eJournals Fremdsprachen Lehren und Lernen 41/1

Fremdsprachen Lehren und Lernen
flul
0932-6936
2941-0797
Narr Verlag Tübingen
Es handelt sich um einen Open-Access-Artikel, der unter den Bedingungen der Lizenz CC by 4.0 veröffentlicht wurde.http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/61
2012
411 Gnutzmann Küster Schramm

Younghee SHEEN: Corrective Feedback, Individual Differences and Second Language Learning. Dordrecht, New York [etc.]: Springer 2011 (Educational Linguistics; Band 13), 199 Seiten [102,99 €]

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2012
Matthias Schoormann
Torsten Schlak (†)
flul4110128
128 Buchbesprechungen • Rezensionsartikel 41 (2012) • Heft 1 nisse stützen Befunde aus anderen Untersuchungen, dass die bilingualen Probanden offensichtlich ein höheres phonologisches Bewusstsein als ihre monolingualen Altersgefährten entwickeln, der Bereich der Orthographie aber stark einzelsprachlich geprägt ist und dass von orthographischen Kenntnissen nicht direkt auf den Sprachstand zu schließen ist. In zwei weiteren Beiträgen werden Handlungsfelder abgesteckt, die sich insbesondere aus den konzeptuellen Überlegungen zum Russischunterricht ergeben. Bei Heike W APENHANS geht es um Sprachmittlung als wesentliche Komponente der von H EYER thematisierten Erweiterung des kommunikativen Spektrums. Deren Notwendigkeit und Platz im Fremdsprachenunterricht erwächst, wie W APENHANS zeigt, vor allem aus unterschiedlich ausgeprägter gesellschaftlicher und individueller Mehrsprachigkeit, in der der Einzelne unterschiedliche kommunikative Rollen ausfüllen kann. Katja L EHNERT setzt sich mit der Spezifität der russischen Anzeigenwerbung, mit deren gestalterischen und sprachlich-strukturellen Elementen sowie kulturellen und sprachlichen Besonderheiten auseinander und entwickelt daraus Vorschläge zur praktischen Arbeit mit Anzeigenwerbung im Russischunterricht. Der vorgelegte Band nimmt wichtige Themen der Russischdidaktik auf der didaktisch-konzeptuellen wie der methodisch-erarbeitenden Ebene in Angriff und gewährt Einblick in empirische Forschungsprojekte. Er gibt damit dem russischdidaktischen Diskurs einen entscheidenden Anstoß, der hoffentlich bald in weiteren Tagungen und Publikationen Fortsetzung findet, denn das Spektrum der interessierenden Themen ist groß. Berlin A NKA B ERGMANN Younghee S HEEN : Corrective Feedback, Individual Differences and Second Language Learning. Dordrecht, New York [etc.]: Springer 2011 (Educational Linguistics; Band 13), 199 Seiten [102,99 €] Die Bedeutung individueller Unterschiede für die Effektivität korrektiven Feedbacks (KF) wurde von der Forschung zur mündlichen und schriftlichen Fehlerkorrektur lange kaum beachtet. Erst seit einigen Jahren hat man damit begonnen, Faktoren wie Vorwissen, Einstellungen, Fremdsprachenlerneignung, Fremdsprachenverwendungsangst, Alter usw. in Untersuchungen zur Wirkung von Korrekturhandlungen mit zu berücksichtigen. Einen Beitrag zu dieser Forschung leistet die vorliegende Monographie von Younghee S HEEN . Mit dieser Publikation präsentiert die Autorin die Ergebnisse ihrer von Zoltán D ÖRNYEI betreuten und im Jahr 2006 an der University of Nottingham vorgelegten Dissertation, welche sie für die Veröffentlichung aktualisiert und um einige Kapitel ergänzt hat. Der Aufbau des Buches im Überblick: Nach der Einführung (Kap. 1,18 S.) folgen je ein Kapitel über die theoretischen Grundlagen der Feedbackforschung (Kap. 2, 20. S.) sowie die Behandlung der Fehlerkorrektur in der auf den Zweit-/ Fremdsprachenunterricht bezogenen pädagogischen Fachliteratur (Kap. 3,13 S.). Es schließen sich vier Kapitel an, welche im Kern die Ergebnisse von S HEENS Untersuchungen präsentieren: zunächst zum Vergleich mündlicher Feedbacktypen (Kap. 4, 37 S.), nachfolgend zum Vergleich schriftlicher Feedbacktypen (Kap. 5, 21 S.), als nächstes zur Gegenüberstellung der beiden Teiluntersuchungen zum mündlichen und schriftlichen KF (Kap. 6, 15 S.) und schließlich zum Einfluss individueller Unterschiede auf die Wirkung der untersuchten mündlichen und schriftlichen Fehlerkorrekturen (Kap. 7, 30 S.). Den Abschluss bilden die Schlussfolgerungen (Kap. 8, 17 S.) sowie das Literaturverzeichnis (15 S.) und der Index zu Autoren und Stichwörtern (7 S.). Buchbesprechungen • Rezensionsartikel 129 41 (2012) • Heft 1 Die Kapitel 1 bis 3 führen knapp, aber fundiert in die Thematik ein. Zunächst werden zentrale Konzepte der Feedbackforschung definiert. Unter KF versteht S HEEN „feedback that provides learners with evidence that something they have said or written is linguistically incorrect“ (S. 2), und dies unabhängig vom Medium und Zeitpunkt der Korrektur. Es folgt eine Einführung in die relevanten theoretischen Kontroversen. Eine zentrale Frage lautet, inwieweit negative Evidenz für den Erwerb einer Zweitsprache erforderlich oder zumindest nützlich ist. Obwohl S HEEN sich selbst dem kognitiv-interaktionistischen Ansatz zurechnet, welcher vom potenziellen Nutzen des KF ausgeht, bemüht sie sich um einen weiten Blickwinkel und stellt auch konkurrierende Forschungsansätze vor. Bei ihrem Überblick über KF im Spiegel der pädagogischen Fachliteratur stellt S HEEN fest, dass die dort zu findenden Empfehlungen häufig eher auf persönlichen Erfahrungen basieren und der Komplexität des Unterrichtsgeschehens selten gerecht werden. Die in den Kapiteln 4 bis 7 präsentierten quasi-experimentellen Untersuchungen stellen Teilstudien eines Forschungsprojekts dar, das S HEEN an einem Community College in den USA durchgeführt hat. Beteiligt sind daran zehn Lehrkräfte und 143 erwachsene Lernende mittleren Kompetenzniveaus aus insgesamt zwölf intakten Englisch-als-Zweitsprache-Kursen. S HEEN teilt ihr Sample in vier Behandlungs- und eine Kontrollgruppe auf. Den Gegenstand der Behandlung bildet die Verwendung definiter und indefiniter Artikel im Rahmen narrativer Aufgaben, die von den Mitgliedern zweier Gruppen mündlich und von denen der beiden anderen Gruppen schriftlich zu bearbeiten sind. Je Behandlungsgruppe wird ein anderer Feedbacktyp eingesetzt. Der Wirkungsmessung dienen schriftliche Tests vor und unmittelbar nach der Behandlung sowie noch einmal mit einem zeitlichen Abstand von drei bis vier Wochen. Zunächst vergleicht S HEEN die beiden mündlichen Feedbacktypen: Beim recast handelt es sich um die Wiederholung einer fehlerhaften Lernenden-Äußerung durch den Lehrenden, wobei dieser den oder die darin enthaltenen Fehler korrigiert. Im Gegensatz zu dieser eher impliziten Strategie stellt die metalinguistische Korrektur eine Form der expliziten Korrektur dar, bei welcher dem Lernenden neben dem zielsprachlichen Modell auch metalinguistische Informationen präsentiert werden. Der Vergleich ergibt, dass der explizitere Korrekturtyp zu erkennbaren Erwerbsfortschritten führt, während die impliziteren recasts ohne Wirkung bleiben, da sie in der Regel nicht als KF wahrgenommen werden. Indem S HEEN auch beim schriftlichen Feedback die Effektivität zweier auf bestimmte sprachliche Elemente fokussierter Korrekturtypen vergleicht, bedient sie sich erstmals einer Methodologie, die sonst nur zur Untersuchung mündlichen Feedbacks verwendet wird. Auch dieser Vergleich ergibt, dass sich der explizitere, informativere Feedbacktyp besser dazu eignet, die Lernenden auf den sprachlichen Fokus der Korrektur aufmerksam zu machen. Bei einer Gegenüberstellung der mündlichen und schriftlichen Feedbacktypen zeigt sich, dass die schriftliche direkte Korrektur merklich besser abschneidet als die mündlichen recasts, während sich das metalinguistische Feedback in beiden Modi in etwa als gleich effektiv erweist. Daraus folgt, dass für die Effektivität des KF die Explizitheit und nicht der Modus den Ausschlag gibt. Anders als der Titel des Buches vielleicht erwarten ließe, widmet sich ausschließlich das Kapitel 7 dem Einfluss individueller Unterschiede. In der bis dahin ersten quasi-experimentellen Unterrichtsstudie, die den Einfluss individueller Faktoren auf die Effektivität fokussierter Feedbackstrategien untersucht, konzentriert sich S HEEN auf den kognitiven Faktor der Fremdsprachenlerneignung sowie die affektiven Faktoren Einstellungen und Fremdsprachenverwendungsangst. Korrelationsanalysen der Daten ergeben, dass die Testergebnisse der recast-Gruppe nicht, die der drei anderen Gruppen dagegen statistisch signifikant mit allen Faktoren korrelieren. Vorausgesetzt, das KF ist explizit genug, um bemerkt zu werden, kann es den Erwerb also insbesondere dann begünstigen, wenn die Lernenden sich durch eine hohe Lerneignung auszeichnen, 130 Buchbesprechungen • Rezensionsartikel 41 (2012) • Heft 1 positiv gegenüber der Fehlerkorrektur eingestellt sind und ihre Aufmerksamkeit nicht durch eine hohe Fremdsprachenverwendungsangst beeinträchtigt wird. Im letzten Kapitel fasst S HEEN nicht nur ihre eigenen, sondern auch die wichtigsten Ergebnisse der Feedbackforschung insgesamt zusammen und diskutiert deren Implikationen für die Unterrichtspraxis. Den Kristallisationspunkt bildet dabei eine Frage, die sich aus den beiden zentralen Ergebnissen ihrer Forschung ergibt: Einerseits dokumentieren diese einen klaren Vorteil expliziter Feedbacktypen gegenüber impliziten; andererseits belegen sie, dass es sich bei KF um ein hoch komplexes und variables Phänomen handelt, dessen Wirkung u.a. von einer Reihe individueller Faktoren abhängt. Ist es also überhaupt zulässig, einem bestimmten Feedbacktyp gegenüber anderen eine höhere Effektivität generell zuzusprechen, oder muss KF stets den spezifischen Voraussetzungen der Lernenden angepasst werden? Bei dieser Frage, die das gesamte Buch durchzieht, handelt es sich um eine der Schlüsselfragen der gegenwärtigen Feedbackforschung. S HEEN vertritt hier letztlich eine pragmatische Position: Zwar sei es wünschenswert, das KF den Lernenden anzupassen, in der Unterrichtspraxis lasse sich dies jedoch kaum bewerkstelligen. Abgesehen von der Möglichkeit, die Lernenden durch Aufklärung für Fehlerkorrekturen zu sensibilisieren, bestehe die beste Option daher in der Bereitstellung expliziten Feedbacks, da dieses den Lernenden unabhängig von ihren individuellen Voraussetzungen am meisten nütze. Fazit: S HEENS Monographie weist durchaus einige Schwachstellen auf. So bedingt etwa der Aufbau des Buches, dass die Autorin immer wieder auf die gleichen Sachverhalte zurückkommt und sich dabei häufig wiederholt. Dies führt zu inhaltlichen Redundanzen, die beim Lesen bisweilen ermüden. Weiter ist zu beanstanden, dass S HEEN zwar die Ergebnisse ihrer Untersuchungen zu denen anderer Studien in Beziehung setzt, dabei aber die Forschungsergebnisse experimenteller Laborstudien, namentlich solcher, die KF in Lerner-Lerner-Interaktionen untersuchen, weitgehend unberücksichtigt lässt. Wenn S HEEN z.B. schreibt (S. 159), zum Einfluss des Faktors Alter auf die Wirkung von KF gebe es bislang keine Forschungen, so ignoriert sie damit einige wichtige Laborstudien zu genau diesem Gegenstand. Ein weiterer Schwachpunkt besteht in S HEENS selektiver Behandlung der individuellen Unterschiede. Dass sie ihre eigene Studie auf drei Faktoren beschränkt, ist ihr nicht vorzuwerfen. Dass sie aber nicht wenigstens einen kurzen Überblick über den Forschungsstand zu anderen Faktoren, etwa dem Vorwissen oder dem lernersprachlichen Entwicklungsniveau, bietet, ist bei Berücksichtigung des Buchtitels als ein Defizit zu werten. Allen Beanstandungen zum Trotz stellt S HEENS Buch dennoch einen bedeutenden Beitrag zur Feedbackforschung dar. Hervorzuheben ist zum einen S HEENS Bemühen um die Zusammenführung der bislang separaten Forschungszweige zu mündlichem und schriftlichem KF. Ihre Anwendung der Methodologie zur Erforschung mündlicher Fehlerkorrekturen auf die Untersuchung schriftlicher Feedbacktypen setzt Maßstäbe. Als einer der ersten ihres Faches ist es ihr auf diesem Wege gelungen, die erwerbsfördernde Wirkung schriftlicher Korrekturen empirisch zu belegen. Zum anderen leistet S HEEN einen wichtigen Beitrag zur Erforschung des Einflusses individueller Unterschiede. Keiner der von ihr behandelten Faktoren wurde zuvor unter quasi-experimentellen Bedingungen im Unterricht untersucht. Wenngleich ihre Studie durch die Erhebung und Auswertung qualitativer Daten möglicherweise noch gewonnen hätte, wäre doch schon viel erreicht, wenn in Zukunft weitere Feedbackstudien, insbesondere zur Bedeutung individueller Faktoren, auf einem ähnlich hohen Niveau durchgeführt würden. Münster M ATTHIAS S CHOORMANN Berlin T ORSTEN S CHLAK (†)