Fremdsprachen Lehren und Lernen
flul
0932-6936
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Narr Verlag Tübingen
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2012
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Gnutzmann Küster SchrammInterkulturelle Kompetenz in nicht-sprachlichen Studiengängen: Fachliche und strategische Überlegungen
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2012
Andreas Hettiger
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FLuL 41 (2012) • Heft 2 © 2012 Narr Francke Attempto Verlag A NDREAS H ETTIGER * Interkulturelle Kompetenz in nicht-sprachlichen Studiengängen: Fachliche und strategische Überlegungen Abstract. This article deals with the necessity of intercultural training at German universities. The author sees its proper place at the University Language Centres. In this context, the article explores the various facets of “intercultural competence”, the question of its measurability and the extent to which it is embedded in language teaching. 0. Einleitung „Wie lehrt man interkulturelle Kompetenz? “, fragt ein für die Hochschulausbildung konzipiertes Handbuch aus dem Jahr 2010 (W EIDEMANN / S TRAUB / N OTHNAGEL 2010). Diese Frage führt zu weiteren Fragen: Wozu soll interkulturelle Kompetenz an Hochschulen gelehrt werden? Wo soll sie gelehrt werden? Was ist überhaupt interkulturelle Kompetenz? Antworten vor allem auf die letztgenannte Gretchenfrage bleiben theoretisch und methodisch oft nebulös. Obwohl sie für ein erfolgreiches Arbeiten in international vernetzten Unternehmen vehement eingefordert wird, stehen Hochschullehrer entsprechenden Wünschen aus der Wirtschaft oft hilflos gegenüber. Wer ist zuständig, und wie wird es gemacht? Der Deutsche Akademische Austauschdienst hat auf diese Unsicherheit reagiert und bietet in seiner Internationalen DAAD-Akademie (IDA) seit 2010 eine „Fortbildung zur Trainerin/ zum Trainer für interkulturelle Qualifizierung an Hochschulen“ an. In diesem Konzeptpapier für die Rolle und Möglichkeiten von Sprachenzentren argumentiere ich für eine Verankerung des Trainings interkultureller Kompetenz im Kontext des Fremdsprachenunterrichts und institutionell an den Sprachenzentren deutscher Hochschulen. Einen Bedarf sehe ich insbesondere für Studierende nicht-philologischer Fächer, für die das Sprachenzentrum als hochschulübergreifende Einrichtung einen direkten Zugang bietet. An vielen deutschen Hochschulen ist die Verankerung interkulturellen Trainings an den Sprachenzentren bereits Normalität und spiegelt sich von Fall zu Fall auch in der Namensgebung wider (z.B. beim „Zentrum für Sprachen und Interkulturelle Kompetenz“ der Fachhochschule Kiel). Etliche Hochschulen gehen * Korrespondenzadresse: Dr. Andreas H ETTIGER , Leiter des Sprachenzentrums der Technischen Universität Braunschweig, Pockelsstraße 4, 38106 B RAUNSCHWEIG . E-Mail: a.hettiger@tu-braunschweig.de Arbeitsbereiche: Interkulturelle Kommunikation, Deutsch als Fremdsprache, bildungspolitische Themen. 98 Andreas Hettiger FLuL 41 (2012) • Heft 2 mit der Einrichtung eigener entsprechender Studiengänge sogar noch einen Schritt weiter. So bietet die Hochschule Pforzheim in ihrem Studiengang „Wirtschaftsingenieurwesen/ International Management“ technische Inhalte mit integrierter Vermittlung interkultureller Handlungskompetenz an. Ähnliches für den Bereich BWL hat sich der Studiengang „Interkulturelle Wirtschaftskommunikation“ an der Universität Jena vorgenommen. Intercultural Engineering hat sich als Begriff etabliert und ist für Absolventen technischer Fächer, die auf den internationalen Arbeitsmarkt drängen, zum Inbegriff einer zentralen Schlüsselqualifikation geworden. Im globalisierten Arbeitskontext vor allem größerer Unternehmen ist internationales kollaboratives Lernen für technische Arbeitsfelder heute nicht mehr wegzudenken. Wo es einschlägige Studiengänge nicht gibt, sind weiterhin die Sprachenzentren als zentrale Hochschuleinrichtungen erste Anlaufstellen und Kompetenzzentren. Daneben existieren „Zentren für Hochschul- und Weiterbildung“, „Zentren für Schlüsselqualifikationen“ und andere Einrichtungen, die sich ebenfalls des Themas annehmen. 1. Training für den international classroom Gerade in nicht-sprachlichen Studienfächern ist bereits während des Studiums der international classroom Realität. Deutschland ist eines der beliebtesten Zielländer für internationale Studierende, dies gilt ganz besonders für die Ingenieurwissenschaften und insgesamt die technisch-naturwissenschaftlichen Fächer, in denen deutsche Hochschulen weltweit einen exzellenten Ruf genießen. Interkulturelle Differenzen sind im Hochschulalltag, in dem in Vorlesungen, Seminaren und Forschungsprojekten unterschiedliche Lehr-, Lern- und Wissenschaftskulturen aufeinander treffen, Alltag. Allerdings ein Alltag, der nicht reibungslos verläuft, wovon auch die noch immer hohe Rate jener ausländischen Studierenden zeugt, die an deutschen Hochschulen nicht erfolgreich zu Leistungsnachweisen oder gar einem Studienabschluss geführt werden können. Interkulturelles Training ist für Outgoings ebenso wichtig wie für Incomings - und für jene Studierenden, die erst einmal an ihrer deutschen Hochschule bleiben, aber ebenfalls für den internationalen Arbeitsmarkt vorbereitet werden wollen. Nicht zuletzt wird interkulturelles Training auch immer wieder von jenen Lehrenden nachgefragt, die Interaktion mit internationalen Studierenden und Forschern mitunter als Konfliktfeld erleben. Dabei geht es nicht nur um Sprachkenntnisse. Der international classroom erfordert von Lehrenden eine flexible Didaktik, deren Konzepte sich auf verschiedene Realitäten einstellen müssen: Lerngruppen, in denen ausländische und einheimische Studierende gemeinsam auf Deutsch unterrichtet werden; multinationale Lerngruppen, in denen ausländische und einheimische Studierende gemeinsam auf Englisch unterrichtet werden; Kurse, die speziell für ausländische Studierende angeboten werden. Um diese Settings zu meistern, bedarf es spezifischer Kenntnisse über die Kulturen der Studierenden, über verschiedene Lehr- und Lernstile und internationale Bildungssysteme. Interkulturelle Kompetenz in nicht-sprachlichen Studiengängen 99 FLuL 41 (2012) • Heft 2 Neben diesen Kenntnissen können spezifische Haltungen wie Offenheit, Flexibilität und Neugierde genauso geschult werden wie spezifische Fertigkeiten (Anpassung des Lehrstils, Analyse kultureller Unterschiede, Explizieren einer Lehrmethode, Bewältigung interkultureller Konfliktsituationen etc.). Auch die Sprachlehrer selbst benötigen diese Kenntnisse, Haltungen und Fertigkeiten. Denn auch ein kommunikativ orientierter Fremdsprachenunterricht folgt ja einem typisch westlichen Modell, das in anderen Kulturen und somit auch bei ausländischen Studierenden nicht notwendigerweise vorausgesetzt werden kann. Vor allem asiatische Studierende haben in den Kursen und Seminaren deutschsprachiger Hochschulen immer wieder Schwierigkeiten mit kommunikativ ausgerichtetem Unterricht (vgl. B OECKMANN 2006b: 5). Interkulturelle Trainings werden auf dem Trainings- und Weiterbildungsmarkt flächendeckend nachgefragt, an den Hochschulen im Kontext ehrgeiziger Internationalisierungsziele stärker denn je. Wie jede Handlungskompetenz lernt sich auch interkulturelle Kompetenz am besten durch eigenverantwortliches Handeln. Sie ist kein abstraktes Wissen, sondern eine Fähigkeit, die sich nur im Handlungsvollzug realisieren lässt. Deswegen sind für Studierende noch immer Auslandsaufenthalte und der direkte Kontakt mit Vertretern anderer Kulturen, der an der Heimatschule unter dem Stichwort der internationalisation at home 1 ermöglicht wird (z.B. durch Sprachtandems), die besten Optionen. Dies immer wieder zu betonen, ist gerade in den verengten Strukturen der Bachelor-Studiengänge eine Verpflichtung für alle, die sich professionell um die Internationalisierung deutscher Hochschulen bemühen. Neben Auslandsstudium und Sprachtandems bietet auch das formellere Lernsetting des Fremdsprachenunterrichts vielfältige Möglichkeiten. Das eingangs zitierte Handbuch führt die genannten Orte (Sprachunterricht, Sprachtandems, Auslandssemester) an prominenter Stelle ins Feld. Winfried T HIELMANN beschreibt darin den Fremdsprachenunterricht als „per se interkulturellen Unterricht“ (T HIELMANN 2010: 463), der aber als solcher nicht überall betrieben werde. Gerade an den Hochschulen sollten Studierende auf ein Studium nicht „nur sprachlich“, sondern auch „interkulturell“ vorbereitet werden. Dazu gehören Fragen allgemeiner Art zum Studium im Ausland und die Thematisierung anderer Lehr- und Lernsowie Wissenschaftskulturen. Hier bieten sich gemeinsame Angebote von Sprachenzentrum und International Office an. Studierende profitieren dabei gleichermaßen von beiden Institutionen. Durch die Integration von Sprachmodulen in die Fachcurricula und durch Auslandsaufenthalte werden kombinierte Internationalisierungspotentiale kreiert. Sinnvoll sind gemeinsame Angebote, z.B. Outgoing-Veranstaltungen („Go China! “, „Go Russia! “ etc.). T HIELMANN sieht „besonders gute Chancen für die Vermittlung interkultureller Kompetenz an den Universitäten und Hochschulen […] in dem Bereich der bereits z.T. recht gut komparativ verstandenen Wissenschaftskommunikation“ (ebd. 483). Dies gilt insbesondere für die Vermittlung der 1 „Dieser Begriff steht für das Potential, das die Internationalisierungsprozesse auf dem eigenen Campus mit sich bringen, etwa in Bezug auf internationale Erfahrungen, die (nicht-mobile) Studierende auch vor Ort machen können. Das heißt u.a., dass interkulturelle Kompetenzen, die durch ein Auslandsstudium erworben werden sollen, bereits vor Ort erworben werden“ (T HOMAS 2010: 22). 100 Andreas Hettiger FLuL 41 (2012) • Heft 2 deutschen Wissenschaftssprache für die ausländischen Studierenden an deutschen Hochschulen. 2. Interkulturelle Kompetenz - Was ist das eigentlich? Obwohl die Notwendigkeit interkulturellen Trainings an den Hochschulen gerne und oft betont wird, besteht eine fundamentale Unsicherheit darüber, was mit dem Begriff „interkulturelle Kompetenz“ gemeint ist. Manche Fremdsprachendidaktiker sind verständlicherweise versucht, Interkulturalität an ein Konzept von Kulturen als Sprachgemeinschaften zu binden. 2 Obwohl damit das Konzept des Interkulturellen für den Fremdsprachenunterricht handhabbar zu werden scheint, spiegelt es nicht die volle Realität aller möglichen interkulturellen Begegnungen. Während manche Ansätze mit „interkultureller Kompetenz" hauptsächlich das Ziel effizienten Handelns in internationalen Kontexten verbinden, fokussieren andere auf ein Bildungsideal im Sinne einer eher allgemeinen menschlichen Weiterentwicklung (vgl. R ATHJE 2006: 6). An diesen beiden Spektren entzündet sich die Frage, ob es überhaupt so etwas wie eine allgemeine interkulturelle Kompetenz gebe, oder ob sich diese nicht immer nur in ganz bestimmten Situationen beweise. So wie es sinnlos sei, allgemeine Kurse in „Fremdsprachenkompetenz“ anzubieten, sondern sinnhaft nur konkrete Sprachkurse wie Französisch, Spanisch oder Italienisch angeboten werden können, so sollten auch interkulturelle Trainings so kultur- und situationsspezifisch wie möglich sein. Anders sieht es Stefanie R ATHJE : „Dies steht […] im Widerspruch zu der Beobachtung, dass bestimmte Menschen mit Fremdheitserfahrungen in unterschiedlichen Kontexten leichter umgehen können als andere, ein Umstand, der überhaupt erst zur Entstehung des Konzepts geführt hat und seine Existenz bis heute rechtfertigt“ (R ATHJE 2006: 7). Welcher Position man sich auch anschließt, in einer Einsicht laufen die unterschiedlichen Auffassungen zusammen: Ganz offensichtlich bezieht sich interkulturelle Kompetenz primär auf Kommunikationsfähigkeiten. Wenn man aber von nationalstaatlichen Stereotypen abweicht - ist dann nicht jede Kommunikation interkulturell? Vereinen sich nicht in jedem Kommunikationspartner eine Vielzahl unterschiedlichster kultureller Einflüsse, egal woher sie oder er stammt? Kann man am Anfang des 21. Jahrhunderts, der durch Globalisierung und multikulturelle Gesellschaften geprägt wird, überhaupt noch in einem klassischen, polaren Sinne von „interkultureller Kommunikation“ sprechen? Diese Fragen stellen herkömmliche Konzepte interkultureller Kommunikation mit ihren relativ einfach handhabbaren kontrastiven Verhaltensregeln (Dos and Don‘ts) nachhaltig infrage. Die Forschung hat auf diese Herausforderungen mit komplexen Kulturmodellen reagiert, welche die Prozesshaftigkeit von Kulturen als Kommunikationsgemeinschaften, ihre Dynamiken und Mehrfachzugehörigkeiten berück- 2 Z.B. B OECKMANN (2006b: 2): „Im Folgenden möchte ich nur dann von Interkulturalität sprechen, wenn es um Kontakte zwischen Kommunikationsgemeinschaften geht, die sich verschiedener Sprachen bedienen - wobei ich ‚Sprache‘ hier auf der Ebene von Standardvarietäten verstehe“. Interkulturelle Kompetenz in nicht-sprachlichen Studiengängen 101 FLuL 41 (2012) • Heft 2 sichtigen, etwa im Konzept der fuzzy cultures (vgl. B OLTEN 2007; B OECKMANN 2006b: 2), deren Handhabbarkeit für das interkulturelle Training sich aber noch erweisen muss. Für die Praxis an den Hochschulen halte ich R ATHJES Konzept der interkulturellen Kompetenz im Kontext eines Kohäsionsmodells, das Kommunikationsprozesse handlungsorientiert in der Perspektive von Normalitätserzeugung beschreibt, für besonders erhellend. Denn um Normalitätserzeugung, im Sinne einer Vorbereitung der Studierenden auf die Arbeitswelt, geht es in der akademischen Ausbildung. Über die Rolle der Fremdsprachen beim Aufbau interkultureller Kompetenz liest man bei wichtigen Akteuren der Interkulturalitätsforschung, so auch bei Stefanie R ATHJE , allerdings erstaunlich wenig. Dies verwundert insofern, weil auch in diesen Theorien gemeinhin Handlungskompetenz im Zentrum interkultureller Kompetenz steht und diese ja immer auch eine sprachliche Handlungskompetenz ist. Zwar stellt beispielsweise Jürgen B OLTEN die Fremdsprachen ins Zentrum seines Kreismodells zur interkulturellen Kompetenz (vgl. B OLTEN 2007) - in den explizierenden Texten zum Modell finden sie aber kaum weitere Erwähnung. Interessanter scheint für die einschlägige Forschung der Wirtschaftskontext zu sein, mit Vorliebe das Forschungsfeld eines interkulturellen Marketings. Kulturstandards, critical incidents und Kulturmodelle bestimmen die aktuelle Forschungsdiskussion, die Rolle der Fremdsprachen wird weitgehend in separaten Forschungszirkeln (der angewandten Sprachlehrforschung) diskutiert. „Die meisten IK-Theorien und IK-Trainings [sind] ‚sprachlos‘. Das aber ist weder theoretisch noch praktisch haltbar. Bis heute kommt in der IK-Theorie und in der Praxis vieler IK-Tranings Sprache nur am Rande vor“ (C AMERER 2007: 2). 3. Das Interkulturelle im Fremdsprachenunterricht Die Unsicherheit über den Trainingsgegenstand „interkulturelle Kompetenz“ reicht bis in die Reihen der Sprachlehrer, für deren pädagogische Zuständigkeit ich in diesem Artikel plädiere. Während Sprachvermittlung auf den Aufbau eines neuen kognitiven Systems zielt und mit der Verwendung von Lexik, Syntax und Grammatik „hartes Wissen“ trainiert (vgl. K AMM 2008: 21; B OECKMANN 2006b: 4), wird interkulturelles Training gemeinhin den soft skills zugeordnet, die zwar ein bestehendes kognitives System erweitern, aber kein neues konstituieren. Wie viele andere soft skills oder „Schlüsselkompetenzen“ weist auch die interkulturelle Kompetenz kein kohärentes System auf. Gerade Fremdsprachenlehrer wehren sich oft vehement gegen die Subsumierung ihrer Fächer unter die soft skills, weil sie (nicht unbegründet) eine Marginalisierung innerhalb ihrer Hochschulen fürchten. Jürgen B OLTEN versteht interkulturelle Kompetenz als Spezialform einer allgemeinen Handlungskompetenz, die sich aus den vier Teilkompetenzen individuelle, soziale, fachliche und strategische Handlungskompetenz zusammensetzt, als „generelle Handlungskompetenz mit interkulturellen Vorzeichen“ (B OLTEN 2003: 157). Besonders sei nur die Situation, in der diese Kompetenzen verlangt werden, die eine interkulturelle ist. Mit einer solchen vermeintlichen „Entzaube- 102 Andreas Hettiger FLuL 41 (2012) • Heft 2 rung“ der interkulturellen Kommunikation, die auch ohne einen geheimnisvollen ‚dritten Ort‘ auskommt und sich im „Zwischen“ eines jeden Kommunikationsprozesse abspielt, kann interkulturelle Kompetenz individuell in konkreten Situationen als bewährtes Kommunikationstraining konzipiert werden. „Wenn interkulturelle Kompetenz […] sich auf konkrete Fähigkeiten konkreter Menschen im zwischenkulturellen Austausch bezieht, steht die interkulturelle kommunikative Kompetenz, ihre Beschreibung und Erzielung durch Bildung und Training, im Mittelpunkt“ (C AMERER 2007: 2). Angesichts der starken Verankerung interkultureller Kompetenz im menschlichen Verhalten verwundert nicht, dass einige Sprachlehrer der Vermittlung interkultureller Kompetenz skeptisch gegenüberstehen, da sie ein Verhaltenstraining en passant als Überforderung ansehen. Zugleich richtet sich aber gerade der hochschulbezogene Fremdsprachenunterricht seit Jahren am Paradigma der Handlungsorientierung aus. Handeln und Sich Verhalten sind zwei Seiten desselben Phänomens. Für den Fremdsprachenunterricht bedeutet diese Perspektive, „dass die Verwendung von Werkzeugen wie kommunikative Strategien und interkultureller Kompetenz in den Wissenserwerb eingebaut werden muss, wenn selbständiges Sprachhandeln in der interkulturellen Kommunikation das Ziel ist“ (F ISCHHABER 2002: 4). Konkret illustriert C AMERER diese These einleuchtend an den „besonderen Risiken innereuropäischer Kommunikation mittels International English“ und verweist dabei auf Studien, die eine unterschiedliche Verwendung der gleichen Sprache belegen, wenn etwa Deutsche, Franzosen, Italiener, Polen und Ungarn miteinander auf Englisch kommunizieren (C AMERER 2007: 5). Es gibt zumindest in Deutschland wohl nur noch wenige Sprachlehrer, die ihren Unterricht nach dem Vorbild der Grammatik-Übersetzungs-Methode als isolierte Vermittlung von Grammatik und Lexik verstehen. Der Skepsis Winfried T HIELMANNS (2010: 483), wonach „im Sprachunterricht das Sprachprodukt, und nicht die mit ihm vollzogene sprachliche Handlung, zentral steht“, und damit „der Vermittlung sprachlichen Handelns gewisse Grenzen [ge]setzt, die u.U. auch mit modernen Methoden nicht nennenswert zu verschieben sind“, stehen eine intensive Suche und ein umfangreiches Tun unter dem Leitbild handlungsorientierten Sprachunterrichts gegenüber. Nach dem communicative turn in der Fremdsprachenausbildung war der „(inter)cultural turn“ (B OECKMANN 2006a: 2) nur eine Frage der Zeit und quasi unvermeidbar für Ansätze, die Kulturen im Blickwinkel der Kommunikation betrachten. R EISING -S CHAPLER (2003: 7) qualifiziert Kontroversen um die Integration interkultureller und sprachlicher Lernziele als „Scheinkontroversen“, die sie auf ein reduziertes Verständnis von Fremdsprachendidaktik zurückführt, das sich einer weit gefassten Definition kommunikativer Kompetenz nicht geöffnet habe. Die Konfrontation von Eigenem und Vertrautem mit Fremdem und Unbekanntem, Kern der interkulturellen Kommunikation, ist für Fremdsprachenlerner eine zentrale Erfahrung. UNIcert®, das Qualitätssiegel des Arbeitskreises der Sprachenzentren (AKS) an deutschen Hochschulen, reagierte auf diese Entwicklung unter anderem mit einem Workshop zum Thema „Das Interkulturelle in der UNIcert®-Fremdsprachenausbildung“, der im November 2011 am Sprachenzentrum der TU Braunschweig aus- Interkulturelle Kompetenz in nicht-sprachlichen Studiengängen 103 FLuL 41 (2012) • Heft 2 gerichtet wurde. In der dortigen Arbeitsgruppe „Handlungsorientierung bei interkulturellen Trainings im universitären Fremdsprachenunterricht“ gaben alle Teilnehmer an, dass in ihrem Fremdsprachenunterricht regelmäßig interkulturelle Kompetenzen vermittelt werden, und zwar integriert in den allgemeinsprachlichen Unterricht, vor allem ab den Niveaustufen B1 und B2. Auch in Kursen zur Fachsprache Wirtschaft hat demnach das interkulturelle Training einen festen Platz, außerdem im Landeskundeunterricht, bei Ländervergleichen und beim Tandemlernen. Neben Sprachkursen werden fast überall auch eigene interkulturelle Kommunikationskurse angeboten, entweder als kulturunspezifische Sensibilisierungstrainings oder als kulturspezifische Ziellandtrainings (vgl. B ERICHT 2011). Wie alle Kommunikationsfähigkeiten lässt sich aber auch interkulturelle Kompetenz nicht in einem Wochenend-Workshop erwerben - sie setzt die Bereitschaft zum lebenslangen Lernen voraus (vgl. K AMM 2008: 21). Auch deswegen erscheinen die Sprachenzentren als ideale Orte für ihre Vermittlung, da die dort angebotenen Kurse die Studierenden langfristig während ihres gesamten studentischen Lebenszyklus begleiten. 4. Ist interkulturelle Kompetenz messbar? An den Hochschulen stellt sich die Frage nach der Bewertung der angebotenen Lehrveranstaltungen regelmäßig. Die Fachbereiche gerade nicht-sprachlicher Fächer verlangen für Angebote, für die credit points vergeben werden, Leistungsnachweise. Wie aber lässt sich ein erfolgreicher Erwerb interkultureller Kompetenz nachweisen oder gar benoten? Im Fremdsprachenunterricht ist das Ziel die Progression in den Niveaustufen des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens (GER). Im interkulturellen Training kann das Ziel aber nicht sein, möglichst „so amerikanisch wie die Amerikaner“, „so deutsch wie die Deutschen“ oder „so chinesisch wie die Chinesen“ zu werden. Auf welchen Referenzpunkt können interkulturelle Trainings dann rekurrieren? Katrin F ISCHHABER skizziert (nach Michael B YRAM ) den Typus des intercultural speaker (anstelle des native speaker), der sich nicht nur an einer Kultur orientiert, sondern auch fähig ist, die angemessenen Formen auszuwählen, die in spezifischen sozialen und kulturellen Kontexten gefordert werden - dies kann die Kenntnis von Sprachvarietäten genauso betreffen wie die Fähigkeit zur Selbsteinschätzung in Bezug auf Nähe oder Distanz zur Sprache respektive Kultur eines Gesprächspartners (vgl. F ISCHHABER 2002: 2; B YRAM 1997). Während der Fremdsprachenunterricht auf fundierte Testverfahren zurückgreifen kann, klafft für die interkulturellen Trainings eine Lücke. Gleiches gilt für Einstufungsverfahren, die für den Fremdsprachenunterricht grundlegend sind. Lässt sich analog zum in der Fremdsprachendidaktik Erreichten bestimmen, auf welcher Niveaustufe der interkulturellen Kompetenz sich ein Studierender befindet? „Verlässliche Diagnoseinstrumente für interkulturelle Kompetenz gibt es nur wenige“, resümieren H ERZOG und P EÑA in ihrer einschlägigen Studie (2002: 1), wenn auch Anbieter auf 104 Andreas Hettiger FLuL 41 (2012) • Heft 2 dem freien Markt immer wieder das Gegenteil behaupten und die Messbarkeit interkultureller Kompetenz vollmundig versprechen (wobei beträchtliche Geldsummen im Spiel sind). Die Validität solcher Messungen ist wissenschaftlich nicht verbürgt. Am weitesten fortgeschritten sind Forschungen zur Ergebnisskalierung interkultureller Assessment Center. Hier werden Probanden besonders erfolgreiche oder erfolglose Strategien zur Bewältigung interkultureller Situationen präsentiert, um dann ihr Wissen über die Angemessenheit verschiedener Handlungsoptionen im internationalen Kontext beurteilen zu können (vgl. H ERZOG / P EÑA 2002: 8). „Interkulturelle Kompetenz kann von der Plattform der Sprachkompetenz aus beschrieben werden, denn in der kommunikativen Praxis erweist sie sich“ (C AMERER 2007: 3). Dabei kann auf bereits vorhandene Kriterien zurückgegriffen werden. Die Deskriptoren des GER enthalten Formulierungen zu Schnittstellen von Sprachverwendung und interkultureller Kompetenz. Insofern könnte der GER helfen, interkulturell kritische Szenarien zu identifizieren und interkulturelle Kompetenzen systematisch nach den sechs Niveaustufen zu staffeln und so Orientierungspunkte für die Curriculums-, Material- und Testentwicklung für interkulturelle Kompetenz zu liefern (vgl. C AMERER 2007: 4). Die Sprachenzentren mit ihrer Expertise in angewandter Forschung und Praxis und ihren etablierten und auf empirischer Grundlage beruhenden validen, objektiven und reliablen Verfahren zur Einstufung und Leistungsbewertung scheinen mir geeignete Orte zu sein, im Bereich der interkulturellen Kompetenz zukünftig innovative Verfahren zur Einstufung und Bewertung zu entwickeln. Sinnvoller als selbst gestrickte Einzellösungen sind übergreifend entwickelte Lösungen im Kontext des AKS und von UNIcert®, um auf eine flächendeckende Akzeptanz an den Hochschulen bauen zu können. 5. Die Sprachenzentren als Orte interkulturellen Lernens in der Perspektiven eines Lernens 2.0 Neue Technologien und Lernformen des Lernens 2.0 sind besonders geeignet, Fremdsprachenerwerb und den Erwerb interkultureller Kompetenz miteinander zu verbinden. Hier sind Sprachenzentren vielerorts Vorreiter an ihren Hochschulen, weil sie bereits seit Jahren mit elektronischen Lernplattformen (z.B. Moodle) arbeiten. In virtuellen Kursräumen lassen sich authentische Situationen, die für das interkulturelle Lernen am besten geeignet sind, oft noch besser herstellen als in formelleren Lernsettings. Insbesondere Studierende nicht-sprachlicher Studienfächer werden regelmäßig mit internationalen Projektarbeiten konfrontiert, die auf die reale Lebenswelt vorbereiten und für deren Lösung didaktisch sinnvolle Unterstützung bereitgestellt werden muss. Durch die Verbindung solcher Projekte „mit virtuellen Lernumgebungen wie Internet und internationalen Foren (Videokonferenzen, interaktive Datenbanken) kann eine quasi-authentische Lernumgebung geschaffen werden, in der interkulturelle Kommunikation relativ leicht zu verwirklichen ist“ (F ISCHHABER 2002: 5). Blended learning verbindet didaktisch sinnvoll die Effektivität und Flexibilität elektronischer Lernformen mit den Interkulturelle Kompetenz in nicht-sprachlichen Studiengängen 105 FLuL 41 (2012) • Heft 2 sozialen Aspekten der Face-to-Face-Kommunikation. An den Sprachenzentren treffen interkulturelle Trainings zumeist auf bereits entwickelte technische Ressourcen, weil viele Sprachlehrer Online-Learning-Management-Systeme bereits seit längerer Zeit in ihren Unterricht integrieren und sich kontinuierlich auch technisch in der Verwendung von E-Learning-Tools weiterbilden. Kaum ein Einrichtungstyp hat ein so breites Netzwerk und eine so weite und tiefe Verankerung wie die Sprachenzentren aufzuweisen, die im AKS als Interessenverband organisiert sind und mit UNIcert® über ein wissenschaftlich fundiertes Qualitätssiegel ihres Ausbildungskonzepts verfügen, das mehr und mehr auch die interkulturelle Komponente der Sprachausbildung ins Visier nimmt. Als hochschulspezifisches, sprach- und institutionenübergreifendes Zertifikationssystem ermöglicht UNIcert® eine international angesehene akkreditierte Sprachausbildung an europäischen Hochschulen. An einer Zertifizierung auch interkultureller Kompetenzen wird lebhaft gearbeitet, die Sprachenzentren befinden sich mitten in einem zwar kontroversen, aber lohnenden Prozess. Literatur B ERICHT (2011) des 12. Unicert-Workshops zum Thema „Das Interkulturelle in der UNIcert-Fremdsprachenausbildung“ an der TU Braunschweig am 19. November 2011. (http: / / www.unicertworkshop2011.de/ ) B OECKMANN , Klaus-Börge (2006a): „Kritische Anmerkungen und neue Perspektiven zu Interkulturalität und Fremdsprachenunterricht: Einführung“. In: Zeitschrift für Interkulturellen Fremdsprachenunterricht [Online] 11.3, 3 S. B OECKMANN , Klaus-Börge (2006b): „Dimensionen von Interkulturalität im Kontext des Fremd- und Zweitsprachenunterrichts“. In: Zeitschrift für Interkulturellen Fremdsprachenunterricht [Online] 11.3, 19 S. B OLTEN , Jürgen (2003): „Grenzen der Ganzheitlichkeit - Konzeptionelle und bildungsorganisatorische Überlegungen zum Thema ‚Interkulturelle Kompetenz‘“. In: Erwägen, Wissen, Ethik 14.1, 156- 158. B OLTEN , Jürgen (2007).: Einführung in die Interkulturelle Wirtschaftskommunikation. Stuttgart: UTB. B YRAM , Michael (1997): Teaching and Assessing Intercultural Communicative Competence. Clevedon: Multilingual Matters. C AMERER , Rudolf (2007): „Sprache - Quelle aller Missverständnisse. Zum Verhältnis von Interkultureller Kompetenz und Sprachkompetenz“. In: Zeitschrift für Interkulturellen Fremdsprachenunterricht [Online] 12.3, 11 S. F ISCHHABER , Katrin (2002): „Digitale Ethnographie. Eine Methode zum Erlernen interkultureller Kompetenz im Fremdsprachenunterricht“. In: Zeitschrift für Interkulturellen Fremdsprachenunterricht [Online] 7.1, 23 S. H ERZOG , Julia / P EÑA , Jorge: „Personalentwicklung mittelständischer Unternehmen für internationale Märkte. Ein computergestütztes interkulturelles Assessment Center“. In: Interculture-Online 2/ 2002, 18 S. K AMM , Jürgen.: „Fremdsprachen - Schlüsselqualifikationen der Interkulturellen Kommunikation? “ In: P OLLETI , Axel (Hrsg.): Sprachen als akademische Schlüsselkompetenz? Arbeitskreis der Spra- 106 Andreas Hettiger FLuL 41 (2012) • Heft 2 chenzentren, Sprachlehrinstitute und Fremdspracheninstitute. Dokumentation der 25. Arbeitstagung 2008, 14-29. R ATHJE , Stefanie (2006): „Interkulturelle Kompetenz - Zustand und Zukunft eines umstrittenen Konzepts“. In: Zeitschrift für Interkulturellen Fremdsprachenunterricht [Online] 11.3, 21 S. R EISING -S CHAPLER , Martina (2003): „Fremdsprachenlernen und -lehren im virtuellen Klassenraum und in Internetforen: Eine Möglichkeit zum Erwerb kooperativer und (kommunikativ-)interkultureller Kompetenz im Fremdsprachenunterricht? “ In: Zeitschrift für Interkulturellen Fremdsprachenunterricht [Online] 8.2/ 3 S. 1-17. T HIELMANN , Winfried: „Fremdsprachenunterricht“. In: W EIDEMANN / S TRAUB / N OTHNAGEL (2010) 463-488. T HOMAS , Alexander (2010): „Geleitwort“. In: G WENN H ILLER , Gundula / V OGLER -L IPP , Stefanie (Hrsg.) (2010): Schlüsselqualifikation Interkulturelle Kompetenz an Hochschulen. Grundlagen, Konzepte, Methoden. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften" 4-7. W EIDEMANN , Arne / S TRAUB , Jürgen / N OTHNAGEL , Steffi (2010): Wie lehrt man interkulturelle Kompetenz? Theorien, Methoden und Praxis in der Hochschulausbildung. Ein Handbuch. Bielefeld: transcript Verlag.