arbeiten, dass gute muttersprachliche Leser beim fremdsprachlichen Lesen manchmal weniger erfolgreich im Transfer ihrer Strategien waren, doch führte man dieses Ergebnis nicht auf eine mangelnde Sprachkompetenz zurück, sondern auf andere Lesefaktoren wie das von der Schematheorie erforschte Hintergrundwissen. "Leseprobleme hängen in dieser Sicht nicht mit sprachlichen Fertigkeiten zusammen, sondern mit Defiziten im Wissen und Wissensgebrauch. Leser wissen oft nicht, wie sie ihr Wissen einbringen können, oder aber sie können ihre mitgebrachten Schemata nicht flexibel handhaben und neigen dazu, den Text zu assimilieren" (EHLERS 1998: 115). Indem sich die Lesetheorie auf die Schematheorie bezieht, berücksichtigt sie kognitionswissenschaftliche Forschungsergebnisse, die zurückreichen bis zu BARTLETTs (1932) Experimenten mit fremdkulturellen Erzählungen und Piagets Ausführungen über den Verstehensprozess als aktiven und kognitiven Prozess, bei dem neue Wissensbestände in tradierte Schemata des schon bestehenden Weltwissens integriert werden (PIAGET/ INHELDER 1998; REUSSER! REUSSER-WEYENETH 1994: 9-35). Dabei fungiert das schon vorhandene Wissen als Kontext, der es dem Leser erlaubt, die Leerstellen des Textes zu füllen, Ungesagtes oder Ambivalentes zu ergänzen und zu konkretisieren, zu komplettieren und in bestimmte Richtungen auch Hypothesen aufzustellen. Einen Text lesen und verstehen bedeutet aus schematheoretischer Perspektive also, dass die Annahmen über den Text während der Lektüre ständig verändert, den neuen Textinformationen angepasst und mit dem vorhandenen Weltwissen abgeglichen werden (vgl. WüLFF 1994: 408). Die Schematheorie kann ebenfalls erklären, wieso es Lesern besonders schwer fällt, Texte aus fremden Kulturen zu verstehen. Diese spielen in Hurrelmanns Entwurf eines Lesekompetenzmodells trotz einer regen Leseforschung keine Rolle (vgl. EHLERS 1998), lFLuL 35 (2006) 108 Eva Burwitz-Melzer sind aber für den fremdsprachlichen Literaturunterricht eine Konstante, mit der es zu rechnen gilt. Die kulturelle Differenz zwischen Text und Leser hat zahlreiche Forscher beschäftigt, die versucht haben, die unterschiedlichen Wissenssysteme, die beim fremdsprachigen Lesen notgedrungen aufeinander treffen, auf ihre gegenseitige Beeinflussung und auf mögliche Interferenzen hin zu untersuchen (CARRELL 1984; STEFFENS0N/ .T0AG- DEV 1984; STEFFENSON 1986). Während die meisten empirischen Arbeiten aber eine Erklärung für Interferenzen und Nicht-Verstehen gesucht haben, haben nur wenige berücksichtigt, dass das Aufeinandertreffen kulturell verschieden geprägter Schemata im Leser und im Text auch eineBereicherung bedeuten kann, wenn die Sinnkonstitution des Textes gelingt (vgl. EHLERS 1998: 183 t). Außerdem ist bisher nur durch einige wenige Fallstudien erforscht, welche Methoden besonders geeignet sind, im Fremdsprachenunterricht, der sich mit literarischen Texten beschäftigt, diesen kulturellen Konflikt für ein besseres Verstehen fremder Kulturen und die Förderung eines interkulturellen Bewusstseins zu nutzen (BURWITZ-MELZER 2003). Ausgehend von den schematheoretischen Annahmen über die Rezeption von literarischen Texten ist es aber ratsam, auch kulturelle und interkulturelle Kompetenzen in ein Lesekompetenzmodell einzufügen, da sie über die globale Bezeichnung „kognitive Kompetenzen" eindeutig hinausgehen und gesondert gefördert werden müssen. Gemeint sind hier sowohl deklaratives Wissen über eigene und im Text beschriebene andere Kulturprodukte und Werte wie auch die Fähigkeiten des Vergleichs und der wohlwollenden Auseinandersetzung mit diesen verschiedenen Kulturkreisen, soweit diese für das Textverständnis nötig sind. Neben den kognitiven und den interkulturellen Kompetenzen sind es auch affektive Fähigkeits- und Kompetenzgruppen, die bei der Rezeption literarischer Texte eine große Rolle spielen. Hurrelmann fasst affektive Kompetenzen zusammen mit motivationalen Fähigkeiten und ordnet sie dem Leseprozess über. So spricht sie von der „Fähigkeit, Lesebereitschaft zu mobilisieren und ,bei der Sache zu bleiben"' (HURRELMANN 2002: 278), die bei Sachtexten einen vor allem instrumentellen Charakter habe, aber auch dem Bedürfnis der „kognitiven Durchdringung" der Texte entspringen könne: "In jedem Falle ist damitzu rechnen, dass die Stärke und Ausprägung der motivationalen Komponente von Lesekompetenz mitbestimmt wird von typischen Handlungskontexten, verfügbaren sozialen Kontexten und der Qualität bereits gemachter Leseerfahrungen" (ibid.). Im Klartext: Wer mit dem Lesen gute und frühe Erfahrungen gemacht hat und es als·befriedigend erlebt hat, wird es auch weiter mit einer gewissen Hartnäckigkeit betreiben. Hier scheint es jedoch angebracht, zwischen dem Lesen in einem allgemeinen, privaten Kontext und dem schulischen Lesen von literarischen Texten genauer zu unterscheiden, um die Einflüsse von Motivationen und Emotionen auf das Lesen im schulischen Fremdsprachenunterricht besser beurteilen zu können. Insbesondere der Einfluss, der von der Handlung, den Charakteren und den Konflikten eines literarischen Textes auf die Lesenden ausgeübt wird, wird bei Hurrelmann vollkommen ausgeblendet. Zunächst gilt es, im Bereich der Motivation noch einmal auf grundlegende Unterschiede zwischen dem Lesen eines literarischen und eines Sachtextes hinzuweisen. Wenn ich mich auf das Lesen eines Sachtextes, etwa eines Kochrezepts, einlasse, so tue ich dies sicherlich, weil ich einen bestimmten Braten gut zubereiten und evtl. Gäste gut versorgen lFLulL 35 (2006) Interkulturelles und sprachliches Lernen mit fremdsprachlichen literarischen Texten ... 109 möchte; lese ich einen Zeitungsartikel über die deutsche Parteienlandschaft, kann mein Motiv sein, über dieses Thema bei der nächsten Bundestagswahl besser informiert zu sein. Lasse ich mich jedoch auf die Romane Moby Dick oder Oliver Twist ein, gehe ich ins Kino um den letzten Woody Allen Film Matchpoint anzuschauen, so hat diese Motivation nur selten ausschließlich direkte instrumentelle Gründe (wie z.B. Informationen über Charles Dickens als Autor zu sammeln), es spielen vor allem auch Gründe wie Leselust oder Spass am Dekodieren des filmischen Erzählens eine Rolle. Die eigenen Gratifikationserwartungen an den Leseprozess selbst können durchaus stark genug sein, auch den längsten Krimi oder das komplexeste Gedicht freiwillig auszusuchen und verstehen zu wollen. Häufig läuft beim Leseprozess unterschwellig eine Selbstbeobachtung des Lesenden ab, Leseunlust etwa bei langweiligen Landschaftsbeschreibungen oder langatmigen Dialogen im Film wird ausbalanciert bis lohnendere spannendere Stellen im Text gefunden werden; falls nicht die Frustration so groß wird, dass ein kompletter Lesebzw. Sehabbruch erfolgt (vgl. HURRELMANN 2002: 278). Im schulischen Fremdsprachenunterricht verhält es sich in den allermeisten Fällen anders mit Motivation und Emotion, denn nur selten kann es sich ein Leser aussuchen, welche literarischen Texte er liest; hier hat das Lesen eine andere instrumentelle Motivation: Man muss lesen, was der Rahmenplan vorgibt, was die Lehrkraft oder die eigene Arbeitsgruppe aussucht, und liest letztendlich auch, um eine gute Note zu bekommen. Ein Leseabbruch wird gewöhnlich scharf sanktioniert, wenn nicht direkt durch die Lehrkraft, dann später bei einer Evaluation in einer Klassenarbeit durch eine schlechtere Zensur. Während Motivation und Emotionalität beim privaten Leseprozess also eine unbestreitbar wichtige Rolle einnehmen, sind sie beim schulischen Lesen untergeordnete Elemente des Konzepts, da dem Leseprozess im institutionellen Zusammenhang leider häufig eine starke instrumentelle Funktion des literarischen Lesens zugrunde liegt. Die rezeptionsästhetische Lesetheorie hat dieser Instrumentalisierung etwas entgegenzusetzen, so dass auch der schulische Leseprozess von fremdsprachiger Literatur für den individuellen Lesenden an Bedeutung gewinnt (BREDELLAIBURWITZ-MELZER 2004; BREDELLA 2006). Durch den Einbezug der Emotionen der jungen Lesenden wird versucht, den Leseprozess so zu individualisieren, dass er für den einzelnen Schüler bedeutsam wird und die eigene Sinnkonstitution in das Zentrum seiner Aufmerksamkeit rückt. Zwar bleibt nach wie vor der institutionelle Kontext bestehen und häufig genug wird der Leseprozess nach Wochen auch durch Notengebung evaluiert, doch wird ihm durch eine starke Bedeutung der individuellen Rezeptionsleistung ein wichtiger Motivationsfaktor entgegengestellt. Lernende sollen, das ist die Hoffnung, sich um der Texte selbst willen mit der fremdsprachigen Literatur auseinander setzen, ihre persönliche Meinung, ihr Identifikationspotential und ihre Emotionen zum Text und seinen Charakteren in Beziehung setzen. Sie sollen lernen, dass die dargestellten Konflikte fiktionale Lebensentwürfe sind, die sich auch auf ihre Lebenswelt beziehen lassen. Darüber hinaus gewinnen die fremdkulturellen Texte an Aussagekraft, indem sie zumeist verschiedene Kulturen in ihr Blickfeld nehmen und so auch Einfluss auf die heutige hochkomplexe multikulturelle Welt der Lernenden auszuüben vermögen. Dies kann eine Stärkung der emotionalen und damit auch motivationalen Lesebereitschaft erzielen und damit auch eine Stärkung der FLuL 35 (2006) 110 Eva Burwitz-Melzer Lesekompetenz. Bei vielen Lernenden gelingt diese Re-Privatisierung des Leseprozesses, sie beginnen sich für den von der Lehrkraft ausgesuchten Text oder auch für einen Autor, für eine Kultur zu interessieren, bei anderen, das kann sicher jede Lehrkraft bestätigen, schlägt dieser Versuch aber fehl. Anders als bei Hurrelmann schlage ich deshalb vor, motivationale und affektive Kompetenzen nicht aus dem eigentlichen Leseprozess „auszulagern" oder sie überzuordnen, sondern sie als integrierte Kompetenzen des individuellen Leseprozesses anzusehen, die gesondert gefördert werden müssen. Eine weitere Komponente des Konstrukts Lesekompetenz besteht für Hurrelmann in der Reflexionsfähigkeit, die mit dem Bereich der Anschlusskommunikation verbunden wird. In der Anschlusskommunikation wird die Textreflexion in soziale Kontexte eingebunden: Zur Lesekompetenz gehört schließlich eine reflexionsbezogene Fähigkeitskomponente, die nicht nur zuständig ist für die fortlaufende Überprüfung der Bedeutungskonstruktionen beim Lesen auf eventuelle Verständnislücken, sondern auch für die retrospektive Überprüfung des Verstandenen durch Vergleich mit dem (inter)textuellen Wissen, dem Weltwissen, den emotionalen Erfahrungen, den normativen Orientierungen der Lesenden. Textreflexion kann in eine kritische Auseinandersetzung mit dem Gelesenen in Textvergleiche und -bewertungen münden, sie kann auch eher selbstreflexive Züge annehmen (Warum spricht gerade dieser Text mich besonders an? ). [...] Individuelle Bedeutungskonstruktionen und Textreflexionen werden durch Anschlusskommunikationen in soziale Kontexte zurückgebunden. [...] Lesebegleitende oder anschließende Kommunikationen sorgen durch strukturelle ,Kopplung' mit subjektiven Rezeptionen z.B. für die Reduktion der Bedeutungsoffenheit der Texte und die Vermittlung von kulturell etablierten Mustern der Bedeutungskonstitution (HURRELMANN 2002: 278~279). Die reflexionsbezogene Fähigkeitskomponente muss genau genommen in jeden Kompetenzbereich des Lesens mit einbezogen werden, denn eine individuelle Reflexion setzt ja schon bei der Lesemotivation ein und zieht sich über die Sinnkonstitution des Textes hin bis in die Anschlusskommunikation. Rezeptionstheoretische Unterrichtsentwürfe zum Lesen literarischer Texte bauen auf diesem Grundgedanken auf und planen ihn in ihren Leseprozess ein (vgl. BREDELLAIBURWITZ-MELZER 2004; DELANOY 1999; MÜLLER- HARTMANN 1999). Auch der Gedanke, die Kommunikation über Literatur zu den literarischen Lesekompetenzen hinzuzuzählen, ist nicht neu (BREDELLA 1989; DELANOY 1996; BURWITZ-MELZER 1999, 2000, 2001 ), für den fremdsprachlichen Literaturunterricht müssen an dieser Stelle jedoch noch einmal explizit sprachliche Kompetenzen mitgedacht werden, denn es soll in fast allen Jahrgangsstufen die Anschlusskommunikation über Texte im Klassenzimmer in der Fremdsprache geführt werden. Sprachliche Ausdrucksfähigkeit und Hörverstehen gehören hier ebenso dazu wie soziale Fähigkeiten etwa des Aushandelns von Bedeutungen oder des Tolerierens einer divergierenden Meinung, die am Text belegt werden kann. Ist bei den ganz jungen Lernenden zumeist nur ein Gespräch über den Textinhalt, seine Bilder, seine Charaktere in der Fremdsprache möglich, so können ältere Lernende meist etwas müheloser auch über Hypothesen zum Textsinn, über komplexere multikulturelle Konflikte und Identifikationen sprechen. Die Lesekompetenz und die Kommunikationsfertigkeiten sind an diesem Punkt ganz unmittelbar an sprachliche Kompetenzen gebunden. FLuL 35 (2006) Interkulturelles und sprachliches Lernen mit fremdsprachlichen literarischen Texten ... 111 Schließlich noch einmal zurück zum Reflexionsprozess im Unterricht: Anders als bei privaten Leseprozessen, hilft es Lernenden, wenn die durchlaufenen Lernprozesse noch einmal abschließend betrachtet und auch von ihnen selbst bewertet werden. Dieser Grundgedanke aus der Reform- und Projektpädagogik hat sich auch bei Fallstudien zum Einsatz literarischer Texte bereits bewährt (vgl. BURWITZ-MELZER 2003). Eine solche Abschlussreflexion ermöglicht es, den Leseprozess, der aus vielen Kompetenzbereichen und unterschiedlichen Aufgabenbereichen besteht, noch einmal strukturiert zu betrachten und sich der einzelnen Lernschritte in der nachträglichen Reflexion bewusst zu werden (vgl. Abbildung 1). Ähnlich wie bei der Anschlusskommunikation wird der subjektive Lernprozess in solchen Phasen in soziales Lernen zurückgebunden, wobei aber genügend Raum bleibt für individuelle Lernerfahrungen. Eine solche Reflexions- oder Metaphase ist nicht leicht durchzuführen, da sie von den lesenden Lernenden eine gewisse Distanz zum Text und zu ihrem eigenen Lern- und Leseprozess erfordert; sie stellt jedoch ein wichtiges Desiderat auf dem Weg zu selbstbewussterem Lernen dar. Eine solche Reflexion kann sehr gut nach Abschluss einer literarischen Unterrichtseinheit im Klassenzimmer durchgeführt werden, in höheren Klassen sogar in der Fremdsprache. Textarbeit: Lesephase, Anschlusskommunikation und schriftliche Arbeitsphasen .ij. .ij. .ij. .ij. .ij. Reflexionsphase Abbildung 1 Einige wichtige Tatbestände lassen sich aus den eben gemachten Ausführungen zum Konstrukt der Lesekompetenz für den Fremdsprachenunterricht mit literarischen Texten destillieren: ■ Die Lesekompetenzbereiche, die die muttersprachliche Lesedidaktik aufstellt, sind im Großen und Ganzen nicht neu. ■ Diese Lesekompetenzbereiche müssen, wenn sie für den fremdsprachlichen Literaturunterricht gelten sollen, ergänzt und etwas anders eingeteilt werden. Für den schulischen Literaturunterricht müssen die wichtigen fremdsprachlichen und interkulturellen Kompetenzen immer mitgedacht werden, die in den muttersprachlichen Lesekompetenzen keine Rolle spielen. ■ Die Institutionalisierung des literarischen Leseprozesses verlangt außerdem nach einigen Ergänzungen im Bereich Motivationen und Emotionen, die auf die besondere Lesesituation im Klassenzimmer Rücksicht nehmen. ■ Die gemeinsame Reflexion des abgeschlossenen Leseprozesses im Klassenzimmer kann in Hinblick auf eigenständigeres Lernen und auf in Zukunft verbesserte Leseprozesse gute Dienste leisten. JFLuL 35 (2006) 112 Eva Burwitz-Melzer 3. Prolegomena zu Kompetenzbeschreibungen für den fremdsprachlichen Literaturunterricht Diese Überlegungen erfordern ein Kompetenzmodell, das etwas umfangreicher ausfällt als das von Hurrelmann vorgeschlagene; es umfasst folgende Kompetenzbereiche: ■ Motivationale Kompetenzen ■ Kognitive und affektive Kompetenzen ■ Interkulturelle Kompetenzen ■ Kompetenzen der Anschlusskommunikation ■ Kompetenzen der Reflexion Dabei versteht es sich von selbst, dass die ersten vier Kompetenzbereiche als miteinander verwobene Fähigkeitsbereiche zu sehen sind, die sich im fremdsprachlichen Literaturunterricht oft überschneiden. Sollen diese Kompetenzen an Dimensionalität gewinnen, ist es nötig, sie mit den Arbeitsschritten im fremdsprachlichen Literaturunterricht zu kombinieren, so dass ein Eindruck von der Vielschichtigkeit und der Prozesshaftigkeit des Leseprozesses entsteht. Ein solches Modell könnte folgendermaßen aussehen: Kognitive und Interkulturelle Kompetenzen AUFGABENBEREICH Motivation affektive Kompetenzen der Anschluss- Reflexion Kompetenzen kommunikation la lb lc ld 2a 2b 2c 2d 3a 3b 3c 3d 4a 4b 4c 4d Sa Sb Sc Sd 6a 6b 6c 6d Bei den sechs waagerechten Reihen handelt es sich um Aufgabenbereiche des fremdsprachlichen Literaturunterrichts, die z. T. nacheinander aufgeführt werden müssen, deren Reihenfolge z,T. aber auch beliebig überlappend ist. Je nach Textsorte können einzelne Aufgabenbereiche auch bei der Textarbeit ausgespart werden. Reihe 1 befasst sich damit, eine Erwartungshaltung zu einem literarischen Text aufzubauen und diese Erwartung auch aufrecht zu erhalten, Reihe 2 damit, eine individuelle und interindividuelle Sinnkonstitution des Textes zu erreichen, Reihe 3 mit der Förderung literaturwissenschaftlicher Kompetenzen, indem rhetorische und gattungsspezifische Merkmale der Texte erarbeitet lFLuL 35 (2006) Interkulturelles und sprachliches Lernen mit fremdsprachlichen literarischen Texten ... 113 werden, Reihe 4 bezieht sich auf den kulturellen und interkulturellen Aufgabenbereich, Reihe 5 auf den Aufgabenbereich, der Recherchekompetenzen entwickelt, und Reihe 6 auf die eigene Textproduktion. Wenn man nun dieses Schema mit Beschreibungen von Kompetenzen bzw., wie hier geschehen, mit Lernzielen versieht, die in dem jeweiligen Aufgabenbereich in jeder Kompetenzgruppe erreicht werden sollen, wird deutlich, welche Leistungen von den Lernenden im fremdsprachlichen Leseprozess mit literarischen Texten erbracht werden sollen. (-. tabellarische Übersichten S. 114-116) Neu an dieser Formulierung von Kompetenzen für den Literaturunterricht ist, dass nicht länger ein Autor, eine Epoche, ein Kulturbereich, ein Land, ein Analyseverfahren oder ein Geme im Mittelpunkt der Aufinerksamkeit von Lehrkräften und Lernenden stehen. Es handelt sich bei der Formulierung der Kompetenzen letztendlich um die Operationalisierung der einzelnen Tätigkeiten der Lernenden, die kognitive und affektive Aspekte umfassen, wie sie bereits heute in der fachdidaktischen Literatur verlangt werden. Bei den meisten hier angeführten Aufgabenbereichen scheint eine Evaluation der meisten Einzelkompetenzen möglich und sinnvoll. Damit ist die Frage nach der Operationalisierung von fremdsprachlichen Leseprozessen in Einzelkompetenzen zumindest ansatzweise gelöst, denn die Kompetenzbereiche gelten grosso modo für alle Klassenstufen von 3 bis 12. Es bedarf jedoch noch der methodischen Aufschlüsselung sowie einer Differenzierung der Kompetenzen nach den jeweiligen Fremdsprachenkenntnissen der Lernenden. Für jüngere Lernende mit geringen Fremdsprachenkenntnissen und wenig interkultureller Erfahrung gelten die Kompetenzen nur mit einfachen Texten mit geringem Sprachumfang, wenig fremdkulturellen Informationen und starker Bildunterstützung. Ältere Lernende üben ähnliche Kompetenzen an komplexeren und längeren Texten. Einige Teilkompetenzen werden für jüngere Lernende nicht oder zumindest nicht immer in der Fremdsprache zu üben sein. Hier muss man sich eine genauere Aufschlüsselung in fertigkeitsangepasste methodische Aufgaben vorstellen, die bei jungen Lernenden von einfachsten Gesprächen z.B. über eine Bilderbuchseite bis zu längeren Interpretationen einer Szene aus einem Drama von Shakespeare bei fortgeschrittenen Lernenden reicht. Der Aufgabenbereich 6, das Anfertigen neuer eigener Texte oder Textteile wird sicher nicht ohne weiteres von allen Lernenden durchgeführt werden können. Für eine 4. Klasse kann dies bedeuten, dass sie ein kleines Gedicht durch minimale Variation zu einem eigenen Text umgestaltet und diesen evtl. auch illustriert, für eine 8. Hauptschulklasse, dass eine short story zu Ende geschrieben wird, für einen Leistungskurs in der 12. Klasse, dass ein Roman zu einem Hörspiel umgeschrieben werden kann. Die Kompetenzbeschreibungen zeigen deutlich, dass die unterrichtliche Arbeit mit Literatur nicht nur in propädeutisch-literaturwissenschaftlichem Analysieren und dem Verfassen und Lösen von Textaufgaben besteht (vgl. SCHRÖDER 2001; KLIPPEL 2001). Im Literaturunterricht werden in unterschiedlichen Aufgabenbereichen vielschichtige und vielseitige mündliche, schriftliche, kulturelle, interkulturelle und soziale Kompetenzen ausgebildet, die fachspezifische und -übergreifende Aspekte vereinen. Es können auch (• Fortsetzung S. 117) JFLuL 35 (2006) ~ t.,J u, t3 00 ~ Erwartungshaitung aufbauen und erhalten Sinnkonstitution 1 Motivation (la) Die Lernenden sollen sich in ihrer Erwartungshaltung auf einen literarischen Text einstellen. Sie sollen Hypothesen über seinen Inhalt, seine Charaktere und das Genre aufstellen. (2a) Die Lernenden sollen lernen, ihre Motivation aufrecht zu erhalten, obwohl der Lese- und Arbeitsprozess nicht streng linear verläuft und ein gründliebes mehrfaches Lesen erforderlich ist. Sie sollen in dieser Lesephase und in den weiteren lernen, dass sie literarische Texte mit Hilfe ihres Weltwissens und ihrer persönlichen Erfahrungen entschlüsseln können. Kognitive und affek- Interkulturelle tive Kompetenzen Kompetenzen (1 b) Bei einem ersten (lc) Sie sollen bei Kontakt mit dem Thema einem ersten sollen Hypothesen über seine Kontakt mit dem Darstellung im Text Text fremdangestellt werden, die kulturelle Elemente, Relevanz des Textes für die Werte und Konflikte Lernenden soll erkannt im Text erkennen, werden. benennen und diese mit eigenkulturellen Elementen, Werten und Konflikten vergleichen können. (2b) Sie sollen (2c) Sie sollen beim automatisierte, Leseprozess hierarchieniedrige und fremdkulturelle strategisch-zielbezogene, Elemente, Werte hierarchiehöhere und Konflikte im Leseprozesse bewältigen und Text erkennen und dabei von der Phonemdiese evtl. mit den Graphem- Ebene bis zur eigenkulturellen Ebene des Weltwissens alle Elementen, Werten Ebenen des Leseprozesses und Konflikten ihrem Sprachvermögen vergleichen können. entsprechend beherrschen, Sie sollen auch evtl. um ein globales und vorhandene detailliertes Verständnis des Stereotype im Text Inhalts, der Charaktere und erkennen können. der zentralen Konflikte zu erreichen. Dazu sind sowohl kognitive als auch affektive Kompetenzen wie Identifikation und Empathie nötig. Anschlusskommunikation (ld) Sie sollen angeregt durch Titel oder Einband des Textes etc. - Hypothesen über das Thema des Textes mündlich oder schriftlich äußern und dabei ihre Erfahrungen und ihr Weltwissen einsetzen. (2d) Sie sollen über den Text, seine Bilder, seinen Inhalt, seine Charaktere und seine zentralen Konflikte sprechen können, die Bedeutung im Klassenzimmer mündlich und schriftlich aushandeln können. Dabei ist es wichtig, dass sie lernen, die Meinung anderer anzuerkennen und zu tolerieren, wenn sie nicht der eigenen entspricht. Dazu gehört auch, dass sich die Lernenden mit Schülerinnen und Schülern aus anderen Kulturen in traditionellen oder Neuen Medien schriftlich oder mündlich über die gelesenen Texte respektvoll auseinander setzen und so einen zusätzlichen interkulturellen Lernprozess erleben. Reflexion (le) Sie sollen in der Rückschau erkennen, ob ihre Hypothesen richtig oder eher falsch waren und weshalb dies so ist. (2e) Sie sollen die Erkenntnisse aus dieser Lesephase reflektieren und mit anderen, ähnlichen Lese- und Lernprozessen in der Fremd- oder Muttersprache vergleichen können. Dazu gehört auch, die Meinung anderer anzuerkennen und zu tolerieren, wenn sie nicht der eigenen entspricht. -- .j: ,. r b; ) ~ n-" t N" "' .., ~ w V, ,: : ; 00 ~ Motivation Sinn- (3a) siehe oben konstituion 2 Interkulturelle (4a) siehe oben Kompetenzen fördern Kognitive und affektive Kompetenzen 3b) Sie sollen rhetorische und gattungsspezifische Merkmale und deren Funktionen in einem fremdsprachigen literarischen Text erkennen. Dabei sollten sie auch zwischen metaphorischem Sprachgebrauch und wörtlicher Bedeutung unterscheiden können und je nach Jahrgangsstufe die Interpretationsweise des close reading in der Fremdsprache beherrschen, indem sie Stil, Syntax, Diktion, und Metaphern beachten. (4b) Die Lernenden sollen fremdkulturelle Aspekte wie Kulturprodukte, Werte, Inhalte und Einstellungen, die im Text genannt werden, benennen können. Die Lernenden sollen verstehen lernen, wie fremdsprachige literarische Werke als kulturelle Sinnträger encodiert und decodiert werden können. Interkulturelle Kompetenzen (3c) Sie sollen spezielle fremdkulturelle Gattungs- und Strukturmerkmale des Textes erarbeiten und benennen können. (4c) Sie sollen Perspektivenwechsel und -koordination anwenden, um die fremdkulturellen Charaktere, ihre Handlungen und Konflikte zu verstehen. Anschlusskommunikation (3d) Sie sollen diese Erkenntnisse mündlich und schriftlich ausdrücken und aushandeln können. Dazu gehört es auch, die Meinung anderer anzuerkennen und zu tolerieren, auch wenn sie nicht der eigenen entspricht. (4d) Sie sollen fremdkulturelle Aspekte wie Kulturprodukte, Werte, Inhalte und Einstellungen aus dem Text mündlich und schriftlich benennen und diskutieren können. Dabei sollten sie auch erklären können, wie diese Weltentwürfe zur Kommunikation mit anderen Menschen oder zur Klärung ihrer eigenen Ideen zur eigenen oder zu fremden Kulturen beitragen können. Reflexion (3e) Sie sollen die Erkenntnisse dieser Lesephase reflektieren und mit anderen ähnlichen Lese- und Lernprozessen in der Fremd- oder Muttersprache vergleichen können. Dazu gehört auch, die Meinung anderer anzuerkennen und zu tolerieren, wenn sie nicht der eigenen entspricht. (4e) Sie sollen noch einmal über Perspektivenwechsel und -koordination während der Textarbeit nachdenken. Im Laufe dieses Bewusstwerdungsprozesses sollen sie lernen, über die eigenen Werte, evtl. Vorurteile und Einstellungen gegenüber der eigenen und fremden Kulturen nachzudenken. ~ i 1 § .: ,.. ~ 2; g. [ f; : t--, ~ ~ ; : ! ~ ~ al [ ~ f 1; ; · g. ~ ~ i - - V, ~ t; J V, 10 00 -2> Recherchekompetenzen fördern Eigene Textproduktion Motivation (5a) siehe oben (6a) Die Lernenden sollen angeregt von dem Originaltext lernen, eigene Texte zu planen. Kognitive und affektive Kompetenzen (5b) Die Lernenden sollen sich mündlich oder schriftlich Informationen beschaffen können über das literarische Werk selbst, seinen Autor, seinen Inhalt, seine Interpretation. Dabei sollen traditionelle Medien und Materialsammlungen wie Bibliotheken und auch Neue Medien in der Zielsprache benutzt werden. (6b) Sie sollen ihren fremdsprachlichen Fähigkeiten und Fertigkeiten entsprechend eigene fremdsprachige fiktionale Texte nach Modellen oder auch ohne Modelle erstellen lernen. Interkulturelle Anschluss- Kompetenzen kommunikation (5c) Sie sollen sich über (5d) Sie sollen über ihre spezielle fremdkulturelle Recherche-Ergebnisse Informationen, die im miteinanderreden können, Text gegeben werden, diese vergleichen und auch informieren können. (nach zusätzlichen Informationen) ergänzen können. (6c) Sie sollen evtl. auch (6d) Sie sollen die verfassten fremdkulturelle Inhalte Texte vorstellen und oder Struktur- und diskutieren können. Gattungsmerkmale bei der eigenen Textproduktion beachten. Reflexion (5e) siehe oben 6e) Sie sollen die Ergebnisse und Erfahrungen dieses Lernprozesses mündlieh und schriftlich ausdrücken können. - - °' r b: I ~ ft" t N' ! : ; Interkulturelles und sprachliches Lernen mit fremdsprachlichen literarischen Texten ... 117 verschiedene Textsorten nacheinander oder nebeneinander in den Unterricht eingebracht werden; der Fokus dieses Leseprozess-Ansatzes liegt allerdings im Bereich der literarischen Texte. Doch umfasst er sowohl die drei Genres Drama, Lyrik und Prosa als auch Bilderbücher und Spielfilme. Die Methoden der Anschlusskommunikation und Reflexion können variieren zwischen Unterrichtsgesprächen, schriftlichen Ausarbeitungen oder auch Diskussionen per E-Mail zwischen Lernenden verschiedener Schulen oder Länder. Was die fremdsprachlichen Fertigkeiten angeht, so zeigt das Lesekompetenzmodell deutlich, dass insbesondere in den Spalten der kognitiven und affektiven Kompetenzen, der interkulturellen Kompetenzen, bei der Anschlusskommunikation und der Reflexion zum Abschluss ein großes Repertoire von sprachlichen Fertigkeiten für die Dekodierung des Textes, das Sprechen darüber und evtl. auch die Eigenproduktion verlangt wird. Gleichzeitig sind alle aufgelisteten Aufgabenbereiche von der Sinnkonstitution über die "Förderung der Recherchekompetenzen", die ja vor allem ein Aufstöbern von zusätzlichen Informationen über fremdsprachliche Texte verlangt, bis zur eigenen Textproduktion betroffen. Deutlich wird hier auch, dass dem Kompetenzmodell ein holistisches Verständnis von Förderung der Sprachkompetenzen zugrunde liegt, gleichzeitig aber alle Teilkompetenzen wie „Chatroom-Gespräche mit ausländischen Lernenden über den literarischen Text" oder das „Erstellen eines eigenen Gedichts in der Fremdsprache" einzeln betrachtet und evaluiert werden können. Bei der abschließenden Reflexion über den Lernprozess kann neben intertextuellen und interkulturellen Kompetenzen ebenfalls. über den Lernzuwachs bei den sprachlichen Kompetenzen nachgedacht werden; falls gewünscht, können die Erkenntnisse aus dieser Phase zum Erstellen intertextueller Wörterbücher oder interkultureller Wandzeitungen genutzt werden. Interkulturelle Kompetenzen, die in bildungspolitischen Dokumenten im Literaturunterricht nur selten vorkommen und in der Regel sehr schwammig formuliert und nicht überprüfbar sind, sind in diesem Lesekompetenzmodell deutlich besser zu verorten und zumindest grob operationalisiert. Sie werden zum einen auf einer gesonderten Kompetenzspalte aufgeführt, um ihren Sonderstatus zu signalisieren. Die Lernenden sollen sich in diesem Kompetenzbereich mit dem Aufspüren fremdkultureller Elemente und Konflikte im literarischen Text befassen, sie sollen gattungsspezifische Merkmale fremdkultureller Texte, etwa eine fremde Struktur bei Märchen oder Haiku-Gedichten erkennen können, sie sollen Perspektivenwechsel und -koordination durchführen, um die fremdkulturellen Handlungen und Konflikte besser zu verstehen. Darüber hinaus wird erwartet, dass Schülerinnen und Schüler auch Informationsquellen aus anderen Kulturen benutzen können. Evtl. kann bei einer eigenen Textproduktion auch verlangt werden, fremdkulturelle Strukturelemente, Vokabeln, Werte oder Einstellungen wiederzugeben. Bei den Aufgabenbereichen ist ebenfalls eine Spalte für die Förderung der interkulturellen Kompetenzen reserviert worden: Dies bedeutet, dass die Lernenden möglichst positiv und motiviert auffremdkulturelle Inhalte in literarischen Texten reagieren sollten. Bei der Sinnkonstitution des Textes müssen kognitive und affektive Leistungen erbracht werden, wenn sie über fremde Kulturen in den literarischen Texten nachdenken. In der Anschlusskommunikation im Klassenzimmer sollte dann auch über die fremdkulturellen Werte und Konflikte gesprochen und ihr Stellenwert in den Texten ausgehandelt werden. FLuL 35 (2006) 118 Eva Burwitz-Melzer In der Reflexionsphase am Schluss der Unterrichtseinheit können die im Bereich des interkulturellen Lernens gemachten Erfahrungen noch einmal reflektiert und zu Erfahrungen in anderen Schulfächern und mit anderen Texten in Relation gesetzt werden. 4. Lesekompetenzen für die Lehreraus- und -weiterbildung Fallstudien zeigen, dass Lehrkräfte, die ausreichend sensibilisiert und fachgerecht angeleitet werden, durchaus in der Lage sind, mit interkulturell ausgerichteten Texten, mit einem breit angelegten Textbegriff und mit neuen Kommunikationsformen im fremdsprachlichen Literaturunterricht erfolgreich zu arbeiten (MÜLLER-HARTMANN 1999; BURWITZ-MELZER 2003, 2004). Aus den hohen Ansprüchen an Lehrkräfte, die literarische Texte im Fremdsprachenunterricht einsetzen wollen, ergibt sich ein deutlicher Arbeitsauftrag für die Lehrerausbildung in der ersten und zweiten Phase sowie für die Lehrerweiterbildung: Der Umgang mit Literatur im Fremdsprachenunterricht muss sorgfältig vorbereitet und während des Studiums auch eingeübt und reflektiert werden. Fachwissenschaftliche, fachdidaktische und fächerübergreifende Begründungen, die lerntheoretisch und entwicklungspsychologisch fundiert sind, müssen einer solchen Ausbildung zugrunde liegen. Eine Ausrichtung des Literaturunterrichts an Kompetenzmodellen ist heute noch ungewohnt für ein Arbeitsgebiet, das sich stets als kreativ und schöpferisch definiert hat und damit auch als schwer evaluierbar galt und gilt. In der Tat soll auf die kreativen, schöpferischen und erkenntnisorientierten Lernziele des fremdsprachlichen Literaturunterrichts ja auch nicht verzichtet werden, wenn ein Kompetenzmodell benutzt wird; vielmehr wird der Blick auf alle Lernbereiche des Fremdsprachenunterrichts gelenkt, auf die pädagogischen, die interkulturellen, die sprachlichen und die literaturdidaktischen. Sie werden durch das Kompetenzmodell nebeneinander projiziert, auf ihre Brauchbarkeit für die Lernenden geprüft und in ihrer möglichen Evaluierbarkeit abgeschätzt. Dabei versteht es sich von selbst, dass die oben angeführte Liste von Kompetenzen natürlich für die Jahrgangsstufen 3 bis 13 konsekutiv erweitert werden muss. Darüber hinaus ist es ratsam, sie durch schulformspezifische Kompetenzbeschreibungen zu ergänzen, die nach einer realistischen Einschätzung des Leistungsvermögens der jeweiligen Lernerklientel zunächst als Hypothesen formuliert werden und dann empirisch überprüft werden sollten. Eine solch verifizierte Liste von Kompetenzen benötigt auch eine methodische Kommentierung, die zu den einzelnen Lernzielbereichen eine vielfältige Auswahl erprobter Arbeitsmuster liefert, sowie eine Beispielsammlung von Texten, in der sich für die verschiedenen Leistungsstufen nach einem sehr breit angelegten Textbegriff Beispiele aus einem „offenen Kanon" finden lassen. So ausgestattet, kann das Kompetenzmodell als Grundlage der literaturdidaktischen Ausbildung von Lehrkräften helfen, den Fokus der Arbeit mit literarischen Texten im Fremdsprachenunterricht neu zu strukturieren, diese Arbeit breiter anzulegen, in sprachliche, literarische sowie in interkulturelle Aufgaben einzuteilen, die sowohl kognitive als auch kreative Aspekte umfassen. fLuL 35 (2006) Interkulturelles und sprachliches Lernen mitfremdsprachlichen literarischen Texten ... 119 Literatur ALDERSON, J. Charles (1984): "Reading in a foreign language: a reading problem or a language problem? " In: ALDERSON, J. Charles / URQUHART, A.H. (Hrsg.): Reading in a Foreign Language. London, New York: Longman, 1-27. BARTLETT, Frederick Charles (1932): Remembering. A study in Experimental and Social Psychology. Cambridge: Cambridge UP. BERNHARDT, Elizabeth B. (1991 ): Reading Development in a Second Language: Theoretical, Empirical, and Classroom Perspectives. 2. Aufl. Norwood, N.J.: Ablex Publ. 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