eJournals Fremdsprachen Lehren und Lernen 44/1

Fremdsprachen Lehren und Lernen
flul
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Narr Verlag Tübingen
Es handelt sich um einen Open-Access-Artikel, der unter den Bedingungen der Lizenz CC by 4.0 veröffentlicht wurde.http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/61
2015
441 Gnutzmann Küster Schramm

Deutsch und Englisch als Wissenschaftssprachen

61
2015
Claus Gnutzmann
Jenny Jakisch
Frank Rabe
flul4410009
44 (2015) • Heft 1 © 2015 Narr Francke Attempto Verlag C LAUS G NUTZMANN , J ENNY J AKISCH , F RANK R ABE * Deutsch und Englisch als Wissenschaftssprachen - Eine Interviewstudie mit Wissenschaftlern, Herausgebern und Verlagsmitarbeitern Abstract. With increasing Anglophony in academia, writing and publishing in English have become the norm in many subjects. While this is a general tendency, there is considerable disciplinary variation in the writing and publishing practices. Drawing on interview data with representatives from four disciplines (i.e. biology, mechanical engineering, German linguistics, history), the project Publish in English or Perish in German? investigates the additional challenges German researchers have to deal with when writing in English, the resources they employ to meet their publishing aims as well as their attitudes towards English and German as languages of research. This is complemented by the perspectives of editors and publishing staff on writing and publishing in English and/ or German as well as on the role of academic multilingualism. The article introduces the project, its research framework and presents selected results and implications of the study. 1. Einleitung Es ist bekannt, dass das Englische in vielen Bereichen unseres Alltags immer stärker an Bedeutung gewinnt. Englisch ist die Fremdsprache, die die Europäer am besten beherrschen (vgl. E UROPÄISCHE K OMMISSION 2012: 22), sie wird in der Regel als erste schulische Fremdsprache in Deutschland gelernt und findet häufig Einsatz im bilingualen Sachfachunterricht. Diese Entwicklung macht auch vor den Universitäten und der Wissenschaftskommunikation nicht halt: „Die Spitzenforschung spricht englisch“ - so Hubert Markl schon vor 20 Jahren (M ARKL 1985). Viele Hochschulen haben sich das * Korrespondenzadressen: Prof. Dr. Claus G NUTZMANN , Technische Universität Braunschweig, Englisches Seminar, Bienroder Weg 80, 38106 B RAUNSCHWEIG . E-Mail: c.gnutzmann@tu-braunschweig.de Arbeitsbereiche: Das Englische als Welt- und Wissenschaftssprache und seine Vermittlung, Fachsprachen, Englische Grammatik und ihre Didaktik, Kontrastive Linguistik und Fehleranalyse, Language Awareness. Dr. des. Jenny J AKISCH , wissenschaftliche Mitarbeiterin, Technische Universität Braunschweig, Englisches Seminar, Bienroder Weg 80, 38106 B RAUNSCHWEIG . E-Mail: j.jakisch@tu-braunschweig.de Arbeitsbereiche: Englisch als europäische Verkehrssprache, Mehrsprachigkeitsdidaktik, Praktika und Praxis in der Lehrerbildung. Frank R ABE , wissenschaftlicher Mitarbeiter, Technische Universität Braunschweig, Englisches Seminar, Bienroder Weg 80, 38106 B RAUNSCHWEIG . E-Mail: f.rabe@hotmail.com Arbeitsbereiche: Englisch als Wissenschaftssprache, Wissenschaftliches Schreiben in der Fremdsprache Englisch, Didaktik des Bilingualen Sachfachunterrichts. 10 Claus Gnutzmann, Jenny Jakisch, Frank Rabe 44 (2015) • Heft 1 Ziel der Internationalisierung auf die Fahnen geschrieben. Von Austauschprogrammen für Studierende über internationale Kooperationen unter Lehrenden bis hin zu englischsprachigen Institutsbezeichnungen und Stellenausschreibungen gibt es eine Reihe von Maßnahmen, mit denen eine Internationalisierung vorangetrieben werden soll. 1 Sofern die Hochschulen nicht ganze Studiengänge oder einzelne Veranstaltungen in der Fremdsprache Englisch anbieten, setzen sie zumindest englischsprachige Publikationen als Grundlage zur Vermittlung fachlicher Inhalte ein (vgl. G NUTZMANN / J AKISCH / R ABE 2015a). Für Wissenschaftler ist es in vielen Disziplinen nahezu unabdingbar geworden, auf Englisch zu publizieren; etliche vormals von den Nationalsprachen geprägte Zeitschriften akzeptieren nunmehr nur englischsprachige Beiträge. Das Englische ist somit zur dominanten und häufig sogar einzigen Publikationssprache in vielen Fächern avanciert, wie sich eindeutig mit Hilfe entsprechender Zahlen belegen lässt. So lag bei naturwissenschaftlichen Publikationen der Anteil englischsprachiger Artikel schon vor mehr als 15 Jahren bei über 90% (vgl. A MMON 1998: 152) 2 , und auch für die Sozial- und Geisteswissenschaften wurden Domänenverluste an das Englische festgestellt (vgl. A MMON 2006; L AURÉN / M YKING / P ICHT 2004). Wenngleich bei den beiden zuletztgenannten Disziplinen die Nationalsprachen durchaus weiter von Bedeutung sind, gibt es hier ebenso eine zunehmende Hinwendung zum Englischen - nicht zuletzt deshalb, weil englischsprachige Publikationen, insbesondere im Kontext von US-amerikanisch geprägten Theorien, Methoden und Forschungsthemen, häufig ein entscheidender Karrierefaktor sind. Was angesichts von Globalisierungsprozessen und dem allgemein positiven Image des Englischen nur folgerichtig und fortschrittsträchtig erscheinen mag, kann allerdings durchaus kritisch gesehen werden. Denn die Hinwendung zu einer wissenschaftlichen Einheitssprache lässt sich nicht ‚kostenneutral‘ vollziehen und ist für die Beteiligten z.T. mit einem erheblichen Mehraufwand, wie der Korrektur von Manuskripten durch einen Muttersprachler 3 oder dem Besuch von Sprachkursen, verbunden. Es ließe sich andererseits argumentieren, dass auch native speakers, ähnlich wie Nichtmuttersprachler, den korrekten Umgang mit dem Englischen als Wissenschaftssprache erst erlernen müssen. Dennoch dürften Wissenschaftler mit Englisch als Muttersprache sprachlich im Voraus sein, da Fachsprachen aus der Gemeinsprache hervorgehen und sich sprachliche Intuition vor allem während des Spracherwerbsprozesses für die Erstsprache entwickelt. 1 Explizite Aussagen zur Internationalisierung und deren Umsetzung, beispielsweise zum Anteil englischsprachiger Lehrveranstaltungen oder der Unterstützung der Lehrenden bei der Abfassung englischsprachiger Manuskripte, sind an deutschen Universitäten allerdings eher selten zu finden. Die Empfehlung der 11. Mitgliederversammlung der HRK zur Sprachenpolitik an deutschen Hochschulen (H OCHSCHULREKTORENKON - FERENZ 2011) strebt akademische Mehrsprachigkeit an; die Verantwortung für die Ausgestaltung sprachenpolitischer Vorgaben wird in die Hände der einzelnen Hochschulen gelegt. 2 Dieser Anteil könnte allerdings überzeichnet gewesen sein, da ihm Analysen von Datenbanken zugrunde liegen, die „ihren Standort in englischsprachigen oder zum Englischen hinneigenden Ländern haben“ (A MMON 2010: 401). 3 Maskuline Bezeichnungen wie „Muttersprachler“ werden im generischen Sinne verwendet. Deutsch und Englisch als Wissenschaftssprachen 11 44 (2015) • Heft 1 Neben möglichen kommunikativen Nachteilen, mit denen nichtmuttersprachliche Wissenschaftler sich konfrontiert sehen, wenn sie auf Englisch publizieren, geht die fortschreitende Anglisierung ferner mit einem Verlust an wissenschaftlicher Mehrsprachigkeit einher (vgl. u.a. E HLICH 2012, 2013; O ESTERREICHER 2012). Geht man davon aus, dass verschiedene Sprachen Sachverhalte auf je eigene Weise fassen, ist es, wie R OCHE (2013: 20) betont, entgegen der häufig vertretenen Meinung nicht beliebig, in welchem Medium wissenschaftliche Ergebnisse kommuniziert werden. Vielmehr wäre die Dominanz des Englischen dann als Eingriff in die gedankliche Vielfalt, wie sie nicht zuletzt durch unterschiedliche Nationalsprachen repräsentiert wird, zu sehen. Der vorliegende Beitrag widmet sich dem Stellenwert der Wissenschaftssprachen Deutsch und Englisch und beleuchtet verschiedene Facetten aus dem Themenfeld „wissenschaftliche Mehrsprachigkeit“ anhand von Interviewdaten. Diese stammen aus dem Projekt Publish in English or Perish in German? (PEPG) 4 , das zunächst kurz vorgestellt werden soll (Abschnitt 2). Es folgt eine Beschreibung der Herausforderungen, mit denen deutsche Wissenschaftler beim Schreiben auf Englisch konfrontiert sind, und der fachlich-sprachlichen Anforderungen, denen ihre Texte genügen müssen. Darauf aufbauend werden Ressourcen analysiert, die die Wissenschaftler einsetzen, um erfolgreich zu publizieren (Abschnitt 3). Komplettiert werden diese Ergebnisse durch Daten aus Interviews mit Herausgebern von Fachzeitschriften sowie Verlagsmitarbeitern. Ihre Einstellungen zu den Wissenschaftssprachen Englisch und Deutsch geben Einblicke in den Umgang mit wissenschaftlicher Mehrsprachigkeit und die Sichtweise der beteiligten Akteure (Abschnitt 4). Der Beitrag schließt mit Überlegungen zu möglichen Implikationen des Projekts (Abschnitt 5); er versteht sich als Resümee der in der Förderungsphase durchgeführten Forschungen. 2. Das Forschungsprojekt „Publish in English or Perish in German? “ Das Projekt widmet sich den Konsequenzen der zunehmend anglophonen Ausrichtung des Wissenschaftsbetriebs und untersucht das wissenschaftliche Schreiben und Publizieren in englischer Sprache in zwei komplementären Teilprojekten. In einer von Mehrsprachigkeit geprägten Wissenschaftslandschaft (vgl. P ETERSON / S HAW 2002: 372; H ABERLAND / M ORTENSEN 2012: 4) lässt sich eine solche Untersuchung nur ausgehend vom Zusammenspiel der Sprachen Englisch und Deutsch durchführen. Hinzu kommt, dass sich im Verlauf der Arbeit an den Daten gezeigt hat, dass auch in sehr stark anglisierten Disziplinen wie der Biologie das Deutsche nach wie vor eine Rolle spielt, z.B. in der Laborkommunikation und der Lehre. Die Komplexität und Differenziertheit die- 4 Wir danken der VolkswagenStiftung für ihre großzügige Förderung im Rahmen des Förderschwerpunkts „Deutsch plus - Wissenschaft ist mehrsprachig“ innerhalb des Zeitraums 11/ 2012 bis 10/ 2014 sowie der Technischen Universität Braunschweig für die Unterstützung einer vorangehenden Pilotstudie durch Mittel aus ihrem Zukunftsfonds. Unser herzlicher Dank gilt weiterhin allen an der Untersuchung beteiligten Wissenschaftlern, Herausgebern und Verlagsmitarbeitern, die sich bereitwillig und aufgeschlossen für die Interviews zur Verfügung gestellt haben. 12 Claus Gnutzmann, Jenny Jakisch, Frank Rabe 44 (2015) • Heft 1 ser wissenschaftssprachlichen Verwendungen müssen daher in die Untersuchung einbezogen werden. Das Projekt zeichnet sich dadurch aus, dass es weniger die Produkte des Schreibens selbst in den Blick nimmt als die damit verbundenen Prozesse sowie die soziale Dimension des Schreibens. Ziel ist es dabei, die Textproduktion und -rezeption umgebenden Aktivitäten zu erforschen und zu untersuchen, wie die Diskursteilnehmer diese wahrnehmen (vgl. H YLAND 2012: 36f.). Es lag daher nahe, einen qualitativen Ansatz zu wählen und leitfadengestützte Experteninterviews sowohl mit Wissenschaftlern (Projektteil Schreiben) als auch mit Herausgebern internationaler Fachzeitschriften sowie Verlagsmitarbeitern (Projektteil Publizieren) durchzuführen. Die Studie ist disziplinspezifisch angelegt. Um dem unterschiedlichen Grad der Anglisierung, der in den verschiedenen Disziplinen vorherrscht, gerecht zu werden, fiel die Wahl dabei auf Interviewpartner aus der Biologie (stellvertretend für die Naturwissenschaften), dem Maschinenbau (als Repräsentant der Ingenieurwissenschaften) sowie der Germanistischen Linguistik und Geschichte (als Vertreter der Geisteswissenschaften) (vgl. Abb. 1). 5 Die fachliche Repräsentativität der Ergebnisse ist dabei insofern eingeschränkt, als es auch innerhalb der gewählten Fächer verschiedene methodische und inhaltliche Ausrichtungen gibt (vgl. dazu S HAW 2008: 6). Die Germanistische Linguistik kann beispielsweise sowohl deskriptiv als auch empirisch-experimentell oder eher theoretisch orientiert sein. Ebenso sind die von uns befragten Historiker in ihrer Themenwahl wahrscheinlich nicht im Zentrum der national orientierten Geschichtswissenschaft anzusiedeln, da sie überwiegend zur internationalen und Kolonialgeschichte forschen. Neben der Zugehörigkeit zu einer der vier Disziplinen musste bei allen Teilnehmern bereits mindestens eine englischsprachige Publikation als Voraussetzung für ein Interview vorliegen. Projektteil Schreiben Projektteil Publizieren Disziplin Doktoranden Postdoktoranden Professoren Herausgeber Verlagsmitarbeiter Interviews pro Disziplin Biologie 2 2 2 2 2 10 Maschinenbau 2 2 2 2 2 10 Germanistische Linguistik 2 2 2 2 2 10 Geschichte 2 2 2 2 2 10 Gesamtzahl Interviews 40 Abb. 1: Interviews in den Projektteilen Schreiben und Publizieren 5 Ferner wurden im Rahmen einer diesem Projekt vorangehenden Pilotstudie 12 weitere Interviews mit Vertretern anderer Fächer (z.B. Anglistik, Physik, Politikwissenschaft) geführt. Diese werden bei einigen disziplinübergreifenden Fragen zusätzlich herangezogen. Deutsch und Englisch als Wissenschaftssprachen 13 44 (2015) • Heft 1 Alle Interviews wurden aufgezeichnet und vollständig transkribiert. Um ausgewählte Fragestellungen gezielt in den Blick zu nehmen, wurde das Material in einer Kombination aus induktiven und deduktiven Verfahren mit Hilfe von MAXQDA, einer Software zur Unterstützung der Analyse qualitativer Daten, codiert. Dabei war der spezifische Charakter der Daten, die aus einer Gesprächssituation hervorgegangen sind, zu berücksichtigen: Die Interviewdaten stehen nicht für sich, sondern müssen rekonstruiert und interpretiert werden. 6 Das Projekt setzte sich die Untersuchung folgender Hauptforschungsfragen zum Ziel: • Auf welche Schwierigkeiten stoßen deutschsprachige Wissenschaftler aus verschiedenen Disziplinen beim Verfassen englischsprachiger Aufsätze, und welche Hilfsmittel und Strategien setzen sie ein, um diesen Schwierigkeiten zu begegnen? • Welche Einstellungen zu den Wissenschaftssprachen Englisch und Deutsch und zum Publizieren in diesen Sprachen finden sich bei den Wissenschaftlern und Herausgebern sowie Verlagsmitarbeitern? Welche Unterschiede und Gemeinsamkeiten gibt es zwischen den Disziplinen? • Welche Handlungsempfehlungen können auf Grundlage der Forschungsergebnisse ausgesprochen werden, insbesondere für das wissenschaftliche Schreiben und Publizieren auf Englisch und die Förderung des Deutschen als Wissenschaftssprache? Im Rahmen dieses Beitrags wird, wie aus der Einleitung ersichtlich, exemplarisch auf diese Fragen Bezug genommen. 3. Herausforderungen, sprachlich-fachliche Anforderungen und Ressourceneinsatz beim Schreiben auf Englisch In diesem Abschnitt werden die von den befragten Wissenschaftlern wahrgenommenen Herausforderungen beim Schreiben und Publizieren auf Englisch erörtert. Darüber hinaus geht es um die sprachlich-fachlichen Anforderungen, die in den verschiedenen Disziplinen an Autoren gestellt werden sowie schreib- und publikationsbezogene Ressourcen, von denen die Wissenschaftler Gebrauch machen, um trotz der fremdsprachlichen Hürde erfolgreich zu publizieren. 7 6 Detailliertere Anmerkungen zur eingesetzten Erhebungs- und Auswertungsmethodik finden sich in G NUTZMANN / R ABE (2014a). 7 Die Antworten der Befragten entstanden im Kontext mehrerer Interviewfragen wie z.B. „Welche Probleme ergeben sich beim Schreiben und Publizieren auf Englisch? Wie versuchen Sie, diese zu lösen? “ oder „Wenn Sie mit Ko-Autoren etwas auf Englisch schreiben, wie verteilt sich in diesem Fall die Arbeit? “. 14 Claus Gnutzmann, Jenny Jakisch, Frank Rabe 44 (2015) • Heft 1 3.1 Wahrgenommene Probleme Obwohl es allen Befragten gelungen ist, auf Englisch zu veröffentlichen, sehen sie sich dennoch mit einigen Herausforderungen beim Schreiben und Publizieren in der Fremdsprache konfrontiert (vgl. Abb. 2). 8 Abb. 2: Wahrgenommene Problemfelder der Wissenschaftler beim Schreiben und Publizieren auf Englisch (36 Interviews, enthält Mehrfachnennungen) Das erste Item, sprachliche Probleme, stellt die quantitativ größte Gruppe dar. Von den 19 Nennungen beziehen sich 12 auf Formulierungsschwierigkeiten, also z.B. fehlendes Sprachgefühl oder geringere sprachliche Exaktheit in der Fremdsprache Englisch, und 7 explizit auf Probleme in einem grammatischen (z.B. Syntax) oder lexikalischen (z.B. Fachvokabular) Bereich. Die zweite Gruppe, publikationsbezogene Probleme, beschreibt Hindernisse, die nach dem eigentlichen Schreiben des Manuskripts aufkommen. Fast alle Nennungen beziehen sich auf das wissenschaftliche Begutachtungsverfahren (peer review) und thematisieren beispielsweise umfangreiche oder nicht nachvollziehbare Änderungswünsche der Herausgeber. Die dritte Gruppe, inhaltliche Problemfelder, behandelt vorwiegend die Argumentation in Artikeln, wie z.B. das ‚Verrennen‘ in eine Idee oder unzureichende Literaturrecherche. Im Datenpunkt Organisation wurde u.a. Zeitmangel als ein typisches Problem thematisiert. Hinter der Bezeichnung Sonstige verbergen sich beispielsweise erhöhte finanzielle Kosten im Zusammenhang mit Korrekturdurchsichten. Die Häufung sprachlicher Probleme stimmt mit einer Vielzahl anderer Studien (z.B. D ONG 1998; F LOWERDEW 1999; O KAMURA 2006) überein, in denen treffende Wortwahl bzw. Idiomatik, einschließlich fachspezifischer Kollokationen, als Herausforderung für nichtmuttersprachliche Wissenschaftler festgestellt wurden. Dies zeigt, dass viele Nichtmuttersprachler trotz guter Sprachkompetenz einen Mangel an Sprachgefühl durchaus als Nachteil empfinden. Darüber hinaus werden von unseren Befragten aber auch Schwierigkeiten angesprochen, die mit dem Publikationsvorgang zusammenhän- 8 Bereits erfolgreich ‚gelöste‘ Probleme wurden möglicherweise nicht genannt, da diese nicht mehr als solche wahrgenommen werden. 19 12 9 9 6 0 5 10 15 20 Anzahl Nennungen (n=55) Sprachlich Publikationsbezogen Inhaltlich Organisatorisch Sonstige Deutsch und Englisch als Wissenschaftssprachen 15 44 (2015) • Heft 1 gen. Es bietet sich an, diese bei der Konzeption von Schreibkursen für Nachwuchswissenschaftler zu berücksichtigen (z.B. Umgang mit Feedback im Begutachtungsverfahren). 3.2 Sprachlich-fachliche Anforderungen Welche Probleme die Wissenschaftler haben und wie schwerwiegend diese eingeschätzt werden, hängt neben Faktoren wie der Schreibkompetenz und der kulturellen und sprachlichen Distanz zur Zielsprache auch damit zusammen, welche sprachlichfachlichen Anforderungen im jeweiligen Fach vorherrschen. Es kann somit davon ausgegangen werden, dass die vorherrschende disziplinäre Forschungs- und Schreibpraxis den (wahrgenommenen) Schwierigkeitsgrad beim Verfassen englischer Texte beeinflusst. Einen ersten Anhaltspunkt hierfür bietet die in der jeweiligen Disziplin etablierte Genrerigidität und die damit zusammenhängende sprachliche Formelhaftigkeit. 9 Genrerigidität und sprachliche Formelhaftigkeit. Die Interviewten wurden gefragt, nach welchem Grundaufbau von Texten sie sich beim Schreiben englischsprachiger Fachartikel richten. Alle sechs Befragten aus dem Bereich der Biologie wiesen darauf hin, dass sie sich beim Verfassen ihrer Aufsätze am IMRaD-Schema 10 (d.h. Introduction, Methods, Results and Discussion) orientieren. Sie betonten, dass dieses Schema von den Fachzeitschriften verlangt werde und sich nur geringe Abweichungen ergeben. Eine ähnliche Dominanz dieses Schemas stellten die Befragten im Maschinenbau (5/ 6 Befragten) fest, wobei hier mehr Flexibilität vorherrschte, wenn es um eher theoretische als um empirisch-experimentelle Inhalte ging. In der Germanistischen Linguistik sind theoretisch orientierte Publikationen ebenso durch mehr Spielraum bei der Organisation von Artikeln gekennzeichnet, wogegen experimentell ausgerichtete Beiträge, wie in der Psycholinguistik, in der Regel einer IMRaD-ähnlichen Struktur folgten. Fünf von sechs Befragten im Fach Geschichte führten dagegen aus, dass es keinerlei verbindliche bzw. lediglich eine lose Genre-Struktur (Einleitung, Hauptteil, Fazit) gebe und die Aufsatzgestaltung von großer Freiheit gekennzeichnet sei. Diese Freiheit bedeutet jedoch auch, dass die Autoren wenig Orientierung hinsichtlich der Genre- Strukturierung erhalten. In diesem Zusammenhang kann weiterhin angenommen werden, dass eine hohe Genre-Rigidität mit einer hohen sprachlichen Formelhaftigkeit einhergeht. Formelhafte Sequenzen wie Kollokationen sind Bestandteil von Sprachgebrauch und -erwerb (vgl. z.B. A GUADO 2002) und spielen auch in der wissenschaftlichen Kommunikation eine herausragende Rolle (vgl. P ÉREZ -L LANTADA 2014; H YLAND 2008). Ohne dass diese 9 Auf zwei weitere Einflussfaktoren im Zusammenhang mit sprachlich-fachlichen Anforderungen, d.h. die sprachlichen Zielnormen von Fachzeitschriften sowie die Beschaffenheit der Daten, kann hier nicht eingegangen werden (siehe dazu G NUTZMANN / R ABE 2014b und R ABE 2015, im Druck). 10 Es handelt sich um das vor allem in den Natur- und Ingenieurwissenschaften empfohlene, z.T. vorgeschriebene Strukturierungsmuster für wissenschaftliche Veröffentlichungen in internationalen englischsprachigen Zeitschriften. 16 Claus Gnutzmann, Jenny Jakisch, Frank Rabe 44 (2015) • Heft 1 Frage explizit in den Interviews gestellt wurde, gaben fünf Biologen, zwei Maschinenbauer sowie ein Linguist, allerdings kein Historiker, an, dass die in ihrem Feld verwendete Sprache sehr formelhaft sei: Also, wenn ich eine Publikation lese und ich wüsste nicht, ob das deutsche Autoren sind oder asiatische oder amerikanische, könntʼ ich es vom Stil her, glaubʼ ich, kaum unterscheiden, weil die Stile einfach so gleich sind. Jedes Paper liest sich fast gleich, also natürlich stehen da andere Werte und andere Bilder, aber der Stil ist immer sehr ähnlich (W21, B, 00: 36: 49-5). 11 Ein Großteil dieser Befragten erklärte, dass ein hohes Maß an Formelhaftigkeit eine Erleichterung für das englischsprachige Schreiben darstelle, da sie die Wiederbenutzung von Sprache („language re-use“, F LOWERDEW 2007: 19) in Forschungsartikeln ermögliche. Diese Praxis, im Korpus besonders verbreitet in der Biologie, umfasst u.a. die Übernahme kompletter sprachlicher Sequenzen aus veröffentlichten Artikeln (d.h. Copy&Paste), bei dem lediglich enthaltene Werte bzw. Daten ausgetauscht wurden, aber auch das systematische Sammeln formelhafter Sequenzen, die später als Unterstützung beim Schreiben englischsprachiger Artikel herangezogen werden können (vgl. L EHNEN 2009: 292f. für Beispiele dieser Schreibpraxis bei Studierenden). Die hohe Rigidität der Textsorte ‚Artikel‘ und die damit verbundene formelhafte Sprachnutzung in der Biologie, teilweise auch im Maschinenbau, steht höchstwahrscheinlich mit der experimentellen Ausrichtung dieser Fächer in Verbindung, die einen bestimmten Forschungsablauf sowie eine festgelegte Form der Dokumentation verlangt. Dies würde auch die weitgehende Abwesenheit dieser Schreibstrategie in den Fächern Germanistische Linguistik und Geschichte erklären. Mit welchen sprachlich-fachlichen Anforderungen sich Wissenschaftler beim Schreiben auf Englisch konfrontiert sehen, hängt weiterhin davon ab, wie der Schreibprozess organisiert ist. Schreiborganisation. Die Biologen im Korpus arbeiteten in Gruppen, die aus Doktoranden, Postdoktoranden, Professoren und (Labor-)Technikern, also nicht selten aus mehr als drei bis vier ‚Ko-Autoren‘, bestehen. Die Arbeitsteilung in diesen Teams erfolgt je nach Spezialisierung und Hierarchieposition, die jeweiligen Verantwortlichkeiten sind klar abgegrenzt (vgl. auch B ECHER 1994: 158; P ÉREZ -LL ANTADA et al. 2011: 24). Doktoranden sind dabei überwiegend im Labor tätig und schreiben häufig nur wenig, Postdoktoranden erledigen einen Großteil der Schreibarbeit zusätzlich zur Koordination von Projekten und dem Erteilen von Rückmeldungen an die Doktoranden, während die Professoren häufig erst dann an Artikeln mitschreiben, wenn sich diese bereits in einem fortgeschrittenen Stadium befinden. Ihre Aufgabe liegt eher darin, sich der ‚strategisch wichtigen‘ Teile eines Artikels, wie etwa der Einführung 11 Für die Transkription wurde eine größtmögliche Annäherung an die Standardorthografie angestrebt. Angaben in doppelten Klammern stehen für paraverbale Handlungen (beispielsweise ein Lachen des Befragten). Am Ende jedes Interviewzitats findet sich zudem die Interviewnummer (im vorliegenden Fall Wissenschaftlerinterview Nr. 21), die Fachzuordnung (B für Biologie, MB für Maschinenbau, GL für Germanistische Linguistik, G für Geschichte) sowie eine vom Transkriptionsprogramm f4 (https: / / www.audiotranskrip tion.de/ f4.htm) vergebene Zeitmarke. Ein „W“ bezeichnet Wissenschaftlerinterviews, „H“ Herausgeberinterviews, „V“ Gespräche mit Verlagsmitarbeitern. Deutsch und Englisch als Wissenschaftssprachen 17 44 (2015) • Heft 1 und der Diskussion der Ergebnisse, anzunehmen. Eine ähnliche Form der Arbeitsteilung findet sich im Bereich Maschinenbau, auch wenn die Gruppen in der Regel kleiner sind (nicht mehr als zwei bis drei Autoren) und die Verteilung der Schreibaufgaben weniger spezifisch ist. Die Germanistischen Linguisten schreiben bei theoretischer Orientierung eines Aufsatzes entweder allein oder, wenn ein Doktorand involviert ist, auch in Zweiergruppen. Bei eher empirisch-experimentell ausgerichteten Linguisten herrschen dagegen kooperative Schreibmodi vor. Im Fach Geschichte geben vier von sechs Interviewten an, überwiegend allein zu schreiben. Beide Doktoranden berichten, dass sie auf ihre Entwürfe Rückmeldungen von ihren Betreuern erhalten. Der ‚solitary writer‘ scheint demnach besonders nach der Promotionsphase unter den Historikern stärker verbreitet zu sein als in den anderen hier untersuchten Disziplinen. Experimentalwissenschaftler erfahren somit völlig andere Wege der Zusammenarbeit beim Schreiben als Geisteswissenschaftler, Biologie-Doktoranden andere als Doktoranden in der Geschichtswissenschaft. Während also Natur- und Ingenieurwissenschaftler in der Regel im Team an einer Publikation arbeiten und sich über sprachliche und fachliche Gesichtspunkte austauschen können, sind die Geisteswissenschaftler häufig auf sich gestellt und müssen dementsprechend Schreibprobleme allein oder über effiziente Ressourcennutzung lösen. 3.3 Ressourcennutzung Vor dem Hintergrund der in Abschnitt 3.1 und 3.2 beschriebenen Probleme und Anforderungen stellt sich die Frage, welche Ressourcen die befragten Wissenschaftler einsetzen, um erfolgreich auf Englisch zu schreiben und publizieren. Eine Analyse der Interviewdaten im Hinblick auf diese Fragestellung zeigt, dass die Interviewten auf diverse Ressourcen zurückgreifen, die sich wie folgt klassifizieren lassen 12 : • Personelle (sozioakademische) Ressourcen: Hierzu zählen mutter- und nichtmuttersprachliche Korrekturleser wie Kollegen, Freunde sowie professionelle Sprachprüfer. Dabei nutzen 17 Befragte ausschließlich nichtmuttersprachliche Korrekturleser, zumeist Kollegen, um ihre Entwürfe sprachlich und fachlich durchsehen zu lassen. 8 Wissenschaftler greifen ausschließlich auf muttersprachliche Hilfe zurück und 9 Interviewte ziehen je nach Verfügbarkeit und Anlass sowohl mutterals auch nichtmuttersprachliche Korrekturleser zu Rate. • Schreib- und publikationsbezogene Strategien: Hierzu zählen u.a. Praktiken wie die Einsendung eines Manuskripts mit dem Ziel, fachliches oder sprachliches Feedback zu erhalten oder es sprachlich ungeprüft einzureichen, um so den zeitlichen und finanziellen Aufwand für Publikationen zu reduzieren. 12 Für detaillierte Informationen über die verschiedenen Nutzungsmuster mutter- und nichtmuttersprachlicher Korrekturleser sowie die von den Wissenschaftlern während des Schreibens, Überarbeitens und Publizierens von englischsprachigen Artikeln eingesetzten Strategien siehe G NUTZMANN / J AKISCH / R ABE (2015b, im Druck). 18 Claus Gnutzmann, Jenny Jakisch, Frank Rabe 44 (2015) • Heft 1 • Lexikalische Ressourcen: Wie in Abschnitt 3.1 dargestellt, finden sich die Autoren beim Verfassen wissenschaftlicher Texte häufig in Situationen, in denen ihnen Ausdrucksmittel verschiedener Art fehlen. Aus diesem Grund sollen die von den Wissenschaftlern eingesetzten lexikalischen Ressourcen exemplarisch genauer betrachtet werden (vgl. Abb. 3). Abb. 3: Von den Befragten genutzte lexikalische Ressourcen (36 Interviews, n=72, enthält Mehrfachnennungen) Die Benutzung von Wörterbüchern ist, wenig überraschend, fächerübergreifend weit verbreitet. Dass jedoch ca. 80% der Befragten angeben, ein zweisprachiges Online- Wörterbuch (hauptsächlich LEO.org) zu benutzen, unterstreicht die Rolle des Deutschen als sprachlich-fachliche Ressource, selbst wenn die Befragten viel auf Englisch publizieren. Auch papierene Wörterbücher spielen noch eine Rolle (10 Nennungen), insbesondere, wenn es dabei um disziplinspezifischen Fachwortschatz geht. Weiterhin wird Google genutzt, um Formulierungen auf ihre (quantitive) Verbreitung und Akzeptanz hin zu überprüfen und zu klären, ob das Geschriebene bereits in anderen veröffentlichten Texten verwendet wurde. Nur wenige Befragte nutzen die sprachlichen Möglichkeiten von Google jedoch dazu, ‚Schwachstellen‘ gängiger zweisprachiger Wörterbücher, wie die häufig fehlende Angabe von Kollokationen, auszugleichen. Keiner der Befragten erwähnte, korpuslinguistische Werkzeuge wie z.B. den COCA (Corpus of Contemporary American English) hinzuzuziehen, obwohl dieser im Gegensatz zu Google deutlich spezifischere Suchanfragen in wissenschaftlichen Genres erlaubt (vgl. hierzu D AVIES 2013). Elf Befragte gaben an, dass sie beispielhafte Fachpublikationen als fachlich-sprachliche Ressource nutzen, um gängige Formulierungen, Argumentationslinien sowie Genre-Strukturen zu lernen. Fachtexte sollten daher nicht nur als Ressource für den Erwerb von Fachwissen verstanden werden (vgl. hierzu z.B. O KAMURA 2006: 73, der Texte lesen als „subject-oriented strategy“ versteht), sondern sie spielen auch eine entscheidende Rolle beim Erlernen von im Fach verbreiteten Versprachlichungsmustern. Im Korpus sind es insbesondere die Biologen, die neben dem impliziten Lernen von Wissenschaftsprache durch das Lesen von Fachtexten gezielt formelhafte Sprache kopieren und diese in ihren eigenen Arbeiten verwenden (siehe dazu language re-use oben). Neben den Herausforderungen, die aus Sicht der Wissenschaftler beim Schreiben auf Englisch bestehen, ist ebenfalls aufschlussreich, 29 11 10 8 7 4 3 0 10 20 30 Online Wörterbücher Beispielpublikationen Papierene Wörterbücher Google Word-Korrekturhilfe Synonymwörterbücher Maschinelle Übersetzung Deutsch und Englisch als Wissenschaftssprachen 19 44 (2015) • Heft 1 was Herausgeber und Verlagsmitarbeiter über den Gebrauch der Fremdsprache denken, denn sie entscheiden mit darüber, wer Zugang zu den entsprechenden Publikationsorganen hat. 4. Einstellungen zu den Wissenschaftssprachen Englisch und Deutsch Der folgende Abschnitt untersucht Einstellungen zu den Wissenschaftssprachen Englisch und Deutsch und widmet sich somit dem Thema wissenschaftliche Mehrsprachigkeit. Darunter wird hier der Gebrauch von mehr als einer Sprache im wissenschaftlichen Kontext, unter den auch das Publizieren in internationalen Fachzeitschriften fällt, verstanden. Die Daten, die für diesen Teil herangezogen werden, stammen aus dem Projektteil „Publizieren“. Davon ausgehend, dass Herausgeber und Verlagsmitarbeiter eine Schlüsselrolle im Publikationsprozess einnehmen und als gatekeeper (vgl. T ARDY 2004) agieren, erscheint es vielversprechend, gerade die Sichtweisen dieser Zielgruppe zu Fragen der Mehrsprachigkeit genauer in den Blick zu nehmen. 4.1 Publikationssprachen in den untersuchten Fachzeitschriften Analysiert man die in die Untersuchung einbezogenen Fachzeitschriften hinsichtlich der Sprachen, in denen man dort Beiträge veröffentlichen kann 13 , ergibt sich mit Blick auf eine der Ausgangsannahmen des Projektes, dass der Stellenwert des Englischen in den gewählten Disziplinen variiert, folgendes Bild (vgl. Abb. 4): Disziplin Publikationssprache(n) in den untersuchten Zeitschriften Stellenwert des Deutschen nach Angabe der Befragten Biologie Englisch untergeordnet bis nicht existent Maschinenbau Englisch sehr gering Germanistische Linguistik Deutsch + (geringer Anteil) Englisch hoch Geschichte Deutsch + Englisch (+ Französisch) hoch Abb. 4: Publikationssprachen in den untersuchten Fachzeitschriften In der Biologie und im Maschinenbau dürfen Beiträge lediglich auf Englisch eingereicht werden. Die Frage nach anderen Publikationssprachen stellt sich offenbar schon lange nicht mehr. So finden sich beispielsweise im Style Sheet einer der beiden Maschinenbauzeitschriften keinerlei Angaben zur gewünschten Sprache, denn, so der Her- 13 Anders sieht es aus, wenn man nach dem Stellenwert der Sprachen Englisch und Deutsch für das Fach insgesamt fragt. Hier werden englische Fachtexte von allen Befragten als zentral (z.B. für die Lehre) eingeschätzt. 20 Claus Gnutzmann, Jenny Jakisch, Frank Rabe 44 (2015) • Heft 1 ausgeber, „das braucht man auch nicht ((B lacht)). Nein, das ist selbstverständlich“ (H8, MB, 00: 04: 23-9). In der Germanistischen Linguistik spielt das Deutsche noch eine zentrale Rolle, viele Teilnehmer der Studie (d.h. sowohl Wissenschaftler als auch Herausgeber, wenn sie in der Autorenrolle agieren) publizieren allerdings immer mehr auch auf Englisch. Einer der von uns befragten Herausgeber hat sich beispielsweise für die eigenen Veröffentlichungen ein Verhältnis von „drei Viertel Englisch, ein Viertel Deutsch“ zum Ziel gesetzt (H7, GL, 01: 08: 39-2) und begründet diese Präferenz für das Englische damit, dass für das eigene Fortkommen sowie das Einwerben von Drittmitteln die internationale Vernetzung unabdingbar sei. Der faktische Anteil englischsprachiger Publikationen ist in beiden untersuchten Zeitschriften der Germanistischen Linguistik allerdings verschwindend gering; es entspricht dem Selbstverständnis dieser Journals, dem Deutschen den Vorrang zu geben. Den Beiträgen ein englisches Abstract voranzustellen ist aber hier ebenso Usus, um eine größere potenzielle Leserschaft anzusprechen. Die größte Sprachenvielfalt lässt sich in der Geschichtswissenschaft finden, wenn auch in den untersuchten Zeitschriften andere Sprachen, wie beispielsweise das Französische, längst vom Englischen verdrängt wurden. Die dezidiert von einer der beiden Zeitschriften angestrebte Dreisprachigkeit hat sich nicht durchsetzen können: Weder gebe es ausreichend Abonnenten im Nachbarland, noch seien die Leser bereit, sich auf drei Sprachen einzulassen. Aus verlegerischer Perspektive ziehen mehrsprachige Publikationen ebenso Probleme nach sich, wie aus den Interviews mit Verlagsmitarbeitern hervorgeht. So sei nicht nur der Lektoratsaufwand bei mehr als einer Sprache deutlich höher, sondern auch die Ausrichtung auf eine bestimmte Zielgruppe sehr viel weniger klar. Das Produkt sei dann schwerer zu verkaufen. Vom Gedanken wissenschaftlicher Mehrsprachigkeit getragene Ziele treten somit in Konkurrenz zu marktwirtschaftlichen Überlegungen. Diese erste quantitative Annäherung an die Bestimmung der Rolle der Publikationssprachen Englisch und Deutsch soll im Folgenden durch eine Analyse der Sprachwahlbegründungen der Herausgeber und Verlagsmitarbeiter vertieft werden. 4.2 Sprachwahlbegründungen der Herausgeber und Verlagsmitarbeiter Die von den Befragten angeführten Argumente für oder gegen den Einsatz der jeweils vorherrschenden Sprache geben Einblicke in ihr wissenschaftliches Selbstverständnis, die von ihnen angestrebte Positionierung im Diskurs sowie die zugrunde liegende Auffassung von ‚guter‘ Forschung. Abb. 5 (  S. 21) gibt einen Überblick über Faktoren, die die Wahl der Publikationssprache, Deutsch oder Englisch, beeinflussen: Deutsch und Englisch als Wissenschaftssprachen 21 44 (2015) • Heft 1 internationale Leserschaft adressierte Zielgruppe deutschsprachige Leserschaft globale Ausrichtung bearbeitetes Forschungsfeld zugeschnitten auf den deutschen Kontext Zusammenarbeit in internationalen Teams Arbeitsorganisation lokale Einzelarbeit niedrig wahrgenommener Stellenwert von Sprache Hoch Abb. 5: Einflussfaktoren auf die Wahl der Publikationssprache Richtet sich der Beitrag an ein internationales Publikum, kommt das Englische zum Einsatz (besonders in der Biologie und im Maschinenbau, s.o.). Dabei ist es die Aussicht auf weltweite Rezeption der erzielten Ergebnisse, die als entscheidender Vorteil der Lingua franca Englisch 14 gilt. Während das Deutsche mit einer gewissen ‚Begrenztheit‘ assoziiert wird, da es nur von einer ausgewählten Zielgruppe verstanden werden könne, eröffne das Englische den Zugang zur globalen community und erhöhe damit die Sichtbarkeit der eigenen Ergebnisse. Hinzu kommt, dass die Chancen auf eine hohe Zitationsquote und damit einen guten Impact Factor 15 der Zeitschrift sehr viel besser sind, wenn es sich um einen auf Englisch verfassten Artikel handelt. Neben Fragen der Vermarktung wird die adressierte Zielgruppe ferner durch die Anzahl der Diskurse geprägt. Gibt es, wie in der Biologie der Fall, nur noch einen globalen Diskurs, ist eine Wahlmöglichkeit der Publikationssprache nicht mehr gegeben. Deutsch kommt dann bestenfalls für populärwissenschaftliche Beiträge zum Einsatz, nicht aber für die Verbreitung neuester Forschungsresultate. Existiert hingegen neben dem internationalen Feld noch ein deutschsprachiger Diskurs, wie beispielsweise in der Germanistischen Linguistik und der Geschichtswissenschaft, kann dieser unter Mitarbeit aller Beteiligten aufrecht erhalten werden. Gleichwohl gibt es auch in diesen Disziplinen - nicht zuletzt aus Karrieregründen - einen wachsenden Druck, auf Englisch zu publizieren. Insbesondere bei Spezialthemen, an denen weltweit nur wenige Wissenschaftler arbeiten, müsse man überlegen, ob nicht eine Sprache mit stärkerer Verbreitung das zielführendere Medium sei, denn „wenn ich jetzt meinen Doktoranden sage, dass sie auf Deutsch publizieren sollen, dann sind die Kosten, dass sie internatio- 14 Folgt man den gängigen Definitionen, dann handelt es sich bei einer Lingua franca um ein sekundär erworbenes Sprachsystem bzw. eine Hilfssprache. Somit gibt es in einer Lingua franca-Kommunikation mithilfe einer natürlichen Sprache keine Muttersprachler der als Lingua franca verwendeten Sprache. Das bedeutet folglich, dass Muttersprachler des Englischen von einer Lingua franca-Kommunikation ausgeschlossen wären. Insofern wäre es angemessener, den Gebrauch des Englischen durch nicht-englische Muttersprachler in der internationalen Wissenschaftssprache als Fremdsprache und nicht als Lingua franca zu bezeichnen (vgl. Gnutzmann 2015). Hinzu kommt, dass der Begriff Lingua franca eine Ebenbürtigkeit unter den Autoren suggeriert, die aufgrund der kommunikativen Benachteiligung nichtmuttersprachlicher Wissenschaftler beim englischsprachigen Publizieren so nicht gegeben ist. 15 Die jährlich vom Privatunternehmen Thomson Reuters herausgegebenen Impact Factors sollen die Qualität wissenschaftlicher Zeitschriften messen. Sie basieren auf einer Zitationsanalyse der Zeitschriften, die in den Journal Citation Reports (ebenfalls Thomson Reuters) verzeichnet sind (vgl. http: / / wokinfo.com/ essays/ impact-factor/ , 22.9.2014) und sind vor allem für die Natur- und Technikwissenschaften relevant. 22 Claus Gnutzmann, Jenny Jakisch, Frank Rabe 44 (2015) • Heft 1 nal nicht wahrgenommen werden“ (H7, GL, 01: 07: 52-2). Ein Festhalten am Deutschen um jeden Preis käme damit einer selbstauferlegten wissenschaftlichen Isolation gleich. Allerdings ließe sich argumentieren, dass es gerade in der Qualifikationsphase, die für den wissenschaftlichen Nachwuchs ohnehin eine Vielzahl verschiedener Hürden bereithält, eine hohe Anforderung ist, in einer Fremdsprache zu publizieren und sich in die dazugehörenden Wissenschaftskulturen einzuarbeiten. Ein weiterer Faktor, der Einfluss auf die Wahl der Publikationssprache hat, ist das bearbeitete Forschungsfeld. Zum einen ist es die Beschaffenheit der Daten, die je nach Disziplin und beforschtem Themenfeld unterschiedlich ausfällt. Zum anderen ist es der Untersuchungsgegenstand selbst, der die Wahl einer bestimmten Publikationssprache nahelegt. Forscht jemand beispielsweise zur englischen oder amerikanischen Geschichte und arbeitet daher mit englischsprachigen Quellen, bietet es sich an, diese Sprache für den Beitrag zu wählen. Wenngleich es aus Verlagsperspektive verlockend erscheint, das Englische zu stärken und so den Absatzmarkt zu verbreitern, gibt es nach Aussage eines befragten Verlagsmitarbeiters aus der Germanistischen Linguistik keine Bestrebungen, für genuin germanistisch-linguistische Beiträge die Umstellung von Deutsch auf Englisch zu forcieren. In der allgemeinen Sprachwissenschaft sähe es allerdings anders aus; hier sei das Publizieren auf Englisch durchaus sinnvoll. Es ist in diesem Zusammenhang der Faktor Internationalisierung, der von vielen Befragten automatisch mit dem Gebrauch des Englischen gleichgesetzt zu werden scheint: Wissenschaft ist international und in der internationalen Gemeinschaft muss man eine Verständigungsmöglichkeit haben und wenn sich jetzt herausgestellt hat, dass das die englische Sprache ist, dann ist es das. […] Wenn man ein bisschen weiter Einfluss haben soll, dann geht es nicht umhin, dass man auf Englisch wechselt (H8, MB, 00: 53: 19-4). Den Wissenschaftssprachen Englisch und Deutsch werden in diesem Interview mit einem Herausgeber aus dem Maschinenbau bestimmte Domänen zugeordnet. Forschung für die deutsche Industrie könne weiterhin auf Deutsch kommuniziert werden 16 ; alles andere müsse auf Englisch geschehen. Bedenkenswert ist an der zitierten Passage die angedeutete Ursachenzuschreibung: Der Wechsel zum Englischen wird gleichsam als ‚natürlicher‘ Prozess beschrieben, der Herausgeber selbst sieht sich eher als Außenstehender dieser Entwicklung. In seiner Funktion als gatekeeper, d.h. derjenige, der über die (sprachliche) Gestaltung der Zeitschrift mitentscheiden kann, ist er daran jedoch weniger unbeteiligt, als es seiner Selbsteinschätzung entspricht. Unterschiede zwischen den im PEPG-Projekt untersuchten Disziplinen ergeben sich ferner hinsichtlich der Arbeitsorganisation. Während v.a. die Vertreter der Biologie und des Maschinenbaus die Aussicht auf Kooperation in internationalen Arbeitsgruppen als Vorteil der Lingua franca Englisch benennen, spielt dieser Faktor in den Interviews mit Germanistischen Linguisten und Geschichtswissenschaftlern weniger eine 16 Auch aus den Wissenschaftlerinterviews mit Vertretern des Maschinenbaus wissen wir, dass das Deutsche durchaus noch einen Platz für die anwendungsorientierte Forschung hat, die sich an deutschen Rahmenbedingungen und Vorgaben orientieren muss. Deutsch und Englisch als Wissenschaftssprachen 23 44 (2015) • Heft 1 Rolle. Hier scheint eher die ‚lokale‘ Einzelarbeit die typische Arbeitsform zu sein (vgl. dazu auch den Punkt „Schreiborganisation“ in Abschnitt 3.2). Große Unterschiede zwischen den untersuchten Disziplinen, aber auch zwischen den interviewten Herausgebern und Verlagsmitarbeitern, lassen sich außerdem beim letzten Faktor der Abbildung, dem wahrgenommenen Stellenwert von Sprache, ausmachen. Es finden sich verschiedene subjektive Theorien dazu, inwiefern die gewählte Publikationssprache und die zu kommunizierenden Ergebnisse miteinander zusammenhängen. Sehr ausgeprägt ist das Bewusstsein für mit der Sprachwahl einhergehende Diskursunterschiede bei den Germanistischen Linguisten und Geschichtswissenschaftlern. Angesichts der Rolle, die Sprache in diesen Disziplinen spielt - immerhin ist sie Untersuchungsgegenstand, Erkenntnisinstrument wie auch Medium für die Kommunikation von Ergebnissen - erscheint es nachvollziehbar, dass die Entscheidung für oder gegen eine bestimmte Sprache mit Bedacht angegangen wird. So erläutert der Herausgeber einer Geschichtszeitschrift, dass es seitens der Wissenschaftler zwar ein verstärktes Interesse an englischsprachigen Publikationen gebe, ein unreflektierter und inhaltlich unbegründeter (s.o.) Wechsel zum Englischen aber nicht dem Selbstverständnis der Zeitschrift entspräche. Vielmehr sei Leitlinie, „dass deutsche Muttersprachler möglichst auf Deutsch schreiben sollen. Nicht aus irgendeinem Nationalismus heraus, sondern einfach, weil es dann zu einer differenzierteren Form der Darstellung und des Ausdrucks beiträgt“ (H3, G, 00: 42: 59-7). In der Geschichtswissenschaft als einer Disziplin, in der Erkenntnis aufs engste mit Sprache verbunden ist, gibt es somit gute Gründe, sich der Muttersprache zu bedienen. Die Einstellungen zur Frage, welche Rolle Sprache für die Erkenntnis und Kommunikation wissenschaftlicher Forschung spielt, können nicht allein an der Kategorie ‚Disziplin‘ festgemacht werden. Vielmehr zeigen unsere Daten, dass es individuelle Unterschiede unter den Befragten gibt. So könnte man annehmen, dass die Germanistischen Linguisten sich besonders ‚sprachsensibel‘ zeigen. Dies schließt aber nicht aus, dass ein Wechsel zum Englischen als eher unproblematisch angesehen wird: „In dem Bereich, in dem ich mich bewege, geht es oft um sehr technische Dinge und da ist so mein Eindruck, dass die Sprachwahl nicht so einen wahnsinnigen Unterschied macht“ (H7, GL, 00: 50: 57-6). Zwar erfordere das Verfassen eines englischsprachigen Artikels im Unterschied zu einer deutschen Publikation mehr Zeit und Aufwand, aber „das intellektuelle Ergebnis“ falle „nicht wesentlich anders“ (ebd.) aus. 17 Es kommt also darauf an, welche Art von Forschung die Befragten betreiben; die Disziplin allein kann dafür nur ein erster Anhaltspunkt sein. Der zitierte Herausgeber rückt damit in die Nähe der Natur- und Ingenieurwissenschaften, in denen die Ansprüche an die sprachliche Qualität eines Beitrags geringer ausfallen: „Sprache wird dazu benutzt, dass man erklärt, was man macht. Wie gut das gelingt, das ist ziemlich egal“ (H8, MB, 00: 22: 45- 0). Es liegt auf der Hand, dass der Wechsel zum Publizieren in einer Fremdsprache innerhalb solcher Rahmenbedingungen leichter vollzogen werden kann und - zumin- 17 Der interviewte Herausgeber argumentiert hier aus der Rolle des Wissenschaftlers, der er gleichzeitig auch ist. 24 Claus Gnutzmann, Jenny Jakisch, Frank Rabe 44 (2015) • Heft 1 dest auf den ersten Blick - weniger kontrovers erscheint. Andere Interviewzitate zeigen jedoch, dass, zumindest auf Herausgeberseite, die sprachliche Gestaltung eines Beitrags selbst in der Biologie und dem Maschinenbau stärker ins Gewicht fallen kann. So beeinflusse die Qualität der Darstellung (und damit die Sprache) durchaus die Wahrnehmung der präsentierten Ergebnisse seitens der Gutachter (vgl. H4, B, 00: 10: 01-2) und führe dazu, dass der Artikel stärker rezipiert werde: „Man liest es einfach lieber. Man empfiehlt es auch lieber weiter und sagt, das ist ein schöner Artikel, das ist schön geschrieben, das kann man anständig verstehen, weil es auch gut beschrieben ist“ (V2, MB, 00: 26: 18-4). 4.3 Wissenschaftliche Mehrsprachigkeit Alle Befragten teilen die Auffassung, dass das Englische die zentrale Wissenschaftssprache (Biologie und Maschinenbau) bzw. ein wichtiges Kommunikationsmedium zur Erreichung bestimmter Zielgruppen ist (Germanistische Linguistik und Geschichte). Insbesondere die erstgenannte Gruppe akzentuiert die Vorteile einer gemeinsam geteilten Wissenschaftssprache und gibt zu verstehen, dass sich die vorherrschende Dominanz des Englischen in der schriftlichen Kommunikation kaum mehr beeinflussen lässt. Es bringe nichts, so der Tenor, die gegenwärtige Situation zu hinterfragen oder gegen diese anzugehen, sondern „man muss einfach gucken, dass man da mitkommen kann“ (H4, B, 00: 29: 25-7). Wiewohl es nachvollziehbar ist, dass es einen gewissen ‚Zwang‘ gibt, mitzuhalten und die Spielregeln zu befolgen, stellt sich doch die Frage, ob der Umschwung aufs Englische nicht allzu unkritisch vollzogen wurde. In vielen Interviews wird die Überlegenheit dieser Sprache nämlich als gleichsam ‚naturwüchsige‘ Entwicklung gesehen, deren Initiatoren man nicht eindeutig benennen könne. Aussagen wie die des folgenden Maschinenbau-Herausgebers bilden die Ausnahme. Dass Englisch die zentrale Wissenschaftssprache ist, „liegt daran, dass wir an der Stelle uns selbst aufgegeben haben, was mit Entwicklung zweiter Weltkrieg und danach zusammenhängt“ (H6, MB, 00: 03: 17-6). Die vom Befragten vorgenommene historische Verortung impliziert zwar nicht, dass sich dieser Prozess wieder umkehren lässt, stellt die Vormachtstellung des Englischen aber in den Kontext historischer und gesellschaftlicher Strömungen, die sich wieder ändern können. Bei entsprechender Bereitschaft der Beteiligten („wir“) wäre damit zumindest nicht ausgeschlossen, der Tendenz zu English only ein Gegengewicht entgegenzustellen. In den weniger stark von der Anglisierung betroffenen Disziplinen Germanistische Linguistik und Geschichte findet sich tendenziell eine eher mehrsprachigkeitsförderliche Haltung. Sprachenvielfalt wird hier mit Gedankenvielfalt in Verbindung gebracht: „Je vielfältiger das Spektrum der benutzten Sprachen ist, desto eigenständiger wird das sein, was da jeweils gedacht wird“ (H1, GL, 01: 28: 17-8). Dabei geht es dem hier zitierten Herausgeber aus der Germanistischen Linguistik nicht nur um ein hohes Maß an Kreativität in der eigenen Arbeit, sondern um ‚Gelingensbedingungen‘ des wissenschaftlichen Arbeitens in einem globaleren Sinn: Deutsch und Englisch als Wissenschaftssprachen 25 44 (2015) • Heft 1 Wir haben […] eine immer stärkere Uniformierung im Wissenschaftsprozess, auch international, in den Gattungen, die sich etablieren, in den Formen der sprachlichen Problembearbeitung. Und je mehr das der Fall ist, desto mehr sind wir eigentlich darauf angewiesen, dass eben auch Divergenz produziert wird, weil das ist der Job der Wissenschaft (ebd.). Die Wissenschaft lebe von innovativen Ideen und dem Besonderen, wie es nicht zuletzt in den unterschiedlichen Sprachen steckt - etwas, das man sich aus Sicht des Befragten gerade im Zeitalter der Globalisierung und der daraus zum Teil resultierenden ‚Gleichförmigkeit‘ erhalten müsse. Es ist jedoch nicht so, dass die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Disziplin (hier Germanistische Linguistik) den Wunsch nach Erhalt von Mehrsprachigkeit nach sich zieht. Die interviewten Verlagsmitarbeiter beispielsweise sehen sich eher als Beobachter der stattfindenden sprachlichen Entwicklungen und vertreten die Auffassung, dass man in derartige Prozesse nicht eingreifen solle: „Sprachen muss man nicht beschützen. Sprachen entwickeln sich von selbst und reagieren auf neue Umstände“ (V5, GL, 01: 08: 38-9). Ob eine solche, als ‚Neutralität‘ verstandene Haltung sich allerdings förderlich auf den Erhalt des Deutschen als Wissenschaftssprache auswirkt, sei dahingestellt. 5. Fazit und Implikationen Eines der Ziele des Projekts bestand darin, Herausforderungen sichtbar zu machen, denen deutsche Wissenschaftler beim Schreiben auf Englisch begegnen müssen, und zu verdeutlichen, wie diese bewältigt werden. Es wurde aufgezeigt, dass die Befragten lexikalische (z.B. zweisprachige Wörterbücher, Google) und sozioakademische Ressourcen (Schreibkooperation) nutzen, um sprachliche und publikationsbezogene Probleme zu überwinden und erfolgreich in englischsprachigen Fachzeitschriften zu veröffentlichen. Trotz der allgemein großen Bedeutung von Englischkompetenz für das wissenschaftliche Schreiben und Publizieren ist die individuelle Sprachkompetenz der Wissenschaftler nicht immer für den Publikationserfolg ausschlaggebend, sondern kann zum Teil über Teamarbeit und die strategische Nutzung vorhandener Ressourcen ausgeglichen werden. Es konnte ferner herausgearbeitet werden, dass „Schreiben auf Englisch“ je nach Disziplin etwas anderes meint. Besonders Wissenschaftler aus dem geisteswissenschaftlichen Bereich (hier Historiker) müssen in der Regel höheren sprachlichen Anforderungen gerecht werden, um erfolgreich auf Englisch zu publizieren als Forscher natur- oder ingenieurwissenschaftlicher Fächer (hier vor allem Biologie). Dies liegt nicht zuletzt an der Möglichkeit der Autoren, ‚Sprachbausteine‘ aufgrund der Rigidität der Textsorte Forschungsartikel systematisch wiederzuverwenden. In einer didaktischen Dimensionierung folgt aus den Erkenntnissen des Projektteils „Schreiben“, dass nicht nur individuelle Strategien wie das Schreiben und Überarbeiten eines Artikels Unterrichtsgegenstand wissenschaftlicher Schreibkurse sein können, sondern dass die Handhabung technischer Hilfsmittel (wie Google, Google Docs, Änderungen-Verfolgen-Modus) ebenfalls verstärkt Berücksichtigung finden müsste. Darüber hinaus wäre bei der Konzeption derartiger Kurse die soziale Dimension des 26 Claus Gnutzmann, Jenny Jakisch, Frank Rabe 44 (2015) • Heft 1 Schreibens und Publizierens (d.h. die Zusammenarbeit mit Kollegen, Korrekturlesern, Gutachtern und Herausgebern) stärker zu beachten. Die präsentierten Daten aus dem Projektteil „Publizieren“ ließen deutlich werden, dass Fragen der wissenschaftlichen Mehrsprachigkeit nur in Abhängigkeit von der untersuchten Disziplin beantwortet werden können. In der Biologie und im Maschinenbau hat sich das Englische zur einzigen Publikationssprache entwickelt und wird von unseren Befragten als alternativlos wahrgenommen, um Forschungsergebnisse in den internationalen Diskurs einzuspeisen. In der Germanistischen Linguistik und Geschichtswissenschaft besteht ein größeres Interesse am Erhalt sprachlicher Vielfalt, da Sprache hier sowohl Gegenstand, Produkt als auch Medium von Forschung ist und das Publizieren in einer Fremdsprache somit weitreichende Konsequenzen hat. Neben Sichtweisen, die auf die Spezifika der jeweiligen Disziplinen zurückgeführt werden können (z.B. die vermeintlich nachgeordnete Bedeutung von Sprache in den Naturwissenschaften), ist es aber auch ein komplexes Geflecht aus individuellen, vermutlich auf die außeruniversitäre Sozialisierung der Befragten zurückgehenden Auffassungen zu Sprache, die die Haltung zu Fragen der Mehrsprachigkeit unter den interviewten Herausgebern und Verlagsmitarbeitern prägen. Als mögliche didaktische Perspektivierung der aus dem Projektteil „Publizieren“ gewonnenen Einsichten ließe sich der Wunsch nach einer stärkeren Berücksichtigung des Themas wissenschaftliche Mehrsprachigkeit in Schreibkursen sowie während der ‚Ausbildung‘ des wissenschaftlichen Nachwuchses formulieren. Solange die Beteiligten lediglich auf die Umstände reagieren, wird das Englische weiterhin ungehindert Einzug in die Wissenschaftskommunikation halten können. Gelänge es jedoch, den Akteuren zu verdeutlichen, welchen Nutzen sie aus dem Eintreten für wissenschaftliche Mehrsprachigkeit ziehen können, dürfte sich ein English only-Szenario - zumindest dann, wenn der Gebrauch der Fremdsprache nicht zwingend nötig ist - erfolgreich abwenden lassen. Literatur A GUADO , Karin (2002): „Formelhafte Sequenzen und ihre Funktionen für den L2-Erwerb“. In: Zeitschrift für Angewandte Linguistik 37, 27-49. A MMON , Ulrich (1998): Ist Deutsch noch internationale Wissenschaftssprache? 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