Fremdsprachen Lehren und Lernen
flul
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Narr Verlag Tübingen
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2009
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Gnutzmann Küster SchrammLernstrategien im Netzwerk von Einflüssen auf den Prozess des Fremdsprachenlernens
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2009
Günter Nold
flul3810037
* Korrespondenzadresse: Prof. Dr. Günter N OLD , Technische Universität Dortmund, Institut für Anglistik und Amerikanistik, Campus Nord, Emil-Figge-Str. 50, 44227 D ORTMUND . E-mail: guenter.nold@tu-dortmund.de Arbeitsbereiche: Lehr-Lernforschung und empirische Bildungsforschung im Bereich Englisch als Fremdsprache, Leistungsmessung und Sprachtestentwicklung, Entwicklung von Lehrplänen und Unterrichtsmaterialien. 1 Siehe Good Language Learner Studien von N AIMAN / F RÖHLICH / S TERN / T EDESCO (1978), R UBIN (1981), S TERN (1983). 2 Siehe exemplarisch R AMPILLON (1985); W ENDEN / R UBIN (1987); S CHMECK (1988); O´M ALLEY / C HAMOT (1990); O XFORD (1990); Z IMMERMANN (1991); N OLD (1992); T ÖNSHOFF (1992); F INKBEINER (1995); N OLD / S CHNAITMANN (1995); Z IMMERMANN (1996); R AMPILLON / Z IMMERMANN (1997); G ROTJAHN (1997); N OLD / H AUDECK / S CHNAITMANN (1997); V OLLMER (1997); W OLFF (1997); H AUDECK (1998); W OLFF (1998); Z IMMER - MANN / P LESSNER (1998); M I ß LER (1999); F INKBEINER (2005); R AUPACH (2006); E NDER (2007); H AUDECK (2008); S CHRADER / H ELMKE / W AGNER / N OLD / S CHRÖDER (2008). 38 (2009) G ÜNTER N OLD * Lernstrategien im Netzwerk von Einflüssen auf den Prozess des Fremdsprachenlernens Abstract. Foreign language learning strategies have been the focus of important empirical studies in Germany for more than a decade. The findings of this research clearly show that different facets of the concept of learning strategy are identified, if the research design is based on either questionnaires, interviews, written and oral learning diaries or other types of observation and if either the microor the macro level of the language learning process is addressed. Furthermore, in these studies the role of learning strategies is revealed within a network of variables that impact on FL learning. It is evident that learning strategies have a considerable direct effect on the FL learning process in combination with such variables as motivation or specific prior knowledge. In addition, there are considerable indirect effects on the FL learning process via the impact of certain variables on learning strategies. These findings are relevant for decisions that have to be taken when developing FL learning strategies in the school context. 1. Lernstrategien im Rückblick Seit drei Jahrzehnten werden Lernstrategien im Rahmen von kognitiven Theorien des Zweit- und Fremdsprachenlernens in empirischen Untersuchungen erfasst, analysiert und in ihren Wirkungen beschrieben. Ihnen wird eine bedeutsame Rolle für den Sprachlernprozess zugesprochen, und zwar einerseits als wichtige Einzelvariablen und andererseits als Komponenten in einem Netzwerk von verschiedenen einflussreichen Lernvariablen. Die ersten Untersuchungen in Kanada 1 erwiesen sich als maßgebend für weitere Studien in der nordamerikanischen und schließlich auch der deutschen Lernstrategieforschung im Bereich des Zweit- und Fremdsprachenlernens. 2 38 Günter Nold 38 (2009) 2. Eine Frage der Definition Wenn allerdings gefragt wird, was eine Lernstrategie ist, treffen noch heute (vgl. F INK - BEINER 2005: 86) die Feststellungen von E LLIS (1994) sowie Zimmermann (1997) zu: „The concept of ,strategy‘ is a somewhat fuzzy one …“ (E LLIS 1994: 529). „In der Literatur zum Wortfeld ,Strategie‘ gibt es zahlreiche Beispiele für erhebliche Diskrepanzen in der Begriffsbestimmung. Den Begriffen werden unterschiedliche Merkmalskomplexe zugeordnet“ (Z IMMERMANN 1997: 95). Allerdings sind diese Feststellungen in einem inzwischen tieferen Sinne zutreffend, wie in den weiteren Ausführungen ersichtlich werden wird. Wie beispielhaft die Untersuchungen von F INKBEINER (2005) und H AUDECK (2008) belegen, haben Lernstrategien zwar noch nicht einen unmissverständlichen Platz in einer umfassenden Spracherwerbstheorie gefunden, den Z IMMERMANN (1997: 103 ff) gefordert hat. Sie lassen sich jedoch auf der Grundlage der bestehenden Forschungsergebnisse und -literatur in Hinsicht auf konkrete Untersuchungen systematisch eingrenzen und bestimmen, vergleichbar der Forschungssituation im Bereich der Sprachbewusstheit (vgl. E ICH - LER / N OLD 2007). So definiert F INKBEINER (2005: 90 ff) drei Dimensionen des Strategiebegriffs: „bewusst/ unbewusst“, „beobachtbar/ nicht beobachtbar“, explizit/ implizit“, um Strategien beim fremdsprachlichen Lesen zu untersuchen. H AUDECK (2008: 22) bestimmt den Begriff in ihrer Untersuchung zur Wortschatzarbeit in vergleichbarer Weise, indem sie zwischen beobachtbaren Lerntechniken und nicht konkret fassbaren Lernstrategien unterscheidet und betont, dass die strategische Vorgehensweise eines Lerners „aus den jeweiligen Lernhandlungen […] erschlossen werden [kann], mit denen er unter Einsatz von adäquaten Lerntechniken ein bestimmtes Lernziel erreichen möchte“. Ein Schwerpunkt ihrer qualitativen Untersuchung liegt danach auf der Frage nach der empirischen Erfassbarkeit von Lernstrategien auf unterschiedlichen perspektivischen Ebenen (Makro- und Mikroperspektive). Es wird deutlich, dass abhängig von der Allgemeinheit oder Konkretheit, mit der Lernende sich eine Lernaufgabe vergegenwärtigen (d.h. abhängig von der Makro- oder der Mikroebene), sehr unterschiedliche Lernstrategien berichtet oder angedeutet werden. Zugleich zeigt es sich, dass dabei die Zuordnung von Lerntechniken zu Lernstrategien in einer beachtlichen Anzahl von Fällen der Interpretation bedarf und gegebenenfalls auf Grund von rivalisierenden Interpretationen verschieden bestimmt werden kann. Die entsprechenden Entscheidungen lassen sich jedoch sinnvoll begründen, da in den Einzelfallanalysen durch zusätzliche Lernervariablen ein Netzwerk von Beziehungen entsteht, mit dem die Lernstrategien interagieren (vgl. H AUDECK 2008: 349 ff). E LLIS ’ Hinweis auf den „fuzzy“ Charakter von Lernstrategien wird hier sachlich fundiert und aus verständlichen Gründen einsichtig: Wenn zwei Lernende die gleichen [beobachtbaren] Lerntechniken verwenden, heißt dies nicht notwendigerweise, dass sie die gleichen [nicht beobachtbaren] Lernstrategien verwenden, da die Kontexte ihrer Verwendung und das Netzwerk von zusammen wirkenden Einflussfaktoren sich unterscheiden können. Lernstrategien im Netzwerk von Einflüssen auf den Prozess des Fremdsprachenlernens 39 3 Vergleich von Physiklernen, Lernen in der Muttersprache und der Fremdsprache Englisch in Klasse 8 an Realschulen, N=318. 38 (2009) 3. Exemplarische Studien zu Lernstrategien Nach dem heutigen Kenntnisstand zur Rolle von Lernstrategien beim Lernen von Zweit- und Fremdsprachen erweisen sich empirische Studien als zukunftsweisend, in denen Lernstrategien nicht nur identifiziert und in ihren möglichen Wirkungen beschrieben oder für ein spezielles Training modelliert werden, sondern in denen sie in einem Netzwerk verschiedener Einflussvariablen auf die Lernprozesse untersucht werden. Die empirischen Untersuchungen von N OLD / H AUDECK / S CHNAITMANN (1997), M I ß LER (1999), F INKBEI - NER (2005), H AUDECK (2008) sowie S CHRADER / H ELMKE / W AGNER / N OLD / S CHRÖDER (2008) entsprechen in dieser Hinsicht dem Stand der Forschung. Sie werfen jedoch in sehr unterschiedlicher Weise Licht auf ein insgesamt sehr komplexes Forschungsfeld. Im Folgenden werden am Beispiel dieser Untersuchungen einige zentrale Ergebnisse zur Lernstrategieforschung hervorgehoben und kommentiert, und es wird eine Reihe von Schlussfolgerungen für die Praxis des Fremdsprachenunterrichts gezogen. 3.1 Lernstrategien als Einflussfaktoren in einem Netzwerk von Beziehungen In der bereichsübergreifend angelegten Untersuchung von N OLD / H AUDECK / S CHNAIT - MANN 3 erweisen sich auf der Basis der quantitativ erhobenen Daten bereichsunabhängige und selbstständig entwickelte Lernstrategien als sehr zentrale Faktoren in einem Netzwerk von Einflussfaktoren auf den Fremdsprachenlernprozess. Es wird dabei differenziert zwischen einer kommunikativ-orientierten und einer form-orientierten Teilkompetenz in der Fremdsprache Englisch, wobei sich die Einflussfaktoren jeweils spezifisch in ihrem Maß des Einflusses unterscheiden (siehe die Lisrel-Analysen in N OLD / H AUDECK / S CHNAITMANN 1997: 39 ff). Bereichsspezifische Lernstrategien sind in dieser Untersuchung dagegen der Gegenstand eines Strategietrainings (ebd.: 31 f, 41 ff). Die entsprechenden fremdsprachenspezifischen Lernstrategien der Schülerinnen und Schüler wurden von H AUDECK (2005: 96-110) in einer eigenen Nachuntersuchung identifiziert. Im bereichsübergreifenden Teil der Studie erweisen sich die mit Fragebögen erhobenen metakognitiven Lernstrategien „Selbstkontrolle beim Lernen“ sowie „Organisation der Hausaufgaben“ und „strategisches Vorgehen in Prüfungssituationen“ in etwas unterschiedlicher Intensität bezogen auf die beiden sprachlichen Teilkompetenzen als die wichtigsten Einflussfaktoren, die die unterschiedlichen Kompetenzniveaus der Schüler/ innen im Kontext Schule erklären. Was die Art der Lernstrategien bei diesem Ergebnis anbelangt, ist zu berücksichtigen, dass durch den Einsatz von bereichsübergreifenden Lernstrategiefragebögen in der quantitativen Untersuchung die Lernstrategien nur eingeschränkt erfasst werden. Ferner werden sie vorwiegend aus der Makroperspektive gesehen, da die Schüler/ innen bei der Datenerhebung nicht zeitnah mit Lernhandlungen befasst waren. Die genannten Lernstrategien reflektieren dementsprechend eher generalisiertes strategisches Verhalten beim Lösen von Lernproblemen als konkreten Strate- 40 Günter Nold 38 (2009) gieeinsatz im Lernprozess. Durch diese einschränkende Bewertung der Ergebnisse wird die Relevanz der Untersuchungsergebnisse nicht geschmälert, sie wird jedoch relativiert. Für die Bewertung der Ergebnisse bedeutet dies, dass in dieser Studie bereichsübergreifende Lernstrategien - wie die genannten metakognitiven Lernstrategien - in ihrer Bedeutung hervorgehoben werden, während bereichsspezifische Lernstrategien zur Lösung von konkreten Aufgaben eher ausgegrenzt bleiben. So spielen beispielsweise beim Hör- oder Leseverstehen bereichsspezifische Lernstrategien eine zentrale Rolle, über die entsprechend der Zielsetzung dieser quantitativen Studie nichts ausgesagt wird. Somit ergibt sich hier eine Lücke, die erst in weiteren Studien geschlossen werden konnte. Es ist aus heutiger Sicht trotz der genannten Einschränkungen bemerkenswert, dass in dem Modell zur kommunikativ-orientierten Teilkompetenz Englisch (auf der Basis von Tests zum Hörverstehen, Leseverstehen sowie semikreativen Schreiben) die Lernstrategien sowie die Lernmotive und mit einem gewissen Abstand das Vorwissen - definiert als eine Kombination von allgemeinen Wissenselementen und Sprachbewusstheit - die wichtigsten Einflussfaktoren in einem Modell von fünf Faktoren darstellen; das Selbstkonzept der Lerner und das Klassenklima vervollständigen das gesamte Modell. Dabei fällt auf, dass die Lernstrategien zugleich sehr hoch mit den Lernmotiven korrelieren (r=.94). Die Lernstrategien - nicht jedoch die Lernmotive - korrelieren zusätzlich relativ hoch mit dem Fähigkeitskonstrukt ,Vorwissen und Sprachbewusstheit‘ (r=.63) (N OLD / H AUDECK / S CHNAITMANN 1997: 40). In diesen Analysen deuten sich Zusammenhänge an, die darauf schließen lassen, dass die Lernstrategien ein Teil in einem Netzwerk von Einflussfaktoren darstellen, die ihrerseits ein mehr oder weniger enges Geflecht von Beziehungen, Einflüssen und Abhängigkeiten bilden. Diese Erkenntnis hat für die Praxis beispielsweise eines Strategietrainings unübersehbare Konsequenzen. So ist zu erwarten, dass die Entwicklung von Lernstrategien auf verschiedenen Wegen erfolgen kann, nicht nur auf dem geraden Pfad eines direkten Trainings, sondern auch auf dem Umweg über eine Verbesserung der Motivationslage oder einer Steigerung der Sprachbewusstheit. An dieser Stelle wird weitere empirische Forschung benötigt, um Licht in das Dunkel zu werfen. 3.2 Bereichsspezifische Lernstrategien in einem Netzwerk Eine weiterführende Studie, die die Komplexität des Netzwerks, in dem Lernstrategien mit anderen Variablen interagieren, in den Mittelpunkt stellt, ist die Untersuchung von M I ß LER (1999) zum Zusammenhang von Fremdsprachenlernerfahrungen und Lernstrategien bei Sprachlernenden an der Universität (N=125). Da in dieser Untersuchung unabhängig von Lernhandlungen zwei Fragebögen und Interviews zur Datenerhebung eingesetzt wurden, werden auch hier die Lernstrategien vorwiegend aus der Makroperspektive erfasst. Die Lernenden wurden dabei mit dem bereichsspezifischen Fragebogen „Strategy Inventory for Language Learning“ von O XFORD (1990) befragt. Damit wurden Lernstrategien speziell für verschiedene Aspekte des Fremdsprachenlernens erfragt, während bereichsübergreifende Lernstrategien eher ausgeblendet wurden. Das Ziel dieser Untersuchung ist ferner dadurch gekennzeichnet, dass die Fremdsprachenlernerfahrungen Lernstrategien im Netzwerk von Einflüssen auf den Prozess des Fremdsprachenlernens 41 38 (2009) als Kontext und Bedingung für die Wahl von Lernstrategien in den Mittelpunkt gerückt werden. Dagegen werden die Lernstrategien nicht als Faktoren zur Erklärung von sprachlichen Kompetenzen in Betracht gezogen, und somit können auch keine Aussagen zur Effektivität von Lernstrategien gemacht werden (vgl. M I ß LER 1999: 299). Die Ergebnisse auch dieser Studie sind dennoch sehr aufschlussreich für die Bewertung der Rolle von Lernstrategien beim Fremdsprachenlernen. So wird nachgewiesen, dass die Anzahl und die Art von fremdsprachenspezifischen Lernstrategien, die die Lernenden im Allgemeinen zur Lösung von Problemen beim Fremdsprachenlernen einsetzen, sehr deutlich mit Persönlichkeitsvariablen, Variablen des Vorwissens, der sprachlichen Vorerfahrungen, der Motivation und des Interesses sowie der Lernsituation korrespondieren - entsprechend den Selbstauskünften der Lernenden (auf der Basis des Lernstrategiefragebogens und eines zweiten, eigens für die Untersuchung entwickelten Fragebogens zu den genannten Variablen der Fremdsprachenlerner) (ebd.: 241 ff). Es ergibt sich ein facettenreiches Netzwerk von korrelativen Beziehungen, in das die Lernstrategien eingebettet erscheinen. Darüber hinaus ist besonders hervorzuheben, dass zusätzlich mit Hilfe von Pfadanalysen (Regressionsanalysen) der Nachweis der Abhängigkeit der Lernstrategien von den Variablen der Fremdsprachenlerner erbracht werden konnte (ebd.: 261 ff). Von den zahlreichen Details der Ergebnisse dieser Pfadanalysen können hier nur einige zentrale Punkte hervorgehoben werden. Als wichtigste Faktoren zur Vorhersage von Lernstrategien erweisen sich dementsprechend Vorkenntnisse, Konzentration auf die Zielsprache, Risikobereitschaft, Motivation, fremdsprachliche Mediennutzung und Suche nach Regeln (ebd.: 298). Es konnte ferner eine Unterscheidung zwischen Lernern mit hohen und niedrigen Strategiewerten getroffen werden. Danach unterscheiden sie sich in ihrem Wert von Vorkenntnissen, ihrer Motivation, dem Selbstkonzept sowie in ihrer Suche nach Regeln (ebd.). Wenn auf der Basis dieser Erkenntnisse Empfehlungen für die Praxis des Fremdsprachenunterrichts oder für ein Strategietraining ausgesprochen werden sollen, zeichnet sich eine ähnliche Lage ab, wie sie schon für die Bewertung der Ergebnisse der Untersuchung von N OLD / H AUDECK / S CHNAITMANN (1997) kennzeichnend war. Offensichtlich lässt sich auch angesichts dieser Ergebnisse fragen, ob es nicht mehrere Wege zur Effektivierung von Lernstrategien gibt. Wenn die Art und der Umfang des Strategieeinsatzes durch die genannten Faktoren der Fremdsprachenlerner bestimmt werden, ist zu fragen, in welcher Weise diese Faktoren sich bei Maßnahmen zur Effektivierung des lernstrategischen Verhaltens berücksichtigen lassen. Lehrende können beispielsweise dazu beitragen, dass Vorkenntnisse aktiviert werden, die Motivation gesteigert wird und das Selbstkonzept der Lernenden sich positiv entwickelt. Welche Lernstrategien sie im Einzelnen in den Mittelpunkt rücken sollten, kann aus den Ergebnissen der Untersuchung von M I ß LER jedoch nicht direkt abgeleitet werden, da entsprechend der Zielsetzung dieser Studie der Bezug zu einer fremdsprachlichen Lernaufgabe und damit zu sprachlich-kommunikativen Kompetenzen ausgeblendet wird. Um konkrete Hinweise zum Strategieeinsatz in den jeweiligen Unterrichtssituationen auf Grund von Ergebnissen der Forschung geben zu können, bedarf es zusätzlicher Studien, bei denen bereichsspezifische Lernstrategien in der Auseinandersetzung mit konkreten Lernaufgaben untersucht werden. 42 Günter Nold 38 (2009) 3.3 Bereichsspezifische Lernstrategien und ihr Bezug zum fremdsprachlichen Lernprozess Auf eine entsprechende Studie kann in neuerer Zeit verwiesen werden, und zwar zum Lesen im Fremdsprachenunterricht. So wird in F INKBEINERS empirischer Untersuchung zu Interessen und Strategien beim fremdsprachlichen Lesen (2005) die fremdsprachliche Lernaufgabe zum Ausgangspunkt für die Erforschung der Rolle von Lernstrategien gemacht. In dieser facettenreich entwickelten Studie wurde ein quantitativer mit einem qualitativen Forschungsansatz verbunden, um einerseits möglichst repräsentative Ergebnisse zum Strategieeinsatz beim Lesen im Fremdsprachenunterricht zu erzielen und andererseits die Lernstrategien möglichst zeitnah bei der Bewältigung von Leseaufgaben erschließen zu können (F INKBEINER 2005: 202 ff). Dementsprechend kamen im ersten Teil der Hauptstudie (N=287 in 9. und 10. Klassen) Fragebögen und Leseaufgaben mit offenen Fragen zu verschiedenen Textsorten zum Einsatz, wobei die Schülerantworten zu den Leseaufgaben textanalytisch in Hinsicht auf ihre Lesestrategien ausgewertet wurden. Im zweiten Teil der Hauptstudie wurden dagegen Einzelinterviews mit Leitfaden und mit einem Bezug auf die Leseaufgaben verwendet und mit den Daten des ersten Teils der Studie verglichen (N=57, Extremgruppen der 10. Klassen, gezogen aus der Stichprobe des ersten Hauptteils). Die Datenerhebung fand insgesamt in 9. und 10. Klassen an Gymnasien und Realschulen statt (ebd.: 201, 212 ff). Drei zentrale Hypothesen wurden überprüft: Der Zusammenhang (1) zwischen Lesestrategien und Leseinteressen sowie (2) zwischen Leseinteresse, Lesestrategien und der Tiefe der Textverarbeitung und (3) die Beziehung zwischen der Qualität der Lesestrategie und der Explizitheit bzw. Implizitheit von Strategiewissen (ebd.: 199). Die Überprüfung der Hypothesen ist angesichts des komplexen Forschungsdesigns mit zwei Hauptstudien sehr differenziert. Die gewonnen Daten wurden einerseits mit Hilfe von Korrelationsanalysen hinsichtlich ihrer gegenseitigen Beziehungen sowie Beziehungsmuster untersucht und andererseits mit Hilfe von Pfadmodellen zur Vorhersage der Einflüsse und Wirkungen analysiert (ebd.: 354 ff). So konnte ein deutlicher Zusammenhang (1) zwischen Elaborationsstrategien (z.B. verschiedene Arten der Anknüpfung an eigene Erfahrungen) und Leseinteressen festgestellt werden, und zwar sowohl in den Korrelationsanalysen als auch in den Einzelfallinterviews: „Schüler, die beim Lesen stark elaborieren, haben ein hohes Interesse daran, beim Englischlernen gut zu sein [ …] Gleichzeitig haben sie ein hohes Interesse an folgenden Textsorten: Erzählungen, Kurzgeschichten, Lektüre […]“ (ebd.: 357). Ferner konnten durchaus beachtliche, wenn auch weniger konsistente Zusammenhänge (2) zwischen Leseinteresse und Lesestrategien einerseits und der Verarbeitungstiefe (Erfassen der Bedeutungsebenen und des Kerns eines Textes (ebd.: 263) andererseits festgestellt werden. Die Datenanalyse des quantitativen Teils der Untersuchung fällt hier weniger deutlich aus als die qualitativen Analysen. Dieser Unterschied dürfte durch eine stärkere Makroperspektive im quantitativen Teil der Studie im Vergleich zur Mikroperspektive im qualitativen Teil bedingt sein. Ein ähnliches Ergebnis ist auch bezüglich der dritten Hypothese festzustellen (ebd. 360 ff, 373 ff). Elaborationen konnten vielfach eher in den qualitativen Analysen als in den quantitativen ausgemacht werden. Lernstrategien im Netzwerk von Einflüssen auf den Prozess des Fremdsprachenlernens 43 38 (2009) Verglichen mit den korrelativen Beziehungen ergeben sich aus den Pfadanalysen - vor allem mit Hilfe der Lisrel-Analyse - eindeutige Erkenntnisse zu der Frage, in welcher Beziehung einerseits drei Faktoren - Leseinteresse, Lesestrategien, Strategien selbstregulierten Lernens - zueinander stehen und andererseits in welcher Weise sie die Tiefe der Textverarbeitung im Fremdsprachenunterricht bestimmen (ebd.: 384 ff). Überraschend und zugleich sehr praxisrelevant ist die Erkenntnis, dass selbstreguliertes Lernen, d.h. ein lernstrategischer Faktor, einen beachtlich direkten Einfluss auf die Tiefenverarbeitung hat, während fremdsprachliches Leseinteresse nur indirekt auf die Tiefenverarbeitung einwirkt, und zwar auf dem Umweg über persönliche Elaboration. Allerdings beeinflusst der Interessensfaktor sehr deutlich und direkt den strategischen Faktor der Elaboration. Dieses Ergebnis ist im Nachhinein für ein Ergebnis in den Lisrel-Modellen der Untersuchung von N OLD / H AUDECK / S CHNAITMANN (1997) relevant. In dieser Untersuchung wurde nämlich das fremdsprachliche Interesse in den Lisrel-Modellen nicht berücksichtigt, da nur direkte Einflüsse in der theoretischen Konstruktion und der statistischen Analyse in Betracht gezogen wurden. Für das Interesse konnte jedoch kein direkter Einfluss auf die Englischkompetenzen festgestellt werden (N OLD / H AUDECK / S CHNAITMANN 1997: 43). Das Ergebnis der Lisrel-Analyse in F INKBEINERS Untersuchung (2005) ist von daher wegweisend. Die Ergebnisse von F INKBEINERS Untersuchung tragen insgesamt entscheidend zum besseren Verständnis des Netzwerks bei, in dem Lernstrategien eine zentrale Rolle beim Fremdsprachenlernen spielen. Wenn Elaborationsstrategien und Strategien selbstregulierten Lernens den fremdsprachlichen Leseprozess direkt positiv beeinflussen, liegt es nahe, entsprechende Strategien in einem Strategietraining in den Mittelpunkt zu stellen. Entsprechende Versuche sollten unternommen werden; allerdings müsste den Schülern und Schülerinnen die Freiheit zugestanden werden, dabei eigene Wege gehen zu können. Denn die Gestaltung eines effektiven Trainings ist durch die Ergebnisse von Finkbeiners Studie letztlich nicht einfacher geworden. So können persönliche Elaborationen nicht trainiert werden, wenn feststeht, dass diese Strategieart in ihrer Entwicklung sehr stark von Leseinteressen abhängt. Ebenso wenig können Strategien selbstregulierten Lernens einfach in ein Training integriert werden, wenn der Fremdsprachenunterricht die Möglichkeit zu selbstreguliertem Lernen in seiner methodischen Gestaltung außer acht lässt. Das Netzwerk, in dem Lernstrategien interagieren, verweigert sich sehr wahrscheinlich gegenüber Ansätzen eines Strategietrainings, in dem von vorwiegend direkten oder linearen Bezügen in den Lernprozessen ausgegangen wird, wie z.B.: Lehrer/ in: Heute lernen wir, wie wir Informationen mit unseren Erfahrungen verknüpfen, dann fällt es leichter, einen englischen oder französischen Text zu lesen. F INKBEINERS Ergebnissen entsprechend müsste es eher das Ziel sein, im Unterricht Voraussetzungen für verstärkt selbstreguliertes Arbeiten zu schaffen. Zugleich müsste durch entsprechende Themen und Texte das Leseinteresse angesprochen werden. Wenn dann die lernstrategisch effektiveren Schülerinnen und Schüler nach ihrem Vorgehen beim konkreten Textbearbeiten befragt ihre Erfahrungen den anderen mitteilten, könnte möglicherweise eine Steigerung des lernstrategischen Verhaltens erzielt werden. Die qualitative Teiluntersuchung von F INK - 44 Günter Nold 38 (2009) BEINER mit ihrer Fokussierung von Extremgruppen der Schülerinnen und Schüler gibt hierzu zahlreiche Anregungen. 3.4 Bereichsspezifische Lernstrategien in einem Netzwerk auf der Makro- und Mikroebene In der Untersuchung von F INKBEINER (2005) fällt auf, dass die in der quantitativen Teilstudie erhobenen Strategiedaten zu Elaboration nur wenig mit den entsprechenden Daten in der qualitativen Studie übereinstimmen (siehe oben). Dieser Problematik, nämlich der Erfassung von Lernstrategien auf unterschiedlichen Ebenen, geht H AUDECK (2008) in einer sehr umfassenden qualitativen Einzelfalluntersuchung am Beispiel des strategischen Vorgehens beim fremdsprachlichen Wortschatzlernen systematisch nach (12 Schülerinnen und Schüler der Klassen 5 und 8 von Gymnasium und Realschule). Nach den Erfahrungen mit einem schriftlichen Lerntagebuch zur Erhebung von Strategiedaten (in der Teilstudie zum Lernstrategietraining in der Untersuchung von N OLD / H AUDECK / S CHNAITMANN 1997) entwickelte H AUDECK für ihre neuerliche Untersuchung ein Audiotagebuch, um spontane und zeitnahe Aussagen besser zu erfassen, und verknüpfte die Datenerhebung zusätzlich mit einem problemzentrierten Interviewverfahren in Anbindung an konkrete Vokabellernprozesse (H AUDECK 2008: 40 ff, 115 ff, 349 ff). In dieser Studie zeigt es sich, dass die Art der erkennbaren Lernstrategien sehr deutlich von der Nähe abhängt, mit der Lernstrategien von den Schülerinnen und Schülern mit dem Lernprozess assoziiert werden: „Die Operationen, die von den Schülern im Zusammenhang mit den vorausgegangenen Vokabellernaktivitäten generell [Hervorhebung des Verf.] beschrieben werden […], finden sich überwiegend bei den metakognitiven Lernstrategien sowie den oberflächennahen Memorierungs- und Wiederholungsstrategien […]“. „Wenn die Schüler ihren Lernprozess aus der Mikroperspektive [Hervorhebung des Verf.] betrachten, d.h. die Verarbeitung des Einzellexems beschreiben, nutzen sie überwiegend die als höherwertig angesehenen kognitiven Lernstrategien der Wortschatzorganisation und Elaboration auf eine offenbar sehr differenzierte Weise […]“ (ebd.: 180). Der Kontrast zwischen den identifizierten Lernstrategien lässt sich bis in einzelne Fragestellungen verfolgen, und zwar abhängig davon, ob sie eher verallgemeinerte oder einzelne aktuelle Lernhandlungen ansprechen. In den von H AUDECK (ebd.: 205-347) entwickelten Schülerportraits wird zusätzlich das jeweils individuell wirksame Netzwerk deutlich, in dem Lernstrategien eine Rolle zusammen mit anderen Variablen spielen (ebd.: 350 ff). Die Ergebnisse belegen unmissverständlich, dass „die spezifische Nutzung und Abfolge der Lerntechniken jedes Einzelnen von unterschiedlichen Parametern beeinflusst werden“ (ebd.: 350). Es wird besonders deutlich, welche Verantwortung den Lehrkräften zukommt. Aus der Makroperspektive haben sie nicht nur einen direkten Einfluss auf die Art von Lernstrategien der Schülerinnen und Schüler, beispielsweise durch Aufgabenstellungen und Lerntipps, sondern sie üben auch einen indirekten Einfluss aus, indem sie Lernstrategien im Netzwerk von Einflüssen auf den Prozess des Fremdsprachenlernens 45 38 (2009) durch Leistungsanforderungen und Bewertungskriterien vorwiegend bei der Leistungskontrolle entweder eher oberflächennahe Lernstrategien (z.B. Wiederholung) oder tiefenverarbeitende Lernstrategien (z.B. Verknüpfen mit eigenem Vorwissen) herausfordern (ebd.: 350 ff). Besteht demnach ein Gegensatz zwischen den Anforderungen in den Lernprozessen im Vergleich mit den notenrelevanten Leistungskontrollen, tendieren die Schülerinnen und Schüler eher dazu, sich die für Leistungskontrollen relevanten Lernstrategien anzueignen. Auf der Mikroebene wird dagegen deutlich, wie stark „die Relevanz individueller Persönlichkeitsvariablen, z.B. das Weltwissen und sprachliche Vorwissen des Lerners sowie seine emotional-motivationale Einstellung“ (ebd.: 351), das lernstrategische Verhalten beeinflussen. Bezogen auf ein mögliches Lernstrategietraining kommt H AUDECK (ebd.) zu dem Schluss, dass altersabhängig bei den unteren Klassen eher das Modell des Cognitive Apprenticeship (Collins [et al.] 1989) eingesetzt werden sollte, bei dem die Lehrkraft unterschiedliche Lernwege vorstellt und thematisiert (vorwiegend aus der Makroperspektive), ohne jedoch die Nutzung der entsprechenden Techniken in irgendeiner Weise in die Leistungsbewertung einfließen zu lassen, um nicht die individuelle Entwicklung von Lernstrategien zu behindern. Bei älteren und erfahreneren Schülerinnen und Schülern ist der Weg über die Mikroperspektive denkbar, indem über die Problematik einer konkreten Aufgabe, beispielsweise ein schwieriges Wort, nachgedacht wird. Die Generalisierbarkeit dieser Erkenntnisse und Empfehlungen sowie der Nachweis der Effektivität der anzueignenden Lernstrategien stellt sich immer wieder erneut, wenn empirische Untersuchungen einerseits deskriptiv bis in die Einzelheiten von ablaufenden Lernprozessen hineinreichen und andererseits generalisierte Prozessabläufe ausfindig machen. Die zwei Zugänge zur Erkenntnis von Zusammenhängen beim Fremdsprachenlernen verhalten sich komplementär zueinander. Die Frage ist nur, wie die sich nicht deckenden Erkenntnisse in Einklang zu bringen sind. Angesichts dieses Dilemmas ist es hilfreich feststellen zu können, dass die sich entwickelnden Forschungsergebnisse zu Lernstrategien im Kontext von Fremdsprachenunterricht die verfügbaren Erkenntnisse sowohl bestätigen, als auch ergänzen und modifizieren. Die quantitativen Untersuchungen zur Rolle von Lernstrategien im DESI-Projekt (DESI- K ONSORTIUM 2008) können in genau diesem Sinne verstanden werden (N=ca. 11.000 Schülerinnen und Schüler der 9. Klasse in allen Schultypen). Entsprechend dem Forschungsansatz von DESI ist die Untersuchung zu fremdsprachenspezifischen Lernstrategien auf der Makroebene angesiedelt und ist daher nicht so umfassend ausgerichtet wie die Forschungsansätze in F INKBEINER (2005) und H AUDECK (2008). Es ist dennoch beachtenswert, dass ein Lernstrategiefragebogen eingesetzt wurde, der eine Komponente in einem umfassenden Netzwerk von weiteren Variablen abbildet. Darüber hinaus ist die Untersuchung - wie in der Studie von N OLD / H AUDECK / S CHNAITMANN (1997) - auf den Bezug zwischen Lernstrategien und Leistungsdaten von sprachlichen Kompetenzen ausgerichtet (S CHRADER / H ELMKE / W AGNER / N OLD / S CHRÖDER 2008: 270 ff). Es kann dementsprechend überprüft werden, ob und gegebenenfalls in welcher Weise höhere lernstrategische Fähigkeiten tatsächlich zu einer höheren sprachlichen Leistung beitragen. In den Pfadanalysen wird die Vorstellung von Lernstrategien in einem interagierenden 46 Günter Nold 38 (2009) Netzwerk von Lernvariablen bestätigt. Ferner zeigt es sich, dass sowohl bereichsspezifische metakognitive Strategien als auch die kognitive Strategie „Umgang mit fehlender Information“ einen direkten Einfluss auf die Englischleistungen insgesamt ausüben. Zugleich ist nicht zu übersehen, dass diese Strategien ihrerseits von entweder allgemeinen kognitiven Fähigkeiten oder von motivationalen Variablen abhängen (ebd.: 275-278). Weiterhin ist festzustellen, dass die lernwirksamen Faktoren Motivation (Lerninteresse) oder kognitive Grundfähigkeit neben ihrem Einfluss auf die Lernstrategien jeweils eine bedeutende direkte Wirkung auf die Englischleistungen ausüben, und zwar in den vorliegenden Pfadanalysen in einem größeren Ausmaß als die Lernstrategien. Diese Ergebnisse bestätigen zahlreiche der bisher erzielten Erkenntnisse und modifizieren sie, indem beispielsweise eine Variable der kognitiven Grundfähigkeiten berücksichtigt wurde. Angesichts des Bezugs der Lernstrategien auf die sprachlichen Kompetenzen insgesamt überrascht es nicht, dass das Ausmaß der Wirkungen und die Vielfalt der Lernstrategien im Vergleich zu den anderen Faktoren nicht sehr hoch ausfallen. Spezifischere Analysen, z.B. die Fokussierung bestimmter rezeptiver oder produktiver Kompetenzen oder von Schülerteilpopulationen, werden hier ein differenzierteres Bild ergeben (ebd.: 280). Schon die vorliegenden Pfadanalysen liefern Argumente dafür, bei einem Lernstrategietraining das größere Netzwerk von sich gegenseitig bedingenden Einflussvariablen im Auge zu behalten, wie dies oben mehrfach unterstrichen wurde, zumal der Faktor Motivation in einem engen Netzwerk mit weiteren lernrelevanten Variablen interagiert. So ist das Lerninteresse mit dem fachbezogenen Selbstkonzept der Lerner hoch korreliert (H ELMKE / S CHRADER / W AGNER / N OLD / S CHRÖDER 2008: 255). Ein Lernstrategietraining im Sinne eines Anstoßes zum selbst Ausprobieren ohne Zwang empfiehlt sich daher gerade bei Schülerinnen und Schülern im niedrigeren Leistungsbereich, vorausgesetzt es werden motivationale Aspekte in das Training einbezogen und es werden im Unterricht motivationssteigernde Maßnahmen eingeplant. Bei einem vernetzten Vorgehen dieser Art lassen sich die verschiedenen Zugänge zur Ausprägung von Lernstrategien auf der Makro- und der Mikroebene zusammenführen, sodass sich das oben beschriebene Dilemma lösen lässt, da letztlich die Schülerinnen und Schüler als aktive Lerner angeregt werden, ihre eigenen Lernstrategien zu entwickeln. 4. Eine Zusammenschau auf dem strategischen Wege über eine Visualisierung Im Folgenden werden die Komponenten im fremdsprachlichen Lernprozess in einer Abbildung ( S. 47) hervorgehoben, über die Lehrerinnen und Lehrer Einfluss auf eine Verbesserung der lernstrategischen Kompetenz ihrer Schülerinnen und Schüler nehmen können, um die Lernergebnisse positiv zu beeinflussen. Lernstrategien im Netzwerk von Einflüssen auf den Prozess des Fremdsprachenlernens 47 38 (2009) Abb.: Mögliche Beeinflussung der lernstrategischen Kompetenz In dieser Abbildung deuten die in eine Richtung zeigenden Pfeile mögliche Wirkungen an; der Pfeil in zwei Richtungen stellt eine Korrelation dar. Die gestrichelten Pfeile kennzeichnen direkte Einflüsse ohne Beteiligung von Lernstrategien. Die empirischen Untersuchungen weisen nach, dass die Lehrenden in verschiedener Weise die lernstrategischen Fähigkeiten ihrer Schülerinnen und Schüler im Fremdsprachenunterricht beeinflussen können. Grundsätzlich können Lernstrategien direkt und explizit im Unterricht thematisiert werden. Die Forschungsergebnisse zeigen jedoch die Probleme auf, die bei einem direkten Lernstrategietraining zu berücksichtigen sind. In der Regel werden dabei Lernstrategien aus der Makroperspektive fokussiert, auch wenn sie im Rahmen von bereichsspezifischen Lernprozessen thematisiert werden. Die heute in Lehrwerken integrierten Lernstrategiemaßnahmen oder Lernstrategiesammlungen (vgl. C HAMOT [et al.] 1999; R AMPILLON 1985; S CHARLE / S ZABO 2000) operieren vorwiegend auf dieser allgemeinen Ebene von vielfältigen beobachtbaren Lerntechniken. Ferner ist nicht zu übersehen, dass metakognitive Lernstrategien zur Steuerung oder Kontrolle des eigenen fremdsprachlichen Lernens gerade auch jüngeren oder weniger erfahrenen Lernern eher zugänglich zu machen sind als bereichsspezifische kognitive Lernstrategien. Bei Fragebogenerhebungen sind sie entsprechend deutlicher in den Aussagen vertreten (siehe N OLD / H AUDECK / S CHNAITMANN 1997). Als besonders vielversprechend haben sich die Strategien zum selbstständigen Fremdsprachenlernen erwiesen (siehe F INKBEINER 2005). Die Aneignung von kognitiven Lernstrategien kann umso besser angeregt werden, desto stärker die Lerner sich mit konkreten Lernprozessen auseinandersetzen und dabei letztlich ihre eigenen Lernstrategien entwickeln (siehe H AUDECK 2008). Diese Ebene reicht in die unmittelbaren Unterrichtsprozesse hinein. Ein gelungenes Beispiel für ein Strategietraining zu Lesestrategien, das sich in den Fremdsprachenunterricht jüngerer Lerner einbetten lässt, ist das Programm „Text Detectives“ (G AILE / G OLD / S OUVIGNIER 2007a, b). Hier wird angeregt, Texte mit Lesestrategien zu erschließen, wobei der mögliche Nutzen der Lesestrategien bewusst angesprochen wird. Die Forschungsergebnisse geben darüber hinaus vielfältige Hinweise dazu, in welcher Bereichsspezifische Lernstrategien (Lerninteresse) Motivation Fremdsprachliche Kompetenzen (Thematisches) Interesse Unterricht im Einklang mit strategischen Anforderungen Bereichsspezifisches Vorwissen 48 Günter Nold 38 (2009) Weise die Aneignung bereichsspezifischer Lernstrategien indirekt unterstützt werden kann, sei es in Verbindung mit einem Lernstrategietraining, sei es durch Maßnahmen, die das Netzwerk von interagierenden Variablen unter lernstrategischen Gesichtspunkten im Auge haben. Vorwissen, Interesse, Motivation und eine Unterrichtsgestaltung, die den Einsatz von tiefenverarbeitenden Lernstrategien lohnend macht, sind die Hebel zur Optimierung von lernstrategischen Kompetenzen. In der Unterrichtsforschung wird hier von der Prozessqualität und dem Anspruchsniveau von Unterricht gesprochen. Beispiele für diese Prozessqualität im Fremdsprachenunterricht sind u.a. eine positive Fehlerkultur, das Unterrichtsklima, thematische Motivierung, Verständlichkeit; Beispiele für das Anspruchsniveau sind u.a. die Wichtigkeit der Kommunikation und der Korrektheit, der instrumentellen Motivation sowie der Integration der Hausaufgaben (H ELMKE / H ELMKE / S CHRADER / W AGNER / K LIEME / N OLD / S CHRÖDER 2008: 389). Ein besonderes Augenmerk ist auch auf die unterschwelligen Mitteilungen des Fremdsprachenunterrichts an die Lerner zu richten. Wenn beispielsweise die Anforderungen bei der Leistungsüberprüfung andere Strategien sinnvoll erscheinen lassen als die Herausforderungen der Lernprozesse, stellen sich Lerner im Kontext Schule auf die Arten von strategischem Lernen ein, die ihnen zu einem möglichst guten Abschneiden bei der Leistungsüberprüfung verhelfen (siehe H AUDECK 2008). Eine effektive Förderung lernstrategischer Kompetenzen im Fremdsprachenunterricht richtet daher die Aufmerksamkeit sowohl auf die Lernenden als auch auf die Lehrenden. Literatur C HAMOT , Anna Uhl / B ARNHARDT , Sarah / B EARD E L -D INARY , Pamela / R OBBINS , Jill (1999): The Learning Strategies Handbook. White Plains, NY: Longman. DESI-K ONSORTIUM (Hrsg.) (2008): Unterricht und Kompetenzerwerb in Deutsch und Englisch. Ergebnisse der DESI-Studie. Weinheim und Basel: Beltz. C OLLINS , Allan / B ROWN , John Seeley / N EWMAN , Susan E. (1989): „Cognitive Apprenticeship: Teaching the Crafts of Reading, Writing, and Mathematica“. In: R ESNICK , Lauren B. (Hrsg): Knowing, Learning and Instruction. Hillsdale, NJ: Erlbaum, 453-494. E ICHLER , Wolfgang / N OLD , Günter (2007): „Sprachbewusstheit“. In: B ECK , Bärbel / K LIEME , Eckhard (Hrsg.): Sprachliche Kompetenzen. Konzepte und Messung. DESI-Studie. Weinheim: Beltz, 59-78. E LLIS , Rod (1994): The Study of Second Language Acquisition. 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