eJournals Fremdsprachen Lehren und Lernen 40/2

Fremdsprachen Lehren und Lernen
flul
0932-6936
2941-0797
Narr Verlag Tübingen
Es handelt sich um einen Open-Access-Artikel, der unter den Bedingungen der Lizenz CC by 4.0 veröffentlicht wurde.http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/121
2011
402 Gnutzmann Küster Schramm

Karlfried KNAPP, Barbara SEIDLHOFER (in cooperation with Henry WIDDOWSON) (eds.): Handbook of Foreign Language Communication and Learning. Berlin: Mouton de Gruyter 2009 (Handbooks of Applied Linguistics, Vol. 6), 730 Seiten [Hardcover 198,00 €; Paperback 39,95 €; eBook 220,00 €]

121
2011
Dirk Stepmann
flul4020141
Buchbesprechungen • Rezensionsartikel 141 40 (2011) • Heft 2 Ein kurzer Ausblick am Ende der Publikation, in dem eine zeitgemäße, schülerorientierte Fehlerdidaktik gefordert und ansatzweise dargelegt wird, lässt hoffen, dass Bohnensteffen sein Dissertationsthema nicht ad acta legt, sondern hier für die Praxis weitere Konkretisierungen und Ideen folgen lässt. Bochum K ARIN K LEPPIN Karlfried K NAPP , Barbara S EIDLHOFER (in cooperation with Henry W IDDOWSON ) (eds.): Handbook of Foreign Language Communication and Learning. Berlin: Mouton de Gruyter 2009 (Handbooks of Applied Linguistics, Vol. 6), 730 Seiten [Hardcover 198,00 €; Paperback 39,95 €; eBook 220,00 €] Dem derzeitigen engouement für Handbücher kann sich auch die Angewandte Linguistik nicht verschließen. Besonders erfreulich ist dabei, dass es mit Karlfried K NAPP und Barbara S EIDLHOFER zwei deutschsprachigen Wissenschaftlern gelungen ist, ein Handbuch herauszugeben, das sich mit internationalen Vergleichsprodukten messen kann und dabei auch nichtenglischsprachige Autoren zu Wort kommen lässt (zur Problematisierung dieses Umstandes s.u.). In ihrer allgemeinen Einleitung zu der Handbuchreihe nehmen die Herausgeber Karlfried K NAPP und Gerd A NTOS eine Definition des Gegenstandsbereichs vor. Im Einklang mit C ANDLIN / S ARANGI (2004) kommen sie zu dem Schluss, dass Angewandte Linguisten eine „community of practice“ bilden, deren gemeinsames Merkmal die Suche nach Problemlösungen ist. Angewandte Linguistik leistet damit einen kritisch-reflexiven Beitrag zur Verbesserung einer von Natur aus „suboptimalen“ sprachlichen Interaktion, und zwar z.B. durch Bildungs- oder Beratungsmaßnahmen. Dementsprechend zielt die Handbuchreihe nicht auf eine umfassende Darstellung angewandt-linguistischer Themenfelder, sondern versucht vielmehr den Nachweis zu erbringen, dass die Angewandte Linguistik ein wissenschaftlich fundiertes Verständnis eines breiten Spektrums an Problemen sowie Instrumente für deren Lösung anbieten kann. Die 24 Artikel des Handbuchs, das damit an Umfang vergleichbaren Werken wie dem „Handbuch Fremdsprachendidaktik“ 1 keinesfalls gleichkommt, werden dieser Zielsetzung gerecht. Der weite thematische Bogen spannt sich von einer Begriffsbestimmung des Wortes „Fremdsprache“ über die kognitiven, sozialen und politischen Dimensionen der Mehrsprachigkeit sowie die Relevanz zweitsprachenerwerbsforscherischer und linguistischer Erkenntnisse für den Fremdsprachenunterricht bis hin zu Fragen der Curriculumentwicklung, der Methodik und der Evaluation von Fremdsprachenlernprozessen. Aus Platzgründen muss darauf verzichtet werden, sämtliche Artikel des Bandes Revue passieren zu lassen; die Auswahl liegt subjektiv in der Interessenlage des Rezensenten begründet. Allen Artikeln kann eine hohe Aktualität und die Sichtung eines breiten Literaturspektrums bescheinigt werden; mit Ausnahme des Artikels von W IDDOWSON erfüllen sämtliche Artikel auch das Kriterium der sachlichen und wissenschaftlichen Maßstäben genügenden Abwägung verschiedener Positionen. So gelingt es Willis E DMONDSON auf der Grundlage langjähriger Erfahrung in der Sprachlehrforschung und breiter Literaturkenntnis, eine mit überlegener Sachlichkeit geführte Abhandlung zum Thema „Sprachbewusstheit/ Sprachbewusstsein“ (language awareness) zu liefern. Er zeigt, dass es sich um einen schillernden Begriff handelt, der in unterschiedlichen Forschungstraditionen sehr verschiedene Konzeptualisierungen erfahren hat und in seinen Ur- 1 H ALLET , Wolfgang / K ÖNIGS , Frank G. (Hrsg.): Handbuch Fremdsprachendidaktik. Seelze-Velber Kallmeyer/ Klett 2010. 142 Buchbesprechungen • Rezensionsartikel 40 (2011) • Heft 2 sprüngen in der britischen Erziehungswissenschaft praktisch keinen Bezug zur Fremdsprachendidaktik aufwies. E DMONDSON geht daher nicht weiter auf diese Ursprünge ein, sondern nimmt drei Forschungsrichtungen in den Blick, die für das Zweitsprachenlernen von größerer Relevanz sind: die Rolle expliziter Wissensbestände über bestimmte Merkmale der Fremdsprache (Sprachbewusstheit), die Funktion kulturspezifischen Wissens (kulturelle Bewusstheit) und die Bedeutung von Wissen über den Lernprozess (Sprachlernbewusstheit). Sehr erhellend ist dabei der hieb- und stichfeste Nachweis, dass explizites Wissen über die Zielsprache und Sprachbewusstheit nicht unterschieden werden können. Ebenso beeindruckend ist die Gegenüberstellung des kommunikativen und bildungsorientierten Modells von Fremdsprachenunterricht und die Erkenntnis, dass zahlreiche Schriften beide Ebenen unzulässig vermengen. Mit der zentralen Frage des Verhältnisses von linguistischer Modellierung von Sprache und Fremdsprachenlehre befasst sich Henry W IDDOWSON . Er zieht dabei insbesondere in Zweifel, dass Beschreibungen von Sprache für den Fremdsprachenunterricht auf linguistischer Basis erfolgen sollten bzw. mit linguistischen Verfahren (z.B. Korpusanalyse) eruierte sprachliche Vorkommen als kommunikativ relevante Beispiele in den Unterricht transferiert werden können. Dabei begeht er mehrere fundamentale Denkfehler: Erstens erhebt er H YMES ‘ Beschreibung der Urteilsfähigkeit eines kompetenten Sprechers auf vier Ebenen (Möglichkeit, Machbarkeit, Angemessenheit, tatsächliche Performanz) zum absoluten Maßstab, um dann zu dem Schluss zu gelangen, dass die Forderung von Korpuslinguisten nach authentischen Daten nur der vierten Ebene (Performanz) gerecht wird. Dabei übersieht er, dass die Darstellung H YMES ‘ letztlich nur alternative sprachwissenschaftliche Sichtweisen auf Daten spiegelt, von denen die meisten jedoch wissenschaftstheoretisch nicht haltbar sind, da sie den Vergleich von „non-events“ 2 implizieren. Zweitens versucht er anhand einiger Wörterbuchauszüge zu zeigen, dass reale Vorkommen von Sprachdaten nicht als didaktische Beispiele taugen. Letztlich zeigt seine Argumentation aber nur, dass die von ihm ausgewählten Beispiele nicht allen Kriterien für Beispiele genügen, die gute lexikographische Praxis erfordern würde. 3 Gleiches gilt für die Behauptung einer angeblichen Kontextfreiheit authentischer Beispiele, da der ursprüngliche Kontext im Klassenraum nicht repliziert werden kann. Ein ganz deutliches Gegenbeispiel stellt hier die Kopplung von Film- und anderen Korpusdaten dar, aber auch andere Formen von Daten sind natürlich kontextuell situiert. Die antagonistische und stark dichotomisierende Haltung, die W IDDOWSON einnimmt („one can only conclude that from the pedagogic point of view, it is in fact the exclusive use of authentic language that ‘will always be faulty’“), baut also auf falschen Prämissen auf; anzustreben ist eine möglichst genaue Passung von authentischen Daten und pädagogischem Kontext. Geradezu absurd klingt die Aussage, dass „it is pointless to present learners with real language if they are not at a stage of learning which would enable them to process it […]“. Eine (durchaus zumindest in der Geschwindigkeit ihres Ablaufs) beeinflussbare Sequenzierung des Lernprozesses ist bisher nur für grammatische Merkmale der ZS nachgewiesen worden, nicht aber für lexikalische. Damit gilt, dass zumindest lexikalische Elemente in voller Authentizität präsentiert werden können; würde W IDDOWSON andere Sprachen als das Englische (z.B. Russisch, Arabisch) in den Blick nehmen, würde ihm darüber hinaus sofort aufgehen, dass es wohl kaum möglich ist, artifizielle Beispiele so zu konstruieren, dass sie noch irgendeinen Sinn machen und keine komplexeren grammatischen Elemente (z.B. 2 DE B EAUGRANDE , Robert (ohne Jahr): „‘Corporate Bridges’ Twixt Text and Language: Twenty Arguments against Corpus Research And Why They're a Right Load of Old Codswallop‘“. Internet: http: / / www. beaugrande.com/ Corporate%20Bridges.htm. 3 Vgl. S IEPMANN , Dirk: „Collocations and examples: their relationship and treatment in a new corpusbased learner’s dictionary“. In: Zeitschrift für Anglistik und Amerikanistik 3 (2007), 235-260. Buchbesprechungen • Rezensionsartikel 143 40 (2011) • Heft 2 Deklinationsendungen, Wortstellungsphänomene) enthalten. Schließlich hätte man sich zumindest ansatzweise eine Demonstration gewünscht, wie denn nun ein pädagogisch sinnvolles nichtauthentisches Beispiel, das noch dazu auf die Lernstufe abgestimmt ist, im Gegensatz zu einem authentischen (! ) aussehen soll. Diese Demonstration bleibt W IDDOWSON schuldig. Martin B YGATE bietet einen kritisch abwägenden Überblick über die Entwicklung der Sprechfertigkeit. Einleitend weist er zu Recht auf die Zersplitterung dieses Forschungsfeldes hin, in dem einige Forscher die Sprechsprache in erster Linie als „Fenster“ auf die Sprachentwicklung betrachten, während andere die sprachlichen Merkmale derselben auf korpuslinguistischer Basis zu ermitteln versuchen und wieder andere den pädagogischen Nutzen von Sprechaktivitäten bzw. -aufgaben in den Blick nehmen. Nach einem Überblick über die Rolle des Sprechens in der Geschichte des Fremdsprachenunterrichts (in dem allerdings die frühe Geschichte ausgeblendet wird) geht B YGATE auf die typischen Merkmale gesprochener Sprache und die sozialen und kognitiven Prozesse, die beim Sprechen eine Rolle spielen, ein und gelangt dabei zu einer differenzierten Beurteilung des inzwischen klassischen Modells von L EVELT . Die Prozessdarstellung dient ihm dann als Folie zur Verdeutlichung des Verhältnisses zwischen lernerseitigen Prozessen und Lehr-/ Lernarrangements; dabei stellt B YGATE heraus, dass kommunikative Aktivitäten im Gegensatz zu Übungen eine eigenständige „konzeptuelle“ Verarbeitung erfordern, erliegt aber nicht - wie mancher deutsche Fremdsprachendidaktiker - der Versuchung, daraus die Überlegenheit derartiger Übungsformen für den Fremdsprachenerwerb zu folgern. Ebenso gelungen ist der Artikel von Claus G NUTZMANN zum Thema Fachsprache vs. Allgemeinsprache. Im Gegensatz zu einigen anderen Artikeln in diesem Band liefert G NUTZMANN einen durchweg verständlichen Überblick über die zentralen Fragen des Gebiets, der auch Studierenden als Einstieg in die Materie dienen kann. In seiner einleitenden Definition hebt G NUTZMANN die unterschiedlichen Traditionen der Beschäftigung mit Fachsprache diesseits und jenseits des Atlantiks hervor; während anglo-amerikanische Autoren sich vor allem mit der Vermittlungsfrage befassen, ist die europäische Fachsprachenforschung breiter angelegt und bezieht z.B. Terminologieforschung und Übersetzung mit in ihre Überlegungen ein. Es folgt eine Beschreibung der sprachlichen Merkmale von Fachsprache hinsichtlich Morphosyntax, Wortschatz und Diskurs und ein geschichtlicher Überblick über verschiedene Strömungen in der Fachsprachenforschung. Die besondere Verfasstheit von Fachsprache und die jeweils sehr unterschiedlichen institutionellen Kontexte bedingen schließlich eine differenzierte Lehre; G NUTZ - MANN geht dabei insbesondere auf den Fachunterricht in der Fremdsprache sowie Englisch als Wissenschaftssprache und als Lingua Franca ein. Dabei kommt er zu dem Schluss, dass insbesondere mit Bezug auf die Schriftsprache die weitestgehende Einhaltung muttersprachlicher Normen unentbehrlich ist. Das Handbuch selbst zeigt leider an zahlreichen Stellen, dass die Kommunikation zusammenbricht, wenn muttersprachliche Normen nicht eingehalten werden. Allein auf den ersten drei Seiten der allgemeinen Einleitung zur Handbuchreihe finden sich zahlreiche Elementarfehler, die in ihrer Kumulation zumindest störend wirken, z.B. Tempusfehler, falscher Artikelgebrauch („and, above all, in economy“ [v]), unangemessene und unverständliche Wortkombinationen („the dominance of application that applied sciences are subjected to“ [vi]), Zeichensetzungsfehler („but despite such shifts in focus: “ [vi]) und syntaktische Probleme („the narrowing down the focus“ [viii]) usw. Erschwerend kommen unverständliche Stellen in manchen Artikeln hinzu; der Artikel von Konrad E HLICH zum Thema „What makes a language foreign? “ weist in fast realsatirischer Weise all jene Merkmale von „foreignness“ auf, die man von inkompetenten deutschen Schreibern des Englischen erwartet; manche Sätze sind völlig missraten oder unverständlich (z.B. „These demands [for multilingualism, D.S.] are often in conflict with the present 144 Buchbesprechungen • Rezensionsartikel 40 (2011) • Heft 2 day neglect of foreign language learning which is doomed to oblivion of other languages by reference to one single global language“). Als Aushängeschilder einer mit Sprache befassten Disziplin sollten Handbücher einer gewissenhafteren sprachlichen Kontrolle unterliegen; manches medizinische oder wirtschaftswissenschaftliche Handbuch mit deutscher Autorenschaft enthält weniger Fehler dieser Art und ist daher verständlicher. Osnabrück D IRK S IEPMANN