Fremdsprachen Lehren und Lernen
flul
0932-6936
2941-0797
Narr Verlag Tübingen
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2011
402
Gnutzmann Küster SchrammDie Zukunft des Lehrwerks – Das Lehrwerk der Zukunft
121
2011
Engelbert Thaler
flul4020015
40 (2011) • Heft 2 © 2011 Narr Francke Attempto Verlag E NGELBERT T HALER * Die Zukunft des Lehrwerks - Das Lehrwerk der Zukunft Abstract. This paper addresses important issues concerning ‘the future of the textbook’ as well as ‘the textbook of the future’ in the EFL classroom. Beginning with a brief outline of what is presently known about textbook use in EFL classrooms in the current ‘Internet Age’, it goes on to present findings from two case studies that point to emerging trends in textbook development. Pulling these strands together, the paper concludes with some useful insights into the development and use of textbooks and their supplementary materials in the future. 1. Hat das Lehrwerk eine Zukunft? 1.1 Nutzung des Lehrwerks Das Lehrbuch (textbook, pupils‘ book) nimmt als Mittler zwischen ministeriell verordnetem Lehrplan und konkreter Unterrichtsstunde (vor allem in der Sekundarstufe) eine zentrale Rolle ein. Aussagen über die Nutzung des Lehrwerks (coursebook), d.h. des Ensembles aus Lehrbuch für die Schüler plus weiteren für die Lehrkraft oder die Lernenden konzipierten skripturalen, auditiven, visuellen, audiovisuellen und interaktiven Materialien (vgl. auch L EUPOLD 2006: 2), gestalten sich aufgrund der Vielzahl der Komponenten und der unterschiedlichen Struktur dieser Peripherieangebote bei den einzelnen Verlagen als schwierig (vgl. auch K URTZ 2010: 150). Während in der Primarstufe aufgrund anderer Voraussetzungen des früh beginnenden Fremdsprachenunterrichts das Lehrbuch noch nicht die dominierende Stellung einnimmt und es in der Sekundarstufe II wegen veränderter curricularer und didaktischer Bedingungsfaktoren nicht mehr tut, wird in der Sekundarstufe I der Unterricht weitgehend vom Lehrbuch geprägt. Man unterscheidet hinsichtlich der Lehrwerknutzung gewöhnlich drei Lehrertypen (u.a. K URTZ 2010: 151): Typ A hält sich gänzlich an die inhaltliche und sprachliche Progression des jeweils eingeführten Lehrbuchs und arbeitet das Pensum ab. Typ B ergänzt das grundsätzlich akzeptierte Lehrbuch um selbst erstellte und aus anderen Lehrwerken kopierte Materialien. Typ C erstellt die Unterrichtsmaterialien weitgehend selbst oder übernimmt sie aus diversen Lehrwerken. Über die prozentuale Verteilung in praxi gibt es keine verlässlichen empirischen Studien, aber der Typ C kommt eher selten vor. * Korrespondenzadresse: Prof. Dr. Engelbert T HALER , Universität Augsburg, Philologisch-Historische Fakultät, Universitätsstraße 10, 86159 A UGSBURG . E-Mail: thaler@phil.uni-augsburg.de Arbeitsbereiche: Unterrichtsmethodik, Lehrwerkentwicklung, Literatur- und Mediendidaktik 16 Engelbert Thaler 40 (2011) • Heft 2 Zwar relativieren selbst ministerielle Verlautbarungen den Stellenwert des Lehrwerks: „Die Lehrbücher helfen den Lehrkräften bei der fachlichen Umsetzung der Lernziele und Lerninhalte des Lehrplans. […] Sie sind jedoch keine verbindliche Vorgabe für den Unterricht. Die einzelne Lehrkraft entscheidet im Rahmen ihrer Gestaltungsverantwortung, welche Teile des Lehrwerks sie zur Erreichung der Lernziele und zur Vermittlung der Lerninhalte mit den Schülern durchnehmen will“ (I SB 2010). Dennoch nimmt das Lehrbuch die Funktion eines ‚heimlichen Lehrplans‘ ein. Dies wurde auch in einer Analyse von Stoffverteilungsplänen bestätigt, die gemeinsam mit Lehramtsstudierenden der Universität Kassel durchgeführt wurden: Diese Pläne bezogen sich nicht auf den Rahmenplan des Landes, sondern spiegelten exakt den Strukturplan der Lehrbuch-Units des jeweils verwendeten Lehrbuchs wider (F INK - BEINER 1998: 43). Lehrkräfte kennen nun einmal das Lehrbuch genauer als den Lehrplan. 1.2 Kritik am Lehrwerk Trotz oder wegen dieser Dominanz des Lehrbuchs kann die Kritik am Lehrwerk auf eine lange Tradition zurückblicken. Die Debatte, ob man Lehrbücher verwenden sollte oder nicht, geht weit zurück (T HALER 2004) - wenn nicht bis zum Jahre 1658, als C OMENIUS den Orbis Pictus vorlegte, dann doch mindestens bis 1892, als M ANGOLD für den freien mündlichen und gegen den buchgestützten Unterricht plädierte (K URTZ 2001a: 42 ff, folgende Autoren zit. nach ib.). Ob K ARPF (1915 „zeremonielle Langweiligkeit“), S AUER (1963 „sekundäres Unterrichtsmedium“), H EUER (1968 „didaktischer Diktator“), K LIPPEL 1987 „nicht bestes Medium zum Training kommunikativen Sprachhandelns“) oder K URTZ (2001a „Verengung des Blicks für Alternativen“) - an Lehrwerks-Kritikern und metaphorischen Verunglimpfungen hat es zu keiner Zeit einen Mangel gegeben (zu den metaphors/ images im englischen Sprachraum vgl. M C G RATH 2006: 173 ff). Im angloamerikanischen Raum fragte A LLWRIGHT (1981) spöttisch-rhetorisch „What do we need materials for? “ und R INVOLUCRI verhängte das vernichtende Verdikt: „Coursebooks are a human, cultural and linguistic disaster“ (zit. nach H ARMER 2001: 5). Davor hatte sich die neuseeländische Lehrerin A SHTON -W ARNER bereits 1963 in einem pyromanischen Befreiungsakt von der Lehrbuchversklavung verabschiedet: „I burnt most of my infant room material on Friday. I say that the more material there is for a child, the less pull there is on his own resources [...] teaching is so much simpler and clearer as a result. There's much more time for conversation […] communication“ (1963/ 1980: 119). In ihrem provokativen Werk Teaching as a Subversive Activity postulierten P OSTMAN / W EINGARTNER (1969) Ende der sechziger Jahre ein fünfjähriges Moratorium für die Verwendung aller Lehrbücher. Neuen Schub erhielten die Kämpfer gegen das Lehrwerk von T HORNBURY , der zur Jahrtausendwende mit seinem Dogme Approach den auf dem Lehrwerk basierenden Unterricht frontal angriff (T HALER 2004). Aufgrund seiner Erfahrung, wonach das Die Zukunft des Lehrwerks - Das Lehrwerk der Zukunft 17 40 (2011) • Heft 2 Lehrbuch und die Überfülle zusätzlicher Medien die echte Kommunikation zwischen Lehrendem und Lernenden sowie zwischen den Schülern untereinander behinderte, forderte er Lehrkräfte auf, Abschied zu nehmen von materials-driven teaching und sich in medialer Bescheidenheit zu üben. Die Zielrichtung einer pedagogy of bare essentials und eines Teaching Unplugged war klar: „Learning takes place in the here and now. Teaching - like talk - should centre on the local and relevant concerns of the people in the room not on the remote world of coursebook characters“ (T HORNBURY 2000: 2). Sowohl das Lehrbuch als auch andere Materialien sollten deshalb nur spärlich eingesetzt werden - denn „coursebooks should not be allowed to become the tail that wags the dog“ (T HORNBURY / M EDDINGS 2002: 36). Lässt man die lange Front der Lehrwerkkritiker Revue passieren, wird man immer wieder mit folgenden Problemen des Lehrbuchgebrauchs konfrontiert (vgl. auch H AR - MER 1983: 219 ff, P ODROMOU 2002, F ERY 2000, T HALER 2008: 149 f): Arguments against using the coursebook Irrelevance Textbooks may not be relevant to the needs of a particular group of learners. Homogeneity Textbooks ignore the heterogeneity of pupils we find in most classrooms. Length Textbooks include texts which may be too long or too short. Difficulty Textbooks include texts which may be too difficult or too easy. Publication Textbooks quickly go out of date. Boredom Textbooks deal with topics that are not interesting, humorous or relevant to pupils. Routine Textbooks can be repetitive (same character, same topic, same format for every unit). Passivities The activities in textbooks do not deserve their name, do not really activate pupils and do not automatically guarantee acquisition of learning input. Bias Textbooks present a middle-class view of reality - sanitized, elitist - and avoid controversial topics or present them in too formalized a way. Dependence Textbooks prohibit the learners’ freedom of choice and act against spontaneity in the classroom. Straitjacket Textbooks threaten the teacher‘s freedom of action. Economic interest Textbooks are merely money-spinners for publishers (T HALER 2008: 149 f). 18 Engelbert Thaler 40 (2011) • Heft 2 1.3 Potential des Lehrwerks Gegen all die Kritiker sind auch immer wieder Fremdsprachendidaktiker ins Feld gezogen, denen die segensreichen Wirkungen einer Lehrwerkverwendung offenkundig waren (vgl. auch T HALER 2008: 149 f). Arguments for using the coursebook System With textbooks you know where you are, what you have done, where you are going. Syllabus Textbooks provide a built-in language syllabus. Guideline Textbooks provide a plan of work for the teacher. Security Textbooks provide a clear programme of study for the students. Sense of progress With textbooks students see that they have improved (or not). Language core Textbooks present a common core of language which learners in different contexts may share. Revision With textbooks students and teacher can go back at any time and review material. Extras Textbooks are accompanied by enriching components (keys, workbooks, CDs, Schulaufgabentrainer etc.). Timesaver Textbooks save time for busy teachers. Compactness Textbooks are compact - can be easily stacked, stored and carried, are collated within a book binding, so the sheets do not fall out and get lost. Layout The materials in textbooks usually look professional. Alternative There are no real alternatives to textbooks. Aus der Perspektive der Lehrkraft ist die Verwendung des Lehrbuchs tatsächlich ‚alternativlos‘. ‚Türklinken-Didaktik‘ (oder ‚Auto-Didaktik‘) ist verantwortungslos, eine permanente ‚DIY‘-Erstellung (Do it yourself! ) von Arbeitsmaterialien zu zeitaufwändig, unsystematisch - und unprofessionell. Wer genügend Unterrichtserfahrung gesammelt hat, mag auch einmal ohne vorbereitetes Material das Klassenzimmer betreten, wenn er es für die konkrete Stunde am sinnvollsten hält. Dogme-inspirierte Ansätze stellen aber grundsätzlich hohe Ansprüche nicht nur an die didaktischmethodische, sondern auch die fremdsprachliche Kompetenz der praktizierenden Lehrkräfte, die ja in der überwältigenden Mehrheit keine ‚Nests‘ (Native English Speakers Teachers) sind. Viele ‚Non-Nests‘ sind aber für die stützende Funktion eines Lehrwerks dankbar. Auch aus der Perspektive des „äußeren Lehrplans“ (V IELAU 2011) sind Lehrwerke unersetzlich. Bildungspolitische, fachdidaktische und curriculare Neuerungen lassen sich am effektivsten durch Lehrwerke disseminieren. Wer also Output-, Standard- und Die Zukunft des Lehrwerks - Das Lehrwerk der Zukunft 19 40 (2011) • Heft 2 Kompetenzorientierung zu einer erfolgreichen Umsetzung verhelfen möchte, sollte nicht auf das Lehrwerk schimpfen. Trotz anders lautender Gerüchte sind Lehrbücher auch bei den Lernenden insgesamt akzeptiert. So brachte beispielsweise eine Umfrage unter Schülern der 5., 7. und 8. Klassen folgendes Ergebnis: „Bei der Verwendung neuerer Lehrwerke gaben 95% bis 100% der Befragten an, zufrieden oder sehr zufrieden zu sein“ (S AMBANIS 2009: 11). Bei älteren Lehrwerken sank die Akzeptanz; das Workbook als Trainingsarsenal für Grammatik und Wortschatz fand großen Zuspruch - und wurde deutlich besser eingestuft als kopierte Arbeitsblätter. Das Lehrbuch oder Lehrwerk ist per se nicht schlecht oder gut: „Neither the textbook nor the lack of a textbook are good or bad in themselves“ (P ODROMOU 2002: 25). Und in der Lehrbuchentwicklung sind in den letzten Jahrzehnten große Fortschritte gemacht worden. Die Kritik am Lehrbuch wird häufig an veralteten Exemplaren dingfest gemacht, gegen die man dann süffisant polemisieren kann. Neuere Englischbücher sind aber von der didaktischen Konzeption und der professionellen Umsetzung nicht mehr mit Ausgaben der 60er Jahre zu vergleichen. Wie die darin steckenden Potentiale genutzt werden, hängt allerdings nicht vom Lehrbuch ab, sondern von der Lehrkraft, die das Lehrbuch ge- oder missbraucht, denn „a textbook does not teach itself“ (P ODROMOU 2002: 27). Häufig wird dabei die von den Lehrwerk-Teams intendierte Konzeption an eine lernbiografisch bedingte, habitualisierte, partiell unreflektierte Lehrpräferenz angepasst (als Variante des Diktums: Teachers teach as they were taught, not as they were taught to teach). 2. Wie sieht das Lehrwerk der Zukunft aus? 2.1 Gegenwärtige Trends Aus zwei aktuellen Fallbeispielen (Sekundarstufe I bzw. II), beide weitverbreitet an deutschen Gymnasien, sollen Entwicklungen des Lehrwerks extrapoliert werden. Bei English G 21 Ausgabe A handelt es sich um die Bundesausgabe für Gymnasien des Cornelsen Verlags (Sekundarstufe I). Das Lehrwerk umfasst die folgenden Komponenten (Abb. 2): English G 21 A (1) Schülerbuch (kartoniert oder Festeinband) (2) Schülerbuch - Lehrerfassung (3) Workbook mit CD (4) Workbook mit CD-ROM (e-Workbook) und CD (5) Workbook mit CD-ROM (e-Workbook) und CD - Lehrerfassung (6) CD-ROMs zum Workbook (7) Vokabeltaschentuch (8) Wordmaster (Vokabellernbuch) 20 Engelbert Thaler 40 (2011) • Heft 2 (9) Vokabeltest Wizard (10) Klassenarbeitstrainer mit Lösungen und CD (11) Handreichungen für den Unterricht mit Kopiervorlagen (12) Vorschläge zur Leistungsmessung Kopiervorlagen mit CD (13) Vorschläge zur Leistungsmessung - kompetenzorientierte Aufgaben (Kopiervorlagen mit CD) (14) CDs (Vollfassung) (15) Bild- und Arbeitsfolien (16) Unterrichtskommentare zu den Bild- und Arbeitsfolien (17) Fördermaterial (18) Freiarbeitsmaterialien (19) Portfolioarbeit 5/ 6 (20) Bristol Radio Roadshow CD (21) Bristol Radio Roadshow Unterrichtskommentare zur CD mit Kopiervorlagen (22) Out and About, Video-DVD (23) Out and About, Unterrichtskommentare zur Video-DVD mit Kopiervorlagen (24) Welcome plus, Schülerverbrauchsmaterial (25) On Track, Zusatzmaterial zum Umgang mit dem Schülerbuch für Kinder ohne Grundschulenglisch, Handreichungen für den Unterricht mit CD (26) On Track, Zusatzmaterial zum Umgang mit dem Schülerbuch für Kinder ohne Grundschulenglisch, Worksheets (10er-Pack) (27) Fun and Facts for you - Textammlung/ Kopiervorlagen (28) Schulwörterbuch English G 21 (29) Digitaler Unterrichtsplaner (DVD-ROM) (30) Software für Lehrkräfte English G 21 - Digital Teaching Aids (31) Interaktive Präsentationen (32) Onlineangebot: www.englishg.de Abb. 2: Lehrwerk English G 21 A (Cornelsen 2011) Als Beispiel eines Lehrwerks für die Sekundarstufe II (Oberstufe Gymnasium) soll Summit aus dem Schöningh Verlag dienen. Summit Titel Funktion Summit Pupils‘ Book, Schülerbuch Summit Trainer Workbook mit Übungen zu Wortschatz, Grammatik, Lern- und Arbeitstechniken Summit Teachers’ Manual Lehrerhandbuch mit Musterlösungen, methodischen Tipps, Kopiervorlagen, Klausuren Summit Audio CD 2 CDs mit einer Auswahl der Schülerbuch-Texte Summit Abitur- und Klausurentrainer CD mit 8 interaktiven Klausuren zur Vorbereitung auf Prüfungen Summit Hörverstehen Zusatzmaterial mit 18 gestuften Hörtexten, Aufgaben, Die Zukunft des Lehrwerks - Das Lehrwerk der Zukunft 21 40 (2011) • Heft 2 Lösungen, Transkripte (mit CD) Summit Sprachmittlung Zusatzmaterial mit 18 gestuften Mediations-Aufgaben, Lösungen (mit CD) Summit Mündliche Prüfungen Zusatzmaterial für mündliche Prüfungen (Abitur) Summit Webseite Internetportal mit zusätzlichen Angeboten (Synopse Lehrplan - Kompetenzen in Summit), Revising Vocabulary, Testing Vocabulary) Abb. 3: Lehrwerk Summit (Schöningh 2011) 2.1.1 Expansion Die beiden Beispiele führen deutlich vor Augen, welch zahlenmäßige Ausdehnung das Lehrwerk erfahren hat. Bestand es vor drei Jahrzehnten noch aus Schülerbuch, Workbook, Bildfolien, Audiokassette und vielleicht Lehrerbuch, so umfasst beispielsweise English G 21 A nicht weniger als 32 Komponenten. Diese quantitative Ausweitung bewirkt sicherlich eine qualitative Bereicherung, da mehr Lehr- und Lernbedürfnisse befriedigt werden können. Allerdings mag man die Aufblähung des Lehrwerks auch als „Materialschwemme“ (D OFF / K LIPPEL 2007: 143) beklagen, wobei zu den angeführten Peripherie-Komponenten ja noch eine Vielzahl lehrwerkunabhängiger Materialien addiert werden können. Auch bei Sek II-Titeln hat sich das Lehrwerk im Laufe der Zeit verbreitert. Die geringere Anzahl an Komponenten weist darauf hin, dass in der Sek. II das Lehrwerk eine etwas geringere Rolle als in der Sek. I spielt, da Kompetenzniveau der Schüler sowie Intention und Struktur des Lehrplans ein offeneres und variantenreicheres Lernen ermöglichen/ erfordern; außerdem wird die „neue Freiheit“ von Lehrenden und Lernenden als willkommene Abwechslung zur Lehrbuchdominanz in den Klassen 5-10 (9) empfunden. 2.1.2 Differenzierung Die quantitative Expansion geht einher mit einer strukturellen Differenzierung. Bereits das Lehrbuch (Schülerbuch) stellt inzwischen ein binnendifferenzierendes Angebot durch Modularisierung, Trennung in obligatorische und fakultative Teile, Abstufung in leichtere und schwierigere Aufgaben etc. zur Verfügung. Darüber hinaus ermöglichen bestimmte Begleitmaterialien die Selbstevaluation (Portfolios), die Förderung langsamerer Lerner (Fördermaterial), die Beschäftigung mit verschiedenen Lernmedien (Freiarbeitsmaterialien), die Berücksichtigung unterschiedlicher Vorkenntnisse (Schüler mit/ ohne Grundschul-Englisch), die individuelle Vorbereitung auf Klassenarbeiten (Abitur- und Klausurentrainer) u.ä. mehr. 2.1.3 Multimedialisierung Das ursprünglich rein schriftliche Medium ist in den letzten Jahrzehnten um eine Fülle auditiver, visueller, audiovisueller und interaktiver Elemente zu einem multimedialen 22 Engelbert Thaler 40 (2011) • Heft 2 Verbund angereichert worden. Bildfolien zur Visualisierung von Lexis und Situationen sowie Audioaufnahmen zur Integration zielsprachlicher Hördokumente in den Unterricht gibt es schon seit längerem. In jüngster Zeit kamen DVDs mit authentischen Filmaufnahmen, Übungssoftware für das heimische Lernen am PC, Tafelbilder für das digitale Whiteboard, elektronische Unterrichtsplaner/ Stoffverteilungsplaner, Unterrichtssoftware sowie webbasierte Tools dazu. Fast alle Verlage vernetzen inzwischen ihr Lehrbuch mit dem Internet. Im Angebot sind Newsletter, aktuelle Materialien zum Download, die Themen der Lehrbucheinheiten inhaltlich weiterführende Hypertext-Projekte, komplette Web-Units als Ausstiegspunkte (und Einstiegspunkte) - teils gratis, teils kostenpflichtig, sowohl lehrwerkbegleitend als auch lehrwerkunabhängig (zur Verknüpfung von Lehrwerk und Internet vgl. auch K URTZ 2001b, U LRICH 2001, W ACKERT 2004). 2.1.4 Ökonomisierung Die Entwicklung neuer Lehrwerkskomponenten und die Verfeinerung bestehender Materialien können die Arbeit der Lehrkraft erleichtern, vereinfachen und verbessern. Eine Lehrerhandreichung, die methodische Tipps gibt und die Heterogenität der Lehrerschaft ernst nimmt, indem vielfältige Optionen angeboten werden; eine Lehrerfassung des Schülerbuchs, welche die unbekannten Lexeme in einem Text blau markiert und die einzuführenden grammatikalischen Strukturen rot; ein Workbook, das passgenau zu einem Unit-Thema mehrere gestufte Aufgaben (auch zu Lernstrategien) präsentiert; eine DVD, die tolle Filmausschnitte ohne Copyright-Bedenken, dafür mit ergiebigen Aufgabenstellungen zur Verfügung stellt - damit macht Englisch unterrichten noch mehr Spaß. In Gesprächen mit verschiedenen Verlagsmitarbeitern stellte sich auch heraus, dass immer mehr Lehrkräfte ein „Rundum-Sorglos-Paket“ vom Schulbuchverlag erwarten. Da wird darauf insistiert, dass Schülerbuch und Lehrerhandreichung zur selben Zeit erscheinen; lässt sich ein Bundesland ein neues Schwerpunktthema einfallen, erklingt umgehend der Ruf nach begleitenden Unterrichtsmaterialien. Die große Zahl der Lehrwerkskomponenten kann die Lehrkräfte entlasten, aber auch zu Unübersichtlichkeit und Abarbeitungsdruck führen. Außerdem ist nicht jede Schule mit allen Lehrwerksbestandteilen ausgestattet, und die individuelle Anschaffung des Gesamtpakets stößt an finanzielle Grenzen. Dies zeigte sich bei einer 2010 vom Autor durchgeführten Befragung von 150 Gymnasiallehrern auch als ein Grund (neben Zeitmangel und Konformitätsdruck), warum nur 20% der Lehrkräfte regelmäßig ein Lehrerhandbuch (Teachers’ Manual) verwenden - obwohl gerade dieses ihnen viel Zeit und Mühen ersparen kann. 2.1.5 Innovation Neuere Entwicklungen wie die Veröffentlichung des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen, die Fixierung nationaler Bildungsstandards, der Übergang von der Inputzur Output-Orientierung, die Forcierung nachprüfbarer Kompe- Die Zukunft des Lehrwerks - Das Lehrwerk der Zukunft 23 40 (2011) • Heft 2 tenzen, die technologische Entwicklung in der IT-Branche, die Konstruktivismus- Debatte, die Weiterentwicklung der kommunikativen Sprachlernmethode etc. finden inzwischen auch ihren Niederschlag in den Lehrwerken. Es werden nicht nur Texte als Material für Wortschatz und Grammatik angeboten, sondern handlungsorientiertes Lernen kann initiiert werden, offene Techniken werden integriert, die Lernkompetenz soll ausgebaut werden, study skills werden trainiert, kreative Aufgaben stehen zur Auswahl, Portfolios ergänzen die Fremdbewertung, landeskundliches Wissen wird um interkulturelles Bewusstsein ergänzt. Die Innovationsfreudigkeit im fachdidaktisch-bildungspolitischen Diskurs hat auch zur Folge, dass sich die „Halbwertzeit“ eines Lehrwerks kontinuierlich vermindert. Ging man vor zwei Jahrzehnten noch von einer Laufzeit von 10 Jahren aus, so erscheinen seit längerem Neuauflagen (die de facto Neuentwicklungen sind) alle 5 Jahre, bestimmte Werke haben inzwischen den Lebensrhythmus auf 3 Jahre gesenkt. Dabei spielen marktökonomische Überlegungen der Verlage eine entscheidende Rolle. 2.1.6 Oligopolisierung Zumindest in der Sekundarstufe dominieren sehr wenige Verlage den Schulbuchmarkt (In der Primarstufe tummelt sich noch eine größere Anzahl von Verlagen, von denen einige sogar mehrere Lehrwerke gleichzeitig vertreiben). Die Sekundarstufe I wird beherrscht von den beiden Großverlagen Cornelsen und Klett sowie an dritter Stelle Diesterweg (Gymnasien: English G 21 - Cornelsen 2011, Green Line - Klett 2011, Camden Town - Diesterweg 2011). In der Sekundarstufe II teilen sich „die Großen Drei“ Cornelsen (Context 21 2011), Klett (Green Line Oberstufe 2011) und Schöningh (Summit 2011) den Markt. Wer einen demokratie-egalitären Idealismus verspürt, wird dies als bedauerlich empfinden. Eine markt-ökonomische Perspektive erkennt demgegenüber eine sich selbst verstärkende Machtposition der großen und tradierten Verlage. Sie können die Wahlentscheidungen in den einzelnen Schulen eher zu ihren Gunsten beeinflussen, da ihnen massivere PR-Instrumente zur Verfügung stehen: großer Kranz an Begleitmaterialien, mehr personelle Ressourcen, Online- und Offline-Werbung, Informationsveranstaltungen mit Herausgebern/ Autoren, Vorstellung des Lehrwerks in den Kollegien, starke Präsenz auf relevanten Kongressen etc. 2.1.7 Nivellierung In Analogie zur Entwicklung der Parteien (von der ideologisierten, auf einer speziellen Klientel basierenden Weltanschauungsgruppierung zur Volkspartei: catch-all parties) und zum soziologischen Theorem Helmut Schelskys („nivellierte Mittelstandsgesellschaft“) nähern sich die Lehrbücher einander an - hin zur Mitte. Schließlich will die Masse der Lernenden erreicht werden. Unterschiede hinsichtlich Rolle der Grammatik, Portionierung des Wortschatzes. Länge und Sorte der Texte, Umfang und Art der Übungen, Förderung einzelner Fertigkeiten und Kompetenzen haben sich im Laufe der letzten Jahre verringert. Selbst Ver- 24 Engelbert Thaler 40 (2011) • Heft 2 lage, die früher eher einen traditionellen, grammatik- und übungslastigen, kleinschrittigen, lehrerzentrierten Unterricht förderten, haben inzwischen offenere, Autonomie fördernde Lernformen aufgenommen. Insgesamt sind alle gängigen Lehrwerke einem weitgehend lernerzentrierten kommunikativen Ansatz verpflichtet, der die KMK-Standards versucht umzusetzen und mehrere Progressionsebenen vorsieht, dabei aber weiterhin auf lexikalische und grammatikalische Progression setzt. Dass man mit den aktuellen Lehrwerken das allgemein anerkannte Paradigma von Communicative Language Teaching nicht praktizieren könne, darf niemand behaupten. 2.1.8 Regionalisierung Der bildungspolitische Föderalismus führte in den letzten Jahren zu einer regionalen Ausdifferenzierung der Lehrwerke. Während es Anfang des Jahrtausends fast nur Stammausgaben (Bundesausgaben) eines Lehrbuchs gab, bietet ein Verlag für die Oberstufe inzwischen für jedes Bundesland angepasste Länderausgaben an - und die Konkurrenten ziehen nach. Für die Verlage ist es natürlich ein Verkaufsargument, auf die Landessituation spezialisierte Varianten anbieten zu können. Auch die Lehrkräfte in den einzelnen Ländern freuen sich, wenn ein Lehrbuch genau auf den jeweiligen Lehrplan abgestimmt ist und dabei landesspezifische Themen sowie Prüfungsformate abdeckt - wenn auch die Unterschiede zwischen den Bildungs-/ Lehrplänen der einzelnen Länder nicht immer so groß sind und mitunter nur partielle kosmetische Korrekturen im Schülerbuch nach sich ziehen. 2.2 Zukünftige Desiderata 2.2.1 Adressatenorientierte Selektion Die Entscheidung für ein bestimmtes Lehrwerk in der Schule hängt von mehreren Faktoren ab und wird in den einzelnen Schulen leicht unterschiedlich gehandhabt (Zusammenspiel zwischen Fachbetreuer, Fachkollegium, Außendienstmitarbeiter der Verlage). Nach dem Trägheitsprinzip sind tradierte Entscheidungsstrukturen und gewachsene Loyalitäten bei der Auswahl der Schulbücher schwer zu ändern. Historische, politische und ökonomische Kategorien spielen eine wichtige Rolle. Ob Fachleiter oder ganzes Kollegium, die Entscheidungsträger sollten mit den wesentlichen Dimensionen von Lehrwerkkritik und Lehrwerkanalyse (z.B. K IEWEG 1998; L ITTLEJOHN 1998; K RUMM / O HMS -D USZENKO 2001; M ICHLER 2005; T OMLINSON 2008) vertraut sein. Dann kann es auch eher gelingen, das passende Lehrbuch für die jeweiligen Lerngruppen zu finden und eine bessere Übereinstimmung zwischen „äußerem Lehrplan“ und „innerem Lehrplan“ (Termini nach V IELAU 2011) herbeizuführen. Bei realistischer Betrachtung wird den Lehrkräften aber in aller Regel die Zeit für eine wohlüberlegte Entscheidung fehlen. Es bleibt zu überlegen, wie Bedingungen und Die Zukunft des Lehrwerks - Das Lehrwerk der Zukunft 25 40 (2011) • Heft 2 Hilfeleistungen geschaffen werden können, damit ein Lehrwerk nicht nur nach Daumenprobe eingeführt wird. 2.2.2 Zielorientierte Verwendung Das Lehrbuch soll den Unterricht begleiten, ihn aber nicht bestreiten (vom „Wegweiser“ zum „Wegbegleiter“: K URTZ 2001a: 47). Es ist nicht für jede Lernsituation das geeignete Medium. „Optimale Lehrwerksverwendung bedeutet nicht maximale Lehrwerkbindung“ (K URTZ 2010: 156). Lehrbücher sind „proposals for action, not instructions for use“ (H ARMER 2001: 8), und deshalb stehen den Lehrkräften mehrere Optionen offen: (1) Verwendung einer Lehrbuch-Unit ohne Änderungen (2) Verwendung mit Änderungen a. Ergänzung b. Reduzierung c. Umschreiben d. Reorganisation e. partielle Ersetzung (3) Verzicht auf Verwendung (Auslassen, Ersetzen) Wenn sogar ministerielle Verlautbarungen einen mündigen Umgang mit dem Lehrbuch einfordern, sollten Lehrkräfte den Freiraum bereitwillig nutzen. „Da es ein bewusstes Merkmal dieses Lehrplans ist, den Lehrkräften Gestaltungsspielräume zu lassen, haben sich viele Verlage entschlossen, in ihren Lehrwerken Material für verschiedene Wege zur Erreichung der Ziele anzubieten. Damit kann die einzelne Lehrkraft die individuelle Zusammensetzung der Klassen berücksichtigen und aus dem Lehrwerk auswählen. Auf keinen Fall sollen bei solchen variantenreichen Lehrwerkarchitekturen alle Auswahlmöglichkeiten additiv durchgenommen werden; dies würde zu einer Überlastung der Schüler führen“ (I SB 2010). Um ein Lehrwerk optimal verwenden zu können, benötigen Lehrkräfte allerdings eine ausgeprägte Lehrwerkkompetenz. Deshalb müssen sie in der Lehrerausbildung in stärkerem Maße als bisher mit den wichtigsten Kriterien der Lehrwerkkritik und Lehrwerkanalyse bekannt gemacht werden, um das später verwendete Werk besser auf die jeweilige Lerngruppe anzupassen. 2.2.3 Lehrerorientierte Ergänzung Das Lehrwerk ist nur ein Mittler und Produkt. Entscheidend sind Prozess und Lehrer. Wenn die Lehrkraft ihre individuellen Ressourcen nutzt, wird das sowohl ihre eigene Motivation als auch die Wertschätzung durch ihre Schüler erhöhen. Ob passender Rocksong, kontroverser Film, witziger YouTube Clip, selbst entdeckte young adult novel, aktueller Guardian-Artikel - die Lernenden werden die persönlichen Schätze der Lehrkraft anerkennen - denn schließlich „macht sie nicht immer das Gleiche.“ 26 Engelbert Thaler 40 (2011) • Heft 2 2.2.4 Fachdidaktische Weiterentwicklung „Lehrwerke sind immer ‚Kinder ihrer Zeit’, in ihnen spiegeln sich die didaktischen und methodischen Ansätze der jeweiligen Epoche wider“ (N IEWELER 2010a: 175). Neuere Entwicklungen in der Zweitsprachenerwerbsforschung, Kognitiven Psychologie, Klassenzimmerforschung, Fremdsprachendidaktik und Medientechnologie (N OLD 1998) müssen zielgerecht in die Lehrwerksentwicklung integriert werden - ohne dabei voreilig und unüberlegt auf jeden modischen bandwagon zu springen. Wie sollen die Kompetenzen in ihrer ganzen Bandbreite sinnvoll in eine Lehrwerksprogression eingebunden werden? Welchen Platz haben Mehrsprachigkeit, inter-/ transkulturelles Lernen, global education? Wie sind die einzelnen Übergänge (Plural: sic! ) abzufedern? Muss die lineare Progression bei Wortschatz und Grammatik abgeschafft werden (z.B. B LEYHL 1996)? Welcher Progression folgen Methoden-Lernen und interkulturelles Lernen? Sollten alternative Modelle umgesetzt werden - etwa didaktische Szenarien (P IEPHO 2003); oder die gemeinsame Festlegung der Progression zwischen Lehrenden und Lernenden; oder die individuelle Bestimmung der Progression durch den Lernenden anhand einer „Lernlandkarte“ (L EUPOLD 2005); oder die Weiterentwicklung des Lehrbuchs über ein Lernbuch bis zum Lernroman mit einer durchgehenden Storyline in allen Lektionen (N IEWELER 2010b: 177, T HALER 2008)? Welche Konsequenzen hat die Einführung digitaler Whiteboards? Im Zuge der vermehrten Förderung der Mündlichkeit (oral language, spoken English) ist auch das Spannungsverhältnis zwischen dem Lehrbuch als schriftlichem Medium und der Notwendigkeit mündlicher Handlungskompetenz zu überdenken. „Empirische Studien belegen, dass das freie, selbstgesteuerte und selbstständige Sprechen der Zielsprache im [...] Buchunterricht kaum zur Entfaltung kommt. Das zielsprachliche Sprechhandeln erstarrt vielmehr in einer gleichförmigen, an der Schriftsprache der jeweiligen Textvorlage orientierten, mehr oder minder mühsam aufrecht erhaltenen Mündlichkeit, der es an Unmittelbarkeit, Lebendigkeit und vor allem auch an Erlebnisqualität mangelt“ (Kurtz 2010: 157 f). 2.2.5 Zentralisierte (? ) Digitalisierung Werden die Entwicklungen der neuen Informations- und Kommunikationstechnologien „dazu führen, dass die führende Rolle des Lehrwerks als Instrument der Unterrichtssteuerung zugunsten einer offeneren, stärker an den Interessen und Bedürfnissen der Lernenden orientierten Unterrichtskonzeption zurückgedrängt wird“ (N EUNER 2003: 402)? Oder wird die (exzessive) Erweiterung des Lehrwerks eine gegenläufige Entwicklung der elektronischen Zentralisierung evozieren? Da Lehrkräfte ihren Unterricht verstärkt am heimischen Computer vorbereiten, könnte ein digitaler Lehrer-Schüler-Band eine große Arbeitserleichterung darstellen. Diese (in Ansätzen bereits vorhandene) elektronische Planungs- und Organisations- Plattform würde einen zentralen Zugriff auf alle Komponenten eines Lehrwerks erlauben. Eine solche Weiterentwicklung des klassischen Lehrerhandbuchs (als webbasiertes Portal oder Offline-DVD-Version) könnte alle schriftlichen, auditiven und Die Zukunft des Lehrwerks - Das Lehrwerk der Zukunft 27 40 (2011) • Heft 2 audio-visuellen Materialien in editierbarer Form verfügbar machen. Planung, Durchführung (und Evaluation) des Unterrichts würden dadurch tendenziell einfacher, schneller, attraktiver und effektiver. Nicht nur für die Lehrkräfte, sondern auch für die Lernenden könnte eine elektronische Lern- und Kommunikations-Plattform eingeführt werden. Ein zentrales Portal würde den Schülern zur digitalen Information, Übung, Kommunikation und Publikation dienen. 2.2.6 E-Book? Ob der Trend zur Digitalisierung auch zu E-Books für Schüler führt, bleibt abzuwarten. Die Verlage werden Chancen und Risiken gegeneinander abwägen. Ein digitales Schülerbuch mag mehrere Vorzüge aufweisen: Unmittelbarer Zugriff zu jeder Zeit, an jedem Ort Markierung wichtiger Informationen Suchfunktion Copy-paste-email (an Lehrkräfte, Freunde) Zugriff auf elektronische Ressourcen Nutzung diverser Apps Geringeres Gewicht Schulinterne Anpassung des Schülerbuchs an Haus-Curricula (länder- und schulstufenspezifische) Differenzierung des Angebots (durch Schulbücher-Wikis, erstellt von Lehrkräften) Förderung der Entwicklung von Web-Plattformen, die auf das kollaborative Erstellen von Unterrichtsmaterialien hin ausgerichtet sind Falls sich auch im Bereich der Unterrichtsmaterialien eine solche OpenSource- und CreativeCommons-Bewegung entwickeln sollte, müssten Instrumente der Qualitätssicherung der entstehenden Materialien von Anfang an bedacht werden. 3. Fazit Die oben angestellten Überlegungen sind mit reichlich Fragezeichen und Relativierungen verwässert. „As yet, there is no universally recognised theory of the textbook. Empirically too little is known“ (S ERCU 2000: 628). Am wissenswertesten wäre die empirische Erforschung der Wirkungsgeschichte von Lehrwerken. Wie, wann, wozu wird ein Lehrwerk verwendet? Wie beeinflusst es den Lernprozess im Vergleich mit anderen Materialien? Dazu müssten verschiedene Lehrwerke und ihre Nutzer, d.h. Lehrende und Lernende, in Beziehung gesetzt und die erzielten Lernfortschritte mit Hilfe reliabler Instrumente quantitativ und qualitativ erfasst werden. Aber auch dann würde kein „Wunschlehrwerk“ (Nold 1998) entstehen. Die Heterogenität bei Lehrkräften und Schülern ist zu groß, das Bedingungskonglomerat aus fachdidaktischen, ökonomischen und administrativen Bedürfnissen zu komplex. 28 Engelbert Thaler 40 (2011) • Heft 2 Vielleicht sollte man auf einen einfachen, aber nicht billigen Mittelweg vertrauen. Ein balancierter Umgang mit dem Lehrwerk (T HALER 2010) versucht, Instruktivismus und Konstruktivismus, Lehrbuch-angeleiteten und Schüler-aktivierenden Unterricht, traditionelle Lehrbucharbeit und aktive Gesprächsphasen (W IESHUBER 2002) zu verbinden. Literatur A SHTON -W ARNER , Sylvia (1963/ 1980): Teacher. London: Virago. B AUSCH , Karl-Richard / C HRIST , Herbert / K RUMM , Hans-Jürgen (Hrsg.) (2003): Handbuch Fremdsprachenunterricht. Tübingen/ Basel: Francke. B LEYHL , Werner (1996): „Der Fallstrick des traditionellen Lehrens und Lernens fremder Sprachen. Vom Unterschied zwischen linearem und nicht-linearem Fremdsprachenunterricht“. In: Praxis des neusprachlichen Unterrichts 45.2, 126-138. 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