Fremdsprachen Lehren und Lernen
flul
0932-6936
2941-0797
Narr Verlag Tübingen
Es handelt sich um einen Open-Access-Artikel, der unter den Bedingungen der Lizenz CC by 4.0 veröffentlicht wurde.http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/61
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Gnutzmann Küster SchrammAdelheid HU, Michael BYRAM (Hrsg.): Interkulturelle Kompetenz und fremdsprachliches Lernen. Modelle, Empirie, Evaluation – Intercultural competence and foreign language learning. Models, empiricism, assessment. Tübingen: Narr 2009, 294 Seiten [49,00 €]
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Uwe Koreik
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144 Buchbesprechungen • Rezensionsartikel 40 (2011) • Heft 1 Aber die Frage bleibt, ob Lehrer/ -innen sowie die universitäre Fachdidaktik sich nicht doch auf Jahre hinaus mit dieser Orientierung auseinandersetzen müssen und ob nicht gerade deshalb die Aufnahme dieser Begriffe und ihre fachdidaktische Verortung eine Bereicherung des Lexikons sowie eine Chance zur Profilierung der Disziplin Fachdidaktik in der Gegenwart dargestellt hätte. Wir wissen heute, dass dem fachdidaktischen Professionswissen eine herausragende Bedeutung für die Qualität des Unterrichts zukommt. Das Lexikon Fremdsprachendidaktik ist in jedem Fall eine gute Quelle für alle, die ihr fachdidaktisches Wissen aufbauen bzw. erweitern wollen. Saint-Julien-les Villas E YNAR L EUPOLD Adelheid H U , Michael B YRAM (Hrsg.): Interkulturelle Kompetenz und fremdsprachliches Lernen. Modelle, Empirie, Evaluation - Intercultural competence and foreign language learning. Models, empiricism, assessment. Tübingen: Narr 2009, 294 Seiten [49,00 €] Die im Sammelband abgedruckten siebzehn Artikel dokumentieren die Ergebnisse eines im Mai 2008 an der Universität Hamburg durchgeführten interdisziplinären und internationalen Symposiums, welches zum Ziel hatte - so einleitend die Herausgeber (S. XII) -, ausgewiesene und anerkannte Experten zusammenzubringen, um einen intensiven Austausch über Fragen der Modellierung, Entwicklung, Förderung und Evaluation von interkultureller Kompetenz unter besonderer Berücksichtigung des Fremdsprachenerwerbs zu führen. 1 Vorausgegangen war ein gutes halbes Jahr zuvor ein Kolloquium im Rahmen einer Konferenz der DGFF („the development and evaluation/ assessment of intercultural competences“ [S. XIII]), welches gezeigt habe, dass eine monodisziplinäre Herangehensweise an das Thema nicht geeignet sei, die zahlreichen Aspekte interkultureller Kompetenz zu erfassen. Es sei deutlich geworden, dass der Zusammenhang zwischen Sprachentwicklung und/ oder Sprachenlernen und der Entwicklung von Einstellungen und Verhaltensweisen eines multidisziplinären Ansatzes bedürfe. Einer sehr informativen Einleitung von H U und B YRAM , in der auch zahlreiche offen gebliebene Fragen wie die, welchen Einfluss der Einsatz einer lingua franca auf den Kommunikationsprozess habe, präzise benannt werden, folgen Beiträge von Sprachdidaktikern und Spracherwerbsforschern aus der Anglistik, Germanistik und Romanistik, die alle einen Forschungsschwerpunkt im Bereich des kulturellen Lehrens und Lernens haben, sowie von Erziehungswissenschaftlern und Psychologen, die ebenfalls mit Fragen des Erwerbs von kulturellen Einstellungen sowie diesbezüglichen Messverfahren befasst sind. Zwölf der Verfasser/ innen der Beiträge (es gibt Beiträge mit zwei Autor/ inn/ en) arbeiten in Deutschland, sechs in Großbritannien, eine in Dänemark und eine in den USA. Die Beiträge sind sachlogisch in folgende fünf Unterkapitel gegliedert: „Konzeptuelle Fragen und theoretische Modellierungen“, „Entwicklungspsychologische Perspektiven“, „Diskursanalytische Ansätze“, „Messtheoretische Perspektiven und Erfahrungen“ sowie „Instrumente zur (Selbst-)Evaluation von Interkultureller Kompetenz“. Ein erster Blick in die Literaturverzeichnisse der siebzehn Artikel verdeutlicht bereits 1 Der Sammelband ist insofern ein Parallelprodukt zu S CHULZ , Renate A. / T SCHIRNER , Erwin (Hrsg.): Communicating Across Borders, Developing Intercultural Competence in German as a Foreign Language. München: Iudicium 2008 - den Erträgen einer ähnlich fokussierten Tagung knapp ein Jahr zuvor im Juni 2007 in Leipzig. Siehe zu beiden Sammelbänden den Beitrag von Jan Paul P IETZUCH : „‘Interkulturelle Kompetenz’ im Diskurs der Fremdsprachenforschung: Widerstreit - Sachzwang - Konsens? “ In: Deutsch als Fremdsprache 48.1 (2011), 39-48. Buchbesprechungen • Rezensionsartikel 145 40 (2011) • Heft 1 Folgendes: eine weit reichende fach- und vor allem aber auch sprachenübergreifende Herangehensweise findet nur sehr bedingt statt. So wird beispielsweise die für das Thema einschlägige Monographie von Jürgen B OLTEN „Interkulturelle Kompetenz“ 2 , aus dem Gebiet der interkulturellen Wirtschaftskommunikation und von einem Verfasser, der lange Jahre im Bereich Deutsch als Fremdsprache tätig war, nicht ein einziges Mal erwähnt. Einzig Jan-Oliver E BERHARDT verweist in seinem Beitrag, einer qualitativen Studie zu deutschen Lernern der französischen Sprache mit Fokus auf das Kompetenzmodell von B YRAM , auf einen Artikel von B OLTEN zu derselben Thematik. Dieses Versäumnis ist nun nicht entscheidend, gleichwohl aber symptomatisch, wie sich eine deutliche Begrenzung auch in anderer Weise andeutet, wenn die Herausgeber den einleitenden Beitrag von Michael F LEMING zu Recht als „analysis from a British perspective“ (S. XIV) charakterisieren. Die in Großbritannien geführte Debatte über (interkulturelle) Kompetenz und die Problematik ihrer Messbarkeit kritisch beleuchtend kommt er zu dem Plädoyer für ein „assessment scheme“, bei dem nicht die Entwicklung einer mathematischen Formel, sondern die Schlüsselaspekte „Tolerance of ambiguity and criticality“ im Vordergrund zu stehen hätten (S. 12). Karin R ISAGER , den britischen, US-amerikanischen und deutschen Diskurs zumindest mit Bezug auf wichtige Fachbeiträge verbindend, rückt das Konzept der interkulturellen Kompetenz in einen engen Zusammenhang mit theoretischen sozialanthropologischen Ansätzen (H ANNERZ 1996, A PPADURAI 1992) 3 , um in Anlehnung an B AUMANNS 4 „double discourse of culture“ die Bedeutung eines prozessualen und zugleich praxisorientierten Diskurses im Rahmen des „Cultural Flow“ zu betonen. M UGHANS Artikel zu „Business and management theories and models of intercultural competence“ überrascht durch eine weitgehend unkritische Übernahme der Modellierungen klassischer kulturvergleichender Studien von H OFSTEDE und T ROMPENAARS . Er fordert zugleich Studien über die Rolle der interkulturellen Kompetenz beim Spracherwerb und Sprachgebrauch, insbesondere für die Anwendung in multilingualen Teams und Organisationen. Arnd W ITTE stellt aufbauend auf der These, dass intensives Fremdsprachenlernen auch die Bedrohung mentaler Sicherheiten und individueller Identitätskonstrukte sein kann, ein nichtlineares, sondern zyklisch verlaufenden Prozessen unterworfenes Neunstufenmodell zur Entwicklung interkultureller Kompetenz vor und konstatiert, dass es „sehr schwierig [ist], die interkulturelle Progression dezidiert zu messen“ (S. 63). Martyn B ARRET illustriert anhand der Daten einer empirischen Studie die Entwicklung der „intergroup attitudes“ bei Kindern zu Menschen anderer Herkunft, wobei eine Komplexität und Intensität von Einflussfaktoren offenbar wird, die bei weitem die Annahmen übertreffen wie sie in der eingangs dargestellten Theorie P IAGETS postuliert wurden. Christiane G ROSCH und Ernst H ARRY zeigen mit Blick auf den „Entwicklungsverlauf kognitiver Komponenten des interkulturellen Verständnisses“ bei Kindern und Jugendlichen auf, „dass das Verständnis für andere Kulturen einem regelhaften, altersbezogenen Verlauf folgt“ (S. 102), der allgemeinen kognitiven Entwicklungen entspricht und auf den sich pädagogisch einwirken lässt. 2 B OLTEN , Jürgen: Interkulturelle Kompetenz. Erfurt: Landeszentrale für politische Bildung 2007. Auch abrufbar unter: http: / / www.thueringen.de/ imperia/ md/ content/ lzt/ interkulturellekompetenz.pdf 3 A PPADURAI , Arjun: Modernity at Large. Cultural Dimensions of Globalization. Minneapolis: University of Minnesota Press 1996; H ANNERZ , Ulf: Cultural Complexity. Studies in the Sozial Organizations of Meaning. New York: Columbia University Press 1992. 4 B AUMANN , Gerd: Contesting Culture. Discourses of Identity in multi-ethnic London. Cambridge: Cambridge University Press 1996. 146 Buchbesprechungen • Rezensionsartikel 40 (2011) • Heft 1 Claire K RAMSCH verdeutlicht anhand der Analyse authentischer Kommunikationssituationen die Bedeutung „symbolischer Kompetenz“, die weit über den strukturalistischen Blick auf Sprache hinausgeht, indem schwer messbare Faktoren wie Werte, Glaubenshintergründe und Identitäten in den Blick geraten. Abschließend fordert sie, dass wir uns den politischen Hintergrund von Tests zu vergegenwärtigen hätten. „We should then measure what can legitimately be measured and refuse to measure the rest, even though that it is essential that we teach it“ (S. 119). Claus A LTMAYER erläutert exemplarisch einen kulturwissenschaftlich-hermeneutischen Theorie- und Forschungsansatz mit dem Ziel der Rekonstruktion kultureller Deutungsmuster in Texten und Diskursen, wie sie Lerner in individuell geprägten Aushandlungsprozessen entwickeln. Dafür wurden fokussierte Leitfadeninterviews eingesetzt, auch um „Datenerhebungs- und Datenauswertungsverfahren [zu] entwickeln“ (S. 130) und zu testen, die für größer angelegte Forschungsprojekte nutzbar gemacht werden sollen. Mark B ECHTEL untersucht diskursanalytisch Lernprozesse, die im Rahmen von Tandemlernen auf Universitätsniveau empirisch erfasst wurden und verdeutlicht den Aushandlungsprozess, den zwei Teilnehmerinnen vollziehen und dabei einen Perspektivenwechsel vornehmen. Hans-Günter H ESSE unterstreicht die Bedeutung theoretisch fundierter Messmodelle für die Erfassung interkultureller Kompetenz, hebt hervor, dass bislang „Theoretiker“ und „Praktiker“ wie aber auch Vertreter unterschiedlicher Disziplinen sich nicht ausreichend zur Kenntnis genommen haben und verdeutlicht Probleme des stark normativ ausgerichteten Evaluationsmodells von B ENNET . Günter N OLD beleuchtet Einzelaspekte der DESI-Studie und betont die Notwendigkeit weiter reichender empirischer Untersuchungen. Kerstin G ÖBEL kann anhand einer Pilotstudie die „Bedeutung der Kulturkontakterfahrungen der Lehrenden für die Implementierung interkultureller Lerninhalte im Englischunterricht“ nachvollziehbar hervorheben, während Stefan P APENBERG mit Bezug auf B ENNETS Entwicklungsmodell zur interkulturellen Sensibilität sowie B REDELLAS Theorieansätzen zum Fremdverstehen zeigt, dass der Einsatz bestimmter Unterrichtsmaterialien Auswirkungen auf Einstellungsveränderungen von Lernern haben kann. Michael B YRAMS Beitrag zu „Evaluation and/ or Assessment of Intercultural Competence“ ist in vielerlei Hinsicht bemerkenswert, sicherlich auch, weil er letztlich die Selbstevaluation durch Portfolios als einzige didaktisch und pädagogisch legitimierbare Evaluationsform ansieht. Anwei F ENG und Mike F LEMING fokussieren ihren Beitrag auf ein Instrument zur „Selbsteinschätzung interkultureller Kompetenz für Auslandsaufenthalte“ insbesondere im Hinblick auf Studierende mit asiatischem Hintergrund. Daniela C ASPARI und Andrea S CHINSCHKE versuchen, auf der Basis eines eigenen Modells typologisch Entwicklungsschritte interkulturellen Lernens zu erfassen und zu systematisieren. Zur Interkulturellen Kompetenz haben im besprochenen Sammelband viele Vieles - und auch Gewichtiges - zu sagen und betonen häufig dabei zu Recht die Notwendigkeit weiter führender empirischer Forschung und zugleich die Problematik einer die zahlreichen komplexen Aspekte berücksichtigenden Evaluation. Ein die Fächergrenzen und nationalen Diskurse übergreifender Lösungsansatz wird nicht geboten, aber die Fachwelt wird nicht umhinkommen - sofern nicht schon geschehen -, diesen wichtigen Sammelband mit großenteils sehr wichtigen Einzelbeiträgen zur Kenntnis zu nehmen. Bielefeld U WE K OREIK
