eJournals Fremdsprachen Lehren und Lernen 40/2

Fremdsprachen Lehren und Lernen
flul
0932-6936
2941-0797
Narr Verlag Tübingen
Es handelt sich um einen Open-Access-Artikel, der unter den Bedingungen der Lizenz CC by 4.0 veröffentlicht wurde.http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/121
2011
402 Gnutzmann Küster Schramm

Die neue Lehrwerkgeneration für Russisch als zweite und dritte Fremdsprache

121
2011
Grit Mehlhorn
Heike Wapenhans
flul4020049
40 (2011) • Heft 2 © 2011 Narr Francke Attempto Verlag G RIT M EHLHORN , H EIKE W APENHANS * Die neue Lehrwerkgeneration für Russisch als zweite und dritte Fremdsprache Abstract. The year 2008 saw the introduction of a new generation of textbooks for Russian as a second or third foreign language. From a methodological standpoint, these new textbooks are comparable to many textbooks being used for the instruction of other foreign languages. In this article, we take a look at how these textbooks are designed to support teachers in the difficult task of developing communicative and intercultural competence, in addition to language skills. We extend our discussion to approaches that have been recommended for tertiary language learning, suggestions for self-reflection and self-assessment by learners, and considerations of authenticity and media in textbooks. Finally, we identify the strengths of these new textbooks and note those areas that still need improvement. 0. Einleitende Bemerkungen Wenn allgemein eine „Diskrepanz zwischen der Relevanz von Schulbüchern für schulische Lehr- und Lernprozesse einerseits und der Vernachlässigung des Schulbuchs in Schrifttum, Forschung und Lehrerbildung anderseits“ (F UCHS [et al.] 2010: 7) konstatiert wird, so trifft das insbesondere auf Russischlehrbücher zu. Obwohl sie im Russischunterricht vor allem auf den Niveaustufen A1, A2 und B1 nach wie vor das Leitmedium bilden, finden sich in der Fachliteratur bis auf vereinzelte Rezensionen keine Publikationen zu didaktisch-methodischen Fragen ihrer Entwicklung und ihres Einsatzes, weder aus historischer noch aus aktueller Sicht. Im Folgenden soll aufgezeigt werden, wodurch sich die aktuelle Lehrwerksgeneration für Russisch als zweite und dritte Fremdsprache auszeichnet und welche Neuerungen sie im Vergleich zu ihren Vorgängern aufweist. * Korrespondenzadressen: Prof. Dr. Grit M EHLHORN , Univ.-Prof., Universität Leipzig, Institut für Slavistik, Beethovenstr. 15, 04107 L EIPZIG . E-Mail: mehlhorn@rz.uni-leipzig.de Arbeitsbereiche: Methodik und Didaktik der Fremdsprachenvermittlung, insbesondere slawische Sprachen und Deutsch als Fremdsprache, Ausspracheerwerb, Mehrsprachigkeit, Sprachlernberatung. Dr. Heike W APENHANS , wiss. Mitarbeiterin; Humboldt-Universität zu Berlin, Institut für Slawistik, Unter den Linden 6, 10099 B ERLIN . E-Mail: heike.wapenhans@slawistik hu-berlin.de Arbeitsbereiche: Methodik und Didaktik der Fremdsprachenvermittlung, insbesondere Russisch, Lehrwerkerstellung, Sprachmittlung, Fremdsprachenlernen mit neuen Medien. 50 Grit Mehlhorn, Heike Wapenhans 40 (2011) • Heft 2 1. Die Lehrwerke für den schulischen Russischunterricht nach 2008 Im Unterschied zu den anderen Schulfremdsprachen, für die Lehrwerke verschiedener Verlage zur Auswahl stehen, beschränkt sich das Angebot für Russisch auf zwei Schulbuchverlage - Cornelsen Schulverlage und Ernst Klett Verlag. In beiden Verlagen sind seit 2008 neue Lehrwerkreihen erschienen, die sowohl an Bewährtes und Bewahrenswertes anknüpfen und das z.B. mit der Fortführung der Titel der Vorgängergeneration(en) unterstreichen - bei Cornelsen Dialog, Privet! (dt. Grüß dich! ), Vmeste (dt. Miteinander) - als auch neue Akzente setzen und das bereits in einer anderen Titelwahl - bei Klett Kone no! (dt. Natürlich! ) im Unterschied zum Vorgänger Okno (dt. Fenster) - verdeutlichen möchten. Mit Dialog und Kone no! stehen neue Lehrwerkreihen für Russisch als zweite Fremdsprache in der Sekundarstufe I zur Verfügung. Beide Reihen wollen dem Anspruch gerecht werden, einen Einsatz in unterschiedlichen Schultypen - von der Sekundarschule, Real-, Regel-, Mittel- oder Regionalschule bis zum Gymnasium - in den verschiedenen Bundesländern mit ihren speziellen Rahmenrichtlinien bzw. -lehrplänen zu ermöglichen. Bislang gibt es keine schulart- oder bundeslandspezifischen Russischlehrbücher, wobei die Autoren von Kone no! eine weitgehende Orientierung am Einsatz im Gymnasium einräumen. Die Lehrwerkreihen Privet! und Kone no! Intensivnyj kurs (identisch nicht nur im Titel, sondern auch in Konzeption und Umsetzung mit dem o. g. Kone no! ) sind für Russisch als dritte oder spät einsetzende Fremdsprache vorgesehen. Vmeste ist das derzeit einzige für die Sekundarstufe II zugelassene Lehrwerk, das Russisch als fortgeführte Fremdsprache bedient. Die Lehrwerkkonzeptionen aller Neuerscheinungen orientieren sich an den Vorgaben des Gemeinsamen europäischen Referenzrahmens (GeR) (E UROPARAT 2001) in Bezug auf Themen und Niveaustufen sowie an den Anforderungen der Rahmenlehrpläne mit den dort ausgewiesenen Kompetenzmodellen einschließlich der Output- Orientierung. Wesentliche Prinzipien der Fremdsprachendidaktik wie Handlungs-, Kompetenz- und Lernerorientierung fanden Eingang in die neue Lehrwerkgeneration. Die einzelnen Lehrwerkreihen präsentieren sich jeweils als Lehrwerkverbund, bestehend aus verschiedenen aufeinander abgestimmten Bestandteilen: Schülerbuch (SB), Arbeitsheft (AH), Handreichungen für den Unterricht (HRU) bzw. Lehrerbuch, Vokabel- und Grammatikheften, Audio-CD und Lernersoftware sowie Download-Möglichkeiten im Internet. 2. Authentizität und Medien in den neuen Lehrwerken Für alle Lehrwerke der neuen Generation lässt sich konstatieren, dass ihre Autorenteams der Umsetzung der fachdidaktischen Forderung nach größtmöglicher Authentizität große Bedeutung beigemessen haben. Das betrifft sowohl die Verwendung vielfältiger authentischer Materialien als Symbole oder Produkte der Die neue Lehrwerkgeneration für Russisch als zweite und dritte Fremdsprache 51 40 (2011) • Heft 2 russischen Kultur als auch die Einbeziehung authentischer Sprache und die Berücksichtigung von authentischen Lernkontexten. Als authentische Materialien kommen in den SB und AH vor allem Fotos zum Einsatz, die mit ihren Inhalten Einblicke in die russische Lebenswelt geben bzw. diese veranschaulichen sollen. Dazu zählen erwartungsgemäß Fotos der weltbekannten Moskauer und Petersburger Sehenswürdigkeiten wie z.B. des Roten Platzes und der Eremitage oder Aufnahmen der Transsibirischen Eisenbahn und des Baikals, deren thematische Behandlung durch die Rahmenlehrpläne gefordert wird. Bemerkenswert ist, dass auch kleinere, provinzielle Städte wie z.B. Vologda, Jaroslavl’, Suzdal’, Vladimir (Dialog, Privet) und Tula, Kaluga, Novgorod (Kone no) bildlich Eingang in die Lehrwerke fanden, ebenso wie So i als Austragungsort der Olympischen Winterspiele 2014. Alle neuen Lehrwerke verfügen über eine erfreulich hohe Anzahl von Fotos, auf denen Personen abgebildet sind. Das sind sowohl Porträts bekannter Persönlichkeiten der russischen Geschichte und Kultur aus Vergangenheit und Gegenwart einschließlich der aktuellen Musik-, Film- und Sportszene, als auch Fotos, die das Alltagsleben von einfachen Menschen aller Altersschichten dokumentieren. Gerade letztere verleihen den Lehrwerken Frische und Lebendigkeit. Positiv fällt auch der große Anteil von Fotos auf, die den Schul- und Freizeitbereich Jugendlicher in Russland lebensnah abbilden. In diesem Bereich zeichnet sich besonders Kone no mit seiner Storyline aus: mittels Foto oder Illustration sind die Protagonisten stets in den entsprechenden Situationen zu sehen. Alle Lehrwerke der neuen Generation verwenden für ihre ein- oder mehrseitigen Einstiegsseiten (Cornelsen) bzw. Auftaktseiten (Klett) Fotos und andere authentische oder ihnen nachempfundene Materialien, um inhaltlich auf das Lektionsbzw. Modulthema einzustimmen, Vorwissen zu aktivieren, landeskundliche Informationen zu vermitteln oder für soziokulturelle Besonderheiten zu sensibilisieren. In Abhängigkeit vom Thema werden auf diesen Seiten und darüber hinaus auch in allen anderen Lektionsabschnitten naturgetreue Abbildungen von Realien nicht nur als Gestaltungsmittel - wie es häufig in den Vorgängerbänden anzutreffen war - eingesetzt, sondern didaktisch sinnvoll als Impulse für Lese-, Sprech-, Schreib- und Sprachmittlungsaufgaben. Das sind in den ersten Bänden der Lehrwerke für die zweite und dritte Fremdsprache vor allem Abbildungen von Straßenschildern und Aufschriften, Eintritts- und Fahrkarten, Stadt- und Fahrplänen, Speisekarten und Rezepten, Konzert- und Filmplakaten, Zeitungs- und Zeitschriftenseiten, Buchtiteln, Glückwunschkarten, (Hausaufgaben-)Heften, Werbeprospekten, Annoncen u.ä. Auf Grund der ihnen eigenen Verbindung von Bild und Text ermöglichen diese Abbildungen eine erste Begegnung mit, wenn auch kurzen, so doch authentischen, d.h. unveränderten Texten, wie sie in der russischen Wirklichkeit anzutreffen sind. Das Merkmal ‚authentisch‘ kann ohne Einschränkungen auch den zahlreichen Liedern, Gedichten, Reimen und Nachsprechversen zugeschrieben werden, die in die SB aller neuen Lehrwerke mit unterschiedlichen Zielstellungen aufgenommen wurden. Das Bemühen um Authentizität lässt sich in den neuen Russischlehrwerken auch daran 52 Grit Mehlhorn, Heike Wapenhans 40 (2011) • Heft 2 erkennen, dass mit wachsender Sprachbeherrschung der Anteil authentischer Textgrundlagen z.B. aus dem Internet zunimmt und der Grad ihrer Didaktisierung in Form von Adaptationen abnimmt. Ohne Didaktisierung, und sei es in Form von Kürzungen, kommen allerdings selbst in Vmeste nur wenige Texte aus. Als authentisch kann auch das Russisch bezeichnet werden, das in den verschiedenen Textsorten der einzelnen Lehrwerke zur Anwendung kommt. So wird nicht nur das normgerechte schriftsprachliche Russisch abgebildet, sondern auch das von jungen Leuten gesprochene Russisch, das zahlreiche umgangssprachliche Markierungen und Anglizismen aufweist. Eine wichtige Aufgabe von Lehrwerken ist es, möglichst lebensnahe Lernkontexte und Kommunikationssituationen zu simulieren, mit denen sich die Schüler identifizieren können und die es ihnen ermöglichen, ihre Bedürfnisse und Kompetenzen einzubringen. Aus diesem Grund greifen die Autoren von Dialog, Privet, Vmeste und Kone no in verschiedenen Aufgabenstellungen gern auf Begegnungssituationen aller Art zurück, insbesondere auf den Schüleraustausch oder eine Klassenfahrt nach Russland. Der hohe Anspruch an Authentizität findet seinen Ausdruck zudem in der Textsortenvielfalt, die im Kontext der jeweiligen Sprachbeherrschungsstufe und des darzustellenden Themas zu betrachten ist. So präsentieren die neuen Lehrwerke verschiedene Textsorten, die eine nachvollziehbare, praktische Relevanz für die Schüler haben und in den Rahmenlehrplänen für Russisch gefordert werden. Entsprechend der unterschiedlichen Differenzierungskriterien für Textsorten sind in allen Russischlehrwerken Texte folgender Art zu finden: mündliche und schriftliche, monologische und dialogische, kontinuierliche und diskontinuierliche, fiktionale und nichtfiktionale, einfach und mehrfach kodierte. Die konkreten Texte orientieren sich inhaltlich überwiegend an den Interessen und Bedürfnissen der Schüler und berücksichtigen erfreulicherweise auch die für Jugendliche relevanten und aktuellen Kommunikationsformen wie E-Mail, Foren, Blogs, SMS. Insgesamt lässt sich feststellen, dass die neuen Lehrwerke ihre Inhalte, d.h. Texte, Übungen und Aufgaben, mittels visueller, auditiver und audiovisueller Medien präsentieren und dabei auch die digitalen Medien einbeziehen. Verständlicherweise überwiegt der Anteil der Printmedien in den SB und AH aller Lehrwerkreihen. Die in Dialog, Privet und Kone no mit einem Hörsymbol versehenen Texte und Übungen werden auf Schüler- oder Lehrer-CDs als Audiodateien zur Verfügung gestellt. Im Unterschied zur Vorgängergeneration mit den vorwiegend für den Lehrer bestimmten Kassetten und CDs erhalten nun auch die Schüler die Gelegenheit, Hör(verstehens)aufgaben selbstständig zu Hause zu lösen. Kone no und Kone no! Intensivnyj kurs stellen für alle Bände mit dem Kauf des AH eine Online-Schülersoftware zur Verfügung, die seinen Nutzern zahlreiche Möglichkeiten zum zusätzlichen Kommunikations-, Grammatik- und Wortschatztraining in ansprechender Form bietet. Eine zusätzliche Übungssoftware gibt es bei Dialog nur für den Band 1. Diese folgt in ihrem Aufbau der Struktur des SB und enthält neben vielfältigen Übungsangeboten zum Wiederholen von Grammatik und Wort- Die neue Lehrwerkgeneration für Russisch als zweite und dritte Fremdsprache 53 40 (2011) • Heft 2 schatz auch Aufgaben zum Hörverstehen und spezielle Übungen zum Kennenlernen der russischen Tastatur. Als motivierendes Zusatzangebot werden auf der CD-ROM des Lehrerbuches zu Kone no! und Kone no! Intensivnyj kurs Filmausschnitte aus dem Film Piter FM bereitgestellt, die aus acht Sequenzen zu den Schlüsselpunkten der Geschichte bestehen. 3. Kompetenzentwicklung in der neuen Lehrwerkgeneration Alle Lehrwerke der neuen Generation haben sich dem Ziel verschrieben, die fremdsprachliche Kompetenz ihrer Russischlernenden zu entwickeln, sie zur sprachlich und interkulturell adäquaten Bewältigung relevanter kommunikativer Situationen zu befähigen. Diese kommunikative und interkulturelle Ausrichtung ist nicht neu, in der Umsetzung lassen sich jedoch einige erfreuliche Konkretisierungen und Entwicklungen beobachten, die im Weiteren betrachtet werden sollen. 3.1 Sprachlich-kommunikative Kompetenz Im Zentrum der Bemühungen steht eine insgesamt ausgewogene Schulung der kommunikativen Fertigkeiten, der produktiven und rezeptiven, der mündlichen und schriftlichen. In Abhängigkeit von der angestrebten Sprachkompetenzstufe werden unterschiedliche Akzente gesetzt. Da in der Alltagskommunikation das Mündliche von entscheidender Bedeutung ist, steht die Entwicklung des Hörverstehens und des Sprechens einschl. mündlicher Interaktion in den ersten Bänden von Dialog, Kone no und Privet im Vordergrund der Übungs- und Anwendungsangebote. Die schriftlichen Fertigkeiten - Leseverstehen, Schreiben einschließlich schriftlicher Interaktion - bleiben in diesen Bänden nicht unberücksichtigt, ihr Anteil nimmt in den Folgebänden dann aber deutlich zu. Schwerpunktmäßig wird an ihnen in Vmeste gearbeitet. Eine grundsätzliche neue Rolle spielt in allen Lehrwerken die Sprachmittlung, die mit Aufgaben in mündlicher und schriftlicher Form vertreten ist. Diese Aufgaben, die sich an einer potenziellen außerunterrichtlichen Interaktion der Schüler (z.B. während des Schüleraustauschs) orientieren, ermöglichen die gezielte, realitäts- und situationsbezogene Anwendung schon erworbener fremdsprachlicher Kompetenzen (vgl. W A - PENHANS 2011). Bereits in den Inhaltsverzeichnissen werden die Schüler darauf hingewiesen, welche „Redeabsichten“ (Dialog), „Kommunikativen Fertigkeiten“ (Kone no), „Kommunikativen Ziele“ (Privet) oder „Kommunikativen Kompetenzen“ (Vmeste) im Mittelpunkt der jeweiligen Lektion stehen werden. Die Entwicklung des monologischen und interaktiven Sprechens erfolgt in den Lehrwerken ausgehend von Übungen und kommunikativen Aufgabenstellungen mit direkten Bezügen zur Lebenswelt der Schüler („Mein Umfeld und ich“). Parallel dazu wird das Sprachhandeln im Alltag (u.a. sogenannte Dienstleistungsgespräche) thematisiert. Beide Bereiche bereiten auf reale 54 Grit Mehlhorn, Heike Wapenhans 40 (2011) • Heft 2 Gesprächssituationen vor und ermöglichen schnelle kommunikative Erfolge. Zunehmend werden die Schüler dann mit Aufgaben konfrontiert, die eine inhaltliche Auseinandersetzung und somit das Beschreiben, Charakterisieren, Begründen, Kommentieren erfordern. Die angestrebte Diskussionskompetenz und Präsentationsfähigkeit in russischer Sprache findet ihren Ausdruck in komplexeren Aufgabenstellungen, die eine Annäherung an die freie Kommunikation darstellen. In allen Lehrwerken erfolgt eine schrittweise Befähigung zum Gebrauch von Russisch als Unterrichtssprache. Diesem Ziel dienen die im Anhang der SB oder AH aufgeführten russisch-deutschen Arbeitsanweisungen. Positiv fällt ins Auge, wie intensiv in den neuen Lehrwerken am Hörverstehen gearbeitet wird. Ein deutlich höheres Angebot an Hörtexten als in der Vorgängergeneration ermöglicht eine kontinuierliche Schulung dieser wichtigen Fertigkeit unter Berücksichtigung unterschiedlicher Höraufträge und Kontrollformen. Hervorhebenswert ist, dass erstmalig auch den Schülern Audio-CDs mit Hörtexten und -aufgaben im AH zur Verfügung gestellt werden. Erste Versuche, das Hör-/ Sehverstehen mit entsprechenden Aufgaben in die Lehrwerke zu integrieren, lassen sich erfreulicherweise in Dialog, Kone no und Vmeste finden. Etwas Verwunderung ruft die übereinstimmende Filmauswahl hervor. Dem Leseverstehen widmen Kone no ab dem 1., Dialog ab dem 2. Lernjahr spezielle Abschnitte in den Lektionen und erweitern das Angebot an Lesetexten jeweils im Anhang. Privet weist wie Dialog Lesetexte gesondert als solche aus. Der Übungs- und Aufgabenapparat zu den Lesetexten und -abschnitten zielt auf die Entwicklung der Antizipationsfähigkeit und den Einsatz unterschiedlicher Lesestrategien und -stile ab (globales und detailliertes Leseverstehen, skimming, scanning) und bezieht die Nutzung des Wörterbuchs ein. Im Unterschied zu den Lernenden anderer Schulfremdsprachen müssen Russischlernende, bevor sie Schreibaufgaben lösen können, ein neues Alphabet und somit eine neue Schrift erlernen. Diesem Anliegen kommen die Lehrwerke vorwiegend in den AH des 1. Lernjahres nach. Die darauf folgende Vielfalt an schriftlichen Übungen und Aufgaben, die den Zugang zu unterschiedlichen Textsorten berücksichtigt, unterscheidet sich nicht von der in den anderen Fremdsprachen. 3.2 Vermittlung von Sprachkenntnissen Der vermittelte Wortschatz orientiert sich in allen Lehrwerken an den jeweiligen kommunikativen Absichten. Daher werden bestimmte Wortgruppen als lexikalische Ganzheiten (chunks) eingeführt, ohne die darin enthaltene Grammatik sofort zu thematisieren. Auch bei Verben erscheinen oft nur die konjugierten Formen, die für die Realisierung der jeweiligen Sprechabsicht benötigt werden. Die Schülerbücher und Arbeitshefte enthalten zahlreiche Übungen, in denen der neue Wortschatz umgewälzt werden soll. Lustige Merkverse und Eselsbrücken sollen das Einprägen der Vokabeln erleichtern. Im Anhang der HRU von Dialog 1 finden sich Kopiervorlagen mit Mindmaps zu den Themen des Bandes, die eine gute Möglichkeit zur thematischen Vorent- Die neue Lehrwerkgeneration für Russisch als zweite und dritte Fremdsprache 55 40 (2011) • Heft 2 lastung und Weiterarbeit darstellen. Mit zunehmenden lexikalischen Kenntnissen der Schüler spielen Wortbildungsregularitäten und Analogien eine größere Rolle, was in Dialog z.B. in der Rubrik „Mithilfe der Wortbildung Russisch lernen“ systematisiert wird. Die Lehrwerke Dialog, Kone no und Privet enthalten alphabetische Wörterverzeichnisse Russisch-Deutsch und Deutsch-Russisch sowie Lektionswörterverzeichnisse in der chronologischen Reihenfolge der Lektionen mit Beispielsätzen, Wortfeldern, hilfreichen Illustrationen, Aussprachehinweisen, Verweisen auf verwandte Wörter im Englischen und Französischen, wichtigen Hinweisen zu Ausnahmen und ‚falschen Freunden‘. In Privet werden die Vokabeln innerhalb des Lektionswörterverzeichnisses zusätzlich nach thematischen Wortfeldern angeordnet. Internationalismen und Fremdwörter, die die Schüler beim Lesen selbstständig erschließen können, werden separat gekennzeichnet. Im Lehrwerk Kone no findet man sie innerhalb des Lektionswörterverzeichnisses im ‚Persönlichen Wörterbuch‘, in Dialog erscheinen sie in einer Wortschatztruhe und in Privet in Kästchen mit der Aufschrift ‚rezeptive Lexik‘. Die Lehrwerke thematisieren explizit Vokabellernstrategien, die von den Schülern bereits in den zuvor gelernten Sprachen angewendet wurden und nun gezielt auf das Russische übertragen bzw. ausgebaut werden sollen. Die Vokabellernhefte zu Kone no und Dialog sind ähnlich wie die Lektionswörterverzeichnisse aufgebaut und enthalten zusätzliche Wortschatzaufgaben einschließlich Lösungsschlüssel. In den höheren Lernjahren spielen Redemittel zur Realisierung verschiedener Sprechakte eine zunehmende Rolle. In Privet schon in den Bänden 1 und 2 vorhanden, tauchen sie in Dialog ab Band 3 auf und werden zunehmend komplexer. Die ausführlichste Sammlung von Redemitteln - auch zur Vorbereitung auf das Russischabitur - enthält Vmeste, u.a. zur Analyse von Statistiken, Interpretation von Karikaturen, zum Resümee literarischer Texte, für Diskussionen und Präsentationen. Dafür verzichtet Vmeste auf die Hervorhebung neuer Lexik und ein Lektionswörterverzeichnis; lediglich die HRU bieten auf der Lehrer-CD- ROM editierbare Lexiklisten als Kopiervorlagen an. In allen Lehrwerken finden sich grammatische Erläuterungen im SB, allerdings weniger ausführlich als in früheren Russischlehrwerken. Neu ist, dass viele Regeln durch die Schüler selbst entdeckt werden können, da das Sprachmaterial so aufbereitet ist, dass ein induktives Ableiten ermöglicht wird. Daneben werden Regeln deduktiv auf gegebenes Sprachmaterial angewendet und sprachliche Konstruktionen auf der Grundlage der Analogiebildung variiert. Die Auswahl der Übungstypen ist vielfältig (z.B. Lücken-, Formations-, Transformations-, Erweiterungs- und Substitutionsübungen), wobei sich die Grammatik stets an kommunikativen Redeanlässen aus der jeweiligen Lektion orientiert und somit dienende Funktion hat. In der Grammatikdarstellung gehen die Lehrwerke teilweise unterschiedliche Wege. Zu jedem Band von Kone no gibt es ein „Grammatisches Beiheft“ (B ORGWARDT 2008-2011; im Folgenden GBh) mit einer Lernergrammatik, das sich an der Progression der grammatischen Phänomene und am Wortschatz der jeweiligen Lektionen im Schülerbuch orientiert. Bei der Grammatikdarstellung wird grundsätzlich an das Vorwissen der Schüler angeknüpft, z.B. „Du weißt, dass es im Deutschen vier Kasus gibt: Nominativ, Genitiv, Dativ und Akkusativ“, und angekündigt, was der Schüler nun lernen wird, z.B. „Im Russischen 56 Grit Mehlhorn, Heike Wapenhans 40 (2011) • Heft 2 gibt es sechs Kasus. Nach dem Nominativ fragst du wie im Deutschen mit kto? wer? oder to? was? “ (GBh 2008: 6). Die Grammatikerläuterungen sind altersgerecht und schülerfreundlich aufbereitet, durch signalgrammatische Elemente und passende Beispielsätze gut nachvollziehbar illustriert. Hilfreiche Hinweise zur russischen Aussprache tauchen dort auf, wo sie grammatisch relevant sind. Zu jeder Lektion gibt es Übungen zu den behandelten Phänomenen auch im GBh. Durch die Bereitstellung der Lösungsschlüssel im GBh werden die Schüler zum selbstständigen Arbeiten angeregt und der Unterricht kann von Kontrollhandlungen entlastet werden. Im SB und AH erscheinen jeweils Hinweise auf die entsprechenden Paragraphen im GBh. Das Lehrwerk Dialog enthält im AH die Rubrik „Grammatik entdecken und verstehen“, auf die auch im SB verwiesen wird. In Verbindung mit den im SB präsentierten Redeabsichten werden hier Regeln schülergerecht erklärt und mit verständlichen Beispielen versehen. Die Herangehensweise ist meist deduktiv. An einigen Stellen sollen die Schüler eigene Beispiele ergänzen und noch eine kleine Aufgabe erfüllen, z.B. Endungen unterstreichen. Die Seiten der Schülergrammatik kann der Schüler heraustrennen und individuell weiternutzen. Zusätzlich gibt es eine Grammatik zum Nachschlagen für Dialog (W ALTER 2010), die sich in der Gliederung nach einzelnen Wortarten an linguistischen Grammatiken orientiert. Die grammatischen Regeln werden oft sprachvergleichend dargestellt, und es wird jeweils vermerkt, in welchem Band und welchem Lektionsabschnitt des SB das jeweilige Phänomen vermittelt wurde. Die Rubrik „Tipp! “ verweist oft auf Analogien innerhalb des Russischen. Die letzte Seite jeder Lektion im Lehrwerk Privet enthält die Rubrik „Das solltest du wissen“ mit einer Systematisierung der neuen grammatikalischen Phänomene, häufig in Tabellenform, die zum Nachschlagen verwendet werden kann. Auch hier wird das Sprachmaterial innerhalb der Lektionen so präsentiert, dass die Schüler viele Regeln selbst entdecken können. Die grammatische Progression ist ziemlich ähnlich in den analysierten Lehrwerken. So ist der Instrumental jeweils der zuletzt eingeführte Kasus. Mit dem Verbalaspekt werden Schüler des Russischen als zweite Fremdsprache im zweiten Band konfrontiert, in der dritten Fremdsprache bereits im ersten Band. Von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen (z.B. männlich, weiblich, sächlich in Dialog und maskulin, feminin, neutral in Kone no und Privet) verwenden die Russischlehrwerke eine einheitliche grammatische und phonetische Terminologie, wobei die lateinischen Begriffe dominieren und die deutschen Entsprechungen beim ersten Auftauchen manchmal in Klammern angegeben werden. Das konsequent einsprachige Vmeste verwendet auch die russische Terminologie. Im Lehrwerk Vmeste erfolgt in der Rubrik „Arbeit an der Sprache“ eine sprachliche Bewusstmachung lexikalischer und grammatischer Phänomene aus dem jeweils vorangegangenen Text. Damit sind bestimmte Aufgabenstellungen verbunden, z.B. bestimmte sprachliche Formen im Text zu finden, sie zu erklären, zu übersetzen, zu paraphrasieren, umzuformen, weitere Beispiele oder verwandte Wörter zu nennen und Wortgruppen oder Sätze damit zu bilden. Explizite Vermittlung neuer grammatischer Phänomene ist in diesem Lehrwerk für die Sekundarstufe II nicht (mehr) vorgesehen; Die neue Lehrwerkgeneration für Russisch als zweite und dritte Fremdsprache 57 40 (2011) • Heft 2 es finden sich jedoch Systematisierungen zur Wiederholung fehleranfälliger Grammatik in den HRU. Ausspracheübungen finden sich vermehrt im ersten Band der Lehrwerke, in Kone no werden sie bis zum dritten Band fortgeführt. Besonders hilfreich sind hier Aufgabenstellungen, die ein entdeckendes Aussprachelernen ermöglichen und eine Progression vom phonetischen Hören (Diskriminations- und Identifikationsübungen) zum bewussten Nachsprechen ermöglichen. In den ersten Bänden der Lehrwerke für Russisch als zweite und dritte Fremdsprache werden durchgehend die Betonungszeichen in den Texten angegeben; in höheren Lernjahren erscheinen die Betonungszeichen nur noch auf neu eingeführter Lexik und Eigennamen. Abweichungen in den Phonem-Graphem-Beziehungen einzelner Wörter werden durch kyrillische Buchstaben in eckigen Klammern angegeben. Die internationale Lautschrift IPA wird in keinem der Lehrwerke verwendet. Während in Kone no und Privet explizite Ausspracheübungen auf der Schüler-CD enthalten sind, so dass sie auch für das häusliche Lernen genutzt werden können, befinden sich die meisten Ausspracheübungen in Dialog auf der Lehrer-CD des ersten Bandes, einige auch in der Schüler-Lernsoftware. Auch die Lehrer-CD von Privet enthält viele Ausspracheübungen. Die russischen Lieder auf den CDs können ebenfalls zur Festigung der Aussprache verwendet werden. Im Lehrwerk Vmeste spielt Aussprachevermittlung keine Rolle. 3.3 Sprachenübergreifendes Lernen Die neue Lehrwerkgeneration für Russisch zeichnet sich dadurch aus, dass explizit auf Kenntnisse der Schüler aus zuvor gelernten Sprachen Bezug genommen wird und dass Mehrsprachigkeit und Sprach(lern)bewusstheit eine Förderung erfahren. Durch Sprachvergleiche sollen die Schüler für die Verwandtschaft der indoeuropäischen Sprachen, Ähnlichkeiten in der Funktion und Anordnung sprachlicher Strukturen und kulturelle Gemeinsamkeiten und Unterschiede sensibilisiert werden. Internationalismen und Fremdwörter im Russischen nehmen ab der ersten Lektion einen wichtigen Stellenwert in Dialog, Kone no und Privet ein. Authentische Fotos mit Aufschriften auf Gebäuden und Einrichtungen zeigen den Schülern, dass sie - wenn sie erst einmal die kyrillischen Buchstaben verinnerlicht haben - viele Wörter in der neuen Sprache verstehen können, ohne sie direkt gelernt zu haben. Die Lehrwerke laden dazu ein, sich Internationalismen und Fremdwörter aus den verschiedensten Bereichen (Sport, Musik, Schule, Computer, Medien, Werbung, Nationalitäten, Monatsnamen, Speisen und Getränke, Berufsbezeichnungen) zu erschließen und weisen gleichzeitig auf Unterschiede in der Betonung deutscher und russischer Internationalismen und ‚falsche Freunde‘ hin. Besonders deutlich sind Mehrsprachigkeitsansätze in den Lehrwerken Dialog und Privet erkennbar. Hier finden sich zahlreiche Sprachvergleiche nicht nur lexikalischer, sondern auch grammatischer Art, die den Kriterien für sprachenübergreifende Übungen (vgl. B EHR 2010) und entdeckendes Lernen entsprechen. Verglichene grammatische Phänomene sind z.B. Wortstellung, Wortarten, Deklinations- und Konjugationsendungen, Rektion von Verben und Präpositionen, Tempora, Modalverben, Aspekt- 58 Grit Mehlhorn, Heike Wapenhans 40 (2011) • Heft 2 gebrauch, Partizipien, Passivbildung, Steigerung der Adjektive und Satzarten. Am häufigsten wird das Russische mit der Muttersprache Deutsch und der ersten gelernten Fremdsprache Englisch verglichen. Auf Französisch und Latein wird seltener verwiesen; viele Übungen sind jedoch so angelegt, dass die Schüler selbst Beispiele aus ihren gelernten Sprachen beisteuern können. Vorschläge für Tafelbilder in den HRU zu Sprachvergleichen mit Einbeziehung der am häufigsten gelernten Schulfremdsprachen erleichtern den Russischlehrenden die Durchführung sprachenübergreifender Übungen. Dialog, Privet und Vmeste präsentieren darüber hinaus Sprachvergleiche mit weiteren slawischen Sprachen, in denen die Schüler die Rolle des Russischen als Brückensprache erkennen können. Diese Übungen enthalten Panslawismen (z.B. Zahlwörter, Verwandtschaftsbezeichnungen, Wochentage, Grußformeln) in verschiedenen slawischen Sprachen (z.B. Polnisch, Tschechisch, Bulgarisch, Ukrainisch), die die Schüler mithilfe ihrer Russischkenntnisse selbst erschließen können. Die meisten Anregungen für Sprachvergleiche finden sich in den ersten Bänden der Lehrwerke; in den höheren Lernjahren werden sie zunehmend durch Analogien innerhalb des Russischen abgelöst. Der Vergleich landeskundlicher Realien (z.B. das russische und deutsche Notensystem, Textsorten, Essgewohnheiten, nationale Symbole, Höflichkeitskonventionen, Mimik und Gestik) wird in allen Lehrwerken vorgenommen. Die meisten Kulturvergleiche mit Ermutigung zum Perspektivenwechsel beinhaltet das Lehrwerk Vmeste. Das Englische wird auch außerhalb expliziter Sprachvergleiche in Aufgabenstellungen einbezogen, z.B. in Übungen zur Sprachmittlung, bei der Erstellung einer Speisekarte auf Russisch und Englisch, bei der Thematisierung von Kommunikationsstrategien, bei der Rückführung russischer Anglizismen auf ihre Ausgangsform, wenn russische Fragen ihren englischen Entsprechungen zugeordnet oder Fragen zu einem englischen Text auf Russisch beantwortet werden sollen. Solche Aufgabenstellungen tragen der Tatsache Rechnung, dass das Englische - wie auch in Deutschland - im russischen Alltag eine zunehmende Rolle spielt und dass die Schüler von ihren Vorkenntnissen in der schon länger gelernten ersten Fremdsprache profitieren können. Die Mehrsprachigkeitsansätze in den aktuellen Lehrwerken sind von vielen Russischlehrenden positiv aufgenommen worden (vgl. M EHLHORN / W AHLICHT 2011). In dieser Hinsicht nehmen die deutschen Russischlehrwerke eine Vorreiterrolle ein - sowohl in Bezug auf Lehrwerke für Russisch in anderen Ländern als auch für andere slawische Schulfremdsprachen. Die Lehrwerke für Russisch als zweite und dritte Fremdsprache unterscheiden sich vor allem durch eine sehr steile Progression in letzteren. So werden die Schüler in der 1. Lektion von Privet 1 neben dem kyrillischen Alphabet, vielen landeskundlichen Informationen und neuen Ausspracheregeln gleich mit den drei Genera der Substantive in vier Kasus konfrontiert. In den GbH zu Kone no! Intensivnyj kurs für die dritte Fremdsprache wurde - im Gegensatz zu Kone no für die zweite Fremdsprache - Französisch in den Sprachvergleich eingebunden. Dies ist sinnvoll, da Lernende der dritten Fremdsprache oft über Vorkenntnisse im Französischen verfügen. Künftige Lehrwerke für Russisch als dritte Fremdsprache müssten sich in ihrer Konzeption jedoch noch deutlicher von denen für die zweite Fremdsprache unterscheiden. Die neue Lehrwerkgeneration für Russisch als zweite und dritte Fremdsprache 59 40 (2011) • Heft 2 3.4 Interkulturelle Kompetenzen Da Russland und russischsprachige Länder im Geographie- und Geschichtsunterricht kaum eine Rolle spielen, kann bei den Schülern wenig landeskundliches Wissen vorausgesetzt werden. So präsentieren die aktuellen Lehrwerke von der ersten Lektion an viele Informationen zu Land und Leuten. Dieses Hintergrundwissen ist Voraussetzung für interkulturelles Lernen und Perspektivenwechsel, die v.a. in den höheren Lernjahren und im Lehrwerk Vmeste für die Sekundarstufe II angeregt werden. Privet enthält im letzten Abschnitt jeder Lektion eine Seite „Informationen aus Russland“; ein ähnliches Angebot unterbreiten Dialog 1 und 2 in jeder Lektion im Abschnitt „Kaleidoskop“ in der Rubrik „Das ist interessant! “ In den ersten beiden Bänden von Dialog gibt Neznaika (Nimmerklug, eine literarische Figur aus einem beliebten russischen Kinderbuch) landeskundliche Hinweise, in Kone no übernimmt diese Aufgabe das Maskottchen Miška (ein Bär). Überhaupt wird in Kone no bewusst mit dem Symbol und Stereotyp des russischen Bären gespielt. So ist im 2. Band eine komplette Lektion dem Thema „Bären in Russland“ gewidmet. Zusätzlich liefert die Rubrik „Fenster nach Russland“ in Kone no Erklärungen zu Realien. Die neuen Lehrwerke zeichnen ein positives und modernes Russlandbild, das sicher auch ein Gegengewicht zu der überwiegend negativen Berichterstattung in den Medien darstellen soll. Betont werden Gemeinsamkeiten und Verbindendes, z.B. dass Jugendliche in Russland dieselben Hobbys, Interessen und Probleme wie deutsche Schüler haben oder dass man sich mit ähnlichen Problemen wie in Deutschland beschäftigt, z.B. mit Globalisierung, Internetabhängigkeit, ökologischen und ethischen Fragen. Die Vermittlung landeskundlicher Informationen wird im Sinne der Handlungsorientierung häufig mit kommunikativen Aufgaben, Aufträgen zur Befragung russischsprachiger Menschen im Umfeld der Schüler und mit Recherchen im russischen Internet verbunden. So sollen die Schüler die russischsprachigen Länder mithilfe der topographischen Karten von Russland und seinen Nachbarländern auf den inneren Umschlagseiten der Lehrwerke Dialog, Kone no und Privet erkunden. Andere Aufträge bestehen z.B. darin, die Wohnsituation in Russland und Deutschland zu vergleichen, einem Deutschen den kulturell geprägten russischen Wortschatz zu erklären, einem Russen zu nationalen Feiertagen zu gratulieren, in interkulturellen Situationen zu sprachmitteln oder Menschen in ihrem Umfeld zu befragen, was Russen an Deutschen schätzen und umgekehrt und diese Informationen vor der Klasse zu präsentieren. Die HRU liefern zusätzliche Erklärungen landeskundlicher und kultureller Besonderheiten zu den Texten und Aufgaben aus den Schülerbüchern. In den HRU zum Lehrwerk Vmeste wird der Beitrag zur interkulturellen Kompetenzentwicklung zu jedem Submodul explizit dargestellt. Bei diesen Zielen geht es darum, dass die Schüler Informationen darüber gewinnen, wie differenziert Russlands politisch-geografische und kulturelle Zugehörigkeit zu Europa von Personen des öffentlichen Lebens gesehen wird, sich alltagsbezogene Unterschiede zwischen Deutschland und Russland sowie 60 Grit Mehlhorn, Heike Wapenhans 40 (2011) • Heft 2 kulturell bedingte Unterschiede in den Einstellungen zu Erziehungsmethoden bewusst machen, für eine russische Sichtweise auf Deutschland sensibilisiert werden, Einblicke in das Schaffen einiger russischer Schriftsteller, Künstler, historischer und politischer Persönlichkeiten erhalten, sich unterschiedliche Haltungen zum Russischen innerhalb Russlands und darüber hinaus verdeutlichen, die vielfältigen Erscheinungen des „Russischen“ als Teil der europäischen Kultur erkennen, die länderübergreifende Problematik des Erhalts natürlicher Ressourcen begreifen, spezielle Maßnahmen zum Erhalt des Naturreichtums in Sibirien verstehen und befürworten, einige Verhaltensweisen russischer Bürger kennen und verstehen lernen, gegenseitige Stereotypen zwischen Russen und Deutschen wahrnehmen und kritisch reflektieren, eine eigene Position zu besprochenen Themen einnehmen, bestimmte Sachverhalte kritisch hinterfragen und interpretieren. Bei der Beschäftigung mit interkulturellen Themen kommen auch sensible Themen wie der Umgang mit Behinderten, die Ausbildung junger Eliteoffiziere in Russland, Probleme minderjähriger Mütter in Russland, Verschwendung von Energieressourcen und kritische Sichtweisen auf Phasen der jüngeren Geschichte zur Sprache, die in den früheren Lehrwerken noch tabu waren. Besonders hilfreich sind aus unserer Sicht Texte, die Perspektivenwechsel ermöglichen, z.B. wenn eine junge Russin von ihren Erfahrungen als Au-Pair-Mädchen in einer deutschen Familie oder ein deutscher Schüler von seiner ersten Russlandreise berichtet. Die zunehmende Sprachkompetenz der Schüler in den höheren Lernjahren gestattet auch die Auseinandersetzung mit interkulturellen Themen anhand von (längeren) literarischen Texten. In der neuen Lehrwerkgeneration wird zum ersten Mal die Tatsache berücksichtigt, dass am Russischunterricht auch Lernende mit russischsprachigem Hintergrund teilnehmen, die individuell ganz unterschiedliche Vorkenntnisse mitbringen. Alle Lehrwerke weisen in den HRU Differenzierungsangebote auf, wobei zwischen leistungsstarken Schülern, Schülern mit slawischem Hintergrund (sog. „Expertenschülern“) und leistungsschwächeren Schülern unterschieden wird. Zumeist handelt es sich hier um Zusatzangebote für die ersten beiden Gruppen und Erläuterungen notwendiger Zwischenschritte und Hilfsangebote für letztere. Möglichkeiten der Differenzierung ergeben sich weiterhin durch individuell wählbaren Zusatzwortschatz, Projektarbeit, Phasen des „Lernens durch Lehren“, bei der Simulation von Begegnungssituationen und der Prüfungsvorbereitung für den TRKI (zertifizierte Tests für Russisch als Fremdsprache). Die neue Lehrwerkgeneration für Russisch als zweite und dritte Fremdsprache 61 40 (2011) • Heft 2 3.5 Methoden- und Reflexionskompetenzen Deutlich sichtbar ist der Unterschied zwischen den früheren und den heutigen Lehrwerken im Umgang mit den Ergebnissen der individuellen Sprachlernentwicklung. Der Förderung von Methoden- und Selbstkompetenz, die den bewussten Einsatz von Lern- und Arbeitstechniken sowie die Dokumentierung von Selbstevaluierungs- und Selbstreflexionsprozessen beinhaltet, fühlen sich alle Lehrwerke verpflichtet. Dialog und Kone no weisen bereits in den Inhaltsverzeichnissen gesondert auf diese Bereiche hin und knüpfen direkt an lernstrategische Vorleistungen aus dem Muttersprach- und Englischunterricht an. Beide Lehrwerke integrieren die Entwicklung und Bewusstmachung entsprechender Verfahren und Lerntechniken in die einzelnen Lektionen: in Kone no unter dem Begriff „Strategien“, in Dialog unter „Lerntipps“, die dann noch einmal im Anhang in übersichtlicher Form für einen lektionsunabhängigen Zugriff aufgeführt werden. Der Bereich der Selbstreflexion und Selbsteinschätzung stellt in der aktuellen Lehrwerksgeneration eine wichtige Neuerung dar. Ihm wird sichtbar viel Raum zur Verfügung gestellt und das vorrangig in den AH, aber auch im SB wie in Dialog und Privet. Die dort für spezielle Abschnitte bzw. Rubriken verwendete Überschrift „Das kann ich schon“ greift Kone no für die Selbstbewertungsbögen im AH auf. Kone no bietet darüber hinaus in allen AH nach jeder Lektion jeweils eine Seite zur Selbstkontrolle an, die nicht nur Übungen zum Überprüfen des bereits Gelernten mit Hilfe gegebener Lösungen enthält, sondern auch einen gesonderten Abschnitt „Am Ende der Lektion kann ich schon...“ mit Antworten zum Ankreuzen. Alle Evaluierungsangebote sollen von den Schülern kopiert und im eigenen Portfolio abgeheftet werden. In den AH zu Dialog findet der Schüler sowohl speziell gekennzeichnete Testaufgaben als auch separate Testseiten nach den einzelnen Lektionen, die mit Lösungen und Hinweisen zum selbstständigen Wiederholen ausgestattet sind. Die heraustrennbaren Selbsteinschätzungsseiten „Mein Portfolio zu Dialog“ bilden das jeweilige Kompetenzprofil der Bände ab. Ein Extra-Portfolioabschnitt im SB von Dialog 3 präsentiert (Test-)Aufgaben, die den Schülern die Möglichkeit geben, ihre sprachliche Kompetenz im Lese- und Hörverstehen, Schreiben, Sprechen und in der Sprachmittlung selbstständig oder angeleitet durch den Lehrer zu ermitteln. Privet hält am Ende jeder Lektion seiner AH eine Seite zur Selbstüberprüfung mit Lösungen und Hinweisen zum selbständigen Arbeiten bereit. Vereinzelt lassen sich in den Lehrwerken Aufgabenangebote finden, die zur Reflexion über Erfolge und Schwierigkeiten eines Arbeitsprozesses anregen (z.B. Dialog 3, S. 24/ 3). Vmeste bietet seinen Nutzern eine Liste sprachlicher Mittel an, die zur Verbalisierung einer russischsprachigen Selbsteinschätzung in Bezug auf erbrachte Leistungen eingesetzt werden kann. Der durch den GeR initiierte Portfoliogedanke wird in Dialog, Kone no und Privet über die bereits genannten Portfolio- und Selbstevaluierungsseiten hinaus auch in den Anregungen für Dossier- und Projektaufgaben sichtbar, die durch spezielle Symbole gekennzeichnet sind. 62 Grit Mehlhorn, Heike Wapenhans 40 (2011) • Heft 2 4. Ausblick Die Stärken der neuen Lehrwerke liegen u. E. vor allem in der konsequenten Schülerorientierung, der deutlicheren kommunikativen und interkulturellen Ausrichtung der Themen, den zahlreichen Anregungen zu sprachenübergreifendem Lernen und der Einbeziehung sprachlicher Vorkenntnisse der Schüler, dem Bemühen um Authentizität und Aktualität, das auch in den neuen Textsorten und einer stärkeren Einbeziehung gesprochener Umgangssprache zum Ausdruck kommt, Ansätzen zu entdeckendem Lernen, das helfen kann, stabilere Behaltensleistungen bei den Schülern zu erzielen, den vielfältigen Angeboten zur Selbstreflexion und -evaluation. Sicher ist für die Verbesserung in diesen Bereichen die Tatsache mitverantwortlich, dass die Lehrwerkautoren praktizierende Russischlehrende, Fachdidaktiker und zum Teil auch erfahrene Lehrwerkautoren sind, die Bewährtes weiterentwickelt und sich auch an den Lehrwerken anderer Schulfremdsprachen orientiert haben. Entwicklungspotenzial steckt im Ausbau von Angeboten für die Binnendifferenzierung im Russischunterricht (vgl. M EHLHORN 2011) und der Weiterentwicklung von echten Lernaufgaben im Sinne des aufgabenbasierten Ansatzes. In künftigen Lehrwerken sollten neben Russland auch andere russischsprachige Länder und das Russische als lingua franca eine größere Rolle spielen. Wünschenswert wären zudem mehr Texte, die zur Relativierung der eigenkulturellen Perspektive beitragen. Die aktuellen Lehrwerke sind natürlich nicht identisch mit dem Russischunterricht, sondern vielmehr ein Angebot zur Unterrichtsgestaltung, das an die konkrete Unterrichtssituation und die Bedürfnisse der Schüler angepasst werden muss. Der Untersuchung der Frage, wie Lehrende und Lernende die neuen Lehrwerke nutzen, muss in der Russischdidaktik in den nächsten Jahren auf jeden Fall mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden. Literatur B EHR , Ursula (2010): „Zur Typologie von Übungen zum sprachenübergreifenden Lernen in der Sekundarstufe I.“ In: D OYÉ , Peter / M EIßNER , Franz-Joseph (Hrsg.): Lernerautonomie durch Interkomprehension. Promoting Learner Autonomy Through Intercomprehension. L’autonomisation de l’apprenant par l’intercompréhension. Tübingen: Narr, 107-116. E UROPARAT (2011) (Hrsg.): Gemeinsamer europäischer Referenzrahmen für Sprachen: Lernen, lehren, beurteilen. Berlin: Langenscheidt. F UCHS , Eckhardt / K AHLERT , Joachim / S ANDFUCHS , Uwe (2010) (Hrsg.): Schulbuch konkret. Kontexte - Produktion - Unterricht. Bad Heilbrunn: Klinkhardt. M EHLHORN , Grit (2011): „Differenzierung im Russischunterricht“. In: E ISENMANN , Maria / G RIMM , Die neue Lehrwerkgeneration für Russisch als zweite und dritte Fremdsprache 63 40 (2011) • Heft 2 Thomas (Hrsg.): Heterogene Klassen - Differenzierung in Schule und Unterricht. Baltmannsweiler: Schneider Verlag Hohengehren, 99-117. M EHLHORN , Grit / H EYER , Christine (Hrsg.) (2011): Russisch und Mehrsprachigkeit. Lehren und Lernen von Russisch an deutschen Schulen in einem vereinten Europa. Stauffenburg: Tübingen. M EHLHORN , Grit / W AHLICHT , Madlen (2011): „Mehrsprachigkeit im Russischunterricht aus Sicht der Lehrenden“. In: M EHLHORN / H EYER (Hrsg.), 33-69. W APENHANS , Heike (2011): „Mediation im Russischunterricht“. In: M EHLHORN / H EYER (Hrsg.), 23- 31. Lehrwerke A DLER , Iris / H EINZ , Maike / K ALLERHOFF , Hans Georg / K RÜGER , Daniel / L EHMANN , Olga / L ISCHITZKI , Tatjana / M ANEWITSCH , Maria / N ADCHUK , Elena / S ALZL , Christa / S CHINDLER , Christina / W IELANDT , Irmgardt (2009-2010): Privet! Bd. 1-2 (Schülerbuch, Arbeitsheft mit Hör- CD, Handreichungen für den Unterricht mit CD-ROM). Berlin: Cornelsen/ Volk und Wissen. A MSTEIN -B AHMANN , Christine / B ERTHELMANN , Rainer / B ORGWARDT , Ulf / B ROSCH , Monika / D ENISOVA -S CHMIDT , Elena / G ENTSCH , Danuta / J AKUBOW , Peter / L ASCHET , Rolf / O SSIPOVA - J OOS , Natalia / R EICHERT -B OROWSKY , Gisela / W ALACH , Evelyn / Z ENKER , Jacqueline (2008- 2011): Kone no. Russisch als zweite Fremdsprache. Bd. 1-4 sowie Kone no. Intensivnyj kurs. Russisch als dritte Fremdsprache. Bd. 1-2 (Schülerbuch, Arbeitsheft mit Hör-CD, Lehrerbuch mit CD-ROM, Grammatisches Beiheft, Vokabellernheft). Stuttgart/ Leipzig: Klett. B EHR , Ursula / B RAUNE , Claudia / B REITSPRECHER , Rima / B YKOWA , Katrin / G ÖTZ , Natalja / G RUNDMANN , Astrid / H OENACK , Anneliese / J IGALIN , Peter / K OLODZY , Elke / M ESCHKE , Antje / N EUMANN , Ulrike / P ESOTSKA , Yana / P OTAPOW , Ute / R ICHERT , Lena / S CHNEIDER , Martin / S CHUSTER , Monika / S EEFELDT , Heiko / S EEMANN , Gudrun / S EIDEL , Astrid / S TAHR , Roswitha / W APENHANS , Heike (2008-2011): Dialog. Bd. 1-4 (Schülerbuch, Arbeitsheft mit Lernergrammatik und Hör-CD, Handreichungen für den Unterricht mit CD-ROM, Hör-CD für Lehrer, Lernsoftware für Schüler (Bd. 1), Vokabellernheft). Berlin: Cornelsen/ Volk und Wissen. B ORGWARDT , Ulf (2008-2011): Kone no. Grammatisches Beiheft. Bd.1-4. Stuttgart/ Leipzig: Klett. H EYER , Christine / H ÄFELE , Georg / K UKHARENKO , Elena / N EUTHINGER , Gustav / S CHMIDT , Annelie / S AWALL -L OSENSKY , Ulrike / W ALTER , Harry (2010): Vmeste. Russisch für die Oberstufe (Schülerbuch, Handreichungen für den Unterricht, Audio-CD für Lehrer). Berlin: Cornelsen/ Volk und Wissen. W ALTER , Harry (2010): Dialog. Grammatik. Berlin: Cornelsen/ Volk und Wissen.