eJournals Fremdsprachen Lehren und Lernen 37/1

Fremdsprachen Lehren und Lernen
flul
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2941-0797
Narr Verlag Tübingen
Es handelt sich um einen Open-Access-Artikel, der unter den Bedingungen der Lizenz CC by 4.0 veröffentlicht wurde.http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/121
2008
371 Gnutzmann Küster Schramm

Zur Einführung in den Themenschwerpunkt

121
2008
Eva Burwitz-Melzer
flul3710003
* Mein herzlicher Dank gilt Ann K IMES -L INK für die hervorragende redaktionelle Betreuung der Manuskripte und die Zusammenstellung der druckfertigen Fassung. Herrn Axel P OHL und Herrn Lars R OTHENPIELER danke ich herzlich für sorgfältiges Korrekturlesen. Den Herausgebern dieses Bandes möchte ich ausdrücklich und sehr herzlich dafür danken, dass sie diesen FLuL-Band zur Literaturdidaktik ermöglicht haben. 37 (2008) E VA B URWITZ -M ELZER Zur Einführung in den Themenschwerpunkt * Die Zeitschrift Fremdsprachen Lehren und Lernen erscheint in diesem Jahr im 37. Jahrgang und ist erstmalig dem Themenschwerpunkt „Literaturdidaktik“ gewidmet. Diese Tatsache ist umso erfreulicher, als die fremdsprachliche Literaturdidaktik seit der Einflussnahme des Gemeinsamen europäischen Referenzrahmens (E UROPARAT 2001) und der Nationalen Bildungsstandards (KMK 2003 und 2004) Gefahr läuft, als traditioneller Bildungsinhalt an den Rand der Inhalte des Fremdsprachenunterrichts gedrängt zu werden. Die wichtige Rolle beim Erlernen einer Sprache und der damit verbundenen Kulturen, die seit Mitte der neunziger Jahre durch das interkulturelle Lernen und eine verstärkte Hinwendung zur task-orientation neuen Rückenwind erhalten hatte, ist durch die bildungspolitisch forcierte Standardorientierung, eine vorschnelle Abkehr von Bildungszielen im schulischen Unterricht und eine ungebührlich enge Auslegung des Begriffs der Lesekompetenz angegriffen und geschmälert worden. Dabei war und ist in der hochschulpolitischen Landschaft in den letzten zwanzig Jahren eine erstaunlich rege Tätigkeit im Bereich der Literaturdidaktik zu verzeichnen gewesen. Dort hat die Literaturdidaktik sich in einschlägigen Publikationen, auf fremdsprachendidaktischen Kongressen und Konferenzen sehr wohl mit regelmäßigen und zentralen Beiträgen bemerkbar gemacht, die sie als eine feste Größe innerhalb der Fachdidaktiken etabliert haben. Die Themen, die in den Publikationen und Vorträgen behandelt werden, umkreisen seit 1990 vor allem drei Aspekte, die auch das Erkenntnisinteresse der Fachdidaktiken insgesamt spiegeln: Die Frage nach der Auseinandersetzung mit dem „Anderen“, die Kanonfrage, die nicht nur Inhalte und Materialien, sondern auch Zugänge und Methoden zu den Inhalten umfasst, und die Frage der empirischen Erforschung des Umgangs mit fremdsprachiger Literatur. Die Frage nach dem „Anderen“ und wie man lernen kann, es zu verstehen, ist eine der Grundfragen des Fremdsprachenunterrichts, die die Literaturdidaktik seit der Gründung des Graduiertenkollegs „Didaktik des Fremdverstehens“ näher zu ergründen versucht hat. Das Problem, andere Kulturen und die Mitglieder anderer Kulturen zu verstehen, stellt sich jedem Leser und jeder Leserin fremdsprachiger Literatur im unterrichtlichen Kontext auf besondere Weise und auf mehreren Ebenen: Beim Gebrauch der anderen Sprache und bei der Rezeption der zielsprachigen kulturellen Produkte oder medialen Repräsentationen Lehren und Lernen mit literarischen Texten 4 Eva Burwitz-Melzer 37 (2008) und beim direkten Kontakt mit Vertretern der Zielkulturen. Wenn Lehrkräfte Filme oder literarische Texte der Zielkulturen als unterrichtliche Gegenstände einsetzen, so fordern sie ihre Lernenden damit nicht nur auf, fremde Abenteuer und Schicksale aus einer anderen Welt mitzuerleben, sondern natürlich auch, diese zu diskutieren und näher zu analysieren. Verstehen ist immer auch ein schöpferischer Akt, weil wir erfahren und erahnen müssen, was der andere intendiert und meint […]. Daher ist das Verstehen in der Fremdsprache geeignet, zur Reflexion und zu kritischen Einsichten in Verstehensprozesse zu führen. Man kann sich zwar in der Kommunikation mit Fremden als Person nicht heraushalten, doch ist die Bereitschaft, zu sich selbst in Distanz zu treten, die Äußerungen des Fremden in einem anderen Bezugssystem zu deuten und damit das eigene zu relativieren, notwendigerweise größer. Insofern kommt es darauf an, dass eine Didaktik des Fremdverstehens die pädagogischen Möglichkeiten, die im Überwinden der sprachlichen und kulturellen Barrieren liegen, entfaltet. (B REDELLA / C HRIST 1995: 13) Heute stimmen die meisten Fremdsprachendidaktiker darin überein, dass unser Bemühen, „Andere“ verstehen zu wollen und dies im Fremdsprachenunterricht mit Hilfe medialer Repräsentationen aus der Zielkultur zu versuchen, ein lohnendes, wenn auch schwieriges Ziel des Fremdsprachenunterrichts darstellt, das aber in einer von Migration geprägten Welt einen unverzichtbaren Teil der Sozialisation ausmacht (B URWITZ -M ELZER 2003). Mit der Frage nach der Öffnung kultureller Grenzen ist in der Literaturdidaktik auch schon seit langem die Frage nach der Öffnung des literarischen Kanons verbunden. Bereits vor zwanzig Jahren stellten erste wissenschaftliche Arbeiten fest, dass zwar authentische literarische Texte im Fremdsprachenunterricht der gymnasialen Oberstufe gelesen werden, dass dies aber meist dieselben Texte sind, die die Lehrkräfte selbst bereits während ihrer Ausbildung gelesen hatten. Es war von einem „heimlichen“ Kanon die Rede, der nur Umwälzung, aber keine neueren Texte im Unterricht berücksichtige. Die Öffnung englischsprachiger und französischsprachiger Literaturen, die auch ehemalige Kolonialstaaten und andere Kulturen, in denen Englisch und Französisch gesprochen wird, berücksichtigte, setzt sich inzwischen aber auch im Fremdsprachenunterricht an Schule und Hochschule durch. Es ist erfreulich zu sehen, wie immer neue Bereiche des kulturellen Lebens heute ganz selbstverständlich für die Literaturdidaktik herangezogen und methodisch erschlossen werden. Mit der empirischen Erforschung des Literaturunterrichts hat man sich jahrzehntelang sehr schwer getan. Inzwischen liegen erste, auch umfangreichere Fallstudien vor, die belegen, dass durch eine aufwändige Methoden- und Datentriangulation Lernende und Lehrkräfte durchaus im Unterricht erforscht werden können, dass man sie aber auch selbst zur Sprache kommen lassen kann. Dies ermöglicht neue Aufschlüsse über Rezeptions- und Vermittlungsprozesse, die in Zukunft das unterrichtliche Geschehen maßgeblich beeinflussen können. Aber die empirische Forschung fremdsprachlicher Bildungsprozesse hat noch einen weiteren Grund; er liegt in der mangelnden Würdigung des Umgangs mit Literatur im Fremdsprachenunterricht durch die Bildungspolitik. Die Literaturdidaktik kann ihre große Bedeutung nur nachweisen, indem sie auch empirische Belege für ihre Funktion in Schule und Hochschule erbringt: Zur Einführung in den Themenschwerpunkt 5 37 (2008) Die Fremdsprachendidaktik ist aufgerufen, die Leistungsfähigkeit und die Grenzen des real existierenden Fremdsprachenunterrichts empirisch aufzuzeigen: für die sprachlich-kommunikativen Kompetenzen, für das interkulturelle Lernen und die ästhetisch-imaginative Zielkategorie dieser Fächer. Wenn Fragen dazu kommen, sollten wir (empirisch gesehen) nicht nackt dastehen. Ich fürchte, die Literaturdidaktik und die Didaktik des Fremdverstehens müssen sich sehr bewusst auf das outputorientierte Denken einstellen, wenn sie ihre bisherige Rolle im fremdsprachlichen Curriculum halten wollen. (Z YDATI ß 2005: 279) Die drei grob umrissenen Schwerpunkte sind auch in diesem Band zu finden. Er präsentiert vieles von dem, was in den letzten Jahren in der literaturdidaktischen Diskussion als zentral angesehen wurde, und gibt einen Ausblick auf künftige wissenschaftliche Beschäftigungsfelder. Der vorliegende Band möchte sich aber nicht nur als aktuelle Bestandsaufnahme neuester literaturdidaktischer Forschung verstanden wissen, sondern stellt ganz bewusst auch einen konstruktiven Einspruch gegen die Reduzierung der literaturdidaktischen Unterrichtsinhalte im Fremdsprachenunterricht dar. Er zeigt sehr deutlich, dass in der Bundesrepublik und weit darüber hinaus die existenziellen Probleme der fremdsprachlichen Literaturdidaktik als dringend wahrgenommen werden und dass man ihnen mit neuen Ideen, Konzepten, Theorien und Methoden begegnet. Dabei ist auffällig, dass in den USA und Großbritannien ebenso wie der Bundesrepublik die Literaturdidaktik neue schlagkräftige Argumente für den Einsatz literarischer Texte im Fremdsprachenunterricht aller Bildungsinstitutionen anführen. Die Beiträge in diesem Band sind bei aller Unterschiedlichkeit ein eindeutiger Beweis für das Selbstbewusstsein und die zentrale Stellung, die die Literaturdidaktik im bildungspolitischen Kontext innehat, sie zeugen von ungebrochener Vitalität und setzen sich mit der Standardorientierung im Bildungssystem und anderen aktuellen Problemen auf vielerlei Weise auseinander. Der erste Themenblock befasst sich mit neuen Konzepten zur Theoriebildung und mit aktuellen Forschungsfragen der fremdsprachlichen Literaturdidaktik. Im Vordergrund stehen hier vor allem zwei Themenkomplexe, die Begriffsklärung der „literarischen Kompetenz“, die sich nach der Debatte um Bildungsstandards zwischen Operationalisierung von Lernzielen und persönlichkeitsbildenden Lernzielen neu verorten muss, und die Beziehungen zwischen Literaturwissenschaft und Literaturdidaktik im Bereich des interkulturellen Lernens und der Transkulturalität. Drei Aufsätze beschäftigen sich mit den Kompetenzen, die heute oft unter dem Sammelbegriff „literarische Kompetenz“ zusammengefasst werden und doch höchst unterschiedlicher Natur sind. Problematisch ist in diesem Kontext vor allem, dass nicht alle Teilkompetenzen, die beim Lesen und Verstehen literarischer Texte erworben werden können, leicht operationalisierbar und damit auch messbar sind, dass aber gerade jene Teilkompetenzen, die sich einer gradlinigen Skalierung oder einfachen Bewertung entziehen, einen charakteristischen Teil der Lese- und Verstehensleistung ausmachen und einen großen Anteil an der Persönlichkeitsbildung von Lernenden haben. L OTHAR B REDELLA (Universität Gießen) geht in seinem Beitrag der Frage nach, warum sich Leser/ Lerner im Fremdsprachenunterricht überhaupt mit der Lektüre literarischer Texte beschäftigen sollen. Indem er die Unterschiede zwischen dem Verstehen und dem 6 Eva Burwitz-Melzer 37 (2008) Interpretieren von Literatur erkundet und das ästhetische Potenzial solcher Texte erforscht, kann er auch Rückschlüsse auf den heute oft zitierten Begriff der „literarischen Kompetenz“ ziehen. Er erhält in B REDELLA s Artikel neue Facetten, die Persönlichkeitsbildung und Interpretationskompetenz ebenso einschließen wie interkulturelle und moralische Kompetenz. Das Textbeispiel Gracey erläutert die aufgestellten Thesen und stellt B REDELLA s (bildungs-)politische Thesen in einen rezeptionstheoretischen Kontext. Im Aufsatz von E VA B URWITZ -M ELZER (Universität Gießen) geht es um einen Bereich der „literarischen Kompetenz“, der dem Lese- und Verstehensprozess quasi als eine Basis zugrunde liegt, dem Erleben von Emotionen beim Lesen literarischer Texte. Nachdem zunächst versucht wird, durch eine Begriffsbestimmung zu klären, was mit dem Begriff ‚Emotion‘ in den verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen gemeint ist, stellt sie danach die Relevanz und die Rolle von Emotionen bei der Lektüre von literarischen Texten dar und skizziert ihre unterschiedlichen Funktionen in der Unterrichtsarbeit. Im Anschluss belegt eine empirische Fallstudie, wie stark Emotionen im fremdsprachlichen Literaturunterricht tatsächlich präsent sind und was sie im Lese- und Verstehensprozess bei Lernenden bewirken können. J OHN M C R AE (University of Nottingham) lenkt in seinem Beitrag den Blick auf eine grundsätzliche Bestandsaufnahme der fremdsprachlichen Literaturdidaktik. Dabei entfernt auch er sich von den traditionellen, leicht operationalisierbaren, vor allem sprachlich orientierten skills und entwirft einen fünften Fertigkeitsbereich, den des processing and thinking. Dieser Fertigkeitsbereich ermöglicht ihm den Einbezug kultureller, interkultureller und kreativer Kompetenzen bei der Arbeit mit literarischen Texten, und stellt so einen deutlichen inhaltlichen und didaktischen Gewinn dar. Hand in Hand mit dieser Weiterentwicklung der Kompetenzbereiche gehen nach M C R AE eine methodische und eine Kanonöffnung, die vor allem auch der Überzeugung geschuldet sind, dass die Arbeit mit Literatur immer auch einen (inter-)kulturellen Lerngewinn erzielt. Gleich zwei Aufsätze sind dem Verhältnis von transkultureller Literaturwissenschaft und interkultureller Literaturdidaktik gewidmet, einem Thema, das kontrovers diskutiert wird und erst noch empirisch erforscht werden muss. A DELHEID S CHUMANN (Universität Siegen) und W ERNER D ELANOY (Universität Klagenfurt) erarbeiten dieses Thema aus der jeweiligen Fachdisziplin heraus, also einmal aus der Sicht der frankophonen Literaturen, einmal aus der Perspektive der anglistischen Literaturdidaktik. Dabei wird in beiden Aufsätzen ganz besonders Wert gelegt auf eine sorgfältige Differenzierung zwischen dem Einsatz landeskundlichen Wissens sowie sprachanalytischer und interkultureller Verfahren beim Umgang mit transkulturellen Texten. Beide Aufsätze zeigen in ihrer sich ergänzenden Unterschiedlichkeit, wie unumgänglich es im heutigen fremdsprachigen Literaturunterricht ist, die aktuelle Literatur der Zielkulturen in die Unterrichtsarbeit einzubeziehen und wie komplex eine solche Unterrichtsarbeit sich gestaltet, wenn man den transkulturellen Texten in ihren vielfältigen kulturellen Bezügen gerecht werden möchte. Der sechste Beitrag dieses Schwerpunkts lenkt den Blick auf eine ganz andere Thematik: Hier geht es um den Stellenwert der Literaturdidaktik in der Fachdidaktik der Romanistik. D ANIELA C ASPARI (Freie Universität Berlin) liefert in ihrem Artikel eine quantitative Analyse von fachdidaktischen Aufsätzen seit 1987, die sich in Fachzeitschriften, Zur Einführung in den Themenschwerpunkt 7 37 (2008) Monografien und Sammelbänden mit dem Umgang mit literarischen Texten im Französischunterricht beschäftigen. Dabei arbeitet sie gleichzeitig ein zentrales Kapitel der Französischdidaktik auf, die anders als Germanistik und Anglistik in der Bundesrepublik Deutschland keine eigenständige Literaturdidaktik ausgebildet hat. Ihre umfassende, thematisch ausgerichtete Analyse zeigt ein lebendiges Forschungsfeld, das sich allen Fragen der aktuellen fremdsprachigen Literaturdidaktik widmet und darüber hinaus sehr gewinnbringend für andere literaturdidaktische Kontexte seine eigenständigen kulturellen Belange in die Diskussion einzubringen weiß. Der zweite Themenblock ist neuen Inhalten und innovativen Methoden in der fremdsprachigen Literaturdidaktik gewidmet; auch hier präsentiert sich das Untersuchungsfeld als ideenreich, variationsfreudig und lebendig. Vor allem im Bereich der Kanonerweiterung ist dies ablesbar: Etwa beim stärkeren Einbezug der visual culture bei der Filmarbeit oder multimodalen Romanen, akustischen Lernszenarien mit literarischen Texten oder dem gewinnbringenden Einbezug der Kinder- und Jugendliteratur. Die Nutzung des Internets im Zusammenhang mit der literarischen Unterrichtsarbeit und eine Aufwertung performativer Aspekte bei der Behandlung von Dramen bringen ungewohnte (inter-) kulturelle Aspekte, aber auch methodische Innovationen ins Spiel. G ABRIELE B LELL (Universität Hannover) und C HRISTIANE L ÜTGE (Universität Hildesheim) erarbeiten in ihrem Beitrag ein neues Konzept zur Filmbildung, das sie wegen seiner Vielschichtigkeit, seiner starken Prägung auf den Bildungsgedanken und des starken Einbezugs inter- und transkultureller Elemente bewusst von bereits existierenden Kompetenzmodellen absetzen wollen. Sie zeigen innovative Entwicklungslinien filmischer Textarbeit auf, die auf das Kino als Lernort setzt, emotionales Erleben in der Unterrichtsarbeit berücksichtigt und einen interkulturellen Begegnungsraum bei der Filmarbeit anstrebt. In W OLFGANG H ALLET s Artikel (Universität Gießen) geht es um ein neues Romangenre, das in den letzten zwanzig Jahren Verbreitung gefunden hat: den multimodalen Roman, der mit dem Einbezug graphischer Repräsentationen, Fotos, unterschiedlicher typografischer Stile und Transkripte die narrative Linearität der literarischen Texte aufbricht. Nachdem der Autor dieses neuartige Genre in einen aktuellen kulturellen Bezug gestellt hat, untersucht er drei Beispiele für multimodale Romane, die dem Bereich der fiktionalen Autobiographien zuzuordnen sind. Sie werden auf ihren speziellen Wert für den fremdsprachlichen Literaturunterricht hin analysiert und als neues Paradigma für intermediales und transmodales Lesen etabliert. G ILLIAN L AZAR (Middlesex University London) konzentriert sich in ihrem Beitrag auf die Frage, wie das Internet mit seinen vielfältigen Arbeitsbereichen und Einsatzmöglichkeiten die literarische Unterrichtsarbeit bereichern und erneuern kann. Dabei setzt sie lerntheoretisch bei den pädagogischen Prinzipien des scaffolding und der Reflexion von Lernprozessen an und erläutert, wie Hypertexte und fan fiction bei der Unterrichtsarbeit mit literarischen Texten eingesetzt werden können. Es werden didaktisch vielversprechende methodische Vorgehensweisen erläutert, die ihr Ziel darin haben, neben kulturellen Lernzielen und Sprachvermittlung auch Lern- und Sprachbewusstheit zu fördern. Um eine Kanonerweiterung und alternative methodische Impulse geht es auch im 8 Eva Burwitz-Melzer 37 (2008) Artikel von E VA L EITZKE -U NGERER (Universität Halle). Sie befasst sich mit kreativen Aufgabenstellungen bei der literarischen Textarbeit und konzentriert sich vor allem auf akustische Inszenierungen von Gedichten, um eine umfassende Auseinandersetzung mit den Originaltexten zu erreichen. Dazu entwickelt sie eine methodische Anleitung, die über erste Gestaltungsideen, die Skripterstellung mit Regieanweisungen unter Einbezug von Geräuschen und Musik bis zur Tonaufnahme alle Stadien der Planung einer Hörspielproduktion im fremdsprachlichen Unterricht anbietet. Die Textbeispiele, die aus dem Bereich der französischen, spanischen und italienischen Literaturen stammen, zeigen, wie sprach- und literaturdidaktische, interkulturelle und kreative Kompetenzen zusammenwirken müssen, um die komplexen Aufgabenkonstellationen zu lösen. Um neue Formen der Performanz geht es auch im Beitrag von L AURENZ V OLKMANN (Universität Jena): Er untersucht den Bezug zwischen Drama, Dramendidaktik und Kultur im Fremdsprachenunterricht, wobei er besonders auf inszenierte Kommunikationssituationen im Klassenzimmer zurückgreift und deren performative Qualität analysiert. Indem er die Auseinandersetzung mit Kultur als stets performativen Aushandlungsprozess im Fremdsprachenunterricht begreift, erlangt für ihn gerade die Textarbeit mit Dramen eine neue, verdichtete literaturdidaktische Aufgabe, nämlich die der Vermittlung kultureller und interkultureller Lerninhalte. Basierend auf dem rezeptionstheoretischen Vermittlungsmodell erarbeitet der Autor innovative sprachliche, genrespezifische und kulturelle Lernziele, die die Erfahrung kultureller Alterität hervorbringen. E MER O’S ULLIVAN (Universität Lüneburg) wendet sich in ihrem Beitrag der Kinder- und Jugendliteratur als neuem, und bisher kaum beachteten Textbereich der fremdsprachigen Literaturdidaktik zu. Sie wirbt für einen stärkeren Einbezug dieses vielfältigen Textmaterials in die Fremdsprachenlehrerausbildung, indem sie veranschaulicht, welche Argumente für den Einsatz dieser Texte sprechen, welche Kriterien für eine geeignete Auswahl von Kinder- und Jugendliteratur herangezogen werden können und wie es um den Einbezug adaptierter Texte steht. Das besondere Verdienst dieses Grundsatzartikels besteht vor allem in der Darstellung einer detaillierten Seminarplanung für angehende Lehrkräfte, die den Gegenstand Kinder- und Jugendliteratur gleichzeitig aus literaturwissenschaftlicher und literaturdidaktischer Perspektive darlegt. Der dritte Themenblock bietet sechs empirische Fallstudien aus der Schulbzw. Hochschulausbildung. Hier zeigt sich, dass es trotz des mit qualitativer empirischer Forschung verbundenen großen Aufwands heute durchaus nicht mehr ungewöhnlich ist, kleinere Studien aus der Praxis zu erstellen und sie in einen größeren literaturdidaktischen Forschungskontext einzuordnen. Während es bis vor etwa zehn Jahren in der Fremdsprachendidaktik kaum qualitative Studien zu verzeichnen gab, zeichnet sich nach einigen längeren Forschungsarbeiten insbesondere im Bereich der Literaturdidaktik eine Wende ab: Sowohl in der Schule als auch im Hochschulkontext werden Fallstudien dokumentiert und analysiert, die wichtige Aufschlüsse geben können über den Umgang mit fremdsprachiger Literatur, Einstellungen und Kompetenzentwicklung von Lernenden sowie methodische Vorgehensweisen. Die ersten drei Beiträge fokussieren den schulischen Fremdsprachenunterricht in den Fächern Französisch und Englisch und seine Arbeit mit literarischen Texten. Aus dem Zur Einführung in den Themenschwerpunkt 9 37 (2008) Bereich des Französischunterrichts in der Grundschule liefert H ERBERT C HRIST (Universität Gießen) eine Studie, die sich mit dem Einsatz authentischer literarischer Bilderbücher im Französischunterricht beschäftigt. Der Autor schildert die Erarbeitung einer authentischen Erzählung im Unterricht einer 1. Klasse. Die systematische Stützung der Inhaltsvermittlung durch Bilder und Gestik wird dabei ebenso herausgestellt wie das Erfassen schwieriger grammatischer chunks und die spielerische Leichtigkeit, mit der die jungen Lernenden eine solche Geschichte verstehen und dann auch darstellen können. Ein zweiter Blick wird auf die unterstützende Bibliotheksarbeit im Grundschulunterricht Französisch gerichtet: Wahlweise als Vorleserunde oder als eigenständige Lektüre dürfen die Schülerinnen und Schüler zweimal in der Woche authentische Bilderbücher erkunden, wobei C HRIST unterschiedliche Zugänge der Kinder zu den Texten verzeichnen kann. Das Sprachwachstum, das C HRIST beim Einsatz von Bilderbüchern und Erzählungen beobachten konnte, belegt, warum gerade literarische Texte so erfolgreich bei jungen Lernenden eingesetzt werden können. Aus dem Englischunterricht der gymnasialen Oberstufe legt A NN K IMES -L INK (Universität Gießen) eine Studie vor, die sich vor allem mit dem Einsatz produktionsorientierter, gestaltender Bearbeitungsformen beschäftigt. Sie beobachtet sehr detailliert das Verhalten der Lehrkraft in einem Leistungskurs der 13. Jahrgangsstufe, die im Zuge der Lektüre von Shakespeares Romeo and Juliet mehrere kreative Aufgaben stellt, und das der Lernenden, die sie lösen müssen. Transkripte des Unterrichtsgeschehens und eine Darstellung der Schülerleistungen bieten tiefe Einblicke in den Verstehensprozess der Lernenden. Dabei zeigt sich, dass produktionsorientierte Aufgabenstellungen sehr überlegt und unter Bereitstellung einer ausreichenden Arbeitszeit in die Unterrichtsarbeit integriert werden müssen, um optimale Erfolge zu zeitigen. In einem dritten empirischen Aufsatz zur Arbeit mit literarischen Texten in der Sekundarstufe I und II wird der Blick fast ausschließlich auf die Lehrkräfte gerichtet, und ihre Position bei der Unterrichtsarbeit erkundet. H ELENE D ECKE -C ORNILL (Universität Hamburg), M ARC -P HILIP H ERMANN , B ETTINA K LEINER und S VEN R HEIN wenden sich dabei einem Untersuchungsfeld zu, das bisher in der Literaturdidaktik noch völlig unbeachtet ist, dem der Auseinandersetzung mit Heteronormativität und ausgrenzenden Geschlechterverhältnissen im Literaturunterricht. In zwei Leitfadeninterviews mit Gymnasiallehrkräften, die in gleichgeschlechtlichen Beziehungen leben, geben diese Aufschluss über Bezüge zwischen ihrer Biografie und ihrem Fremdsprachenunterricht, sie charakterisieren ihre Lerngruppen und erkunden ihre eigenen Entscheidungen und Arbeitsprozesse im fremdsprachlichen Literaturunterricht. Dabei werden auch grundsätzliche Fragen zum Verhältnis von Literaturunterricht und Heteronormativität angesprochen, und es wird von den interviewten Personen dargelegt, welche Rolle der Literaturunterricht für die Thematisierung von Heteronormativität im Fremdsprachenunterricht spielen kann. Die letzten drei Beiträge konzentrieren sich auf qualitativ-empirische Studien im Bereich deutscher Pädagogischer Hochschulen, Universitäten und amerikanischer Colleges. Es werden Beispiele aus Englisch- und Französischseminaren für deutsche Lehramtsstudierende sowie aus einem Deutschseminar für amerikanische Studierende untersucht. 10 Eva Burwitz-Melzer 37 (2008) L IESEL H ERMES (Pädagogische Hochschule Karlsruhe) stellt dar, wie in einem Hochschulseminar der Englischdidaktik eine differenzierte Betrachtung von authentischer und bearbeiteter Literatur für jugendliche Lernende durchgeführt wurde. In der Lehrveranstaltung wurden zunächst die Begrifflichkeit der verschiedenen Bearbeitungsbzw. Kürzungsmöglichkeiten genau ergründet, die dann als Grundlage für einen Kriterienkatalog für die Analyse von Textbeispielen dienen sollte. Dabei sollten literaturwissenschaftliche, sprachdidaktische und literaturdidaktische Erwägungen eine Rolle spielen. Nach der Analyse der Beispiele wurde den Studierenden die Möglichkeit gegeben, selbst eine Textbearbeitung vorzunehmen. Es zeigte sich, wie wichtig diese Vorerfahrung für angehende Lehrkräfte ist, die mit ihrer Entscheidung über die Textsorte und den Grad ihrer Bearbeitung immer auch einen Eingriff in die Darstellung der Zielkultur vornehmen. C LAIRE K RAMSCH und M ICHAEL H UFFMASTER (beide University of California, Berkeley) beschäftigen sich in ihrem Beitrag mit einem Unterrichtsbeispiel aus einem Collegeseminar, in dem amerikanische Studierende im 4. Semester deutsche Kultur und Literatur studieren. Um die ‚translinguale Kompetenz‘ der Studierenden zu fördern, sollte in einer kurzen Unterrichtseinheit Goethes Gedicht „Ein Gleiches“ übersetzt werden. Dabei gingen die Lehrenden in minutiös abgestuften methodischen Schritten vor, die den Studierenden die kulturelle Komplexität und die sprachlichen Ambivalenzen des Gedichts vor Augen führen sollten. Nach der Übersetzung wurden die Studierenden aufgefordert, die unterschiedlichen methodischen Schritte noch einmal zu reflektieren und dabei ihren Lernprozess und ihre Leistungen zu evaluieren. Auf der Grundlage dieser Ergebnisse wurde die ursprüngliche Aufgabenstellung etwas abgeändert, um eine besseren Förderung der ‚translingualen Kompetenz‘ zu gewährleisten. B IRGIT S CHÄDLICH (Paris) bezieht sich in ihrem Aufsatz auf die momentan deutlich spürbaren Widersprüche zwischen literaturwissenschaftlicher und literaturdidaktischer Ausbildung in französischen Seminaren für Lehramtsstudierende. Sie beklagt die falschen Signale, die von den eher pragmatisch und weniger ästhetisch ausgerichteten Bildungsstandards gerade an die literaturwissenschaftlichen Seminare gegeben würden, die mit dieser Ausrichtung eine Vermittlung schulisch relevanter literarischer Textgrundlagen und didaktischen Handlungswissens eher verhinderten als förderten. Ihren Ausführungen liegt eine umfassende qualitativ-empirische Studie über universitäre literaturwissenschaftliche Seminare zugrunde, die sie in diesem Kontext durch einige Seminarbeispiele noch einmal reflektiert und zu einer neuen These für die Reliterarisierung des schulischen Fremdsprachenunterrichts zusammenfasst. Literatur B REDELLA , Lothar / C HRIST , Herbert (1995): „Didaktik des Fremdverstehens im Rahmen einer Theorie des Lehrens und Lernens fremder Sprachen“. In: B REDELLA , Lothar / C HRIST , Herbert (Hrsg.): Didaktik des Fremdverstehens. Tübingen: Narr, 8-19. B URWITZ -M ELZER , Eva (2003): Allmähliche Annäherungen: Fiktionale Texte im interkulturellen Fremdsprachenunterricht der Sekundarstufe I. Tübingen: Narr. Zur Einführung in den Themenschwerpunkt 11 37 (2008) E UROPARAT (2001): Gemeinsamer europäischer Referenzrahmen für Sprachen: Lernen, Lehren, Beurteilen. Berlin: Langenscheidt. KMK (= S EKRETARIAT DER STÄNDIGEN K ONFERENZ DER K ULTUSMINISTER DER L ÄNDER DER B UNDESRE - PUBLIK D EUTSCHLAND ) (2005): Bildungsstandards für die erste Fremdsprache (Englisch/ Französisch) für den Hauptschulabschluss. Beschluss vom 15.10.2004. München: Luchterhand. KMK (2004): Bildungsstandards für die erste Fremdsprache (Englisch/ Französisch) für den Mittleren Schulabschluss. Beschluss vom 4.12.2003. München: Luchterhand. Z YDATI ß, Wolfgang (2005): „Bildungsstandards für den Fremdsprachenunterricht in Deutschland: Eine hervorragende Idee wird katastrophal implementiert - oder: Von der Endkontrolle der Schüler zu strukturverbessernden Maßnahmen“. In: B AUSCH , Richard / B URWITZ -M ELZER , Eva / K ÖNIGS , Frank G. / K RUMM , Hans-Jürgen (Hrsg.). Bildungsstandards für den Fremdsprachenunterricht auf dem Prüfstand. Arbeitspapiere der 25. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Tübingen: Narr, 272-290.