eJournals Fremdsprachen Lehren und Lernen 38/1

Fremdsprachen Lehren und Lernen
flul
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2941-0797
Narr Verlag Tübingen
Es handelt sich um einen Open-Access-Artikel, der unter den Bedingungen der Lizenz CC by 4.0 veröffentlicht wurde.http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/121
2009
381 Gnutzmann Küster Schramm

Fremdsprachenunterricht – vor allem bildungsorientiert?

121
2009
Lutz Küster
Karin Vogt
flul3810234
38 (2009) Pro Pro Es ist gut, dass die Frage nach Normen unterrichtlichen Handelns überhaupt gestellt und kontrovers diskutiert wird. Die Eile, mit der in wenigen Jahren alle Curricula in Begriffen der Kompetenz- und Standardorientierung umformuliert wurden, ist bekanntlich der Einführung neuer Steuerungssysteme im schulischen Bildungswesen geschuldet. Diese scheint nach PISA ebenso unhinterfragbar wie das allgegenwärtige Denken in Kategorien der Nützlichkeit und der Machbarkeit. Da ist es hilfreich, ein wenig Abstand zu gewinnen und Alternativen zu bedenken. Wissenschaftlich sind Normfragen im zur Rede stehenden Feld nur auf der Basis von Theorien der Bildung zu beantworten. Eindeutigkeit ist indes von ihnen nicht zu erwarten. Nach den Kontroversen um Ansätze formaler und materialer Bildung mit ihren je eigenen Berechtigungen (Leitidee des sich autonom bildenden Menschen vs. Leitbild des in Arbeitswelt und Gesellschaft qualifizierten Bürgers) belegen postmoderne Bildungstheorien überzeugend, dass es in Fragen von Letztbegründungen gerade keine Objektivität geben kann. Normen gesellschaftlichen Handelns sind vielmehr kollektiv auszuhandeln. Lediglich diese Setzung und mit ihr das Postulat einer Anerkennung von Pluralität, Differenz und Widerstreit können als Maxime gelten, da sie sonst selbstwidersprüchlich würden (vgl. Hans-Christoph K OLLER : Bildung und Widerstreit. München: Fink 1999). Angesichts dieses Eigenwerts von Vielfalt ist den Verkürzungen zu widersprechen, die dem Schulwesen durch die Standardorientierung und den weitgehenden Verzicht auf Aspekte der Persönlichkeitsbildung auferlegt werden. Mit H. V . H ENTIG (Bildung. Ein Essay. München/ Wien: Hanser 1996: 39) denke ich, dass die Schule primär das lehren soll, was das Leben nicht lehrt. Das Leben, vor allem das Wirtschaftsleben, lehrt das Denken in Kategorien von Effektivität und Nutzen. In der Tat sind dies wichtige Kategorien. Aber mindestens ebenso wichtig sind im Hinblick auf ein subjektiv reiches Leben und auf ein gewaltfreies, verständigungsbereites Miteinander im (welt)gesellschaftlichen Rahmen die Förderung sozialer, sprachlich-kultureller und musischästhetischer Sensibilität sowie von Reflexivität und Dialogfähigkeit. Sprache ist nicht nur ein Medium der Kommunikation, sondern auch des Weltaufschlusses und der Konstruktion von Identitäten (Idee der performativen Bildung). Dieses Verständnis kann im Rahmen des Fremdsprachenunterrichts eine eigene Relevanz beanspruchen: Das Erlernen fremder Sprachen konfrontiert uns mit kulturellen Differenzen, verweist uns auf die Bedingtheit eigener Sichtweisen und führt uns dazu, eigene Identitäten in einem Prozess tertiärer Sozialisation zu erweitern. Gemeinsam mit der Entfaltung individueller Kreativität in Verfahren des kreativen Schreibens und der Wahrnehmung der ästhetischen Qualitäten von sprachlichen Manifestationen in Rezeption und Produktion sind dies wesentliche Momente einer Persönlichkeitsbildung. Sie finden teilweise auch Platz in Modellierungen der „weichen“ Kompetenzen. Insofern ist die Kompetenzorientierung anschlussfähig an übergeordnete Bildungsziele. Die explizite Artikulation der Perspektive „Bildung“ allerdings ist eine Garantie dafür, dass diese nicht vergessen werden, sondern ihren Platz in den didaktisch-methodischen Entscheidungen des unterrichtlichen Alltags finden und das vom ersten Lernjahr an. Berlin LUTZ K ÜSTER Fremdsprachenunterricht - vor allem bildungsorientiert? Pro und Contra 235 38 (2009) Contra Contra Ob der Fremdsprachenunterricht vor allem bildungsorientiert sein sollte oder nicht, impliziert zunächst einmal die Frage, was Bildung ist. Diese Frage ist nach wie vor vieldiskutiert und man ist weit von einem Konsens entfernt. Ein anderer, greifbarerer Ausgangspunkt für die zu diskutierende Frage wäre, welche Ziele institutioneller (d.h. schulischer) Fremdsprachenunterricht hat. Hierzu zählen Ziele wie etwa die Persönlichkeitsbildung der Schüler, die Ausbildung literarischer Kompetenzen und die Förderung interkultureller Kompetenz. Diese Aspekte zielen darauf ab, den Menschen als Ganzes in seiner Persönlichkeit zu bilden und weiterzuentwickeln. Für den institutionellen Fremdsprachenunterricht sind diese Ziele unbestritten. Dennoch können (und sollten) sie von pragmatischeren Zielen ergänzt werden. Das wohl wichtigste in dieser Kategorie ist die Förderung von Kommunikationsfähigkeit in der Fremdsprache, und zwar in vielfältigen Kontexten. Der kommunikative Ansatz, seit Jahrzehnten Mainstream-Methode in fremdsprachlichen Klassenzimmern, und die darauf basierenden neueren Ansätze wie beispielsweise aufgabenorientiertes Lernen sind auf dieses Ziel des Fremdsprachenunterrichtes ausgerichtet. Schließlich sollen die Schüler damit ein übergeordnetes Ziel der gymnasialen Oberstufe (vgl. Einheitliche Anforderungen in der Abiturprüfung Englisch der KMK http: / / www.kmk.org/ fileadmin/ veroeffentlichungen_ beschluesse/ 1989/ 1989_12_01-EPA-Englisch.pdf), die Entwicklung der Studier- und Berufsfähigkeit, erreichen. Was spricht nun gegen die Befähigung der Schüler, etwa im späteren (Berufs-)Leben auftretende kommunikative Situationen bewältigen zu können? Das Berufsleben stellt vielfältige Anforderungen an die Schüler als nachfolgende Generation. Technische Neuerungen vollziehen sich immer schneller und werden immer komplexer. Kommunikationsprozesse sind in Zeiten hoch spezialisierter Lern- und Arbeitswelten von enormer Bedeutung. Die Kommunikationsprozesse sind auf Grund von heute selbstverständlicher Mobilität und medialer Vernetzung längst mehrsprachig; dies fängt bei (für Schüler bereits in der Sekundarstufe I relevanten) social bookmarking-Instrumenten wie Facebook an. Es ist eine wichtige Aufgabe des Fremdsprachenunterrichts, die Schüler auf diese Lebenswirklichkeit auch sprachlich vorzubereiten. Exemplarisch soll die Vorbereitung auf das spätere Berufsleben der Schüler in Form der beruflichen Anwendungsorientierung diskutiert werden. Es ist weder wünschenswert noch sinnvoll, eine dezidierte sprachliche Vorbereitung auf bestimmte Berufe zu leisten. Es geht vielmehr um die Schaffung von Lernszenarien, die einen unmittelbaren Lebensweltbezug für die Schüler aufweisen und daher als Lernaufgaben für sie auch transparent sind. Gleichzeitig sollen sie einen potenziellen Bezug zu weitgehend berufsorientierten Kontexten mit einer Zukunftsbedeutung für die Schüler haben. Durch lebensweltbezogene Szenarien steht die zu bewältigende Aufgabe im Vordergrund, zu deren Erledigung die Fremdsprache verwendet wird - der aufgaben- und handlungsorientierte Charakter wird deutlich. Handelt es sich um eine komplexe Aufgabe, fördert die Notwendigkeit der Aufgabenteilung und die notwendige Aushandlung unter den Lernenden idealiter die Autonomie der Lernenden. Trotz eines Anwendungscharakters des Fremdsprachenunterrichts kommt die persönlichkeitsbildende Komponente mit einem solchen Ansatz nicht zu kurz. An diesem methodischen Ansatz für den Fremdsprachenunterricht wird deutlich, wie auch pragmatisch orientierte Ziele des Fremdsprachenunterrichts dazu betragen, den Menschen als Ganzes zu entwickeln, also dessen Bildung zu befördern. Fazit: Bildungsorientierung des Fremdsprachenunterrichts ja - aber nicht rein als l’art pour l’art. Heidelberg K ARIN V OGT