eJournals Fremdsprachen Lehren und Lernen 40/1

Fremdsprachen Lehren und Lernen
flul
0932-6936
2941-0797
Narr Verlag Tübingen
Es handelt sich um einen Open-Access-Artikel, der unter den Bedingungen der Lizenz CC by 4.0 veröffentlicht wurde.http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/61
2011
401 Gnutzmann Küster Schramm

Helene DECKE-CORNILL, Lutz KÜSTER: Fremdsprachendidaktik. Eine Einführung. Tübingen: Narr 2010, 303 Seiten. [16,90 €]

61
2011
Lars Schmelter
flul4010130
130 Buchbesprechungen • Rezensionsartikel 40 (2011) • Heft 1 verstehensdidaktisches Potenzial. Theoretische Fundierungen sind jedoch auch hier zu finden, so z,B. zur Bildungsgangdidaktik (Kap. XII), zu Postkolonialismustheorien (Kap. XIII), zur Semiotik des Theaters (Kap. XIV) sowie zu erkenntnis-, anerkennungs- und identitätstheoretischen Ansätzen. Allerdings sind diese jeweils eng auf das Bildungspotenzial der besprochenen erzählerischen und dramatischen Werke (so z.B. Small Island von Andrea L EVY oder alterNatives von Drew Hayden T AYLOR ) bezogen. Das Buch endet ohne eine bilanzierende Rück- oder Vorausschau, was die Kohärenz des Buches sicherlich schmälert. Andererseits hätte ein solches Fazit fast zwangsläufig zu störenden Redundanzen geführt, da sich ohnehin bestimmte Grundgedanken in den verschiedenen Kapiteln wiederholen. Deren Ursprung in Einzelaufsätzen wird besonders dort offensichtlich, wo die Sprache vom Deutschen zum Englischen und zurück wandert. Während dies den positiven Gesamteindruck des Bandes nicht im Kern berührt, fällt ein anderer „Schönheitsfehler“ stärker ins Gewicht. Wie oben bereits angedeutet, kann sich der Rezensent an mehreren Stellen des Eindrucks nicht erwehren, dass B REDELLA seine Gegner unangemessen pauschal angreift. Eine differenziertere Betrachtungsweise hätte insbesondere das von W ELSCH eingeführte Konzept der Transkulturalität verdient. B REDELLA zieht hier lediglich einen Aufsatz von 1994 1 heran, in dem W ELSCH explizit überzeichnend argumentiert. Wer seine Schriften breiter rezipiert und auch die einschlägigen Positionen aus der Fremdsprachendidaktik heranzieht, wird durchaus Überlappungsfelder zwischen beiden Denkansätzen finden können. Ähnlich verhält es sich mit B REDELLAS Kritik am Dekonstruktivismus. Wenngleich nicht unbegründet, lässt sie doch außer Acht, dass die Kultur- und Literaturwissenschaft der Gegenwart aus dekonstruktivistischen Ansätzen wertvolle Anregungen bezogen haben, da diese berechtigte Skepsis an allen Verabsolutierungen von Sinn nähren. Insofern kann das Buch auf der Ebene des wissenschaftlichen Diskurs nicht immer dem entsprechen, was der Autor für den Umgang mit literarischen Texte als wesentlich empfindet: „dass wir nicht unterschiedliche Formen des Wissens gegeneinander ausspielen, sondern sie in ihren jeglichen Leistungen und Grenzen anerkennen“ (S. XXVIII). Dessen ungeachtet kann das Buch allen empfohlen werden, die Anregungen zu fremdsprachendidaktischen Reflexionen suchen, welche funktional-kommunikative Ziele zwar nicht in Frage stellen, sie wohl aber erweitern um Perspektiven der Persönlichkeitsbildung. Auf der Grundlage eines zutiefst humanistischen Menschenbildes und eines profunden, aus unterschiedlichsten Quellen gespeisten kultur- und literaturwissenschaftlichen Wissens lädt B REDELLA dazu ein, das derzeit oft vernachlässigte Aufgabenfeld ästhetisch-literarischer und interkultureller Bildung nicht aus den Augen zu verlieren. Die Argumente hierfür so überzeugend dargelegt zu haben, ist das wesentliche Verdienst des Buches. Berlin L UTZ K ÜSTER Helene D ECKE -C ORNILL , Lutz K ÜSTER : Fremdsprachendidaktik. Eine Einführung. Tübingen: Narr 2010, 303 Seiten. [16,90 €] Der hier zu besprechende Band richtet sich an Lehramtsstudierende der neusprachlichen Fächer. Die Autoren setzen sich das Ziel, „erste Einblicke in den Gegenstand und in zentrale Aspekte des Fremdsprachenunterrichts“ (S. XII) und damit „die Grundlagen“ (S. 263) der Fremdsprachen- 1 W ELSCH , Wolfgang (1994): „Transkulturalität. Lebensformen nach der Auflösung der Kulturen“. In: L UGER , Kurt / R EGER , Rudi (Hrsg.): Dialog der Kulturen. Die multikulturelle Gesellschaft und die Medien. Wien [u.a.]: Österreichischer Kunst- und Kulturverlag, 147-169. Buchbesprechungen • Rezensionsartikel 131 40 (2011) • Heft 1 didaktik zu vermitteln. Sie gehen dabei davon aus, dass sich mit den neuen Strukturen der (universitären) Lehrerbildung „eine inhaltliche Neuorientierung durchgesetzt hat, deren zentrales Element eine höhere Verbindlichkeit der Lerninhalte, insbesondere die Etablierung von Kerncurricula in der Bachelorphase, ist“ (S. XII). Da die Autoren gerade in den Kernbereichen der Fremdsprachendidaktik viele Gemeinsamkeiten sehen, halten sie den von ihnen gewählten Weg einer sprachenübergreifenden Einführung, die die „Querverbindungen in Theorie und Praxis des Unterrichts in den ‚modernen‘ Fremdsprachen“ (S. XI) aufzeigt, für vorteilhaft. Die unverzichtbare Darstellung der sprachspezifischen Zugänge könne auch im weiteren Studienverlauf noch erreicht werden. Neben diesen selbst gesteckten Kriterien, an denen die Publikation u.a. zu messen ist, gibt die Reihe Bachelor-Wissen, in dem die Publikation erscheint, einen weiteren Rahmen vor. Die Titel in der Reihe des Gunter Narr Verlags sollen semesterbegleitend, z.B. zur Strukturierung von Lehrveranstaltungen, genutzt werden können oder zum Selbststudium. Vor diesem Hintergrund sind die 14 „Einheiten“ zu verstehen, in die sich das Buch unterteilt. Auch die Drucklegung, mit Marginalien und blau hinterlegten Definitionen, die eine leichte Orientierung im Text ermöglichen, sowie die Zusammenfassungen am Ende der Einheiten, sind auf diesen äußeren Rahmen zurückzuführen. Er zwingt - wie im Übrigen auch Lehrveranstaltungen und zum Teil die Vorgaben von Prüfungsordnungen - zu Beschränkungen. Bei der Auswahl der Inhalte bedauern die Autoren besonders, dass der auch in ihren Augen wichtige Bereich der Forschungsinteressen und -methoden der Fremdsprachendidaktik nicht mehr berücksichtigt werden konnte. Das Ziel moderner Lehrerbildung, bei den Studierenden schon früh einen forschenden Habitus anzulegen und damit die reflexive Professionalisierung in der zweiten und dritten Phase vorzubreiten, soll dennoch bereits in dieser Einführung in die Fremdsprachendidaktik - u.a. durch Reflexionsfragen am Ende der Einheiten - angebahnt werden (s.u.). Welche Themen, Aspekte und Elemente haben die Autoren vor diesem Hintergrund ausgewählt? Den Einstieg bildet die Einheit mit der Überschrift „Fremdsprachendidaktik - was ist das? Zur Verortung der Disziplin“. Hier gehen die Autoren aus von der Allgemeinen Didaktik, um über die Fachzur Fremdsprachendidaktik zu kommen. Den Abschluss bildet eine geraffte Darstellung der drei hauptsächlich in bundesdeutschen Schulen unterrichteten Sprachen (Englisch, Französisch, Spanisch), auf die sich die Fremdsprachendidaktik als Bezugssprachen weitgehend beschränkt. Einheit 2 befasst sich unter der Überschrift „Spracherwerbstheorien“ mit behavioristischen, nativistischen und kognitivistisch-konstruktivistischen Hypothesen zu der Frage, wie die (Fremd-)Sprache zum Menschen kommt. An diesem Kapitel lassen sich recht deutlich die Grenzen erkennen, mit denen einführende Texte sich auseinandersetzen müssen. Der Rezensent hätte sich hier an einigen Stellen eine stärker herausgearbeitete Differenzierung zwischen dem Erwerb von Erst- und Zweitsprachen einerseits und dem institutionell gesteuerten Fremdsprachenerwerb in den diversen Theorien gewünscht. Auch die kognitivistisch-konstruktivistischen Hypothesen hätten untereinander durchaus deutlicher unterschieden werden können. Und doch gilt hier, wie an vielen anderen Stellen der Publikation: andere Schwerpunktsetzungen sind sicherlich möglich, denk- und vertretbar. Die von den Autoren gewählten Gewichtungen können jedoch mit gleichem Recht vorgenommen werden. Einheit 3 („Kognition und Emotion beim Sprachenlernen“) betont das enge Verhältnis dieser beiden Faktoren in einem Verständnis von Fremdsprachenlernen als kognitivem Prozess. Hier werden auch die individuellen Unterschiede beim Fremdsprachenlernen am Beispiel Motivation noch einmal deutlicher hervorgehoben. Einheit 4 befasst sich mit der „bildungspolitischen Geschichte des Fremdsprachenunter- 132 Buchbesprechungen • Rezensionsartikel 40 (2011) • Heft 1 richts“, die in Einheit 5 („Konzeptionen des Fremdsprachenunterrichts: vom Sprachwissen zu kommunikativer Kompetenz“) sozusagen eine Fortsetzung unter anderen Gesichtspunkten findet. Einheit 6 beschäftigt sich mit den „Medien des Fremdsprachenunterrichts“ und ihrem Wandel im Laufe der Zeit. Anschließend greift Einheit 7 einen Aspekt auf, der in vielen anderen Einführungen evtl. zu kurz kommt. Hier wird Interaktion nach der begrifflichen Klärung in ihrer „dreifachen Kontextualisierung im Fremdsprachenunterricht“ dargestellt und an Beispielen zu typischen Interaktionsmuster erläutert. Den Abschluss bilden Visionen eines interaktiven fremdsprachenlichen Klassenzimmers. Hier wie in anderen Einheiten tragen die Vor- und Rückverweise zwischen den Einheiten sicherlich dazu bei, dass die einzelnen Aspekte des Lehrens und Lernens von Fremdsprachen sowie ihre theoretische Beschreibung immer wieder zusammengebracht und -gedacht werden. Einheit 8 präsentiert und problematisiert zwei relativ neue Entwicklungen im Bereich der Fremdsprachendidaktik: den Fremdsprachenunterricht an Grundschulen und den bilingualen Unterricht. Die Einheiten 9 bis 13 hängen eng miteinander zusammen. Zunächst gehen die Autoren mit der Darstellung des mehrdeutigen Konzepts Mehrsprachigkeit, des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen, des Sprachenportfolios und der in den Bildungsstandards zugrundegelegten Kompetenzorientierung auf aktuelle Entwicklungen der europäischen und deutschen Sprachenpolitik ein (Einheit 9). In den folgenden Einheiten führen sie dann unter Rückgriff auf die Terminologie der Bildungsstandards in die Vermittlung von Wortschatz und Grammatik (Einheit 10), von fertigkeitsbezogenen funktional-kommunikativen Kompetenzen und deren Überprüfung (Einheit 11) sowie in die Vermittlung methodischer (Einheit 12) und interkultureller Kompetenzen (Einheit 13) ein. In diesen Einheiten werden wiederholt die Grenzen, die durch den äußeren Rahmen vorgegeben werden, besonders schmerzhaft deutlich. Einerseits legen die Autoren z.B. ihre Ausführungen zur Wortschatzarbeit begrüßenswert weit an, verweisen auf das mentale Lexikon, seine Strukturen und Prozesse der Speicherung und Aktivierung und gehen dann auf Konsequenzen für die Gestaltung von Lehr-Lern-Prozessen auch unter Aspekten der Mehrsprachigkeitsdidaktik ein. Andererseits fallen z.B. die Ausführungen zu der noch „jungen“ und damit wohl auch bei Studierenden aus eigener Unterrichtserfahrung kaum bekannten Fertigkeit Sprachmittlung mit weniger als einer Seite zu kurz aus. Der Rezensent erwischte sich immer wieder bei der an ihn selbst gerichteten Frage, ob das Vorgefundene als Einblick reicht. So kann der Abschnitt zur „Überprüfung sprachlicher Kompetenzstände“ einerseits einen Überblick verschaffen, wie komplex das Thema ist und welche Verbindungslinien es zur Gestaltung schulischen Fremdsprachenunterrichts hat. Doch reicht das Benennen von bestimmten Stichwörtern nicht nur bei diesem Thema vermutlich nicht aus, um didaktische Kompetenzen bei den Lesern anzubahnen. Müsste hierzu nicht stärker der Blick auf die Vermittlung des forschenden Habitus sowie die Reflexion und eventuell Modifikation subjektiver Theorien der Lehramtsstudierenden gerichtet werden? Die Autoren wollen dieses Ziel mit den Aufgaben, die eine jede Einheit zusammen mit Hinweisen zum Weiterlesen abschließen, erreichen. Diese Aufgaben regen den Leser an, sich mit Kommilitonen auszutauschen, sich selbstständig mit einer kontroversen Fragestellung auseinanderzusetzen oder die eigenen subjektiven Theorien zu reflektieren. Ohne diese im Einzelnen auch mit Studierenden ausprobiert zu haben, scheinen sie dem Rezensenten gut gelungen. Sie sind verständlich, anregend und zielführend, wenn die Studierenden nicht allein zum faktischen Wissen, sondern auch zum Nachdenken über eigene Positionen und zum fremdsprachendidaktischen Denken hingeführt werden sollen. Über die konkrete Auswahl der Literaturhinweise lässt sich sicherlich in dem einen oder anderen Fall diskutieren. Wünschenswert wäre es sicherlich gerade im Rahmen einer Einführung, diese Angaben mit einem kurzen Kommentar zu versehen. Buchbesprechungen • Rezensionsartikel 133 40 (2011) • Heft 1 Einheit 14 schließlich, die sich mit literarisch-ästhetischen Kompetenzen und der „Arbeit mit Literatur, Film, Comics, Bildern“ befasst, fokussiert noch einmal einen Aspekt, der beiden Autoren in der gesamten Publikation deutlich erkennbar am Herzen liegt: Schulischer Fremdsprachenunterricht sollte in ihren Augen mehr erreichen wollen als die Beherrschung funktionalkommunikativer Fertigkeiten. Er sollte auch zur Bildung der Schüler beitragen und damit über die beobachtbaren und messbaren Kompetenzen, wie sie beispielsweise die Bildungsstandards festschreiben, hinausgehen. Diese Entwicklung begleiten beide Autoren im gesamten Text durchgehend kritisch und wägen Vor- und Nachteile vor dem Hintergrund eigener Wertmaßstäbe ab; überhaupt nimmt gerade der durchgehend kritisch abwägende Grundton für die Publikation ein. Der Gesamteindruck, den der besprochene Band hinterlässt, ist sehr positiv. Sicherlich werden akademische Vertreter der Fremdsprachendidaktik bei der Wahl der Schwerpunkte eigene Akzente setzen wollen und dies bei den Literaturempfehlungen ebenfalls zum Ausdruck bringen. Zudem werden sie sich bei einigen bildungspolitischen, didaktischen oder methodischen Fragen eventuell anders positionieren. In sich und für sich ist der Band jedoch als ein mögliches Kerncurriculum für eine Einführungsveranstaltung in der Lehrerbildung durchweg empfehlenswert. Wuppertal L ARS S CHMELTER Stefanie D OSE , Sandra G ÖTZ , Thorsten B RATO , Christine B RAND (eds./ Hrsg.): Norms in Educational Linguistics - Normen in Educational Linguistics. Linguistic, Didactic and Cultural Perspectives - Sprachwissenschaftliche, didaktische und kulturwissenschaftliche Perspektiven. Frankfurt: Lang 2010 (Language Culture Literacy; Band 3), 181 Seiten [€ 42,80] Normen sind allgegenwärtig und bestimmen unser gesellschaftliches und individuelles Handeln, werden aber eher selten explizit zum Thema eines Buches gemacht. Es ist daher erfreulich, dass mit Hilfe des vorliegenden Sammelbandes Beiträge international bekannter Forscher sowie Nachwuchswissenschaftler zu diesem diziplinübergreifenden und facettenreichen Thema verbunden werden konnten, die dem Leser einen breiten Einblick in das Forschungsfeld ermöglichen. Der Band enthält zu gleichen Teilen englische und deutsche Beiträge und ist damit auch einem internationalen Publikum zugänglich. Der Band ist in vier thematische Abschnitte gegliedert: I. Sprachpolitik als Ausdruck kultureller Normen, II. Norm, Standard, Abweichung, III. Zielnormen im Fremdsprachenunterricht und IV. Ausblick. Diesen Abschnitten ist ein einführender Beitrag von D OSE , G ÖTZ , B RATO und B RAND vorangestellt: In „Norms in educational linguistics: An introduction“ wird das Feld von Educational Linguistics abgesteckt und ein Bewusstsein für die darin diskutierten Probleme geschaffen. Die Autoren verstehen Educational Linguistics als eine Art Unterdisziplin von Applied Linguistics: Educational Linguistics „is an area of study that integrates research tools of linguistics and other related disciplines of the social sciences in order to investigate holistically the broad range of issues related to language and education“ (H ULT in D OSE et al., 1). Die Autoren versuchen anschließend, einen Normenbegriff zu finden, der sich in gleicher Weise für alle Beiträge des Bandes eignet - eine schwierige Aufgabe, wenn man die verschiedenen Sichtweisen von z.B. Soziologie, Rechtswissenschaft und Linguistik berücksichtigt. Es wird auf die Doppelbedeutung des Konzeptes Norm hingewiesen, wobei „normal“ (das „Übliche“, was durchschnittlich ist) und „normativ“ (ein Ideal, angestrebter Sollwert) als klar unterscheidbar dargestellt werden. Allerdings können, je nach Sichtweise, auch deskriptive Ergebnisse (z.B. die von PISA) bereits eine stark normative Wirkung entfalten.