eJournals Fremdsprachen Lehren und Lernen 38/1

Fremdsprachen Lehren und Lernen
flul
0932-6936
2941-0797
Narr Verlag Tübingen
Es handelt sich um einen Open-Access-Artikel, der unter den Bedingungen der Lizenz CC by 4.0 veröffentlicht wurde.http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/121
2009
381 Gnutzmann Küster Schramm

Digitale Medien und prozessorientiertes Lernen

121
2009
Bernd Rüschoff
flul3810175
* Korrespondenzadresse: Prof. Dr. Bernd R ÜSCHOFF , Universität Duisburg-Essen, Fakultät für Geisteswissenschaften, Institut für Anglophone Studien, Universitätsstraße 12, 45117 E SSEN . E-mail: bernd.rueschoff@uni-duisburg-essen.de Arbeitsbereiche: Spracherwerbsforschung, Digitale Medien im Fremdsprachenlernen, Korpuslinguistik. 38 (2009) B ERND R ÜSCHOFF * Digit ale Me die n und pro z e s s orie ntie rt e s L e rn e n zur Förderung sprachlicher und strategischer Kompetenz im Fremdsprachenlernen Abstract. Current thinking in SLA methodology favours knowledge construction rather than simple instructivist learning as an appropriate paradigm for language learning. Within this context, project-based and task-oriented scenarios have often been regarded as the real forte of digital media and technologyenhanced tools. Such approaches to learning are also rooted in the output hypothesis, which argues that learners should actively engage themselves in the negotiation and creation of ‘comprehensible output’ in order to develop linguistically and cognitively. Following the apparent upgrade of the Internet to Web 2.0, expectations are running high as to the innovative potential of this (supposedly) new platform for Technology Enhanced Language Learning. This paper will discuss the principles of output orientation in language learning with particular focus on writing activities. It will also consider the new level of dynamics afforded by some of the tools available in the “new” Internet as well as how these can be used to support the learners’ active engagement in productive and reflective processes when creating textbased output in language learning. 1. Vorbemerkung Wissenskonstruktion als lerntheoretisches Paradigma für eigenverantwortete und selbstgesteuerte Sprachlernprozesse wird vielfach als Alternative zu instruktionsbasierten Lernangeboten gesehen. Zudem wird der von Merrill S WAIN propagierten „Output Hypothese“ immer mehr Beachtung geschenkt, die das Erarbeiten von zielsprachlichem Output und die damit verbundenen Prozesse der Sprachproduktion als wichtigen Beitrag zum Sprachenlernen, aber auch zur Förderung des metakognitiven Wissens und entsprechender Strategien betont. Hier bieten digitale Medien seit jeher besondere Potentiale für den Sprachunterricht, und von Anfang an wurde deshalb die besondere Bereicherung des Fremdsprachenlernens durch Computer und Internet in der Funktion dynamischer, kognitiver Werkzeuge betont. Mit dem Schlagwort Web 2.0 und den damit bezeichneten Weiterentwicklungen im Internet verbinden deshalb viele hohe Erwartungen, auch was die Nutzungspotentiale dieses „Mitmach-Webs“ im Sprachenlernen betrifft. Diese Erwartungen basieren aus meiner Sicht zum einen auf einer neuen Qualität der Dynamik in der Nutzung digitaler Medien und der damit verbundenen erweiterten Impulse zur kognitiven Reflexion sowie gesteigerten Anreizen zur Kommunikation und Kooperation, die „so- 176 Bernd Rüschoff 38 (2009) ziale“ Software und entsprechende Plattformen im heutigen Internet zu bieten haben. Zum anderen aber gründen diese Erwartungen auch auf der Tatsache, dass Werkzeuge des Web 2.0 sich durch eine deutlich einfachere Nutzung auszeichnen als manche Internet-Tools der ersten Generation. Gerade das letztere führt dazu, dass Wikis, Blogs, soziale Netze usw., um nur einige Angebote des Web 2.0 zu nennen, schon jetzt als „transparente Technologien“ (W HEELER [et al.] 2005) bezeichnet werden, die den Lernenden das Fokussieren auf die Lösung einer Lernaufgabe ohne technische Barrieren erleichtern. So stellen P ARKER / C HAO (2007: 57) fest: „[…] these tools afford the added advantage of reducing the technical skill required to use their features, allowing users to focus on the information exchange and collaborative tasks themselves without the distraction of a difficult technical environment“. Was den vorliegenden Beitrag betrifft, so soll es hier um folgende Aspekte gehen: Zunächst wird, ohne dabei auf die kontroversen Diskussionen zum Begriff Web 2.0 eingehen zu können, doch kurz das besondere Charakteristikum des „Neuen“ Internet skizziert. Da das Prinzip der kooperativen Autorenschaft und des globalen Networking mittels der nunmehr im Internet verfügbaren so genannten Social Software und einer Vielzahl weiterer nutzerfreundlichen (Autoren)Tools ein besonderer Schwerpunkt der Nutzung des „Neuen Webs“ ist, soll die Bedeutung kollaborativer, sozial kontextualisierter Formen des Lernens diskutiert werden. Bei solchen Lernkontexten spielen neben der reinen Sprachproduktion vor allem auch die Lernprozesse und deren Reflexion eine wichtige Rolle, wodurch Lernende Strategien der Sprachverarbeitung und Sprachproduktion in deren Wirksamkeit und Wirkung erfahren können; deshalb sollen entsprechende Ansätze in aller gebotenen Kürze lerntheoretisch verankert werden. Dabei geht es u.a. auch um eine Ausdifferenzierung der Lernziele fremdsprachlichen Lernens bis hin zur Förderung von Lerntechniken und Lernstrategien. Hier wird dann auch kurz auf erste Forschungsergebnisse - vor allem zum Schreiben in digital unterstützten Lernräumen - verwiesen, die zeigen, dass kooperatives Schreiben mit digitalen Tools tatsächlich die erwarteten quantitativen und qualitativen Effekte auf Schreibprozesse und Produkte (vgl. P ENNINGTON 1999: 1) bewirken kann, sich solche Lernangebote also potentiell positiv auf das metakognitive Wissen und die schreibstrategische Kompetenz der Lernenden auswirken können. Schließlich werden dann einige kollaborative Schreibaufgaben in Wikis skizziert; dabei geht es sowohl um Beispiele aus der Literatur als auch Lernangebote, mit denen wir in der Anglistik an der Universität Duisburg-Essen im Kontext unserer schulpraktischen Studien gute Erfahrungen gemacht haben. 2. Technische Annäherung: Digitale Medien im Zeitalter des Web 2.0 Was ist das Web 2.0? Um diese Frage im Stil des guten alten Lehrers Bömmel aus der Feuerzangenbowle anzugehen: Zunächst einmal ist das Internet bekanntermaßen ein großes digitales Netz, in das auf der einen Seiten Informationen und Daten eingespeist werden, auf die dann auf der anderen Seite weltweit zugegriffen werden kann. Außerdem dient das Netz der Kommunikation auf elektronischem Wege. In Zeiten des Web 1.0 Digitale Medien und prozessorientiertes Lernen ... 177 38 (2009) wurden die Informationen allerdings von einer - relativ gesehen - überschaubaren Zahl an Quellen bzw. Anbietern ins Netz gestellt und auch die Kommunikationswege (E-Mail etc.) waren zunächst eher auf direkte und gezielte Kontakte fokussiert. Aus diesem Grunde wird das Internet der ersten Generation oft auch gerne im Sinn eines „one-to-one“ oder „one-to-many“-Netzes charakterisiert. Im Internet in seiner ersten Ausprägung, obwohl von Anfang an als Mittel der Vernetzung und des Austausches von Informationen intendiert, fand also eher eine Einweg-Kommunikation statt, und in Sprachlernkontexten lag ein Fokus auf Unterricht und Unterrichtsvorbereitung neben zunächst vornehmlich E-Mail unterstützten Kommunikationsprojekten vor allem in der Nutzung als Informationsquelle, Fundus authentischer Materialien und Rechercheinstrument. Natürlich wurden schon relativ früh auch bereits eine Vielzahl an Internetprojekten durchgeführt, bei denen Lerngruppen Webseiten erstellt und im Internet publiziert haben; allerdings blieben diese eher eine Ausnahme und Lerngruppen und Lehrenden mit wenig Scheu gegenüber den damit oft verbundenen technischen Hürden vorbehalten. Im Gegensatz dazu präsentiert sich das Internet der neuesten Generation als wirkliche Plattform für eine „many-to-many“-Kommunikation, bei der technische Aspekte der Nutzung bzw. Nutzerfreundlichkeit deutlich weniger im Vordergrund der Anwendung stehen. Als Web-2.0-Anwendungen versteht man somit jene im Netz für jeden Nutzer verfügbaren Software-Anwendungen und soziale Plattformen, über die man auf Informationen nicht nur zugreifen, sondern komplikationslos auch eigene Inhalte im Internet publizieren oder austauschen kann, ohne dafür eigene Webseiten programmieren zu müssen. Gleichzeitig bieten Plattformen, wie z.B. Facebook oder StudiVZ, Möglichkeiten für bisher so nicht gegebene Formen der sozialen Vernetzung und Kommunikation. Öffentliches Schreiben ist über Blogs und ähnliche Tools kinderleicht geworden, und mittels Wikis, die sich nach dem Modell der Wikipedia-Enzyklopädie mit entsprechenden Tools im Internet einrichten lassen, können viele Nutzer gemeinsam und telekooperativ Texte und ähnliche - auch multimedial aufbereitete und hypertextuell verknüpfte - Dokumente bearbeiten und ausgestalten. Laut eben dieser Wikipedia-Enzyklopädie ist Web 2.0 deshalb eher „ein Schlagwort [...] für eine Reihe interaktiver und kollaborativer Elemente des Internets“ und weniger eine konkrete Produktbeschreibung. Neben Wikis sind wohl digitale Tagebücher, also blogs, das bekannteste Beispiel für individuell gestaltbares Publizieren und Kooperieren im Web 2.0. Dazu gehören aber auch Plattformen wie YouTube oder Flickr, mittels derer eigenproduzierte Videos und Fotos in das WWW „gestellt“ werden können, sowie Plattformen für das PodCasting zur Verbreitung eigenproduzierter Radiospots. Podcasts und Videocasts sind zudem mittlerweile unverzichtbare Quellen für authentische (historisch wie tagesaktuell relevante) Materialien für das Sprachenlernen geworden. Allerdings ist die bereits erwähnte Wikipedia, als von der Web-Community weltweit und in vielen Sprachen gemeinsam gepflegte Online-Enzyklopädie, wohl noch immer das prägnanteste Signal für den Paradigmenwechsel in der Nutzung des Internet. Hier liegt ein besonderes Potential für die Flexibilisierung von Unterricht, denn mittels entsprechender Tools können Lernende zur eigenverantworteten und kollaborativen Aufbereitung von Informationen angeregt werden. Für Lehrpersonen ist das Angenehme an Web-2.0-Applikationen, 178 Bernd Rüschoff 38 (2009) dass diese im Prinzip ohne aufwendige Installationen auf dem Server der eigenen Bildungseinrichtung über global im Netz verfügbare Plattformen in den Unterricht einbezogen werden können. Auf eine detaillierte Beschreibung aller Tools des „Neuen Web“ soll aber hier verzichtet werden, da dazu - auch bezogen auf das Sprachenlernen - bereits einige Publikationen vorliegen. Hier sei z.B. verwiesen auf das Heft 152 der Zeitschrift Log In aus dem Jahr 2008 oder entsprechende Einträge im Wiki der ZUM e.V. - Zentrale für Unterrichtsmedien im Internet. Das Web 2.0 ist also zunächst nichts anderes als ein Ensemble global nutzbarer Autorenwerkzeuge und Kommunikationstools. Eine detaillierte Einschätzung der Potentiale dieses sogenannten „Mit-Mach Web“ für das Sprachenlernen aus Sicht des Verfassers dieses Beitrags wurde Anfang 2009 im Handbook of Research on Web 2.0 and Second Language Learning vorgelegt (vgl. Rüschoff: 2009). 3. Didaktische Annäherung: Digitale Medien als dynamische Werkzeuge für das Sprachenlernen Was die Kommunikation und die Kollaboration im Sprachenlernen mittels Web-Tools betrifft, so greifen hier aus meiner Sicht besondere Formen der Kooperation, die mehr als bisher im Sinne einer prozessorientierten Didaktik zur Förderung von strategischer Kompetenz und Lernbewusstheit beitragen können. Deshalb soll mit Bezug auf das Web 2.0 der Begriff „Dynamik“ diskutiert werden, der schon für die Nutzung technologiegestützter Werkzeuge älterer Ausprägung im Sprachunterricht thematisiert wurde. Schon früh wurden Computer und Internet als dynamische, kognitive Werkzeuge ausdefiniert (siehe dazu R ÜSCHOFF / W OLFF 1999: 119 ff). Zwar konnte man sowohl im Internet in dessen ursprünglicher Ausprägung als auch offline am PC sogenannte Templates im Sinne von Werkzeugen zur Erleichterung einer sinnvollen Sammlung, Organisation und Aufbereitung von Wissen im Sprachunterricht einsetzen (vgl. R ÜSCHOFF / W OLFF 2002); was das Web 2.0 und die dort nutzbaren Tools betrifft, sehe ich aber die Notwendigkeit für deren Würdigung im Sinne einer deutlich vielschichtigeren Form von Dynamik in Bezug auf Sprachproduktionsprozesse und Kommunikationskontexte. Natürlich bieten auch neue Tools eine Dynamik im Sinne einer ständigen Veränderbarkeit der Inhalte oder eines Textes. Dass diese Dynamik auch bei herkömmlichen Textverarbeitungsanwendungen positiv auf die Sprachproduktion wirken kann, haben u.a L EGENHAUSEN / W OLFF (1991) ja schon in einer frühen Phase der PC-Nutzung deutlich gemacht. Für die elektronische und telekollaborative Kommunikation im früheren Internet hat auch D ONATH (z.B. 1995) immer wieder gezeigt, wie dynamisch und lernfördernd das gemeinsame und „digitale“ Schreiben sein kann. In einem Beitrag zu diesem Thema fasst A BDULLAH (2003) die bisherigen Erfahrungen wie folgt zusammen: „Word processing and e-publishing have brought about interesting developments in the way writers write. In general, the malleable nature of electronic text has made the physical process of composing more ,elastic‘ in that writers are quicker to commit thought to writing and to reorganize content because it is simple to make changes on the electronic screen“. Dynamik im Sinne der „Formbarkeit“ und „Elastizität“ von Text ist natürlich auch weiterhin ein wichtiger Digitale Medien und prozessorientiertes Lernen ... 179 38 (2009) Aspekt digitalen Schreibens. Zudem ist im Web 2.0 ebenfalls die Dynamik, die sich aus unterschiedlichen Perspektiven und Zugriffen auf Inhalte ergeben kann, gegeben. Im Wiktionary (http: / / de.wiktionary.org) wird dynamisch mit „voll innerer Bewegung“ umschrieben, und oft werden auch Begriffe wie „lebendig“ oder „wirksam“ im Zusammenhang mit dynamisch genannt. Aus meiner Sicht verändert sich bei der kollaborativen Sprachproduktion im Web 2.0, gerade beim Arbeiten mit einem Wiki, die Dynamik in Richtung deutlich veränderter Produktionsprozesse und Produktionskontexte. Beim Schreiben im Wiki treten „sowohl Diskursals auch Textaktionen“ (P LATTEN 2008: 9) auf. Die Phasen des Erstellens eines Textes, die „innere Bewegung“ wie auch die „Lebendigkeit“ und „Wirksamkeit“ des Kreationsprozesses werden hier im Sinne eines oft zitierten „collective authoring“ durch kooperative Teams (P ARKER / C HAO 2007) wesentlich direkter und unmittelbarer erfahren als bei Nutzung traditioneller Textverarbeitungsprogramme. Oft wird ja gerade für das Schreiben im Sprachunterricht beklagt, dass „Schülerinnen und Schülern […] die Prozesshaftigkeit der Vertextung und ihre Zerlegbarkeit in Teilprozesse verborgen [bleibt]“ (S IEPMANN 2003: 25). Hier wirken „Schreib- und Publikationswerkzeuge“ im heutigen Internet deutlich dynamischer. Über Formen des öffentlichen Schreibens und der darauf basierenden Kommunikation mit anderen im Internet erfahren Lernende auf sehr dynamische Art und Weise etwas über die Wirkung von eigenverfassten Texten. K ESSLER (2009: 80) beschreibt diese Dynamik wie folgt: „[…] a wiki-based text is in a constant state of potential collaborative change.“ Unterstützt wird das Erfahren der Prozesshaftigkeit, das Erleben der potentiellen kollaborativen Veränderung und Veränderbarkeit von Text wie auch das Nachvollziehen der Teilprozesse der Textproduktion über die „History“-Funktion in Wikis, mittels derer alle vorherigen Versionen eines Textes eingesehen und ggf. sogar wieder gespeichert werden können, um so den ursprünglichen Inhalt wiederherzustellen. Da diese Funktion im Prinzip alle vorausgegangenen Versionen bzw. Veränderungen eines Wiki-Textes speichert, können Lernende die Genese eines Textes sowie die entsprechenden Phasen und Prozesse der Textproduktion entsprechend nachvollziehen, reflektieren und somit in die weitere Produktion einbeziehen. Diese Funktion, wie auch die übrigen technisch bedingten Grundprinzipien des Wiki- Schreibens, führen nach Expertenmeinung zu deutlich veränderten Schreibprozessen und größerer Dynamik. So stellen C UMMINGS / B ARTON (2008: viii) vor dem Hintergrund ihrer Beobachtungen fest, dass sich veränderte Ausprägungen der Dynamik beim Schreiben in Wikis zwangsläufig ergeben: „[T]hey structurally invite collaboration and yet tolerate dissension. Wikis are not blogs or Web spaces where one user writes and all others read. […] these spaces create communities of inquiry around topics, they facilitate gradual move toward a more singular comprehension […]“. Somit werden beim Schreiben im Wiki Lerngruppen im Sinne der oft diskutierten „community of inquiry“ zu einer wirklichen „Dialoggemeinschaft“ und „Forschergemeinschaft“, was eine besondere Dynamik mit sich bringt. Zudem wird auch hier vor dem Hintergrund eines quasi öffentlichen Produzierens innerhalb einer Gruppe die Dynamik der Wirkung eines Textes nachvollziehbar und kann in die Reflexion des Produktionsprozesses wie auch des Produkts einbezogen werden. Mit der „History“-Funktion oder vergleichbaren Funktionen (z.B. 180 Bernd Rüschoff 38 (2009) Versionsabgleich) erhält im Übrigen die Sprachlehr- und -lernforschung ein mächtiges Werkzeug, um Prozesse der Sprachproduktion nachhaltig zu untersuchen. So stellt P LATTEN (2008: 9) fest: „Die bislang nicht-beobachtbaren und kaum nachvollziehbaren Textproduktionsprozesse können durch die abgespeicherten Versionen im Wiki und durch die Funktion des Versionenabgleichs zumindest teilweise nachvollzogen werden. Von den einzelnen Phasen der Textproduktion (Planungsphase, Formulierungsphase, Inskriptionsphase und Revisionsphase) können dabei mit Hilfe von Analyseinstrumenten [...] Aussagen zur Inskriptions- und zur Revisionsphase gemacht werden. Bezieht man schriftliche Aushandlungsprozesse im Wiki mit ein, so können theoretisch außerdem Aussagen zur Planungsphase gemacht werden“. In Wikis werden zudem alle Phasen des Schreibprozesses, von der Aufgabenstellung und Planung über die Stoffsammlung, der ersten Gliederung und Aufbereitung von Inhalten in Form des Erstentwurfs eines Textes und dessen vielfacher Überarbeitung bis hin zum Endprodukt und dessen endgültiger „Veröffentlichung“ nicht nur im Sinne der, für das erfolgreiche Schreiben notwendigen „prozeduralen Erleichterung“ (vgl. W OLFF 1991: 37), dynamisch unterstützt. Diese Form des gemeinsamen Arbeitens fördert nach Aussage einer Reihe von mittlerweile vorliegenden Fallstudien nicht nur die Qualität der Schreibprodukte (vgl. z.B. F ORTE / B RUCKMAN 2006), sondern in besonderem Maße auch die Schreibkompetenz und die damit verbundenen strategischen Fertigkeiten und entsprechendes metakognitives Wissen. C AETON (2008: 132) umschreibt Wikis als sogenannte „negotiating mechanisms“, die das Verständnis von und die Bewusstheit für die Mechanismen der Diskursproduktion nachvollziehbar fördern. M C D ONALD zeigt 2007, wie Lernende von wiki-unterstützten Schreibprojekten profitieren, dass sie angeregt werden, „critical skills of process writing“ nicht nur zu nutzen, sondern diese auch nachweislich verfeinern. Ohne auf eine ausführliche Diskussion aller Aspekte strategischer Schreibkompetenz und der damit verbundenen metakognitiven Wissensbereiche abzuzielen, soll aber zum Abschluss dieses Abschnitts darauf verwiesen werden, dass neben dem üblicherweise angeführten Ensemble an Fertigkeiten sogenannte „constructive editing skills“ (W EST 2009: 27) als zusätzliches Ergebnis kollaborativen Schreibens in Wikis betont werden. 4. Lerntheoretische Annäherung: Prozessorientiertes und output-orientiertes Sprachlernen zur Förderung von Sprachhandlungskompetenz und metakognitivem Wissen Natürlich ist es in dem vorliegenden Beitrag nicht möglich, den Stand der lerntheoretischen Diskussion zum Thema Fremdsprachenerwerb in aller Ausführlichkeit darzustellen. Allerdings gibt es eine Reihe von Aspekten, auf die man bei Sichtung der Literatur zu den didaktischen und methodischen Grundlagen des Sprachunterrichts immer wieder stößt und auf die auch häufig in Begründungskontexten zur Nutzung digitaler Medien im Sprachenlernen verwiesen wird. Ich will versuchen, diese mit dem folgenden Schaubild als „Haus des Lernens“ zusammenzufassen und zu organisieren: Digitale Medien und prozessorientiertes Lernen ... 181 38 (2009) Was die lerntheoretischen Aspekte betrifft, so habe ich diese als Fundament zusammengetragen. Hier folge ich seit jeher einem kognitiv-konstruktivistischem Paradigma, welches zunehmend auf Grundlage eines interaktionistisch geprägten Ansatzes zum Spracherwerb in Richtung eines partizipatorischen und kollaborativen Paradigmas ergänzt wird (vgl. L ARSEN -F REEMAN 2000). Dieses Paradigma hebt neben der Bedeutung einer kollaborativen Wissenskonstruktion in sozial-kontextualisierten und erfahrungsorientierten Lernanlässen die Prozessorientierung besonders hervor. „Indeed, they [participatory approaches] give priority to process over predetermined linguistic content. In these approaches rather than ,learning to use English‘ students ,use English to learn it‘ […]“ (L ARSEN -F REEMAN 2000: 137). Daraus ergeben sich in Hinblick auf die Ziele fremdsprachlicher Lernprozesse die in Form des Daches zusammengefassten Aspekte. Ich benutze hier in Anlehnung an den englischen Begriff „Awareness“ seit jeher den Terminus „Bewusstheit“, der nach meinem Verständnis aus ganzheitlicher Sicht sowohl Aspekte des expliziten Wissens, aber auch der Kognition und Reflexion bezogen auf Lernen, Sprache und Sprachgebrauch, zusammenbringt. Dazu gehört auch eine besondere Sensibilität für das Andere und das Ähnliche in der Fremdsprache und deren Gebrauch wie Gebrauchskontexte mit Bezug auf die eigene Sprache sowie die sich daraus ergebende Handlungskompetenz. Funktionale und interkulturelle Bewusstheit sind diesbezüglich wichtige Aspekte, wobei Lernbewusstheit dann das Wissen über Lern-, Denk- und Problemlösestrategien, deren Reflexion, aber auch die Fertigkeit, diese in Lernprozessen anzuwenden, umfasst. Zu diesem Begriffsfeld liegt ein Themenheft dieser Zeitschrift aus dem Jahre 1997 vor (koord. von E DMONDSON / H OUSE ), und im Handbuch Fremdspra- 182 Bernd Rüschoff 38 (2009) chenunterricht fasst G NUTZMANN (2003) das Thema Sprachbewusstheit kompakt zusammen. Als Sammelbegriff fasse ich die in verschiedene „Bewusstheiten“ ausdifferenzierten Lernziele unter dem Begriff Agency zusammen, der im Sinne der englischsprachigen Definition die Handlungskompetenz im Sinne einer „ability to make choices and to act accordingly“ oder nach M URRAY (1997: 126) der „satisfying power to take meaningful action and see the results of our decisions and choices“ beschreibt. Ziel ist es also, im Sprachunterricht eine vielschichtige und ausdifferenzierte Lern- und Sprachhandlungskompetenz (also Agency) herauszubilden, die Lernende befähigt, im jeweiligen Handlungskontext das Richtige zu tun, denn „agency focuses on the idea of empowering the learner with the skills and competencies needed to interact and communicate in a meaningful and appropriate manner in a given context“ (R ÜSCHOFF 2009: 44). Dies bezieht sich dann sowohl auf kommunikative Kontexte wie auch auf das Lernen an sich, und Agency beinhaltet in jedem Fall auch die strategischen Kompetenzen im Sinne der durch „planning, monitoring and evaluating“ zu aktivierenden metakognitiven Strategien nach O’M ALLEY / C HAMOT (1990) wie auch das metakognitive Wissen, das W ENDEN (1999: 435) als „specialized portion of a learner’s knowledge base […] which consists of what learners know about learning and […] language learning“ bezeichnet. Was die Lernkontexte und Lernprozesse selbst betrifft, so habe ich diese in Anlehnung an L EGUTKE s Lernräume (vgl. L EGUTKE 1999) quasi in die vier Wände des Hauses integriert. Wichtig ist mir dabei vor allem, dass Lernangebote - ungeachtet dessen, ob sie eher lehrergesteuert im Unterrichtsraum oder lernerorientiert und eigenverantwortet im Projektraum oder Workshop verortet sind - in jedem Fall Aspekte von partizipatorischem Lernen in Form von sozial-kontextualisierter Wissenskonstruktion beinhalten sollten, in die dann auch eine Reflexion der Verarbeitungsprozesse von sprachlichem Input oder (gemeinsam) produziertem Output integriert sein muss. Daraus ergeben sich auf didaktisch-methodischer Ebene Konsequenzen, die sich auch mittels digitaler Medien fruchtbar in unterrichtliches Handeln übertragen lassen. In der englischsprachigen Fachliteratur wird hier neben dem kooperativ-kollaborativen Prinzip oft auf die Notwendigkeit eines „task-based“-Ansatzes verwiesen, den G NUTZMANN (2006: 62) als aufgabenorientiert umschreibt und der nach seinem Verständnis in besonderem Maße als lernerfokussierter Ansatz zu definieren ist, „[…] in dem der Lehrerin vor allem die Rolle bei der Auswahl und Anordnung der tasks zukommt, nicht aber deren Ausführung“. Eine „taskbased philosophy“ ist nach S CHROOTEN (2006) gerade mit digitalen Tools praktizierbar, da mit ihnen die Realisierung des „learning by doing“, bei dem Lernende die Kontrolle über die interaktiven Prozesse behalten, sehr gut ermöglicht wird. Wird die Aufgabenorientierung dann über dynamische Werkzeuge im Web 2.0 initiiert und unterstützt, so kann Lernen zu einem selbstbestimmten, partizipativen und explorativen Prozess werden. Partizipation und Prozessorientierung sind Begriffe, die zentral sind für die von Merrill S WAIN 1985 in ihrer Urform propagierte Output-Hypothese. In dieser Hypothese wird die Bedeutung der Sprachproduktion im Sinne eines „negotiating meaningful output“ und der damit verbundenen Reflexionsprozesse für das Sprachlernen zur Unterstützung der sprachlichen und kognitiven Entwicklung hervorgehoben (vgl. S WAIN 1985, S WAIN / Digitale Medien und prozessorientiertes Lernen ... 183 38 (2009) L APKIN 1995). Allerdings ist mit der besonderen Betonung der Bedeutung von Output für das Sprachenlernen nicht ein vornehmlich auf das Produkt und dessen Bewertung fokussierter Ansatz gemeint. Um entsprechenden Missverständnissen vorzubeugen und die Notwendigkeit einer Prozessorientierung beim Sprachenlernen hervorzuheben, ergänzt S WAIN (2006: 95) in jüngerer Zeit diesen Begriff auch durch „languaging“ im Sinne des „process of making meaning and shaping knowledge and experience through language“. Dieses Sprachhandeln im Sinne eines Versprachlichen, Aushandelns mit Sprache und der damit verbundenen bewussten wie unbewussten Planungs-, Reflexions- und Produktionsprozesse definiert sie dann im Jahre 2007 wie folgt: „Through languaging, defined as the use of speaking and writing to mediate cognitively complex activities, an individual develops cognitively, and […] affectively. The act of producing spoken or written language is thinking in progress and is the key to learners’ understanding of complex concepts“ (S WAIN / D ETERS 2007: 822). In entsprechenden Publikationen wird zudem immer wieder die Notwendigkeit des gemeinsamen, in Gruppen stattfindenden Produzierens von Sprache hervorgehoben. 5. Unterrichtspraktische Annäherung: Wiki-basierte Schreibaufgaben im Sprachunterricht Betrachtet man die gängige Unterrichtspraxis, so finden - trotz der bei manchen Lehrenden immer noch vorherrschenden Skepsis oder Missverständnisse gegenüber dem Nutzungspotential digitaler Medien wie auch einem aufgabenorientierten Lernparadigma - kollaborative, sozial kontextualisierte Formen des Lernens mit Fokus sowohl auf Sprachproduktion wie auch Reflexion mehr und mehr Beachtung. Was die Wirksamkeit solcher prozessorientierten Lernangebote betrifft, so kann mittlerweile auf eine Vielzahl von Fallstudien und auch größere Untersuchungen mit Lerngruppen verwiesen werden. Bezogen auf das Schreiben in der Fremdsprache, für das digitale Medien neuester Ausprägung - vor allem in Form von Wikis - im Sprachunterricht besondere Potentiale bieten, stellten L EGENHAUSEN / W OLFF bereits 1991 fest, wie das Schreiben in Gruppen unter Nutzung selbst einfacher Software zur Textverarbeitung die Schreibkompetenz und die dafür notwendigen Strategien fördern kann. Ohne an dieser Stelle einen umfassenden Überblick über den Stand der hier angesprochenen Forschung geben zu wollen, soll doch auf S WAIN / L APKIN (1995) verwiesen werden, die beobachten konnten, wie kollaborative Lernkontexte dazu führen, dass Lernende ihre Sprachproduktion auf einem sehr hohen Niveau reflektieren. Digital unterstützte Schreibprozesse in jedweder Form scheinen dabei besonders fruchtbar zu sein. Im Jahre 1999 legte P ENNINGTON eine Veröffentlichung mit dem Titel Writing in an Electronic Medium: Research with Language Learners vor, die eine Vielzahl der Prozesse, die Lernende beim „negotiating meaningful and comprehensible output“ durchlaufen, auf Grundlage unterschiedlicher Studien nachvollziehbar darstellt. Die in diesem Band enthaltenen qualitativen und quantitativen Studien zur Nutzung von Textverarbeitung, aber auch das Schreiben bei der E-Mail-Kommunikation sowie die kreativen Prozesse beim Erstellen und Publizieren von Webseiten, bestätigen 184 Bernd Rüschoff 38 (2009) insgesamt, dass selbst „traditionelle“ digitale Tools im Sinne einer Strategieförderung wie auch Verbesserung der Schreibperformanz wirken. „[Such tools] facilitate the generation, revision, and dissemination of text [and] create the conditions for quantitative and qualitative effects on language learners’ writing process and products“ (P ENNINGTON 1999: 1). Was das Schreiben in Wikis betrifft, verweist S OTILLO (2002) darauf, dass kollaborative Schreibaufgaben zu komplexeren Produkten und gesteigerter Bereitschaft zur Berücksichtigung von „peer feedback“ führen, und S TORCH (2005) berichtet über eine Fallstudie, die zeigt, dass Teams bessere Texte „in terms of task fulfilment, grammatical accuracy, and complexity“ produzieren als vergleichbare individuell geschriebene Texte. Mit Bezug auf entsprechende Schreibkontexte im Web 2.0 beobachtete beispielsweise W ARE (2004), dass web-basierte Schreibkontexte auf Lernende motivierend und auch strategieaktivierend wirken können. Auf jeden Fall wird immer wieder bestätigt, dass über wiki-basierte Lernkontexte, die ein hohes Maß an Produktivität, Kooperation und Interaktion beinhalten, Lernenden „agency in an environment rich with opportunity and necessity for purposeful language use“ geboten werden kann (M URRAY 1999: 296). Zur Verdeutlichung sollen abschließend noch kurz einige Beispiele aus der Unterrichtspraxis skizziert werden. Prozessbasiertes Schreiben beginnt auch in Wikis nach der Aufgabenstellung mit dem Sammeln von Ideen und Ressourcen, wird übergeleitet in erste Notizen und Planungen für den Text hin zu einem ersten Entwurf, gefolgt von dem gemeinsamen Revidieren und Überarbeiten mit der abschließenden Veröffentlichung des kooperativ erstellten Schreibprodukts. Dafür gilt es aber, entsprechende Rahmen und für die Lernenden nachvollziehbare Parameter zu geben. Es reicht keinesfalls, sich auf die Dynamik des Schreibens in Wikis an sich zu verlassen und zu hoffen, dass Lernende quasi automatisch wiki-gerecht agieren und kooperieren, obwohl Wikis „geradezu zum Mitmachen einladen“, wie A RMBRÜSTER / R EDENIUS (2009) in den von ihnen betreuten Schulprojekten unseres Teams an der Universität Duisburg-Essen oft feststellen konnten. Zunächst gilt es, die technischen Grundlagen für Lernende transparent zu machen, also Schülerinnen und Schüler mit dem Schreiben im Wiki und dessen Funktionalitäten vertraut zu machen. Hier haben wir gute Erfahrung mit ersten Arbeitsaufträgen im Sinne des Verfassens eines kurzen Lebenslaufs oder einer Kurzbiografie gemacht, da Lernende hier auf bekannte Formate und entsprechendes Textsortenwissen zurückgreifen können. Die eingangs angesprochene neue Form der Dynamik in wiki-basierten Schreibkontexten ist auch damit verbunden, dass in den Lernraum Wiki Ressourcen und Referenzen aus Wikis integriert werden können, die Lernende im Laufe des Schreibprozesses immer wieder konsultieren können. Ein Beispiel aus unseren Schulprojekten ist eine Unterrichtsreihe in einer Klasse 6 der Frida-Levy-Gesamtschulte in Essen mit dem Titel „Essen 4 Kids“. Hier sollte von Teams ein Stadtführer für Jugendliche erstellt werden. In das Wiki wurden also entsprechende Links auf Wiki-Einträge integriert, so dass Gruppen das gewünschte Format der zu produzierenden Texte nachvollziehen und sich daran orientieren konnten. L UND , ein Kollege aus Norwegen, berichtet über ein vergleichbares Projekt, bei dem Lerngruppen einen ausdifferenzierten Wiki-Eintrag zu einer fiktiven englischen Stadt gestaltet haben. Auch dort wurden zunächst typische Stadtprofile in der Wikipedia Digitale Medien und prozessorientiertes Lernen ... 185 38 (2009) gesichtet, bevor die Gruppen die Teilbereiche des Wikis zu „ihrer“ Stadt namens „Funkytown“ planten und inhaltlich ausgestalteten. L UND führt mit Bezug auf dieses und vergleichbare Projekte an, dass Wiki-Features zwar die Qualität der Prozesse und der Resultate positiv beeinflussen, stellt aber gleichzeitig fest: „However, it seems that this kind of activity does not appear automatically but needs prompting and cultivation over time. This calls for flexible and knowledgeable support, […]“ (L UND / S MØRDAL 2006: 42). Was den „knowledgeable support” betrifft, so verweise ich auf ein Projekt mit dem Titel „Get Connected - Write Connected - Stay Connected“, über das A RMBRÜSTER / R EDENIUS (2009) berichten. Dieses Projekt fand im Rahmen des Englischunterrichts eines Grundkurses der Jahrgangsstufe 13 an der Maria Wächtler Schule in Essen-Rüttenscheid statt. Es handelte sich dabei um eine zweiwöchige Schreibwerkstatt auf Wiki-Basis: Nach einer kurzen Einführung in die Arbeit mit Wikis sollten die Lernenden selbstständig zu einem Literaturthema Essays, Kommentare, usw. in Form von Wiki-Einträgen erstellen. In einem zweiten Arbeitsschritt wurden die Lernenden beauftragt, die zunächst in Einzelarbeit erstellten Texte der anderen zu lesen und ihnen Feedback, Tipps und Hilfen zur Verbesserung zu geben. Die anschließende Überarbeitung der Texte geschah dann wieder in Einzelarbeit. Zum einen wurde auf diese Art und Weise ein behutsames Heranführen an kollaborative Schreibprozesse praktiziert, zum anderen wurde von Anfang an „knowledgeable support“ gegeben in Form von im Wiki bereitgestellten Arbeitsmaterialien, beispielsweise Strukturierungshilfen, durch einen Online Thesaurus, eine Sammlung entsprechender Diskurselemente, Mustertexte und Gestaltungskriterien für Essays - u.a. gemäß Vorgaben für das NRW-Zentralabitur - sowie durch Online Wörterbücher. Die ständige Verfügbarkeit „der relevanten Materialien und der Internetquellen [war für fast alle Schüler/ innen] von besonders großer Bedeutung“, wie A RMBRÜSTER / R EDENIUS (2009: 44) berichten. Die Schüler/ innen konnten im Wechsel von Einzelarbeit und Revidieren kollaborativ reflektieren, was Inhalt und Struktur eines themenbezogenen Essays ausmacht, in welcher Form man angemessene Kritik äußert und diese konstruktiv nutzen kann. Neben den Regeln zum Verfassen und Strukturieren entsprechender Texte ging es auch um die Wiederholung diskursspezifischer Elemente, z.B. satzverbindender Wörter und Ausdrücke, sog. Connectives. Mit diesem und weiteren Projekten wollen wir die Potentiale des Wiki-Konzepts für den Fremdsprachenunterricht erproben und herausfinden, wie einfach (oder wie aufwendig) das Konzept in die Unterrichtspraxis zu integrieren ist bzw. wie motivierend die Arbeit mit Wikis für die Lernenden ist. In diesem Projekt bestätigte sich vor allem die positive Wirkung des kollaborativen und kooperativen Elements bei Wiki-Projekten. A RMBRÜSTER / R EDENIUS verweisen auf entsprechende Ergebnisse bei der Befragung von Lernenden, die ihren Lernerfolg u.a. auf das „[…] Lesen- Können der anderen Essays […]“ zurückführen. Ein Schüler formulierte dies treffend: „Reading other people’s texts broadens our horizon“ (A RMBRÜSTER / R EDENIUS 2009: 44). Ähnliches kann auch auf Grundlage unserer Erfahrungen bei der Nutzung von Wiki- Tools in Kooperation mit der Frida-Levy-Gesamtschule festgestellt werden, wo bereits seit mehreren Jahren mit klassenspezifischen Wikis gearbeitet wird, in denen Schülergruppen jeweils Texte und Informationsmaterialien zu Unterrichtsthemen schreiben und online zusammenstellen. Beispielsweise erarbeitete eine Klasse 7 im Biconomics-Zug 186 Bernd Rüschoff 38 (2009) (bilingualer Unterricht: Englisch, Economics/ Wirtschaft) ein Wiki zum Themenbereich „Needs & Wants“, in dem persönliche Einstellungen zu eigengesteuerten oder durch Werbung und andere Faktoren gesteuerten Wünschen und Bedürfnissen diskutiert und in telekollaborativ erstellten Texten im Wiki bearbeitet werden. In diese Projekte werden dann sukzessive auch weitere Tools des Web-2.0 einbezogen, z.B. das gemeinsame Produzieren und Publizieren eigenproduzierter Radiospots und -beiträge mittels Pod- Casting. So werden die Lerngruppen angeregt, gemeinsame kleine Werbespots für das Online-Radio (oder auch Kurzvideos, die zukünftig über YouTube publiziert werden sollen) zu produzieren. Für das kommende Schuljahr bereiten wir für die Schulpraktika mit weiteren Partnerschulen Projekte vor, bei denen Lernende in Gruppen unterrichtsrelevante Themen recherchieren und dazu mit einfachen Mitteln kleine „Radiosendungen“ produzieren. Diese sollen dann über die im Internet verfügbaren Tools und Plattformen „ausgestrahlt“ werden. Da wir diese Projekte im Englischunterricht umsetzen, wollen wir versuchen, auf Grundlage dieser „Sendungen“ mit Partnerklassen in anglophonen Ländern internationale Dialoge zu initiieren, denn über die meisten PodCast-Server ist die Einbindung von Kommunikationstools (d.h. die Produktion von Kommentaren zu Sendungen, die Nutzung von Bulletin Boards oder E-Mail-Kontakten usw.) möglich, um so die klassenpartnerschaftliche Projektarbeit und die telekollaborative Sprachproduktion zu fördern. Unser Modell hierfür ist die Internationale Podcast-Werkstatt an der TU Berlin, über die dort lebende ausländische Studierende im Kontext von Lernprojekten über ihre Erfahrungen in Deutschland und in Berlin, über das Erlernen der deutschen Sprache sowie über das, was sie gerade bewegt, sprechen und dazu PodCasts produzieren. Obwohl noch eine Vielzahl an Beispielen angeführt werden könnte, soll an dieser Stelle die kurze Skizzierung einiger praktischer Beispiele zum Abschluss gebracht werden. Weitere interessante Beispiele findet man zudem in Fachpublikationen, z.B. P LATTEN (2008) oder auch im Internet, u.a. in einem Beitrag zum kooperativen Schreiben in einem LK Englisch der Jahrgangsstufe 11 auf dem Portal „Lehrer Online“ zu einem Schreibprojekt zum Film East is East, bei dem es lt. Darstellung im Internet um arbeitsteilige Aufgaben geht, und zwar zur Analyse von Figurenkonstellationen, ökonomischen und religiösen Hintergründen, visuellen Symbolen sowie das Schreiben von Screenplays zu einer Szene, die eine vorher diskutierte Leerstelle des Films füllen könnte. Insgesamt kann für diese Beispiele festgestellt werden, dass die im Laufe des vorliegenden Beitrags immer wieder angesprochenen positiven Auswirkungen des kollaborativen und prozessorientierten Lernens auf Schreibprodukte, aber auch die Schreibprozesse selbst und die strategische Bewusstheit der Schreibenden bestätigt werden. Dies zeigen gerade mit Bezug auf das Schreiben mit Wikis die in der bisher vorliegenden Literatur zum Thema diskutierten ersten Fallstudien. Das zu verdeutlichen, war - neben einer allgemeinen Charakterisierung des „Neuen“ der Digitalen Medien im Zeitalter des Web 2.0 wie auch der besonderen Dynamik für prozessorientiertes Sprachenlernen entsprechender Tools im Internet - Ziel des vorliegenden Beitrags. Die notwendige kritische Würdigung der bei allem Potential durchaus gegebenen Probleme und Gefahren der uneingeschränkten und unreflektierten Nutzung sozialer Software im Web 2.0 - auch im Sprachenlernen - muss aus Platzgründen einem weiteren Beitrag vorbehalten bleiben. Digitale Medien und prozessorientiertes Lernen ... 187 38 (2009) Literatur A BDULLAH , Mardziah Hayati (2003): „The Impact of Electronic Communication on Writing“. In: ERIC Clearinghouse on Reading, English, and Communication. [ED477614]. http: / / www.ericdigests.org/ 2004-1/ impact.htm A RMBRÜSTER , Margaretha / R EDENIUS , Nils (2009): „Web 2.0-Technologien. Eine wiki-basierte Schreibwerkstatt zum Thema ‚Argumentative Essay‘“. In: Praxis Fremdsprachenunterricht 2, 40-45. C AETON , Daniel A. (2008): „Agency and Accountability: The Paradoxes of Wiki Discourse“. In: C UM - MINGS , Robert E. / B ARTON , Matt (eds.): Wiki Writing: Collaborative Learning in the College Classroom. Ann Arbor, Mich.: University of Michigan Press, 123-137. C UMMINGS , Robert E. / B ARTON , Matt (eds.) (2008): „Preface“. In: C UMMINGS , Robert E. / B ARTON , Matt (eds.): Wiki Writing: Collaborative Learning in the College Classroom. Ann Arbor, Mich.: University of Michigan Press, vii-xv. D ONATH , Reinhard (1995): „Schreiben am Computer: Klassenkorrespondenz per electronic mail“. In: K AST , Bernd (Hrsg): Fertigkeit Schreiben. Fernstudienprojekt zur Fort- und Weiterbildung im Bereich Germanistik und Deutsch als Fremdsprache. München: Langenscheidt, 166-180 (Erprobungsfassung 2/ 95). E DMONDSON , Willis J. / H OUSE , Juliane (Koord.) (1997): Language Awareness. [Thematischer Teil von] Fremdsprachen Lehren und Lernen 26, 3-183. F ORTE , Andrea / B RUCKMAN , Amy (2006): „From Wikipedia to the Classroom: Exploring Online Publication and Learning“. In: B ARAB , Sasha A. / H AY , Kenneth E. / H ICKEY , Daniel T. (eds.): Proceedings of the 7 th International Conference on Learning Sciences, June 27-July 1. Bloomington, Indiana: Intern. Society of Learning Sciences, 182-188. G NUTZMANN , Claus (2003): „Language Awareness, Sprachbewusstheit, Sprachbewusstsein“. In: B AUSCH , Karl-Richard / C HRIST , Herbert / K RUMM , Hans-Jürgen (Hrsg.): Handbuch Fremdsprachenunterricht. 4. vollst. neu bearbeitete Auflage, 335-339. G NUTZMANN , Claus (2006): „Aufgabenorientierung im Fremdsprachenunterricht: Adoption von taskbased language teaching and learning? “ In: B AUSCH , Karl-Richard [et al.] (Hrsg.): Aufgabenorientierung als Aufgabe. Arbeitspapiere der 26. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Tübingen: Narr, 62-71. K ESSLER , Greg (2009): „Student-initiated attention to form in wiki-based collaborative writing“. In: Language Learning & Technology 13.1, 79-95. L ARSEN - F REEMAN , Diana (2000): Teaching Techniques in English as a second language. Oxford : OUP. L EGENHAUSEN , Lienhard / W OLFF , Dieter (1991): „Der Micro-Computer als Hilfsmittel beim Sprachenlernen. Schreiben als Gruppenaktivität“. In: Praxis des neusprachlichen Unterrichts 38.4, 346-356. L EGUTKE , Michael (1999): Process and experience in the language classroom. London: Longman. L UND , Andreas / S MØRDAL , Ole (2006): „Is there a space for the teacher in a WIKI? “ In: Proceedings of the 2006 international symposium on Wikis, August 21-23, 2006. Odense, Denmark: ACM Press, 37-46. M C D ONALD , Kurtis (2007): „Wikipedia Projects for Language Learning“. In: CALL-EJ Online 9.1. http: / / www.tell.is.ritsumei.ac.jp/ callejonline/ journal/ 9-1/ mcdonald.html M URRAY , Garold (1999): „Autonomy and language learning in a simulated environment“. In: System 27, 295-308. M URRAY , Janet H. (1997): Hamlet on the Holodeck: The Future of Narrative in Cyberspace. Cambridge, MA: Cambridge University Press. O’M ALLEY , J. Michael / C HAMOT , Anna Uhl (1990): Learning Strategies in Second Language Acquisition. Cambridge: Cambridge University Press. P ARKER , Kevin R. / C HAO , Joseph T. (2007): „Wiki as a Teaching Tool“. In: Interdisciplinary Journal of 188 Bernd Rüschoff 38 (2009) Knowledge and Learning Objects 3, 57-72. P ENNINGTON , Martha. C. (1999): Writing in an electronic medium: Research with language learners. Houston, TX: Athelstan. P LATTEN , Eva (2008): „Gemeinsames Schreiben im Wiki-Web - Aktivitäten in einer untutorierten Schreibwerkstatt für fortgeschrittene Deutschlernende“. In: Zeitschrift für Interkulturellen Fremdsprachenunterricht [Online] 13. 1. http: / / zif.spz.tu-darmstadt.de/ jg-13-1/ beitrag/ Platten1.htm R ÜSCHOFF , Bernd / W OLFF , Dieter (1999): Fremdsprachenlernen in der Wissensgesellschaft. München/ Ismaning: Hueber. R ÜSCHOFF , Bernd / W OLFF , Dieter (2002): „Fremdsprachenlernen als Konstruktion: Template Based Learning als Beitrag der Mediendidaktik zur Förderung von Konstruktionsprozessen“. In: D ECKE - C ORNILL , Helene / R EICHART -W ALLRABENSTEIN , Maike (Hrsg.): Fremdsprachenunterricht in medialen Lernumgebungen. Frankfurt/ M.: Lang, 65-80. R ÜSCHOFF , Bernd (2009): „Output-Oriented Language Learning With Digital Media“. In: T HOMAS , Michael (ed.): Handbook of Research on Web 2.0 and Second Language Learning. Hershey, PA: IGI Global, 42-59. S CHROOTEN , Walter (2006): „Taskbased language teaching and ICT: Developing and assessing interactive multimedia for taskbased language teaching“. In: V AN DEN B RANDEN , Kris (ed.): Task- Based Language Education: From Theory to Practice, 129-150. S IEPMANN , Dirk (2003): „Schreiben auf der gymnasialen Oberstufe: acht Thesen zur bestehenden Praxis im Englischunterricht und Vorschläge für einen Teillehrplan“. In: Neusprachliche Mitteilungen aus Wissenschaft und Praxis 56.1, 24-31. S OTILLO , Susana M. (2002): „Constructivist and Collaborative Learning in a Wireless Environment“. In: TESOL Journal 11.3, 16-20. S TORCH , Neomy (2005): „Collaborative Writing: Product, process, and students’ reflections“. In: Journal of Second Language Writing 14.3, 153-173. S WAIN , Merrill (1985): „Communicative competence: Some roles of comprehensible input and comprehensible output in its development“. In: G ASS , Susan M. / M ADDEN , Carolyn (eds.): Input in Second Language Acquisition. New York: Newbury House, 235-256. S WAIN , Merrill / L APKIN , Sharon (1995): „Problems in output and the cognitive processes they generate: A step towards second language learning“. In: Applied Linguistics 16, 371-391. S WAIN , Merrill (2006): „Languaging, agency and collaboration in advanced second language learning“. In: B YRNES , Heidi (ed.): Advanced language learning: The contributions of Halliday and Vygotsky. London: Continuum, 95-108. S WAIN , Merrill / D ETERS , Ping (2007): „,New‘ Mainstream SLA Theory: Expanded and Enriched“. In: The Modern Language Journal 91, 820-836. W ARE , Paige Daniel (2004): „Confidence and competition online: ESL student perspectives on webbased discussions in the classroom“. In: Computers and Composition 21.4, 451-468. W ENDEN , Anita L. (1999): „An Introduction to Metacognitive Knowledge and Beliefs in Language Learning: beyond the basics“. In: System 27, 435-441. W EST , James A. / W EST , Margaret L. (2009): Using Wikis for Online Collaboration: The Power of the Read-Write Web. San Francisco: Jossey-Bass. W HEELER , Steve / K ELLY , Peter / G ALE , Ken (2005): „The influence of online problem-based learning on teachers' professional practice and identity“. In: ALT-J 13.2, 125-137. W OLFF , Dieter (1991): „Lerntechniken und die Förderung der zweitsprachlichen Schreibfähigkeit“. In: Der Fremdsprachliche Unterricht - Englisch 25.2, 34-39.