Fremdsprachen Lehren und Lernen
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Narr Verlag Tübingen
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2008
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Gnutzmann Küster SchrammDrama und Kultur im Englischunterricht
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2008
Laurenz Volkmann
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* Korrespondenzadresse: Prof. Dr. Laurenz V OLKMANN , Universität Jena, Institut für Anglistik/ Amerikanistik, Ernst-Abbe-Platz 8, 07743 J ENA . E-mail: l.volk@uni-jena.de Arbeitsbereiche: Interkulturelles Lernen, Globalisierung und Englischunterricht, Gender Studies und Englischunterricht, literatur- und kulturwissenschaftliche Fremdsprachendidaktik. 37 (2008) L AURENZ V OLKMANN * Drama und Kultur im Englischunterricht Abstract. It is argued that culture, performance, drama and drama in the classroom are inextricably linked in educational contexts in general and in EFL teaching in particular. Viewing communication in a foreign language as a performative act, the author suggests a range of specific teaching goals pertinent to the incorporation of both drama texts and acting-out activities in the classroom. Drama appears as a genre specifically suited for cognitive, emotional and even physical learning about signifying practices of both the target cultures and one’s own culture. 1. Cultural turn und performative turn: Drama und (Ziel-)Kultur Es gibt ein zentrales gemeinsames Moment der mannigfaltigen Orientierungswechsel in den Geistes- und Kulturwissenschaften der letzten Jahre (vgl. B ACHMANN -M EDICK 2006). Verändert hat sich die kulturelle Dominanzstellung des geschriebenen Wortes, die eng verbunden war mit der Verklärung ästhetisch bedeutsamer, autonomer Gebilde der Höhenkammliteratur als herausragendem Ausdruck der Schriftkultur. Neben dem visual turn erscheinen dabei besonders der cultural turn sowie der performative turn bemerkenswert, liegt beiden doch ein Kulturverständnis zugrunde, welches tendenziell nicht-literarische bzw. nicht-textuelle Medien bevorzugt. Zugleich betont man den auf sich stetig verändernden Konventionen und Sinnverschiebungen beruhenden Konstruktcharakter kultureller Institutionen, Praktiken und Identitäten. In ähnlicher Manier hat sich in der Fremdsprachendidaktik eine doppelte Veränderung vollzogen: So wendet sich die Literaturdidaktik einerseits ab von der Konzentration auf die Analyse und Interpretation einzelner, literarisch-ästhetisch wertvoller Texte des Bildungskanons der Zielkultur. Sie bewegt sich in Richtung einer weiter gefassten Textbzw. Kulturdidaktik. Literarische Werke werden dezentriert und dabei eingebettet in medien- und textübergreifende pre-, while- und post-reading activities. Diese zielen weniger auf eine ‚korrekte‘ Textexegese ab als vielmehr darauf, das im Text eingeschriebene Potenzial kreativer, handlungs- und prozessorientierter Schülerreaktionen zu aktivieren (vgl. C ASPARI 1997). Wenn dieser Respons im Sinne des acting out in einer körperlich-sinnlichen Interaktion mit dem Text und/ oder mit anderen Akteuren besteht, dann spiegelt sich hierin andererseits der performative turn in den Fremdsprachendidaktiken allgemein. Die neue Aufwertung des Performativen basiert auf der Erkenntnis der Bedeutsamkeit nicht-verbaler Prozesse in kommu- Drama und Kultur im Englischunterricht 185 37 (2008) nikativen Situationen und hat zu einer Flut von Publikationen im Bereich des interkulturellen Lernens gerade mit Bezug auf non- und paraverbale Kommunikationsmuster sowie zur Neubewertung von Sprachroutinen, von Begrüßungsmustern, des turn-taking und anderen Elementen von ‚inszenierten‘ Kommunikationssituationen geführt (vgl. allgemein V OLKMANN 2002). Das Drama und die Dramendidaktik scheinen damit eine neue Wertschätzung zu erfahren (vgl. A HRENS [et al.] 2008), bietet ein dramatischer Text doch einen doppelten Zugang zu den Zielkulturen: Als authentischer Text der Zielkulturen selbst und als fiktional-dramatische Blaupause. Er regt an, den gedruckten Text zu inszenieren und damit gerade die performativen Elemente kulturellen Agierens am eigenen Leibe zu erfahren, mit ihnen zu spielen und zu experimentieren. In diesem Beitrag soll entsprechend zunächst der Zusammenhang von Kultur, Drama, interkulturellem Lernen und Fremdsprachenlernen eingehender diskutiert werden. Anschließend seien einige Grundzüge der veränderten Herangehensweise an dramatische Texte skizziert, unter anderem basierend auf einem erweiterten Verständnis des Dramatischen. Es folgen Ausführungen zu Problemen der Textauswahl, wenn (inter-) kulturelles Lernen zum Kernprinzip der Beschäftigung mit Dramentexten erklärt wird. Schließlich soll eine knappe Schematik (inter-)kultureller Lernziele bei der Arbeit mit Dramentexten entwickelt werden. 2. Theater als Inszenierung von Kultur / Kultur und Identität als Akte der Inszenierung Wer sich eingehender mit der Verbindung von Drama und Kultur beschäftigt, stößt auf eine in der Renaissance beliebte Analogie zwischen Bühnenwelt und Realität. Verschränkungen und Wechselwirkungen spiegeln sich im Bild des Mikrokosmos Bühne, der dem Makrokosmos Welt gleicht: Theater ist inszenierte Kultur, und Kultur bzw. kulturelle Identität ist stets inszeniert. Verdeutlichen lässt sich diese Spiegelbildlichkeit mit Hilfe zweier berühmter Passagen aus dem Dramenwerk William Shakespeares. Im Prolog zum Historiendrama Henry V wird beschrieben, wie im Rundbau des Globe Theatre, jenes „Wooden O“, ein Miniaturmodell der kulturellen Außenwelt in Szene gesetzt werden soll. Mit Hilfe der Imagination soll das elisabethanische Publikum die bedeutsamen geschichtlichen Ereignisse des Dramas auf der räumlich reduzierten, kargen Bühne nachempfinden: Can this cockpit hold the vast fields of France? Or may we cram Within this wooden O the very casques That did affright the air at Agincourt? O, pardon! Since a crooked figure may Attest in little place a million; And let us, ciphers to this great accompt, On your imaginary forces work (Prolog, 11-18). Eine spiegelbildliche Textpassage findet sich auch in der Komödie As You Like It. In ihr verwendet Shakespeare eine häufig zitierte theatrum mundi-Metapher: 186 Laurenz Volkmann 37 (2008) All the world’s a stage, And all the men and women merely players: They have their exits and their entrances; And one man in his time plays many parts […] (II.7). In beiden Passagen drückt sich der enge Zusammenhang von Kultur, Inszenierung und Performativität aus. Insbesondere die Welt-als-Bühne-Metapher erweist sich dabei als sinntragend in ihrer Aussage zur Regelhaftigkeit menschlicher Interaktion. Diese macht sich, von fremdsprachendidaktischer Seite aus betrachtet, vor allem in Kommunikationssituationen bemerkbar, in denen Vertreter unterschiedlicher (Sprach-)Kulturen aufeinander treffen. Die direkten Verbindungslinien zwischen Kultur und Drama erschließen sich ebenfalls bei einem Blick auf aktuelle Konzepte und Definitionen von Kultur: In Kontrast zum vormals eingeschränkten Verständnis von Kultur als ‚Hochkultur‘ und damit als exklusive Errungenschaft menschlicher Schaffenskraft herrscht gegenwärtig größtenteils ein Kulturverständnis vor, welches - mit der Begrifflichkeit der Kultursemiotik formuliert - Kultur als Zusammenspiel von Zeichenkomplexen, Konzepten, Wirklichkeitskonstrukten und ihnen zugeordnetem Handlungswissen begreift. Deren Bedeutung und Funktion wird durch eine strukturierte Anzahl von Zeichenbenutzern festgelegt, etwa den Mitgliedern einer nationalen Gruppe. Die signifying practices drücken sich aus in der jeweils unterschiedlichen Bedeutungskonstruktion bei gesellschaftlichen Institutionen, Ritualen, Ideologien, Geschlechterauffassungen, Subjektpositionen usw. Aus der interkulturellen Perspektive interessieren dabei vor allem die unterschiedliche Bedeutungszuweisung in der Sprachverwendung und das Schaffen von Gemeinschaftsgefühlen durch intersubjektiv geformte Zeichensysteme bestimmter sprachlicher Gruppen. Besondere Signifikanz kommt dabei den Medien zu, „da sie die kulturelle Semantik von Gesellschaften sowohl erzeugen wie distribuieren“ (B ÖHME / S CHERPE 1996: 16). Kultur als unabschließbarer Prozess von Produktion, Zirkulation und auch Subversion von Bedeutung wird dabei häufig mit medientechnischen Termini beschrieben, wobei Begriffe und Konzepte aus dem Medium Drama - wie Inszenierung, Performanz, Theatralität, Dramaturgie usw. - zentrale Aufmerksamkeit erhalten. Man hat erkannt, dass gerade inszenierte Rituale wie politische Aufführungen, aber auch die kulturell bestimmte Ritualisierung von Alltagsakten wie Begrüßungen, Verlauf von Konversationen, Themenwahl usw. das manifeste oder unterbewusst wirkende Zusammengehörigkeitsgefühl nationaler Gemeinschaften besonders prägen (vgl. H AUSCHILD 2005). Aber nicht nur soziale Gebilde wie Nationen definieren sich über politische und private Formen der Inszenierung. Auch das Individuum lässt sich, in der Tradition des bedeutenden Kulturanthropologen Erving G OFFMAN , als Aktant im sozialen Gefüge verstehen. Es übt - wie ein Schauspieler - quasi ständiges ‚Kontrollmanagement‘ aus mit Bezug auf die Außenwirkung, die in bestimmten Situationen erreicht werden soll. So lässt sich der beherrschte Umgang mit kulturell geprägten Höflichkeits- und Konversationsroutinen als Teil einer komplexen „machinery of self-production“ (G OFFMAN 1967: 245) begreifen. Dieses selffashioning, wie es in Stephen G REENBLATT s sprichwörtlich gewordener Formulierung heißt, orientiert sich wiederum daran, wie Identität im Modus von kulturell je unter- Drama und Kultur im Englischunterricht 187 37 (2008) schiedlich entworfenen Erzählungen, Dramen und Inszenierungen Sinnhaftigkeit erfährt (vgl. G REENBLATT 1980). Kultur ist also im oben ausgeführten Sinne stets als performativ, als komplexer Aushandlungsprozess von kultureller Bedeutung innerhalb der jeweiligen imagined community zu verstehen. Dieser performative Aushandlungsprozess tritt exemplarisch und gleichsam in verdichteter Form in Situationen interkultureller Kommunikation zutage. Das Drama stellt ein exemplarisches Segment dieser kulturellen Bedeutungsschaffung dar, indem es das Verständnis von culture in action in miniatisierter Weise spiegelt. Für den Fremdsprachenunterricht bedeutet dies, dass dramatische Texte einerseits Einsichten in die signifying practices von Zielkulturen erlauben, andererseits das (teilweise) Inszenieren dieser Texte ganzheitliche Erfahrungen zu den Wirkungsweisen dieser kulturellen Praktiken erlauben, wenn Lernende diese spielend am eigenen Leibe erfahren. Für Schülerinnen und Schüler lassen sich dabei fünf dramenspezifische Elemente der Erfahrung mit Kulturen, auch der Fremdkulturen, sinnlich erleben (vgl. B YRON 1986: 22- 23): (1) Allgemein untersucht das Drama Handeln, Einstellungen, Werte, Beziehungen und Kommunikation zwischen Menschen unter der gemeinsam erfahrenen, vorübergehenden Aufhebung des fiktionalen Charakters des Erlebten („willing suspension of disbelief“, wie es passend bei S.T. Coleridge heißt). Damit ist eine momentan absolut erscheinende Immersion in den Kosmos der Zielkulturen ermöglicht. (2) Im Gegensatz zur überwiegenden Zahl narrativer Texte ist die Zeitform des Dramas das Präsens. Durch die Konzentration auf die Gegenwart, das Hier und Jetzt, erscheint ein besonders hohes Maß an Engagement, Identifikation und ‚Verschmelzung‘ mit den Figuren bzw. der Welt der Dramenhandlung möglich. (3) Die Interaktion der Figuren ist zugleich intentional auf eine Zukunft gerichtet, in der die Folgen der Handlung sukzessive hervortreten - meist von einem Spannungsbogen getragen. Somit verdeutlicht sich die komplexe Verbindung zwischen individuellen Entscheidungen und gesellschaftlichen Folgen. (4) Das Rollenspiel erlaubt eine Doppelperspektive: Die Darstellenden sind zum einen Handelnde innerhalb eines sich entfaltenden Narrativs, zugleich können sie als Zuschauer - selbst oder untereinander reflektierend - eine Außenperspektive einnehmen und die eigene Rolle sowie das gesamte Geschehen multiperspektivisch ausleuchten. (5) In höherem Maße als andere literarische Gattungen oder auch visuelle Medien ist das Drama ‚pluri-medial‘ und erlaubt den Einbezug non-verbaler Elemente, von Musik, Requisiten usw., welche die inszenierte Wirklichkeit besonders facettenreich erlebbar machen. 3. Neuorientierungen der Dramendidaktik: Von der Textanalyse zu drama off the page Vieles hat sich geändert in der Behandlung von Dramen im Englischunterricht. Prägnant ließe sich diese Veränderung beschreiben als Abkehr von der Analyse eines autonomen sprachlichen Dramentextes des angelsächsischen Literaturkanons, verbunden mit der neuen Perspektive auf Dramentexte als ‚Blaupause‘ für Inszenierungstätigkeiten von unterschiedlicher Länge und Textnähe. Überhaupt ist ein Wandel von der Dramendidaktik 188 Laurenz Volkmann 1 In der ehemaligen DDR wurde die Lektüre Shakespeares teilweise in den Deutschunterricht „verlagert“, vgl. H ALLET (2006: 214). 37 (2008) zur Inszenierungsdidaktik zu erkennen. Traditionell, zurückgehend bis zu den Anfängen des schulischen Englischunterrichts im spätwilhelminischen Kaiserreich, wurden Dramen primär und teilweise nahezu ausschließlich als Lesetexte verstanden. Im östlichen wie westlichen Nachkriegsdeutschland etablierte sich ein fester Kanon von ‚Klassikern‘ für die Ganzlektüre in der gymnasialen Oberstufe. Dazu gehörten zum einen bestimmte Dramen Shakespeares, von dem inzwischen kaum noch gewählten Julius Caesar über Hamlet bis Macbeth erlangten die Tragödien und einige Historienspiele (Richard III, Henry V) herausragende unterrichtliche Popularität (vgl. P ETERSOHN / V OLKMANN 2006). Macbeth gilt nach wie vor - aufgrund seiner Kürze und der inzwischen etablierten Menge an Handreichungen - als beliebteste Shakespearesche Unterrichtslektüre. Die Komödien konnten, mit der Ausnahme von A Midsummer Night’s Dream, den Tragödien kaum den ‚hochkulturellen‘ Rang ablaufen. 1 Zum anderen etablierte sich eine geringe Zahl von zeitgenössischen Dramen. Aus dem britisch-irischen Sprachraum gehören dazu Dramen aus der Feder von Beckett, Osborne und Pinter. Neben den spätviktorianischen Werken von Wilde sowie einzelnen Dramen Shaws gelangten bekannte amerikanische Dramatiker wie O’Neill, Wilder, Miller, Williams und Albee in den festen Kanon des englischsprachigen Oberstufenunterrichts. Obwohl gerade die genannten amerikanischen Autoren aus der interkulturellen Perspektive z.T. höchst interessante Dramenwerke schrieben, blieben interkulturelle Thematiken bis in die 1980er Jahre hinein in einem Großteil der dramendidaktischen Publikationen wenig beachtet (vgl. S CHIK / G ROENE 1980; K APPE 1991). In Analogie zu den akademischen Usancen universitärer Seminare standen bei der Dramenbehandlung die gängigen, formalisierten Analyseverfahren der Textkonstituenten im Vordergrund (vgl. P FISTER 1977): Bauformen und Strukturelemente der Handlung, Sprache, Figuren, Zeit und Raum, die Bühnendimension. Interpretatorisch lag der Fokus auf universalen, überzeitlichen Aussagen der Dramen. Zur textanalytischen Herangehensweise kam Ende der 1970er Jahre - im Zuge der Kommunikativen Wende im Fremdsprachenunterricht - das Interesse, literarische Texte als Kommunikationsmittel zu begreifen. Dramen erschienen herausragend dazu geeignet, „Schülern die Komplexität zwischenmenschlicher Kommunikation vor Augen zu führen“ (S CHIK / G ROENE 1980: 26). Mit ihrer Hilfe sollten kommunikative Intentionen, Wirkungsmechanismen und Abläufe offen gelegt sowie Modelle erfolgreicher und gescheiterter menschlicher Kommunikation analysiert werden. Beispielsweise galt es, Unterschiede in Sprachstil und Duktus herauszupräparieren - von elaborierter Sprache bis zur Umgangssprache und Soziolekten usw. Die beiden Perspektivrichtungen bei der Betrachtung dramatischer Texte - textimmanente Analyseverfahren und linguistisch ausgerichtete Modelle der Kommunikationstheorie - drücken sich paradigmatisch in der Standardpublikation von Horst G ROENE und Berthold S CHIK mit dem Titel Das moderne Drama im Englischunterricht der Sekundarstufe II (1980) aus. Im grundlegenden Einleitungsbeitrag dieses Bandes beschreiben die Autoren die besondere mediale Konstitution der Gattung Drama. Die Autoren fokussieren analytische Aufgaben und didaktische Relevanz auf eine Weise, die Drama und Kultur im Englischunterricht 189 37 (2008) nach wie vor beispielhaft für eine bestimmte, inzwischen allerdings ergänzungs- und modifikationswürdige textbezogene Herangehensweise steht: Da eine Erzählinstanz fehlt, die vermittelnd und deutend in den Geschehensablauf eingreift (eine Ausnahme bildet das ‚epische Theater‘) und auch Hintergrund und ‚setting‘ transparent macht, muß sich der Dramatiker - medial bedingt - abgesehen vom Haupttext (Dialog) auf den Nebentext (Szenenanweisungen) beschränken. Dieser wird vielfach suggestiv eingesetzt: Außersprachliche Komponenten wie Mimik, Gestik, akustische und optische Effekte sowie Raum und Bühnenbild erlangen erhebliche Bedeutung. Durch seinen dialogischen Aufbau und (besonders in der zeitgenössischen Dramatik) den bewußten Gebrauch der gesprochenen Sprache als eines nicht-elaborierten Codes und die Verwendung von Soziolekten sowie durch seine dramaturgischen Mittel, die besondere Deutungsmöglichkeiten neben der direkten Aussage zulassen und den dialogischdramatischen Text durch seine außersprachlichen Konnotationen vom reinen Lesetext absetzen, erweist sich der dramatische Text als ein literarischer Text besonderer Art. Dadurch gewinnt er literaturdidaktisch eine besondere Relevanz und erhält im Rahmen eines auf Text- und Medienkompetenz angelegten Unterrichts einen hohen Stellenwert. (S CHIK / G ROENE 1980: 13-14) Textanalytische und kommunikationstheoretische Modelle wurden in den folgenden beiden Dekaden nicht ersetzt, sondern eher ergänzt durch rezeptionstheoretische Ausrichtungen sowie eine stärkere Hinwendung zu konkreten Aufführungen von Dramen. Dies spiegelt sich im so genannten „dramatic interpretation model“, wie es E VANS (1984) und K APPE (1991) vorschlugen. Zunehmend gerieten auch Verfilmungen (etwa Roman Polanskis Macbeth von 1971) zum Gegenstand der (vergleichenden) Analyse und Interpretation. Erschien die gelegentliche Aufführung eines ganzen Schauspiels im Rahmen von schulischen Veranstaltungen als besonders erwähnenswerte ‚alternative‘ Form der Dramenbehandlung, konnte sich dennoch erst Ende der 1990er Jahre eine neue Sichtweise in der Dramendidaktik durchsetzen. Sie stützt sich auf die erwähnten cultural, visual and performative turns, auf veränderte Einstellungen zu Literarizität, einen erweiterten Textbegriff, die stärkere Berücksichtigung des medialisierten Umfelds der Lerner und eine deutliche Konzentration auf interkulturelle Komponenten bei Textauswahl und Herangehensweise. Schließlich finden lange, früher eher weniger beachtete fächerübergreifende Traditionen des Inszenierens und des Dramatischen Spiels Beachtung. In dem programmatischen Basisartikel der Zeitschrift Der Fremdsprachliche Unterricht Englisch mit dem Titel „Von ‚Teaching Drama‘ zu ‚Teaching Plays‘: Spielendes Lernen durch dramatische Formen und mit dramatischen Texten“ (1998) dokumentierte Ansgar N ÜNNING diesen Orientierungswechsel. Deutlich erklärt N ÜNNING , dass die traditionelle Dramenanalyse „nur eine von vielen Möglichkeiten darstellt, sich mit szenischen Texten zu beschäftigen“ (N ÜNNING 1998: 5). Im Gegensatz zu narrativen oder lyrischen Texten dienen Dramentexte als „Spielvorlagen“ (N ÜNNING 1998: 4) für eine Vielzahl von spielerischen, szenischen und handlungsorientierten Unterrichtsformen. Ergänzend zu der sich Ende der 1990er Jahre deutlich durchsetzenden Erkenntnis, dass Dramentexte geschrieben wurden, um sie zu inszenieren, werden zwei weitere etablierte Gepflogenheiten des Umgangs mit dramatischen Texten infrage gestellt und neu bewertet: Erstens, dass es im Unterricht um die Beschäftigung mit einem ganzen, umfangreichen Dramentext gehen sollte: Kurzdramen, Minidramen, one-act plays werden aufgewertet, 190 Laurenz Volkmann 37 (2008) ebenso das acting out ausgewählter Passagen eines Dramas. Zweitens, dass nur ein Dramentext für die Dramendidaktik von Interesse sein kann. Es geht nun vielmehr darum, den Begriff ‚Drama‘ als ‚Zu Inszenierendes‘ oder ‚Inszeniertes‘ zu verstehen und darunter eine Vielzahl von Aktivitäten, Texten, Medien usw. integrativ und synästhetisch zu subsumieren. In der Tat gilt es, nicht in alten Kategorien zu verharren und kulturelle oder unterrichtliche Praktiken und Aktivitäten wie Inszenieren, Darstellendes Spiel, Drama oder Dramendidaktik starr voneinander abzugrenzen. Vielversprechend erweist sich eher ein Ansatz, der ‚Drama‘ im Sinne von Gavin M. B OLTON s bereits 1979 vorgeschlagener Dreifachdefinition versteht: Mit B OLTON (1979: 7) lassen sich drei Formen von Drama oder Dramatisieren im Unterricht beschreiben: (1) Dramatische Aktivitäten bzw. Kurzübungen: Hierbei liegt der Schwerpunkt auf der sprachlichen Form, wenn in einem kontextualisierten Rollenspiel die Inszenierung dienende Funktion erhält, also authentisch erscheinenden, situativ richtigen Sprachgebrauch einübt. Diese Aktivität erstreckt sich von der Inszenierung eines vom Lehrwerk vorgegebenen Musterdialogs bis zur kurzen Inszenierung eines Dialogs aus einem Drama mit dem Ziel, sprachliche Äußerungen und kommunikatives Verhalten in einem konkreten kulturellen Umfeld einzuüben. Ein Musterbeispiel hierfür stellt der methodisch ausgerichtete Band von Alan M ALEY und Alan D UFF , Drama Techniques in Language Learning. A Resource Book of Communication Activites for Language Teachers (1982), dar. (2) Bei einer weiteren Aktivität liegt der Akzent eher auf dem Inhaltlichen. Es lässt sich hierzu die inzwischen beliebte Inszenierung eines narrativen Textes zählen: „Drama as a ‚way in‘ to a narrative text“ (B YRON 1986: 7). Die Dramatisierung erlaubt hier eine ganzheitliche Form des Zugangs, wobei natürlich das Inszenieren selbst zum Inhalt der Betrachtung werden kann (vgl. S CHERER 2005). (3) Zur dritten Form der Behandlung von Dramen zählt Bolton die Auseinandersetzung mit einem dramatischen Text, bei der Inhalt und Form der Inszenierung zugleich im Vordergrund stehen, ebenso wie kognitive und affektive Erfahrungen: „Drama for understanding“ genauso wie Drama als „creative experience“ (B OLTON 1979: 11). Wie B OLTON und andere ausdrücklich betonen, sind die Trennungslinien zwischen diesen drei Formen von drama in the classroom nur theoretisch relevant, denn die Übergänge sind in der Praxis eben gerade als fließend zu betrachten: Es gilt, konkrete Lebenssituationen und die konkrete Lebenspraxis der Lernenden mit der dramatic experience zu verbinden. Durch bewusstes Aktivieren auch der „körperlichen und sprachlichen Ausdrucks- und Verhaltensweisen“ (S CHELLER 1998: 13) im szenischen Spiel können vielfache kognitive und affektive Lern- und Erkenntnisprozesse angebahnt werden. 4. Lernziel interkulturelle kommunikative Kompetenz: Probleme der Textauswahl Bei der bisherigen Erörterung des Themenkomplexes von Drama und (fremden) Kulturen sowie der unterrichtlichen Herangehensweisen ist das gegenwärtig zentrale Lernziel des Fremdsprachenunterrichts eher am Rande erschienen. Es basiert auf der Einsicht, dass Drama und Kultur im Englischunterricht 191 37 (2008) sprachliche Kommunikation jeglicher Art nie in einem kulturellen Vakuum stattfindet, sondern einen höchst komplexen intersubjektiven Aushandlungsprozess darstellt, der in hohem Maße durch den jeweiligen kulturellen Hintergrund der Beteiligten bestimmt ist. Lassen sich schon nationalsprachliche Kodes in vielen Fällen aufgrund ihrer kulturell unterschiedlichen Konnotationen nicht ohne weiteres im Verhältnis Eins zu Eins übertragen, so gilt dies auch für national unterschiedlich ausgeformte Einstellungen und Werte, überhaupt für unterschiedliche Weltwahrnehmungen, welche interkulturellen Kommunikationssituationen zugrunde liegen. Für Fremdsprachennutzer gilt es demnach, mit Hilfe der über die Fremdkulturen erworbenen Kenntnisse und Einsichten in konkreten Begegnungen mögliche interkulturelle Missverständnisse zu vermeiden. Daraus ergibt sich für den fremdsprachlichen Unterricht das allgemeine Lernziel der interkulturellen Kompetenz, oder konkreter: der interkulturellen kommunikativen Kompetenz (vgl. B YRAM 1997; V OLKMANN 2002/ 2007). Aus den genannten Gründen erscheint das Drama eine dem interkulturellen Lernen besonders affine Gattung zu sein, stellt es doch en miniature (inter-)kulturelle Aushandlungsprozesse auf der Bühne dar: „Drama is a collaborative social process which operates through negotiation“ (B YRON 1986: 44). Es erlaubt gerade jene für das Fremdverstehen so essenziellen Perspektivenwechsel: Während eine Ich-Erzählung dies bei narrativen Texten gattungsgemäß geradezu erzwingt, liefert das In-die-fremde-Rolle-Schlüpfen beim acting out einer Dramenrolle ein noch weitergehendes Identifikations- und Empathiepotenzial, ein Sichhineinbegeben in den Standpunkt und die Perspektive eines (kulturell) Anderen. Es scheint auf den ersten Blick naheliegend, gerade solche Dramentexte auszuwählen, in denen für Lernende aktuelle und wichtige zielkulturelle Aspekte verhandelt werden: die Frage der nationalen, regionalen oder ethnischen Identität; das Verständnis von Gender; kulturelle Prägemuster und Leitkonzepte (wie etwa für Amerika das Thema from melting pot to cultural mosaic, die Puritan work ethic, der American Dream usw.); aktuelle politische und soziokulturelle Thematiken (post-9/ 11 America; devolution or regional pride in GB; ethnic minorities und vieles mehr), sowie deren Ausprägungen auf die Mentalität der Figuren und deren sprachlich-kommunikatives Verhalten. Allerdings entspräche eine Textauswahl, welche sich lediglich auf die interkulturelle Werthaltigkeit des jeweiligen Dramas konzentriert, einem rein funktionalistisch-utilitaristischem Literaturverständnis, demzufolge literarische Texte als interkulturell verwertbarer fiktionaler ‚Steinbruch‘ zu verstehen seien. Darüber hinaus müssten Texte früherer Epochen dem ausgeprägten Präsentismus einer solchen interkulturellen Ausrichtung zum Opfer fallen: Denn welche verwertbaren Erkenntnisse, so könnte man argumentieren, lassen sich für die interkulturelle Kommunikationskompetenz aus einem bisher hoch geschätzten Drama wie Shakespeares Hamlet gewinnen - außer dem dort bereits aufgeführten Klischee der dänischen Neigung zur Trinksucht? Vordergründig betrachtet erscheint eine nach wie vor geschätzte Konversationskomödie wie Oscar Wildes The Importance of Being Earnest - abgesehen von Einsichten in die Konventionen des gepflegten Small Talks - für aktuelle interkulturelle Lernziele gänzlich ungeeignet und kann mit ihrem dandyhaft-elitären Figurenensemble noch nicht einmal ein repräsentatives Bild des Viktorianischen Zeitalters bieten. Selbst viele zeitgenössische 192 Laurenz Volkmann 37 (2008) Dramen, von Edward Albees Zoo Story bis zu Michael Frayns Democracy, scheinen aufgrund ihrer teils wenig kulturspezifischen, teils zielkulturfremden Thematik auf den ersten Blick kaum zum neuen Paradigma der Vermittlung interkultureller Kompetenz zu passen. Zweifellos ist Ansgar N ÜNNING beizustimmen, wenn dieser eine stärkere Berücksichtigung zeitgenössischer Dramen im Fremdsprachenunterricht anmahnt, zumal angesichts der Tatsache, dass sich in Deutschland ein ,heimlicher‘, geradezu musealer Schulkanon herausgebildet hat. Wenige Texte, von Shakespeare bis Miller, werden so - offensichtlich schulischen Trägheitsgesetzen folgend - weiter in der Praxis tradiert. „Eine stärkere Einbeziehung zeitgenössischer Dramen könnte Lernenden hingegen verdeutlichen, dass es sich beim Theater um einen in ständiger Erneuerung befindlichen lebendigen Prozess handelt, der von großer und oft auch unmittelbarer gesellschaftlicher Relevanz ist“ (N ÜNNING 1998: 6). Eine Kanonrevision ist jedoch - zumindest auf universitärer Ebene und in zahlreichen literaturdidaktischen Beiträgen - seit nunmehr über einer Dekade in die Wege geleitet worden (vgl. bereits M ENGEL 1995). Dabei werden speziell Dramen der so genannten ‚Neuen Englischen Literaturen‘ als wichtige literarische Beispiele für transnationale und transkulturelle Themenkomplexe aufgewertet. Mit der Perspektivenöffnung von den core countries der englischen Sprache (die britischen Inseln und die USA) hin zu den Ländern und Territorien des ehemaligen Empire geraten so andere geografische Gebiete in das Blickfeld: Afrika (vor allem Nigeria und Südafrika), Asien (Indien und Südostasien), Australien und Neuseeland, Kanada und die Karibik, schließlich auch Irland und Schottland sowie die unterschiedlichen Regionen der core countries selbst. Dabei muss der Eindruck vermieden werden, es handle sich lediglich um kulturell zweitrangige oder unbedeutendere Produktionen - eher heißt es, „to indicate the growing richness and variety in terms of culture and ethnicities symptomatic of theatrical productions in these countries“ (P ETERS et al. 2006: 2). Der Blickwinkel ist dabei stets ein doppelter: Einerseits gilt es, den kulturellen Spezifika einer bestimmten Region oder eines bestimmten Landes zu begegnen, andererseits können im kontrastiven Vergleich, etwa mit dem eigenen kulturellen Erfahrungshorizont, universale menschliche Herausforderungen und Probleme im Sinne des Schaffens eines ‚globalen Bewusstseins‘ hervortreten. Trotz dieser geografischen und thematischen Bereicherung des unterrichtlichen Literaturkanons durch interessante zeitgenössische Dramen ist festzuhalten, dass eine lediglich auf schnell verwertbares interkulturelles Wissen ausgerichtete Textauswahl und -behandlung zu einer schwerwiegenden Reduktion der genretypischen Lernpotenziale des Dramas führen würde. Die Bandbreite dieser Lernziele sei im Folgenden kurz systematisiert. 5. Überlegungen zur Systematik dramenspezifischer Lernziele Eine Taxonomie der Lernziele im Bereich der Beschäftigung mit Dramen ist stets aktuellen Moderichtungen - wie der Standard- und Kompetenzorientierung - unterworfen und kann nur einen Versuch darstellen, die mannigfaltigen unterrichtlichen Zielvorstellungen auf einer Skala zu beschreiben: Diese soll sich hier von eher sprachlich-kommunikativen Drama und Kultur im Englischunterricht 193 37 (2008) zu interkulturellen Elementen erstrecken, also im Wesentlichen von der Form zum Inhalt, wobei vielfache Verbindungsebenen existieren. Diesen dem Fremdsprachenunterricht zuzurechnenden Lernzielen ordnen sich allgemeinere Komplexe der Kompetenzentwicklung und des Kompetenzerwerbs über: Es ist vielfach betont worden, dass gerade die Tätigkeit des Inszenierens eines Textes oder von Textpassagen auf einzigartige Weise die Selbstkompetenz wie die soziale Kompetenz fördert. Denn die beim Einnehmen einer Rolle erforderliche Selbstverantwortlichkeit steht in Verbindung mit Gruppenprozessen, die jeder Inszenierung oder dramatischen Aktivität eigen sind. Die Dramendidaktik betont entsprechend, wie Drama-Aktivitäten zur Persönlichkeitsbildung beitragen können. B OLTON spricht in diesem Zusammenhang von der verstärkenden Wirkung des drama in the classroom: „it enhances the natural maturation process“ (B OLTON 1979: 138). Er rekurriert damit wohl auch auf einen berühmten Ausdruck der britischen Erziehungswissenschaftlerin Dorothy Heathcote: Drama-Aktivitäten „bring out what children already know but don’t yet know they know“ (zit. in W AGNER 1976: 13). (1) Sprachdidaktische und/ oder kommunikative Ziele (vgl. G LAAP 1995: 417): Über die traditionellen Lernziele der Dramenanalyse am Text hinaus bietet die Beschäftigung mit einem Drama Lernenden vielfältige Möglichkeiten, eine breite Skala sprachlicher Äußerungen und linguistischer Register kennen zu lernen und zugleich sprachlichen Input in üblichen wie auch ungewöhnlichen Kontexten aufzunehmen. Sprache wird geübt, aber auch im Rahmen der Reflexion im Unterrichtsgespräch benutzt. Die Lernenden erlangen Einsichten in sprachliche und nicht-sprachliche Kommunikationsformen, beispielsweise zu kommunikativen Routinen und Strategien, vom Schweigen über das turn-taking, von Anspielungen bis zu Fragen, wie sich soziale, ethnische oder geschlechtliche Hierarchien in der Kommunikation ausdrücken. Da Lernende so auch nicht-sprachliche Kommunikationselemente beachten, erhalten sie zudem Einblicke in sonst häufig vernachlässigte Komponenten der „Körpersozialisation“ (S CHELLER 1998: 20) in der eigenen wie in der Zielkultur. (2) Literaturdidaktische und mediale Lernziele: Dramentexte bieten Perspektiven auf sich wandelnde Strukturen von Darstellungs- und Vermittlungsprozessen sowie Präsentations- und Wahrnehmungsformen einer oder mehrerer Kultur(en). Sie erlauben Vergleiche zwischen Text und Inszenierung, zwischen Literalität und Oralität - und damit eine Schärfung des Bewusstseins für unterschiedliche Medien, Genres und Darstellungsmodi. Zentral stellt sich dabei die Frage, wie geschriebene Sprache in inszenierte Akte umgesetzt wird, wie die gedruckten Zeilen zu sprechen sind, welche Requisiten, Kostüme, welcher Bühnenaufbau, welche Beleuchtungseffekte usw. zu verwenden sind bzw. in einer Inszenierung oder Verfilmung verwendet wurden. Es geht dabei insbesondere um intermediales Lernen, denn die zu einem spezifischen dramatischen Genre, beispielsweise einer Farce, gelernten Gattungsusancen finden sich auch in anderen Medien wieder: In Fernsehen, Filmen, sogar in Dokumentarfilmen wie Erzählungen überhaupt. Lernende können somit die Bausteine des Erzählens und Inszenierens erlernen. Sie bekommen die Grundzüge einer narrativen und medialen Grammatik vermittelt, die übertragbare Einsichten zur medialen Sinnkonstitution erlaubt. Auch der intertextuelle Bezug von Dramen zum realen historischen Kontext wie zu literarischen oder medialen ‚Prä-Texten‘ ver- 194 Laurenz Volkmann 37 (2008) mittelt Einblicke in wesentliche Strukturen des ‚Textuniversums‘ und Formen textuellen bzw. kulturellen Interplays. (3) Kulturelles Lernen: Das mit Hilfe des Dramas ermöglichte kulturelle Lernen findet auf mehreren Ebenen statt: Es ist Lernen über das Wesen von Kulturen selbst, über die Fremdkulturen, aber auch über die eigene Kultur sowie über Unterschiede und Gemeinsamkeiten. Kulturen werden dabei als performativ erfahren: Unter Verwendung der Fremdsprache erkunden Lernende die Zusammenhänge von kulturell geprägten Intentionen und szenischer Handlung (vgl. S CHELLER 1998: 74-146): Sie lernen, wie unterschiedliche kulturelle Konzepte und Praktiken spielerisch umsetzbar sind. Hierzu gehören insbesondere Räume, Gegenstände, Geräusche, Zeit, Körper, Gestik, Mimik, Sprechen, Handeln, Interaktion, Situationen, Vorstellungen, Einstellungen, Werte, Gefühle, Wünsche, Statusverhalten und Habitus. Damit ist die Bandbreite interkultureller Lerndimensionen aufgefächert. Je nach Drama können dabei die oben erwähnten key cultural concepts der Zielkultur vom American Dream bis zum Australian Dream am eigenen Leibe erspürt werden. Zu diesen eher dem Bereich der Mentalitäten und Ideen zugehörigen Einstellungen treten traditionelle landeskundliche Inhalte, von historischen bis zu geografischen Kenntnissen, welche das Verständnis eines Dramas fördern und als ‚Weltwissen‘ sich nun mental mit diesem Werk verknüpfen. Überhaupt darf der inzwischen mit dem neutralen Begriff ‚Weltwissen‘ apostrophierte Bildungswert vieler Dramen nicht unterschätzt werden. Dramatiker wie William Shakespeare sind kulturelle Ikonen, sie sind den Wissensbeständen nicht allein ihrer nationalen Literaturgeschichte, sondern der Weltliteraturgeschichte, nicht allein ihrer Zielkultur, sondern der Weltkultur zuzurechnen. Titel von Dramen, Namen von Figuren, Handlungsmuster, geflügelte Worte usw. sind dabei keinesfalls als verstaubtes und schöngeistiges Kulturgut abzuwerten. Man mag diesen Wissensschatz im soziologisch-ökonomischen Sinne als „kulturelles Kapital“ einordnen, ihn aber auch - dem Bildungsauftrag des Schule gemäß -weiterhin als wesentlichen Bestandteil einer humanistischen Erziehung verstehen, die nicht allein auf die Beherrschung inhaltsentleerter Sprachkompetenzen abzielt (vgl. V OLKMANN 2007). In diesem Sinne bedeutet die Behandlung eines Dramas für Lernende auch ein Angebot, ihren eigenen Erfahrungs- und Sinnhorizont zu erweitern und neben den kulturspezifischen Elementen jedes Textes auch dessen transkulturelle Ausrichtung zur Entwicklung und Bereicherung der eigenen Persönlichkeit zu verwenden. (4) Die Erfahrung kultureller Alterität: Dramen erlauben vielfältige Einblicke in die Verhandlung kultureller Identitäten: Sie thematisieren Gruppenidentität, Alteritätszuweisungen und gängige Klischees sowie Vorurteile, die zum Aufbau der ingroup und der outgroup(s) benötigt werden. Auf der Bühne erleben wir die Brüchigkeit und Fragmentarität von immer neu und anders inszenierten Identitäten. Diese Prozesse der Ich-Konstitution und Alteritätszuweisung sind prägnant erkennbar in Dramen, die ethnische Minderheiten und Geschlechterkonflikte fokussieren. Modellartig lassen sich dabei die für interkulturelles Lernen so wichtigen Exklusionsmechanismen erkennen, bei der Schaffung kultureller Andersartigkeit. In vielen Dramen der so genannten Minderheitenliteraturen, aber auch in Shakespeares Schauspielen wie The Merchant of Venice, Othello oder The Drama und Kultur im Englischunterricht 195 37 (2008) Tempest, stehen so fiktional verdichtete Studien des „Othering“ zur Verfügung (vgl. P ETERSOHN / V OLKMANN 2006). Es wird deutlich, wie das Selbst sich immer neu inszeniert und verteidigen muss. Das Fremde macht Angst, signalisiert es doch gerade das, was zum Aufbau und zur Aufrechterhaltung der Identität und des Selbstbildes ausgeblendet werden muss. „Es stellt mühsam erworbene Werte, das Selbstgefühl, Lebensentwürfe, Wahrnehmungs- und Handlungsroutinen in Frage“ (S CHELLER 1998: 19). Das kulturell Fremde wirkt als Projektionsfläche für eigene ungeliebte, unausgelebte Wünsche, Begierden, Gefühle und Verhaltensweisen. Es wird entweder idealisiert oder abgewertet - wie Lernenden deutlich wird, wenn sie bei einer Inszenierung diese Rolle übernehmen: Erst über die nachahmende Einfühlung in den Lebenszusammenhang, den Habitus, die äußeren und inneren Haltungen und in Alltagssituationen und -handlungen ist es möglich, die konkreten Wahrnehmungen, Bedürfnisse, Interaktionsformen und Beziehungen dieser [marginalisierten] Menschen ‚am eigenen Leibe‘ nachzuvollziehen und z.T. lustvoll zu erleben. (S CHELLER 1998: 157-158) Neben der Thematik der kulturellen Minderheiten erscheint die Konzentration auf Geschlechterverhältnisse und -konstruktionen in Dramen vielversprechend. Dramen wie Susan Glaspells Einakter Trifles von 1916 dienen dabei „zur Erhellung von Bedeutung und Wahrnehmung und von Gerechtigkeit; zur Auseinandersetzung mit historischen Geschlechterverhältnissen und der Problematik der separate spheres der Geschlechter; und dazu, diesen Momenten am eigenen Leibe im Spiel nachzuspüren“ (D ECKE -C ORNILL 1993: 68; vgl. auch H ALLET / H EBEL 2007). Wie Ingo S CHELLER betont, geht es dabei nicht darum, die Grenzen zwischen Ich und Rolle aufzulösen, sondern um eine komplexe Erfahrung des Wechselspiels. Dies vollzieht sich dadurch, dass „die unvertrauten Anteile der Rolle, also fremde Haltungen, Handlungsmuster, Gesten, Blicke und Kleidung und die historischen, sozialen und kulturellen Regeln, die in dies eingegangen sind, durch eigene Gefühle und Vorstellungen von innen und durch das körperliche und sprachliche Handeln äußerlich dargestellt werden“ (S CHEL - LER 1998: 31). Das vorübergehende Einarbeiten in die fremde Perspektive stellt somit eine höchst intensive Auseinandersetzung mit der fremden Kultur dar. So wird das Klassenzimmer selbst zum „theatrical space“, in dem verschiedene kulturell geprägte Rollen und soziale Situationen „spielerisch erprobt und spielend reflektiert werden können“ (H ALLET / H EBEL 2007: 10). Literatur A HRENS , Rüdiger / E ISENMANN , Maria / M ERKL , Matthias (Hrsg.) (2008): Moderne Dramendidaktik für den Englischunterricht. Heidelberg: Winter. B ACHMANN -M EDICK , Doris (2006): Cultural Turns. Neuorientierungen in den Kulturwissenschaften. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt. B OLTON , Gavin M. (1979): Towards a Theory of Drama in Education. London: Longman. B ÖHME , Hartmut / S CHERPE , Klaus R. (Hrsg.) (1996): Literatur und Kulturwissenschaften. Positionen, Theorien, Modelle. Reinbek: Rowohlt. 196 Laurenz Volkmann 37 (2008) B YRAM , Michael (1997): Teaching and Assessing Intercultural Communicative Competence. 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