eJournals Fremdsprachen Lehren und Lernen 41/1

Fremdsprachen Lehren und Lernen
flul
0932-6936
2941-0797
Narr Verlag Tübingen
Es handelt sich um einen Open-Access-Artikel, der unter den Bedingungen der Lizenz CC by 4.0 veröffentlicht wurde.http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/61
2012
411 Gnutzmann Küster Schramm

Dietmar RÖSLER, Nicola WÜRFFEL: Online-Tutoren. Kompetenzen und Ausbildung. Tübingen: Narr 2010 (Giessener Beiträge zur Fremdsprachendidaktik), 259 Seiten [29,00 €]

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2012
Udo Ohm
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41 (2012) • Heft 1 © 2012 Narr Francke Attempto Verlag B u c h b e s p r e c h u n g e n • R e z e n s i o n s a rti k e l Dietmar R ÖSLER , Nicola W ÜRFFEL : Online-Tutoren. Kompetenzen und Ausbildung. Tübingen: Narr 2010 (Giessener Beiträge zur Fremdsprachendidaktik), 259 Seiten [29,00 €] „Dieses Buch versteht sich als empirischer Beitrag zur Erforschung der Online-Tutorierung, bezogen auf die Tutorierung von Fremdsprachenlernprozessen.“ (14). Die Autoren machen damit auf zwei zentrale Ansatzpunkte ihrer Arbeit aufmerksam: Erstens wird die Frage, über welche Kompetenzen Tutoren im Sinne einer Professionalisierung ihrer Tätigkeit verfügen sollten, mangels empirischer Untersuchungen häufig immer noch eher normativ beantwortet (vgl. 36 f). Zweitens bezieht sich die überwiegende Zahl der Beiträge und empirischen Untersuchungen zur Online-Tutorierung nicht auf das Fremdsprachenlernen. Fremdsprachenlernspezifische Aussagen zur Wirkung tutorieller Aktivitäten und zu entsprechenden Kompetenzen von Tutoren liegen in systematischer Form bisher nicht vor. Die Autoren wollen deshalb zum einen durch empirisch gestützte Aussagen zur allgemeinen Diskussion um jene Kompetenzen, die Online-Tutoren benötigen, beitragen, zum anderen wollen sie „anhand der Analyse der Daten aus der Ausbildung von Fremdsprachenlehrenden an der Universität Gießen für das Fach Deutsch als Fremdsprache auch zeigen, wie die Komponente Online-Tutorierung in die Ausbildung so integriert werden kann, dass sie die Spezifika des ‚spezifischen Anforderungsbereichs‘ ernst nimmt“ (50). Die vorgelegte Untersuchung bezieht sich auf das Gießener Elektronische Praktikum (GEP), das Studierenden des Faches Deutsch als Fremdsprache (DaF) auf der Basis von Kooperationen mit ausländischen Partnern möglichst früh im Studium Lehrerfahrungen ermöglichen soll (Kapitel 1, 17-24). Die Untersuchungsdaten wurden im Rahmen von E-Mail-Tutorien mit Deutsch- Studierenden einer US-amerikanischen Universität erhoben, die zwischen 2002 und 2005 durchgeführt wurden (19). Neben den E-Mail-Daten standen v.a. die Austauschtagebücher und Praktikumsberichte der Tutoren, abschließende Leitfadeninterviews mit den Tutoren sowie Aufnahmen von Reflexionsprozessen aus dem Begleitseminar zur Verfügung. In ihrer - m.E. viel zu kurzen - Darstellung zum Forschungsdesign (22-24) geben die Autoren an, „im Sinne der Methode des theoretischen Samplings“ gearbeitet zu haben, ohne allerdings zu erläutern, wie sie dabei vorgegangen sind (24). Im Sinne der Grounded Theory (GT) müsste der Prozess der Datenerhebung durch eine sich entwickelnde Theorie kontrolliert worden sein (G LASER / S TRAUSS 1967, 45 1 ). Unklar ist auch, warum nicht fallbezogen vorgegangen wurde. Bereits die im Buch abgedruckten Ausschnitte aus den Tagebüchern und den Leitfadeninterviews machen „Appetit“ auf eine Gesamtbetrachtung der Fälle, deren Rekonstruktion dann die Basis für kontrastive Analysen nach dem Prinzip des minimalen und des maximalen Vergleichs hätte liefern können. Eine konsequent die Perspektive der Tutoren rekonstruierende Analyse wäre jedoch auch über den von den Autoren verwendeten Ansatz der Qualitativen Inhaltsanalyse (23) hinausgegangen, deren Produktivität in Kombination mit qualitativen Verfahren im Umfeld der GT aber ohnehin fraglich ist (z.B. P RZYBORSKI / W OHLRAB -S AHR 2010, 183 2 ). Im zweiten Kapitel erläutern die Autoren, dass sie einen explorativ-interpretatorischen Ansatz verfolgen und auf Kategorisierungen aus vorliegenden Kompetenzkonstrukten nur aus heuristischen Gründen zurückgreifen. Ihr Ziel sei es „Hinweise auf handlungsleitende Kompeten- 1 Barney G. G LASER , Anselm S TRAUSS (1967): The Discovery of Grounded Theory: Strategies for Qualitative Research. Chicago: Aldine. 2 Aglaja P RZYBORSKI , Monika W OHLRAB -S AHR (2010): Qualitative Sozialforschung. Ein Arbeitsbuch. 3., korr. Aufl. München: Oldenbourg. 116 Buchbesprechungen • Rezensionsartikel 41 (2012) • Heft 1 zen“ in den Daten zu finden und auf diese Weise Ansätze für ein empirisch begründetes Kompetenzmodell für Online-Tutoren aufzuzeigen. Im dritten Kapitel konzentrieren sich R ÖSLER / W ÜRFFEL auf die soziale Kompetenz der Online-Tutoren. Dieser Kompetenz kommt insofern eine Schlüsselfunktion zu, als beim Tutoring unter Online-Bedingungen die Gestaltung der Beziehung zwischen Tutoren und Tutees eine besondere Herausforderung darstellt. Es gibt zur Frage der Beziehungsgestaltung in telekollaborativen Austauschprojekten vor allem in der anglo-amerikanischen Forschung Vorarbeiten, die zeigen, dass Online-Medien spezifische Formen der Interaktion, Kommunikation und Begegnung etablieren, sodass Online-Kooperationen, die eine gewisse Verbindlichkeit bezüglich der Ausgestaltung der Lehr-/ Lernbeziehung zwischen den Beteiligten anstreben, fachlich vorbereitet, begleitet und nachbereitet werden müssen (z.B. B ELZ / K INGINGER 2002 3 ; W ARE / K RAMSCH 2005, 202 f 4 ). Die Analysen des vorliegenden Bandes bestätigen die Bedeutung dieser Problematik für wichtige Bereiche des Online-Tutorings. Die zentrale Herausforderung für die Online-Tutoren besteht offenbar darin, die Erfahrung der Problematik des Changierens zwischen einer persönlichen und einer formellen Beziehung zu reflektieren und bewusst für die didaktische Gestaltung der verschiedenen Phasen des Tutoriums zu nutzen. In diesem Zusammenhang zeigen R ÖSLER / W ÜRFFEL auch auf, wie sich Tutoren mit der Motivation ihrer Tutees, mit Maßnahmen zur deren Motivierung und mit dem mangelnden Erfolg ihrer Motivierungsmaßnahmen auseinandersetzen. Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass Tutoren - vermutlich durch die Bedingungen der Online-Kommunikation verstärkt (vgl. 109) - nicht nur in Bezug auf die Bewertung der Motivation ihrer Tutees, sondern auch hinsichtlich geeigneter Maßnahmen zur Motivierung zu starker Verunsicherung, zum Teil sogar zu Frustration neigen. Mit Blick auf die didaktisch-methodische Ebene zeigen R ÖSLER / W ÜRFFEL im vierten Kapitel u.a., dass sich die Tutorien unter den offenen Rahmenbedingungen des GEP nicht von vornherein an einem Lehrwerk oder einem Curriculum orientieren. Vielmehr müsse die Frage, welche Gegenstände im Tutorium wie behandelt werden, zwischen den jeweiligen Tutoren und Tutees „ausgehandelt“ werden (122). Aus der Analyse der Probleme, welche die Online-Tutoren bei der Themenwahl, -einführung und -fortführung hatten, leiten die Autoren in der Ausbildung von Online-Tutoren zu berücksichtigende fachübergreifende Kompetenzen für die Bereiche Kommunikationsstrategie und affektive Ansprache ab. Am Beispiel der Verwendung und Behandlung von Aufgaben und Übungen wird deutlich, dass fehlende begriffliche Differenzierungsfähigkeit und mangelnde Fähigkeit, didaktische Funktionen und Einsatzmöglichkeiten zu reflektieren, die Handlungsfähigkeit der Tutoren beeinträchtigt, da diese ihr Handlungsrepertoire nicht überblicken (vgl. 165 f). Im fünften Kapitel beschäftigen sich R ÖSLER / W ÜRFFEL mit der Ausbildung von Online-Tutoren am Beispiel des GEP. Unter Berufung auf „Prinzipien des reflektierenden Erfahrungslernens, des forschenden und des entdeckenden Lernens“ (230) schreiben sie dem Begleitseminar die Funktion zu, Raum für die gemeinsame Reflexion der frühen, nicht selten verunsichernden Praxiserfahrungen bereitzustellen und Gelegenheit zur Erarbeitung von Wissen zu relevanten Schwerpunktthemen zu geben (233-244). Im Schlusskapitel gehen R ÖSLER / W ÜRFFEL nochmals auf die Frage einer gewinnbringenden Kombinierbarkeit von Theorie und Praxis im Sinne des Erfahrungslernens ein. Sie resümieren, 3 Julie A. B ELZ , Celeste K INGINGER (2002): „The cross-linguistic development of address form use in telecollaborative language learning: Two case studies“. In: The Canadian Modern Language Review 59.2, 189-214. 4 Paige D. W ARE , Claire K RAMSCH (2005): „Toward an intercultural stance: Teaching German and English through telecollaboration“. In: The Modern Language Journal 89.2, 190-205. Buchbesprechungen • Rezensionsartikel 117 41 (2012) • Heft 1 dass die Sensibilisierung in der Praxisphase im Kern darin besteht, die Realität der Lehr-/ Lernpraxis entgegen den eigenen Vorannahmen „als überraschend widerspenstig und ‚komplizierter als angenommen‘ [zu] erfahren“ (246). Das konnten die Autoren auf der Basis ihrer Daten für eine ganze Reihe von Aspekten der Durchführung des Online-Tutoriums nachweisen. Als Fazit möchte ich festhalten, dass ich vor allem die Darstellungen zur Auseinandersetzung der Online-Tutoren mit den Anforderungen, mit denen sie vermeintlich oder tatsächlich konfrontiert werden, instruktiv und anregend fand. Diese Ergebnisse können sicherlich als Ausgangspunkt für die Ermittlung von Professionalisierungsbedarfen mit Blick auf die Kompetenzen von Online-Tutoren dienen. Insgesamt habe ich allerdings den Eindruck, dass die doppelläufige Zielsetzung der Arbeit, zum einen auf der Basis empirischer Forschung einen Beitrag zur Diskussion um Kompetenzen von Online-Tutoren im fremdsprachendidaktischen Kontext und zum anderen einen didaktisch-konzeptionellen Beitrag zur Frage, wie auf der Basis der Ergebnisse dieser Forschung die Ausbildung für Online-Tutoren gestaltet werden müsste, zu liefern, zu ambitioniert geraten ist. Ich denke, dass eine Fokussierung auf den empirischen Forschungsteil mit einer Eingrenzung des Gegenstandes auf die fallanalytische Rekonstruktion der Erfahrungen, welche die Tutoren im Online-Tutorium gemacht haben, mit Blick auf die von den Autoren selbst bemängelte Forschungslage konsequenter und produktiver gewesen wäre. Trotz dieser kritischen Hinweise bin ich der Meinung, dass R ÖSLER / W ÜRFFEL mit dem vorliegenden Band einen wichtigen Beitrag zu einer stärker auf die Spezifika der Fremdsprachendidaktik orientierenden Diskussion um Kompetenzen von Online-Tutoren vorgelegt haben. Das Buch vermittelt exemplarisch einen sehr guten Eindruck von der potenziellen Produktivität von Online-Tutorien für die Professionalisierung von angehenden Lehrkräften, aber auch von den didaktischen Herausforderungen, die sich aus der Notwendigkeit einer fachlichen Begleitung einer solchen Praxisphase ergeben. Insofern kann es allen, die sich mit dem Bereich des Online- Lehrens und -Lernens von Fremdsprachen beschäftigen, als anregende Lektüre empfohlen werden. Bielefeld U DO O HM Laurenz V OLKMANN : Fachdidaktik Englisch: Kultur und Sprache. Tübingen: Narr 2010, 296 Seiten [19.90 €] Ein vielfach besprochenes Problem der Kompetenz-Standardisierung des Fremdsprachenunterrichts und der Outcome-Orientierung im Gefolge des Gemeinsamen europäischen Referenzrahmens für Sprachen und der deutschen Bildungsstandards ist gewiss die Simplifizierung aller Vorstellungen vom Fremdsprachenlernen und dessen Reduktion auf den Erwerb von skills, jedenfalls im Sinne testbaren Outcomes. Vor diesem Hintergrund liest man im Titel des vorliegenden Buchs von Laurenz V OLKMANN beinahe unwillkürlich ein Ausrufezeichen mit. Denn diese Fachdidaktik besteht nicht nur emphatisch darauf, dass es kein Sprachlernen ohne kulturelles Lernen geben kann, sondern das Buch macht auch auf jeder Seite deutlich, dass „derartige reduktionistische Verständnisse“ (S. 28) und simplizistische Vorstellungen sowohl von fremdsprachlichen Erwerbsprozessen als auch von Inhalten und Themen des Englischunterrichts in die Irre gehen und zur fragwürdigen Ergebnissen führenmüssen: Kultur und Sprache sind unauflösbar ineinander verwoben, und die Frage nach dem „Verhältnis von Sprach- und Kulturunterricht“ (S. 2) gehört zu den Kernfragen einer Fremdsprachendidaktik. Zu V OLKMANNS programmatischen Grundannahmen gehört daher, dass einerseits aus grundsätzlichen Erwägungen, die im Generalkonzept ‚Kultur‘ begründet sind, andererseits aus Sicht