eJournals Fremdsprachen Lehren und Lernen 41/1

Fremdsprachen Lehren und Lernen
flul
0932-6936
2941-0797
Narr Verlag Tübingen
Es handelt sich um einen Open-Access-Artikel, der unter den Bedingungen der Lizenz CC by 4.0 veröffentlicht wurde.http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/61
2012
411 Gnutzmann Küster Schramm

Laurenz VOLKMANN: Fachdidaktik Englisch: Kultur und Sprache. Tübingen: Narr 2010, 296 Seiten [19.90 €]

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2012
Wolfgang Hallet
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Buchbesprechungen • Rezensionsartikel 117 41 (2012) • Heft 1 dass die Sensibilisierung in der Praxisphase im Kern darin besteht, die Realität der Lehr-/ Lernpraxis entgegen den eigenen Vorannahmen „als überraschend widerspenstig und ‚komplizierter als angenommen‘ [zu] erfahren“ (246). Das konnten die Autoren auf der Basis ihrer Daten für eine ganze Reihe von Aspekten der Durchführung des Online-Tutoriums nachweisen. Als Fazit möchte ich festhalten, dass ich vor allem die Darstellungen zur Auseinandersetzung der Online-Tutoren mit den Anforderungen, mit denen sie vermeintlich oder tatsächlich konfrontiert werden, instruktiv und anregend fand. Diese Ergebnisse können sicherlich als Ausgangspunkt für die Ermittlung von Professionalisierungsbedarfen mit Blick auf die Kompetenzen von Online-Tutoren dienen. Insgesamt habe ich allerdings den Eindruck, dass die doppelläufige Zielsetzung der Arbeit, zum einen auf der Basis empirischer Forschung einen Beitrag zur Diskussion um Kompetenzen von Online-Tutoren im fremdsprachendidaktischen Kontext und zum anderen einen didaktisch-konzeptionellen Beitrag zur Frage, wie auf der Basis der Ergebnisse dieser Forschung die Ausbildung für Online-Tutoren gestaltet werden müsste, zu liefern, zu ambitioniert geraten ist. Ich denke, dass eine Fokussierung auf den empirischen Forschungsteil mit einer Eingrenzung des Gegenstandes auf die fallanalytische Rekonstruktion der Erfahrungen, welche die Tutoren im Online-Tutorium gemacht haben, mit Blick auf die von den Autoren selbst bemängelte Forschungslage konsequenter und produktiver gewesen wäre. Trotz dieser kritischen Hinweise bin ich der Meinung, dass R ÖSLER / W ÜRFFEL mit dem vorliegenden Band einen wichtigen Beitrag zu einer stärker auf die Spezifika der Fremdsprachendidaktik orientierenden Diskussion um Kompetenzen von Online-Tutoren vorgelegt haben. Das Buch vermittelt exemplarisch einen sehr guten Eindruck von der potenziellen Produktivität von Online-Tutorien für die Professionalisierung von angehenden Lehrkräften, aber auch von den didaktischen Herausforderungen, die sich aus der Notwendigkeit einer fachlichen Begleitung einer solchen Praxisphase ergeben. Insofern kann es allen, die sich mit dem Bereich des Online- Lehrens und -Lernens von Fremdsprachen beschäftigen, als anregende Lektüre empfohlen werden. Bielefeld U DO O HM Laurenz V OLKMANN : Fachdidaktik Englisch: Kultur und Sprache. Tübingen: Narr 2010, 296 Seiten [19.90 €] Ein vielfach besprochenes Problem der Kompetenz-Standardisierung des Fremdsprachenunterrichts und der Outcome-Orientierung im Gefolge des Gemeinsamen europäischen Referenzrahmens für Sprachen und der deutschen Bildungsstandards ist gewiss die Simplifizierung aller Vorstellungen vom Fremdsprachenlernen und dessen Reduktion auf den Erwerb von skills, jedenfalls im Sinne testbaren Outcomes. Vor diesem Hintergrund liest man im Titel des vorliegenden Buchs von Laurenz V OLKMANN beinahe unwillkürlich ein Ausrufezeichen mit. Denn diese Fachdidaktik besteht nicht nur emphatisch darauf, dass es kein Sprachlernen ohne kulturelles Lernen geben kann, sondern das Buch macht auch auf jeder Seite deutlich, dass „derartige reduktionistische Verständnisse“ (S. 28) und simplizistische Vorstellungen sowohl von fremdsprachlichen Erwerbsprozessen als auch von Inhalten und Themen des Englischunterrichts in die Irre gehen und zur fragwürdigen Ergebnissen führenmüssen: Kultur und Sprache sind unauflösbar ineinander verwoben, und die Frage nach dem „Verhältnis von Sprach- und Kulturunterricht“ (S. 2) gehört zu den Kernfragen einer Fremdsprachendidaktik. Zu V OLKMANNS programmatischen Grundannahmen gehört daher, dass einerseits aus grundsätzlichen Erwägungen, die im Generalkonzept ‚Kultur‘ begründet sind, andererseits aus Sicht 118 Buchbesprechungen • Rezensionsartikel 41 (2012) • Heft 1 jüngerer kulturwissenschaftlicher, fachwissenschaftlicher und didaktischer Entwicklungen Komplexität und „Unübersichtlichkeit“ (S. 3) kulturelle und theoretische Gegebenheiten sind, denen sich kein fachdidaktischer Entwurf entziehen kann. Der Autor macht es sich folgerichtig zur Aufgabe, vorschnellen Simplifizierungen zu widerstehen, Komplexität und Diversität kultureller wie theoretischer Entwicklungen zu thematisieren und sie in dieser Fachdidaktik soweit als möglich abzubilden. Dass daraus keine leichte Lesekost und keine einfachen Unterrichtsvorschläge entstehen können, liegt auf der Hand. Vielmehr ist es dieser Fachdidaktik in weiten Teilen darum zu tun, die Vorstellungen von Kultur, von kultureller Differenz und deren Überwindbarkeit, von der Begegnung und den Aushandlungen mit Menschen aus anderen kulturellen Kontexten auf ihre theoretischen Voraussetzungen und (oft verdeckten) Annahmen hin zu befragen. Man könnte sagen: Dieses Buch spürt den kulturtheoretischen Vorstellungen nach, von denen jedes didaktische Denken und Handeln bestimmt ist, auch und gerade dann, wenn sich die Akteure ‚theoriefrei‘ fühlen oder geben, denn „auch einem kulturelle Aspekte nur in geringem Maße berücksichtigenden oder sie ausblendenden Fremdsprachenunterricht [liegt] ein bestimmtes Kulturkonzept zugrunde“ (S. 35). Aus diesem Grund widmet V OLKMANN nach dem einführenden Überblickskapitel, in dem er die zentralen Themen und Fragestellungen des Buches vorstellt, den Theorien und Konzepten von „Kultur - Zielkultur - Zielkulturen“ das 2. Kapitel, worin er sich zunächst ausführlich verschiedenen Kulturtheorien und Begriffen zuwendet. Im Kern stellt V OLKMANN zwei Kulturbegriffe gegeneinander: Deskriptiv-anthropologische Ansätze betrachten Kultur in der Nachfolge Max W EBERS als ein von Menschen erzeugtes sinnbehaftetes und bedeutungshaltiges Gewebe, als die Gesamtheit aller von einer Gemeinschaft geteilten Denk- und Wertvorstellungen sowie sozialer Praktiken und Handlungsformen. Dieser Vorstellung von Kultur, die sich als von Gleichen unter Gleichen verhandeltes und verhandelbares sinnhaftes Ganzes darstellt, steht die skeptische Annahme entgegen, dass auch kulturelle Erzeugungsprozesse von Machtdispositionen und hierarchischen Setzungen geprägt sind, die bestimmte Denk- und Vorstellungsweisen privilegieren und andere marginalisieren oder unterdrücken. „Wertigkeiten“ (S. 39) und „Verwertbarkeit“ sind daher auch wichtige kulturtheoretische Kategorien, die einem naiven, egalitären Kulturverständnis entgegenstehen und für einen kritisch-emanzipatorischen Kulturbegriff unverzichtbar sind. Unabhängig von diesen politischen Implikationen stellt sich dennoch die eher pragmatische Frage, wie die Fremdsprachendidaktik zu einem operablen, modellbildenden und praxisleitenden Kulturbegriff gelangen kann. Zu Recht rekurriert V OLKMANN dabei auf die Kultursemiotik, die sich seit G EERTZ ’ berühmtem Diktum, „that man is an animal suspended in webs of significance he himself has spun“, beinahe konsensuell herausgebildet hat. Der Autor unterstreicht die Gültigkeit dieser Vorstellung von Kultur als eines zeichenhaften, textuellen Gewebes mit der ausdifferenzierenden und didaktischen Erörterung des P OSNERSCHEN dreidimenisonalen Kulturmodells, weil es in der Tat, wie V OLKMANN (S. 41 ff) zeigt, für eine auf textuelle und kulturelle Kompetenzen zielende Didaktik hochgradig anschlussfähig ist. In den Kap. 6 („Aspekte der Vermittlung von Kultur und Sprache“) und 7 („Textsorten und Kultur-/ Sprachvermittlung“) werden die Textualität der Kultur und deren textuelle bzw. mediale Repräsentation aus fremdsprachendidaktischer Perspektive wieder aufgegriffen und noch einmal didaktisch fundiert. Die Überlegungen zum Dachbegriff ‚Kultur‘ werden in Kap. 3 unter dem Titel „Mentalitäten und ‚Nationalcharakter‘“ stärker unterrichtspraktisch und -thematisch gewendet. Denn im fremdsprachlichen Klassenzimmer sind die von V OLKMANN kritisch diskutierten Vorstellungen von kollektiven und nationalen Identitäten immer präsent, zum Teil auch in stereotypisierender Form (Kap. 3.3: „Die Bedeutung von Stereotypen“ und 3.4: „Mythos nationale Identität). V OLKMANN plädiert dafür, solche zum Teil fest verankerten kulturellen Essenzialisierungen und Stereotypi- Buchbesprechungen • Rezensionsartikel 119 41 (2012) • Heft 1 sierungen durch deren Thematisierung bewusst zu machen und Angebote für die kritische Reflexion zu schaffen. Natürlich kann eine fremdsprachliche Kulturdidaktik nicht umhin, sich ausführlich dem interkulturellen Paradigma zu widmen, wenngleich eines der Verdienste dieser Fachdidaktik darin besteht, dass Fragen der Kulturvermittlung und didaktische Optionen auch jenseits dieses - zuweilen selbst wieder stereotyp verwendeten und enggeführten - Konzepts von kultureller Interaktion aufgezeigt werden. In Kap. 4 („Lernziel Fremdverstehen - Realität Dominanzstrukturen“) und in Kap. 5 („Interkulturelle Kompetenz“) werden die Theoriestränge des interkulturellen Paradigmas ausführlich rekonstruiert, auch weit über die fremdsprachendidaktische Theoriebildung hinaus bis in die Erziehungswissenschaft und in die Wirtschaftswissenschaften hinein. Exemplarisch wird in diesen beiden Kapiteln deutlich, dass diese Fachdidaktik interessierten Leserinnen und Lesern Orientierung in einem bisweilen sehr unübersichtlichen Feld divergierender, weit verstreuter Ansätze gibt, indem diese knapp umrissen werden, Vorzüge und Schwächen gegeneinander gestellt, Grenzen aufgezeigt und in keinem Fall vorschnell verworfen werden. In den beiden Kapiteln 4 und 5 findet sich denn auch gewissermaßen eine komplette Geschichte der Herausbildung des interkulturellen Paradigmas in der Fremdsprachendidaktik. Eine echte Frage eher als ein kritischer Kommentar wird durch die Komplexität des Gegenstandes und durch die Fülle der jeweils herangezogenen Forschungsliteratur provoziert: Wahrscheinlich sind, wie der Autor in der Einleitung vermerkt, Überlappungen, Querverweise und Redundanzen unvermeidlich. Dennoch kann man sich hier und da weniger Wiederaufnahmen und eine stringentere Verhandlung (erklärtermaßen) zentraler Thematiken vorstellen, z.B. bei der Erörterung der Globalisierungsproblematik, die in den Unterkapiteln 2.5, 3.6 und 4.3 verhandelt wird, oder auch bei der Diskussion des medialen Wandels und dessen didaktischer Bedeutung, wenn kulturdiagnostische Überlegungen (Kap. 2.5; „Globale Medienkultur / globale Popkultur“) von der Bestimmung der Kompetenzziele in Kap. 6.3 („Medienkompetenzen“) abgelöst werden. Das große Verdienst der vorliegenden fremdsprachlichen Kulturdidaktik liegt jedoch in der kenntnisreichen und sorgfältigen Klärung der theoretischen Grundlagen der kulturvermittelnden Aufgaben des Englischunterrichts und der angestrebten kollektiven wie individuellen Interaktion mit anderen Kulturen bei gleichzeitiger Schaffung der sprachlichen Voraussetzungen. Beim gegenwärtigen Stand der Theoriebildung in der fremdsprachlichen Kulturdidaktik kann man einen völlig kohärenten Entwurf nicht erwarten, und wahrscheinlich ist ein solcher bei der überzeugend dargelegten Diversität und Widersprüchlichkeit der Ansätze überhaupt nicht erreichbar. Aber diese Fachdidaktik legt den Grundstein für die weitere kulturdidaktische Theoriearbeit und für die entsprechenden methodischen Fragen, die in ein theorieorientiertes Werk wie das vorliegende jeweils nur exemplarisch und illustrativ Eingang finden können. Komplementär zu den in diesem Band dargelegten theoretischen Ansätzen muss die Fremdsprachendidaktik vor allem die Frage klären, wo genau der Ort des lernenden Individuums im komplexen Geflecht der kulturellen Interaktion ist und wie sich Denk- und Lernprozesse anregen lassen, die dem fremdsprachlich interagierenden Individuum selbst die Positionsbestimmung ermöglichen. Das im vorliegenden Buch (in Kap. 6.2) ebenfalls erörtere konstruktivistische „Lern-/ Lehrparadigma“ fordert diese Weiterbeschäftigung in Richtung einer lernerzentrierten unterrichtlichen Praxis geradezu heraus. Gießen W OLFGANG H ALLET