eJournals Fremdsprachen Lehren und Lernen 40/1

Fremdsprachen Lehren und Lernen
flul
0932-6936
2941-0797
Narr Verlag Tübingen
Es handelt sich um einen Open-Access-Artikel, der unter den Bedingungen der Lizenz CC by 4.0 veröffentlicht wurde.http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/61
2011
401 Gnutzmann Küster Schramm

Silvia G. PESCE: Löse- und Lernprozesse bei der Bearbeitung grammatisch-kommunikativer Lernaufgaben. Eine Studie am Beispiel des Spanischen als Fremdsprache. Tübingen: Narr 2010 (Giessener Beiträge zur Fremdsprachendidaktik), 428 Seiten. [44.00 €]

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2011
Jochen Plikat
flul4010139
Buchbesprechungen • Rezensionsartikel 139 40 (2011) • Heft 1 Aufbau von intuitiven Fertigkeiten der Lernenden und Aufstellung von relevanten phonologischen Hypothesen durch die Schüler. Dies zeigt, dass Interkomprehension ebenfalls zur Entwicklung von mündlichen Kompetenzen führt. Als Schwierigkeiten beim Einsatz der Methode werden die Hypergrammatisierung der französischen Sprache und die wachsende sprachliche Monokultur der Gesellschaft und der Sprachenlehrer genannt. Sílvia M ELO -P FEIFER und Maria Helena DE A RAÚJO E S Á stellen die Idee des Galanet-Projektes vor. Schriftliche Dialoge von miteinander chattenden Studenten mehrerer Universitäten romanischer Länder werden untersucht, um gemeinsame Merkmale in den Annahmen über Mehrsprachigkeit und subjektive Theorien über romanische Sprachen allgemein zu identifizieren. Dabei werden verschiedene Kommunikationsmechanismen, die im Umgang mit den Fremdsprachen in Bewegung gesetzt werden und Interkomprehension produzieren, analysiert. Dabei wird ein Bewusstsein gegenüber der eigenen Mehrsprachigkeit produziert. Die emotionale Ebene, die kognitive Ebene und die Leistungsebene werden bei diesem Projekt nicht außer Acht gelassen. Eine sehr spannende, bereichernde und hochaktuelle Untersuchung. Die beiden EuroComRom-Rezensentinnen sind bei der Lektüre auf ihre Kosten gekommen. Als EuroComGerm-Vertreterin hat die Dritte bis zum letzten Aufsatz gehofft, dass die Beiträge stärker noch über die EuroComRom-Familie hinaus gehen, als dies allein mit Ausflügen ins Englische getan wird; dies ist nicht der Fall, wenn man von den konzeptionellen Beiträgen absieht. Das hätte vielleicht im Titel des Werkes erwähnt werden können; ansonsten entsteht erneut der Eindruck, dass - aufgrund der im Vergleich zu Germ und Slav durchaus vorhandenen stärker ausgeprägten Forschung und Anwendungspraxis im Bereich EuroComRom - Interkomprehension und EuroCom sich per se und ausschließlich auf die romanischen Sprachen bezögen. Darmstadt A DELEIDE B ARRETO H EIL , B RITTA H UFEISEN , R OSA P ALOMAR Silvia G. P ESCE : Löse- und Lernprozesse bei der Bearbeitung grammatisch-kommunikativer Lernaufgaben. Eine Studie am Beispiel des Spanischen als Fremdsprache. Tübingen: Narr 2010 (Giessener Beiträge zur Fremdsprachendidaktik), 428 Seiten. [44.00 €] Bei der rezeptiven wie bei der produktiven Sprachverarbeitung benötigen wir u.a. prozedurales, also schnell und automatisiert verfügbares Wissen über grammatische Strukturen. Doch ist hierfür auch deklaratives grammatisches Wissen hilfreich oder für zeitökonomisches Lernen gar notwendig? Die Antworten auf diese Frage lassen sich drei theoretischen Ansätzen zuordnen: nach der non-interface-position trifft dies nicht zu, während in der strong-interface-position von einem starken Zusammenhang zwischen deklarativem und prozeduralem grammatischem Wissen ausgegangen wird. Die weak-interface-position schließlich besagt, dass deklaratives zwar nicht in prozedurales Wissen umgewandelt wird, aber dessen Erwerb doch günstig beeinflussen und beschleunigen kann. Diese dritte Annahme legt die Verfasserin - sie arbeitet mit den Termini implizites vs. explizites Wissen - ihrer an der Universität Hamburg entstandenen Dissertation zugrunde (S. 24 f). Den Fokus ihrer Studie richtet sie, im Gegensatz etwa zur Forschungslinie der task-based research, nicht primär auf die Eigenschaften von Lernaufgaben und deren Auswirkungen auf Lernprozesse, sondern auf „Löse- und Lernprozesse sowie die Innensicht der Lerner“ (S. 12) selbst. Ihre Studie lässt sich somit der prozessorientierten Lernaufgabenforschung zuordnen (S. 13). Aus der Analyse der dokumentierten Löse- und Lernprozesse erhofft sich die Verfasserin Rückschlüsse auf den Lernerfolg sowie auf den Erfolg der verwendeten Lernaufgaben. Ein weiterer Aspekt der Arbeit betrifft den möglichen Einfluss der subjektiven Überzeugungen der Lerner auf Löseprozesse (S. 14). 140 Buchbesprechungen • Rezensionsartikel 40 (2011) • Heft 1 Probanden der Studie waren 12 Teilnehmer/ -innen an einem Sprachkurs der Universität Hamburg auf dem Niveau A2, die in zwei parallelen Gruppen unterrichtet wurden. Beide Gruppen bearbeiteten im Laufe der nacheinander von der Forscherin teilweise selbst durchgeführten Unterrichtssequenzen Lernaufgaben mit den Schwerpunkten Imperfecto/ Indefinido sowie Imperativo. Die Verfasserin definiert hierbei die Struktur Imperfecto/ Idefinidio als kommunikativ notwendig, da man nicht auf andere Strukturen ausweichen könne (S. 107), während der Imperativo als nicht notwendige Struktur definiert wird, da nach Auffassung der Verfasserin andere Strukturen zur Verfügung stehen, um dasselbe kommunikative Ziel - das Ausdrücken einer Empfehlung - zu erreichen, etwa tiene que, debería oder ¿por qué no…? (S. 109). Während beide Gruppen also einem treatment mit sowohl notwendiger als auch nicht notwendiger Struktur ausgesetzt werden, unterscheidet sich dieses zwischen den Gruppen in einer zweiten Variablen: der „Quelle des grammatischen Wissens (lehrerseitige Wissensvermittlung vs. lernerseitige Wissenserschließung)“ (S. 13). Die Verfasserin erfasste Daten der Erhebungsfelder Instruktion, Löseprozesse, Lernprozesse, Lernerfolg sowie subjektive Meinungen der Lerner (S. 14), wobei durch einen aufwändigen explorativ-interpretativen und quasi-experimentellen Mehr-Methoden-Ansatz insgesamt sieben verschiedene Datensätze einfließen. Während ein Datensatz aus den verwendeten Lehr- und Lernmaterialien besteht, wurden weitere sechs Datensätze in der Durchführung der Studie generiert: Protokolle aus teilnehmender und nicht teilnehmender Unterrichtsbeobachtung, akustische Aufzeichnung und Transkription der paarweisen Aufgabenbearbeitung, schriftliche Lösungen von Lernaufgaben, themenspezifische Prä-, Post- und Folgetests, retrospektive Lernerinterviews zur Bearbeitung der Lernaufgaben sowie semi-strukturierte Interviews zu subjektiven Lernermeinungen (S. 94). Die Verfasserin begegnet auf diese Weise überzeugend dem Problem der Faktorenkomplexion und erzielt eine hohe, für das explorativ-interpretative Paradigma zentrale interne Validität. Die qualitativen Daten wurden zudem untereinander sowie mit den quantitativen Daten trianguliert, um einen möglichst hohen Grad an externer Validität sicherzustellen. Der methodische Aufwand der Studie und die Akribie, mit der die Verfasserin jede Phase der Studie dokumentiert, reflektiert und somit transparent und nachvollziehbar macht, sind vorbildlich. Die Ergebnisse der Studie deuten darauf hin, dass der Parameter „Quelle des grammatischen Wissens“ (Wissensvermittlung vs. Wissenserschließung) weder die Löseprozesse noch die Löse- und Interaktionsstrategien beeinflusst. Die Studie relativiert damit die verbreitete Annahme, Wissenserschließung führe grundsätzlich zu größerer Verarbeitungstiefe und somit auch zu einem größeren Lernerfolg - ein wichtiges Ergebnis mit hoher unterrichtspraktischer Relevanz, das den Weg für weitere empirische Forschung weist (S. 345). Bei der zweiten Variablen „Kommunikative Notwendigkeit der zu übenden grammatischen Struktur“ hat sich gezeigt, dass sie bei der Erhebung der Daten neutralisiert wurde, da die „nicht notwendige“ Struktur - der Imperativo - von den Probanden ebenfalls als obligatorisch aufgefasst wurde und sich daher nicht auf den Löseprozess auswirkte. Vielmehr scheint eine andere Variable eine Rolle gespielt zu haben, denn in einem mündlichen Aufgabenformat (Rollenspiel) wichen die Lerner gehäuft auf alternative Formen zur Erreichung des kommunikativen Ziels aus. Daraus wird ersichtlich, dass der „Aufgabentypus“ (mündlich vs. schriftlich) eine wichtige Rolle spielt, eine Beobachtung, welche die Verfasserin ab S. 352 diskutiert. Die Studie zeigt zudem, dass sich die gemeinsame Bearbeitung von Lernaufgaben positiv auf den Lernerfolg auswirkt (S. 331). Dies bestätigt nicht nur die in vielen früheren Studien vertretene Auffassung, sondern wird auch von den Probanden der vorliegenden Studie selbst so eingeschätzt (S. 332). Zu kritisieren ist an der Studie das Fehlen einer sorgfältigen linguistischen Analyse der Phänomene Imperfecto/ Indefinido und Imperativo, die bei der Generierung der analysierten Daten als thematische Schwerpunkte ja eine zentrale Rolle spielten. Hier beschränkt sich die Ver- Buchbesprechungen • Rezensionsartikel 141 40 (2011) • Heft 1 fasserin auf eine stark vereinfachte Regel (für Imperfecto/ Indefinido auf „Beschreibungen und Gewohnheiten“ vs. „einmalige Handlungen“ bzw. „Rahmen der Geschichte“ vs. „vordergründige oder neu einsetzende Handlung“, S. 107). Dies kann als didaktische Reduktion auf dem Niveau A2 durchaus sinnvoll sein, sollte aber nicht ohne weitere Problematisierung aus Lehrwerken übernommen, sondern aus einer weiter gefassten Perspektive hergeleitet und diskutiert werden. So finden sich in der Bibliographie, gewissermaßen als „Quelle des grammatischen Wissens“ für die Studie selbst, auch keine Verweise auf die einschlägige Fachliteratur, sondern lediglich auf verschiedene in Deutschland verbreitete Spanischlehrwerke („Rápido“, „Abanico“, u.a.). Eine linguistische Analyse hätte möglicherweise ergeben, dass sich die Phänomene Imperfecto/ Indefinido und Imperativo weniger in der Notwendigkeit ihrer Verwendung als in der Komplexität ihrer Semantik im Vergleich zu vergleichbaren Strukturen in der Muttersprache der Lerner unterscheiden. Denn bei allen idiomatischen Nuancen (Höflichkeitsregeln usw.) ist die Kernfunktion des Imperativs - der Sprechakt des Appells - im Deutschen und Spanischen gleich, während der Unterschied zwischen Imperfecto und Indefinido im System der Vergangenheitszeiten des Deutschen nur teilweise und von den meisten Sprechern nicht bewusst wahrgenommen Niederschlag findet. Hier liegt vermutlich die zentrale Ursache für die Komplexität des Themas: da der Aspekt deutschen Muttersprachlern als Kategorie in den Verbzeiten in der Regel nicht bekannt bzw. nicht bewusst ist, empfinden sie die in den romanischen Sprachen stark verbreitete Unterscheidung zwischen perfektiven und imperfektiven Vergangenheitszeiten meist als „schwierig“. Es stellt sich daher die Frage, wie groß die Chancen auf eine erfolgreiche selbstständige Regelerschließung für das Phänomen Imperfecto/ Indefinido überhaupt sind, wenn als Vergleichssprachen lediglich Deutsch und Englisch aktiviert werden können. Beim Verbaspekt kommt im Spanischen ja erschwerend hinzu, dass zwischen Verben mit perfektivem und imperfektivem lexikalischem Aspekt (z. B. disparar - perfektiv vs. saber - imperfektiv) unterschieden werden muss, die jeweils im - perfektiven - Indefinido sowie im - imperfektiven - Imperfecto stehen können (vgl. etwa Emilio A LARCOS L LORACH : Gramática de la lengua española. Madrid 1999, § 225). Es stehen also vier Kombinationsmöglichkeiten zur Verfügung - eine im Grunde recht übersichtliche Erklärungsmöglichkeit für Imperfecto/ Indefinido, die sich leider in kaum einem Lehrwerk findet. Zu finden sind dagegen irreführende Visualisierungen des Inzidenzschemas, von denen eine auch in der Studie Verwendung fand (S. 379): hier wurde in den Lernmaterialien das Verb oía (Rahmen, Hintergrund) durch einen links begrenzten, nach rechts ins Unendliche zeigenden Pfeil dargestellt, obwohl es sich um ein imperfektives Verb in einer imperfektiven Zeitform handelt - der Pfeil müsste also nach beiden Seiten unbegrenzt sein. Die gewählte Grafik stellt eher eine neu einsetzende Handlung dar, die dann andauert, wie es etwa bei supo der Fall ist. Gerade in der Phase der ersten Hypothesenbildung über ein neues grammatisches Phänomen ist es aber entscheidend, dass die bereitgestellten Lernmaterialien die Bildung korrekter Hypothesen ermöglichen, denn, dies zeigt auch die vorliegende Studie: Einmal gefasste Annahmen können sich als hartnäckig erweisen. Einige Probanden schienen geradezu „resistent“ gegen eine Revision ihrer selbst entwickelten Regeln (S. 340, S. 345). Vielleicht hätte sich durch eine eingehende Analyse antizipieren lassen, dass die „Kommunikative Notwendigkeit der zu übenden grammatischen Struktur“ eine wenig aussagekräftige Variable ist, während die vermutlich doch nicht nur „(subjektive) Komplexität der grammatischen Struktur“ (S. 351) einen bisher wenig beachteten, aber dennoch großen Einfluss auf Löse- und Lernprozesse haben könnte. Hier ist weitere empirische Forschung notwendig, für welche Silvia P ESCES Studie die Richtung weist. Berlin J OCHEN P LIKAT