Fremdsprachen Lehren und Lernen
flul
0932-6936
2941-0797
Narr Verlag Tübingen
Es handelt sich um einen Open-Access-Artikel, der unter den Bedingungen der Lizenz CC by 4.0 veröffentlicht wurde.http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/121
2010
391
Gnutzmann Küster SchrammZur Begründung des Englischlernens im Deutschland des 18. Jahrhunderts
121
2010
Konrad Schröder
flul3910013
* Korrespondenzadresse: Prof. em. Dr. Konrad S CHRÖDER , Marconistr. 30b, 86179 A UGSBURG . E-Mail: k.f.schroeder@t-online.de Arbeitsbereiche: Sprachenpolitik, Bildungsplanung, Geschichte des Fremdsprachenunterrichts und Fremdsprachenerwerbs. 39 (2010) K ONRAD S CHRÖDER * Zur Begründung des Englischlernens im Deutschland des 18. Jahrhunderts Abstract. The article gives an account of the reasons put forward for the acquisition and the teaching of English in Early Modern Times, with special emphasis on 18 th century Germany. After a brief overview of Anglo-German linguistic contacts from Tudor times to the Restoration, including references to the much larger framework of contemporary FL policies, the positions of the German educator Bohse (1703) and the methodologist Seidelmann (1724) are highlighted. Unlike French, used as the medium of contemporary conversational culture, English was seen as the language of theological and scientific progress and later became the idiom of international trade, of an alternative kind of aesthetics more suited to the German mind than French classicism, and of political freedom. In this context, the role of Goettingen as a cultural and linguistic herald is reviewed, followed by comments on Martin Ehlers’ (1766) preromantic perspective concerning English, Schwab’s (1785) prophecy of the impact of the U.S., and ELT in pre-1789 catholic Germany and Austria. 1. Moderne Fremdsprachen als Lerngegenstände: ein Verdrängungswettbewerb Seit sich im Europa der Renaissance Nationalstaaten gebildet haben, konkurrieren deren Sprachen politisch, und damit auch als Lerngegenstände. Die einzelnen Sprachen sind in ihrem curricularen Gewicht wandelbar; ihr Erlernen folgt, wenn es nicht unmittelbar aus privaten Lebensbedürfnissen motiviert ist, komplexen Bedingungsgefügen. Der lange und beschwerliche Weg einer Sprache zum Schulfach stellt sich dar als eine Abfolge von Aktionen bildungspolitischer, mitunter auch machtpolitischer Natur im Rahmen eines Verdrängungswettbewerbs: Denn die Zahl der Schulfächer im Curriculum ist ebenso endlich wie die Zahl der Wochenstunden. Alles Neue impliziert die quantitative Reduktion des Bestehenden, was in den Augen der tangierten Lehrerschaft automatisch als eine qualitative Reduktion gesehen wird - zuweilen zu Unrecht. Der Geist der Besitzstandswahrung begegnet dem Neuen feindlich. Alle am Diskurs Beteiligten werden ihre Position mit immer neuen Argumenten zu untermauern und die des Gegners zu schwächen suchen. Das hier Gesagte gilt für alle Fächer zu allen Zeiten, besonders komplex jedoch sind die Frontstellungen im fremdsprachlichen Bereich angesichts der Tatsache, dass das eine Fach „Fremdsprache“ nicht existiert. Es gibt mehrere fremdsprachliche Fächer, deren Vertreter sich als Gruppe mit den Vertretern der übrigen Fächer auseinander setzen, 14 Konrad Schröder 39 (2010) untereinander dann aber doch konkurrieren, wobei mitunter durchaus zwei oder drei Seelen in einem einzelnen Fachvertreter wohnen können. Der Lerner wird sich stets für eine konkrete Sprache aus einer Zahl von Möglichkeiten entscheiden, es sei denn, das System nimmt ihm die Entscheidung ab. Da nur wenige Sprachen gelernt werden können, ist das Begründen der Einzelsprache als Lerngegenstand im Wettbewerb der Idiome ein bedeutsamer Akt. Freilich sind die modernen Sprachen in der Frühen Neuzeit noch nicht Bestandteil festgefügter schulischer Curricula, privates Lernen dominiert, doch die neuen Disziplinen schicken sich an, in die Schulen einzudringen, zunächst das Französische, später auch Italienisch und Englisch, und sie treffen auf den Widerstand der etablierten Sprachen Latein, Griechisch und Hebräisch. Der bildungsideologische Gegensatz zwischen den Alten und den Neuen Sprachen gewinnt in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts an Kontur; er wird die politischen Auseinandersetzungen des 19. Jahrhunderts im Schul- und Hochschulbereich entscheidend prägen. 500 Jahre individuelle Mehrsprachigkeit der europäischen Eliten: das sind 500 Jahre des politisch-pädagogischen Begründens von Sprachen, des Zurückweisens, des Gegenbegründens, mit Argumenten, die keineswegs immer nur rationalen Ursprungs sind. Mit wie viel Herzblut die Auseinandersetzungen geführt werden, welche sachlichen, ideologischen und strategischen Argumente eingehen, welche Sprachen jeweils in der Gunst aufsteigen und welche absinken, unter welchen Rahmenbedingungen das geschieht, das alles lässt sich historisch rekonstruieren. Und die Lehren aus einer solchen Rekonstruktion erleichtern nicht zuletzt bildungspolitische Entscheidungen der Gegenwart und die sprachenpolitische Bewältigung der Zukunft. Dabei sind die Begründungsmuster für die einzelnen Sprachen keineswegs konstant: Internationale Sprachen haben ihren Anfang und (zumindest bisher) auch ihr Ende, ein Ende, das jedoch niemand so recht vorauszusehen vermag. Unterschiedliche Sprachen gelten zu unterschiedlichen Zeiten als unterschiedlich schwer, und politische Veränderungen können die Argumentation für oder wider einzelne Sprachen drastisch verändern. Bis etwa 1770 gilt Englisch als schwer, Italienisch als leicht. Französisch gilt vor 1789 als modisch und schön, dann bis 1813 als politisch erforderlich, danach als abgeschmackt und gestrig. Trotzdem bleibt es bis 1923 im deutschen Schulwesen erste moderne Fremdsprache - ein gutes Beispiel für die Wandlungsresistenz des Systems. Das Russische hat als Sprache der Sowjetunion in jüngster Zeit eine drastische Abwertung erfahren: von der „Brudersprache“ und einer lernenswerten Ausprägung sprachlicher und kultureller Exotik zur Immigrantensprache. Der nicht minder drastische Abstieg des Deutschen von paneuropäischer Wertschätzung im 19. Jahrhundert zur Feindsprache und dann zur Sprache des ökonomischen Gegners ist ein weiteres Beispiel. Sprachen sind intimer Besitz. Man hat sie, oder man möchte sie haben. Sprachen haben ihre Liebhaber(innen), wobei die Zuneigung zu einzelnen Idiomen durchaus genderspezifisch scheint; aber da sind auch die, die sie hassen und zurückweisen. Affekte spielen immer wieder eine Rolle. Der Aufstieg des Englischen zur Schulsprache und schließlich zur ersten Fremdsprache in einzelnen deutschen Ländern (1923) und dann „reichseinheitlich“ (1937) lässt sich sehr wohl rationaliter ableiten aus der handelspo- Zur Begründung des Englischlernens im Deutschland des 18. Jahrhunderts 15 39 (2010) litischen Machtstellung Großbritanniens und seines Kolonialreichs im 18. und 19. Jahrhundert, aus der steigenden Weltgeltung, der politischen Vorbildfunktion (Parlamentarismus, „fortschrittliches“ Wertesystem), der zunehmend politikbestimmenden Rolle Amerikas, und natürlich auch aus der geschmacksbildenden Rolle der englischen (später auch der amerikanischen) Literatur und Kultur. Unterfüttert werden solche Begründungen und die damit verbundene Zurückweisung von Alternativen allerdings mit emotionaleren Argumenten von Freiheit und Gemeinschaft. 2. Englisch in Deutschland vor 1700: Konturen einer Entwicklung Die früheste ausführliche Begründung für das Englische als Lerngegenstand (im Kontext von Französisch, Spanisch und Italienisch) stammt von 1703. Sie wird später eingehend darzustellen sein, doch sie hat ihre Vorgeschichte: Es gibt Fakten aus älterer Zeit, den Umgang mit England und dem Englischen betreffend, die bestimmte Begründungen nahelegen, und es gibt ältere Begründungen zum Erwerb der modernen Sprachen insgesamt oder aber spezieller anderer moderner Sprachen. Diese Begründungen sollen zunächst in Erwägung gezogen werden 1554 erhält das Londoner Hansekontor, der Stalhof, eine neue Kontorordnung: Fortan sollen nur solche Kaufleute akkreditiert werden, die über hinlängliche Englischkenntnisse verfügen (D IETZE 1927: 10). Wer sie nicht nachweisen kann, muss für ein Jahr zu einem Lakenmeister aufs Land, um die Sprache des Tuchhandels zu erwerben. Englisch ist als Nationalsprache inzwischen so weit vorangekommen, dass es der Hansesprache Niederdeutsch und mittelalterlich-lateinischen Hilfskonstruktionen vor Ort offenbar den Boden entzieht. Englisch als Handelssprache ist die früheste und langlebigste Begründung für das Englischlernen, wobei zunächst der kontinentale Küstenraum als Einzugsgebiet betroffen ist, allerdings auch Handelsstädte des Binnenlandes frühe Belege liefern. So unterhält die Stadt Wesel im Jahre 1608 aller Wahrscheinlichkeit nach „eine englische Schule“ (A EHLE 1938: 53). 1665 erscheint in Straßburg, von S. T ELLES (Tellaeus) verfasst, das vermutlich früheste Englisch-Lehrbuch für deutschsprachige Lernende, eine Grammatica Anglicana; in qua methodus facilis bene et succincte anglicae linguae addiscendae continetur. Straßburg hat seit den 1550er Jahren eine Tradition durchreisender englischer Protestanten, die auf dem Weg ins Ursprungsland der Reformierten Kirche sind. Da ist die unmittelbare Kontaktnahme unter Glaubensbrüdern das Motiv. Ähnliches gilt vermutlich auch für Johann P ODENSTEINER s 1670 in Wittenberg (? ) verlegten Clavis Linguae Anglicanae (2. Auflage1685). Zuvor bereits ist Englisch Bestandteil polyglotter Gesprächsbücher geworden, so etwa in den Colloquien oft tsamensprekinghen met eenen vocabulaer in ses spraken, neerduyts, engelsch, hochduyts, fransoys, spaens en italiaens des Noël VAN B ERLEMONT (Antwerpen 1583 - zahlreiche weitere Ausgaben) oder im Orbis sensualium pictus des Jan Amos K OMENSKÝ : Visible world or A Picture and Nomenclature of all the Chief Things that are in the World, and of Men’s Employments therein. A work newly written by the author in Latin, and High-Dutch, […] and translated into English by Charles Hoole, 16 Konrad Schröder 39 (2010) teacher of a private grammar school in Lothbury, London (London - mehrere spätere Ausgaben). Die polyglotten Lehrmaterialien sind in Sprachenwahl und Thematik bedarfsorientiert, kommen aber auch dem im Frühbarock um sich greifenden Trend entgegen, Sprachen zu sammeln. In der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts wird Englischunterricht möglicher Bestandteil der universitären Ausbildung protestantischer Theologen; englische theologische Fachliteratur genießt hohes Ansehen. Der Unterricht wird von locker mit den Universitäten verbundenen Sprachmeistern erteilt. Ein frühes Beispiel bietet der Lektionskatalog der nürnbergischen Universität Altdorf für das Studienjahr 1685/ 86, der ohne weitere Kommentierung Englischunterricht neben Französischunterricht verzeichnet. Der offenbar früheste namentlich bekannte Sprachmeister des Englischen findet sich in der Matrikel der Universität Greifswald unter dem 13.10.1686: Dort heißt es: „Johannes Sebastian Saltzmann, Alsatus, linguae anglicae et gallicae peritus, stipulata manu oboedientiam promisit, ob paupertatem gratis“ (F RIEDLÄNDER 1894, Bd. 2: 170). Sicher konnte ein Lehrer des Englischen in einer Hansestadt wie Greifswald auch jenseits der Universität gute Dienste leisten und existieren, ganz ähnlich wie sein namentlich unbekannter Kollege in dem mit der Handelsstadt Nürnberg verbundenen Altdorf. Von Interesse ist im Übrigen auch, dass es sich bei Saltzmann um einen Elsässer handelt. Hat er sein Englisch in Straßburg gelernt? Für 1668 ist Englisch erstmals als Schulfach bezeugt, wie nicht anders zu erwarten an einem protestantischen Gymnasium, das man heute als „Traditionsschule“ bezeichnen würde: am Fürstlich Waldeckischen Landesgymnasium Fridericianum zu Korbach, wo der Konrektor privatim solchen Unterricht erteilt (G ENTHE 1879: 14). Bis ins späte 18. Jahrhundert gilt dem katholischen Deutschland das Englische als Idiom einer feindlichen und potenziell gefährlichen Macht. Dennoch infiltriert die Sprache zumindest punktuell bereits im 17. Jahrhundert auch die katholischen Landesteile, zum einen über die schon genannten polyglotten Gesprächsbücher, sodann - wenn auch schwer nachweisbar - über Sprachkundige in Städten mit Englandhandel (Beispiele: das Augsburg der Fugger oder Köln) und schließlich über Maßnahmen der Gegenreformation selbst: Die Virgines Anglicanae oder Englischen Fräulein, von der aus Yorkshire stammenden Maria Ward ins Leben gerufen, gründen 1626 eine Mädchenschule in Nymphenburg (München), die 1662 in Augsburg eine Filialschule erhält, Ausgangspunkte für ein europaweites Netzwerk. Die gesamte Gründungsgeneration der Kongregation ist englischstämmig; Englisch ist Jahrzehnte lang Sprache der Novizenausbildung. So kommt es, dass katholische junge Damen aus dem bayerischen und schwäbischen Raum im Rahmen einer Ausbildung, die man als durchaus „emanzipatorisch“ bezeichnen kann, in den Genuss einer Sprache gelangen, die der männlichen katholischen Jugend für weitere hundert Jahre vorenthalten bleibt - wie Maria Theresia es in einem Dekret von 1778 formuliert: „wegen religions- und sittenverderblicher Principiis“ (K INK 1854, Teil 1: 516). Die hier gegebenen Begründungen für das Englische aus der Zeit vor 1700 sind eher indirekt oder zumindest nicht sehr explizit, doch es liegen für andere Sprachen, allen voran für das Französische, bereits im 16. Jahrhundert durchaus umfängliche Begründungstexte vor, die freilich, wenn sie von Vertretern der jeweiligen Nationen vorgetragen Zur Begründung des Englischlernens im Deutschland des 18. Jahrhunderts 17 39 (2010) werden, die Form von überschwänglichen Laudationes annehmen können: Stellvertretend sei Louis Du-Truc zitiert (Vorwort zu Le génie de la langue française, Straßburg 1668 - zitiert nach S CHMIDT 1931: 48), der behauptet, seine Sprache sei gelangt „dans une perfection qui la peut égaler aux premières langues du monde, elle a la force des langues orientales, la finesse et la netteté du grec, l’élégance et la pureté du latin, elle peut parfaitement imiter l’une et l’autre dans la poésie“. Der früheste Versuch, moderne Sprachen als Lerngegenstände systematisch zu begründen, findet sich im Werk des Jan Amos K OMENSKÝ (Comenius), wobei er allerdings das Englische nicht erwähnt. In seiner 1643-1647 in Elbing entstandenen Schrift Linguarum Methodus Novissima weist er auf die Charakteristika der italienischen, französischen und spanischen Sprache (in dieser Reihenfolge) hin: „Italica, Gallica, Hispanica, quanquam e corrupta latinitate ortae, hanc tamen, matrem suam, omnino superasse videri volunt: Italica quidem peramaena quadam facilitate; Gallica, mira et suavi elegantia; Hispanica, gravi quadem majestate: quibus fretae non solum matrem fastidiunt, sed et cum invicem de praeeminentia certant“ (C OMENIUS 1657: 45). Das Zitat zeigt, dass den einzelnen Sprachen inzwischen bestimmte stereotype Eigenschaften zugeschrieben werden; diese bleiben während der gesamten Frühen Neuzeit konstant. Im Übrigen liefert der Verfasser eine konzise Beschreibung der sprachenpolitischen Situation, wobei er auch von den Sprachen Deutsch, Polnisch und Tschechisch handelt und einige außereuropäische Sprachen in die Argumentation einbezieht. Auch in seiner 1657 erschienenen Didactica Magna, deren 22. Kapitel Anleitung zur Erreichung einer gestuften Mehrsprachigkeit gibt, erwähnt Komenský das Englische nicht, wohl aber eine Reihe von kontinentalen Nachbarsprachen, wie dann auch der Erwerb von Nachbarsprachen (in Ergänzung zur internationalen Sprache Latein) zum didaktischen Leitprinzip erhoben wird. Offenbar bietet sich das nur auf dem Seeweg zu erreichende England zur Ausbildung einer compétence transfrontalière nicht an. 3. Warum Englisch? Die Argumentationen von Bohse und Seidelmann Vor dem hier skizzierten Hintergrund sind die auf das Englische bezogenen Ausführungen August Bohses von 1703 (publiziert 1706 unter dem Pseudonym Talander) zu verstehen. Bohse liefert im Kontext der Sprachen Französisch, Italienisch und Spanisch eine umfassende Begründung für das Englischlernen: „Die englische Sprache ist sonderlich denen zu erlernen nützlich, welche Theologiam oder auch Medicinam studieren: Denn ihre Geistlichen über die Maßen lehrreich schreiben, und vortreffliche Meditationes haben, hernach die Deutschen in ihren Predigten und Oratoria Ecclesiastica sehr wohl zur Erbauung können anbringen und sich zugleich dadurch beliebt machen. So sind auch in Chymicis, und was sonst die Wissenschaft eines Medici vermehren kann, köstliche Sachen in ihrer Sprache heraußen. […] Und weil die deutschen Höfe, sonderlich aber der königliche Preußische und hannoverische mit dem englischen viel zu negotiieren haben, so dienet es auch sehr zur 18 Konrad Schröder 39 (2010) Recommendation eines Jungen von Adel oder Bürgerlichen, welcher sich mit der Zeit daselbst zu engagieren gedenket, wenn er dieser Sprache kundig ist; und machet er sich dadurch desto beliebter, je weniger in Deutschland etwas Rechtes darinnen getan haben; da hingegen das Französische fast die meisten Lakeien bei Hofe reden“ (T ALANDER 1706: 355 ff). Bohse bestätigt, dass in der Frühzeit des Englischlernens der theologische Verwertungszusammenhang ein wichtiger Anreiz ist. Wie stark, zeigt die Existenz eines spezialisierten Lehrmaterials von 1733, eines Tractatus philologico-exegeticus de utilitate linguae anglicanae in explicatione Sanctae Scripturae. Der Autor der in Leipzig erschienenen Schrift, Andreas Teuber, ist Pfarrer im Fürstentum Halberstadt. Dabei spielen auch die im anglikanischen Umfeld publizierten Predigtsammlungen eine Rolle: Barocke Predigten haben nicht selten eine Länge von mehr als einer Stunde. Ein Pfarrer, der sprachlichen Zugang zu diesen qualitativ hochwertigen, kirchenpolitisch akzeptablen Vorbildern hat, kann sich viel Arbeit sparen. Inzwischen allerdings dehnt sich das Interesse auf das naturwissenschaftliche und medizinische Schrifttum aus. Hier ist England um die Wende vom 17. zum 18. Jahrhundert führend, weil die an mittelalterlichen Sichtweisen orientierten Lehrmeinungen der katholischen Kirche oder gar die Inquisition den Fortschritt nicht ausbremsen. Dabei benutzen die Briten als staatskirchlich orientierte Protestanten nicht das Latein der Papisten. Bohse bietet aber auch eine neue Facette, die der deutsch-englischen dynastischen Verbindungen. Dieser Aspekt wird, als 1714 mit der Thronbesteigung Georgs I. von England und Schottland eine Personalunion zwischen dem Kurfürstentum Hannover und dem Vereinigten Königreich hergestellt ist, zur dritten tragenden Säule für den Erwerb des Englischen neben der handelspolitischen und der wissenschaftlichen Fundierung. Und da ist noch ein Gesichtspunkt, der im Wettkampf der Sprachen bis heute eine Rolle spielt: Wer eine weniger gelernte Sprache kann, für die Bedarf besteht, der kommt in seiner Karriere leichter voran. Ähnlich wie der Prinzenerzieher Bohse argumentiert auch der Jenenser Pfarramtskandidat Christian Friedrich S EIDELMANN in seinem 1724 erschienenen Tractatus philosophico-philologicus, der frühesten sprachenübergreifenden Methodik des modernen Fremdsprachenunterrichts. Als neue Facette erscheinen hier allerdings die Humaniora: „Was z.B. die Gelehrten betrifft: die Juristen, allerdings mit Ausnahme derjenigen, die im Herzogtum Hannover und am Hof von Braunschweig und Lüneburg arbeiten wollen, können leichter auf Englisch verzichten als die Theologen und Mediziner, weil es eine Vielzahl englisch geschriebener Bücher gibt, die ihr Arbeitsgebiet betreffen. In der Geschichts- und in der Altertumswissenschaft leisten die Engländer Einmaliges. [...] Der Beitrag der Königlichen Gesellschaft zur Medizin ist hinlänglich bekannt. Und da die Juristen sowohl Philosophie als auch Geschichte und Literatur kennen müssen, ist offensichtlich, dass auch für sie die Kenntnis des Englischen äußerst nützlich ist. [...] Wer sich für politische Schriften interessiert, findet sie bei den Engländern in großer Zahl, und er hat an diesen Büchern die größte Freude“ (zitiert nach Z APP / S CHRÖDER 1984: 17 ff) . Zur Begründung des Englischlernens im Deutschland des 18. Jahrhunderts 19 39 (2010) 4. Ästhetisierend-emotionale Argumente für das Englische Neben der Tradition des sachlichen Begründens bei Bohse und Seidelmann findet auch die ästhetisierend-emotionale Argumentation im Verlauf des 18. Jahrhunderts weitere Jünger; in der Vorromantik wird sie beherrschend, wobei sich zunehmend jene Gegnerschaft zum Französischen etabliert, die im 19. Jahrhundert dann bestimmend wird. Ein ausgeprägtes frühes Beispiel für die Glorifizierung des Englischen längs der zuvor für das Französische genutzten Bahnen ist die Vorrede zur Neuen englischen Grammatica des Theodor Arnold von 1718: Wer die englische Sprache genauer kennt, „der wird versichert gestehen müssen, dass sie allen anderen europäischen Sprachen sowohl an Lieblichkeit als Leichtigkeit nichts nachzugeben pflege, inmaßen sie gleich einer delikaten Fricassé eine angenehme und beliebte Vermischung, diese eine Veränderung, und die Veränderung eine süße Anmut erwecket. Sie ist ihrer Lieblich- und Leichtigkeit wegen der italienischen zu vergleichen; ihrer Majestät halber [...] der spanischen; in Ansehung ihrer männlichen Gravität der deutschen […]; in Ansehung ihrer Volubilität, die doch nicht obskur und weibisch, sondern klar, hell, distinkt und mannhaft ist, der französischen; ja der vielen emphatischen Wörter und mannigfaltigen Veränderungen derer Sonorum wegen der arabischen. […] Ja ich bin der Meinung, dass wir Deutschen Ursache hätten, solche [Sprache] der französischen noch vorzuziehen, […] weil die Religion der unsrigen viel näher kommt, die Engländer mehrenteils aus deutschem Geblüte herstammen, das Volk nicht so negligent und leichtsinnig ist, mehr Liebe zu uns trägt, die Engländer ebenso ingeniös und sinnreich, ja darnebst noch weit realer sind, ihre Sprache eine genauere Verwandtschaft mit der deutschen hat, auch nicht so gemein ist, und endlich, weil die Hochachtung der englischen Sprache unter uns zu noch genauerer Verbündnis und Vertraulichkeit unserer Nation mit der ihrigen Anlass geben dürfte“ (A RNOLD 1718: unpaginiert). Das Zitat bietet in den Sprach-Charakterisierungen Rückbezüge auf Komenskýs Linguarum Methodus. Gleichzeitig werden zukünftige Entwicklungen bereits angedeutet: die Ausbildung eines an britischen Standards orientierten Geschmacks, damit verbunden die Abwertung der Romania als obskur, weibisch, negligent und leichtsinnig, schließlich dann der Hinweis auf die ethnische Verwandtschaft. Letztere verhilft dem Englischen 1937 endgültig zur Position der ersten Schulfremdsprache. Der Charakter des Englischen als Mischsprache ist seit dem ausgehenden 17. Jahrhundert ein Handicap im Kampf um Marktanteile. Arnold macht daraus eine „delikate Fricassé“. Sieben Jahre nach Ludwig versucht auch der Arnold-Kritiker Thomas Lediard, ein in Hamburg ansässiger Brite und Sprachmeister des Englischen, im Vorwort zu seiner Grammatica Anglicana Critica, die „übelgefasste und unbegründete Meinung, welche viele […] von der englischen Sprache haben, als wenn sie nur eine verwirrte und verdorbene Mélange, ja sogar die Hefe und Ausschuss aller europäischen Sprachen sei“ (L E - DIARD 1725: unpaginiert), zu entkräften. Zugleich wendet er sich gegen die Auffassung, das Englische könne nicht in Regeln gefasst werden, ein gewichtiges Argument gegen Englisch im 18. und 19. Jahrhundert. 20 Konrad Schröder 39 (2010) 5. Die Rolle Göttingens und die belletristisch-literarische Komponente Um 1750 ist das Französische auf dem Höhepunkt seiner internationalen Geltung. Maupertuis, Präsident der Berliner Akademie der Wissenschaften, nennt es „plutôt la langue de l’Europe entière que la langue des Français“ (B EHRENS 1919: 86). Doch das Englische holt auf, und es ergibt sich seit den 1740er Jahren ein Schneeball-Effekt: Weil angesehene Hochschulen ihren Studierenden die Gelegenheit zu Englischunterricht geben, muss man selbst auch entsprechende Vorsorge treffen. Stellvertretend seien in diesem Zusammenhang die Reformvorschläge des Rektors der Erfurter Universität, Bellmont, von 1756 genannt, in denen es heißt: „An einem italienischen und englischen Sprachmeister fehlet es noch, beide Sprachen […] werden auf den blühenden Universitäten gelehrt“ (S TIEDA 1934: 42). Zentrum des Englischlernens ist die 1737 (von Georg II. von England und Schottland) gegründete Universität Göttingen, die seit 1751 über ein Extraordinariat der englischen Sprache, seit 1762 dann über ein Ordinariat verfügt. Es ist mit dem Engländer John Tompson besetzt, einem - in moderner Terminologie - Kulturwissenschaftler, dessen erfolgreiche Anthologie English Miscellanies als Lehrmaterial weit ausstrahlt und mittelbar die deutsche Klassik beeinflusst. Von den Kollegen hochgeachtet gilt Tompson als Verkörperung des „perfect gentleman“; Göttingen wird in den 1760er Jahren, wie Caroline Michaelis es einmal ausdrückt, zu einem „Londres en miniature“ ( VON S ELLE 1937: 183 ff), Katalysator des Paradigmenwechsels vom französischen zum englischen Geschmack, des Shakespeare-Kults und auch Vorreiter in der Ausbildung von Englischlehrern, nicht zuletzt für das protestantische Süddeutschland. Zahlreiche später bedeutende Briten und auch die königlichen Prinzen haben hier studiert. „In Göttingen wurde englischer Geist ein Mittel zur Entfaltung deutschen Wesens“ (a.a.O.) - ein Ansatz, den das Dritte Reich pervertiert, der aber das gesamte 19. Jahrhundert hindurch trägt. Im Zusammenhang mit der hier skizzierten Entwicklung erfährt der Kanon der Begründungen von Englischunterricht eine Erweiterung: Die belletristische Komponente tritt hinzu; Englischkenntnisse werden zum Mittel, sich literarische Schätze zu erschließen. Im späten 18. Jahrhundert floriert der Buchimport aus England, später dann werden die Werke in großem Stil im deutschsprachigen Raum selbst nachgedruckt. Zahlreiche Göttinger Professoren unternehmen Englandreisen. Lichtenberg berichtet bei seiner ersten Reise aus London, Göttingen stehe in allgemeiner Achtung. König Georg III. besucht ihn in seiner Wohnung, und er lernt den Schauspieler Garrick kennen, der im Rahmen der Wiederbelebung Shakespeares eine wichtige Rolle spielt. Lichtenberg gibt seine ausgezeichneten Kenntnisse der englischen Literatur in Göttingen weiter, u. a. an die Dichter des Göttinger Hainbundes, so auch an Gottfried August Bürger, unter dessen Leitung August Wilhelm Schlegel seine Shakespeare-Übersetzung beginnt. Auch Ludwig Tieck ist Göttinger Student. Bürger übersetzt Teile von Percys Relics of Ancient Poetry und schafft damit die Voraussetzung für den Ossian-Kult der Romantiker. Von Percy führt der Weg zu Achim von Arnim und Clemens Brentano. In regionalem Kontakt zu Göttingen stehen Bildungseinrichtungen wie das Collegium Carolinum zu Braunschweig, an dem der bedeutende Englischlehrer Johann Arnold Ebert Zur Begründung des Englischlernens im Deutschland des 18. Jahrhunderts 21 39 (2010) bereits im Studienjahr 1751/ 52 - noch vor Beginn des Siebenjährigen Krieges also - laut Lektionskatalog nicht nur die Anfangsgründe der Sprache vorträgt und Tompsons Miscellanies erklärt, sondern auch Miltons Paradise Lost liest. Ein weiteres Beispiel, das den neuen Ansatz zeigt, liefern die Wöchentlichen Hallischen Anzeigen vom April 1759 für die Universität Halle: Hier wird Magister Thomas Abbt „das Genie der englischen Sprache erklären, die Regeln geben, ihre Schriftsteller zu verstehen und poetische Stücke kritisch durchgehen“ (D IETRICH 1956: 1043). Selbst in den Schriften der Prinzenerzieher wird nun der literary turn sichtbar, obgleich der politische Wert der behandelten Sprachen weiterhin im Vordergrund steht. In seiner Schrift Unterricht von den wahren Vorzügen (1763) argumentiert Adolph Friedrich von Witzendorf für das Englische wie folgt: „Ich will nur noch einen Beweggrund hinzusetzen, welchen Sie in den schönen Büchern finden können, die vornehmlich diese Sprache in allen und besonders in den Schönen Wissenschaften aufweisen kann. Die Engländer sind es, […] welche in der Poesie und Rednerkunst das Erhabene und Schöne der alten Schriftsteller der güldenen Zeiten in den Wissenschaften glücklich nachgeahmt haben, und sie verbinden einen edlen Schwung der Gedanken mit einem ungekünstelten Witze“ (Witzendorf 1763: 65 f) Das zeitgenössischen Argument, gute Übersetzungen könnten - gerade im literarischen Bereich - an die Stelle des Originals treten und den Erwerb des Englischen als einer (zumal phonetisch-prosodisch) so schwierigen Sprache überflüssig machen, weisen gleich mehrere Lehrwerkautoren in den Vorworten zu ihren Werken zurück, so Johann Christoph Prager in seiner Englischen Grammatik (Coburg 1764): „Die Übersetzungen sind nicht allezeit so beschaffen, dass man sie wie das Original verehre. Entweder ist der Übersetzer dem Originale nicht gewachsen […], oder es lässt sich gar nicht ohne Nachteil des Originals und des Genies der Sprache übersetzen; welches man an den Übersetzungen englischer Dichter deutlich sieht. Milton, Pope und Young werden in der Übersetzung billig verehrt, aber in der Grundsprache erst bewundert“ (unpaginiert). 6. Martin Ehlers: Vorromantische Sichtweisen in neuer Diktion Die Erfolge Großbritanniens im Siebenjährigen Krieg, aber auch der ökonomische und technologische Fortschritt des Landes und sein politischer Liberalismus lösen seit dem Ende der 1760er Jahre jene Anglomanie aus, von der auch der junge Goethe sowie einige Jahre später Schiller erfasst werden. Ein bemerkenswertes Zeugnis dieser Entwicklung ist das Reformwerk Gedanken von den zur Verbesserung der Schulen notwendigen Erfordernissen (Altona, Lübeck 1766) des Schulmanns, Englischlehrers und späteren Kieler Ordinarius der Philosophie Martin E HLERS . Er nimmt zur Frage neusprachlicher Studien ausführlich Stellung, wobei er insgesamt unvoreingenommen die zeitgenössische Rolle des Französischen würdigt. Ganz ähnlich wie später Johann Christoph S CHWAB (1785) beschreibt er die aurea mediocritas der Franzosen: „Die Franzosen machen überhaupt […] zwischen sehr kleinen Seelen und sehr starken Geistern eine Mittelgattung aus. Das 22 Konrad Schröder 39 (2010) Schlechte und Niedrige und das Tiefsinnige und Erhabene wird durchgängig an ihnen vermisst“ (E HLERS 1766: 13 ff). Dann aber fordert er, dass „nächst der französischen […] mein Schullehrer die englische Sprache verstehe. Dass England in allen Wissenschaften, in allen Werken der Kunst und des Geschmacks die größten und erhabensten Seelen und sich über die Menschheit fast erhebende Genies hervorgebracht habe, wird mir jetzt […] hoffentlich ohne Beweis zugegeben. […] Es ist ausgemacht, dass die Gründlichkeit den Hauptzug zum Gemälde des Nationalcharakters der Deutschen hergebe. […] Endlich fangen die Deutschen an, die Engländer kennenzulernen. Sie finden unter ihnen die gründlichsten und tiefsinnigsten Köpfe, sie finden, dass auch die gründlichsten Gelehrten die größten Liebhaber der Schönen Wissenschaften sind, sie lernen, was die Franzosen sie nicht gelehret hatten, dass die Beschäftigungen des Verstandes sich auch über die Werke der Kunst erstrecken und kommen also nach der Anmerkung der größten Kunstrichter unserer Zeit über die Metaphysik zu den Werken des Geschmacks. […] Man liest hierbei die vortrefflichsten Schriften der Engländer, man fühlt sich von sympathetischen Empfindungen dahingerissen, und nun bricht das sonst in der Brust der Deutschen verschlossene und erstickte Feuer für die Schönen Wissenschaften allenthalben in den hellsten Flammen hervor“ (a.a.O.). Der Text markiert schon durch seine Sprache, die Intensität der Bilder, aber auch durch den partiellen Verzicht auf rationale Argumente den Übergang auf Sturm und Drang, Klassik und Romantik. Die belles lettres rücken nun ins Zentrum der Argumentation, und Autostereotypen des Deutschseins, die dann das 19. Jahrhundert beherrschen und entsprechendes Unheil anrichten werden, dienen als Bezugspunkt. Der Einfluss der französischer Sprache und Kultur wird abgewertet: Volk und Sprache sind ohne Höhen und Tiefen, eben mittelmäßig und damit für den Deutschen wesensfremd. 7. Das Ende des Jahrhunderts: eine Trias der modernen Schulsprachen, auch im katholischen Raum Damit ist das Arsenal, mit dem man dann bis weit ins 19. Jahrhundert hinein für das Englische als Schul- und Universitätsfach eintritt, komplett. Bis zur Jahrhundertwende kommt wenig Neues hinzu. Die Sichtweisen Ehlers’ werden Gemeingut. Sie werden wörtlich zitiert, wie etwa im Vorwort zu einer 1772 anonym und ohne Ortsangabe erschienenen Kurzen Anweisung zur Englischen Sprache für Anfänger, oder aber dem Sinne nach wiederholt. Gleichzeitig kommt das Englische im Schulbereich weiter voran, so etwa in Weimar selbst, dem Gravitationszentrum der deutschen Klassik: In einem Visitationsbericht des Jenenser Professors Ernst Jakob Danov auf Geheiß der Herzogin Anna Amalia (1769) heißt es, „von den neuen Sprachen sei die Erlernung des Französischen, Englischen und Italienischen jetzt für alle Stände ganz unentbehrlich geworden; daher dürften die Schüler nicht eher die Akademie beziehen, als bis sie diese Sprachen erlernt hätten“ (F RANCKE 1916: 66 f). Was den Sprachenkanon angeht, so bildet sich nun jene Trias heraus, die die Ausbildungsgänge der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts beherrscht: Französisch (erste Zur Begründung des Englischlernens im Deutschland des 18. Jahrhunderts 23 39 (2010) moderne Fremdsprache trotz eines preußischen Verbotes von 1816), Italienisch (langsam auslaufend) und Englisch (aufsteigend). „Diese drei Sprachen sind nicht bloß den Gelehrten zum Lesen […] der darin geschriebenen Bücher, sondern auch in der kultivierten Welt zum Reden und Schreiben nötig“ (Johann David Michaelis 1773 in seinem Standardwerk Raisonnement über die protestantischen Universitäten Deutschlands - zitiert nach A EHLE 1938: 69). Das Englische ist nun nicht mehr auf den protestantischen Raum beschränkt: Es wird zunehmend auch im katholischen Deutschland und in Österreich gelernt, trotz der 1778 von Maria Theresia attestierten religions- und sittenverderblichen Prinzipien. Bestes Beispiel ist Wien selbst: Zwar durchkreuzt Maria Theresia mit ihrem Dekret einen Antrag der Wiener Universität auf Anstellung eines Lehrers der englischen Sprache, doch gleichzeitig fordert der Wiener Universalhistoriker Ignaz Mathes von Hess, wenn auch posthum, in seinem (freilich im protestantischen Halle erschienen) Werk Gedanken über die Einrichtung des Schulwesens neusprachlichen Unterricht ab der 3. Klasse der k. k. Mittelschule. Unter den zu unterrichtenden Sprachen befindet sich das Englische. Ein Jahr später verlegt der Wiener Drucker von Trattner eine Kurze Einleitung zu der englischen Sprache von Jakob Kemper. Am Wiener Theresianum, einer Ritterakademie mit Schwerpunkt auf den abend- und morgenländischen modernen Sprachen, wird bereits 1769 Englisch unterrichtet (A EHLE 1938: 115). Maria Theresias Dekret, das im Hochschulbereich der k. k. Staaten durchaus retardierend wirkt, muss gesehen werden vor dem Hintergrund der im Zeitalter des erwachenden Nationalismus erforderlichen neuen Mehrsprachigkeitspolitik für die habsburgischen Staaten, aber auch als eine Reaktion auf das Eindringen republikanischen Gedankenguts über englische Übersetzungen in Frankreich indizierter Schriften. Um solche Texte lesen zu können, greift schließlich auch der rheinische Kaplan zum Englischbuch. Die Französische Revolution wirft ihre Schatten voraus. 8. Ein Stück Exotik: Die American Connection Der Überblick wäre nicht komplett ohne den Hinweis auf einen weiteren, eher marginalen Begründungszusammenhang, die American Connection. Zwar kommt es erst um die Mitte des 19. Jahrhunderts zur Massenemigration nach Amerika und zu eigenen Lehrbüchern für Auswanderer (F RANZ 2005), doch bereits 1710 erscheint, konfessionell motiviert (Mennoniten), in London anonym ein kleiner Leitfaden A Short and Easy Way for the Palatines to Learn English, oder Eine kurze Anleitung zur englischen Sprache, zum Nutz der armen Pfälzer. Im amerikanischen Unabhängigkeitskrieg (1776-1783) kommen auf britischer Seite deutsche Truppenkontingente zum Einsatz, für die auch wieder eigene Lernmaterialien auf den Markt gelangen, vor allem aus der Feder Johann Nikolaus Karl Buchenröders, so etwa Der getreue englische Dolmetscher, welcher denen Hannoverisch-, Braunschweigisch- und Hessischen Truppen das unentbehrlichste der englischen Sprache in Kurzem zu erlernen mitteilt (Hamburg, Schwerin 1776 u.ö.). Und dann ist da Johann Christoph S CHWAB s 1785 in Tübingen veröffentlichtes Werk Von den Ursachen 24 Konrad Schröder 39 (2010) der Allgemeinheit der französischen Sprache und der wahrscheinlichen Dauer ihrer Herrschaft, eine von der Akademie der Wissenschaften zu Berlin preisgekrönte Arbeit des an der Hohen Karlsschule zu Stuttgart tätigen Philosophieprofessors. Schwabs Argumentation kulminiert in der Annahme, dass der zeitgenössische Status quo (Französisch als internationale Sprache) so lange erhalten bleibt, wie die Franzosen nichts unternehmen, das dem Rang ihrer Sprache und Kultur abträglich sein könnte: „Es müsste entweder die französische Sprache oder die Kultur der Nation, die sie spricht, oder die politische Größe derselben herabgewürdigt werden, und diese Dinge müssten bei einer anderen Nation in eben dem Maße wachsen. Allein wer wollte so etwas vorhersagen, ohne sich die Miene eines Propheten zu geben“ (S CHWAB 1785: 136 f). Der Sieg über Napoleon, die in England ihren Ausgang nehmende Industrielle Revolution und die fortdauernde kulturpolitische Ausstrahlung Großbritanniens werden nach 1813 bzw. 1815 die Voraussetzungen für die zunächst schleichende Umgewichtung schaffen. Noch geht für Schwab vom Englischen keine Gefahr für die Weltgeltung des Französischen aus, trotz der Tatsache, dass „die englische Sprache […] eine der leichtesten [sic! ] in Europa“ ist, „die englische Nation einen hohen Grad der Kultur“ erreicht hat, „der englische Staat durch seine vortreffliche Verfassung und die Energie des englischen Geistes“ eine „große Macht“ verkörpert, „die wissenschaftliche Kultur der englischen Nation seit dem Anfang unseres Jahrhunderts ungemein gestiegen“ ist und „diese in der Tat große Nation durch ihre Eroberungen und Triumphe in dem Siebenjährigen Kriege ganz Europa erfüllte“. Denn das Naturell des Engländers ist anders: „Diese Ursachen aber sind bleibend, denn der Engländer wird durch seinen Charakter, der ohne Zweifel im Klima gegründet ist, eben sowohl als durch die Lage seines Landes, der toto divisus orbe Britannus bleiben“ (S CHWAB 1785: 104 ff). Unmittelbar im Anschluss an dieses Zitat folgt dann aber der wohl prophetischste Satz der ganzen Schrift: „Ich rede aber bloß von Europa, denn in dem nördlichen Amerika kann diese Sprache mit der daselbst wachsenden Volksmenge eine ungeheure Herrschaft erlangen.“ Als Schwab den Satz niederschreibt, ist der Amerikanische Unabhängigkeitskrieg gerade erst zu Ende. Literatur A EHLE , Wilhelm (1938): Die Anfänge des Unterrichts in der englischen Sprache, besonders auf den Ritterakademien. Hamburg: Riegel. A RNOLD , Theodor (1718): Neue englische Grammatica oder Kurzgefasste, jedoch deutliche und sichere Anweisung zur richtigen Pronunziation, Akzentuation und völligen Begreifung der englischen Sprache. Hannover: Förster. Zur Begründung des Englischlernens im Deutschland des 18. Jahrhunderts 25 39 (2010) B EHRENS , Dietrich (1919): „Beiträge zu einer Geschichte der französischen Sprache“. In: Zeitschrift für französische Sprache und Literatur 45, 157-234. C OMENIUS , Johann Amos (1657): Opera Didactica Omnia. Variis hucusqve occasionibus scripta, diversisqve locis edita: nunc autem non tantum in unum, ut simul sint, collecta, sed & ultimo conatu in Systema unum mechanice constructum, redacta.Pars II. Ea comprehendens qvae ab Anno 1642 ad 1650 scripta & edita fuere. Novissima Linguarum Methodus. Fundamentis Didacticis solide superstructa: Latinae L. exemplo realiter demonstrata: Scholarum usibus jam tandem examussim accommodata: Sed & insuper aliis Studiorum generibus magno usu accommodanda. Anno 1648. Amsterdam: Laurentius de Geer. D IETRICH , Gerhard (1956): „Zur Geschichte der englischen Philologie an der Martin-Luther-Universität Halle/ Wittenberg“. In: Wissenschaftliche Zeitschrift der Martin-Luther-Universität Halle/ Wittenberg, Gesellschafts-Sprachwissenschaftliche Reihe 5, 1041-1056. D IETZE , Hugo (1927): Methodik des fremdsprachlichen Unterrichts an Handelsschulen. Leipzig: Gloeckner. E HLERS , Martin (1766): Gedanken von den zur Verbesserung der Schulen notwendigen Erfordernissen. Altona, Lübeck: Iversen. F RANCKE , Otto (1916): Geschichte des Wilhelm-Ernst-Gymnasiums in Weimar. Weimar: Böhlau. F RANZ , Jan (2005): Englischlernen für Amerika. Sprachführer für deutsche Auswanderer im 19. Jahrhundert. München: Langenscheidt. F RIEDLÄNDER , Ernst, Hrsg. (1892-1894): Matrikel der Universität Greifswald 1456 - 1700. 2 Bände. Berlin: Hauptstaatsarchiv. G ENTHE , Hermann (1879): Kurze Geschichte des Fürstlich Waldeckischen Landesgymnasiums Friedericianum zu Korbach. Mengeringhausen: Weigel. K INK , Rudolf (1854): Geschichte der Kaiserlichen Universität zu Wien. Band 1, Teile 1 und 2. Wien: Gerold. L EDIARD , Thomas (1725): Grammatica Anglicana Critica oder Versuch zu einer vollkommenen Grammatik der englischen Sprache. Hamburg: Selbstverlag. P RAGER , Johann Christian (1764): Englische Grammatik oder Leichte und gründliche Anleitung zur Erlernung der englischen Sprache. Coburg: Findeisen. S CHMIDT , Bernhard (1931): Der französische Unterricht und seine Stellung in der Pädagogik des 17. Jahrhunderts. Halle: Klinz. S CHRÖDER , Konrad (1991-1999): Biographisches und bibliographisches Lexikon der Fremdsprachenlehrer des deutschsprachigen Raumes, Spätmittelalter bis 1800. 6 Bände. Augsburg: Universität. S CHWAB , Johann Christoph (1785): Von den Ursachen der Allgemeinheit der französischen Sprache und der wahrscheinlichen Dauer ihrer Herrschaft. Eine Preisschrift. Tübingen: Heerbrandt. S ELLE , Götz von (1937): Die Georg-August-Universität zu Göttingen 1737-1937. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. S TIEDA , Wilhelm (1934): Erfurter Universitäts-Reformpläne im 18. Jahrhundert. Erfurt: Villaret. T ALANDER (1706): Der getreue Hofmeister adeliger und bürgerlicher Jugend oder Aufrichtige Anleitung, wie sowohl ein Junger von Adel als anderer, der von guter Extraktion, soll rechtschaffen auferzogen werden. Leipzig: Gleditsch. W ITZENDORF , Adolph Friderich von (1763): Unterricht von den wahren Vorzügen in einem Schreiben an den Durchlauchtigen jüngsten Prinzen von Mecklenburg-Strelitz. Leipzig: Haußwald. Z APP , Franz Josef / S CHRÖDER , Konrad (1984): Chr. F. Seidelmann. Tractatus philosophico-philologicus de Methodo recte tractandi Linguas Exoticas speciatim Gallicam, Italicam et Anglicam (1724). Faksimiliert, übersetzt und herausgegeben, mit einer Darstellung der Geschichte des Fremdsprachenunterrichts an der Universität Wittenberg. Augsburg: Universität.
