eJournals Fremdsprachen Lehren und Lernen 36/1

Fremdsprachen Lehren und Lernen
flul
0932-6936
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Narr Verlag Tübingen
Es handelt sich um einen Open-Access-Artikel, der unter den Bedingungen der Lizenz CC by 4.0 veröffentlicht wurde.http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/121
2007
361 Gnutzmann Küster Schramm

Die Jacobs University Bremen als Fallbeispiel für Sprachenpolitik im tertiären Bildungssektor

121
2007
Klaus Boehnke
Mandy Boehnke
flul3610171
KLAUS BOEHNKE, MANDY BOEHNKE * Die Jacobs University Bremen als Fallbeispiel für Sprachenpolitik im tertiären Bildungssektor Abstract. Informal language policies of the Jacobs University Bremen (founded as the International University Bremen, IUB, in 1999) are reviewed from an insider perspective. The authors, having served as College Masters at Jacobs University from November 2002 to January 2007, offer an account of the rules of language use at the private university, and reflect these rules vis-a-vis experience acquired in more than four years of closely living together with students. The article describes how a private institution of tertiary education, which uses only English as the language of instruction, is viable and successful. Jacobs University in Bremen has probably attracted the most diverse student body of any university in the world. While multiculturalism thrives at Jacobs University, multilingualism/ plurilingualism has not yet been accomplished and remains on the agenda for the near future. 1. International University Bremen wird Jacobs University Anfang November 2006 ging eine brandneue Universität durch die deutsche und internationale Presse, die zwar neu, aber so neu, wie es in den Presseberichten den Anschein hatte, dann doch nicht war, die Jacobs University Bremen: Die im Jahre 1999 gegründete International University Bremen hatte in der Schweizer Jacobs Foundation einen hoch motivierten Spender gefunden, der die bis dahin unter dem Rubrum IUB firmierende Einrichtung aus einer großen finanziellen Krise rettete und sozusagen als Dankeschön für eine Spende von in Europa nie da gewesener Größenordnung (200 Millionen Euro) - Namenspatron der Einrichtung wurde. Die Namensgleichheit mit der bekannten Kaffeemarke ist dabei nicht zufälliger Natur. Die vormalige Besitzerfamilie des alteingesessenen Bremer Kaffeehauses hatte beim Verkauf ihres Unternehmens an die amerikanische Firma Kraft Foods vor fast zwei Jahrzehnten wesentliche Teile des Verkaufserlöses in eine Stiftung mit Sitz in der Schweiz eingebracht. Für Linguisten interessante Anmerkung: Bereits die Namensgebung der Einrichtung umfasst ein Stück Sprachenpolitik; Codeswitching bzw. Cross-Over (vgl. TRACY 2000) gehörte zur Gründungsausstattung der Bremer Einrichtung und wurde im Rahmen der Korrespondenzadresse: Prof. Dr. Klaus BOEHNKE, Dipl.-Psych., Professor for Social Science Methodology, School of Humanities and Social Sciences, Jacobs University Bremen, Campus Ring 1, 29759 BREMEN. E-mail: K.Boehnke@jacobs-university.de Arbeitsbereiche: Jugendforschung, Politische Psychologie und Soziologie, Methoden der empirischen Sozialforschung. Mandy BOEHNKE, Dipl.-Soz., wissenschaftliche Mitarbeiterin, Institut für Empirische und Angewandte Soziologie (EMPAS), Universität Bremen, Celsiusstraße FVG, 28359 BREMEN. E-Mail: boehnke@empas.uni-bremen.de Arbeitsbereiche: Familiensoziologie, Politische Soziologie, Sozialpsychologie. lFLuL 36 (2007) 172 Klaus Boehnke, Mandy Boehnke Umbenennung erneut deutlich. Tendierten Mitglieder der Universität von Anfang an dazu, von ihrer Alma Mater auch in anderen Sprachen als dem Englischen als ['a1'ju'bi] zu sprechen, ist es nunmehr erwünscht, sich nicht etwa der ['d3e1kabz]-University zuzuordnen, sondern die deutsche Aussprache des ersten Elements des Namens der Universität zu nutzen, also von ['ja: kops]-University zu sprechen. 2. Geschichte und Struktur der Jacobs University Bremen Bevor wir die Sprachenpolitik darlegen, die die Jacobs University seit ihrer Gründung als IUB verfolgt, scheint es angesichts der Nicht-Alltäglichkeit von Privatuniversitäten in der deutschen Bildungslandschaft notwendig, einen kurzen Abriss der Geschichte der Einrichtung zu geben, da auch dieser bereits einen Einblick in die sprachenpolitische Verortung der Universität ermöglicht. Jacobs, so das voller Zukunftsoptimismus in Anklang an Harvard oder Stanford gewählte neue Namenskürzel, ist eine unabhängige, staatlich anerkannte Universität mit breitem Fächerspektrum in privater Trägerschaft. Im Jahr 2001 wurde sie als erste deutsche Privatuniversität durch den Wissenschaftsrat akkreditiert; eine Reakkreditierung steht aktuell an. Sie kooperiert eng mit der privaten texanischen Rice University und der staatlichen Universität Bremen, ohne dass mit diesen Institutionen finanzielle Verflechtungen existieren. Forschung und Lehre sind in zwei Fakultäten (Schools), die School of Engineering and Science und die School of Humanities and Social Sciences, und ein Forschungs- und (Weiter-)Bildungszentrum, das schon zu IUB-Zeiten gegründete Jacobs Center for Lifelong Leaming and Institutional Development, gegliedert; deutsche Namen haben diese Einrichtungen nicht. Angeboten werden internationale (im BA/ BSc-Bereich durch die Akkreditierungsagentur ACQUIN akkreditierte) Abschlüsse: BA/ BSc, MA/ MSc und PhD. In drei Jahren erwerben die Studierenden den Bachelor of Science oder den Bachelor of Arts. Dabei können sie derzeit unter dreizehn ingenieur- und naturwissenschaftlichen sowie sechs geistes- und sozialwissenschaftlichen Fächern wählen. Seit Herbst 2002 gibt es Graduiertenprogramme, die zu MA/ MSc- und PhD-Abschlüssen führen. Der Lehrbetrieb wurde im Herbst 2001 mit 130 Studierenden aufgenommen. Im Studienjahr 2002/ 2003 waren es dann schon 350 Immatrikulierte, darunter 20 so genannte Graduate Students. Aktuell gibt es 1008 Studierende aus 88 verschiedenen Ländern! Die Jacobs University ist damit aller Wahrscheinlichkeit nach die Universität mit der weltweit größten nationalen und sprachlichen Diversität, wenn man die Anzahl der studentischen Herkunftsländer auf die Gesamtstudierendenzahl umrechnet. Die Zahl der Professor(inn)en beträgt aktuell knapp 100 mit einem Durchschnittsalter von 42: Es wurden vor allem junge Wissenschaftler(innen) mit internationalen akademischen Biographien berufen. Wie bei anderen privaten Hochschulen werden Studiengebühren erhoben und der Zugang ist durch ein Auswahlverfahren beschränkt. Die nominellen Studiengebühren einschließlich Unterkunft und Verpflegung belaufen sich derzeit pro Studienjahr auf 18.600 € (15 .000 € Studiengebühren+ 3.600 € Unterkunft und Verpflegung). Ausgewählt lFLulL 36 (2007) Die Jacobs University Bremen als Fallbeispiel für Sprachenpolitik im tertiären Bildungssektor 173 wird ausschließlich nach Leistungskriterien (Scholastic Assessment Test - SAT; TOEFL mit Werten besser als 549! Papierversion, 212/ Computerversion, 78/ Internetversion; Referenzen; Zeugnisnoten, Motivationsessay, und wenn möglich ein persönliches oder Telefoninterview). Belege für außerschulisches Engagement gehören zu den bewerteten Leistungskriterien. Die finanzielle Lage der Bewerber spielt bei der Auswahl keine Rolle. Dem Auswahlkomitee ist die wirtschaftliche Situation der Bewerber/ innen nicht bekannt. Stipendien und Finanzierungsmodelle stellen sicher, dass Bewerber, die das Auswahlverfahren bestanden haben, auch an der Jacobs University studieren können. Das Lehr- und Forschungskonzept der Jacobs University zeichnet sich durch verschiedene Besonderheiten aus, die sie von staatlichen Universitäten und anderen privaten Hochschulen in Deutschland deutlich unterscheiden. Um frühzeitig ,disziplinäre Scheuklappen' zu vermeiden, wird von den Studierenden gefordert, auch Kurse in der jeweils anderen School zu belegen. Das heißt zum Beispiel, dass Studierende, die einen BSc in Biochemie und Zellbiologie anstreben, auch Kurse z.B. in „Theory and History of Arts and Literature" belegen müssen, Arts-and-Literature-Studierende Kurse z.B. in ,Geoastro', wie „Geosciences and Astrophysics" im Studierendenjargon bezeichnet wird. Hinzu kommen fachübergreifende Kurse, so genannte University Studies Courses (USCs), die gemeinsam von zwei Professor(inn)en unterschiedlicher Disziplinen abgehalten werden und Themen von gemeinsamem Interesse behandeln. Dabei gehört ein Kurs zum Thema „Monsters of the Sea", angeboten von einer Meeresbiologin und einem Literaturwissenschaftler, ebenso zum Programm wie ein Kurs „The Sun, the Moon, and the Planets", den ein Astrophysiker und ein Literaturwissenschaftler anbieten. Das zahlenmäßig günstige Verhältnis von Professorinnen zu Studierenden, derzeit 11: 1, sorgt für intensiven Kontakt und Austausch sowie eine sehr gute Betreuung der Studierenden. Alle Studierenden der Bachelor-Studiengänge leben auf dem Campus in so genannten Colleges. Die Colleges sind studentische Wohn- und Arbeitszentren. Sie sind so eingerichtet, dass jeweils zwei möblierte Einzelzimmer zusammen mit einem Badezimmer ausgestattet sind. In jedem College lebt auch ein/ e Professor/ in mit seiner/ ihrer Familie; das Paar nimmt als College Master eine Mentorenrolle für die Studierenden wahr. Die Verfasser haben diese Funktion von 2002 bis 2007 im von der Stiftung Mercator finanzierten Mercator College innegehabt. Zusätzlich gibt es aus den Reihen der Doktoranden oder des nicht-wissenschaftlichen Personals so genannte Resident Associates, die ebenfalls im College wohnen und Studierenden mit Rat und Tat zur Seite stehen. Der ca. 30 Hektar große Jacobs-Campus befindet sich im nördlichen Teil Bremens. Auf dem parkähnlichen Gelände finden sich sämtliche Gebäude für Lehre, Forschung und Verwaltung, die Colleges, ein Gästehaus sowie zahlreiche Möglichkeiten zur Freizeitgestaltung, die auch Sporthallen und -plätze umfassen. Zusammengefasst sind die Bildungsintentionen der Jacobs University im so genannten Mission Statement: • Excellence with regard to the selection of students and faculty; • Intemationality with respect to the student body and faculty, international degrees, instruction in English; · lFlLd 36 (2007) 174 Klaus Boehnke, Mandy Boehnke • Transdisciplinarity of teaching and research; • Interactivity through a networked environment, unity of living and learning on campus; • Independence of organization and management, and maximum flexibility. 3. Sprachen an der Jacobs University Bremen Soweit die Beschreibung der Gegebenheiten der Jacobs University. Vieles daran mag man wie die Verfasser als beispielhaft erleben. Eine Reihe von Details bedarf jedoch einer nachhaltigen Qualifizierung, wenn man die Sprachenpolitik einer außergewöhnlichen tertiären deutschen Bildungseinrichtung diskutieren will, die ihr Lehrprogramm (fast) ausschließlich in englischer Sprache absolviert. Zunächst einmal gilt es die außergewöhnlich hohe Diversität der Studierendenschaft detaillierter zu beschreiben. Zwar hat die Jacobs University tatsächlich Studierende aus 88 Ländern, doch bedeutet dies keineswegs, dass bei 1008 Immatrikulierten 11 bis 12 Studierende aus jedem Land kommen. Es sind 29 Länder mit einem Studierenden vertreten, 47 weitere Länder stellen 2 bis 10 Studierende. Nur aus 12 Ländern kommen mehr als 1 % der Immatrikulierten der Jacobs University, nämlich Deutschland (24,7 %), Bulgarien (13,3 %), Rumänien (12,7 %), Indien (5,3 %), USA (5,2 %), Nepal (3,5 %), Mazedonien (1,9 %), Litauen (1,8 %), Polen (1,8 %), Türkei (1,7 %), Äthiopien (1,6 %) und Ghana (1,4 %). Die Auflistung macht deutlich, dass es in der Studierendenschaft der Jacobs University drei Länder mit einer größeren Anzahl von Studierenden gibt, Deutschland, Bulgarien und Rumänien, drei Länder mit einem mittelgroßen Anteil (Indien, USA und Nepal) und letztlich 82 Länder mit jeweils einer geringen Anzahl von Studierenden. Tabelle 1 dokumentiert die Verteilung der Muttersprachen der an der Jacobs University Immatrikulierten, wobei hierzu keine Immatrikulationsdaten vorliegen, sondern nur auf der Basis der studentischen Staatsangehörigkeit geschätzt werden kann; aufgeführt sind nur Sprachen, die mindestens von 5 % der Immatrikulierten (als Erstsprache) gesprochen werden. Land der Staatsangehörigkeit mit Amtssprache ... Sprache Deutsch Bulgarisch Rumänisch Englisch Hindi/ Urdu Russisch Prozent der Immatri- 24,7% 13,3 % 12,6% 9,0% 6,1 % 5,9% kulierten der JU Tab. 1: Sprachengruppen unter Studierenden der Jacobs University (JU) Die Tabelle macht zunächst deutlich, dass einige große Weltsprachen (vgl. KATZNER 2002) an der Jacobs University nicht in nennenswertem Umfang vertreten sind, nämlich Arabisch (ist Amtsprache der Herkunftsländer von 2,2 % der Studierenden), Spanisch (2, 1 %), Chinesisch (1,5 %), Französisch (1 %), Bengalisch (0,4 %) oder Portugiesisch (0,3 %). lFLl.lL 36 (2007) Die Jacobs University Bremen als Fallbeispiel für Sprachenpolitik im tertiären Bildungssektor 175 Bevor nachfolgend auf die Auswirkungen der berichteten Sprachenverteilung auf das Lernen und Leben an der Jacobs University eingegangen wird, sei noch auf zwei weitere wichtige Aspekte der Sprachenverteilung an der Universität verwiesen: Der Lehrkörper der Jacobs University besteht zu über 80 % aus Deutschen, wobei diese fast ausnahmslos sehr viel Auslandserfahrung mitbringen. Im Bereich des Verwaltungspersonals sind die Prozentsätze ähnlich. 4. Sprache im akademischen Alltag der Jacobs University Bremen Was bedeutet nun die Verteilung der von Studierenden gesprochenen Sprachen für den Alltag an der Jacobs University? Studentisches Leben hat zwei Standbeine, das akademische und das soziale Leben. Dadurch, dass alle Studierenden der BA/ BSc-Studiengänge verpflichtet sind, in einem der drei Colleges auf dem Campus zu wohnen, sind beide Lebensbereiche eng miteinander verzahnt. Das akademische Kursprogramm umfasst im Durchschnitt 7 Kurse in jedem der sechs Semester des BA/ BSc-Programms; im MA/ MSc- Studium sind es weniger, im PhD-Studium reduziert sich die Kursarbeit meist auf einen Kurs pro Semester. Alle Kurse werden in englischer Sprache abgehalten (auf Fremdsprachenkurse gehen wir an späterer Stelle ein). Aus der Perspektive der Lehrenden (und durchaus auch der Kommiliton(inn)en) stellt sich die Frage, ob alle Studierenden der Jacobs University hinreichend gute Englischkenntnisse haben, die sie in die Lage versetzen, anspruchvollen Kursinhalten in einer Nicht-Muttersprache zu folgen (nur knapp 10% kommen, wie berichtet, aus einem Land, in dem Englisch entweder Mutter- (z.B. USA) oder weit verbreitete Amtssprache (wie in den anglophonen Ländern Afrikas oder in Indien) ist. Die Frage ist aus einer Innenperspektive nicht eindeutig zu beantworten, weil ,zu folgen' in Kursen unterschiedlicher akademischer Disziplinen etwas Unterschiedliches bedeutet. Wenn es darum geht, ob Studierende Instruktionen in experimentell ausgerichteten naturwissenschaftlichen Kursen verstehen, ist eine andere Fertigkeit gefragt, als wenn es in einem historischen Seminar über Machiavellismus in italienischen Republiken der Renaissance zu diskutieren gilt. Allgemein lässt sich festhalten, dass basierend auf einem relativ hohen Zulassungsschwellenwert im TOEFL (s.o.) alle Studierenden der Jacobs University in der Lage sind, passiv einem typischen Kursangebot der Universität zu folgen. Ganz anders sieht es aus, wenn akademisches Schreiben gefragt ist. Sowohl an der School of Engineering and Science als auch an der School of Humanities and Social Sciences gibt es eine größere Anzahl von Studierenden, deren Fertigkeiten in diesem Bereich nicht wirklich ausreichen. Dieser Befund entstammt allerdings keiner systematischen empirischen Erhebung, sondern anekdotischen Berichten im Kolleg(inn)enkreis. Der weit verbreitete Eindruck hat dazu geführt, regelmäßig sowohl Academic-Writing- Workshops (vgl. McCORMACKISLAGHT 2005; PALLANT 2004) im Rahmen eines Career- Development-Programms anzubieten, das die Universität für alle Studierenden bereithält, als auch einen optionalen kreditierten Kurs „English for Academic Purposes" für Studierende des dritten BA/ BSc-Jahrgangs und für Graduate Students. Aktuell wird darüber JFLIIL 36 (2007) 176 Klaus Boehnke, Mandy Boehnke nachgedacht, Academic-Writing-Kurse zu Wahlpflichtkursen zu machen, das heißt, diese als optionales Modul in einem Pflichtkurs anzubieten (auszuwählen etwa aus drei verwandten Career-Development-Angeboten, neben dem Academic Writing z.B. Presentation Skills, CV Writing). Akademische Sprachfertigkeit ist keine Einbahnstraße. Aus Studierendenperspektive stellt sich regelmäßig die Frage, ob Lehrende, die zu 80% Deutsche und zu weiteren ca. 10 % Muttersprachler anderer Sprachen als des Englischen sind, hinreichend in der Lage sind, qualitativ hochstehende Seminare und Vorlesungen in englischer Sprache abzuhalten. In diesem Kontext ist die Frage nicht die der Schreibfertigkeiten (die sind bei allen Mitgliedern des Lehrkörpers der Jacobs University gegeben, da englische Publikationstätigkeit ein informelles Einstellungskriterium ist). Anders die Sprechfertigkeit. Eine nennenswerte Anzahl der Lehrenden an der Jacobs Universität spricht englisch mit einem deutschen oder anderssprachigen Akzent. Studierende monieren dies ggf. ,gnadenlos'. In den allsemestrigen obligatorischen Lehrevaluationen können sie Schulnoten für die englische Sprachkompetenz der Lehrenden vergeben, wobei sie durchaus auch mit der Note „mangelhaft" nicht sparen. In Fällen, wo besonders schlechte Noten der Sprachkompetenz mit schlechten Noten für die didaktischen Fähigkeiten zusammenfallen, kommt es dann durchaus gelegentlich zu Nicht-Verlängerungen von Arbeitsverträgen von Lehrenden. Studierende haben an der Jacobs University einen großen Einfluss auf die Leistungsbewertung von Lehrenden und damit wenn auch sehr indirektauch auf deren Vertragsgestaltung. Die Frage der Sprachfertigkeit spielt im akademischen Leben der Jacobs University allerdings noch eine weitere Rolle. Wenn man einmal von den deutschen Studierenden absieht etwa einem Viertel der Immatrikulierten spricht nur eine Minderheit der Studentinnen und Studenten Deutsch. Eine nennenswerte Anzahl von Studierenden informelle Schätzungen der Verfasser auf der Basis langjähriger täglicher Begegnungen mit Studierenden liegen bei etwa 50% hat nicht einmal rudimentäre Deutsch-Kenntnisse, wenn sie das Studium an der Jacobs University aufnehmen. Ein Problem entsteht, wenn dies bei der Mehrheit dieser Studierenden auch bei Überreichung des BA! BSc- Abschlusszeugnisses noch so ist. Man könnte der Meinung sein, dass mangelnde Deutschkenntnisse an einer Universität, die ihr fachliches Kursprogramm ausschließlich in englischer Sprache anbietet, eigentlich kein Problem sind, doch können die Konsequenzen gravierend sein. Planen Studierende nach dem BA! BSc-Studium an der Jacobs University ein Graduierten-Studium in einem in englischer Sprache angebotenen Programm, so halten sich die akademischen Probleme mangelnder Deutschkenntnisse in der Tat in Grenzen; anders aber, wenn Studierende direkt auf den Arbeitsmarkt oder in ein deutschsprachiges Studienprogramm streben. Dann verbauen sie sich unabhängig von ihrer fachlichen Qualifikation durch nicht in nennenswertem Umfang vorhandene Deutschkenntnisse den Eintritt in den deutschen Arbeits- und Bildungsmarkt. Auch in anderen Ländern gehen Unternehmen regelmäßig davon aus, dass Menschen, die in Deutschland studiert haben, die deutsche Sprache beherrschen und sind verwundert, wenn dies nicht der Fall ist. Die von mangelnden Deutschkenntnissen herrührenden Probleme beginnen jedoch nicht erst bei Bewerbungen nach dem Studium. Bereits wenn es um lFLlllL 36 (2007) Die Jacobs University Bremen als Fallbeispiel für Sprachenpolitik im tertiären Bildungssektor 177 Bewerbungen um Plätze für die in allen Studiengängen obligatorischen außeruniversitären Praktika geht, wird vielen Studierenden deutlich, dass ohne Deutschkenntnisse ein Praktikumsplatz in Deutschland schwer zu bekommen ist. Was tut nun die Jacobs University für die Verbesserung der Deutschkenntnisse ihrer Studierenden? Aktuell wohl noch zu wenig! Die Tatsache, dass sämtliche Curricula der Universität keinerlei obligatorische Deutschkurse umfassen, ist zunächst einer Geburtskomplikation der damaligen IUB geschuldet. Im Gründungsprozess wurde entschieden, die BA/ BSc-Curricula der IUB auf eine dreijährige Studiendauer auszulegen, gleichzeitig aber auch den amerikanischen Erwartungen an ein vierjähriges Bachelorprogramm gerecht zu werden. De facto bedeutet dies, dass ein dreijähriges Programm eigentlich Kurse für vier Jahre umfasst. Da zudem auch der Transdisziplinaritätsanspruch (s.o.) erfüllt werden sollte, waren die Curricula aller Programme von Beginn an übervoll: 40 Kurse waren und sind in drei Jahren zu absolvieren. Wo ein amerikanischer Undergraduate pro Semester 5 Kurse besucht, sind es bei Studierenden der Jacobs University eher 7. Für Deutschkurse war in ersten Versionen der Curricula kein Platz. Schon bald nach Aufnahme des Studienbetriebs gab es dann aber studentische Nachfrage nach solchen Kursen. Studierenden anzuraten, diese in ihrer Freizeit zu besuchen, war keine Lösung, da 8. und 9. Kurse für die Studierenden nicht mehr zu verkraften waren. Also entschied man sich, nicht-deutschen Studierenden die Option zu eröffnen, statt zweier im Curriculum vorgesehener interdisziplinärer wahlfreier Kurse "Horne School Electives") Deutschkurse zu besuchen und diese auch kreditiert zu bekommen; für einen typischen bestandenen - BA/ BSc-Kurs werden Jacobs-Studierenden 4,5 Punkte nach dem System des European Credit Transfer Systems (ECTS) gutgeschrieben. EinDeutsch-Kurs erbringt 3 ECTS-Punkte, so dass man mit drei Sprachkursen zwei reguläre Kurse ersetzen kann. Diese Lösung führte dann allerdings zu Protesten der deutschen Studierenden, die natürlich keine Deutschkurse besuchen wollten und durften, aber auch nach einer Möglichkeit verlangten, ihre Sprachkenntnisse ,for credit' zu erweitern. Diesem Wunsch wurde dadurch Rechnung getragen, dass deutsche Studierende ebenfalls zwei Horne School Electives durch Sprachkurse ersetzen können: Spanisch-, Französisch- und (ab Herbst 2007) Chinesisch-Kurse werden seitdem regelmäßig angeboten, für eine Teilnahme an diesen sind aber hinreichende Deutschkenntnisse nachzuweisen. Muttersprachler anderer Sprachen als des Deutschen müssen die Berechtigung zu einer Teilnahme an nichtdeutschen Sprachkursen durch einen so genannten Placement-Test im Deutschen belegen. Deutschkurse sind wohlgemerkt weiterhin nicht obligatorisch. Nicht-deutsche Studierende, denen Deutschkurse zu mühselig sind, können sich durch den in einer Campusuniversität wie der Jacobs University auf ein Minimum beschränkbaren - ,deutschen' Alltag problemlos drei Jahre ,durchwurschteln'. Nachdem auch die von der Universität im Jahre 2006 berufene Perspektivkommission der damaligen IUB nachdrücklich auf das Problem der mangelnden Deutschkenntnisse der Studierenden und der zum Teil daraus folgenden geringen Einbindung der Universität in das lokale und regionale Umfeld hingewiesen hat, wird eine Umstellung des Sprachausbildungskonzepts angestrebt. Dies ist allerdings kein einfaches Unterfangen; wie oben aufgezeigt, ist eine einfache Erhöhung der Zahl der Pflichtkurse ausgeschlossen. Auch JFL1.1][, 36 (2007) 178 Klaus Boehnke, Mandy Boehnke eine Verpflichtung nicht-deutscher Studierender zur Teilnahme an Deutschkursen, die auf den ersten Blick als eine Option erscheint, könnte zu Verwerfungen führen. Einerseits könnte die Teilnahmepflicht an Deutschkursen solche Studierende vom Studium an der Jacobs University abhalten, die man eigentlich in besonderem Maße für ein Studium gewinnen möchte, nämlich die hervorragenden Bewerber(innen), die sich zwischen einem Studium in den USA und an der Jacobs University entscheiden können, aber nicht speziell an Deutschland und der deutschen Sprache interessiert sind. Dies dürfte vor allem auf Studierende der natur- und ingenieurwissenschaftlichen Studiengänge zutreffen, die durchaus auch einen Studienplatz an einer renommierten amerikanischen Universität erhalten können, bisher aber aus verschiedenen Gründen für die Jacobs University optiert haben. Viele besonders talentierte osteuropäische Bewerber(innen) haben bisher so entschieden, weil ein Studium an der Jacobs University zum einen näher an der Heimat angesiedelt ist, zum anderen durch Finanzierungshilfen auch preiswerter war. Obligatorische Deutschkurse könnten unter Umständen dazu beitragen, dass die Waage in Zukunft anders ausschlägt und die angesprochenen Bewerber(innen) sich dann doch lieber für eine amerikanische Universität entscheiden, die ihren Karriereambitionen vielleicht sowieso mehr entspricht. Das gerade skizzierte Problem ist jedoch nicht das einzige. Einige weitere kommen hinzu. Wenn man nämlich für nicht-deutsche Studierende Deutschkurse verpflichtend macht, was verlangt man dann den deutschen Studierenden ab? Eine Ungleichbehandlung käme aus Gründen der Corporate Culture der Jacobs University nicht in Frage: Prozedurale Gerechtigkeit ist an der Universität ein überaus hohes Gut, wird von Studierenden immer wieder eingefordert und von einem paritätisch mit Studierenden und Lehrenden besetzten Academic Integrity Committee überwacht. Sollen also auch deutsche Studierende Sprachkurse besuchen müssen und wenn ja, welche? Jedoch selbst wenn sich dieses Problem lösen ließe, so wäre damit noch nicht unbedingt das Problem geringer Deutschkenntnisse einer großen Anzahl Studierender gelöst. Falls man ohne nennenswerte Deutschkenntnisse sein Studium aufnimmt, wird man durch die Teilnahme an den derzeit gegen Credit vorgesehenen drei Deutschkursen nicht wirklich die deutsche Sprache erlernen, wenn man sich ausschließlich in einer englischsprachigen Lebenswelt wie der Campusuniversität Jacobs aufhält. Dieses Teils der Deutsch-Problematik der Jacobs University Herr zu werden, ist nur möglich, wenn man an mindestens einer von zwei Stellschrauben dreht, nämlich der Residenzpflicht für BA/ BSc-Studierende oder der Transdisziplinariät des Lehrprogramms. Gerade diese beiden Dinge sind aber Eckpfeiler des Gesamtkonzeptes der Jacobs University (s.o. Mission Statement). Auf die Residenzpflicht und deren Konsequenzen gehen wir weiter unten ein. Das Transdisziplinaritätskonzept der BA/ BSc-Ausbildung haben wir oben kurz skizziert. Alle Undergraduates der Jacobs University müssen neben den Pflichtkursen des gewählten Studienfaches transdisziplinäre Kurse besuchen, die so genannten USCs; sie müssen Kurse der jeweils anderen Fakultät besuchen und sich Kurse aus dem Programm benachbarter Fächer aussuchen (Horne School Electives). Will man nunda die Kursgesamtzahl aus den oben dargelegten Gründen nicht erhöht werden kann nicht-deutsche Studierende zu mehr als drei Deutschkursen verpflichten, kann man dies nur unter Streichung inter- und translFLllL 36 (2007) Die Jacobs University Bremen als Fallbeispiel für Sprachenpolitik im tertiären Bildungssektor 179 disziplinärer Kurse tun, die aber, wie gesagt, ein Markenzeichen der Universität sind. Wie diesem Dilemma zu entkommen ist, ist nicht ohne weiteres ersichtlich. Verschiedene Lösungen wurden diskutiert, keine davon ist ohne Fehl; Vorschläge für eine umfassende Reform werden seit geraumer Zeit erarbeitet, ohne dass bisher Entscheidungen getroffen wurden. 5. Sprache im sozialen Alltag der Jacobs University Bremen Wie bereits angesprochen, leben die Studierenden der BA/ BSc-Studiengänge der Jacobs University in derzeit drei so genannten Colleges auf dem Campus der Universität. Für Undergraduates besteht zurzeit Residenzpflicht; Ausnahmen von dieser werden nur in wenigen begründeten Einzelfällen gewährt. Wenn neue Studienjahrgänge an der Jacobs University eintreffen, werden sie von den Administratoren der Colleges, den so genannten College-Office-Managern, auf die drei Colleges verteilt, und zwar so, dass in einer Suite (so nennen die Studierenden das Ensemble von zwei möblierten Einzelzimmern mit einem gemeinsamen Bad) zwei Studierende gleichen Geschlechts und unterschiedlicher Nationalität untergebracht werden. Hintergrund dieser Regelung ist der Wunsch der Universität, kulturübergreifende Kontakte zwischen Studierenden (wohn-)strukturell zu fördern, ohne Studierenden, die aus ihren Heimatländern hinsichtlich des Umgangs der Geschlechter miteinander anderes gewohnt sind, die eher libertären deutschen Gewohnheiten zu oktroyieren. Ab dem zweiten Studienjahr nehmen die Studierenden die Raumvergabe in Eigenregie vor. Die Restriktion unterschiedlicher Nationalitäten bei gleichem Geschlecht gilt dann nicht mehr. Die Sprachnutzung im sozialen Leben der Studierenden ist wesentlich komplexer als es im akademischen Leben der Fall ist und hat sich zudem über die Jahre seit Aufnahme des Studienbetriebs im Herbst 2001 deutlich gewandelt. Konnte man beim so genannten Pionierjahrgang noch beobachten, dass auch im sozialen Miteinander der Studierenden praktisch immer Englisch gesprochen wurde, so hat sich dieses in den letzten Jahren mit dem Anwachsen der Anzahl der Immatrikulierten deutlich geändert. Zwar gab es auch in der ersten Studierendenkohorte bereits die drei großen Nationalitätengruppen (Deutsche, Bulgaren, Rumänen), doch kannten sich damals noch alle Studierenden untereinander gut, hervorgerufen auch durch die vielen gemeinsamen Aktivitäten des ,Institution-Building'. Man sprach aus dem Wunsch und der Notwendigkeit nach permanenter kulturübergreifender Kommunikation heraus Englisch. Nach Ende der ersten Phase des Institution- Building mit der Graduierung des ersten BA/ BSc-Jahrgangs im Jahr 2004 bei gleichzeitigem Anstieg der Zahl der Studierenden trat ein deutlicher Wandel ein. Die Gruppe der deutschen, bulgarischen und rumänischen Studierenden war jetzt (und ist dies auch heute) so groß wie im ersten Jahr die gesamte Studierendenschaft. Bulgarische Studierende können problemlos ihren nicht-akademischen Alltag ausschließlich mit Bulgaren verbringen. Nationalitätentische in den drei Mensen der Jacobs University sind nicht unüblich. An diesen Nationalitätentischen wird dann selbstverständlich auch nicht Englisch gesprochen, sondern die Heimatsprache. Die Option, Nationalitätentische (an JF[,1JL 36 (2007) 180 Klaus Boehnke, Mandy Boehnke einen Mensatisch passen je nach Tischarrangement mindestens 8 Personen) zu organisieren, haben allerdings nur Studierende aus den Ländern, die hinreichend viele Immatrikulierte an der Jacobs University haben. Wenn man bedenkt, dass die Studierenden in etwa gleicher Zahl in den drei Colleges leben und typischerweise (obwohl dies freigestellt ist) auch die Mensa des eigenen Colleges besuchen, wird schnell deutlich, dass eigentlich nur Deutsche, Bulgaren, Rumänen und, gelegentlich vielleicht noch Inder, Amerikaner und Nepali über eine Zahl von Jacobs-Studierenden verfügen, die Nationalitätentische ermöglichen. Formen Amerikaner Nationalitätentische, fällt dies zudem nicht weiter auf, da ihre Muttersprache ja die Verkehrssprache der Jacobs University ist; auch Inder sprechen nicht selten untereinander Englisch. Die Bildung von sprachlich homogenen sozialen Gruppen wird durchaus kontrovers diskutiert. Die College Master (zu denen die Verfasser einige Jahre selbst gehörten) versuchen unter Berufung auf das Wittgenstein'sche Credo, "Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt" (Tractatus 5.6, WITTGENSTEIN 2003) der latenten sprachlichen Ghettobildung entgegenzuwirken. Ihre Maßnahmen greifen jedoch am Mittagstisch kaum. Einfluss können die College Master eher auf die Nationalitätenverteilung in Teileinheiten ihrer Colleges nehmen. Wie ausgeführt, regeln die Studierenden ab dem zweiten Studienjahr die Vergabe von Räumen in den Colleges autonom. In diese Autonomie versuchen die College Master in langen, oft zermürbenden Diskussionen einzugreifen, indem sie etwa verlangen, Höchstprozentsätze für einzelne Nationalitäten auf einem Wohnflur (etwa 12 ,Suiten') festzulegen. Es gibt in den Colleges der Jacobs University derzeit durchaus noch Flure, auf denen nahezu ausschließlich Bulgaren oder ganz überwiegend Deutsche wohnen. Auf diesen Fluren ist dann das Englische keineswegs mehr Verkehrssprache, es wird vielmehr nahezu ausschließlich bulgarisch (oder auch deutsch) gesprochen. Aus der Perspektive des Multi- oder Plurilingualismus könnte man zunächst meinen, dass eine Diversifizierung des monolingual englisch angelegten Campuslebens das gegenseitige Verständnis und die sprachlichen Fertigkeiten Einzelner wechselseitig erhöhen könnten (vgl. auch BURCK 2005). Eine solche Position verkennt jedoch, dass dies einen gleichberechtigten Austausch verschiedensprachiger Kommunikationsbeiträge voraussetzt. Diese Voraussetzung ist jedoch nicht gegeben. Nur mazedonische Studierende haben ein Verständnis des Bulgarischen, das es ihnen ermöglicht, problemlos an bulgarischer Alltagskommunikation teilzunehmen; Muttersprachler anderer slawischer Sprachen werden regelmäßig das Kommunikationsthema identifizieren können, darüber hinaus aber werden Mitglieder der Jacobs Community durch die weitverbreitete öffentliche Nutzung des Bulgarischen ausgegrenzt, eine Tendenz, die dem multikulturellen Anspruch der Jacobs University zuwider läuft. Kontroverse Debatten kennzeichnen die Situation: Brauchen die Studierenden die Kommunikation in der Muttersprache als Zuflucht in einer Situation hoher akademischer Leistungserwartung? Macht die öffentliche Nutzung vielfältiger Muttersprachen allen Studierenden die Notwendigkeit deutlich, mehrere Sprachen zu sprechen? Oder ist es vielmehr so, dass die öffentliche Nutzung der eigenen Muttersprache, sofern diese nicht Englisch ist, die Studierendenschaft im Sinne dessen, was die englischsprachige SoziolFLILIIL 36 (2007) Die Jacobs University Bremen als Fallbeispiel für Sprachenpolitik im tertiären Bildungssektor 181 linguistik einen Bipart-Lingualism nennt {vgl. LATORRE 2006), spaltet? Kein Zufall vielleicht, dass die verbreitete Nutzung der Muttersprache im universitätsöffentlichen Bereich von Bulgaren forciert wird, ist doch der Balkan eine Region Europas, die oft als Region par excellence für Bipart-Lingualismus gesehen wird, eine Region in der Muttersprachler verschiedener Sprachen auf recht engem Raum zusammenleben (Slawen, Rumänen, Griechen, Türken und Albaner), die sich aber wechselseitig nicht verstehen. Aus einer sprachwissenschaftlichen Perspektive ließe sich aber auch behaupten, die Jacobs University sei ein Hort der Diglossie oder gar ein Paradebeispiel für Ambilingualismus. Unter Diglossie wird bekanntlich die Nutzung der Verkehrssprache hier des Englischen in allen auch nur annähernd formalen Kontexten verstanden, während die Muttersprache in informellen Kontexten zum Einsatz kommt. In Deutschland charakterisiert Diglossie etwa die Realität der Sorben in der Lausitz oder der Bewohner der niederdeutschen Regionen, in denen ,Platt' gesprochen wird (HANSEN-JAAX 1995). Ambilingualismus meint eine Form des Bilingualismus, bei dem eine von zwei oder mehreren Sprachen relativ zufällig als Kommunikationssprache genutzt wird (NEUNER 1995); der Stadtstaat Singapur wird gelegentlich als Region des Ambilingualismus genannt. Die Sprachpraxis der bulgarischen Studierenden der Jacobs University als dem multikulturellen Anspruch der Jacobs University widersprechend zu beschreiben, ist jedoch insofern ,unfair' (eine der Lieblingschiffren von Studierenden der Jacobs University) als dies den Bipart-Lingualismus der deutschen Mitglieder der Universität ausblenden würde. Wie berichtet, sind etwa 80% des Lehrkörpers und der Verwaltung der Jacobs University Muttersprachler des Deutschen und sie sprechen diese Sprache durchaus auch nicht nur in Situationen, in denen ausschließlich Deutsche zugegen sind. Die normative Bewertung dieses bipart-lingualen Verhaltens ist jedoch eine gänzlich andere als die Bewertung der Nutzung des Bulgarischen im Jacobs-Alltag. Unterschwellig herrscht die Meinung, man tue den Studierenden mit der öffentlichen Nutzung des Deutschen etwas Gutes. Die an der Jacobs University Immatrikulierten würden schließlich an einer deutschen Universität studieren und gut daran tun, sich während ihres Studiums hinreichend Deutschkenntnisse anzueignen. Dabei würde man ihnen mit der Nutzung des Deutschen im nicht-akademischen Alltag helfen. Jenseits der Frage, ob sich hierin nicht die Hybris der Sprachmacht manifestiert, wäre zu fragen, ob es nicht wirklich Vorteile für viele Studierende hätte, wenn sie mehr als bisher der Pflicht zur Nutzung des Deutschen ausgesetzt wären. Die Optionen einer Antwort auf diese Frage werden in den Leitungsgremien der Universität und unter den College Mastern derzeit ausführlich diskutiert. Selbstverständlich kann man dogmatisch dem impliziten und expliziten Ethos des Gründungskonsenses folgen und weiterhin der Nutzung des Englischen als einziger Verkehrssprache das Wort reden, doch wird eine solche Position nicht den Bedürfnissen einer großen Zahl von Studierenden gerecht, die auf den deutschen Arbeitsmarkt strebt, ohne derzeit hinreichende Deutschkenntnisse zu haben. Man kann aber auch den Gründungskonsens verlassen und die Residenzpflicht der Undergraduates zumindest partiell aufheben. Die Aufhebung der Residenzpflicht hätte zur Folge, dass mehr Studierende als aktuell in das deutsche Umfeld der Jacobs University abwandern würden. Fraglich ist aber, ob die Studierenden abwandern würden, die in besonderem Maße der verbesserten DeutschlFJLl! lL 36 (2007) 182 Klaus Boehnke, Mandy Boehnke kenntnisse bedürfen. Bei einer Aufhebung der Residenzpflicht stünde zu befürchten, dass vor allem deutsche Studierende ,off campus' ziehen würden. Grund für diese Annahme ist die Tatsache, dass Studierende der Universität bei entsprechender Bedürftigkeit neben einem Finanzierungsangebot für die Studiengebühren auch ein solches Angebot für Unterkunft und Verpflegung ,on campus' erhalten können. Ein gleichartiges Angebot ist jedoch aktuell aus rechtlichen Gründen für Unterkunft und Verpflegung ,off campus' nicht ohne weiteres möglich. Diese Situation hat zur Folge, dass eine einfache Aufhebung der Residenzpflicht nur Studierenden mit hinreichenden finanziellen Mitteln den Umzug in eine eigene Unterkunft in der Umgebung der Jacobs University ermöglichen würde. Studierende, denen keine eigenen finanziellen Mittel zur Verfügung stehen, können sich einen solchen Umzug nicht leisten. Gerade dies sind aber gleichzeitig oft die Studierenden, deren Deutschkenntnisse am geringsten sind und die in diesem Sinne am meisten von einem Leben in einem deutschen Umfeld profitieren würden. Abhilfe könnte hier nur ein radikaler Wechsel in der Residenzpolitik der Universität schaffen: Studierende müssten verpflichtet werden, eine gewisse Mindestzeit ,off campus' zu leben. Erst eine solche Regel würde dazu führen, dass sich auch die deutsch-ferneren Studierenden ein Stück ,total immersion' zumuten müssten. Möglich wäre eine solche Regel allerdings nur-will man nicht die so genannte ,Need-Blind-Admission' aufgeben (also die Zulassungspolitik, die besagt, dass jeder und jede, die/ der nach Leistungskriterien zugelassen werden kann, ein finanzielles Paketangebot bekommt, das auch die Aufnahme des Studiums an der Jacobs University ermöglicht) -, wenn die angebotenen Finanzierungsangebote auch eine Unterstützung für eine Unterbringung ,off campus' umfassen würden. Dies zu ermöglichen, bedürfte komplizierter rechtlicher Konstruktionen, da die Jacobs University nicht als Kreditgeber auftreten darf, sondern nur Studiengebühren stunden kann. Auch wenn die diesbezüglichen Hindernisse ausgeräumt werden könnten (wovon wohl auszugehen ist), bestünde allerdings noch das ökonomische Dilemma, dass die Universität zwar einerseits ein Interesse daran hat, deutsch-fernen Studierenden durch eine Pflicht zu einer temporären Residenz ,off campus' zu besseren Startchancen (auch) auf dem deutschen Arbeitsmarkt zu verhelfen, dass sie aber gleichzeitig aus betriebswirtschaftlichen Erwägungen darauf achten muss, dass die vorgehaltenen Unterbringungsmöglichkeiten in den Colleges nicht leer stehen: Die Universitätsleitung und mit ihr die College Master sind um eine Entscheidung im Kontext der Residenzpflicht nicht zu beneiden. Sprachenpolitisch steht und fällt aber eine aktive Unterstützung der Verbesserung der deutschen Sprachkompetenz der deutsch-fernen Studierenden der Jacobs University mit einer Modifikation der geltenden Residenzbestimmungen, unterstützt vermutlich von einer Verpflichtung zu Deutschkursen für Studierende ohne hinreichende Deutschkenntnisse. 6. Fazit Aus einer sprachenpolitischen Perspektive kann man der Jacobs University seit ihrer Gründung als International University Bremen (IUB) im Jahre 1999 und der Aufnahme lFLIIL 36 (2007) Die Jacobs University Bremen als Fallbeispiel für Sprachenpolitik im tertiären Bildungssektor 183 des Lehrbetriebs im Jahre 2001 sowohl erstaunliche Erfolge als auch einige merkliche Defizite attestieren. Es ist der IUB gelungen, sozusagen aus dem Stand ein akademisches Programm vollständig in englischer Sprache an einer in Deutschland gelegenen Institution zu etablieren und damit hochqualifizierte internationale Studierende nach Deutschland zu ,locken'. Es ist ihr auch gelungen, eine Einrichtung tertiärer Bildung aufzubauen, deren Multikulturalität und sprachliche Diversität weltweit ihres Gleichen sucht. Nicht vollständig gelungen ist es der Jacobs University hingegen, neben der Multikulturalität auch eine Multi- oder Plurilingualität zu etablieren. Zugegeben war dies auch nicht Ziel der Gründer(innen), hätte es im Rückblick aber vielleicht sein sollen. Ohne dass dies hier ausführlich diskutiert werden kann, ließe sich die These vertreten, dass gelungene Multikulturalität ohne Plurilingualismus nicht wirklich möglich ist. Die Omnipräsenz des Englischen als alltäglicher Verkehrssprache auf dem Jacobs-Campus nimmt ab. Ein gewisser Bipart-Lingualismus nimmt zu; muttersprachliche Ghettos internationaler Studierender entstehen. Die Deutschkenntnisse nicht-deutscher Studierender lassen sehr zu wünschen übrig. Veränderungsoptionen wurden aufgezeigt. Sie liegen in der Verpflichtung zu Deutschkursen für Nicht-Muttersprachler des Deutschen; sie liegen wohl nicht, so jedenfalls die Position der Verfasser, in einer Aufgabe des Prinzips eines ausschließlich englischen Lehrangebots. Sie liegen hingegen in einer Veränderung der Residenzrichtlinien für Studierende: ,Pflichtwohnen' außerhalb des Campus der Jacobs University für eine Mindestzeit scheint angezeigt. Dies kann allerdings kein Allheilmittel sein, da auch außerhalb des Campus monolinguale WGs an der Tagesordnung sein dürften. Nicht angepackt wurde bisher ein heißes Eisen der Sprachenpolitik, nämlich die Frage, ob es jenseits der informellen Quote für deutsche Studierende der zweite Präsident der Universität, Joachim Treusch, spricht von einer Obergrenze von 25 % deutschen Studierenden auch Quoten für nicht-deutsche Studierende geben soll. An einer der so genannten ,Feeder Schools' der Jacobs University, also der Schulen, die regelmäßig eine größere Zahl von Studierenden an die Jacobs University ,entsenden', herrschtjedenfalls nach Wahrnehmung der Studierenden, die diese Schule(n) besucht haben eine Sprachenpolitik der Nationalitätenquote: United World Colleges (UWC), ein philanthropisch multikulturell ausgerichteter Verbund von Privatschulen in der ganzen Welt, verfolgen eine Sprachenpolitik, bei der Studierende jenseits der Nationalität des Landes, in der die Schule angesiedelt ist, jeweils nur ,solitär' zugelassen werden. Idealiter wird pro nichteinheimischer Nationalität nur ein Schüler/ eine Schülerin zugelassen, niemals jedenfalls ein Prozentsatz pro nicht-einheimischer - Nationalität, der nennenswerte Größenordnungen erreicht. Dies hat zur Folge, dass ausschließlich die Sprache des Landes, in der die Schule gelegen ist, und das Englische als Unterrichts- und Verkehrssprache an den UWCs Bedeutung erlangen und Bipart-Lingualismus in der für die Jacobs University beschriebenen Form sich gar nicht aufbauen kann. Für die Jacobs University würde eine ähnliche Sprachenpolitik bedeuten, dass man pro nicht-deutscher Nationalität z.B. nur noch 5 % Studierende zulassen würde. De facto hieße dies, einen Bulgaren- und Rumänen-Numerus-Clausus einzuführen. Andere Nationalitäten wären nicht betroffen, da unter den empirisch nächst größten NationalitälFLllllL 36 (2007) 184 Klaus Boehnke, Mandy Boehnke ten der Jacobs University keine weiteren sind, die mehr als 5 % der Studierendenschaft ausmachen und Englisch nicht als Mutter- oder dominante Verkehrssprache haben. Eine solche sprachenbzw. nationalitätenbezogene Kontingentierung von Studienplätzen ist bisher an der Jacobs University ein Tabu, das sich nach dem Beitritt Rumäniens und Bulgariens zur EU eher noch verstärkt hat. Rational begründet wird die Ablehnung eines Nationalitäten-NCs vor allem mit der Befürchtung, dass dann eine Vielzahl hoch qualifizierter Studierender nicht zugelassen werden könnte, während will man weiterhin die gleiche Anzahl von Studienplätzen pro Jabrgang (ca. 250) füllen - Studierende aufgenommen werden müssten, deren Leistungstand niedriger ist als der von qua Nationalitäten-Ne abgelehnten bulgarischen und rumänischen Bewerberinnen. Es konkurrieren also zwei Ziele der Jacobs University miteinander, das Exzellenzpostulat und das Internationali- . täts-/ Multikulturalitätspostulat. Aus Sicht der Verfasser ist es allerdings hohe Zeit vor dem Hintergrund stetig zunehmender Bewerbungszahlen nunmehr einen wichtigen Schritt in der Sprachenpolitik zu machen und Nationalitätenobergrenzen zu fixieren. Erst hierdurch lässt sich vermutlich die Entwicklung eines plurilingualen Klimas auf dem Jacobs-Campus vorantreiben. Zwar wird die hegemoniale Bedeutung des Englischen durch einen solchen Schritt zunächst noch erhöht, aber die sprachübergreifende Kommunikation wird gestärkt und auch die Notwendigkeit Deutsch zu lernen kann besser legitimiert werden. Literatur BURCK, Charlotte (2005): Multilingual Living. Explorations of Language and Subjectivity. Hampshire: Palgrave Macmillan. HANSEN-JAAX, Dörte (1995): Transfer bei Diglossie. Hamburg: Kovac. KATZNER, Kenneth (2002): The Languages ofthe World. London: Routledge. LATORRE, Javier (2006): A Study an Speaker-adaptable Multilingual Synthesis. 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