Fremdsprachen Lehren und Lernen
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0932-6936
2941-0797
Narr Verlag Tübingen
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Gnutzmann Küster SchrammGrit MEHLHORN, Christine HEYER (Hrsg.): Russisch und Mehrsprachigkeit. Lehren und Lernen von Russisch an deutschen Schulen in einem vereinten Europa. Tübingen: Stauffenburg Verlag 2011 (Forum Sprachlehrforschung, Bd. 10), 219 S. [34,80 €]
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Anka Bergmann
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126 Buchbesprechungen • Rezensionsartikel 41 (2012) • Heft 1 Grit M EHLHORN , Christine H EYER (Hrsg.): Russisch und Mehrsprachigkeit. Lehren und Lernen von Russisch an deutschen Schulen in einem vereinten Europa. Tübingen: Stauffenburg Verlag 2011 (Forum Sprachlehrforschung, Bd. 10), 219 S. [34,80 €] Eigenständige Publikationen zur Russischdidaktik hat es seit Ende der 1990er Jahre ebenso wenig gegeben wie wissenschaftliche Fachtagungen. Mit zwei Halleschen Kolloquien, die 1994 und 1998 auf Geschichte und Perspektiven des Russischunterrichts in Deutschland schauten (vgl. F RENZEL / S CHRÖDER 1996 1 und F RENZEL / R ICHTER 1999 2 ) endete für ein knappes Jahrzehnt (jedenfalls der dokumentierte) russischdidaktische Diskurs. Gründe hierfür lagen nicht so sehr in einem fehlenden Gegenstand oder mangelnden Aufgaben, denn in der „Abstufung bzw. Elimination der Russisch-Methodik“ nebst „Re-Philologisierung der ostdeutschen Universitäten“ (S CHRÖDER 1999: 25), die in den slawistischen Instituten ihre Spuren hinterließen. In dem Bestreben, einen reflektierten Austausch über Theorie und Praxis der Schulfremdsprache Russisch anzuregen, knüpft der vorliegende Band faktisch an die genannten Publikationen an. Er hat somit ein gutes Jahrzehnt zu überbrücken, in dem die Praxis des Russischunterrichts sich durchaus weiterentwickelt hat, die fachdidaktische Diskussion sich bislang jedoch nur punktuell auf dessen spezifische (Rahmen)bedingungen bezieht. Eine systematische Reflexion der Praxiserfahrungen und deren Integration in ein Gesamtkonzept des schulischen Russischunterrichts stehen bislang aus. Diese Situation kennzeichnen die Herausgeberinnen Grit M EHLHORN und Christine H EYER in ihrem Vorwort als unbefriedigend. Mit der Präsentation der Ergebnisse zweier Tagungen - 2008 in Magdeburg und 2010 in Leipzig - wollen sie vor allem „die theoretische Diskussion (wieder) beleben“ (8). Als maßgebliche Initiatoren und Gründungsmitglieder des Fachverbandes Russisch und Mehrsprachigkeit, der seit 2008 Russisch im GMF als einem multilingual angelegten Sprachenverband Deutschlands vertritt, stehen sie für die Einbindung der Diskussion um Russisch in den Mehrsprachigkeitsdiskurs. Es geht dabei sowohl um den Stellenwert des Russischunterrichts in einem gesamtsprachlichen Curriculum, als auch um die konzeptionelle Entwicklung eines „europatauglichen“ Russischunterrichts (11). Entsprechend dem grundsätzlichen Bestreben der Herausgeberinnen, Forschung und Unterrichtspraxis zusammen zu bringen, kommen die Beiträger sowohl aus dem Kontext universitärer Fachdidaktik als auch aus dem schulischer Unterrichtspraxis. Einige Beiträge basieren auf den Ergebnissen von Abschlussarbeiten, andere dokumentieren laufende Qualifizierungsarbeiten und Forschungsprojekte. Einführend sieht Christine H EYER Russischunterricht im Sinne europäischer Sprachenpolitik als Beitrag zur Entwicklung individueller und gesellschaftlicher Mehrsprachigkeit und zeichnet die „Konturen einer veränderten Konzeption des Russischunterrichts“, die mit der Kompetenzorientierung als veränderter Zielstellung in vielem über die kommunikative Konzeption vom Beginn der 1990er Jahre hinausgeht. Dies werde vor allem in der Erweiterung des Spektrums kommunikativer Aktivitäten um die Sprachmittlung, in der Umsetzung von Prinzipien der Mehrsprachigkeitsdidaktik, in einem veränderten Textsortenangebot sowie in Veränderungen in der Aufgaben- und Evaluationskultur ersichtlich. Es bedürfe nun sowohl der Auseinandersetzung mit grundlegenden Prinzipien der Fremdsprachendidaktik als auch der detaillierten Erarbeitung damit zusammenhängender Handlungsfelder sowie der empirischen Erforschung der Praxis des 1 Bernhard F RENZEL , Konrad S CHRÖDER (1996): Russischunterricht in der ehemaligen DDR. Augsburg: Universität. 2 Bernhard F RENZEL , Angela R ICHTER (Hrsg.) (1999): Russischunterricht in Deutschland. Rückblicke und Perspektiven. Halle: Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Buchbesprechungen • Rezensionsartikel 127 41 (2012) • Heft 1 Russischlehrens und -lernens. Die weiteren Beiträge greifen in diesem Sinne unterschiedliche Aspekte auf. Grit M EHLHORN und Madlen W AHLICHT stellen erste Schlussfolgerungen des Projekts „Mehrsprachigkeit in der Schule: Transfer aus zuvor gelernten Sprachen als Lernerleichterung im Unterricht der romanischen und slawischen Sprachen an sächsischen Schulen“ vor und gehen der zentralen Frage der Nutzung von vorgelernten Fremdsprachen nach, insbesondere den Möglichkeiten des Transfers von sprachlichem und strategischem Wissen im Tertiärsprachenunterricht Russisch. Sie kommen zu dem Schluss, dass die schulische Realität noch weit von einem Gesamtsprachencurriculum entfernt ist (41), wenn auch Sprachvergleiche v.a. im lexikalischen Bereich durchaus ihren Platz haben. Zudem weisen die Autorinnen darauf hin, dass die morphologisch komplexe Sprache Russisch als erste slawische Sprache in der Fremdsprachenfolge nur in eingeschränktem Maße von Interkomprehensionsmechanismen profitieren kann und sich hieraus spezifische Anforderungen an den Unterricht ergeben. Agnieszka Z AWADSKA zeigt, dass die Lehrplananforderungen für Russisch als Tertiärsprache vielfach als nicht adäquat empfunden werden und, da nicht empirisch basiert, offensichtlich den Bedingungen gerade von Russisch als 3. Fremdsprache nicht gerecht werden. Sie demonstriert, dass zwar die Russisch-Lehrwerke dem aktuellen Erkenntnisstand und den Anforderungen der Tertiärsprachendidaktik entsprechen, jedoch Abschlussniveauanforderungen der Curricula und daraus resultierende Lernpensen „hochgeschraubt“ (89) und dringend zu entrümpeln sind. Im Weiteren fragt M EHLHORN nach Implikationen der Mehrsprachigkeitsdidaktik für den Fremdsprachenunterricht und zeigt an vielfältigen Materialien aus verschiedenen Lehrwerken in Bezug auf unterschiedliche Sprachebenen, dass und wie Transfer im Bereich des bewussten Umgangs mit Sprachstrukturen sowie im Bereich von Lernstrategien und methodischen Kompetenzen dem Fremdsprachenunterricht zugutekommen kann. Hier werden Anknüpfungspunkte deutlich, die der russischdidaktische Fachdiskurs für die anderen Fremdsprachen bieten kann: die Etablierung eines Gesamtsprachencurriculums und eine integrierte Sprachdidaktik sind wohl nur möglich auf der Basis eines gemeinsamen Gesamtkonzepts sprachlicher Bildung und der Spezifizierung des Beitrags, den die einzelnen Sprachfächer jeweils dazu leisten können. Empirisch basiert und auf die Erfassung subjektiver Sichtweisen und Handlungsmuster gerichtet sind die Beiträge von Ruth-Ulrike D EUTSCHMANN , Anna T ICHOMIROVA und Natalja S AVCHUK . D EUTSCHMANN stellt in ihrem Beitrag ein explorativ-interpretativ basiertes Forschungsprojekt vor, das nach dem Ertrag der Fremdsprachenassistenz für den Russischunterricht fragt, T ICHOMIROVA und S AVCHUK befassen sich mit dem für den Russischunterricht auf verschiedenen Ebenen relevanten Thema der Mutterbzw. Herkunftssprachler. Bei T ICHOMIROVA geht es um die Sicht und die Erfahrungen von Lehrenden im Umgang mit russischsprachigen Schülern. Die dargestellten Beispiele vermitteln ein gutes Bild dessen, was derzeit in der Praxis des Russischunterrichts läuft. Es wird aber auch sehr deutlich, dass es hier weiterer empirischer Forschung bedarf, um zum einen die lernerseitigen Voraussetzungen und Motivationen zu erheben und zum anderen die Wirkungen der differenzierenden Maßnahmen empirisch fundiert zu klären. Die Probanden von S AVCHUK sind Lehramtsstudierende mit muttersprachigem Hintergrund, Studierende also, die ihre Erstsprache als Fremdsprache unterrichten wollen. S AVCHUK zeigt, dass der Grad der Reflexionskompetenz bei den Befragten „sehr unterschiedlich ausgeprägt“ (155) ist, und dass viele Probanden wenig sensibilisiert sind für Besonderheiten und daraus resultierende Schwierigkeiten beim Erlernen ihrer Sprache als Fremdsprache. Diese Ergebnisse sollten in einer gezielten Förderung von Studierenden mit muttersprachigem Hintergrund im Lehramtsstudium Berücksichtigung finden. Jule B ÖHMER analysiert aus der Perspektive der Sprachstandsforschung die orthographischen Kenntnisse russisch-deutsch bilingualer Schüler im Deutschen und im Russischen. Die Ergeb- 128 Buchbesprechungen • Rezensionsartikel 41 (2012) • Heft 1 nisse stützen Befunde aus anderen Untersuchungen, dass die bilingualen Probanden offensichtlich ein höheres phonologisches Bewusstsein als ihre monolingualen Altersgefährten entwickeln, der Bereich der Orthographie aber stark einzelsprachlich geprägt ist und dass von orthographischen Kenntnissen nicht direkt auf den Sprachstand zu schließen ist. In zwei weiteren Beiträgen werden Handlungsfelder abgesteckt, die sich insbesondere aus den konzeptuellen Überlegungen zum Russischunterricht ergeben. Bei Heike W APENHANS geht es um Sprachmittlung als wesentliche Komponente der von H EYER thematisierten Erweiterung des kommunikativen Spektrums. Deren Notwendigkeit und Platz im Fremdsprachenunterricht erwächst, wie W APENHANS zeigt, vor allem aus unterschiedlich ausgeprägter gesellschaftlicher und individueller Mehrsprachigkeit, in der der Einzelne unterschiedliche kommunikative Rollen ausfüllen kann. Katja L EHNERT setzt sich mit der Spezifität der russischen Anzeigenwerbung, mit deren gestalterischen und sprachlich-strukturellen Elementen sowie kulturellen und sprachlichen Besonderheiten auseinander und entwickelt daraus Vorschläge zur praktischen Arbeit mit Anzeigenwerbung im Russischunterricht. Der vorgelegte Band nimmt wichtige Themen der Russischdidaktik auf der didaktisch-konzeptuellen wie der methodisch-erarbeitenden Ebene in Angriff und gewährt Einblick in empirische Forschungsprojekte. Er gibt damit dem russischdidaktischen Diskurs einen entscheidenden Anstoß, der hoffentlich bald in weiteren Tagungen und Publikationen Fortsetzung findet, denn das Spektrum der interessierenden Themen ist groß. Berlin A NKA B ERGMANN Younghee S HEEN : Corrective Feedback, Individual Differences and Second Language Learning. Dordrecht, New York [etc.]: Springer 2011 (Educational Linguistics; Band 13), 199 Seiten [102,99 €] Die Bedeutung individueller Unterschiede für die Effektivität korrektiven Feedbacks (KF) wurde von der Forschung zur mündlichen und schriftlichen Fehlerkorrektur lange kaum beachtet. Erst seit einigen Jahren hat man damit begonnen, Faktoren wie Vorwissen, Einstellungen, Fremdsprachenlerneignung, Fremdsprachenverwendungsangst, Alter usw. in Untersuchungen zur Wirkung von Korrekturhandlungen mit zu berücksichtigen. Einen Beitrag zu dieser Forschung leistet die vorliegende Monographie von Younghee S HEEN . Mit dieser Publikation präsentiert die Autorin die Ergebnisse ihrer von Zoltán D ÖRNYEI betreuten und im Jahr 2006 an der University of Nottingham vorgelegten Dissertation, welche sie für die Veröffentlichung aktualisiert und um einige Kapitel ergänzt hat. Der Aufbau des Buches im Überblick: Nach der Einführung (Kap. 1,18 S.) folgen je ein Kapitel über die theoretischen Grundlagen der Feedbackforschung (Kap. 2, 20. S.) sowie die Behandlung der Fehlerkorrektur in der auf den Zweit-/ Fremdsprachenunterricht bezogenen pädagogischen Fachliteratur (Kap. 3,13 S.). Es schließen sich vier Kapitel an, welche im Kern die Ergebnisse von S HEENS Untersuchungen präsentieren: zunächst zum Vergleich mündlicher Feedbacktypen (Kap. 4, 37 S.), nachfolgend zum Vergleich schriftlicher Feedbacktypen (Kap. 5, 21 S.), als nächstes zur Gegenüberstellung der beiden Teiluntersuchungen zum mündlichen und schriftlichen KF (Kap. 6, 15 S.) und schließlich zum Einfluss individueller Unterschiede auf die Wirkung der untersuchten mündlichen und schriftlichen Fehlerkorrekturen (Kap. 7, 30 S.). Den Abschluss bilden die Schlussfolgerungen (Kap. 8, 17 S.) sowie das Literaturverzeichnis (15 S.) und der Index zu Autoren und Stichwörtern (7 S.).
