Fremdsprachen Lehren und Lernen
flul
0932-6936
2941-0797
Narr Verlag Tübingen
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2007
361
Gnutzmann Küster SchrammBilingualer Sachfachunterricht in Europa:
121
2007
Dieter Wolff
flul3610013
DIETER WOLFF * Bilingualer Sachfachunterricht in Europa: Versuch eines systematischen Überblicks 1 Abstract. Content and language integrated learning (CLIL) has become enormously popular in Europe during the last decade. Whereas in the middle of the 1990s CLIL was looked upon as something almost exotic, nowadays this new integrated pedagogical approach has been implemented in almost all countries of the European Union and in other European countries as well. In my contribution I will try to give an extensive overview of CLIL in the European context. My survey is based on a number of recent reports, two of which were published only a short time ago by the European Commission and the Council of Europe. The following aspects will be discussed: the countries in which CLIL has been implemented, organisational and administrative aspects of CLIL, aims, contents, methodology, assessment, teacher training and problems related to this new approach. At the end of the paper I will address the new lifelong learning programme (LLP) of the European Commission and what it has to offer to promote CLIL. 1. Vorbemerkungen Der didaktisch-methodische Ansatz, den wir in Deutschland als bilingualen Sachfachunterricht bezeichnen, ist in der pädagogischen Diskussion in Europa im letzten Jahrzehnt in den Vordergrund gerückt. Ein wesentlicher Grund hierfür liegt darin, dass die Europäische Kommission mit ihrer Forderung, jeder Bürger Europas solle neben seiner Muttersprache noch zwei weitere Sprachen sprechen, nun Ernst macht. Viele Länder der Europäischen Union setzen, um dieser Forderung gerecht zu werden, seit einiger Zeit auf integrierte Formen der Sprach- und Inhaltsvermittlung und führen sie in ihre Schulsysteme ein. Aufgrund der unterschiedlichen pädagogischen Traditionen und sprachlichen Kontexte haben sich in Europa verschiedene Modelle des bilingualen Unterrichts entwickelt, die zu vergleichen lohnenswert ist, weil aus der Kenntnis der anderen Modelle Stärken und Schwächen des eigenen Modells besonders augenfällig werden. Der Gedanke, der Europa als politisches Modell so faszinierend macht, der Gedanke von der Einheit in der Vielfalt, spiegelt sich auch in den folgenden Überlegungen, wobei allerdings zu unterstreichen ist, dass der Vergleich nicht dazu dienen darf, aus der Vielfalt Uniformität zu machen. Korrespondenzadresse: Prof. Dr. em. Dieter WOLFF, Bergische Universität Wuppertal, Fachbereich A, Gaußstr. 20, 42097 WUPPERTAL. E-mail: wolff.dieter@t-online.de Arbeitsbereiche: Lemerautonomie, Neue Technologien und Fremdsprachenunterricht, Zweitsprachliches Verstehen, Bilingualer Sachfachunterricht. 1 Dieser Beitrag klammert den bilingualen Sachfachunterricht in der Bundesrepublik Deutschland weitgehend aus; er wird in dem Beitrag von Wolfgang Zydatiß in diesem Themenheft detailliert dargestellt. ]F[,utl, 36 (2007) · 14 Dieter Wolff Im Folgenden soll der methodisch-didaktische Ansatz des bilingualen Sachfachunterrichts im europäischen Kontext vergleichend dargestellt werden, wobei keine Beschränkung auf die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union erfolgen soll, sondern auch auf Länder eingegangen wird, die dem Europarat angehören, natürlich nur, wenn sie den bilingualen Unterricht in ihr Schulsystem eingeführt haben. Ein solcher Überblick wird dadurch erleichtert, dass gerade jetzt eine Reihe von Quellen zur Verfügung stehen, die zum Teil erst 2006 veröffentlicht wurden, z.B. der Eurydice-Bericht der Europäischen Kommission (EURYDICE-BERICHT 2006), bzw. sich zum Teil noch im Druck befinden, z.B. der vom Europarat herausgegebene Länderbericht (MALJERS [et. al.] 2007). Außerdem kann auf zwei Veröffentlichungen von MARSH (Profiling European CLIL Classrooms, 2001; CLIUEMILE: The European Dimension, 2001) Bezug genommen werden, die allerdings schon etwas älter sind. Es versteht sich von selbst, dass im folgenden Bericht nicht dürre Zahlen und Prozente präsentiert werden, sondern vielmehr versucht werden soll, Tendenzen zu erläutern und wichtige Aspekte zukünftiger Entwicklungen herauszustellen. Am Ende dieser Ausführungen sollte dann deutlich geworden sein, dass die Erfahrungen, die die europäischen Länder mit integrierten Formen von Inhalts- und Sprachlernen gewonnen haben, durchaus vielversprechend sind und darauf hindeuten, dass der bilinguale Unterricht kein elitäres sondern ein sozial verträgliches Unterrichtsmodell ist, dessen flächendeckender Einführung wenig im Wege steht. 2. Zum Verständnis des Begriffs bilingualer Sachfachunterricht (CLIL/ EMILE) im europäischen Kontext Obwohl sich zur Bezeichnung des didaktischen Konzeptes, über das hier gehandelt werden soll, in Deutschland der Begriff bilingualer Sachfachunterricht durchgesetzt hat, soll im Folgenden das englische Akronym CLIL verwendet werden, das durchgängig im europäischen Kontext benutzt wird und für das es eine allgemein akzeptierte Definition gibt, die jetzt .vorgestellt werden soll. Es gibt diese Definition in verschiedenen Varianten, es soll hier die Variante vorgestellt werden, die im Eurydice-Bericht benutzt wird: "The acronym CLIL is used as a generic term to describe all types of provision in which a second language (a foreign, regional or rninority language and/ or another official state language) is used to teach certain subjects in the curriculum other than language lessons themselves" (EURYDICE 2006: 8). Diese und andere ähnliche Definitionen (z.B. MARSH/ LANGE 2000: iii) sind bewusst sehr weit gefasst, weil sie den unterschiedlichen sozialen Kontexten und vor allem den unterschiedlichen bildungspolitischen Anliegen in Europa gerecht werden wollen. Die Definition soll in den Worten von BAETENS-BEARDSMORE (1993: 12) deutlich machen "that there is no single blueprint of content and language integration that can be applied in the same way in different countries no model however successful is for export". Aber gerade eine so weit gefasste Definition bedarf. einiger Erläuterungen, die im Folgenden gegeben werden sollen. ■ Die Definition macht deutlich, dass CLIL nicht einfach als fremdsprachendidaktisches Konzept verstanden werden darf, bei dem das Sachfach nur eingebracht wird, um die lFlLllllL 36 (2007) Bilingualer Sachfachunterricht in Europa: Versuch eines systematischen Überblicks 15 fremdsprachliche Kompetenz des Lernenden zu verbessern; es ist vielmehr ein Ansatz, der Inhalt und Sprache gleichermaßen umfasst. Sprache und Inhalt werden integriert gelernt, d.h. sie werden miteinander verbunden und als etwas Ganzes behandelt. Es wird später deutlich werden, dass sich die Ansätze in den verschiedenen europäischen Ländern auch dahingehend voneinander unterscheiden, inwieweit sie die fremdsprachliche bzw. die Sachfachkomponente in den Vordergrund rücken. ■ Die Definition macht deutlich, dass CLIL sich sowohl auf das Lernen von Inhalten wie auf das Lernen von Sprache bezieht. Das heißt, dass anders als in Immersionsprogrammen des kanadischen Typs bewusst auf Sprache abgehoben wird. Sprache ist nicht nur Medium des Unterrichts sondern auch Inhalt. Das bedeutet, dass neben der Fremdsprache die Muttersprache thematisiert wird und in diesem Sinne von bilingualem Unterricht (im Verständnis der ursprünglichen deutschen Begrifflichkeit) gesprochen werden kann. Und es bedeutet, dass die Fremdsprache daneben auch unabhängig im regulären Fremdsprachenunterricht vermittelt wird. ■ Die Definition macht deutlich, dass sich CLIL nicht auf den gesamten Fächerkanon einer schulischen Ausbildung bezieht; es werden einige, nicht alle Fächer in der Fremdsprache unterrichtet, um auf diese Weise auch der Gefahr zu begegnen, dass die muttersprachliche Entwicklung des Lernenden behindert wird. Damit unterscheidet sich dieser Ansatz von dem der eher elitär ausgerichteten Auslandsschulen, der binationalen und der europäischen Schulen, aber auch von dem der kanadischen Immersionsprogramme, in denen häufig alle Sachfächer in (einer) anderen als der Muttersprache des Lernenden unterrichtet werden. ■ Die Definition schließt bewusst unterschiedliche Sprachen als Unterrichtssprachen ein; die großen westeuropäischen Verkehrssprachen (Englisch, Französisch, Spanisch, Deutsch) können ebenso gewählt werden wie osteuropäische oder asiatische Sprachen. Aber auch Minderheits- und Regionalsprachen können als Unterrichtssprachen genutzt werden, seien es nun die Sprachen von Minderheiten mit Migrationshintergrund (Arabisch, Türkisch) oder anderer historisch oder politisch bedingter Minderheiten (Baskisch, Franko-Provenzalisch, Sorbisch). Wie im Folgenden deutlich werden wird, lassen sich zwar alle bekannten europäischen CLIL-Konzepte der obigen Definition zuordnen, aber schon bei der Berücksichtigung der der Definition unterliegenden Merkmale ergeben sich Unterschiede, die zu verschiedenen Modellen führen. Diese Unterschiede aufzuzeigen, wird Aufgabe der folgenden Abschnitte sein. 3. Zum Status von CLIL in den europäischen Erziehungssystemen: Ein Überblick auf der Grundlage der Eurydice-Daten Es ist erstaunlich, wie schnell sich CLIL einen Platz im europäischen Bildungskontext erobert hat. Während es vor 1980 nur wenige Länder gab, in welchen integriertes Inhalts- und Fremdsprachenlernen bekannt war und es zwar häufig auf langen Traditionen beruhend dort meist nur in Eliteschulen stattfand, kann man heute davon ausgehen, dass lFL1.! lL 36 (2007) 16 Dieter Wo/ ff mit wenigen Ausnahmen im gesamten europäischen Kontext CLIL in einer der Definition entsprechenden Form angeboten wird. Zu den Ausnahmen gehören Dänemark, Griechenland, Litauen, Portugal und Zypern. Wie aus dem Eurydice-Bericht hervorgeht, ist in den Erziehungssystemen der übrigen Länder CLIL entweder fest oder in zeitlich begrenzten Projekten verankert, wobei zwischen drei und dreißig Prozent der Schülerinnen und Schüler der Primar- und Sekundarstufe an einem solchen Unterricht teilnehmen. Luxemburg und Malta sind die einzigen Länder, in welchen alle Schülerinnen und Schüler in wenigstens zwei Sprachen unterrichtet werden. Der Eurydice-Bericht klammert Kontexte aus, in welchen Minderheitssprachen von Migranten zur Vermittlung von Sachfachinhalten genutzt werden, obwohl sie auch als eine Form von CLIL im Sinne der Definition verstanden werden müssen. 2 Der Eurydice-Bericht gibt einen detaillierten Überblick über die Sprachen, die als CLIL-Sprachen im Unterricht verwendet werden. Neben Fremdsprachen sind es regionale Minderheitssprachen bzw. andere offizielle Sprachen des jeweiligen Landes. In den meisten Ländern, die CLIL anbieten, sind die verwendeten Sprachen sowohl Fremdals auch Minderheitssprachen. Beispiele: Frankreich, Spanien, Italien, Deutschland 3 , wo sowohl Minderheitssprachen als auch Fremdsprachen als CLIL-Sprachen genutzt werden. Nicht nur der Eurydice-Bericht sondern auch die früheren Berichte und der Länderbericht des Europarates geben einen genauen Überblick über die Sprachen, die als CLIL- Sprachen genutzt werden. Bei den Fremdsprachen steht, wie nicht anders zu erwarten ist, in allen Ländern Englisch mit weitem Abstand an der Spitze, gefolgt von Französisch und Deutsch. Einzelne Länder nennen auch Spanisch, Italienisch und Russisch. Hierzu gehören z.B. Ungarn und Tschechien. In den offiziell mehrsprachigen Ländern werden natürlich die jeweils anderen offiziellen Landessprachen verwendet, also z.B. Flämisch im französischsprachigen Teil Belgiens, Irisch in der Republik Irland, Schwedisch in Finnland. In vielen Ländern der Europäischen Union und des Europarates werden auch Minderheitssprachen als CLIL-Sprachen genutzt, z.B. Bretonisch, Katalanisch, Okzitanisch in Frankreich, Russisch in Estland, Sami in Norwegen oder Ukrainisch in Rumänien. Hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang, dass einige dieser Sprachen reinen Minderheitsstatus haben (z.B. das Friesische in den Niederlanden), andere hingegen auch Mehrheitssprachen, meist in benachbarten Ländern, sind (z.B. Slowenisch in Österreich, das in Slowenien Mehrheitssprache ist). Wie aus Befragungen bekannt ist, sind die Einstellungen der Lerner (und ihrer Eltern) im Hinblick auf solche Sprachen unterschiedlich. Minderheitssprachen, die in anderen Ländern nicht als Mehrheitssprachen gesprochen werden, werden meist nur von Sprachgruppen angenommen, die eine solche Minderheitssprache auch in der häuslichen Umgebung sprechen (also z.B. das schon genannte Sorbisch in Deutschland), Minderheitssprachen, die in einem umliegenden Land Mehrheitssprachencharakter haben, werden hingegen häufig auch von Menschen angenommen, die keine kulturelle Bindung zu dieser Sprache haben, z.B. das Deutsche in den französi- 2 Ein Beispiel hierfür ist eine Berufsschule in Wuppertal, in der Wirtschaft zum Teil in türkischer Sprache unterrichtet wird. So wird in Deutschland z.B. Sorbisch als CLIL-Sprache benutzt. IFLlLillL 36 (2007) Bilingualer Sachfachunterricht in Europa: Versuch eines systematischen Überblicks 17 sehen Ostregionen. Hervorzuheben ist die Situation in Rumänien, wo laut Eurydice- Bericht Deutsch als Fremdsprache in bilingualen Schulen verwendet wird, während es als Minderheitssprache in Schulen der deutschsprachigen Minderheit Eingang findet. Die unterschiedlichen Berichte stellen zudem ausführlich dar, in welchem Bildungsabschnitt in den verschiedenen Ländern CLIL-Angebote gemacht werden. Besonders hilfreich ist hier, dass der Eurydice-Bericht die Daten nach der International Standard Classification of Education (ISCED) kategorisiert hat, die einen wirklichen Vergleich zwischen den einzelnen Ländern ermöglicht. 4 In einer Vielzahl von Ländern wird CLIL sowohl im Primarbereich als auch im Sekundarbereich angeboten. In manchen Ländern, z.B. in Belgien, Spanien, Italien, Finnland, Großbritannien und Rumänien, gibt es schon in der Vorschule Aktivitäten in einer anderen Sprache. In einzelnen Ländern werden sowohl Regionalals auch Minderheitssprachen im Primarbereich angeboten, so z.B. in Polen und Rumänien. In den meisten Ländern ist CLIL jedoch ein Anliegen der Sekundarschulen. Während die mögliche Dauer des CLIL-Unterrichts gemeinhin bis zum Ende der Schulpflicht reicht und daher theoretisch bis zu zehn Jahren dauern könnte, ist sie in Wirklichkeit sehr variabel und geht in vielen Ländern bis zum Ende der Upper Secondary Education. 4. Zur Organisation des CLIL-Unterrichts in Europa Dieser Abschnitt bildet die Struktur des entsprechenden Kapitels im Eurydice-Bericht ab. Wie schon angedeutet, wurde CLIL bisher nur in wenigen Ländern flächendeckend eingeführt. Deshalb stellt sich die Frage, worauf die Auswahl der Schüler beruht, die am CLIL-Unterricht teilnehmen. Während sich in den Anfängen dieses Problem durch Angebot und Nachfrage gleichsam von selbst regelte, haben sich inzwischen in einer Reihe von Ländern Zugangskriterien etabliert, die von allgemeinen Wissenstests bis hin zu Sprachtests reichen. So müssen Lerner in der Tschechischen Republik, in der Slowakei und in Bulgarien, wenn sie am CLIL-Unterricht teilnehmen wollen, Eingangsprüfungen ablegen, in welchen ihr Allgemeinwissen, ihr mathematisches und ihr muttersprachliches Wissen getestet wird. In Frankreich und Rumänien wird hingegen das Wissen und Können in der Zielsprache getestet, bevor Zugang zum CLIL-Unterricht gewährt wird. In Ländern wie Ungarn, den Niederlanden und Polen beziehen sich die Testverfahren auf das Allgemeinwissen und auf die Sprachfähigkeit in der Zielsprache. Eingangstests werden in schriftlicher Form administriert, es gibt aber auch mündliche Prüfungen. In der Mehrzahl 4 ISCED trennt zwischen vier Stufen: Pre-primary education (ISCED 0): Es ist die erste organisierte Form der Erziehung und beginnt mit dem 3. Lebensjahr. Primary education (ISCED 1): Beginnt zwischen dem 5. und 7. Lebensjahr, ist verpflichtend für alle Kinderund dauert vier bis sechs Jahre. Lower secondary education (ISCED 2): Führt die Curricula der Primarstufe fort, der Unterricht ist stärker fachbezogen. Endet normalerweise mit dem Ende der Schulpflicht. Upper secondary education (ISCED 3): Beginnt am Ende der Schulpflicht meist mit 15 oder 16 Jahren. Eingangsqualifikationen sind üblich. Die Dauer liegt zwischen zwei und fünf Jahren. JFLIIILIL 36 (2007) 18 Dieter Wolf! der europäischen Ländern gibt es jedoch bisher keine Zugangsvoraussetzungen, um am CLIL-Unterricht teilzunehmen. Eine wichtige Rolle bei der Diskussion um CLIL hat von Anfang an die Frage gespielt, welche Fächer sich gut, welche sich hingegen weniger gut für den Unterricht in einer anderen Sprache eignen. Gemeinhin wird zwischen drei Fächergruppen unterschieden, nämlich geistes- und sozialwissenschaftlichen Fächern (Geschichte, Geographie, Sozialkunde), naturwissenschaftlichen Fächern (Mathematik, Physik, Biologie) und musischen Fächern (Kunst, Sport, Musik). Generell wird aus den Befragungen deutlich, dass es in nicht vielen Ländern wirkliche Festschreibungen im Hinblick aufbestimmte Fächer oder Fächergruppen gibt. Im Primarbereich sind sie fast nicht existent, d.h. jedes Fach bzw. jeder Lernbereich kann in einer anderen Sprache unterrichtet werden. Ausnahmen bilden Estland und der deutschsprachige Teil Belgiens, wo nur musische Fächer in einer Fremdsprache unterrichtet werden sollten. Im Sekundarbereich überlassen viele Länder bei der Auswahl der Sachfächer den Schulen die freie Wahl, so z.B. Spanien, Frankreich, Italien, Irland, England und Wales, Polen, Ungarn und Österreich. In anderen Ländern, z.B. in Tschechien und Rumänien ist die Auswahl eingeschränkt auf naturwissenschaftliche und sozialwissenschaftliche Fächer. In Schweden und Finnland, in den Niederlanden und Bulgarien stehen natur- und sozialwissenschaftliche, aber auch musische Fächer im Vordergrund. Bei den naturwissenschaftlichen Fächern werden gemeinhin Mathematik, Biologie, Physik, Chemie und Technik in dieser Häufigkeitsfolge genannt. Die am häufigsten genannten sozialwissenschaftlichen Fächer sind Geschichte, Geographie und Wirtschaft, die am häufigsten genannten musischen Fächer Musik und Kunst. Ein wichtiger Indikator im Hinblick darauf, inwieweit CLIL in das jeweilige Schulsystem integriert ist, ist die Zahl der Unterrichtsstunden, die für diesen Ansatz zur Verfügung steht. Exposure time ist in einer Reihe von Ländern überhaupt nicht festgelegt und hängt von der individuellen Schule ab, so z.B. in Finnland, in Italien, in Slowenien. Andere Länder machen ungefähre Vorgaben wie z.B. der französischsprachige Teil Belgiens, Tschechien, Österreich und Deutschland, wieder andere geben ganz präzise Zahlen an wie z.B. einige der autonomen Regionen Spaniens, Frankreich, die Niederlande, Polen. Malta und Luxemburg, die aufgrund ihres Sonderstatus sonst aus dieser Befragung ausgeklammert bleiben, veranschlagen 50% bzw. zwei Drittel der Unterrichtszeit für den Unterricht in der anderen Sprache. überraschend ist in diesem Zusammenhang, dass die Unterschiede zwischen den Ländern, die mehr oder weniger feste Zahlen für die Unterrichtsstunden angeben, groß sind. So legen einige der autonomen Regionen Spaniens für die ISCED-Stufe Osieben bis neun Stunden pro Woche fest, für ISCED 1 neun bis zwölf Stunden und für ISCED 2 elf Stunden. Diese Regionen, zu denen Andalusien und Madrid gehören, liegen damit an der Spitze im europäischen Vergleich. Vergleichsweise niedrig liegen die französischen Zahlen. Hier sind für ISCED 1 zwei Stunden zusätzlichen Unterrichts festgelegt, für ISCED 2 und 3 jeweils vier Stunden 5• Zu den Stufen vgl. Fußnote 3. lFlLIIJlL 36 (2007) Bilingualer Sachfachunterricht in Europa: Versuch eines systematischen Überblicks 19 5. CLIL als didaktisches Konzept im europäischen Kontext Die vorliegenden Quellen sind bedauerlicherweise nicht besonders aussagekräftig im Hinblick auf das, was man als den eigentlichen Kern des CLIL-Ansatzes bezeichnen könnte, d.h. das unterliegende methodisch-didaktische Konzept. Wenn man ganz traditionell die vier Kernfelder, die einen Unterrichtsansatz didaktisch bestimmen, als Aufgaben und Ziele, Inhalte, Methoden und Bewertung bezeichnet die Medien seien hier einmal ausgeklammert dann wird man feststellen, dass zumindest zu zwei dieser Felder - Inhalte und Methoden für CLIL nur geringe oder gar keine Informationen vorliegen. Der Eurydice-Bericht weist ganz explizit darauf hin, dass methodische Ansätze wegen mangelnder Informationen nicht berücksichtigt werden konnten. Auch die anderen Berichte bieten zur CLIL-Methodologie keinerlei Informationen. Ähnlich sieht es mit den Inhalten aus. Einzig Aufgaben und Ziele sowie Evaluation lassen sich durch die Berichte abdecken. Wir wissen also nur wenig darüber, was im europäischen CLIL-Klassenzimmer geschieht, wenn der Lehrer einmal die Tür hinter sich geschlossen hat. Im Folgenden soll aber trotzdem versucht werden, einen kleinen Einblick in das didaktisch-methodische Konzept des bilingualen Unterrichts zu geben. Im Hinblick auf die Inhalte soll dabei vor allem auf Überlegungen eingegangen werden, die von Didaktikern entwickelt wurden oder in Curricula verankert sind. Selbst wenn man nicht unbedingt davon ausgehen kann, dass diese Überlegungen im Unterricht vollständig verwirklicht werden, gewinnt man einen Einblick in das didaktisch-methodische Potenzial von CLIL. 5.1 Aufgaben und Ziele Im Hinblick auf die Aufgaben und Ziele des CLIL-Unterrichts lassen sich zunächst einmal verschiedene Ausprägungen des integrierten Inhalts- und Sprachlernens ausmachen, die vom reinen Fremdsprachenunterricht bis hin zu einem Fachunterricht reichen, in dem die Fremdsprache nicht zum Inhalt des Unterrichts gemacht sondern weitgehend als Arbeitssprache verwendet wird. Einer fremdsprachlichen steht also eine eher integrative Interpretation gegenüber. Der Ansatz wird im ersteren Fall überwiegend als eine innovative Form von Fremdsprachenunterricht verstanden, und das Potenzial, das zweifellos für das Sachfachlernen vorhanden ist, wird weniger berücksichtigt. Es wird angenommen, dass der Unterricht weitgehend die fremdsprachliche Kompetenz des Lernenden verbessert. Im letzteren Fall wird stärker auf die Integration abgehoben und nach dem Mehrwert des Unterrichtens in der Fremdsprache für das Sachfach gefragt. Im ersteren Fall ist das oberste Ziel von CLIL die Optimierung des fremdsprachlichen Lernens, im letzteren eine Verbesserung des Sachfachwissens durch Einbeziehung einer interkulturellen Komponente. Es sei allerdings angedeutet, dass beide Zielsetzungen weder in den Berichten formuliert noch in den didaktischen Konzepten detailliert beschrieben werden und deshalb in dieser Reinform nicht existieren. Zu den Ländern, die CLIL als eine besonders erfolgreiche Form des Fremdsprachenunterrichts sehen und es deshalb eingeführt haben, gehören Estland, Italien, Lettland und Litauen; ein besonders hohes Potenzial im Hinblick auf das Sachfach wird allein von lFJLl.llL 36 (2007) 20 Dieter Wolff Ungarn hervorgehoben. Hier scheint der sonst überall so stark betonte sprachliche Mehrwert keine große Rolle zu spielen. Von einigen Ländern werden neben den fremdsprachlichen vor allem sozioökonomische und soziokulturelle Zielsetzungen genannt, d.h. es wird erwartet, dass CLIL die Chancen der Schüler im späteren Berufsleben erhöht und dass sie eine interkulturelle soziale Kompetenz entwickeln, die ihnen ebenfalls später im Beruf dienlich ist. Zu diesen Ländern gehören Tschechien und die Niederlande. Rein sozioökonomische Ziele werden allerdings sehr viel häufiger genannt als soziokulturelle. Belgien, Spanien, Finnland, Schweden, Norwegen und Bulgarien gehören hierzu. Frankreich, die Slowakei, Schottland und Rumänien heben überwiegend auf soziokulturellen Zielsetzungen ab. Von einigen Ländern wird davon ausgegangen, dass CLIL die allgemeine Lernfähigkeit der Schülerinnen und Schüler fördert, dazu gehören Belgien (französischsprachiger Teil), Tschechien, die Niederlande, Österreich, Polen, Slowenien, Finnland, Großbritannien (England) und Bulgarien. Natürlich hängt die Betonung unterschiedlicher nichtsprachlicher Zielsetzungen auch mit einem Aspekt zusammen, der durch den Status der Sprachen vorgegeben ist. Wenn die CLIL-Sprache eine Minderheitssprache ist, ist die soziokulturelle Zielsetzung ausgeprägter als die sozioökonomische, die bei einer CLIL-Fremdsprache stärker in den Vordergrund rückt. Politische Motive, wie etwa das Recht auf Erziehung in der Sprache der regionalen Minderheit oder der Schutz der Minderheitssprache, spielen ebenfalls eine wichtige Rolle. 5.2 Inhaltliche Bestimmungen Der Eurydice-Bericht gibt keinerlei Informationen zu den möglichen Inhalten des Sachfachunterrichts in der Fremdsprache. Dabei wäre insbesondere die Frage, inwieweit die Inhalte des Sachfachs aufgrund der Vermittlung in der anderen Sprache Veränderungen erfahren, also reduziert, modifiziert oder simplifiziert werden, von großer Bedeutung. Ebenso interessant wäre die Beantwortung der Frage, inwieweit insbesondere in sozial- und geisteswissenschaftlichen Fächern Inhalte auf das Land oder die Länder der Zielsprache zugeschnitten werden. Wenn man den Begriff Inhalt weiter fasst, wie sich das für den bilingualen Sachfachunterricht anbietet, hätte man auch Fragen, wie die nach den sprachlichen Inhalten eines integrierten Unterrichts dieser Art, stellen müssen. Fragen, die sich auf die Inhalte des Sachfachs beziehen, wurden in dem Fragebogen, der dem Bericht von Marsh (MARSH [et al.] 2001) zugrunde liegt, gestellt; allerdings war dieser Fragebogen an Einzelschulen und nicht an die jeweiligen Länder gerichtet. Von mehr als der Hälfte der Schulen wurde ausgesagt, dass die curricular festgelegten Inhalte des Sachfachs für den CLIL-Unterricht verändert werden. Aus den Antworten geht leider nur indirekt hervor, welcher Art diese Veränderungen sind: Umstellung der Inhalte, Reduktion der Inhalte, Fokussierung der Inhalte auf das Land der Zielsprache waren Kategorien, die genannt wurden. Wenn man die bestehenden Curricula für den bilingualen Sachfachunterricht durchsieht ihre Zahl ist bisher nur sehr gering so wird man feststellen, dass man dort grundsätzlich davon ausgeht, dass das sachfachliche Endergebnis des CLIL-Unterrichts lFLllllL 36 (2007) Bilingualer Sachfachunterricht in Europa: Versuch eines systematischen Überblicks 21 vergleichbar sein muss mit dem des normalen muttersprachlichen Sachfachunterrichts, d.h. Schüler aus den bilingualen Zweigen müssen das Sachfach genauso gut beherrschen wie Schüler, die es in der Muttersprache gelernt haben. So wird es z.B. in allen Empfehlungen des Schulministeriums des Landes Nordrhein-Westfalen für den bilingualen Unterricht festgehalten. Im Lehrplan für den bilingualen Unterricht Deutsch-Sozialkunde der autonomen Region Andalusien 6 werden die Inhalte wie folgt definiert: Im bilingualen Sachfachunterricht geht es um die Entwicklung einer interkulturell geprägten Sachfachkompetenz, die sich durch besondere Teilkompetenzen charakterisiert, zu welchen u.a. eine hohe fremdsprachliche Kompetenz zählt. Die Inhalte dieses Unterrichts bestimmen sich 1. durch die Vorgaben des Sachfachs, 2. durch die funktionalen Kategorien des sprachlichen Handelns in der Fremdsprache vor dem Hintergrund des Sachfachs, 3. durch die für das Sachfachlernen und das fremdsprachliche Lernen erforderlichen Lern- und Arbeitstechniken. Im weiteren Verlauf differenziert der Lehrplan jede dieser drei Kategorien in Unterkategorien; hier sei dies am Beispiel der Inhalte des Sachfachs und der funktionalen Kategorien des sprachlichen Handelns exemplifiziert. Die aus dem Sachfach abzuleitenden Inhalte lassen sich folgendermaßen definieren: • Die im offiziellen muttersprachlichen Lehrplan festgelegten Inhalte. • Inhalte, die einen Bezug zur fremdsprachlichen Kultur haben und die Vermittlung des Sachfachs in der Fremdsprache rechtfertigen. • Inhalte, die multikulturelles Lernen ermöglichen, d.h, von globalem Interesse sind. Die für die Auswahl der sprachlichen Mittel notwendigen funktionalen Kategorien des sprachlichen Handelns sind die Folgenden: • Beschreiben mit den Teilhandlungen identifizieren, definieren, klassifizieren. • Erklären mit den Teilhandlungen exemplifizieren, elaborieren, reduzieren. • Bewerten mit den Teilhandlungen argumentieren, nachweisen. • Schlussfolgerungen ziehen mit den Teilhandlungen erschließen, erklären. Sie dienen der Arbeit mit den Inhalten des Sachfachs und sind deshalb als sprachliche Inhalte den Inhalten eines CLIL-Unterrichts zuzuordnen. 5.3 Lernorganisation (methodische Ansätze) Bei der Behandlung lernorganisatorischer Fragestellungen (d.h. der Gestaltung der Lern- und Lehrprozesse im Unterricht) und ihrer Einbeziehung in ein didaktisches Konzept des 6 Der Lehrplan, auf den hier Bezug genommen wird, ist in Zusammenarbeit zwischen der Junta de Andalucia, dem Goethe-Institut Madrid und dem Verfasser entstanden. Er wird inzwischen in modifizierter Form an den Schulen Andalusiens gebraucht. lFJLIIIL 36 (2007) 22 Dieter Woljf bilingualen Sachfachunterrichts begegnet man dem bereits erwähnten Problem, dass der Eurydice-Bericht diesen Aspekt wie alle anderen didaktischen Fragestellungen fast völlig ausgeklammert hat. Der Europaratsbericht geht allerdings auf diese zentrale Fragestellung ein, jedoch beschäftigen sich viele Länder nicht mit methodischen Aspekten. Einige Beispiele für methodische Überlegungen aus dem Europaratsbericht müssen hier genügen: Großbritannien: Auf der Grundlage der Arbeiten von Bernhard Mohan (z.B. Mohan 1986) entwickelte Coyle (z.B. 1999) das sogenannte 4C-Framework, ein theoretisches Konzept, das in vielen europäischen Ländern in der CLIL-Didaktik Grundlage didaktischer Entscheidungen bis hin zur konkreten Unterrichtsstunde geworden ist. Das 4C- Framework fokussiert auf die Beziehungen zwischen Inhalt (des Sachfachs), Kommunikation (Sprache), Kognition (Denken und Lernen) und Kultur (Selbstbewusstheit und Bewusstheit des anderen): Content - Communication - Cognition - Culture. Das 4C- Framework versucht, Lernen (Inhalt und Kognition) und Sprachlernen (Kommunikation und Kultur) zu integrieren. Österreich: Wie bei fast allen Ländern wird hier kein Modell vorgestellt, sondern es werden ganz konkrete Unterrichtsmerkmale angesprochen: Reduktion der Vermittlungsgeschwindigkeit, Unterteilung des zu lernenden Sachwissens in kleinere Einheiten, Unterstützung der Darbietung durch visuelle Stimuli, mehr Zeit für Wiederholungen, größere Toleranz gegenüber sprachlichen Fehlern, Vereinfachung der Inhalte, soweit es das Curriculum erlaubt, Nutzung der Methoden des kommunikativen Fremdsprachenunterrichts. Grundsätzlich aber werden die methodischen Zugänge des Sachfachunterrichts verwendet. Tschechien: Hier wird die Gruppenarbeit und die Nutzung von authentischen Materialien im CLIL-Unterricht betont. Außerdem werden als kognitive Werkzeuge Brainstorming, Problemlösen, Induktion, entdeckendes Lernen genannt. Ebenso wie in Ungarn werden die methodischen Ansätze des kommunikativen Unterrichts in den Vordergrund gerückt. Norwegen: Der CLIL-Unterricht wird hier als in hohem Maße lernerzentriert beschrieben mit einer starken Betonung auf Lern- und Arbeitstechniken. Estland: Hier gibt es eine methodische Checkliste für guten CLIL-Unterricht: Lernerzentriertheit, Gruppenarbeit, Herausbildung kritischen Denkens, Entwicklung einer reichen Lernumgebung, Kontakt mit Muttersprachlernern, unterschiedliche Evaluationsprozeduren sind Ecksteine dieser Checkliste. Slowakei: Hier steht die sprachliche Unterstützung der Schüler und die Herausbildung guter sprachlicher Fertigkeiten (Lesen, Schreiben, Hörverstehen, Sprechen) im Vordergrund. lFLIIIL 36 (2007) Bilingualer Sachfachunterricht in Europa: Versuch eines systematischen Überblicks 23 5.4 Bewertung und Zertifizierung Mit der Bewertung der Leistungen von Schülern, die in einem CLIL-Kontext Sachfächer lernen, haben sich Lehrer und Schulbehörden in allen Ländern, in welchen CLIL angeboten wird, intensiv beschäftigt. Der Eurydice-Bericht gibt hierzu einen umfassenden Überblick. Eine wichtige Frage ist, in welcher Sprache das erworbene Sachfachwissen arn Schuljahresende oder arn Ende der Schulzeit getestet wird. In den meisten Ländern ist es so, dass das erworbene Sachfachwissen nur in der Zielsprache getestet wird. Zu diesen Ländern gehören u.a. Spanien, Frankreich, Italien, Polen, Rumänien und Bulgarien. In einer Reihe von Ländern können Schüler wählen, in welcher Sprache sie getestet werden wollen, in der CLIL-Sprache oder in der Sprache, die die übliche Sprache im jeweiligen Erziehungssystem ist. Zu diesen Ländern gehören die Republik Irland, Österreich und Ungarn. Es gibt auch Länder, in welchen keine Bewertungsprozesse stattfinden, z.B. in Großbritannien (England), in den Niederlanden, in Belgien (französischsprachiger Teil), in Tschechien und in Slowenien. Reine Sprachprüfungen finden in keinem Land statt. Die Zertifizierung der erworbenen sachfachlichen und sprachlichen Kenntnisse ist in den einzelnen Ländern unterschiedlich geregelt. In den meisten europäischen Ländern erhalten die Schüler nach dem erfolgreichen Durchlaufen eines CLIL-Angebotes ein besonderes Zertifikat, das die zusätzliche Leistung bestätigt. In einigen Ländern wird keine formale Zertifizierung durchgeführt, die Teilnahme arn CLIL-Kurs allerdings in Jahres- oder Abschlusszeugnissen bestätigt. Eine formale Zertifizierung ist in vielen Ländern deshalb wichtig, weil aufgrund bilingualer Abkommen Schüler, die ein solches Zertifikat vorlegen können, an den Universitäten des jeweiligen Partnerlandes studieren können, ohne eine Sprachprüfung ablegen zu müssen. Von großem Interesse ist, dass eine externe Bewertung von CLIL-Schulen in vielen europäischen Ländern bisher noch kaum existiert. Anfänge finden sich z.B. in der deutschsprachigen Gemeinde in Belgien (CHOPEY-PACQUET 2007), in der Tschechischen Republik und in Lettland. In diesem Zusammenhang soll darauf verwiesen werden, dass in den Niederlanden ein engmaschiges Netz von CLIL-Schulen existiert, die von der Europees Platform betreut werden. Die Plattform hat ein CLIL-Qualitätsraster entwickelt, zu welchem Selbstbewertung, Besuche von Kollegen anderer Schulen und unabhängiger Experten gehören. Letztere bewerten die CLIL-Angebote im Hinblick auf die Standards, auf die sich alle Schulen verpflichtet haben. Wenn eine Schule allen Kriterien genügt, dann erhält sie ein offizielles Qualitätssiegel (vgl. hierzu MALJERS 2007). 6. Lehreraus- und -fortbildung Wie jede andere Form von Unterricht hängt der CLIL-Unterricht in hohem Maße von der Qualität der Lehrer ab, die ihn geben. Dabei ist die erforderliche Qualifikation des CLIL- Lehrers eine doppelte: er muss ein qualifizierter Sachfach- und ein qualifizierter Fremd- IFlLlllllL 36 (2007) 24 Dieter Woljf sprachenlehrer sein. Dazu kommt im Idealfall noch eine Qualifikation als CLIL-Lehrer, d.h. eine professionelle Ausbildung in der Didaktik und Methodik des bilingualen Sachfachunterrichts. Eine solche Ausbildung haben bisher nur die wenigsten Lehrer. Das zeigt der Eurydice-Bericht, der darauf abhebt, dass nur in wenigen europäischen Ländern, z.B. in Österreich, Deutschland und Norwegen, die doppelte Qualifikation in der Lehrerausbildung existiert und dass in den meisten anderen Ländern Lehrer an CLIL-Schulen häufig eine Sachfachqualifikation oder eine Qualifikation als Fremdsprachenlehrer haben. Vergleichsweise selten scheinen Lehrer zu sein, die als Muttersprachler einer Zielsprache und ausgebildete Sachfachlehrer im Zielsprachenland Sachfachunterricht geben. Von den Schulverwaltungen werden deshalb häufig nicht alle skizzierten Qualifikationen gefordert, wenn es um die Einstellung als CLIL-Lehrer geht. Voraussetzung ist in jedem Fall, dass der Einzustellende ein voll ausgebildeter Lehrer sein muss. Darüber hinaus werden in den meisten Ländern sprachliche Qualifikationen in den Vordergrund gerückt, obwohl meist nicht auf grundlegende Kenntnisse im Sachfach verzichtet wird. Weitere Kriterien; die bei der Einstellung eine Rolle spielen, werden in den europäischen Ländern unterschiedlich gewichtet, z.B. dass der Einzustellende ein Muttersprachler der Zielsprache ist, dass er in der Zielsprache studiert hat, dass er an einer auf CLIL bezogenen Lehrerfortbildung teilgenommen hat oder dass er einen Sprachtest in der Zielsprache bestanden hat. In einigen europäischen Ländern werden erste Versuche unternommen, um schon in der ersten Phase systematisch CLIL-Lehrer auszubilden. Die Möglichkeiten sind noch sehr eingeschränkt, z.B. Zusatzstudiengänge in den Niederlanden, in Deutschland oder Großbritannien. In solchen Studiengängen erworbene Qualifikationen sind aber noch nirgendwo Voraussetzung für eine Einstellung als CLIL-Lehrer. In Frankreich gibt es seit 2003 eine neue Qualifikation, die an den IUFM in der zweiten Phase der Lehrerausbildung erworben werden kann und zum Unterrichten in den classes europeennes qualifiziert. Lehrerfortbildungsmaßnahmen gibt es in allen Ländern, in welchen CLIL-Programme angeboten werden. Hier spielen Programme der Europäischen Union eine wichtige Rolle, auf welche ich abschließend zu sprechen kommen werde. 7. Probleme Obwohl CLIL im europäischen Kontext noch nicht flächendeckend eingeführt wurde, zeigen sich doch schon eine Reihe von Problemen, die im Eurydice-Bericht aber auch in den anderen Berichten genannt werden. Der Eurydice-Bericht nennt vier allgemeine Faktoren, die die Implementierung von CLIL unterschiedlich in den verschiedenen Ländern behindern. Es sind die Folgenden: • Restriktive Schulgesetzgebung. • Mangel an qualifizierten Lehrern. JFLIJL 36 (2007) Bilingualer Sachfachunterricht in Europa: Versuch eines systematischen Überblicks 25 • Mangel an angemessenen Unterrichtsmaterialien. • HoheKosten. Ähnliche allgemeine Probleme werden auch in den anderen Berichten genannt, wobei der Mangel an Unterrichtsmaterialien sich anscheinend zu reduzieren beginnt. W eitere Probleme, die immer wieder genannt werden und nicht typisch für einzelne Länder sind, beziehen sich auf folgende Aspekte: • Verlust muttersprachlicher Fähigkeiten durch den intensiven Unterricht in einer Fremdsprache. • Verlust sachfachlicher Kenntnisse und Fähigkeiten durch den Unterricht des Sachfachs in der Fremdsprache (WOLFF 2007). • Dominanz des Englischen, wenn man die Zielsprachen betrachtet. • Keine klare Bevorzugung bestimmter Fächer. • Notwendigkeit einer flächendeckenden Einführung im europäischen Kontext. • Bessere Integration von Kindern, die bereits mehrsprachig sind (überwiegend durch Migrationsprozesse). 8. CLIL und die Programme der Europäischen Union 8.1 CLIL als politisches Programm: Mehrsprachigkeit und die Europäische Union Die Europäische Union hat sich, seit sie existiert, mit Fragen der Mehrsprachigkeit beschäftigt. Dabei hat sie immer darauf hingewiesen, dass Mehrsprachigkeit als etwas Positives verstanden werden muss, als ein Reichtum, der diese politische Union gegenüber anderen politischen Zusammenschlüssen auszeichnet. Die Frage, wie die individuelle Mehrsprachigkeit in der EU gefördert werden kann, beherrscht seit langem die Diskussion in der Kommission und in den Mitgliedsstaaten. Schon in der Resolution des Ministerrats aus dem Jahre 1976 sowie in den Ergebnissen der europäischen Gipfeltreffen von 1983 und 1984 wird die Bedeutung eines effizienten Fremdsprachenunterrichts betont. In den neunziger Jahren wurde die Bedeutung neuer Unterrichtsmethoden stärker in den Vordergrund gerückt. Das geschah z.B. durch die Etablierung des LINGUA-Programms 1990, in dem explizit die Notwendigkeit einer Förderung innovativer Methoden im Fremdsprachenunterricht betont wurde. 8.2 Politische Unterstützung für CLIL durch die EU In der Resolution des Ministerrats von 1995 (COUNCIL RESOLUTION 1995) wird zum ,ersten Mal das CLIL-Konzept erwähnt (der Begriff CLIL existierte zu diesem Zeitpunkt noch nicht). Die Resolution bezieht sich auf die Förderung innovativer Methoden und insbesondere auf "the teaching of classes in a foreign language for disciplines other than languages, providing bilingual teaching" (COUNCIL RESOLUTION 1995: 3). Im selben Jahr erschien das Weißbuch der EU Teaching and Learning-Towards the lFLllL 36 (2007) 26 Dieter Wolff Learning Society. Auch hier wird Bezug auf CLIL genommen: "lt could even be argued that secondary school pupils should study certain subjects in the first foreign language learnt, as is the case in the European schools". In den europäischen Programmen, insbesondere der zweiten Stufe des Sokrates Programms (2000-2006), wurde CLIL bereits Raum gegeben. Das gilt vor allem für das Comenius Programm, in welchem Anträge auf finanzielle Zuwendungen für die Mobilität von Lehrern anderer Disziplinen gestellt werden können, wenn sie in einer Fremdsprache unterrichten wollen. Auch der Aktionsplan 2004-2006 der Europäischen Kommission hebt auf CLIL und sein Potenzial ab und vertritt die Auffassung, CLIL könne einen wesentlichen Beitrag zu den Sprachlernzielen der Union leisten. Schließlich erfolgte im Jahre 2005 unter der Luxemburger Präsidentschaft der eigentliche Durchbruch. Die Luxemburger Konferenz vom März 2005 The Changing European Classroom: The Potential of Plurilingual Education stellte CLIL in den Mittelpunkt. Daraus erwuchs die Forderung der Luxemburger Präsidentschaft "to ensure that pupils and students are involved in CLIL type provision at the different levels of school education". Außerdem wurde der Wunsch geäußert, Lehrer dazu zu ermutigen, sich zum CLIL- Lehrer ausbilden zu lassen. 8.3 Ein Blick in die Zukunft: CLIL und das neue LLP (Lifelong Learning Programme) Im Jahre 2005 hat die Europäische Kommission das neue Programm für lebenslanges Lernen (LLP) dem Ministerrat der Bildungs- und Erziehungsminister und dem Europaparlament vorgelegt und ist mit diesem Programm auf ungeteilte Zustimmung gestoßen. Das neue LLP basiert auf den Entscheidungen des Europäischen Rates in Barcelona im Jahre 2002, der beschlossen hatte, die europäischen Erziehungs- und Ausbildungssysteme bis zum Jahre 2010 soweit zu entwickeln, dass sie einen Spitzenplatz in der Welt erreichen. Das LLP ist so angelegt, dass Sprachen und der sprachlichen Vielfalt sehr viel größere Bedeutung als bisher zukommt. Deshalb lag es nahe, die bisherigen Sprachprogramme in das LLP zu integrieren. Der Grundgedanke besteht darin, die vier Teilprogramme des LLP (Comenius, Leonardo, Erasmus, Grundtvig) durch die Transversale „Sprachen und sprachliche Vielfalt" miteinander zu verbinden. Es sind vor allem vier zentrale Schwerpunkte, die das LLP im Hinblick auf Sprachen setzt: 1. Sprachlernen und sprachliche Vielfalt werden vom LLP als allgemeine Zielsetzung verstanden, d.h. zum ersten Mal erhält ein Programm dieser Größenordnung eine sprachliche Zielsetzung. 2. Die im Programm geförderten Zielsprachen sind nicht auf die offiziellen Sprachen der Europäischen Union und der anderen Teilnehmerländer beschränkt. Jede Zielsprache, d.h. auch Minderheitssprachen und Migrantensprachen, kann gefördert werden. 3. Das in das LLP integrierte Comenius-Programm soll der zweiten Fremdsprache eine besondere Priorität geben. lFLulL 36 (2007) Bilingualer Sachfachunterricht in Europa: Versuch eines systematischen Überblicks 27 4. Die allgemeinen Sprachlernziele sollen in den jeweiligen Programmen, d.h. Comenius, Grundtvig, Erasmus, Leonardo, erreicht werden, die sich wie bisher an bestimmte Zielgruppen wenden. Die wichtigsten Empfehlungen der hierfür zuständigen Experten im Hinblick auf das neue Comenius-Programm sind die folgenden: ■ Förderung des frühen Fremdsprachenlernens (im Kindergarten und auf der Primarstufe). ■ Förderung des "Content and Language lntegrated Learning" auf der Primarstufe und im Sekundarbereich. ■ Förderung des Sprachenlernens von Erwachsenen. ■ Förderung der Verstehenskompetenz in verschiedenen Sprachen. ■ Zertifizierung von Sprachkompetenzen. ■ Förderung einer bereichsspezifischen Lehrerausbildung. ■ Förderung des Fremdsprachenlernens für Schüler mit Behinderungen. Dabei ist natürlich zu berücksichtigen, dass das Comenius-Programm diese Schwerpunkte nur fördern kann, wenn sie existieren; die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union werden im Rahmen des Programms aber aufgefordert, diese Schwerpunkte in ihren Bildungsprogrammen zu entwickeln. Das Comenius-Programm wird als das wichtigste transversale Programm angesehen. Die folgenden Förderschwerpunkte werden in den Empfehlungen genannt: ■ Individuelle Mobilität. Jeder, der ein Comenius-Stipendium bekommt, soll in die Lage versetzt werden, sich sprachlich auf das Gastland vorzubereiten. ■ Lehrerfortbildung und Assistententätigkeit. Neben einer Reihe anderer Maßnahmen wird vorgeschlagen, dass Assistenten, die Sachfächer unterrichten, für ihre Zukunft als CLIL-Lehrer vorbereitet werden und während ihres Auslandsaufenthaltes eine CLIL-Ausbildung erhalten sollen. ■ Comenius-Schulpartnerschaften. In bilateralen wie in multilateralen Schulpartnerschaften soll die Möglichkeit einer Sprachförderung für Lehrer wie Schüler gegeben sein, selbst wenn die Partnerschaft keine sprachorientierte Partnerschaft ist. ■ Comenius multilaterale Projekte. Sprachbezogene multilaterale Projekte sollten über den engeren Sprachbereich hinausgehen und neben Sprachlehrern auch CLIL- Lehrer, Primarstufenlehrer, Schuldirektoren und Administratoren einbeziehen. Zu den sprachbezogenen Projekten sollten CLIL-Projekte gehören, in welchen es vor allem um didaktische Ansätze und Lehrerfortbildung geht. ■ Comenius-Netzwerke. Comenius-Netzwerke sollten sich auf die oben genannten thematischen Bereiche beziehen. Daneben werden genannt: Sprachunterricht über Grenzen hinweg, Austausch von Mehrsprachigkeitsprogrammen, Unterrichten von weniger gebrauchten Sprachen. Auch im Leonardo-Programm taucht CLIL als eine Förderungsmaßnahme auf. Bilaterale Partnerschaften sollen gefördert werden, wenn CLIL eingesetzt wird, um die Sprache des Projektpartners zu fördern. lFJLUIL 36 (2007) 28 Dieter Wo/ ff Insgesamt lässt sich aus den Plänen und Empfehlungen ableiten, dass CLIL als ein wichtiger methodischer Ansatz identifiziert wurde, um fremdsprachliche Kompetenzen zu fördern. In den Empfehlungen ist CLIL der einzige methodische Ansatz, der namentlich genannt wird. 9. Schluss Am Ende dieser Ausführungen soll ein Zitat aus COYLE (2007) stehen, in welchem die Vorteile von CLIL sehr überzeugend dargestellt werden: CLIL is applicable to all sectors of the population from "cradle to grave". lt embraces primary learners, secondary students, vocational and professional workers as well as adult "lifelong" learners. lt ranges from curricular timetabling of specific hours per week, to intensive modules which last a few months. lt may be spread over several years or it may be intensified into two weeks. lt may involve story telling, geography, hairdressing and aerodynarnics. lt may include project work, exarnination courses, chemistry practicals and mathematical investigations. CLIL is dynarnic, a flexible concept where topics and subjects foreign language and non-language subjects are integrated in some kind of mutually beneficial way so as to provide added value to educational outcomes for the widest possible range of leamers. 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