Fremdsprachen Lehren und Lernen
flul
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Narr Verlag Tübingen
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2009
381
Gnutzmann Küster SchrammFortbildungsgegenstand „Strategien im Fremdsprachenunterricht“
121
2009
Wolfgang Tönshoff
flul3810089
* Korrespondenzadresse: PD Dr. Wolfgang T ÖNSHOFF , Universität Konstanz, Sprachlehrinstitut, Fach D 171, 78457 K ONSTANZ . E-Mail: wolfgang.toenshoff@uni-konstanz.de Arbeitsbereiche: Fremdsprachenlerntheorie, Lehreraus- und -fortbildung, Lernerautonomie/ Lernstrategien. 38 (2009) W OLFGANG T ÖNSHOFF * Fortbildungsgegenstand „Strategien im Fremdsprachenunterricht“ Inhalte, seminarmethodische Verfahren, Erfahrungen aus der Fortbildungspraxis Abstract. The topic of “learning strategies” is nowadays no longer completely unknown to most foreign language teachers, but it is often argued that there is a lack of methodological instruction and modelling of exactly how learning strategies can actually be communicated and practised in the classroom. All the more important, however, seems to be the availability of further training which gives teaching staff the opportunity to develop scenarios and materials for strategy instruction in their own teaching situation and then to try them out in practice. This article describes the development, the contents and the methodological procedure used in seminars of further training on this theme, which were carried out in various European countries together with teachers of German and Italian as foreign languages. Selected materials and outcomes are presented for illustration purposes. 1. Einleitung In den letzten dreißig Jahren hat sich die modellbildende und anwendungsbezogene Fremdsprachenforschung intensiv mit den Strategien befasst, die Fremdsprachenlerner einsetzen, um ihr Lernen zu planen, zu steuern und zu evaluieren bzw. um trotz begrenzter sprachlicher Ressourcen erfolgreich kommunikativ zu handeln (vgl. u.a. den aktuellen Sammelband von C OHEN / M ACARO 2007). Praktische Bedeutung hat diese Forschung vor allem durch ihre Einbettung in die Diskussion um die konkrete Ausgestaltung eines ‚autonomiefördernden‘ Fremdsprachenunterrichts erlangt. Eine bewusstmachende Strategievermittlung ist dabei als Kernkomponente eines solchen Unterrichts zu verstehen: Lerner werden dadurch selbständiger, d.h. autonomer, dass sie ihre Fähigkeit (weiter)entwickeln, die eigenen Lernwege zu erkennen, zu bewerten und effektiver zu gestalten. Mit Bemühungen, den Ansatz des task-based language-learning in den Fremdsprachenunterricht zu integrieren (vgl. E LLIS 2003; B AUSCH / B URWITZ -M ELZER / K ÖNIGS / K RUMM 2006), gewinnt die Strategievermittlung noch zusätzlich an Relevanz; denn gerade komplexe und lebensnahe Lernaufgaben bieten vielfältige Gelegenheiten zur Verwendung verschiedener Strategien und zur anschließenden Reflexion über ihren Einsatz. 90 Wolfgang Tönshoff 38 (2009) Zu der Frage, ob und wie die strategische Kompetenz von Lernen gefördert werden kann, liegen inzwischen auch zahlreiche empirische Studien aus dem Kontext ‚Fremdsprachenlernen‘ vor (vgl. die Überblicke von C HAMOT 2005 und von H ASSAN / M ACARO / M ASON / N YE / S MITH / V ANDERPLANK 2005). Den Studien liegen experimentelle oder nichtexperimentelle Datenerhebungsdesigns zugrunde; die Trainingseffekte wurden z.T. durch statistische Analysen, z.T. interpretativ evaluiert. Bei aller Vorläufigkeit der Ergebnisse scheint eine Strategievermittlung demnach unter folgenden Bedingungen am wirkungsvollsten zu sein: Strategien werden nicht in getrennten Programmen, sondern integriert in den Unterricht vermittelt und geübt. Erschließungsstrategien z.B. werden also dann gezielt trainiert, wenn geeignete Lese- oder Hörtexte ohnehin im Mittelpunkt des Fremdsprachenunterrichts stehen. Die Lerner werden umfassend über die Strategien informiert sowie über das Warum, Wann und Wie ihres Einsatzes (hoher Stellenwert bewusstmachender Verfahren). Die Lerner erhalten anhand geeigneter Aufgabenstellungen ausgiebig Gelegenheit, die verschiedenen Strategiealternativen praktisch anzuwenden und über dabei auftretende Probleme zu reflektieren. Es werden gezielt auch metakognitive Strategien einbezogen, damit die Lerner ihren Lernprozess (und auch die Erprobung neuer Strategien) besser steuern und evaluieren können. Darüber hinaus wird der Erfolg der Strategievermittlung von diversen Lernervariablen beeinflusst, wie z.B. von der Motivation der Lerner, ihrem soziokulturellen Hintergrund sowie ihren fremdsprachenspezifischen und allgemeinen Lernerfahrungen. In zahlreichen Forschungsarbeiten werden nicht zuletzt die Konsequenzen für die Lehrerrolle in einem lernerorientierten, autonomiefördernden Fremdsprachenunterricht hervorgehoben (Stichwort: Lernhelfer statt reiner Wissensvermittler). Die Akzentuierung des ‚Lernens des Lernens‘ muss daher zum einen in Überlegungen für eine zeitgemäße Ausbildung von Fremdsprachenlehrern einfließen (zu Funktion und Formen einer solchen Integration vgl. u.a. K LEPPIN / T ÖNSHOFF 2000). Zum anderen müssen den bereits im Beruf stehenden Lehrkräften in Schule, Hochschule und Erwachsenenbildung verstärkt entsprechende Fortbildungsangebote gemacht werden. Diese Notwendigkeit resultiert nicht nur aus der Betonung des ‚Lernens des Lernens‘ in modernen Kompetenzbeschreibungen und (Kern)Curricula, sondern auch daraus, dass Fremdsprachenlehrer in einer wachsenden Zahl von Lehrwerken und Lernmaterialien auf Texte und Aufgaben zum bewussten Umgang mit Strategien stoßen. Nach meinen Erfahrungen ist das ‚Lernen des Lernens‘ für viele Lehrkräfte zwar kein völlig unbekanntes Konzept mehr und es lassen sich bei einer zunehmenden Zahl von Fortbildungsteilnehmern auch punktuelle Vorerfahrungen mit der Strategievermittlung feststellen. Allerdings wird immer wieder das dringende Bedürfnis artikuliert, über die vielfach sehr knapp gehaltenen Bemerkungen in Curriculumstexten und Lehrerhandbüchern hinaus Hinweise zu erhalten und Erfahrungen zu sammeln, wie eine bewusstmachende Strategievermittlung methodisch im Einzelnen durchgeführt und in den Unterricht integriert werden kann. Fortbildungsgegenstand „Strategien im Fremdsprachenunterricht“ ... 91 38 (2009) 2. Subjektive Theorien und Fortbildungsverfahren Die Bedeutung der subjektiven Theorien von Lehrern für deren Handeln im Unterricht wird in den letzten Jahren zunehmend betont (vgl. z.B. S CHEELE / G ROEBEN 1998; G ROT - JAHN 1998). Subjektive Unterrichtstheorien, die sich im Laufe der Ausbildung und der Berufspraxis verfestigen, gelten als hochgradig individuell, relativ stabil und dauerhaft. Sie beziehen sich u.a. auf den Lernprozess der Schüler, auf bestimmte Unterrichtssituationen und Lehrverfahren, und sie umfassen auch das Selbstbild des Lehrers, sein Rollenverständnis sowie Annahmen über das eigene Verhalten und seine Wirksamkeit. Da derartiges Überzeugungswissen das Lehrverhalten stark mitbestimmt, haben Innovationen im Fremdsprachenunterricht, z.B. die Konsequenzen, die sich aus dem Konzept der Lernerautonomie ergeben, letztlich nur dann eine Realisierungschance, wenn es gelingt, die subjektiven Unterrichtstheorien von Lehrern ein Stück weit aufzubrechen. Dementsprechend müssen Fortbildungsmaßnahmen Gelegenheit dazu geben, eigene Überzeugungen und Haltungen zu hinterfragen und das eigene Lehrverhalten kritisch zu reflektieren. Damit dies gelingen kann und um den Transfer des ‚Neuen‘ in die Unterrichtspraxis der Teilnehmer/ innen (im Folgenden „TN“) zu fördern, sind auf seminarmethodischer Ebene die Prinzipien des ‚reflektierten Erfahrungslernens‘ und der ‚Handlungsorientierung‘ von zentraler Bedeutung: Im Wechsel von Selbsterfahrung, theoriegestützter Reflexion, Planungsaktivitäten und eigenem Probehandeln erarbeiten sich die TN die relevanten Fortbildungsinhalte. Damit erhalten sie bereits während der Fortbildungsveranstaltungen die Möglichkeit, neues bzw. verändertes Lehrverhalten zu erproben und zu evaluieren. Im Folgenden möchte ich einen Fortbildungsverlauf zum Thema ‚Lernstrategien im Fremdsprachenunterricht‘ exemplarisch darstellen und mit Praxiserfahrungen sowie mit ausgewählten Materialien und Arbeitsergebnissen illustrieren. Dies geschieht auf der Basis einer großen Zahl eigener Fortbildungsseminare und Workshops zum Thema mit Deutsch-als-Fremdsprache-Lehrkräften aus Schule, Hochschule und Erwachsenenbildung in zahlreichen europäischen Ländern sowie mit (primär schulischen) Italienisch-Lehrkräften aus Baden-Württemberg, Hessen und Nordrhein-Westfalen. 3. Komponenten des Veranstaltungskonzepts Das Veranstaltungskonzept umfasst 3 Hauptblöcke: 1. Erarbeitung begrifflicher und unterrichtsmethodischer Grundlagen 2. Analyseaufgaben für die TN 3. Produktions- und Simulationsaufgaben für die TN In Abhängigkeit von den konkreten Bedingungen (Adressaten, institutionelle Voraussetzungen, Dauer der Veranstaltung/ Veranstaltungsreihe etc.) waren die einzelnen Komponenten dabei jeweils unterschiedlich gewichtet. Es wurde jedoch immer darauf geachtet, 92 Wolfgang Tönshoff 38 (2009) dass neben Information, Bewusstseinsbildung und Erfahrungsaustausch auch Raum für erfahrungs- und handlungsorientierte Verfahren blieb. 3.1 Erarbeitung begrifflicher und unterrichtsmethodischer Grundlagen 3.1.1 Sensibilisierung durch Selbsterfahrung Als Seminareinstieg eignen sich durch Vorgaben gesteuerte Selbsterfahrungsübungen zu Lernstrategien, wie man sie heute vereinzelt auch bereits in Lehrwerken findet, in besonderer Weise. Hier ein Beispiel aus dem Italienisch-Lehrwerk „Azzurro“ (F RATTER / T RONCARELLI 2007: 59): Als weiterer Anstoß für eine erste Reflexion über individuelle Lerngewohnheiten (und ihre Prägung auch durch Lehr- und Lerntraditionen) hat sich folgende ‚Gebrauchsanwei- Fortbildungsgegenstand „Strategien im Fremdsprachenunterricht“ ... 93 38 (2009) sung‘ zum strategischen Herangehen an fremdsprachliche Lesetexte bewährt, die auf eine Idee von Gerard W ESTHOFF zurückgeht: Lesen Sie den fremdsprachlichen Text Wort für Wort! Vermeiden Sie Raten! Lesen Sie sehr sorgfältig! Vermeiden Sie Fehler um jeden Preis! Wenn ein unbekanntes Wort auftaucht, greifen Sie sofort zum Wörterbuch! Nehmen Sie sich Zeit, die richtige Übersetzung zu finden! Sind Sie noch unsicher, nehmen Sie ein größeres Wörterbuch zur Hand! Haben Sie das Problem gelöst, lesen Sie weiter bis zum nächsten unbekannten Wort! Anknüpfend an das ‚Schmunzeln‘ vieler TN über entsprechende Präferenzen ihrer Lerner (aber auch über eigenes Lernverhalten in Vergangenheit und Gegenwart) lässt sich der Grundgedanke einer autonomiefördernden Strategievermittlung als ein wesentliches Lernziel dieser Veranstaltungsphase sichern: Jeder Lerner verfügt über ein Repertoire an Strategien, das er bei der Auseinandersetzung mit fremdsprachlichen Lern- und Kommunikationsaufgaben mehr oder weniger gewohnheitsmäßig einsetzt, das jedoch - in Bezug auf die jeweilige Lernerpersönlichkeit - in vielen Fällen nicht optimal ist. 3.1.2 Festlegung einer Arbeitsdefinition Ausgehend von Definitionsversuchen der TN zum allgemeinen Strategiebegriff, ggf. auch von Wörterbuch- oder Lexikoneinträgen, wird als Verständigungsgrundlage für den weiteren Veranstaltungsverlauf eine Arbeitsdefinition festgelegt. Als besonders nachvollziehbar für die TN haben sich praxisbezogene definitorische Zugriffe wie der von R AM - PILLON (2003: 340) erwiesen. Danach sind Strategien „Verfahren, die von den Lernenden absichtlich und planvoll angewandt werden, um fremdsprachliches Lernen vorzubereiten, zu steuern und zu kontrollieren“. Darüber hinaus bieten umfangreichere Merkmalsauflistungen wie z.B. diejenige von O XFORD (1990: 8 f) bereits Anknüpfungspunkte dafür, mit den TN über die unterrichtsmethodische Gestaltung der Strategievermittlung zu reflektieren, da sie als definitorische Elemente auf die Bewusstheit (zumindest Bewusstseinsfähigkeit) und auf die grundsätzliche Lern- und Lehrbarkeit von Strategien abheben. 3.1.3 Sammlung von Begründungszusammenhängen In Partner- oder Gruppenarbeit sammeln die TN Gründe, warum das Lernen des Lernens in ihrem Land/ ihrer Region auch für den Fremdsprachenunterricht immer wichtiger wird. Erfahrungsgemäß tauchen beim anschließenden Zusammentragen der Ergebnisse vor allem folgende Begründungszusammenhänge auf: Anforderungen der modernen Informationsgesellschaft an die Lernkompetenz im Allgemeinen (in Ausbildung und Beruf) Weiter zunehmende Bedeutung von Fremdsprachenkenntnissen angesichts weltweiter Vernetzung 94 Wolfgang Tönshoff 38 (2009) Notwendigkeit, auch Fremdsprachen selbständig zu lernen bzw. weiter- oder wiederzulernen (‚lebenslanges Lernen‘) Förderung von Selbständigkeit und Eigenverantwortlichkeit (beim schulischen Lernen auch über Fächergrenzen hinweg) Lernerleichterung; Erhöhung der Lerneffektivität und -motivation Notwendigkeit, in gegebenen (z.B. beruflichen) Kommunikationssituationen trotz begrenzter Fremdsprachenkenntnisse erfolgreich sprachlich zu handeln Bessere Nutzung von Kontakten zu Sprechern der Zielsprache (u.a. im Rahmen von Auslandsaufenthalten) für den eigenen Lernprozess. Gerade in den letzten Jahren sehen viele Lehrkräfte die Beschäftigung mit Lerngewohnheiten und Strategien darüber hinaus auch als Teil eines intelligenteren und professionelleren Umgangs mit der Heterogenität ihrer Klassen. Offene binnendifferenzierende Lernarrangements schaffen einen Rahmen, in dem sich strategiegeleitetes Lernen im Unterricht auf verschiedenen Lernpfaden entfalten kann (vgl. T ÖNSHOFF 2004; 2005). Große Bedeutung schreiben die TN schließlich dem reflektierten Einsatz von Strategien beim unterrichtsbegleitenden Selbstlernen zu, ausgehend von ihrer Alltagserfahrung, dass schon immer ein guter Teil der ‚Lernarbeit‘ der Schüler außerhalb des Unterrichts stattgefunden hat, sei es in eher traditionellen Formen der häuslichen Eigenarbeit (z.B. mit Hilfe von Arbeitsbüchern als Lehrwerkkomponenten oder im Rahmen von Unterrichtsprojekten), sei es beim Lernen in multimedialen Lernumgebungen. Dabei wird der zentrale Stellenwert eines Repertoires an individuell effektiven Strategien dafür betont, das Potenzial optimal nutzen zu können, das die Verzahnung von Selbstlernen und Präsenzunterricht in sich birgt. 3.1.4 Vergleich von Strategieklassifikationen Als Phaseneinstieg werden von den TN bereits bekannte Strategien auf Pincards gesammelt (Einzelarbeit) und an einer Stellwand gemeinsam grob geordnet aufgehängt. Dabei stehen nach meinen Erfahrungen bei den meisten TN einzelne Strategien des fremdsprachlichen Lesens/ Hörens, des Vokabellernens sowie bestimmte Behaltensstrategien (Mnemotechniken) im Vordergrund. In (arbeitsgleicher) Gruppenarbeit werden anschließend ausgewählte Strategieklassifikationen verglichen. Bewährt hat sich hier die Beschränkung auf wenige, aber umfangreiche Einteilungen, wie z.B. die von E LLIS / S INCLAIR (1989b), von O XFORD (1990), von R AMPILLON (1995) oder von B IMMEL / R AMPILLON (2000). Bei der Diskussion in den Gruppen arbeiten die TN die Parallelen und die Unterschiede zwischen den einzelnen Klassifikationen heraus, u.a. in Bezug auf folgende Kriterien: inwieweit die Klassifikationen Lernund/ oder Sprachverwendungsstrategien erfassen welche Gruppen von Strategien sie unterscheiden und welche Hierarchiebeziehungen bestehen Fortbildungsgegenstand „Strategien im Fremdsprachenunterricht“ ... 95 1 Die weitgehenden Parallelen zu dem methodischen Grundmuster, das - vor allem im nordamerikanischen 38 (2009) in welchem Umfang sie sich auf unterrichtliches oder außerunterrichtliches Lernerverhalten beziehen inwieweit sie Strategien lerninhaltsabhängig oder -unabhängig beschreiben, d.h. ob sie allgemeine Lernstrategien angeben oder ob sie spezifische fremdsprachenlernbezogene Strategien auflisten wie ausführlich die einzelnen Strategien charakterisiert und gegen andere abgegrenzt werden ob bzw. wie explizit sie einzelne Strategien den verschiedenen Fertigkeitsbereichen zuordnen. Die TN favorisieren nach meinen Erfahrungen eindeutig inhaltsabhängige Klassifikationen mit spezifisch auf das Fremdsprachenlernen zugeschnittenen Strategiebezeichnungen und Beschreibungen. Demgegenüber sehen sie lerninhaltsunabhängig formulierte Strategielisten wegen ihrer relativen Abstraktheit bzw. Allgemeinheit als weniger hilfreich an, auch wenn die fächerübergreifende Dimension der Förderung von Lernkompetenz durchaus gesehen wird. Angesichts der großen Zahl von Einzelstrategien in den Klassifikationen erhalten die TN in Kleingruppen abschließend die Aufgabe, vor dem Hintergrund ihrer Unterrichtserfahrungen Strategiebeispiele zu benennen, die Ihnen für ihre jeweiligen Lerner besonders wichtig erscheinen, und ihre Entscheidungen zu begründen. 3.1.5 Erarbeitung unterrichtsmethodischer Verfahren Erwartungsgemäß ist die unterrichtspraktische Umsetzung der Strategievermittlung für die TN von besonders großem Interesse, sowohl was ihre Phasengliederung und die Einbindung in die sonstigen Unterrichtsaktivitäten angeht, als auch in Bezug auf die methodischen Einzelverfahren. Auch wenn ein vom normalen Unterrichtskontext separierter Strategientrainingskurs prinzipiell denkbar ist und in bestimmten Fällen - zumindest unterrichtsorganisatorisch - als leichter umsetzbar erscheint, halten die weitaus meisten TN eine Integration für sinnvoller: Die Strategievermittlung findet dann statt, wenn es sich von den übrigen Lerninhalten her anbietet, sie lässt sich eng mit den jeweiligen Lern- und Arbeitsformen im Unterricht verzahnen (vor allem bei der Entwicklung der kommunikativen Fertigkeiten, aber auch bei der Wortschatz- und Grammatikarbeit). Die praktische Anwendbarkeit der Strategien kann so von den Lernern unmittelbar erfahren werden. Ausgehend von einem Austausch von - in der Regel zumindest bei einzelnen TN vorhandenen - Vorerfahrungen mit der Thematisierung des ,Lernens des Lernens‘ im Unterricht werden in Gruppenarbeit zunächst Vorschläge für eine Phasenstruktur der Strategievermittlung gesammelt. Bei der Ergebnisauswertung zeigt sich, dass die TN als in der Berufspraxis stehende Lehrkräfte häufig ihr Handlungswissen über Lehr- und Lernphasen erfolgreich auf den Strategievermittlungskontext transferieren und ohne weit reichende lenkende Hinweise eigenständig zu folgender Phaseneinteilung gelangen 1 : 96 Wolfgang Tönshoff Kontext beschriebenen - Strategietrainingsmodellen (vgl. u.a. H OSENFELD [et al.] 1981, O’M ALLEY / C HAMOT 1990, O XFORD 1990, C HAMOT / O’M ALLEY 1995, T ÖNSHOFF 1997, C OHEN 1998) zugrunde liegt, werden von den TN bei einem späteren Vergleich sehr positiv als Bestätigung ihrer vermittlungsmethodischen Kompetenz empfunden. 38 (2009) 1. Bewusstmachung vorhandener individueller Lerngewohnheiten und Strategien 2. Präsentation (alternativer) lernstrategischer Verhaltensweisen 3. Erprobung der thematisierten Strategien anhand von Übungsaufgaben im Unterricht und bei der häuslichen Eigenarbeit 4. Evaluation der Erprobungserfahrungen Anschließend werden - wiederum in Gruppenarbeit - Vorschläge für konkrete Lern- und Lehraktivitäten zusammengestellt, die in diesen Phasen jeweils zum Einsatz kommen können. Die wichtigsten der bei den Fortbildungsveranstaltungen wiederholt auftauchenden Nennungen der TN beziehen sich auf folgende methodische Einzelverfahren: Bewusstmachung vorhandener individueller Lerngewohnheiten und Strategien: Erfahrungsaustausch (in Gruppenarbeit und Plenum) Aufgabenbearbeitung mit anschließender Diskussion in Gruppen über die individuell eingesetzten Strategien von der Lehrkraft eingegebene oder mit den Lernern erarbeitete Fragebögen Partnerinterviews Präsentation (alternativer) lernstrategischer Verhaltensweisen: Erklärungen der Lehrkraft zu einzelnen Strategien und dazu, warum, wann und wie sie eingesetzt werden können (inklusive unterstützender Visualisierungen) Strategiedemonstration (Vormachen, Modellieren), soweit es sich um Strategien handelt, deren Einsatz von außen beobachtbar ist ‚Lautes Denken‘, also das Verbalisieren einzelner Planungs-, Durchführungs- und Kontrollschritte Reflexion über Strategien beim Gebrauch der Muttersprache (und beim Lernen und Gebrauch anderer Fremdsprachen) und über Übertragungsmöglichkeiten auf die aktuelle Fremdsprache Beschreibung, Erläuterung, Visualisierung und/ oder Demonstration von Strategien durch Mitlerner Erprobung der thematisierten Strategien anhand von Übungsaufgaben im Unterricht und bei der häuslichen Eigenarbeit: gezielte, d.h. den Einsatz ganz bestimmter Strategien erfordernde Übungsaktivitäten (auch binnendifferenzierend, z.B. im Rahmen von Lernarrangements wie dem Stationenlernen) wiederholtes (zyklisches) Üben einzelner Strategien bzw. Strategiengruppen (ggf. mit abnehmender Übungsintensität) ‚Auslösen‘ des Einsatzes bestimmter Strategien durch bewusstmachende Kurzhinweise Fortbildungsgegenstand „Strategien im Fremdsprachenunterricht“ ... 97 38 (2009) Evaluation der Erprobungserfahrungen: Selbstbeobachtung der Lerner und Erfahrungsaustausch unmittelbar nach Aufgabenbearbeitung im Unterricht regelmäßiger Erfahrungsaustausch über Ergebnisse der Selbstbeobachtung auch bei der individuellen Lernarbeit zu Hause ‚Protokollbögen‘ (z.B. in tabellarischer Form), in denen die Lerner ihre persönlichen Erprobungserfahrungen über einen längeren Zeitraum stichwortartig festhalten können Lerntagebücher Nach meinen Erfahrungen hat es sich als wichtig herausgestellt, die Lehrkräfte dafür zu sensibilisieren, dass die Auswahl der einzelnen methodischen Verfahren und die verwendete Terminologie für den Metalerndiskurs den jeweiligen Lernern (Alter, Bildungsgrad, (Fremdsprachen-)Lernerfahrungen etc.) angepasst werden sollten. Als altersgemäßes Positivbeispiel können etwa die Terminologie und die Strategiebeschreibungen im Lehrwerk „Sowieso“ (F UNK [et al.] 1994: 82) gelten, das sich an Jugendliche ab ca. 12 Jahren richtet: In Fortbildungsveranstaltungen wird außerdem immer wieder die Frage aufgeworfen, ob die Strategievermittlung in der Mutter- oder in der Fremdsprache stattfinden soll. Zu 98 Wolfgang Tönshoff 38 (2009) Recht wird dabei von Teilnehmerseite angemerkt, dass eine Festlegung auf die Fremdsprache eine weit reichende Vorentscheidung impliziert. Denn erst Lerner auf einem vergleichsweise fortgeschrittenen Lernniveau dürften in der Lage sein, die relevante Metasprache zu verstehen und ihrerseits am Unterrichtsgespräch teilzunehmen. Andererseits halten viele TN eine Reflexion über das Lernen des Lernens jedoch auf der Grundstufe für besonders nützlich, was den Rückgriff auf die Muttersprache notwendig macht. Darüber hinaus werden für die Strategievermittlung in der Muttersprache die gleichen Argumente angeführt, die auch für andere unterrichtliche Kognitivierungshandlungen (z.B. im Kontext ‚Grammatikarbeit‘) gelten: größere Verständlichkeit, stärkere Beteiligung der Lerner, keine zusätzliche Benachteiligung schwächerer Lerner etc. Im Zusammenhang mit dem ‚Wie‘ der Strategievermittlung geht es in Fortbildungsveranstaltungen schließlich darum, vorschnelle Schlussfolgerungen in Richtung auf ein präskriptiv orientiertes Strategievermittlungskonzept zu vermeiden. Angesichts der von zahlreichen Persönlichkeitsvariablen beeinflussten Individualität von Fremdsprachenlernprozessen sowie deutlicher Hinweise auf den Einfluss von Lernervariablen auch auf die Wirksamkeit von Strategievermittlungsbemühungen ist die universelle Gültigkeit ‚guter‘ Strategien begründet in Frage zu stellen. Vielmehr ist davon auszugehen, dass eine bestimmte Strategie für verschiedene Lerner unterschiedlich geeignet bzw. effektiv ist. Deshalb sollte die Strategievermittlung den Charakter eines ‚Auswahlangebots‘ an die Lerner tragen. Ziel ist es, jedem Lerner zu helfen, aus dem präsentierten Spektrum an verschiedenartigen Strategien bzw. alternativen Strategievarianten die zum individuellen Lerntyp und zur jeweiligen Aufgabe passenden Strategien bewusst auszuwählen, praktisch zu erproben und selbst zu evaluieren, um so schrittweise sein Strategienrepertoire erweitern und modifizieren zu können. 3.2 Analyseaufgaben für die Teilnehmer 3.2.1 Vergleich fremdsprachlicher Curricula und Kompetenzbeschreibungen Die TN beschäftigen sich in Gruppenarbeit mit einschlägigen Auszügen aus neueren Kompetenzbeschreibungen und Curriculumstexten (Bildungsstandards, Bildungspläne, Lehrpläne und ggf. zugehörige methodische Handreichungen), die für ihre jeweiligen Unterrichtskontexte Gültigkeit besitzen, sowie mit ausgewählten curricularen Neuentwicklungen aus anderen Ländern und/ oder Bildungsinstitutionen. Bei der vergleichenden Analyse stehen als Fragen im Vordergrund, welchen Stellenwert diese Texte den Strategien für das unterrichtliche und außerunterrichtliche Fremdsprachenlernen zuschreiben inwieweit auch die fächerübergreifende Bedeutung der Beschäftigung mit Strategien und die Förderung der Selbständigkeit als generelles Bildungsziel thematisiert werden ob auch auf die sich wandelnden Lerner- und Lehrerrollen in einem lernerorientierten und autonomiefördernden Fremdsprachenunterricht eingegangen wird welche Strategien(bereiche) benannt und wie ausführlich sie erläutert werden Fortbildungsgegenstand „Strategien im Fremdsprachenunterricht“ ... 99 38 (2009) inwieweit darüber hinaus Hinweise gegeben werden, wie die Lehrkräfte das Lernen des Lernens in den Unterricht integrieren können, d.h. mit welchen methodischen Verfahren und in welchen Schritten sie vorgehen können. Insbesondere der letzte Punkt wird von den TN immer wieder als entscheidendes Qualitätsmerkmal eines Curriculumstextes herausgearbeitet. Gleichzeitig wird auf die Notwendigkeit verwiesen, traditionelle Lernziele im Fremdsprachenunterricht neu zu gewichten und damit Raum zu schaffen für eine autonomiefördernde Strategievermittlung. Denn wenn Curricula es bei Auflistungen von Strategien und allgemeinen Vermittlungsaufforderungen belassen und ansonsten unveränderte Lernzielkataloge rein additiv erweitern, dann besteht die Gefahr, dass bei konstanter Unterrichtszeit und unter dem vielfach beklagten Stoffdruck vergleichsweise neue und eben nicht durch vermittlungsmethodische Hilfestellungen ‚handhabbar‘ gemachte Lernziele vernachlässigt werden. So klagen z.B. derzeit Italienisch-Lehrkräfte vielfach darüber, dass dem Thema ‚Methodenerwerb‘ in neueren Bildungsplänen und Kerncurricula zwar eine hoher Stellenwert zukommt, dass in diesen z.T. sehr reduzierten Texten jedoch kaum Hinweise zur methodischen Umsetzung gegeben werden. Von Seiten der TN wird außerdem regelmäßig betont, wie sinnvoll und notwendig eine fächerübergreifende Abstimmung und Zusammenarbeit bei der Unterrichtsplanung und -durchführung ist, weil es eine Vielzahl von Strategien gibt, die auch für andere Fächer relevant sind (nicht zuletzt für den Muttersprachenunterricht). 3.2.2 Analyse von Lehrmaterialien und Lehrwerken Zunächst befassen sich die TN in arbeitsteiliger Gruppen- oder Partnerarbeit mit den in großer Zahl erschienenen ‚Ratgebern‘ zum Fremdsprachenlernen und mit Übungsbüchern, die für das individuelle Selbstlernen oder auch für den unterrichtlichen Einsatz gedacht sind (vgl. u.a. K NAPP 1988; E LLIS / S INCLAIR 1989 a/ b, R UG / N EUMANN / T OMASZEWSKI 1992, H ÄUBLEIN [et al.] 1996, R AMPILLON 1995, 2000a/ b; K LEINSCHROTH 2005, K RAIS 2008). Die Aufgabe besteht darin, den jeweiligen Titel den anderen TN kurz vorzustellen (Adressaten, Aufbau/ Konzeption, inhaltliche Schwerpunkte etc.) sowie ein für die eigene Lernergruppe besonders geeignet erscheinendes Textbzw. Übungsbeispiel auszuwählen, zu präsentieren und ggf. Modifikations- oder Erweiterungsvorschläge für den Einsatz im Unterricht zu machen. Dabei zeigt sich immer wieder, wie kreativ viele TN Materialien, die für andere Fremdsprachen und/ oder Adressatengruppen gedacht sind, an ihre eigenen Bedingungen anpassen können. Im Weiteren werden - wiederum arbeitsteilig in Gruppen - neuere und neueste kurstragende Lehrwerke unter gemeinsam mit den TN gesammelten Leitfragen analysiert, so u.a.: Inwieweit ist die Auseinandersetzung mit Strategien in die Konzeption des Lehrwerks integriert oder erkennbar ‚aufgesetzt‘, z.B. in Form einzelner unsystematisch eingestreuter Lerntipps? Welche Lehrwerkkomponenten sind involviert? Ist z.B. eine ‚Aufgabenteilung‘ zwischen Kursbuch und Arbeitsbuch erkennbar? 100 Wolfgang Tönshoff 38 (2009) Welche (Gruppen von) Strategien werden im Lehrwerk überhaupt thematisiert? Gibt das Inhaltsverzeichnis einen orientierenden Überblick über Lernziele beim ‚Lernen des Lernens‘? Ist ein zyklisches Vorgehen erkennbar? Werden bestimmte Strategien zu einem späteren Zeitpunkt wieder aufgegriffen und vertieft behandelt? Wie werden einzelne Strategien benannt und beschrieben? Inwieweit werden dabei die Voraussetzungen der Lerner (z.B. ihr Alter) berücksichtigt? Werden - u.a. im Rahmen fertigkeitsbezogener Übungen - hinreichend Anlässe zur Strategieerprobung geboten? Gibt es auch bei Lerntipps Anschlussaufgaben zur Erprobung? Gibt es Übungen/ Texte zur Bewusstmachung von Vorkenntnissen und eigenen Lernzielen? Gibt es Aufgaben zur Selbstevaluation? Gibt es im Lehrerhandbuch hinreichend ausführliche vermittlungsmethodische Hinweise und Hilfestellungen? Auch bei der Untersuchung von Lehrwerken wird es von Seiten der TN sehr begrüßt, wenn bei der Ergebnisauswertung von den einzelnen Gruppen zusätzlich ausgewählte Materialbeispiele präsentiert werden (auf OHP-Folie kopiert oder von Hand visualisiert), die sich für den spezifischen Unterrichtskontext eignen oder besonders adaptionsfähig sind. Hier eine von Italienisch-Lehrkräften häufig präsentierte Aufgabe zur Strategieerprobung aus dem Lehrwerk „In piazza“ für die gymnasiale Oberstufe (S CHMIEL / S TÖCKLE 2003: 138), bei der es um die Paraphrase als produktive Kommunikationsstrategie zur Kompensation von Wortschatzlücken geht: Fortbildungsgegenstand „Strategien im Fremdsprachenunterricht“ ... 101 38 (2009) Workshop: Gruppenarbeit (4-5 TN) Bitte entwerfen Sie gemeinsam Arbeitsblätter zu Lernstrategien, die Ihnen für Ihre Schülergruppen besonders wichtig erscheinen. Ein solches Arbeitsblatt kann z.B. Aufgaben enthalten bei denen die Schüler sich ihrer bisher eingesetzten Strategien bewusst werden, sie sammeln und vergleichen; bei denen die Schüler (neue) Strategien kennen lernen; bei denen die Schüler diese Strategien erproben und üben. Für Ihre Arbeitsblätter können Sie sich gern Anregungen in den ausliegenden Lehrwerken, ‚Ratgebern‘ und Übungsbüchern holen. Bitte halten Sie Ihre Entwürfe jeweils auf einer OHP-Folie oder auf einem Plakat fest. 3.3 Produktions- und Simulationsaufgaben für die Teilnehmer 3.3.1 Erstellung von Aufgaben und weiteren Unterrichtsmaterialien Nach der Lehrmaterialanalyse und -evaluation erstellen die TN entsprechend individueller Interessenschwerpunkte nun selbst Materialien für die Strategievermittlung im Unterricht. Hierzu der folgende - bewusst offen formulierte - Arbeitsauftrag: Nach meinen Erfahrungen sind dabei für viele TN nicht zuletzt solche Aufgaben von Bedeutung, die zum Transfer von Strategien aus vorangehenden oder parallel gelernten anderen Fremdsprachen ermutigen. Dies gilt sowohl für den fremdsprachlichen Deutschunterricht (Deutsch in der Regel als 2. Fremdsprache) als auch für den Italienischunterricht in Deutschland (Italienisch meist als 3. Fremdsprache). Besonders lohnend und hilfreich für die eigene Unterrichtspraxis erscheint es außerdem vielen Lehrkräften, wenn sie lehrwerkbezogene Arbeitsblätter entwickeln, also z.B. in Lehrwerklektionen isoliert eingestreute Lerntipps methodisch einbetten, indem sie passende Anschlussaufgaben zur Strategieerprobung konzipieren. Als weitere Arbeitsaufträge zur Materialentwicklung haben sich in Fortbildungsseminaren u.a. bewährt: Entwurf eines Lernerfragebogens oder eines Interviewleitfadens zur gegenseitigen Erkundung der Lerngewohnheiten Adaption von Aufgaben aus Lernmaterialien oder Lehrwerken im Hinblick auf die spezifischen Bedürfnisse und Möglichkeiten der eigenen Lernergruppe Erstellen von Hinweisen zu einzelnen Strategien/ Strategiegruppen (z.B. Informationstexte, Strategiebeschreibungen) oder von ‚Merkblättern‘ zum selbständigen Lernen Visualisierung ausgewählter Lerntipps Entwicklung von Selbstevaluationsaufgaben Als Beispiel für ein Arbeitsergebnis sei hier ein Lernerfragebogen dokumentiert, der aus einer Fortbildung mit polnischen Deutschlehrkräften in der Erwachsenenbildung stammt: 102 Wolfgang Tönshoff 38 (2009) Meine persönlichen Sprachlernerfahrungen Name: ............................................................................ Welche Fremdsprachen habe ich bisher gelernt? Wie eng bin ich mit den Sprachen in Berührung gekommen? Warum habe ich Deutsch gelernt? Wo habe ich Deutsch gelernt? Welche Gelegenheiten zum Lernen konnte ich nutzen? Wie viel Zeit hatte ich zum Lernen? Wer hat mir beim Lernen geholfen? Wie habe ich Deutsch gelernt? Welche Lernverfahren/ Strategien habe ich eingesetzt (z.B. beim Lesen/ Hören deutscher Texte, beim Grammatik- und Wortschatzlernen)? Auf welche Hilfsmittel konnte ich zurückgreifen? Was ist mir beim Deutschlernen leicht gefallen, was schwer? Was hat mir beim Lernen Spaß gemacht, was nicht? Wie gut sind heute meine Deutschkenntnissen (mündlich, schriftlich)? Wofür genau verwende ich mein Deutsch im beruflichen und persönlichen Umfeld? Selbständig Grammatik lernen und üben Legen Sie sich eigene Lernkarten an. Bringen Sie ausgewählte Grammatikphänomene in Ihrer ganz eigenen Darstellungsweise auf Karten und ‚organisieren‘ Sie sie dabei neu. Arbeiten Sie ausgiebig mit optischen Elementen (Unterstreichungen, Farben, Kästchen, Punkte, Umrahmungen etc.). Arbeiten Sie mit prägnanten Mustern: Erfinden Sie zu grammatischen Phänomenen einprägsame Beispielsätze und lernen Sie diese auswendig. Die prägnanten Muster sollten Sie regelmäßig mündlich wiederholen, bis sie ‚Ohrwürmer‘ werden. Beispiele, die Sie selbst erfunden haben und die intelligent, lustig oder komisch formuliert sind, eignen sich besonders gut. Sie können auch Phrasen oder Strukturen aus authentischem Material auswählen (z.B. durch Mitnotieren etwa beim Lesen). Praktizieren Sie das ‚Lernen im Vorübergehen‘: Bringen Sie Schaubilder, Tabellen, Mustersätze, Merksätze, Eselsbrücken, Fehlerkorrekturen etc. dort in Ihrer Wohnung an, wo Sie sich regelmäßig aufhalten oder vorbeikommen: über dem Schreibtisch, um den Spiegel herum, an der Innenwand von Schranktüren, auf dem WC, an der Pinnwand, in Sichtweite des Frühstückstischs, entlang Trampelpfaden in der Wohnung etc. Verwenden Sie für die Darstellung großformatige Buchstaben oder Schrift (so ist das Lesen auf Distanz möglich). Schauen Sie Ihr ‚Material‘ täglich ein- oder zweimal an. Verändern Sie täglich etwas, indem Sie etwas austauschen oder anders anordnen! Wenn Sie mit grammatischen Übungsbüchern arbeiten: Schreiben Sie die Lösungen nicht in die Übungen selbst (etwa in vorhandene Lücken); dann können Sie nur einmal mit dem Material arbeiten. Schreiben Sie Ihre Lösungen vielmehr auf den Seitenrand, den Sie dann bei einem erneuten Durchgang abdecken können. Bilden Sie mit anderen Lernern zusammen einen ‚Grammatik-Club‘, in dem Sie (nicht nur) grammatische Probleme gemeinsam besprechen können. Auch für den Grammatikerwerb ist wichtig: So viel wie möglich in der Fremdsprache lesen und hören. Nutzen Sie die verfügbaren Medien! Als weiteres Beispiel ein ‚Merkblatt‘ zum selbständigen Grammatiklernen aus einem Workshop mit hessischen Italienisch-Lehrkräften, bei dem die TN Ratgeberliteratur zum ‚Lernen des Lernens‘ gesichtet und für die eigenen Lerngruppen Geeignetes adaptiert haben: Fortbildungsgegenstand „Strategien im Fremdsprachenunterricht“ ... 103 38 (2009) Bitte planen Sie in Kleingruppen eine Unterrichtseinheit (ca. 2 x 45 Minuten), bei der Sie das ‚Lernen des Lernens‘ in Ihren Unterricht integrieren. Erstellen Sie hierzu bitte eine tabellarische Planung der einzelnen Unterrichtsphasen, z.B. mit folgenden Spalten: 1. (Ungefähre) Dauer der Phase 2. (Haupt)Lernziele der Phase 3. Lehreraktivitäten 4. Lerneraktivitäten 5. Materialien/ Medien 6. Sozialform 7. Bemerkungen Die Workshops zur Erarbeitung von Unterrichtsmaterialien zum ‚Lernen des Lernens‘ liefern Produkte, die nach Ende der Fortbildungsveranstaltung noch weiter bearbeitet und in vorhandene Fortbildungsnetzwerke ‚eingespeist‘ werden können (z.B. über die Homepages von Fremdsprachenlehrerverbänden oder über Rundmails); denn sie sind auch für andere Lehrkräfte in hohem Maße potenziell praxisrelevant. In Einzelfällen (z.B. mit Lehrkräften für Deutsch als Fremdsprache in Makedonien) ist es zudem gelungen, durch entsprechende Veranstaltungen die Bildung von Fortbildungsnetzwerken zu initiieren. 3.3.2 Erarbeitung von Unterrichtsplanungen In einem weiteren Anwendungsschritt erarbeiten die TN Strukturplanungen für Unterrichtseinheiten, in denen - im Sinne eines integrierten Strategientrainings - bei der Arbeit im konkreten Lernbereich (z.B. Fertigkeitsschulung, Grammatik- oder Wortschatzarbeit) auch Strategien bewusstmachend behandelt und angewendet werden. Als Bezugs- und Orientierungspunkt dient dabei die zuvor erarbeitete Phaseneinteilung von Strategievermittlungssequenzen mit den jeweiligen methodischen Einzelverfahren (vgl. 3.1.5). In einem phasenbezogenen Raster werden die Planungen anschließend stichwortartig festgehalten. Hierbei können zuvor selbst erarbeitete oder aus Lehrmaterialien adaptierte Strategiebeschreibungen und Aufgabenbeispiele unmittelbar eingebunden werden. Die einzelnen Gruppen präsentieren ihre Ergebnisse und thematisieren konkrete Planungsprobleme. 3.3.3 Unterrichtssimulation (micro-teaching) Nach dem Prinzip des thematisch und/ oder methodisch fokussierten micro-teachings erhalten die TN Gelegenheit zum beruflichen Probehandeln in (komplexitätsreduzierten) Unterrichtsituationen mit anschließender Reflexion. Die TN-Gruppen wählen aus ihrer Strukturplanung jeweils eine oder mehrere Phasen der Strategievermittlung aus (insgesamt ca. 10-15 Minuten), die sie simulieren wollen. Die Rollen (Lehrer, Lerner) werden verteilt und die benötigten Materialien zusammengestellt. 104 Wolfgang Tönshoff 2 In einigen Fortbildungsveranstaltungen haben die TN - nach anfänglicher Scheu - auch sehr positive Erfahrungen mit dem Einsatz von Videoaufnahmen als Feedback-Instrument sammeln können. 38 (2009) Jede Gruppe macht noch einmal Angaben zur Einbindung der zu spielenden Phase(n) im von ihr geplanten Gesamtablauf der Unterrichtseinheit und führt die Simulation durch. Dabei ist darauf zu achten, dass die Simulationsteilnehmer während der Simulation in jedem Fall in ihrer Rolle bleiben und die übrigen TN sich als Beobachter nach Möglichkeit jedweden (auch nonverbalen) Kommentars enthalten. Bei der Evaluation der einzelnen Simulationen tauschen sich zunächst nur die Simulationsteilnehmer selbst über ihre Präsentation aus (Übereinstimmung mit der Planung, Gründe für Abweichungen, Anforderungen an das Rollenverhalten, Empfindungen während der Simulation etc.) 2 . Anschließend wird die Evaluation für die übrigen TN freigegeben und das simulierte Unterrichtsgeschehen unter Beachtung folgender Regeln für die Reihenfolge verschiedener Arten von feedback ausgewertet: 1. Beschreibung des beobachteten Geschehens (ohne positive oder negative Wertung) 2. Interpretation (z.B. mögliche Gründe für das beobachtete Verhalten, zugrundeliegende unterrichtsmethodische Überlegungen) 3. Bewertung des Beobachteten (zuerst positive, dann negative Punkte). Die Erarbeitung von Materialien und Unterrichtsplanungen sowie vor allem die Simulation im Rollenspiel werden - als in hohem Maße handlungsorientierte Fortbildungsverfahren - von den TN naturgemäß als sehr herausfordernd und persönlich anspruchsvoll erlebt. Veranstaltungsauswertungen zeigen jedoch immer wieder, dass diesem learning by doing - eine kollegiale Seminaratmosphäre vorausgesetzt - von den TN eine nachhaltige Wirkung zugeschrieben wird und dass die Transfermöglichkeiten auf den eigenen Unterricht als besonders hoch eingeschätzt werden. Literatur B AUSCH , Karl-Richard / B URWITZ -M ELZER , Eva / K ÖNIGS , Frank G. / K RUMM , Hans-Jürgen (Hrsg.) (2006): Aufgabenorientierung als Aufgabe. Arbeitspapiere der 26. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Tübingen: Narr. B IMMEL , Peter / R AMPILLON , Ute (2000): Lernerautonomie und Lernstrategien. Berlin / München: Langenscheidt. 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