eJournals Fremdsprachen Lehren und Lernen 41/1

Fremdsprachen Lehren und Lernen
flul
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Narr Verlag Tübingen
Es handelt sich um einen Open-Access-Artikel, der unter den Bedingungen der Lizenz CC by 4.0 veröffentlicht wurde.http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/61
2012
411 Gnutzmann Küster Schramm

Annick DE HOUWER, Antje WILTON (eds.): English in Europe Today. Sociocultural and Educational Perspectives. Amsterdam, Philadelphia 2011 (AILA Applied Linguistics Series (AALS)), 170 Seiten [Hardcover] 128,00 €

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2012
Claus Gnutzmann
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122 Buchbesprechungen • Rezensionsartikel 41 (2012) • Heft 1 (d.h. Strategien) und ihrer koordinierten Verwendung zu offenbaren. Erst L EVELTS (1989) auf die Rezeption ausgedehntes Sprachproduktionsmodell ermöglicht dies, u.a. durch die Annahme, dass lexikalische Schwierigkeiten eine Störung der Sprachverarbeitung seien. Ein wichtiges Ergebnis dieser Überlegung ist, dass R EICH die Vermittlungsnotwendigkeit von, ja sogar die Existenz von Kommunikationsstrategien bestreiten kann, die nach dieser Sicht zur universellen Sprachfähigkeit gehören. Jedoch bestehe weiterhin das Problem, dass primär die Bearbeitung lexikalischer Probleme anstatt deren Ursachen fokussiert wird. Diesem Problem versucht sie in ihren Überlegungen auf der Basis des von L EVELT / R OELOFS / M EYER (1999) vorgestellten Aktivationsnetzwerks nachzugehen, um die Prozessabläufe konkreter zu modellieren. Dabei stellt R EICH ihre Überlegungen nicht anderen Modellen voran; v.a. die Bearbeitung von Lexikalisierungsschwierigkeiten sei nach wie vor das interessanteste Thema für den Zweitspracherwerb. Da Bearbeitungsphänomene jedoch ineinander greifen und planhaft koordiniert werden (müssen), sollte eine umfassende kognitive Planung angenommen werden, die eine Grundlage für vermeintlich heterogene Bearbeitungsmaßnahmen bietet. Um mit lexikalen Problemen behaftete Gesprächssituationen zu analysieren, bedürfe es einer Reihe teils neuer Analysekriterien, welche die verschiedenen Prozessebenen und damit verschiedene linguistische Beschreibungsebenen betreffen. Diese präsentiert R EICH als ein Ergebnis ihrer Arbeit, bevor sie am Schluss auf sich daraus ergebende Forschungsfragen eingeht. Insgesamt bietet die Monographie eine intensive und detaillierte Besprechung unterschiedlicher Beschreibungsansätze für lexikalische Probleme in der fremdsprachlichen Produktion. Die Autorin vertritt dabei die Position, dass Kommunikationsstrategien als eine für die Fremdsprachenforschung und -lehre wenig nützliche Größe anzusehen ist. R EICHS Besprechung der unterschiedlichen Perspektiven legt nahe, dass ihr Versuch, bereits bestehende Modellierungen für Ursachen lexikalischer Schwierigkeiten zu modifizieren, eine äußerst sinnvolle Ergänzung des heutigen Diskurses darstellen kann. Wenn auch gelegentlich die für die Arbeit besonders relevante Frage nach der Problemursache von lexikalischen Schwierigkeiten ein wenig aus dem Blick gerät und die von P-MoLL zur Verfügung stehenden Daten kaum (an nur etwa 15 Stellen) genutzt werden, leistet Reich zweifelsohne einen wichtigen Beitrag für die Erforschung lexikalischer Schwierigkeiten. Paderborn N ICOLE M ARX Annick D E H OUWER , Antje W ILTON (eds.): English in Europe Today. Sociocultural and Educational Perspectives. Amsterdam, Philadelphia 2011 (AILA Applied Linguistics Series (AALS)), 170 Seiten [Hardcover] 128,00 € Der vorliegende Band ist Karlfried Knapp anlässlich seiner offiziellen Verabschiedung von der Universität Erfurt gewidmet. Der so Geehrte hat viele Jahre mit großem Engagement die englische Sprache in Forschung und Lehre vertreten, insbesondere in ihrer Rolle als lingua franca sowie als Lehr- und Lerngegenstand in schulischen Kontexten, so dass der Titel des Buches zwei seiner wichtigen Forschungsschwerpunkte vereint. Der Band ist in der AILA Applied Linguistics Series erschienen, als Dank, wie die Herausgeber in ihrer „Dedication“ betonen, für Knapps langjährige Tätigkeit als Generalsekretär der AILA. Die Herausgeberinnen vermitteln in ihrem Einleitungsaufsatz „The dynamics of English in a multilingual Europe“, ausgehend von einer historischen Perspektive und mit Blick auf die in der europäischen Geschichte wechselnden linguae francae wie z.B. Latein, Griechisch Französisch, Buchbesprechungen • Rezensionsartikel 123 41 (2012) • Heft 1 Deutsch, Russisch und heute natürlich Englisch („English is currently a lingua franca that educated people throughout Europe are expected to know“ (5)) einen Einblick in die Omnipräsenz des Englischen in Europa, aber auch in das Phänomen der europäischen Mehrsprachigkeit. Des Weiteren werden in der Einleitung Problemstellungen, die sich mit der Rolle des Englischen in Europa befassen, diskutiert und mit den acht folgenden Aufsätzen in Beziehung gesetzt. Hier geht es u.a. um die Frage, ob das Englische in seiner Funktion als lingua franca eine wesentliche Voraussetzung für die paneuropäische Kommunikation oder eher ein Hindernis für eine aktive Mehrsprachigkeit sei. Ist die Verbreitung des Englischen somit als Bereicherung des europäischen Sprachenrepertoires zu sehen oder als Bedrohung der sprachlichen Diversität? Das Spannungsverhältnis zwischen einem native speaker-Standard als Modell des Englischunterrichts und dem zunehmenden, teilweise dominierenden Gebrauch des Englischen als lingua franca gehört ebenso zu den zentralen Diskussionspunkten wie die Frage des positiven Einflusses der Medien (TV, Internet, u.a.) auf die Herausbildung der englischen Sprachfähigkeit bei Jugendlichen. Mit der Rolle des Englischen als Medium in internationalen Schulen und im tertiären Bildungsbereich sowie damit verbundenen Problemen des Verstehens und der Verständigung in englischsprachigen Lehrveranstaltungen wird ein weiterer Themenbereich in den Blick genommen, der mit den anderen genannten dem Untertitel der Publikation Rechnung trägt. Anglisten scheinen im Allgemeinen den Stellenwert und die Funktionen des Englischen in Europa positiver zu sehen als z.B. Romanisten, die diesem Phänomen eher kritisch gegenüberstehen und für das mit dem Englischen verbundene ‚Bedrohungspotenzial‘ stärker sensibilisiert sind. Die beiden anglistischen Herausgeber bilden in ihrer Einstellung zum Englischen keine Ausnahme, wie sie im Resümee ihres Beitrags feststellen: „Without English as a lingua franca there would be much less communication and mutual understanding amongst Europeans today“ (11). Ob die Bedeutung des nicht ohne Pathos formulierten Folgesatzes „Let us embrace this language of wider communication and together with Europe’s other languages make it our own“ wirklich klar ist, sei dahingestellt, zumal sich dem Leser nicht ganz erschließt, was mit dem enthusiastischen „make it our own“ konkret gemeint ist. Der Beitrag von Jasone C ENOZ zu „The increasing role of English in Basque education“ skizziert wichtige sprachenpolitische Veränderungen in den letzten Jahren durch die gestiegenen Anteile des Englischen im Primarstufenbereich (und schon davor), der Zunahme von CLIL und auch der wachsenden Bedeutung des Englischen in der universitären Lehre. Diese Entwicklung ist umso beachtlicher, als das Englische traditionsgemäß in den südeuropäischen Ländern zweite Fremdsprache nach Französisch war, mittlerweile jedoch im Baskenland, aber nicht nur dort, das Französische verdrängt hat und in den Stundentafeln der schulischen Lehrpläne entsprechend begünstigt wurde. Die große Nachfrage nach dem Englischen im Primarstufenbereich hat aus der Sicht von kritischen Beobachtern einen hohen Preis, da der Englischunterricht auf Kosten des frühen Baskischunterrichts durchgeführt werde. Die sprachliche Anglifizierung hat sich mittlerweile im Hochschulbereich mit über 100 englischsprachigen Studiengängen im Bacherlorbereich ausgewirkt. Im Vergleich zu Deutschland, wo die Zahl der fremdsprachlichen BA-Studiengänge gleich hoch ist, ist dies bemerkenswert, zumal im Baskenland nur 2,7 Millionen Menschen leben und die Gesamtstudierendenzahl um ein Vielfaches kleiner ist. „English language testing“ von Susan M. G ASS und Daniel R EED berichtet von einem Kooperationsprojekt zur Sprachtestentwicklung zwischen einer griechischen und einer US-amerikanischen Universität. Der Beitrag liefert ein höchst eindrucksvolles Beispiel dafür, wie interkulturelle Unterschiede die Durchführung eines solchen Projektes, bedingt durch unterschiedliche Ziele, Einstellungen und Kontexte (business vs academic) in den beiden Ländern, gefährden können. Als exemplarischer Problempunkt sei hier die Bedeutung von Testzertifikaten in Griechenland genannt, mithilfe derer man sich einen besseren Arbeitsplatz und generell eine bessere 124 Buchbesprechungen • Rezensionsartikel 41 (2012) • Heft 1 Zukunft verspricht. Dass bei der Verwirklichung des Projektes wirtschaftliche Interessen eine nicht geringe Rolle spielten, wird durch den starken Einfluss von privaten Sprachschulen bei der Sprachtestentwicklung unterstrichen: „In other words, school owners are important stakeholders who, as consumers of the test, also figure prominently in decisions made about content, distribution, and format“ (44). Der Artikel von Annelie K NAPP zum Thema „When comprehension is crucial“ befasst sich mit dem Gebrauch des Englischen als Arbeitssprache in der universitären Lehre. Der Beitrag beginnt mit einer Einführung zur Rolle des Englischen im Studium von deutschen Studierenden, in der sowohl die Vorzüge wie auch die Nachteile des Englischen für Nicht-Muttersprachler diskutiert werden. Angesichts einer bei vielen Studierenden festzustellenden Selbstüberschätzung der eigenen Englischkompetenzen und des Ignorierens dieses Faktums auf Seiten der Lehrenden ist ein diesbezüglicher Hinweis der Verfasserin nur zu berechtigt: „[P]roblems of putting non-native speakers of English at a disadvantage in terms of time and effort needed as well as in terms of communicative success have to be taken seriously“ (53). Die empirische Analyse von Unterrichtsdiskursen aus verschiedenen Disziplinen in international zusammengesetzten Lehrveranstaltungen ermöglicht Einblicke in Strategien, die Studierende und Dozenten verwenden, um Verständnis und Verständigung über fachliche Inhalte herzustellen. Zu den am heftigsten diskutierten Fragen der sprachdidaktischen Dimension des Englischen als lingua franca (ELF) gehört die Frage nach der Eignung eines Standard English-Modells für den Englischunterricht, insbesondere eines solchen Unterrichts, der auch die lingua franca-Perspektive in den Blick nimmt. Während die Protagonisten von ELF ein Standardsprachenmodell ablehnen mit der Begründung, dass dieses für die ELF-Kommunikation nicht relevant sei, plädieren angewandte Linguisten und Sprachdidaktiker, die eine scharfe Trennung von ELF und Englisch als Fremdsprache (EFL) für Unterrichts- und Anwendungszwecke weder für sinnvoll noch für praktikabel halten und neben dem Mündlichen auch den Erwerb von schriftlichen Kompetenzen für relevant erachten, weiterhin für eine Orientierung am muttersprachlich basierten Standardmodell. Der Beitrag von Kurt K OHN über „English as a lingua franca and the Standard English misunderstanding“, stellt einen interessanten Versuch dar, den geschilderten Konflikt aufzulösen, indem er zum einen auf die vorrangige Verwendung des Englischen als europäische lingua franca verweist und zum anderen auf die Sprachlehr- und -lernbiographie der ELF-Anwender Bezug nimmt: „For European ELF speakers with a learning background in EFL, it is perfectly natural to have most of their communicative contact with other non-native speakers and, at the same time, feel communally attracted to native speaker and Standard English characteristics and values“ (89). Der Beitrag von Li W EI mit dem Titel „The early acquisition of English as a second language“ befasst sich mit dem bilingualen Spracherwerb von drei chinesischen Kindern, die im Alter von etwas über einem Jahr nach England gekommen waren. Mit ihren Eltern fand die Kommunikation weitgehend auf Mandarin statt, für den Erwerb des Englischen als Zweitsprache standen andere Quellen zur Verfügung. Für den Wortschatzerwerb stellte sich heraus, dass die Kinder in den ersten Stadien des Zweitspracherwerbs in großem Umfang auf Übersetzungsäquivalente zurückgriffen. In der Entwicklung der Syntax zeigte sich bei Produktionsfehlern der Einfluss der Erstsprache durch L1-Interferenzen. Im Hinblick auf Übersetzungsäquivalenz und syntaktische Interferenz entwickelt Li Wei die Comparability Hypothesis, gemäß der lexikalische und syntaktische Elemente und Strukturen, die vollständig kompatibel oder in starkem Kontrast zueinander stehen, relativ leicht erworben werden, wohingegen solche, die weniger eindeutig sind, weitere Fehler und Interferenzen hervorrufen. „,The more languages, the more English? ‘ A Dutch perspective“ von Jacomine N ORTIER greift im Titel ein Zitat des Soziologen de Swaan auf, mit dem er die einzigartige Funktion des Buchbesprechungen • Rezensionsartikel 125 41 (2012) • Heft 1 Englischen als internationale lingua franca beschreibt. N ORTIER nimmt dieses Zitat zum Ausgang ihrer Überlegungen, ob der allgegenwärtige Einfluss und die Bedeutung des Englischen zu einer Bedrohung des Niederländischen führen. Ihre Betrachtung von Anglizismen, die Verwendung des Englischen in der Werbesprache und der Gebrauch des Niederländischen in Sitzungen der EU in Brüssel lässt die Autorin zu dem Schluss kommen, dass für das Niederländische zwar ein Domänenverlust zugunsten des Englischen festzustellen ist, es aber auf keinen Fall gerechtfertigt sei, von einer Gefährdung des Niederländischen zu sprechen. Entgegen der sonst bei Linguisten im Allgemeinen üblichen Abstinenz, Empfehlungen zum Sprachverhalten zu geben, findet sich hier folgender Ratschlag: „We should be realistic and alert not to use English when Dutch is available“ (131). Ausgangspunkt des Beitrags von Barbara S EIDLHOFER „Conceptualizing ,English‘ for a multilingual Europe“ ist die Feststellung, dass es wichtig sei, eine gemeinsame europäische Sprache zu haben, dass eine solche Sprache andererseits aber als Bedrohung der von der EU sprachenpolitisch verordneten europäischen Mehrsprachigkeit angesehen werde. S EIDLHOFER trägt in pointierter und durchaus nachvollziehbarer Weise eine Reihe von Argumenten vor, die das Dilemma des Mehrsprachigkeitsdogmas der EU vor dem Hintergrund internationaler und interkultureller Kommunikation deutlich werden lassen. Alternativ schlägt sie vor, eine Form des Englischen als lingua franca mit eigenen Normen zu entwickeln, das gleichsam konkurrenzlos neben den europäischen Nationalsprachen steht und diese ergänzt. Auch wenn die Autorin ausführt, dass Beschreibungen von ELF im Entstehen seien, die zeigten, dass ELF sich in seinen Formen und Funktionen vom native speaker-English merklich unterscheide, so muss man sich fragen, ob diese Besonderheiten zum gegenwärtigen Zeitpunkt ausreichen, um ELF faktisch als eine eigene Sprache zu konzeptualisieren, zusätzlich zum Englischen als Nationalsprache. Der Artikel von Marjolijn H. V ERSPOOR , Kees DE B OT und Eva V AN R EIN zu „English as a foreign language“ hat die Rolle des außerschulischen Sprachinputs, insbesondere der Populärmedien wie TV, Internet, Video und Computerspiele zum Gegenstand. Bedenkt man, dass Schätzungen zufolge 40-60% der im niederländischen Fernsehen gezeigten Programme in einer Fremdsprache gesendet werden und berücksichtigt man weiterhin Sender wie MTV, so kommt jeder holländische Fernsehzuschauer auf mindestens eine Stunde englischsprachigen Fernsehkonsum pro Tag. Auf der Grundlage einer empirischen „Semi-Längsschnittstudie“, in der Schüler mit und ohne Medieneinfluss sowie bilingual und nicht-bilingual unterrichtete Schüler untersucht wurden, konnte ermittelt werden, dass die Entwicklung der englischen Sprachfähigkeit ganz wesentlich durch den außerschulischen medialen Sprachinput geprägt ist. Bei der nichtmedial beeinflussten Gruppe handelte es sich im Übrigen um Schüler, die aus religiösen Gründen den Medienkonsum ablehnen. Hier erwies es sich, dass die bilingual unterrichteten Schüler höhere sprachliche Leistungen erzielten als die nicht-bilingual unterrichteten, so dass durch den Faktor bilingual eine gewisse Kompensation für den Verzicht auf nicht-medialen Sprachinput erreicht werden konnte. Der von Annick D E H OUWER und Antje W ILTON attraktiv konzipierte und sorgfältig edierte Sammelband vereinigt neben dem orientierenden Einleitungsaufsatz der Herausgeberinnen acht weitere ansprechende und z.T. sehr innovative Beiträge von bekannten europäischen und amerikanischen angewandten Linguisten. Die Aufsätze dokumentieren das breite theoretische, methodische und inhaltliche Spektrum, was sich natürlicherweise hinter einem Thema wie dem gewählten verbirgt. Man möchte dem Buch eine möglichst weite Verbreitung wünschen, was angesichts seines Preises allerdings ein frommer Wunsch bleiben wird. Braunschweig C LAUS G NUTZMANN