eJournals Fremdsprachen Lehren und Lernen 44/2

Fremdsprachen Lehren und Lernen
flul
0932-6936
2941-0797
Narr Verlag Tübingen
Es handelt sich um einen Open-Access-Artikel, der unter den Bedingungen der Lizenz CC by 4.0 veröffentlicht wurde.http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/121
2015
442 Gnutzmann Küster Schramm

Daniel REIMANN: Transkulturelle kommunikative Kompetenz in den romanischen Sprachen: Theorie und Praxis des neokommunikativen und kulturell bildenden Französisch-, Spanisch-, Italienisch- und Portugiesischunterrichts. Stuttgart: Ibidem 2014 (Romanische Sprachen und ihre Didaktik; Band 50), 783 Seiten [79,90 €]

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2015
Jochen Plikat
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© 2015 Narr Francke Attempto Verlag 44 (2015) • Heft 2 B u c h b e s p r e c h u n g e n • R e z e n s i o n s a rti k e l Daniel R EIMANN : Transkulturelle kommunikative Kompetenz in den romanischen Sprachen: Theorie und Praxis des neokommunikativen und kulturell bildenden Französisch-, Spanisch-, Italienisch- und Portugiesischunterrichts. Stuttgart: Ibidem 2014 (Romanische Sprachen und ihre Didaktik; Band 50), 783 Seiten [79,90 €] Daniel R EIMANN verfolgt in seinem Werk ein doppeltes Anliegen. In erster Linie (vgl. S. 55) möchte er einen akademischen Beitrag zur theoretischen Reflexion über das Konzept der Transkulturalität leisten, das seiner Einschätzung nach besonders in der romanistischen Fremdsprachendidaktik bislang zu wenig berücksichtigt wurde. Er macht dagegen den Vorschlag, es nunmehr als „zentrale Denkfigur des Fremdsprachenunterrichts“ (S. 46) und „als das ideale Ziel eines jeden Fremdsprachenlernens“ (S. 65) zu begreifen. Da in der akademischen Diskussion immer wieder die konzeptionellen Schwächen der - in allen Leitdokumenten fest verankerten - Interkulturalität kritisiert werden, sind Versuche, diese zu überwinden, ohne Zweifel zu begrüßen.Das zweite Anliegen des Autors besteht darin, der oft beklagten inhaltlichen Verflachung des kompetenzorientierten Fremdsprachenunterrichts entgegenzuwirken. Hierfür stellt er eine Fülle unterrichtspraktischer Vorschläge bereit, die sich auf das Französische, Spanische, Italienische und Portugiesische beziehen und für den beeindruckenden Umfang des Bandes sorgen. Dieser besteht aus insgesamt 27 Kapiteln, die in fünf Hauptteile untergliedert sind. Im ersten, ca. 75 Textseiten umfassenden Teil (Kap. 1) entwickelt R EIMANN „Das Modell der transkulturellen kommunikativen Kompetenz“. Im zweiten Teil (Kap. 2-9) geht es um „Sprachdidaktische Grundlagen inter- und transkultureller kommunikativer Kompetenz“. Der dritte Teil (Kap. 10- 14) steht unter dem Titel „Soziokulturelles Orientierungswissen als Grundlage inter- und transkultureller Kompetenz“. Der vierte Teil (Kap. 11-21) besteht aus Beiträgen zum Thema „Inter- und transkulturelles Lernen durch Literatur und kulturkundlichen Unterricht“. Schließlich werden im fünften Teil (Kap. 22-27) „Anwendungsfelder und Fallbeispiele“ für transkulturelle kommunikative Kompetenz entfaltet. Bei der Mehrzahl der Kapitel handelt es sich um — teils leicht überarbeitete — Wiederabdrucke früherer Publikationen. Lediglich das einleitende Theoriekapitel sowie drei weitere Kapitel (8, 20 und 24) erscheinen im vorliegenden Band erstmalig. Zu den prominentesten Kritikern des Konzeptes der Interkulturalität gehört seit Mitte der 1990er Jahre der Philosoph Wolfgang W ELSCH . 1 Er bemängelt, dass es auf dem Herderschen Kulturverständnis basiere, in dem Kulturen als nach innen homogene und nach außen abgegrenzte ‚Kugeln‘ modelliert werden. Für plurale Gesellschaften in einer globalisierten Welt sei dieses Kulturverständnis aber nicht mehr sinnvoll, denn kulturelle Phänomene seien heutzutage stets von gegenseitigen Überlappungen und Durchdringungen gekennzeichnet. Genau dies soll die neue Vorsilbe transzum Ausdruck bringen. Der vorliegende Band ist daher im Licht der Frage zu beurteilen, inwiefern es dem Autor gelingt, die häufig zu Recht als solche benannten Defizite der Interkulturalität durch das von W ELSCH maßgeblich geprägte Konzept der Transkulturalität zu lösen. 1 Zusammenfassend vgl. Wolfgang W ELSCH : „Was ist eigentlich Transkulturalität? “ In: D AROWSKA , Lucyna / L ÜTTENBERG , Thomas / M ACHOLD , Claudia (Hrsg.): Hochschule als transkultureller Raum? Kultur, Bildung und Differenz in der Universität. Bielefeld: Transcript 2010, 39-66. Buchbesprechungen • Rezensionsartikel 133 44 (2015) • Heft 2 R EIMANN versteht seinen Vorschlag als Fortführung bestehender Konzepte zum kulturellen Lernen. Diese vereint er in einem gestuften Modell (vgl. S. 67), das ein „Kontinuum von Landeskunde, Inter- und Transkulturalität“ (S. 66) darstellt. Die Progression soll an zwei Dimensionen entlang erfolgen: Zum einen durch einen steigenden Grad der Vertiefung der Inhalte, zum anderen in Abstimmung mit dem zunehmendem Alter der Lerner und mit ihrem Lernfortschritt in der Fremdsprache. Hierdurch sollen Grenzen zwischen Sprach- und Kulturräumen überwunden und Kulturen vernetzt werden (vgl. S. 67). Interkulturalität und Transkulturalität unterscheiden sich für den Autor dabei vor allem in dreierlei Hinsicht: Interkulturalität sieht er als hermeneutisches, Transkulturalität als konstruktivistisches Konzept; bei der Interkulturalität stehe das Verstehen im Mittelpunkt, bei der Transkulturalität die Verständigung; Interkulturalität sei historisch in den beiden Jahrzehnten vor der Jahrtausendwende zu verorten, Transkulturalität dagegen in der Zeit seit der Jahrtausendwende (vgl. S. 52). Bei diesem Abgrenzungsversuch sind die ersten beiden Kriterien von einigem Interesse. Bekanntlich wurde bereits zu einem früheren Zeitpunkt angestrebt, ein hermeneutisches durch ein konstruktivistisches Verständnis kulturellen Lernens zu ersetzen. Da dies nur in Ansätzen gelang, ist ein neuer Anlauf ohne Zweifel zu begrüßen. In geringerem Maße überzeugt jedoch die Abgrenzung auf Grundlage der Begriffe ‚Verstehen‘ vs. ‚Verständigung‘. Dies wurde bereits in den Arbeiten des Gießener Kollegs versucht. Inwiefern der Band hier konzeptionell Neues bietet, wird nicht deutlich. Ungelöst bleibt auch das Problem, wie ‚Kulturen‘ voneinander abgegrenzt werden können. Und selbst wenn dies gelingen sollte, stellt sich die Frage, ob das Ziel lautet, die Grenzen zu überwinden, oder doch, an ihnen festzuhalten? R EIMANN s Position ist hier nicht frei von Widersprüchen: Während er an mehreren Stellen betont, dass das Konzept der Transkulturalität auf die Überwindung von Grenzen angelegt sei (vgl. S. 49, 67, 68), hebt er doch auch mit Verweis auf Karl-Heinz F LECHSIG 2 nachdrücklich hervor, dass Transkulturalität „immer auch auf die Weiterführung von Einzelkulturen gerichtet“ sein solle (S. 42). Insgesamt wird die Abgrenzungsproblematik im vorliegenden Band nicht in der gebotenen Ausführlichkeit diskutiert. Vielmehr wird davon ausgegangen, dass sich die Grenzen zwischen Einzelkulturen sowohl mit den Grenzen zwischen Nationalstaaten als auch mit jenen zwischen Einzelsprachen decken. Damit wird in recht deutlicher Weise erneut die vielfach kritisierte Gleichsetzung von Kultur, Nation und Sprache vollzogen („Kompetenz zur internationalen Verständigung”, S. 69), zu deren Überwindung das Konzept der Transkulturalität eigentlich dienen soll.Inwiefern wird nun die Abgrenzung von interkultureller und transkultureller Kompetenz in den Kapiteln 22 bis 27 deutlich, die als „Fallbeispiele zur Transkulturellen kommunikativen Kompetenz“ (S. 73) angeführt werden? (Ich beschränke mich hier auf die Besprechung dieses fünften Teils, da nur die in ihm versammelten Beiträge explizit auf das im Band vertretene theoretische Konzept hin ausgerichtet sind.) In Kapitel 23 finden sich verschiedene Sprachmittlungsaufgaben zu Texten und Bildern, die mit der Kontrastierung der ‚deutschen‘ und ‚französischen‘ Kultur arbeiten, teils in humoristischer Zuspitzung. Die Arbeit mit nationalen Stereotypen (vgl. S. 671, 673, 674-689) ist bereits aus zahlreichen Materialien zum interkulturellen Lernen bekannt. Inwiefern durch die Unterrichtsvorschläge dieses Kapitels der Übergang zum transkulturellen Lernen angebahnt werden 2 Karl-Heinz F LECHSIG : „Transkulturelles Lernen“. Internes Arbeitspapier 2/ 2000. Göttingen: Institut für Interkulturelle Didaktik. http: / / wwwuser.gwdg.de/ ~kflechs/ iikdiaps2-00.htm (abgerufen am 31.3.2015). R EI - MANN führt eine andere Internetquelle an, die jedoch nicht mehr verfügbar war, als die Rezension verfasst wurde. 134 Buchbesprechungen • Rezensionsartikel 44 (2015) • Heft 2 kann, ist nicht nachvollziehbar. In Kapitel 24, ebenfalls zum Thema Sprachmittlung, fehlt der explizite Bezug zu Transkultureller kommunikativer Kompetenz sogar vollständig. Die in den Kapiteln 26 und 27 behandelten Themen sind fachdidaktisch durchaus interessant: In Kapitel 26 werden acht spanisch/ deutsche Wörterbücher in kontrastiv-pragmatischer Perspektive analysiert; in Kapitel 27 geht es um Strategien für den Umgang mit zweisprachigen Wörterbüchern, ebenfalls bezogen auf den Spanischunterricht. Kapitel 26 ist jedoch auf kulturkundliche Aspekte beschränkt; Kapitel 27 stellt den Bezug zum Thema des Bandes lediglich durch die Aussage her, dass durch die Arbeit mit kulturkundlichen Info-Boxen in Wörterbüchern eine „interbzw. transkulturell pragmatische Kompetenz“ (S. 754) gefördert werden könne. Der Erkenntnisgewinn zur Transkulturellen kommunikativen Kompetenz ist somit in beiden Kapiteln wiederum äußerst gering. Am deutlichsten scheitert R EIMANN jedoch in Kapitel 25 am Anspruch des Bandes. Dort werden Kommunikationsstile der Werbung in Frankreich und Deutschland verglichen. Nach der Analyse verschiedener Beispiele werden die jeweils typischen Merkmale in einem Vorschlag für ein Tafelbild gegenübergestellt. Der französische Stil sei u.a. „ludique, indirect, implicite, synthétique“, der deutsche hingegen „informatif, direct, explicite, analytique“ (S. 716), und dies habe die Forschung herausgefunden (ohne Beleg). Hier zeigt sich die Denkweise der so genannten ‚Kulturstandards‘, mit denen die von Alexander T HOMAS 3 geprägte interkulturelle Psychologie arbeitet. Die ‚Kulturstandards‘ wurden jedoch bereits als Grundlage für interkulturelles Lernen scharf kritisiert; für transkulturelles Lernen mit dem Ziel der Überwindung kultureller Grenzen dürften sie geradezu kontraproduktiv sein. Eine erfreuliche Ausnahme im fünften Teil des Bandes stellt Kapitel 22 dar, in dem der Autor vier verschiedene Lehrwerksreihen im Hinblick auf die Berücksichtigung der diatopischen Varietäten des Französischen analysiert. Wenn das Ziel Transkulturalität lautet, so das überzeugende Argument, dann muss in didaktischen Materialien und im Französischunterricht allgemein stärker als bisher die sprachliche Heterogenität der Frankophonie berücksichtigt werden. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass R EIMANN s theoretische Überlegungen zu einer Transkulturellen kommunikativen Kompetenz die konzeptionellen Schwächen der Interkulturalität nicht zu lösen vermögen. Die im vorliegenden Band zur Illustration dieser Überlegungen versammelten unterrichtsbezogenen Beiträge bleiben in weiten Teilen ebenfalls deutlich hinter den Zielen zurück, die sich der Autor gesteckt hat. Berlin J OCHEN P LIKAT Anka B ERGMANN (Hrsg.): Fachdidaktik Russisch. Eine Einführung. Tübingen: Narr Francke Attempto Verlag 2014 (Narr Studienbücher), 352 Seiten [29,99 €] Die Fachdidaktik Russisch schließt eine große Lücke in der Fachliteratur, indem sie - zumindest im deutschsprachigen Raum - die erste Einführung in die aktuelle Russischdidaktik darstellt. Es handelt sich damit um das zukünftige Grundlagenwerk für den Russischunterricht und die Lehrerausbildung sowie die Lehrerfort- und -weiterbildung und um eine Basis für weitere russischdidaktische Forschung. 3 Alexander T HOMAS : „Kultur und Kulturstandards“. In: T HOMAS , Alexander / K INAST , Eva-Ulrike / S CHROLL -M ACHL , Sylvia (Hrsg.): Handbuch Interkulturelle Kommunikation und Kooperation. Band I: Grundlagen und Praxisfelder. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2005, 19-31.