eJournals Fremdsprachen Lehren und Lernen 38/1

Fremdsprachen Lehren und Lernen
flul
0932-6936
2941-0797
Narr Verlag Tübingen
Es handelt sich um einen Open-Access-Artikel, der unter den Bedingungen der Lizenz CC by 4.0 veröffentlicht wurde.http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/121
2009
381 Gnutzmann Küster Schramm

Kulturelle und soziale Aspekte von Lernstrategien und individuellem Strategiegebrauch

121
2009
Barbara Schmenk
flul3810070
* Korrespondenzadresse: Dr. Barbara S CHMENK , Associate Professor, Dept. of Germanic and Slavic Studies University of Waterloo,W ATERLOO , ON N2L 3G1, Canada. E-mail: bschmenk@uwaterloo.ca Arbeitsbereiche: Applied Linguistics, Deutsch als Fremdsprache. ** Ich danke Mareike Müller für die Durchsicht und Korrekturen dieses Beitrags. 38 (2009) B ARBARA S CHMENK * Kulturelle und soziale Aspekte von Lernstrategien und individuellem Strategiegebrauch ** Abstract. This article focuses on two issues related to the study and teaching of language learning strategies: How do individuals differ in their language learning strategy use; and what implications do individual differences have for the study and teaching of language learning strategies? The article starts off with an overview of research into individual differences in strategy use. Some issues and problems arising from this research are subsequently discussed in more detail, with a particular focus on studies of the influence of culture and gender on individual learners’ strategy use. Implications of this research and its inherent difficulties and problems are then discussed with a dual focus. First, the article draws some tentative conclusions for research into individual differences in language learning strategy use. Second, it discusses implications for strategy training in language teaching and learning environments. 1. Einleitung Die Forschungslage im Bereich Lernstrategien ist auch über 10 Jahre nach Erscheinen des im deutschen Sprachraum breit rezipierten Bandes von R AMPILLON / Z IMMERMANN (1997) weiterhin von Offenheit und vielen ungeklärten Fragen gekennzeichnet. Vieles, was man damals kritisch anmerkte und zu bedenken gab, ist bis heute ungeklärt. Das gilt insbesondere für die konzeptuelle Unschärfe des Strategiebegriffs selbst sowie für die entsprechenden Unklarheiten zur Erhebung bzw. Messung des Konstrukts (G ROTJAHN 1997 und Z IMMERMANN 1997, in jüngerer Zeit nicht minder kritisch D ÖRNYEI 2005 oder T SENG [et al.] 2006). Das Diktum von Zimmermann gilt insofern weiterhin: „Was wir in der Fremdsprachenforschung brauchen, um einen tragfähigen Diskurs in der scientific community zu gewährleisten, sind theoretisch begründete Rahmenkonzeptionen, aus denen sich die einzelnen Begriffe des Wortfeldes ‚Strategie‘ ableiten lassen“ (Z IMMER - MANN 1997: 108). Trotz bzw. auch wegen der konzeptuellen Unklarheiten ist es wichtig, sich den bislang erreichten Forschungsstand vor Augen zu führen, um eine Zwischenbilanz zu ziehen. Denn es lässt sich eindeutig resümieren, dass bei aller Unklarheit der zentralen Konstrukte „Lernstrategie“ und „Strategiegeleitetes Fremdsprachenlernen“ doch ein ungeheurer Erfolg des Strategiebegriffs in der Fremdsprachendidaktik zu verzeichnen ist. Kein Lehrwerk etwa kommt heute noch ohne Lerntipps oder Reflexionen über Lerntechniken Kulturelle und soziale Aspekte von Lernstrategien und individuellem Strategiegebrauch 71 1 Selbst die Pionierin der Strategieforschung im deutschsprachigen Raum, Ute Rampillon, akzeptierte nach anfänglichem Zögern, dass sich der Strategiebegriff im Alltagsgebrauch und in der Didaktik durchgesetzt und den Begriff der Lerntechniken abgelöst bzw. sich einverleibt hat (vgl. R AMPILLON 1985, 1997, 2000; B IMMEL / R AMPILLON 2000: 54). 38 (2009) bzw. Lernstrategien aus 1 , und das Stichwort Lernstrategie gehört mittlerweile in jede fachdidaktische Überblicksveranstaltung und -publikation. Das wiederum zeigt deutlich, dass mit dem Strategiebegriff eine bestimmte ‚Marktlücke‘ gefüllt werden konnte, die andere Konstrukte in der Fremdsprachendidaktik nicht zu bedienen vermochten. Rückblickend kann man an dieser Stelle festhalten, dass es zwei unterschiedliche Marktlücken bzw. Bedarfslagen sind, die die Strategieforschung zu füllen verspricht. Die erste Marktlücke wurde in Nordamerika im Zuge des Good Language Learner und vergleichbarer Projekte sichtbar (N AIMAN [et al.] 1978). Hier ging es darum, individuelle Unterschiede zwischen Lernenden zu erfassen, die als ursächlich für den Lernerfolg anzusehen seien. Das spezifische Strategieverwendungsprofil von Lernenden geriet in diesem Zusammenhang ins Visier der Forschung, da es eine wichtige Rolle für den Erfolg bzw. Misserfolg im Sprachenlernen zu spielen schien (vgl. z. B. R UBIN 1975, O’M ALLEY / C HAMOT 1990, W ENDEN / R UBIN 1987). Die zweite Marktlücke, die der Strategiebegriff zu füllen verspricht, entstand aufgrund eines spezifisch didaktisch-erzieherischen Bedarfs, nämlich der Suche nach Möglichkeiten zur Realisierung von Lernerorientierung im Fremdsprachenunterricht. Die Hinwendung zum individuellen Lernenden, zu individuellen Formen und Profilen des Lernens selbst sowie der individuellen Lernprozesse erforderte die Berücksichtigung von individuell unterschiedlichen Lernformen und Persönlichkeiten von Lernenden. Mit dem Konstrukt der Lernstrategien ist ein großes Potenzial und die Hoffnung verbunden, gerade diese individuellen Lernenden und ihre jeweiligen Lernprofile besser verstehen und fördern zu können. Rasch entwickelte sich hier eine didaktisch-pädagogische Argumentation, die Lernstrategieverwendung als wichtigen Bestandteil des Lernen Lernens und der Lernerautonomie konzipierte (vgl. dazu O XFORD 1990, R AMPILLON 1997, 2000, S CHMENK 2004b, 2008). Dieses Anliegen, die Erforschung individueller Verwendung von Lernstrategien, soll im Folgenden genauer unter die Lupe genommen werden. Denn dahinter verbergen sich zwei unterschiedlich ausgerichtete Ziele und Interessen der Strategieforschung, die ihrerseits Implikationen für unser Verständnis von Lernstrategien haben, und zwar insbesondere dann, wenn wir uns Fragen nach der Relevanz von sozialen und kulturellen Aspekten des individuellen Strategiegebrauchs zuwenden. 2. Individuelle Lernstrategieverwendung erforschen: Wie und warum? In einem neueren Überblick zum Stand der Erforschung von Lernstrategien heißt es: „Learning strategies are important in second language learning and teaching for two major reasons. First, by examining the strategies used by second language learners during the language learning process, we gain insights into the metacognitive, cognitive, social, and 72 Barbara Schmenk 38 (2009) affective processes involved in language learning. The second reason supporting research into language learning strategies is that less successful language learners can be taught new strategies, thus helping them become better language learners“ (C HAMOT 2005: 112). Beide hier angegebenen Gründe zur Beschäftigung mit Lernstrategien entsprechen in Grundzügen den bereits oben angedeuteten zwei unterschiedlichen Bedarfslagen und Richtungen, die man in der Lernstrategieforschung heute ausmachen kann. So ist es erstens das Anliegen vieler Studien, das Lernstrategieverwendungsprofil von Lernenden zu erheben. Zu diesem Zweck werden bis heute weltweit mehrheitlich Forschungsdesigns verwendet, die sich am Strategy Inventory for Language Learning (= SILL; O XFORD 1990) orientieren (vgl. die Überblicksdarstellungen bei C HAMOT 2004, 2005, C OHEN 2007, D ÖRNYEI 2005, M ACARO 2006, W HITE [et al.] 2007). Daneben existieren inzwischen auch Studien, die eher qualitativ-interpretativer Art sind und die sich nicht nur auf Daten stützen, die mit Hilfe von Selbsteinschätzungsskalen erhoben wurden (wie das beim SILL und seinen Varianten der Fall ist), sondern die auf andere Erhebungsmethoden zurückgreifen, wie etwa Interviews oder Laut-Denk-Protokolle (vgl. C HAMOT 2005 und W HITE [et al.] 2007; vgl. auch die umfangreich dokumentierten qualitativ-explorativen Studien von G RIFFITHS 2003, L IN 2008, S TORK 2003 oder W ÜRF - FEL 2006). Zweitens dient die Erforschung individueller Unterschiede in der Verwendung von Lernstrategien auch pädagogischen und didaktischen Zwecken. Man geht davon aus, dass Fremdsprachenlernen durch gezielten und reflektierten Einsatz von Lernstrategien erfolgreicher und effektiver verlaufen kann. Gelingt es, die Strategieverwendungsprofile erfolgreicher Lerner zu bestimmen, so hofft man, dann sollte es auch möglich sein, gezielte Strategietrainings zu entwickeln. Dadurch sollen möglichst alle Lernenden in die Lage versetzt werden, Lernstrategien effektiver und sinnvoller einzusetzen, um ihre Leistungen zu verbessern (vgl. C HAMOT / O’M ALLEY 1994, C HAMOT 2004, 2005, C OHEN 1998, H SIAO / O XFORD 2002, M ACARO 2006, O XFORD 1990, 2003, R UBIN [et al.] 2007). Diese zweite Zielsetzung wird immer wieder genannt; sie ist bislang allerdings noch kaum systematisch erforscht worden. Das dürfte hauptsächlich an der Komplexität liegen, die mit entsprechenden Unterrichtsforschungsdesigns verbunden ist. Wohl deshalb müssen sich viele Publikationen in diesem Punkt mit Behauptungen statt empirischen Nachweisen zufrieden geben: Es ist intuitiv nachvollziehbar, dass Strategieverwendung im Unterricht erprobt, geübt, trainiert und i. w. S. thematisiert werden sollte. Wie das allerdings genau aussehen kann oder gar auszusehen hat und welchen Effekt oder Nutzen welche Formen des Strategie-Übens wiederum in welchen unterrichtlichen Zusammenhängen und im Rahmen welcher konkreten fremdsprachlichen Lernaufgaben bei individuellen Lernenden haben, ist nach wie vor noch weitgehend ungeklärt. Hier haben wir also ein hochkomplexes und spannendes Feld vor uns, dem sich zukünftig weitere Arbeiten widmen können und das sicherlich von immenser Bedeutung für das Lehren und Lernen von Sprachen ist. Abgesehen von den Forschungsdesiderata, die sich hier abzeichnen, kann man zwei Punkte zum Stand der Strategieforschung, ihren Zielen und Formen aus den oben aufgeführten beiden unterschiedlichen Zielsetzungen ableiten. So gilt es erstens als anerkannte und in vielen empirischen Studien nachgewiesene Tatsache, dass die Verwendung von Kulturelle und soziale Aspekte von Lernstrategien und individuellem Strategiegebrauch 73 38 (2009) Lernstrategien beim Lernen von Sprachen individuell unterschiedlich erfolgt. Das Lernstrategienutzungsprofil einzelner Lernender ist somit zu einem wichtigen Bezugspunkt bzw. Kriterium geworden, den bzw. das man im Rahmen der Untersuchung und Anerkennung individueller Lerner-Faktoren beim Fremdsprachenlernen selbstverständlich berücksichtigt. Zweitens werden der Wert und die pädagogisch-didaktische Relevanz von Lernstrategietraining und der Förderung von sinnvollem, d.h. individuell variiertem und angemessenem, aufgabenadäquatem und reflektiertem Strategiegebrauch beim Lernen von Sprachen heute kaum mehr in Zweifel gezogen (wenn auch detaillierte und konkrete empirische Nachweise und Vergleichsstudien noch ausstehen und die entsprechende Forschung in den Kinderschuhen steckt). Beide Beobachtungen lassen sich an dieser Stelle resümieren: 1. Lernende unterscheiden sich hinsichtlich der von ihnen verwendeten Lernstrategien, und zwar sowohl hinsichtlich der Art der Strategien als auch hinsichtlich ihrer Kombination und Verwendungsfrequenz. 2. Durch gezielte Hilfestellung (Training) bzw. pädagogische und/ oder didaktische Maßnahmen (Üben, Anwenden, Ausprobieren, Demonstrieren, Reflektieren etc.) lassen sich individuelle Lernstrategieverwendungsmuster ändern, so dass Lernende bei der Bewältigung von Sprachlernaufgaben über ein breiteres Strategierepertoire verfügen können. Punkt 1 betrifft die deskriptiv-analytische, empirisch orientierte Dimension der Strategieforschung, Punkt 2 die pädagogisch-didaktische Dimension, die mit der Erforschung von Lernstrategien verbunden ist. Beide Punkte - so einsichtig sie auf den ersten Blick scheinen mögen - stehen allerdings in einem gewissen Spannungsverhältnis zueinander. Das wird besonders dann deutlich, wenn man den Blick auf diejenigen Forschungsergebnisse und -studien richtet, die sich mit sozialen und kulturellen Aspekten von Lernstrategieverwendung befasst haben. 3. Individuelle Unterschiede und Lernstrategieverwendung: Kultur, Geschlecht, soziale Aspekte Es klingt zunächst fast banal: Individuelle Unterschiede bei der Verwendung von Lernstrategien spiegeln individuelle Unterschiede wider, die Lernende auch im Leben außerhalb des Fremdsprachenlernens aufweisen. Die beiden Unterscheidungskriterien, auf die die meisten Studien in diesem Zusammenhang zurückgreifen, sind Kultur und Geschlecht. Schon seit Beginn der (nordamerikanischen) Lernstrategieforschung gab es Versuche, Strategieverwendung und Kultur bzw. Geschlecht zu korrelieren. Kulturelle Unterschiede (verstanden als unterschiedliche Herkunft der Lernenden, oft gleichgesetzt mit Nationalität oder Ethnizität, s. u.), so die Vermutung, manifestieren sich in vielen beobachtbaren Verhaltensweisen, Einstellungen oder „Mentalitäten“, und das spiegelt sich auch im Rahmen von Fremdsprachenlernen und insbesondere Strategieverwendung wider. Dasselbe Prinzip gilt für Vermutungen zur Rolle des Lernergeschlechts: Unterschiede zwischen weiblichen und männlichen Lernenden ließen sich demnach auch in 74 Barbara Schmenk 38 (2009) ihrem jeweiligen Strategieverwendungsprofil ausmachen. Es gibt eine Reihe von Studien, die den Einfluss dieser Faktoren untersucht haben. 3.1 Kultur und Lernstrategien Zweifellos hat der kulturelle Hintergrund von Lernenden einen Einfluss auf ihre jeweilige Art der Strategieverwendung. Wir sind alle durch das spezifische Bildungssystem, in dem wir Sprachen gelernt haben, in unserem Lernverhalten in gewisser Weise geprägt bzw. sozialisiert worden. Unsere Erfahrungen in schulischen und außerschulischen Lernkontexten, mit bestimmten Lern- und Arbeitsmaterialien, mit bestimmten curricular übergreifend festgelegten thematischen Schwerpunkten und unterrichtsmethodischen Vorgaben etc. spielen sicher eine Rolle, wenn wir erklären wollen, warum wir so und auf diese spezifische Weise Sprachlernaufgaben angehen, wie wir uns das Sprachenlernen und Üben vorstellen, wie wir mit fremdsprachlichen Texten umgehen etc. Wer etwa einen sehr form-fokussierten schulischen Fremdsprachenunterricht erlebt hat, in dem bestimmte Übungstypen dominierten, der wird bestimmte Strategien, die in diesem Unterricht implizit oder explizit gefördert bzw. verlangt wurden, erworben haben (wahrscheinlich eher solche Strategien wie diejenigen, die Rebecca Oxford als „kognitive“ bezeichnet). Wer im Fremdsprachenunterricht viel Gruppen- und Projektarbeit hat durchführen müssen, wird ebenfalls bestimmte Strategien erworben haben (wahrscheinlich so genannte „soziale“ oder vielleicht auch kompensatorische Strategien). Es ist anzunehmen, dass solche Zusammenhänge bzw. Einflüsse von Lernerfahrungen auf individuelle Strategieverwendung existieren. So einleuchtend solche Vermutungen erscheinen mögen, so schwer erweist sich allerdings ihre empirische Erforschung. Zudem betritt man bei dem Versuch, kulturelle Einflüsse auf die Lernstrategieverwendung zu bestimmen, ein politisches und ethisches Minenfeld. Das folgende Beispiel aus einem der ersten breit rezipierten Forschungsüberblicke in diesem Bereich lässt das bereits erahnen: O XFORD / C ROOKALL (1989: 410) berichten unter Rückgriff auf die Arbeiten von M C G ROARTY (1987, 1988), dass „national [sic! ] origin (Hispanic versus Asian) had a strong influence on strategy choice“. Zudem nennen sie einige Studien, die Geschlechterunterschiede bei der Strategieverwendung gezeigt haben (siehe dazu unten mehr). Sie schließen ihre Fragen zu diesen Befunden an: „Are the observed ethnic and sex LLS differences consistent over many studies? What are the reasons for ethnic and sex differences - sociocultural expectations, genetic inheritance, or some combination? “ (O XFORD / C ROOKALL 1989: 414). In diesen Worten zeichnet sich ab, dass die Suche nach Unterschieden zwischen sozialen Gruppen sehr problematisch sein kann. Man muss deshalb warnend vorwegnehmen: Solche Einflüsse pauschal als „kulturell“ oder „kulturbedingt“ zu bezeichnen, basiert auf einem vereinfachten und essentialistischen Konzept von „Kultur“ (d.h., Kultur wird als so etwas wie eine Essenz von Personen verstanden, die einer kulturellen Gruppe angehören). Diese Argumentationsstruktur droht uns in eine Sackgasse zu führen. In dieser Sackgasse befindet man sich derzeit mehrheitlich in der internationalen Strategieforschung; denn hier dominiert das Forschungs- Kulturelle und soziale Aspekte von Lernstrategien und individuellem Strategiegebrauch 75 2 Es geht in diesen Forschungen darum zu messen, wie oft Lernende bestimmte Strategien verwenden (bzw. welche Angaben sie zur Verwendungsfrequenz machen), d. h. um eine rein quantitative Größe. 38 (2009) paradigma Kulturvergleich von Strategieverwendung (genauer: von Selbsteinschätzungen zur Strategieverwendung). Das Kulturvergleichsparadigma basiert auf einer Generalisierung von Gruppenzugehörigkeit, die als ausschlaggebender Faktor für die Strategieverwendung angesehen wird. Damit einher geht ein bestimmtes Forschungsdesign: Lernende werden aufgrund ihrer Gruppenzugehörigkeit (i. d. R. Nationalität) als Strategieverwender beforscht. Gemäß dem momentan am häufigsten praktizierten Forschungsdesign geschieht das mit Hilfe des SILL: Die Probanden geben entsprechend Auskunft über ihre geschätzte Strategieverwendungsfrequenz (der SILL arbeitet ja mit einer Likert- Skala zur Einschätzung von Strategiegebrauchsfrequenz). 2 Daraus wird ein gruppenübergreifender Mittelwert für Einzelstrategien wie auch für Strategiegruppen errechnet (z. B. Sätze nach dem Muster: Mitglieder von Kulturgruppe x weisen einen hohen oder moderaten Gebrauch von metakognitiven Strategien auf). Im Ergebnis formuliert man also generalisierende Aussagen über die Strategieverwendungspräferenzen von kulturellen oder nationalen Gruppierungen, wie das folgende Beispiel zeigt: „Cultural background affects strategy choice. Because of Hispanics’ global and field dependent style preference [...], many Hispanic ESL/ EFL students choose particular learning strategies, such as predicting, inferring (guessing from context), avoiding details, working with others rather than alone, and basing judgements on personal relationships rather than logic“ (O XFORD 1996: xi). Neben der Gleichsetzung von Nationalität, Ethnizität und Kultur zeigen solche Argumentationsstrukturen stark verallgemeinerte Aussagen über Lernende aus verschiedenen Regionen der Welt, die miteinander verglichen werden: „In contrast, many Japanese ESL/ EFL students reflectively use analytic strategies aimed at precision and accuracy, search for small details, work alone, and base judgments more on logic than on personal interactions“ (ebd.). Fast zwangsläufig werden dergleichen Generalisierungen dann mit Hilfe pauschaler Verweise auf „Kultur“ zu erklären versucht: „Cultures that encourage concrete-sequential learning styles (such as those of Korea or some Arabic-speaking countries) often produce widespread use of rote memorization strategies, while more flexible strategies (though not always higher order thinking strategies) and a more facilitative view of teachers are often found among North Americans“ (ebd.). Hier ist unschwer zu erkennen, dass solche Pauschalaussagen nicht selten auch mit stereotypen Vorstellungen über „Kulturen“ oder „Mentalitäten“ assoziiert werden: „Extroverted learning styles, such as those of many Hispanics and Arabic speakers, are related to the use of social strategies for learning“ (ebd.). Bei dergleichen Ausführungen handelt es sich primär um stereotypisierende Pauschalaussagen. Ähnliche Argumentationsmuster finden sich auch in anderen Publikationen, die sich der Kategorie Kultur widmen und deren Einfluss auf das Lernstrategieverwendungsprofil zu bestimmen suchen (z. B. B EDELL / O XFORD 1996, G REEN / O XFORD 1995, O XFORD / B URRY -S TOCK 1995, S HMAIS 2003. Vgl. auch die Überblicksdarstellung von C HAMOT 2004, M ACARO 2006, T AKEUCHI [et al.] 2007). 76 Barbara Schmenk 3 Erwähnt seien hier auch neuere Versuche, Strategieverwendungsprofile und die Religionszugehörigkeit von Lernenden zu korrelieren. Auch dabei geht es um einen kontrastiven Zugriff; verglichen werden allerdings Lernergruppen, die je nach Religionszugehörigkeit unterschieden werden. Motivation solcher Arbeiten ist, auch die Religion, die in unserer Zeit speziell im Konflikt zwischen so genannten „westlichen“ Ländern und Regionen und „nicht-westlichen“ Teilen der Welt zunehmend an Relevanz gewinnt, als potenziellen Einflussfaktor auch für das Sprachenlernen in die wissenschaftliche Diskussion einzuführen. Arbeiten wie die von L IYANAGE [et al.] (2004) mit Lernenden in Sri Lanka machen deutlich, dass Studien zum Strategieverwendungsprofil von Sprachenlernenden anhand ihrer Gruppenzugehörigkeit nicht nur pauschal durch Nationalität, sondern auch ebenso pauschal durch Religionszugehörigkeit gemessen werden können. Hier sind wohl auch zukünftig weitere Arbeiten zu erwarten, die nach demselben Muster verfahren: Gesellschaftlich relevante Gruppen bzw. Gruppenzugehörigkeiten werden als potenzielle Faktoren interpretiert, denen man einen Einfluss auf das Sprachlernverhalten zuschreibt. Durch Vergleiche von SILL-Ergebnissen oder anderer Testergebnisse der Mitglieder dieser Gruppen wird auf diese Weise versucht, die Unterschiedlichkeit der Gruppen bzw. ihrer Mitglieder auch im Bereich des Sprachenlernens nachzuweisen. Dabei ist auch hier anzumerken, dass man ohne Kenntnisse der Lerngewohnheiten einzelner Religionszugehöriger (wie auch „Kulturzugehöriger“) keinesfalls Rückschlüsse darauf ziehen kann, warum und wie die Konfession (oder eine Kultur) das Sprachlernstrategieprofil Einzelner beeinflussen könnte. Pauschale Kategorisierungen nach Nationalität oder Religion ersetzen schließlich keine Erforschung individueller Lerngewohnheiten und Strategieverwendungsweisen. 38 (2009) Das Problem, mit dem wir es hier zu tun haben, ist Folge eines Kurzschlusses, der dem Kulturvergleichsparadigma zugrunde liegt. Denn hier wird (meist implizit) die Gruppenzugehörigkeit (bzw. Nationalität) einzelner Lernender als ausschlaggebend für ihre individuellen Lernvorlieben und -strategieverwendungsweisen konzipiert. Nicht die individuellen Erfahrungen werden beleuchtet, sondern diese werden schon von vornherein qua Forschungsdesign als homogen und gruppenspezifisch inferiert: Schließlich vergleicht man ja die Testergebnisse von verschiedenen Gruppen bzw. deren Durchschnittswerte, nicht die Ergebnisse einzelner Lernender. Pauschal unterstellt ein solches Forschungsdesign somit auch zwangsläufig (und ebenfalls fast immer implizit) die Gleichförmigkeit und grundsätzliche Vergleichbarkeit der Lernerfahrungen von denjenigen, die in derselben „Kultur“ bzw. im selben Land aufwachsen. Ein solches kulturkontrastives Forschungsdesign basiert somit auf der meist unreflektiert bleibenden Vorannahme, dass die Gruppenmitglieder wie auch ihre Erfahrungen im Wesentlichen homogen seien, wobei zugleich der Fokus auf den Unterschied zwischen verschiedenen Gruppen gerichtet wird, was wiederum eine Verstärkung und Maximierung des Kulturkontrasts bewirkt. Intragruppenunterschiede werden eliminiert bzw. übergangen zugunsten der gesuchten Intergruppendifferenz. 3 Wie und warum Lernende bestimmte Strategien verwenden und wie sich dies auf ihren Sprachlernerfolg auswirkt, kann eine auf quantitativen Selbsteinschätzungsangaben beruhende und auf Kulturvergleich ausgerichtete Forschung nicht erfassen. Angemessener wäre es deshalb, wenn sie sich individuellen Unterschieden zuwenden würde, die sich auch zwischen den Mitgliedern derselben „Kultur- und Sozialisationsgemeinschaft“ auftun. Dadurch würde zudem der pauschale Kulturvergleich differenziert, denn man könnte dann zugestehen, dass manche besser, manche schlechter beim Sprachenlernen abschneiden, wobei jeweils am Einzelfall zu prüfen wäre, ob dies möglicherweise trotz, wegen oder auch gar nicht in unmittelbarer Abhängigkeit von ihrer kulturell geprägten Strategiesozialisation geschieht. Kulturelle und soziale Aspekte von Lernstrategien und individuellem Strategiegebrauch 77 38 (2009) Die simple Auffassung von Kultur als einer Gruppenprägungsinstanz bedarf also der Korrektur, wenn man die Strategieforschung in diesem Bereich voranbringen möchte. Hier ist mit Georg A UERNHEIMER in Erinnerung zu rufen, dass Kultur beileibe kein einseitiger Prägemechanismus ist, sondern dass wir unsere kulturelle Identität immer auch mitgestalten, indem wir uns zu unseren Erfahrungen und der uns umgebenden Welt verhalten, d. h. uns potenziell auch von ihr distanziert betrachten und uns als ein kulturelles Selbst entwickeln können. Das gilt auch für das Lernen von Fremdsprachen und die Verwendung von Lernstrategien: Wir sind keineswegs „kulturelle Herdentiere“, zwangsläufig einer „kulturellen Prägung“ ausgeliefert: „Sehr wichtig ist, dass ‚kulturelle Identität‘ nicht mit kultureller Prägung verwechselt werden darf, wie es alltagssprachlich üblich ist. Sie ist zu unterscheiden von dem, was der Soziologe Bourdieu ‚Habitus‘ nennt, also die im Enkulturationsprozess verinnerlichten Wahrnehmungs-, Bewertungs- und Handlungsschemata [...]. Ich kann kulturelle Eigenheiten zum Beispiel kaschieren, verleugnen oder stilisieren. Dabei sind in der Regel soziale Zuschreibungen hintergründig relevant. Meine soziale Selbstverortung ist daher die zweite Dimension von kultureller Identität, die auch problematische Formen, etwa die ‚Selbstethnisierung‘, annehmen kann. Ein drittes ist der jeweilige Umgang mit den verfügbaren kulturellen Symbolbeständen, also Religion, Sprache(n), (sub)kulturellen ästhetischen Praxen etc. Der Einzelne kann sie umdeuten, neu auslegen, selektiv verwenden, verwerfen. Schließlich ist für die ‚Selbstnarration‘ das subjektive Verhältnis zur Geschichte der eigenen Gruppe, der man sich zurechnet, bedeutsam“ (A UERNHEIMER 2007: 69 f.). Mit anderen Worten: Wir sind niemals einfach nur Reproduzenten derjenigen (Lern-)Kulturen, in denen wir sozialisiert werden, sondern wir setzen uns mit diesen auch auseinander und entwickeln uns und unsere Lernstrategieverwendung im dialektischen Verhältnis zu unserem sozialen und kulturellen Umfeld. In diesem Sinne bedarf es eines sozialkonstruktivistischen Verständnisses von Kultur, mit dessen Hilfe es möglich ist, die Essentialisierungen von Kultur und Identität zu differenzieren (D ANNENBERG 2002) und Lernende nicht nur als kulturell Geprägte, sondern zugleich als kulturelle Akteure, und mit Blick auf das Lernen von Sprachen auch als Lerngestalter zu erfassen. Notwendig ist deshalb eine deutliche Korrektur sowohl der Forschungsrichtung als auch der Erkenntnisinteressen von empirischer Forschung der individuellen Strategieverwendung, wenn man sich den Abgründen des mit dem Kulturvergleichsparadigma nahezu zwangsläufig verbundenen Pauschal(ver)urteilens fernhalten bzw. entwinden möchte. Um Einflüsse bestimmter kultureller und/ oder sozialer Faktoren zu erkunden, muss sich die Forschung den individuellen Lernenden zuwenden und versuchen zu verstehen, was sie jeweils wie tun, wenn sie lernen. Für unseren Zusammenhang bedeutet das zunächst, dass kulturelle oder religiöse (wie auch sonstige soziale) Einflüsse und Bedingungen zwar zweifellos auch beim Verwenden von Lernstrategien eine Rolle spielen können. Wie diese Einflüsse aber konkret aussehen und welche Formen sie im Einzelfall annehmen, kann nicht durch eine pauschalisierende Zuweisungsspekulation geklärt werden. Vielmehr verhindert das bislang gemäß dem Kulturvergleichsparadigma gesammelte Wissen zum kulturbedingten Strategieverhalten einen klareren Blick darauf, wie komplex bisweilen das Lernverhalten Einzelner im 78 Barbara Schmenk 38 (2009) Kontext ihrer schulischen und außerschulischen (Lern-)Erfahrungen, Leistungen und Biographien verwoben ist. Statt Einzelne pauschal zu „Kulturgeprägten“ oder zu durch andere Gruppenzugehörigkeiten „Geprägte“ zu erklären, dürfte es in jedem Fall erhellender sein, sie und ihre Erfahrungen erst einmal genauer in den Blick zu nehmen, um zu klären, inwiefern man überhaupt von „Einfluss“ sprechen kann und auf welche Weise sich welche Einflüsse wie im Strategieverwendungsprofil niederschlagen. Um das am oben genannten Beispiel zu illustrieren: Wer einen stark form-fokussierten schulischen Fremdsprachenunterricht erlebt hat, hat mit hoher Wahrscheinlichkeit auch bestimmte Lernstrategien, die im Unterricht explizit oder implizit gefördert wurden, erworben. Das heißt jedoch nicht, dass man hier einfach einen Automatismus bzw. Prägemechanismus unterstellen kann. Es ist denkbar, dass diejenigen, die entsprechende Erfahrungen gemacht haben, genau dieselben Techniken verwenden, die sie seinerzeit als Schüler mit Erfolg angewendet haben. Es kann aber auch sein, dass sie sich von diesen Techniken distanzieren, dass sie bewusst andere Strategien einsetzen, oder dass sie Strategien verwenden, die sie in anderen Zusammenhängen erworben haben und nun auf das Fremdsprachenlernen übertragen. In jedem Fall kann man davon ausgehen, dass der Zusammenhang von Kultur, Lernerfahrungen und Strategieverwendung jeweils individuell unterschiedlich ausgerichtet ist; einen direkten und verallgemeinerbaren Einfluss auf die Strategieverwendung bzw. eine bestimmte kulturelle Prägung strategiegeleiteten Lernens kann man nicht einfach annehmen. Beispiele für einen umsichtigeren Umgang mit Kultur im Rahmen der Strategieforschung sind die Studien von L EVINE [et al.] (1996) und G AO (2006). Erstere versuchen unter Rückgriff auf Interviews und Informationen über unterschiedliche Bildungssysteme und Testformen zu begründen, dass Strategieverwendungsvorlieben bei russischen Emigranten in Israel auf ihre spezifischen Erfahrungen in russischen Bildungsinstitutionen zurückzuführen sind. Zwar ist dies immer noch eine recht verallgemeinernde Betrachtung, jedoch wird im Rahmen solcher Argumentationsansätze schon deutlich, dass es nur über individuelle Befragung und Berücksichtigung von konkreten Lernerfahrungen von Einzelnen möglich ist, Rückschlüsse auf eventuelle Einflüsse im Rahmen bestimmter „Lernsozialisationskontexte“ zu ziehen. Dies berücksichtigt G AO (2006) in seiner Studie noch stärker: Er zeigt, dass der jeweilige Lernkontext einen großen Einfluss auf die Strategieverwendung bei Sprachenlernenden hat. Seine Untersuchung mit chinesischen Englischlernern hat deutlich gezeigt, dass diese ihr Strategieprofil ändern, sobald sie sich in anderen Lernkontexten befinden; im konkreten Fall, sobald sie ihre chinesischen Klassenräume verlassen und sich in Großbritannien als Austauschstudierende aufhalten. Das wiederum lässt darauf schließen, dass die Verwendung von Lernstrategien eben nicht festgelegt ist durch kulturelle Prägung, sondern dass Lernende in der Lage sind, ihr gewohntes bzw. eingespieltes Strategieverwendungsmuster blitzschnell zu ändern oder zu ergänzen, wenn sie neuen Anforderungen in einer neuen Umgebung gegenüber stehen. An den Schnittstellen zwischen individuellem Lernprofil, Lernerbiographie und soziokulturellem Umfeld, wie G AOS (2006) Studie andeutet, könnten Forschungsprojekte ansetzen, die es erlauben, mehr über die Dynamik zu verstehen, die mit Kultur und Strategieverwendung verbunden ist. Hier könnten am Einzelfall Fragen geklärt werden Kulturelle und soziale Aspekte von Lernstrategien und individuellem Strategiegebrauch 79 38 (2009) wie: Wie verhalten sich Enkulturation bzw. Sozialisation in bestimmten Bildungs- und Lerntraditionen und -kontexten zu jeweils individuellem Strategieverhalten beim Sprachenlernen? Wie und unter welchen Voraussetzungen werden gewohnte Strategierepertoires überdacht, modifiziert, verfeinert, etc.? Inwiefern können diese zu verbesserten Lernergebnissen in bestimmten Bereichen beitragen? Das sind im übrigen Fragen, die auch von besonderem Interesse für didaktische und pädagogische Handlungs- und Reflexionspotenziale sind. Denn nicht zuletzt steht hier ja implizit die zentrale Frage von und für Lehrende/ n im Mittelpunkt, inwiefern Strategieverwendung im Einzelnen als festgelegt, quasi-konditioniert anzusehen ist, und inwiefern man Lernenden auch andere, neue Strategien beibringen kann. Ich werde auf diese trait-versus-state-Frage der Strategieforschung noch zurückkommen (vgl. auch G AO 2007). 3.2 Geschlecht und Lernstrategien Das Prinzip der Erforschung der Kategorie Geschlecht entspricht dem der Erforschung von Kultur: In Studien zur Rolle des Geschlechts wird in der Regel verglichen, ob sich die Strategierepertoires (bzw. normalerweise die Selbsteinschätzung des eigenen Strategierepertoires) von weiblichen und männlichen Lernenden unterscheiden. Auch hier also geht es primär darum, Lernende zu Gruppen zusammenzufassen und das gruppenspezifische Merkmal (jetzt: die Geschlechtszugehörigkeit) als ausschlaggebenden Einflussfaktor zu erkunden. Im Falle von männlichen und weiblichen Lernenden heißt das, man führt Messungen mit dem Ziel durch zu ermitteln, welches Geschlecht welche Strategien und wie häufig benutzt. Auch diese Studien sind fast ausnahmslos mit Hilfe des SILL durchgeführt worden; und O XFORD selbst hat in den 90er Jahren zahlreiche Arbeiten publiziert, in denen sie über geschlechtstypische Lernstrategieverwendungspotenziale und deren Hintergründe spekulierte (vgl. für einen Überblick vgl. G REEN / O XFORD 1995, O XFORD 1993, 1995, O XFORD / E HRMAN 1995, T AKEUCHI [et al.] 2007, Y OUNG / O XFORD 1997). Mittlerweile haben auch andere Forschende diese Impulse aufgegriffen und versucht, Geschlechtsspezifika beim Strategiegebrauch zu ermitteln und Vermutungen zur Existenz und Begründung einer Geschlechtstypik in der Lernstrategieverwendung anzustellen (z. B. C HAVEZ 2000, P HAKITI 2003, S HEOREY 1999). Bis heute ist es allerdings nicht gelungen, näher zu bestimmen, ob bzw. inwiefern sich die Geschlechter in ihrem Lernstrategiegebrauch tatsächlich unterscheiden. So existieren Studien, die ergeben haben, dass weibliche Lernende generell mehr Strategien häufiger benutzen als männliche, andere hingegen haben gezeigt, dass männliche Lernende mehr Strategien häufiger benutzen als weibliche (vgl. ausführlich dazu S CHMENK 2002a, 2002b). Auch die Art der Strategien - in der Regel klassifiziert nach Vorgaben des Sechs-Kategorien-Modells von O XFORD (1990), an dem sich auch der SILL orientiert - variierte bei männlichen und weiblichen Lernenden in keinen systematisch unterscheidbaren Mustern oder in der jeweiligen Benutzungsfrequenz einzelner Strategien oder Strategiegruppen. Doch trotz der uneinheitlichen Forschungslage wird auf der Basis solcher pauschalen Geschlechtervergleichsstudien versucht, kategoriale Unterschiede zwischen männlichen und weiblichen Lernen- 80 Barbara Schmenk 38 (2009) den zu begründen. Aussagen wie „females are usually more reflective than males and males are more impulsive“ (O XFORD 1995: 38), stehen neben Aussagen wie „females are often more accurate in spelling and grammar than males“ (ebd.), unmittelbar gefolgt von der Aussage, dass „research might suggest that males and females, in general, employ different routes in language learning. More males than females might take the thinking approach, thus focusing on rules, facts, and logic avoiding the more personal interactions. More females than males might like the feeling approach, in which there is a great deal of social interaction, a high degree of empathy, and cooperative learning“ (ebd.: 39). Das Argumentationsmuster, das solchen Aussagen zugrunde liegt, basiert auf der Verallgemeinerung von Geschlechterdichotomien, die mit Vorstellungen zum Sprachenlernen und Strategieverwendungsvorlieben assoziiert werden. Das mag manchen intuitiv einleuchtend erscheinen; bei genauerer Betrachtung jedoch kann man nicht umhin zu erkennen, dass es sich hier lediglich um Spekulationen handelt, nicht um Ergebnisse empirischer Forschung. Unser Verständnis von individuellen Unterschieden in der Strategieverwendung wird dadurch nicht verbessert oder vertieft. Auch die Tatsache, dass die bislang ermittelten Ergebnisse zur geschlechtsspezifisch unterschiedlichen Strategieverwendung widersprüchlich sind, liegt vermutlich darin begründet, dass das dominierende Forschungsparadigma, der pauschale Vergleich von männlichen und weiblichen Lernenden, in ähnliche Sackgassen führt wie der zuvor beschriebene Versuch, kulturspezifische Lernstrategieprofile zu bestimmen - schließlich geht es auch hier darum, männlichen bzw. weiblichen Lernenden eine spezifisch männliche bzw. weibliche Lernform nachzuweisen, was oft unmittelbar in eine Sammlung stereotypisierender Formeln abgleitet, die eher spekulativen Charakter haben (vgl. E HR - LICH 1997, 2001, S CHMENK 2002a, 2002b, 2004a). Dasselbe gilt ebenfalls für Versuche, Geschlechts- und Kulturzugehörigkeit zu korrelieren: Auch hier gerät man in Spekulationen, wenn man pauschal davon ausgeht, dass etwa weibliche Lernende einer bestimmten Nationalität merklich andere Lernstrategien beim Sprachenlernen verwenden als männliche Lernende derselben Nationalität, oder als weibliche Lernende einer anderen Nationalität. Es wundert deshalb nicht, dass die Forschungsergebnisse auch in dieser Frage uneinheitlich sind (z. B. O XFORD 1993, 1995, 1996, 2003, P HAKITI 2003, T AKEUCHI [et al.] 2007, Y OUNG / O XFORD 1997). Nennenswerte Ergebnisse für die Forschung können dergleichen Forschungsansätze also nicht hervorbringen; allerdings sind mit stereotypengesättigten Spekulationen handfeste Probleme und Schwierigkeiten verbunden, wenn man sie auf mögliche Implikationen für die Praxis des Fremdsprachenunterrichts hinterfragt oder gar direkt auf die Praxis zu übertragen versucht. Da drohen nämlich Geschlechterstereotype oder pauschale Kulturvergleiche - aus dem Alltag durchaus bekannt - zu wissenschaftlich belegten Tatsachen erklärt bzw. verklärt zu werden, und auf deren Basis beginnt man womöglich sogar, so etwas wie ein „geschlechtergerechtes“ oder „kulturgerechtes Strategietraining“ zu entwerfen. Im Sinne der Lernerorientierung und des Interesses an der Förderung individueller Lernender muss hier deutlich gewarnt werden: Spekulative Annahmen zur kultur- oder geschlechtsspezifischen Verwendung von Strategien stehen einem am einzelnen Lerner und dessen individueller Förderung orientierten strategiegeleiteten Kulturelle und soziale Aspekte von Lernstrategien und individuellem Strategiegebrauch 81 38 (2009) Fremdsprachenlernen eher im Wege. Wenn man Lernende aufgrund ihrer Gruppenzugehörigkeit zu bestimmten Strategieverwendungstypen erklärt, hat man die Chance vertan, sie und ihren jeweiligen Strategiegebrauch beim Sprachenlernen als individuelle Lernende mit je eigener Lernerbiographie, eigenen Vorlieben und Erfahrungen sowie eigenen Gedanken und Absichten zu sehen bzw. ernst zu nehmen. Wie schon bei „Kultur“ gesehen, ist auch die Kategorie Geschlecht nicht einfach als eine Lernervariable konzipierbar. Das wird auch in neueren kritischen Arbeiten der Fremdsprachenforschung angemahnt: „Rather than seeing gender as an individual variable, we see it as a complex system of social relations and discursive practices, differentially constructed in local contexts“ (N ORTON / P AVLENKO 2004: 504). Das Geschlecht ist also eher zu verstehen im Sinne einer kulturell konstruierten (und beständig neu- und umkonstruierten) bedeutsamen Kategorie. Als bedeutungskonstituierende kulturelle Kategorie hat das Geschlecht in erster Linie Zuschreibungscharakter: Wir assoziieren bestimmte Vorstellungen mit Männlichkeit und Weiblichkeit und schreiben diese dann sowohl Lernenden als auch bestimmten Sprachlernweisen wie z. B. Strategieverwendungsmustern, zu (vgl. zu diesem Attributionsmechanismus des Gendering auch C AME - RON 2005, 2007, S CHMENK 2007). Diese Vorstellungen wiederum können unsere Selbstwie auch Fremdwahrnehmung maßgeblich beeinflussen. Doch wie solche Einflüsse konkret aussehen und wie sie sich im Einzelfall vielleicht auch beim Sprachenlernen und bei der Strategieverwendung niederschlagen, kann nur mit Hilfe sehr differenzierter empirischer Forschungsdesigns erkundet werden. Die pauschale Annahme, männliche und weibliche Lernende entsprächen in ihren Verhaltens- und Lernweisen bestimmten verbreiteten (kulturellen und sozialen) Stereotypen der Geschlechter, ist in jedem Fall zurückzuweisen als wenig hilfreich und bisweilen kontraproduktiv, wenn wir individuelle Unterschiede zwischen Lernenden und ihren Lernstrategieverwendungsmustern verstehen möchten. Ähnlich wie im Fall der Kultur kann man deshalb sagen, dass es zum Verständnis kultureller und sozialer Aspekte des Lernstrategiegebrauchs notwendig ist, keine essentialisierenden Vorstellungen von Geschlecht oder von Kultur zugrunde zu legen, sondern dass es nur mit sozialkonstruktivistischen Auffassungen von Kultur und Geschlecht möglich ist, Lernende als aktive Beteiligte und Schaffende (nicht nur Geprägte) sowohl am eigenen Lernen als auch am außerschulischen Leben zu sehen, ernst zu nehmen und zu verstehen. Das wiederum heißt: Kategorien wie Geschlecht, Kultur oder sonstige soziale Gruppenzugehörigkeiten wie Religionsgemeinschaften etc. sind nicht einfach als gegebene Größen zu akzeptieren und lassen sich nicht per se als „Einflussfaktoren“ konzipieren. Wenn man ihre Relevanz und ihre Bedeutung für individuell unterschiedliche Lerner und deren Lernstrategieverwendung erkunden möchte, muss man zunächst auf den bzw. die individuelle/ n Lerner/ in schauen. Erst dann kann man etwas erfahren über mögliche Einflüsse von Gruppenzugehörigkeiten und wie Einzelne jeweils damit umgehen, ob sie relevant sind und ggf., welche Rolle sie konkret in ihrem Strategieverwendungsprofil spielen. Abschließend sollen hier deshalb Fragen zur Erforschbarkeit bzw. Möglichkeiten und Alternativen der Erforschung von individuellen Unterschieden bei der Lernstrategieverwendung erörtert werden. 82 Barbara Schmenk 38 (2009) 4. Zur Erforschung und Erforschbarkeit individueller Unterschiede in der Verwendung von Lernstrategien Das Forschungsfeld „individuelle Unterschiede beim Lernstrategiegebrauch“ ist, so haben die Ausführungen in diesem Beitrag gezeigt, nach wie vor theoretisch und empirisch weitgehend unerschlossen. Zu diesem Schluss kommen auch jüngst T AKEUCHI [et al.] (2007), die einen Überblick über die internationale Forschung in diesem Bereich geben. Sie resümieren, dass „the individual and situational context in which a learner operates is complex. Learners bring to the learning situation their own individual set of characteristics which influence the outcomes. The aim of strategic classrooms is to foster the development of strategies which will help learners to manage the contextual complexities and achieve a successful outcome given their personal language learning goals. Research to determine how these successful outcomes might best be managed in the context of a wide range of individual and situational variables remains an ongoing challenge for the future“ (T AKEUCHI [et al.] 2007: 92). Für den Bereich der Erforschung von individuellen Unterschieden bei der Verwendung von Lernstrategien gilt somit nach wie vor das, was R IEMER (1997) schon vor über 10 Jahren generell für die Erforschung von individuellen Unterschieden beim Fremdsprachenlernen formuliert hat: Es verläuft individuell und nicht-linear, und es lässt sich nicht anhand von Gruppenmerkmalen vorhersagen oder kategorisieren. Die von ihr formulierte „Einzelgänger-Hypothese“ gilt auch für den Bereich der Erforschung von Lernstrategien: „[D]eutlich [wurde], daß in jedem Einzelfall ein singulärer Faktorenkomplex zu beobachten und zu beschreiben ist. Strukturiert wird der jeweilige Komplex durch individuelle subjektive Theorien der Lerner hinsichtlich der Effektivität spezifischer Variablen bzw. Verhaltensweisen. Diese Theorien fokussieren unterschiedliche Lernhaltungen [...] und reflektieren unterschiedliche fremdsprachenspezifische Erfahrungen, Ziele und Selbstevaluationen sowie affektive und soziale Voraussetzungen. Sie sind außerdem handlungsanleitend, indem sie unterschiedlich ausgeprägte aktive Lernhaltungen auslösen“ (R IEMER 1997: 228f [Hervorh. i. Orig.]). R IEMERS Mahnung, dass man in der Erforschung von individuellen Unterschieden nur dann weiterkommt, wenn man auch den Bereich der subjektiven Theorien mitberücksichtigt, dürfte ebenso für den Bereich der Lernstrategien gelten. Hier sind mittlerweile einige Studien durchgeführt worden, die zeigen, dass individuelle Sprachlernwege (und somit auch die Verwendung von Lernstrategien) immer auf subjektiven Deutungen, Wissen, Haltungen, Einstellungen und Erfahrungen basieren (z. B. B ARCELOS 2006, B ENSON / N UNAN 2005, G ROTJAHN 1998, 2005, K ALAJA 2006, K ALAJA / B ARCELOS 2006, K ALLENBACH 1996). Kategorien wie Kultur und Geschlecht spielen hier sicherlich eine Rolle (wenn man sie nicht per se und unbefragt als feste Größen konzipiert, deren Einfluss zu messen sein könnte). Wichtiger und den individuellen Lernenden angemessener scheint es allerdings, Kultur als eine Dimension zu sehen, die für Individuen und ihr Sprachenlernen in vieler Hinsicht relevant sein kann - sei es durch bestimmte dominierende Erziehungsmuster und Unterrichtsprinzipien oder besonders stark propagierte und geförderte Werte und Einstellungen bestimmter kultureller Gruppen. Welche Rolle Kultur Kulturelle und soziale Aspekte von Lernstrategien und individuellem Strategiegebrauch 83 38 (2009) für individuelle Lernende und ihre Strategieverwendung jeweils spielt, wie sich Einzelne gegenüber ihrem kulturellen, biographischen, situativen Kontexten jeweils verhalten etc., kann jedoch nur im Einzelfall erkundet werden. Ähnliches gilt auch für die Kategorie Geschlecht, der man ebenso wenig einen unmittelbaren Einfluss auf die Strategieverwendungen unterstellen kann. Kulturelle Konstruktionen von Geschlecht, Vorstellungen von Männlichkeit und Weiblichkeit spielen auch im (häufig feminisierten) Bereich des Lernens von Fremdsprachen eine Rolle (vgl. S CHMENK 2002a, 2007). Man kann jedoch nicht einfach pauschal davon ausgehen, dass diese Relevanz sich darin erschöpft, dass männliche Lerner anders lernen als weibliche. Das Verhältnis von individueller Selbstkonstruktion beim Lernen von Sprachen in unterrichtlichen Kontexten und außerhalb seitens Lernender dürfte in jedem einzelnen Fall sehr viel komplexer (und vielleicht auch grundlegend anders) sein als es pauschale Vorverallgemeinerungen erahnen lassen. Somit zeichnet sich an dieser Stelle eine Alternative zu den bislang dominierenden Forschungsparadigmen des Kulturvergleichs bzw. des Geschlechtervergleichs ab. Neuere Forschungsansätze, die sich konkreten Einzelfällen widmen und die große individuelle Unterschiede bei der Verwendung von Strategien aufzeigen (z. B. L IN 2008, S TORK 2003, W ÜRFFEL 2006), bestätigen die Annahme, dass die jeweils individuelle Wahl von Lernstrategien dann besser verstanden und auch hinsichtlich ihrer konkreten Relevanz und ihres Einflusses auf spezifische Lernerfolge bzw. -misserfolge begriffen werden kann, wenn man sich dem weiten Feld zuwendet, das durch Learner Beliefs, Learner Stories, Learner Cognition aufgespannt wird (vgl. etwa die Studien von G RIFFITHS 2003, L IN 2008, S TORK 2003, T AKA 2008, W ÜRFFEL 2006). Allerdings wurden dort bislang noch nicht die Rolle und die Bedeutungen von Kultur und Geschlecht bei der Strategieverwendung untersucht. Das wäre aber durchaus möglich, wenn man diese Dimensionen nicht pauschal als „Faktoren“ konzipiert, sondern wenn man die kulturelle und soziale Einbindung und Eingebundenheit von einzelnen Lernenden jeweils mitberücksichtigt und ihr eine potentielle Relevanz auch für die Verwendung von Lernstrategien zugesteht. So könnte man am Einzelfall erkunden, wie Strategieverwendungsmuster entstehen, wie und warum sie sich ändern können und in welchem Verhältnis sie zu den jeweiligen Erfahrungen von Lernenden innerhalb und außerhalb des Unterrichts stehen. Anders gesagt: Statt die Strategieverwendung als Ausdruck eines festen Persönlichkeitsmerkmals oder einer Gruppenzugehörigkeit zu deuten (im Sinne eines trait), scheint es angeraten, zunächst zu erkunden, welche Entscheidungsprozesse der Verwendung von Lernstrategien jeweils zugrunde liegen, inwiefern diese beeinflussbar und veränderbar sind, welchen Einfluss Unterrichtsmethoden, Lehrer-Lerner-Interaktionen, spezifische Aufgaben und Übungsformen auf die Herausbildung von Lernstrategiepräferenzen bei Einzelnen haben, etc. Solche (Fall-) Studien sind sehr aufwändig und erfordern eine systematische Langzeitforschung (vgl. auch C OHEN / M ACARO 2007, M ACARO 2006). Sie sind aber unverzichtbar, wenn man mehr verstehen möchte über individuelle Unterschiede und die Rolle von Kultur und/ oder Geschlecht beim Fremdsprachenlernen und bei der Strategieverwendung. Nicht zuletzt stellen sie wichtige Voraussetzungen dafür dar, dass man Strategien im Fremdsprachenunterricht gezielter fördern kann. Einzelfallstudien dieser Art sind zudem wichtige Voraussetzungen dafür, auch all- 84 Barbara Schmenk 38 (2009) gemeinere Aussagen über mögliche Zusammenhänge von individueller Lernstrategieverwendung, Kultur, auch Bildungskultur und Lerntraditionen etc. formulieren zu können. Dabei sollte es nicht mehr darum gehen, simplistische Annahmen über den Einfluss von (National-)Kultur auf die Verwendung von Lernstrategien zu verifizieren oder zu falsifizieren. Viel eher zeigt die Komplexität der Lernstrategieverwendung in jedem Einzelfall, dass man hier weit vorsichtiger fragen muss, wenn man vom Einzelfall abstrahieren und mögliche Verallgemeinerungen auch empirisch validieren möchte. Das heißt aber nicht, dass es nicht grundsätzlich möglich wäre, generalisierbare Aussagen zu machen. Forschungsvorhaben nach dem Muster „Das Lernstrategieprofil chinesischer Lerner...“ erheben uneinlösbare Ansprüche und führen nicht zu validen Ergebnissen (auch wenn sie den Anschein wecken, sie seien generalisiert). Aber Forschungsprojekte mit bescheidenerem (weil: realistischerem) Anspruch wären durchaus denkbar: Untersuchungen etwa bestimmter Klassenräume und dortiger Lernkulturen, betrachtet auch im Hinblick auf die Geschichte(n) der Mitglieder sowie die institutionellen und bildungspolitischen Rahmenbedingungen, können durchaus Einblicke in Zusammenhänge von Kultur und Strategieverwendung erlauben, die möglicherweise wiederum auch für andere Lern- und Erfahrungsräume gelten. Doch Generalisierungen dieser Art sind zum jetzigen Zeitpunkt rein spekulativer Natur; ihre empirische Erkundung steht noch aus. 5. Ausblick: Individuelle Lernstrategieverwendung erkennen, Lernstrategieverwendung individuell fördern Die eingangs formulierte These, dass die beiden Aussagen (1. Lernende unterscheiden sich in ihrem jeweiligen Strategieverwendungsprofil und 2. Strategien lassen sich im Unterricht gezielt fördern) in einem latenten Widerspruch zueinander stehen, kann nun abschließend erläutert werden. Denn die deskriptive Aussage 1 wird dann schwer vereinbar mit 2, wenn man individuelle Unterschiede als Ausdruck einer bestimmten Kulturzugehörigkeit oder Geschlechterzugehörigkeit deutet. Gemäß solchen Überlegungen wäre Unterricht eine gegen die jeweilige Kultur oder das Geschlecht gerichtete Einwirkung; man würde Lernenden dieser Sicht nach schließlich Strategien vermitteln, die sie „kulturgemäß“ oder „geschlechtergemäß“ nicht oder nicht oft verwenden (können). Wer hingegen Interesse daran hat, Lernenden möglichst viele Lerntipps zu geben und ihr jeweiliges Strategienrepertoire zu erweitern; wer ihnen helfen möchte, über das eigene Sprachenlernen und die eigene Strategieverwendung nachzudenken (um zukünftig gezielter zu reflektierten, welche Strategien bei der Bearbeitung einer Aufgabe sinnvoll sein könnten), erhält wenig Hilfe von und durch Forschung, die nur den Ist-Zustand von Strategieverwendung erhebt und sich auf Pauschalaussagen beschränkt. Gefragt ist für unterrichtliche Zusammenhänge vielmehr eine Forschung, die zeigt, inwiefern man die individuelle Strategieverwendung von Lernenden beeinflussen kann. Das setzt voraus, dass man Strategien eben nicht als traits konzipiert, sondern sie als der Reflexion zugängliche, veränderbare und lernbare Techniken auffasst, die durch gezielten Einsatz mit bestimmten Zielvorstellungen verwendet werden können und so für den Einzelnen zu Kulturelle und soziale Aspekte von Lernstrategien und individuellem Strategiegebrauch 85 38 (2009) Lernstrategien werden. Für didaktisch und pädagogisch ausgerichtete Fragestellungen ist deshalb ebenfalls eine Forschung in der oben ausgewiesenen Richtung wichtig, weil sie sich solchen Veränderungen und den jeweiligen individuellen Hintergründen und Motiven von Lernenden widmet. Nur auf dieser Basis wird man auch individuelle, lernerorientierte unterrichtspraktische Hilfestellungen und Tipps formulieren können. 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