Fremdsprachen Lehren und Lernen
flul
0932-6936
2941-0797
Narr Verlag Tübingen
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2009
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Gnutzmann Küster SchrammStephan GRAMLEY, Vivian GRAMLEY (eds.): Bielefeld Introduction to Applied Linguistics. A Course Book. Bielefeld: Aisthesis Verlag 2008 (The Bielefeld English and American Studies; vol. 1), xii + 392 Seiten [19,80 €]
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2009
Claus Gnutzmann
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268 Buchbesprechungen Rezensionsartikel 38 (2009) Stephan G RAMLEY , Vivian G RAMLEY (eds.): Bielefeld Introduction to Applied Linguistics. A Course Book. Bielefeld: Aisthesis Verlag 2008 (The Bielefeld English and American Studies; vol. 1), xii + 392 Seiten [19,80 €] Der vorliegende, aus 27 Beiträgen bestehende Band versteht sich als Einführung in die Angewandte Linguistik und richtet sich vor allem an Studierende der Anglistik an der Universität Bielefeld. Da ist es schon fast ‚logisch‘ dass die 16 Autor(inn)en - bis auf eine, die inzwischen in Münster tätig ist - alle in Bielefeld forschen und lehren. Da das Buch vor allem für Anglisten gedacht ist, überrascht es nicht, dass die meisten Beispiele und Literaturangaben dem Englischen entstammen („always with the focus on English in this book“, S. 268). Das Buch besteht aus vier Teilen, denen drei mal sieben und einmal sechs Beiträge zugeordnet sind: Part I - The user/ learner, Part II - Language processing, Part III - The language code and corpus studies, Part IV - The language community. Part I ist derjenige, der sich am intensivsten mit Fragen des Lehren und Lernens von Fremdsprachen befasst. Julia S ETTINIERI („Teaching pronunciation“) beschäftigt sich mit Fragen des Ausspracheunterrichts, insbesondere mit dem Phänomen des „foreign accent“, seines Einflusses auf die Verständlichkeit von Äußerungen, seiner sozialen Akzeptanz und den Möglichkeiten, Ausspracheprobleme zu behandeln. Ihre Einschätzung von Sprachlernsoftware zur Überprüfung von Aussprache ist eher pessimistisch, denn „even native speakers get bad marks although their pronunciation is fully within the norm“ (S. 10). Stephan G RAMLEY versteht unter „Lerning aids“ linguistische und pädagogische Grammatiken, Aussprachewörterbücher und Lernerwörterbücher. Da in diesen Referenzwerken ein reicher Fundus für die eigenständige Spracharbeit steckt, der vielen Studierenden allerdings nicht vertraut ist, handelt es sich hier um einen aus der Studierendenperspektive besonders nützlichen Beitrag. Mit „Visual information in language learning and teaching“ von Patricia N. S KORGE wird am Beispiel des Einsatzes von Bildern im Fremdsprachenunterricht ein bisher eher vernachlässigtes Thema aufgegriffen. Paul L ENNON s Artikel zu „Learner autonomy and teaching methodology“ bietet einen informativen und ausgewogenen Überblick zu theoretischen und praktischen Aspekten von Lernerautonomie. Da Lernerautonmie vor allem auf westlichen Werten wie Individualisierung und Eigenständigkeit basiert, ist - so der berechtigte Hinweis des Autors - Skepsis beim Export dieses Konzeptes in Länder mit anderen Lehr- und Lerntraditionen angebracht. Der sich daran anschließende Beitrag über „Contrastive analysis, error analysis, interlanguage“, ebenfalls von L ENNON , behandelt das Fehlerphänomen in seiner historischen Entwicklung. Die Behauptung, dass seitens der kontrastiven Linguistik Fehler ausschließlich auf muttersprachliche Interferenzen zurückgehen („have only one cause, namely influence from the mother tongue“, S. 55), trifft allerdings nicht einmal für die sogenannte starke Version der kontrastiven Linguistik zu. Vivian G RAMLEY s „Language Testing“ liefert eine kompakte Übersicht zu den Anforderungen an Tests und stellt verschiedene Testformate vor. Allerdings fehlen Hinweise auf die aktuelle deutsche Diskussion zu Bildungsstandards und Kerncurricula, die gerade für Lehramtsstudierende von Bedeutung sind. Part II befasst sich mit unterschiedlichen Themen der Sprachverarbeitung. Katharina J. R OHL - FING geht in ihrem Beitrag zu „Language acquistion: a multimodal avenue“ über die herkömmliche Darstellungsformen dieses Themas hinaus, indem sie auch auf die Verbindung von Sprachfähigkeiten und motorischen sowie kognitiven Fertigkeiten aufmerksam macht. L ENNON s Artikel zu „Second language acquisition studies“ thematisiert verschiedene Theorien des Zweitsprachenerwerbs, auch mit Bezug zum Erstsprachenerwerb, und Möglichkeiten ihrer unterrichtlichen Umsetzung. Er weist darauf hin, dass der Formseite beim Fremdsprachenlernen seit den 90er Jahren des letzten Jahrhunderts verstärkt Aufmerksamkeit entgegengebracht wird, allerdings nicht durch gezielte grammatische Unterweisung, sondern durch „encouragement of a certain degree of Buchbesprechungen Rezensionsartikel 269 38 (2009) metalinguistic awareness“ (S. 102), was wohl heißen soll, dass hierfür die Verwendung metasprachlicher Terminologie nicht notwendigerweise benötigt wird. Vivian G RAMLEY („Sign language acquisition“) widmet sich dem Erwerb von Gebärdensprachen, die, wie gelegentlich fälschlich angenommen, nicht sprachenbzw. kulturübergreifend sind, sondern -spezifischen Charakter haben. Silja F EHN trifft in „Language attrition“ zunächst eine Unterscheidung zwischen „language death“, dem Aussterben einer Sprache mit dem Tod des letzten Sprechers derselben, und dem Verlust von Sprache durch Vergessen. Als Faustregel für das Sterben von Sprachen kann gelten: „In general, the longer a language is not used, the more likely the user is to undergo a process of attrition“ (S. 127). Der Beitrag zum „Mental lexicon“, ebenfalls von F EHN , behandelt einige grundlegende Fragen der Organisation und mentalen Speicherung des Wortschatzes. Der von Martina H IELSCHER -F ASTABEND verfasste Beitrag zu „Clinical linguistics“ befasst sich mit Sprachstörungen, die aus neuronalen Ausfällen resultieren, die beispielsweise durch Schlaganfall, Demenz oder die Parkinson-Krankheit verursacht werden. Ein Schwerpunkt liegt auf der Darstellung von Aphasie. Part II wird beschlossen von Eva B ELKE s „Language production and perception“, der unterschiedliche Voraussetzungen der Sprachverarbeitung und deren Ausformungen („oral vs. written modalities“, S 159) zum Gegenstand hat. Die in Part III vereinigten Beiträge widmen sich unterschiedlichen Aspekten der Sprachstruktur und -verwendung, insbesondere wie Sprache von ihren Benutzern gestaltet und funktional eingesetzt wird. Thorsten T RIPPEL s Artikel zu „Lexicography“ behandelt neben definitorischen Klärungen zum Begriff „lexicon“ den Einsatz von Korpora als Datenquelle und setzt sich mit verschiedenen Beschreibungsansätzen zu Strukturen des Lexikons auseinander. S. G RAMLEY führt in seinem Beitrag über „English for specific purposes (ESP)“ in unterschiedliche, für ESP einschlägige Textfunktionen ein, benennt fachsprachliche Charakteristika auf der morpho-syntaktischen (Nominalisierung, Passiv) und lexikalischen Ebene und exemplifiziert anhand von „Legal English“ und „The English of air traffic control“ einige Spezifika fachsprachlicher Verwendungen. Lorenz S ICHELSCHMIDT („Empirical methods: From words to numbers and back again“) stellt ein Modell empirischer Forschung vor, erläutert in diesem Zusammenhang Begriffe wie Theorie, Hypothese und Beobachtung und befasst sich mit unterschiedlichen Datentypen. Maik S TÜHRENBERG s Artikel zu „Approaches to Texts - Text Technology“ bietet eine Einführung in elektronische Texte, HTML und Hypertexte. V. G RAMLEY s Artikel zu „Forensic linguistics“ beginnt mit einer Gegenstandsbeschreibung und einer Verortung von FL im Kontext der Angewandten Linguistik. Es werden weiterhin verschiedene Anwendungsfelder exemplifiziert wie Sprechererkennung, „voice printing“, Handschriftenanalyse, Autorenidentifizierung und Plagiat. Der Beitrag von Ralf S CHNEIDER zu „Metaphor“ verdeutlicht, dass Metaphern nicht nur ein Gegenstand der Literaturwissenschaft sind, sondern auch für das Verstehen von Alltagskommunikation eine wichtige Grundlage bereitstellen können. „Translation“ von Bernd S TEFANINK liefert eine gut strukturierte und verständliche Übersicht zu Basisfragen der Übersetzung sowie unterschiedlichen Ansätzen des Übersetzen bzw. der Übersetzungswissenschaft und ihrer Leistungen für die Übersetzungspraxis. Part IV vereint Beiträge, die den Fokus auf die „language community“ bzw. „language communities“ legen und Fragen der sprachlichen Variation und deren Ursachen nachgehen. S. G RAMLEY s „Language variation: dialects“ befasst sich mit verschiedenen Typen sprachlicher Variation und exemplifiziert diese anhand von regionalen und nationalen Varietäten, sozialer Schicht und Bildung, Ethnizität, Alter und Geschlecht. V. G RAMLEY s „Sign language and deaf communities“ knüpft an ihren Beitrag aus Part II an. Werner K UMMER s „Language planning and policy“ befasst sich in seinem materialgestützten Beitrag mit ausgewählten Beispielen von Sprachpolitik in verschiedenen Ländern und legt dabei einen Schwerpunkt auf die Herausbildung von „Standard English“. Der Beitrag von V. G RAMLEY zu „Bilingualism“ befasst sich mit der Definitionsproblematik des behandelten Phänomens, verschiedenen Typen von Bilingualismus sowie mit der 270 Buchbesprechungen Rezensionsartikel 1 Guy C OOK : Applied Linguistics. Oxford: Oxford University Press 2003. Theo H ARDEN : Angewandte Linguistik und Fremdsprachendidaktik. Tübingen: Narr 2006; M. A. K. H ALLIDAY : An Introduction to Functional Grammar. London: Edward Arnold 1985; Robert A. K APLAN : The Oxford Handbook of Applied Linguistics. Oxford: Oxford University Press 2005; Karlfried K NAPP [et al.] (Hrsg.): Angewandte Linguistik. Ein Lehrbuch (mit CD-ROM). 2. erw. und überarbeitete Auflage Tübingen: Francke 2007. 38 (2009) kulturellen Situation von Bilingualen. S. G RAMLEY s anschließender Beitrag beschäftigt sich mit den Ursachen und Kontexten von „Code-switching“ und tut dies insbesondere vor dem Hintergrund der „communication accommodation theory“. Der Beitrag von Julia A NDRES über „Code switiching in Latina literature“ ergänzt den vorangehenden von S. Gramley, ist aber in einem Einführungsband in die AL nicht richtig platziert. Der Band schließt mit einem informativen und kompakten Beitrag von S. G RAMLEY zu „Cross-cultural pragmatics: politeness“. Die in diesem Band vereinigten Beiträge können als Ausdruck einer positiven Bereitschaft von 16 Linguisten/ -innen einer Fakultät mit unterschiedlichen linguistischen Schwerpunkten gewertet werden, für ein gemeinsames Projekt zur Verbesserung der angewandt-linguistischen Lehre zusammenzuarbeiten. Die Artikel sind insgesamt und für sich genommen linguistisch interessant und kompetent bearbeitet. Ob sie allerdings alle für eine Einführungsveranstaltung in die Angewandte Linguistik geeignet sind, erscheint fraglich. Während die Beiträge von Part I und IV größtenteils den erforderlichen didaktischen Ansprüchen einer Einführung genügen, trifft dies nur für eine kleine Minderheit der verbleibenden Beiträge zu, da sie zu viel voraussetzen, sehr inhaltsorientiert vorgehen und nicht ausreichend auf die studentischen Adressaten bezogen sind. Man kann darüber streiten, ob die Kapitel eines Einführungsbuches eine einheitliche Struktur haben sollten oder nicht. Es wäre allerdings einiges erreicht, wenn die Autoren erläutern würden, wie ihr jeweiliges Thema in die Angewandte Linguistik hineinpasst. Einige Autoren haben dies getan, die meisten allerdings nicht. Wie diese Uneinheitlichkeit zustande kommt, bleibt unklar, zu rechtfertigen ist sie nicht. Positiv ist hervorzuheben, dass jedes Kapitel mit „Exercises“ schließt, so dass der dargebotene Stoff noch einmal veranschaulicht und vertieft werden kann. Die Herausgeber heben in ihrem Vorwort mit Verweis auf H ALLIDAY (1985) hervor, dass es schwierig sei, den Gegenstandsbereich der Angewandten Linguistik festzulegen: „The definition of AL and, consequently, of just what areas belong to it is far from clear.“ Auch wenn diese Fragen bis heute nicht umfassend geklärt sind, wäre es wünschenswert gewesen, dem vorliegenden Band ein Kapitel zur Geschichte und zum Gegenstandbereich der AL voranzustellen. Weiterhin überrascht, dass einschlägige Publikationen wie beispielsweise die von C OOK (2003), K APLAN (2005), H ARDEN (2006) und K NAPP [et al.] ( 2 2007) 1 von den Herausgebern überhaupt nicht genannt werden. Ebenso schwer ist nachvollziehbar, dass in dem gesamten Band weder die Gesellschaft für Angewandte Linguistik (GAL) noch die Association Internationale de Linguistique Appliquée erwähnt werden. Immerhin fand 2008 der AILA-Weltkongress in Essen statt. Das Fazit der Besprechung ist somit gemischt: Während ein Teil der Beiträge mit Gewinn in Einführungsveranstaltungen verwendet werden kann, gilt dies für den verbleibenden weniger. Allerdings würde der Umfang des besser geeigneten Teils durchaus ausreichen, um das Seminarprogramm eines einsemestrigen Kurses in die AL zu bestreiten. Braunschweig C LAUS G NUTZMANN
