eJournals Fremdsprachen Lehren und Lernen 41/1

Fremdsprachen Lehren und Lernen
flul
0932-6936
2941-0797
Narr Verlag Tübingen
Es handelt sich um einen Open-Access-Artikel, der unter den Bedingungen der Lizenz CC by 4.0 veröffentlicht wurde.http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/61
2012
411 Gnutzmann Küster Schramm

Daniela CASPARI, Lutz KÜSTER, Lutz (Hrsg.): Wege zu interkultureller Kompetenz. Fremdsprachendidaktische Aspekte der Text- und Medienarbeit. Frankfurt/M.: Lang 2010 (= Kolloquium Fremdsprachenunterricht, Band 40), 159 Seiten [26,80€]

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2012
Claus Altmayer
flul4110131
Buchbesprechungen • Rezensionsartikel 131 41 (2012) • Heft 1 Daniela C ASPARI , Lutz K ÜSTER , Lutz (Hrsg.): Wege zu interkultureller Kompetenz. Fremdsprachendidaktische Aspekte der Text- und Medienarbeit. Frankfurt/ M.: Lang 2010 (= Kolloquium Fremdsprachenunterricht, Band 40), 159 Seiten [26,80€] Die Einsicht, dass das Erlernen einer Sprache mit kulturbezogenen Lernprozessen untrennbar verbunden ist, gehört heute zu den stabilen Grundüberzeugungen der sich meist als ‚interkulturell‘ verstehenden Fremdsprachendidaktiken. Dabei hat sich im fremdsprachendidaktischen Diskurs der letzten Jahre der Begriff der ‚interkulturellen Kompetenz‘ als Bezeichnung einer Zielorientierung, die insbesondere den kulturbezogenen Aspekten fremdsprachlichen Lernens die Richtung vorgeben soll, weitgehend durchgesetzt, ohne dass mit diesem Begriff allerdings eine klare, konkrete und halbwegs konsensfähige inhaltliche Füllung verbunden wäre. Vielmehr steht der Begriff und mit ihm die gesamte Debatte über die ‚interkulturellen‘ Aspekte des Fremdsprachenlernens derzeit im Schnittpunkt widerstreitender bildungspolitischer und wissenschaftlicher Diskurse. Da ist zum einen der mit PISA, Bildungsstandards oder dem Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmen (GER) angesprochene sozusagen ‚offizielle‘ bildungs- und sprachenpolitische Diskurs der Standard- und Kompetenzorientierung, von dem ein deutlicher Druck zur Standardisierung und Operationalisierung auch kulturbezogener Lernziele im Fremdsprachenunterricht ausgeht. Und da ist zum zweiten der kulturwissenschaftliche Diskurs, der gerade im Gegenteil den diskursiven Deutungs- und Konstruktcharakter von ‚Kultur‘ und die prinzipielle Nichtverfügbarkeit kultureller Inhalte und darauf bezogener Kompetenzen betont. In diesem Diskurs, der längst auch in den Fremdsprachenwissenschaften angekommen ist, geraten zudem zentrale Bestandteile einer sich als ‚interkulturell‘ begreifenden Fremdsprachendidaktik, etwa die Dichotomie von ‚eigener‘ und ‚fremder Kultur‘ oder überhaupt die Vorstellung einer ‚objektiv‘ beschreibbaren ‚Kultur‘, zunehmend außer Kurs. Vor diesem hier nur sehr knapp skizzierten Problemhintergrund diskutiert der vorliegende Sammelband, der auf ein „Fremdsprachendidaktisches Kolloquium Berlin-Brandenburg“ im Juli 2008 an der Humboldt-Universität in Berlin zurückgeht, insbesondere die Frage, auf welche Weise und mit Hilfe welchen textuellen und/ oder medialen Inputs sich ‚interkulturelle Kompetenz‘ im schulischen Fremdsprachenunterricht fördern und entwickeln lässt. Dass mit einer solchen Fokussierung auf im engeren Sinne didaktisch-methodische Fragestellungen nach dem ‚Wie‘ der Vermittlung die eigentlich viel brisanteren Fragen nach der Sinnhaftigkeit der Begrifflichkeit von ‚interkultureller Kompetenz‘ angesichts der angesprochenen Problemlagen immer wieder in den Hintergrund geraten, liegt einerseits in der Natur der Sache, macht aber andererseits auch eine gravierende Schwäche des Bandes aus. Der Band versammelt insgesamt zehn Einzelbeiträge, von denen sich die Hälfte im weitesten Sinn der Kategorie ‚Vorschlagsdidaktik‘ zuordnen lassen, d.h. die Beiträge unterbreiten - ganz im Sinne der übergreifenden Fragestellung - mehr oder weniger gut argumentierende Vorschläge, mit Hilfe welcher Texte, Textsorten oder Mediengattungen sich interkulturelle Kompetenz im Fremdsprachenunterricht Englisch, Französisch oder Spanisch in sinnvoller Weise fördern und entwickeln lässt. Das reicht dann vom Medium Fotografie (H OLZBRECHER ) über die vom deutsch-französischen Kulturkanal ARTE produzierte Fernsehsendung Karambolage im Französischunterricht (K ÜSTER ), die Arbeit mit Blogs (P LIKAT ) oder mit dem die politische Vergangenheit thematisierenden Roman Soldados de Salamina von J AVIER C ERCAS im Spanischunterricht (B LAUE ) bis zu den Überlegungen von Volker Raddatz zum Potenzial englischsprachiger postkolonialer Literatur, die mit ihrer Auflösung hergebrachter Identitätsmuster und ihrer fragmentierten, auf jede Eindeutigkeit verzichtenden Erzählperspektive auch formal den Anforderungen an eine lerner- und prozessorientierte Fremdsprachendidaktik entgegen komme. 132 Buchbesprechungen • Rezensionsartikel 41 (2012) • Heft 1 Auch den Beitrag von Wolfgang Z YDATIß über sachfachliches, interkulturelles und fremdsprachliches Lernen in der gymnasialen Oberstufe könnte man der Kategorie ‚Vorschlagsdidaktik‘ zuordnen, versteht er sich doch, wie der Untertitel verdeutlicht, als „Plädoyer für fächerverbindende Seminarbzw. Projektkurse“ (63). Seine Vorschläge eröffnen aber deutlich weitere Perspektiven auf die Problematik des ‚Interkulturellen‘ insofern, als hier - an einem Beispiel aus dem Englischunterricht - der enge Zusammenhang zwischen sprachlichem, kulturellem und sachfachlichem Lernen verdeutlicht wird, der zu interessanten Überlegungen zur Kombination der Fremdsprachenfächer etwa mit naturwissenschaftlichem Unterricht Anlass gibt. Der Beitrag von Heidemarie S ARTER („Sprachmittlung und pragmalinguistische Aspekte interkulturellen Fremdsprachenunterrichts“) geht vom Stand der ‚interkulturell‘ orientierten Fremdsprachendidaktiken aus, wie er insbesondere im GER formuliert ist, und ergänzt diesen in zwei Richtungen: Zum einen hebt sie die Bedeutung der Sprachmittlung hervor, die ja auch im GER schon eine gewisse Rolle spielt, und zum anderen fordert sie insbesondere im Hinblick auf die Sprachmittlung die stärkere Einbeziehung kultureller Aspekte, die mit der Sprachverwendung einhergehen, in den Fremdsprachenunterricht. Mit letzterem sind die pragmalinguistischen Aspekte wie Direktheit/ Indirektheit des Adressatenbezugs, unterschiedliche Konnotationen scheinbar gleichbedeutender Begriffe oder die die indirekte Rede einleitenden sprachlichen Mittel gemeint, die eine „kulturadäquate Sprachverwendungskompetenz“ ausmachen (97). Der Hinweis auf die Rolle pragmalinguistischer Aspekte in einem sich als ‚interkulturell‘ begreifenden Sprachunterricht ist nun allerdings wirklich nicht neu, im Gegenteil: Auch die linguistische Forschung zur interkulturellen Kommunikation ist über die von S ARTER herangezogenen kontrastiven Studien etwa von H OUSE zu Sprachverwendungspraktiken im Deutschen und Englischen längst hinaus. Daniela C ASPARI untersucht in ihrem sehr eng an der schulischen Praxis des Französischunterrichts orientierten Beitrag die 2004 von der KMK beschlossenen Einheitlichen Prüfungsanforderungen für die Abiturprüfung (EPA) für das Fach Französisch im Hinblick auf die Frage, wie ‚interkulturelle Kompetenz‘ in diesem Dokument konzeptualisiert wird und in welcher Weise sie in den dazu gehörigen Aufgabenstellungen überprüft wird. Das Ergebnis ist ernüchternd: Zwar werde der interkulturellen Kompetenz in der EPA auf einer eher allgemeinen Ebene durchaus ein hoher Stellenwert zugesprochen, aber weder sei ein kohärentes Konzept von interkultureller Kompetenz auszumachen noch seien in den Aufgabenstellungen, von wenigen Ausnahmen abgesehen, entsprechende Bezüge erkennbar. Hier seien Ergänzungen, insbesondere bei den mündlichen Aufgaben, dringend erforderlich. Abweichend vom derzeit dominanten bildungspolitischen Diskurs, der sich vorrangig an Output und learning outcomes orientiert und Fragen nach Lerninhalten und Medien eher nachrangig behandelt, fragt Andrea R ÖSSLER in ihrem Beitrag nach Standards für die Auswahl von Input und Lerngelegenheiten, mit deren Hilfe sich interkulturelle Kompetenz im Fremdsprachenunterricht entwickeln lasse. Dabei legt sie allerdings ein dem traditionellen interkulturellen Paradigma eng verbundenes Verständnis von ‚interkultureller Kompetenz‘ zugrunde, das sich wie selbstverständlich in der Begrifflichkeit von ‚eigener‘ und ‚fremder Kultur‘, von kulturspezifisch geprägten Kommunikationsformen, Wahrnehmungsweisen und Deutungsmustern bewegt, ohne die oben erwähnten kulturwissenschaftlichen Verflüssigungen dieser Konzepte auch nur ansatzweise zur Kenntnis zu nehmen. Dass die Didaktiken der an deutschen Schulen angebotenen Fremdsprachen ein großes Interesse daran haben müssen, Konzepte wie ‚interkulturelle Kompetenz‘ weniger auf begrifflicher und theoretischer Ebene zu diskutieren, sondern vor allem in Form von konkreten Lernmaterialien und Unterrichtsvorschlägen praktisch nutzbar zu machen, ist verständlich und nachvollziehbar. Das Spannungsfeld von theoretischer Reflexion und Grundlagenforschung auf der einen Buchbesprechungen • Rezensionsartikel 133 41 (2012) • Heft 1 Seite und den Anforderungen der Praxis auf der anderen Seite ist der wissenschaftlichen Beschäftigung mit dem Lernen und Lehren von Fremdsprachen immer schon inhärent und wird sich auch nie völlig zugunsten des einen oder anderen auflösen lassen. Eine Fremdsprachendidaktik, die sich als Wissenschaft begreift, sollte sich allerdings auch davor hüten, ihren wissenschaftlichen Anspruch in vorauseilendem Gehorsam gegenüber der Praxis und/ oder gegenüber bildungspolitischen Vorgaben zu vernachlässigen und sich als bloße Vorschlagsdidaktik zu gerieren. Wer heute über ‚interkulturelle Kompetenz‘ spricht, kann dies mit einem seriösen wissenschaftlichen Anspruch nicht mehr tun, ohne sich mit der in kulturwissenschaftlichen Diskursen seit langem formulierten Kritik an diesem Konzept zumindest auseinander zu setzen und daraus auch für eine mögliche praktische Umsetzung Konsequenzen abzuleiten. Dies kommt in den meisten Beiträgen des vorliegenden Bandes deutlich zu kurz. Dass es auch anders geht, zeigt aber der (englischsprachige) Beitrag von Gerhard B ACH , der sich auf der Basis aktueller kulturwissenschaftlicher Positionen sowie eigener Erfahrungen im Umgang mit Studierenden in ‚interkulturellen‘ Settings mit den üblichen Konzepten und Begrifflichkeiten wie ‚Kultur‘, ‚interkulturelle Kompetenz‘ und ‚third domain‘ auseinandersetzt und zeigt, dass kulturelle Zuschreibungen hochgradig subjektiv und fragil sind und nirgendwo sonst existieren als „in the individual’s mind“ (27). Es sei an der Zeit, so B ACH , „to review the tenets of our own arguments and the theories we construct around them“ (18). Der insgesamt sehr nachdenklich formulierte, mehr Fragen stellende als fertige Antworten liefernde Beitrag von B ACH , der den Sammelband eröffnet, setzt hier Standards, die von einigen der darauf folgenden Beiträge leider mehr oder weniger deutlich unterboten werden. Leipzig C LAUS A LTMAYER