Fremdsprachen Lehren und Lernen
flul
0932-6936
2941-0797
Narr Verlag Tübingen
Es handelt sich um einen Open-Access-Artikel, der unter den Bedingungen der Lizenz CC by 4.0 veröffentlicht wurde.http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/121
2011
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Gnutzmann Küster SchrammOlaf JÄKEL: The Flensburg English Classroom Corpus (FLECC). Flensburg: Flensburg University Press 2010 (Flensburg Linguistics: Applied and Interdisciplinary Research; Band 3), 237 Seiten [15,50 €]
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Rolf Kreyer
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© 2011 Narr Francke Attempto Verlag 40 (2011) • Heft 2 B u c h b e s p r e c h u n g e n • R e z e n s i o n s a rti k e l Olaf J ÄKEL : The Flensburg English Classroom Corpus (FLECC). Flensburg: Flensburg University Press 2010 (Flensburg Linguistics: Applied and Interdisciplinary Research; Band 3), 237 Seiten [15,50 €] Das in Buchform vorgelegte, mehr als 56.000 Wörter starke FLECC-Korpus ist eine Transkript- Sammlung von Schulstunden im Fach Englisch, die von Lehramtsstudierenden im Rahmen von Blockpraktikumsveranstaltungen in der Lehrerausbildung an norddeutschen Grund-, Haupt-, Real- und Gesamtschulen gehalten wurden. Der Fokus bei Auswahl und Annotation der Materialien liegt nicht notwendigerweise auf der Erfassung von Lernersprache, sondern auf der Repräsentation von Unterrichtsvorgängen und der Interaktion von Lehrern und Schülern sowie der (sprachlichen und didaktischen) Beschreibung des Lehrerverhaltens. Insgesamt werden 39 Unterrichtsstunden repräsentiert. Hierbei sind die dritte und vierte Klasse (Klassenstufen, nicht Jahre an Englischunterricht) durch elf Transkripte (74 Seiten), die fünfte Klasse durch zehn Transkripte (52 Seiten), die sechste und siebte Klasse sowie die achte bis zehnte Klasse durch jeweils neun Transkripte (46 Seiten bzw. 36 Seiten) vertreten. Diesem Transkriptionsteil schließt sich ein kurzes Kapitel an, das einige Fragestellungen (mitsamt Literaturhinweisen) skizziert, die mithilfe des FLECC untersucht werden können. Die Transkriptionen basieren überwiegend auf einfacher Schriftsprache, um sie somit dem Lesenden intuitiv, ohne Kenntnis elaborierterer Transkriptionssysteme (etwa phonemische oder phonetische Transkription), zugänglich zu machen. Einige weitere Merkmale der Transkription werden exemplarisch an Beispiel (1) verdeutlicht: (1) 37 L: What is thick? Maybe somebody knows? 38 S: Heißt das nicht ‘dick’? 39 L: Ya, ‘dicht‘. In a thick jungle you can’t see through the trees. 40 [Tafel: thick = dicht] 41 9: 43 42 S: Darned? 43 L: Okay. This is a word you shouldn’t really use. 44 It’s the nicer form of ‘damn’. 45 S: [kni: z] 46 L: Knees. Don’t pronounce the ‘K’. (204-205) Wie aus dem obigen Beispiel ersichtlich, sind die Transkripte mit einigen Metakommentaren versehen wie zum Beispiel Zeilennummerierung, ‚Sprecheridentität‘ und (sporadisch eingefügte) Zeitangaben. Besondere Funktionen kommen den eckigen Klammern zu. Hier werden zum einen „kurze Beschreibungen des außersprachlichen Handlungskontexts von Lehrenden und Lernenden gegeben, die für das Verständnis des Unterrichtsgeschehens erforderlich sind, in selteneren Fällen auch wertende Kommentare“ (10). Zum anderen dienen die eckigen Klammern der Wiedergabe von auffälligen Fehlaussprachen in phonemischer Umschrift („L: Please [re s] your hand! “ 198). Darüber hinaus werden durch sie Auslassungen, akustisch Unverständliches und auffällige Pausen wiedergegeben. Eine weitere Art des Metakommentars ist die durchgängige Großschreibung von Worten zur Markierung besonders starker Betonung wie zum Beispiel „He WANTS to steal? Or DID he steal? “ (55). Nach Aussage des Autors dient das vorliegende Korpus hauptsächlich der „Hochschullehre im Rahmen der Ausbildung von Englischlehrerinnen und -lehrern“ (10). Es soll die Möglichkeit Buchbesprechungen • Rezensionsartikel 137 40 (2011) • Heft 2 bieten, „die deskriptive Leistungsfähigkeit theoretischer Modelle aus linguistischer Pragmatik, Sprechakttheorie sowie Konversations- und Diskursanalyse am authentischen Material und unter ganz berufspraktischer Perspektive ebenso [zu] erproben, wie die eigene Analyse- und Beurteilungskompetenz der Abläufe im Englischunterricht“ (10). Diesen Anspruch löst die vorliegende Publikation meines Erachtens weitestgehend ein. So bieten sich zum Beispiel vielfältige Möglichkeiten zur Analyse der Unterrichtsvorgänge. Auf globaler Ebene geben die vorliegenden Daten Einblick in die Gesamtorganisation von Unterrichtsstunden und größeren Unterrichtsphasen innerhalb einer Sitzung: Wie etwa werden die Schülerinnen und Schüler begrüßt, wie werden Arbeitsaufträge erteilt, wie werden Ergebnisse gesichert, wie wird der Unterricht beendet? Auf lokaler Ebene bieten die Daten u.a. Einblicke in die spezifischen Charakteristika von Sprecherwechseln im Unterrichtskontext, etwa die Abfolge von teacher initiation - student response - teacher feedback, wie sie in Beispiel (1; Zeilen 37-40) illustriert wird. Darüber hinaus gibt das Korpus einen Eindruck von typischen Schülerfehlern, illustriert aber auch, wie die studentische Lehrperson (oder auch andere Schüler) mit diesen Fehlern umgehen und inwieweit Korrekturen überhaupt von Schülern wahr- und angenommen werden - meines Erachtens eine der interessantesten Informationen, die sich aus dem Korpus herauslesen lassen. (2) 28 L: Stop! What happens first? 29 S: The boy bump into Tori. 30 L: He, she, it …! 31 S: The boy bump into Tori. 32 L: He, she, it …! 33 Wallet - I don’t remember. What was wallet? (197) Neben den eigentlichen Unterrichtsgesprächen gibt der Autor auch Beschreibungen des nichtsprachlichen Lehrer- und Schülerverhaltens. Hierdurch wird dem Leser die Möglichkeit gegeben, über ganz allgemeine methodisch-didaktische Aspekte des (Englisch-)Unterrichts zu reflektieren, etwa Gründe für das Entstehen von Unruhe im Klassenzimmer oder die (nicht-)professionelle Verwendung von Medien im Unterricht. In Einzelfällen sind diese Beschreibungen sehr stark wertend und zeigen einen Sprachgebrauch, der der Textsorte nicht immer angemessen ist. So kommentiert der Autor zum Beispiel an einer Stelle: „L macht sich am OHP zu schaffen, der seit Beginn eingeschaltet war. L schiebt eine Folie vom Londoner U-Bahn-Netz hin und her, hoffnungslos, da die Projektionsfläche an der Wand recht klein ist; auf die Idee, den Abstand des OHP zu verändern, kommt sie nicht“ (182f.). An anderen Stellen wird das Abspielen eines Musikstücks als „irre laut“ (172) oder das Vorlesen der Lehrperson mit „nicht eben langsamer und ähnlich tonlos“ (149) beschrieben. Eine Schwäche des Korpus liegt meines Erachtens darin, dass gelegentlich der Anteil an eckigen Klammern sehr hoch ist. Aus diesem Grund ist es manchmal nur bedingt möglich, einen Eindruck von den Redeanteilen von Lehrpersonen bzw. Schülerinnen und Schülern zu gewinnen. Auch wird es dadurch schwierig, dem Rat des Autors zu folgen und zu versuchen, „sich anhand der Transkripte das Geschehen in einer realen Schulklasse vorzustellen“ (12). In wenigen Fällen ist die Anzahl an eckigen Klammern so hoch, dass eine Analyse des vorliegenden Materials nicht mehr möglich erscheint, wie in Beispiel (3) illustriert wird. Solche Passagen sind im vorliegenden Material glücklicherweise selten. (3) 107 S: And tea help him. 108 L: Helps him. 109 […] 110 L: So why did he feel better? 111 […] 138 Buchbesprechungen • Rezensionsartikel 40 (2011) • Heft 2 112 L: Was that immediately? 113 […] 114 L: Okay, thank you. - Carol Baker? (210) Ganz allgemein wäre es sinnvoll gewesen, die Systematik hinter dem Erfassen, der Auswahl und der Annotation der Materialien transparent zu machen: so wird zum Beispiel nicht deutlich, warum manche Textpassagen ausgelassen bzw. umschrieben werden. Mitunter werden vorgelesene Schülertexte vollständig wiedergegeben (zum Beispiel Seite 182), in anderen Fällen werden sie gekürzt („Der Beitrag geht noch einige Sätze weiter, in ganz erstaunlich gutem Englisch.“ 201) oder es wird nur auf sie verwiesen („Dritte Gruppe liest vor, zwei Mädchen, derb deutsche Intonation.“ 203). In ähnlicher Weise bleibt die Gewichtung der verschiedenen Altersgruppen unmotiviert. Zwar werden alle Altersstufen durch eine ähnliche Zahl von Transkripten repräsentiert, es zeigt sich aber eine deutliche Überrepräsentation jüngerer Lernergruppen. So sind zum Beispiel die Klassen 3-4 mit der doppelten Anzahl an Seiten vertreten wie die Klassen 8-10 (74 und 36 Seiten). Die gymnasiale Oberstufe ist überhaupt nicht erfasst. Zur abschließenden Bewertung ist zunächst festzuhalten, dass das vorliegende Korpus mit seiner Fokussierung auf Unterrichtsgespräche und -vorgänge des Mittelstufenenglischunterrichts eine Lücke in der korpuslinguistischen Landschaft füllt. Gleichzeitig sollte aber darauf hingewiesen werden, dass es sich beim FLECC nicht um ein Lernersprachekorpus im Sinne eines ICLE oder LINDSEI handelt. Zur quantitativen Analyse von Lernersprache ist das FLECC meines Erachtens nur sehr bedingt geeignet (und soll es vielleicht auch gar nicht sein). Den eingangs zitierten Hauptzweck „der Verwendung für die Hochschullehre im Rahmen der Ausbildung von Englischlehrerinnen und -lehrern“ (10) hingegen erfüllt die vorliegende Publikation. Das Korpus gibt einen guten Einblick in die Unterrichtsrealität, es illustriert verschiedene Fehlertypen und zeigt Beispiele eines adäquaten (und auch eines inadäquaten) Umgangs mit ihnen. Einschränkend muss jedoch bemerkt werden, dass sämtliche Unterrichtsstunden von Lehramtsstudierenden des Schulfaches Englisch im Hauptstudium durchgeführt wurden. Wünschenswert, gerade im Sinne eines (auch vom Autor angesprochenen) Consciousness Raising, wäre die Möglichkeit eines Vergleichs von sich in der Ausbildung befindlichen und fertig ausgebildeten Lehrern. Ebenso wäre eine Erweiterung des Materials auf die gymnasiale Oberstufe sinnvoll. Es ist zu hoffen, dass die in der Einleitung des Buches in Aussicht gestellte Erweiterung des Materials diese Desiderate erfüllt. Die gewählte Form der schriftlichen Repräsentation mag in mancherlei Hinsicht anderen Formen (etwa Audio- oder Videomitschnitten) unterlegen sein, sie erleichtert aber die Fokussierung auf die im eigentlichen Sinne sprachlichen Vorgänge beim Unterrichtsgeschehen. Zudem bringt sie auch unbestreitbar Vorteile für die Verwendung des Materials im universitären Unterricht, etwa den simultanen Vergleich verschiedener Teile des Korpus oder die leichtere Verwendung in Gruppenarbeiten. Dennoch wäre eine zusätzliche elektronisch recherchierbare Fassung des Korpus, eventuell mit methodischdidaktischer Annotation, wünschenswert. Ungeachtet der obigen kritischen Anmerkungen halte ich FLECC für all jene empfehlenswert, die auf der Suche nach Materialien für die Analyse und Reflexion des englischen Fremdsprachenunterrichts sind. Nicht zuletzt auch aufgrund des sehr günstigen Preises von 15,50 € und/ oder der Möglichkeit, das Korpus im PDF-Format von der Homepage des Autors herunterzuladen, kann getrost auf die hier vorgelegten Transkripte zurückgegriffen werden. Meines Erachtens ermöglicht das Korpus die Bearbeitung vielfältiger didaktisch-methodischer Fragestellungen und kann in vielerlei Art und Weise Gewinn bringend in der Ausbildung von Englischlehrkräften eingesetzt werden. Marburg R OLF K REYER
