eJournals Fremdsprachen Lehren und Lernen 44/2

Fremdsprachen Lehren und Lernen
flul
0932-6936
2941-0797
Narr Verlag Tübingen
Es handelt sich um einen Open-Access-Artikel, der unter den Bedingungen der Lizenz CC by 4.0 veröffentlicht wurde.http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/121
2015
442 Gnutzmann Küster Schramm

Michael BECKER-MROTZEK, Karen SCHRAMM, Eike THÜRMANN, Helmut Johannes VOLLMER (Hrsg.): Sprache im Fach. Sprachlichkeit und fachliches Lernen. Münster [etc.]: Waxmann 2013 (Fachdidaktische Forschungen, Bd. 3), 406 Seiten [34,90 €]

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2015
Claus Gnutzmann
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Buchbesprechungen • Rezensionsartikel 139 44 (2015) • Heft 2 an die Akteur/ innen im Feld, offen zu sein, um von anderen - außerhalb des eigenen engeren Kontextes - zu lernen. Damit das wirklich allen europäischen und internationalen Leser/ innen wenigstens ansatzweise möglich ist, gehört auf den Wunschzettel für eine evtl. zweite Auflage die Anregung, dass alle den englisch- oder deutschsprachigen Beiträgen vorangestellten Abstracts in der jeweils anderen Sprache verfasst sein sollten. Dieser Band ist allen, die auf dem Feld wissenschaftlich oder in der Lehrerbildung tätig sind, vor allem auch deshalb zu empfehlen, weil er Modelle bereitstellt für eine kritische Fragehaltung und für unvoreingenommenes Forschen, das auch das scheinbar Erfolgreiche und die liebgewonnenen Selbstverständlichkeiten kritischen Fragen unterwirft. Wenn CLIL sich wirklich weiterentwickeln soll, ist es auf Fragen der Art angewiesen, wie sie in diesem Band aufgeworfen werden. Gießen W OLFGANG H ALLET Michael B ECKER -M ROTZEK , Karen S CHRAMM , Eike T HÜRMANN , Helmut Johannes V OLLMER (Hrsg.): Sprache im Fach. Sprachlichkeit und fachliches Lernen. Münster [etc.]: Waxmann 2013 (Fachdidaktische Forschungen, Bd. 3), 406 Seiten [34,90 €] Mit dem vorliegenden Band möchten die Herausgeber ein seitens der Fachdidaktiken bisher vernachlässigtes bildungs- und forschungspolitisches Thema in den fächerübergreifenden Diskurs einführen, nämlich „die Identifizierung und Förderung von sprachlichen Kompetenzen, die für erfolgreiches Lernen in jedem Fach notwendig sind“ (7). Es geht somit im weiteren Sinne um die Frage des Zusammenhangs von (fachlicher) Sprach(handlungs)fähigkeit und der Aneignung von fachlichem Wissen. Ausgehend von der berechtigten Annahme, dass nicht alle Schüler und Schülerinnen aus ihren Familien die für fachliches Lernen notwendigen Sprach- und Denkmuster mitbringen und der Unterricht in den sprachlichen Fächern nur ansatzweise auf die fachspezifischen Anforderungen vorbereitet, wird in der Einleitung des Bandes dafür plädiert, in den einzelnen Fächern die fachbezogenen sprachlichen Voraussetzungen zu schaffen, um erfolgreiches fachliches Lernen zu ermöglichen. Der Aussage, dass Sprache „als eine zentrale Dimension in der Bestimmung von Fachlernen, von Fachkompetenz und von fachlicher Bildung“ verstanden wird, ist sicherlich zuzustimmen. Allerdings sollte man auch im Auge behalten, dass sich die Fächer in ihrer ‚Sprachlichkeit‘ und der Anteile der für sie relevanten Funktionen (kommunikativ, kognitiv) erheblich unterscheiden können. Zusätzlich zur bildungs- und forschungspolitischen Situierung und Genese des Themas enthält die Einleitung des Bandes kurze Zusammenfassungen der insgesamt 21 Beiträge, die fünf thematischen Blöcken zugeordnet werden. Während sich der erste Block mit fachübergreifenden Aspekten befasst, haben die anderen vier bestimmte Fächer bzw. Fächergruppen im Fokus: Deutsch, Mathematik, naturwissenschaftliche Fächer und gesellschaftswissenschaftliche Fächer. Bedenkt man, dass der Band auf einen in Kooperation von Deutsch- und Fremdsprachendidaktikern veranstalteten Kongress zurückgeht, fällt auf, dass es keinen thematischen Block „Fremdsprachen“ gibt. Das ist auch deshalb überraschend, weil die für den Band zentrale Frage des Zusammenwirkens von sprachlichem und fachlichem Lernen schon seit Längerem in den Fremdsprachendidaktiken, im Kontext „Content and Language Learning“ (CLIL) bzw. bilingualer Sachfachunterricht, diskutiert wird. Die vier Beiträge des ersten Blocks behandeln fachübergreifende Aspekte des Themas. Wie bereits B ERNSTEIN 1 in seinen Untersuchungen zum elaborierten und restringierten Code und den 1 Vgl. hierzu aus Bernsteins Oeuvre exemplarisch Basil B ERNSTEIN : Class, Codes and Control. Vol IV: 140 Buchbesprechungen • Rezensionsartikel 44 (2015) • Heft 2 daraus resultierenden Folgerungen für eine kompensatorische Spracherziehung festgestellt hat, wird die Sprache der Schule vor allem durch die Schriftsprache geprägt, die, wie Sabine S CHMÖLZER -E IBINGER in ihrem Aufsatz „Sprache als Medium des Lernens im Fach“ feststellt, sich durch „Komplexität, Abstraktheit, Explizitheit und Kohärenz“ (26) auszeichnet. Da der Schritt vom alltags- und kontextbezogenen Sprechen zur abstrakten Darstellung von Sachverhalten jedoch vielfach ein Problem darstellt, plädiert die Autorin im Hinblick auf den fachlichen Kompetenzerwerb für einen Ausbau schriftsprachlicher Fähigkeiten. Bei entsprechender didaktischer Hilfestellung, so heißt es weiter, werde die Entwicklung dieser Fähigkeiten ebenfalls durch das Fachlernen gefördert. Wie die Sprachbewusstheit wird auch die Sprachaufmerksamkeit als ein wichtiger Faktor angesehen, der nicht nur den Spracherwerb, sondern auch den Wissenserwerb maßgeblich voranbringen kann. In ihrem Beitrag „Sprachbildung und Bildungssprache als Aufgabe aller Fächer in der Regelschule“ behandeln Helmut Johannes V OLLMER und Eike T HÜRMANN einige grundlegende Fragestellungen des Phänomens Bildungssprache und präsentieren ein recht komplexes Modell zur Beschreibung fachübergreifender wie auch fachunterrichtlicher Dimensionen von bildungssprachlichen Kompetenzen im konkreten Fachunterricht. Nach der sehr abstrakten Erörterung verschiedener Prinzipien des bildungssprachlichen Lernens (z.B. „Das komplementäre Verhältnis von authentischen Modellen und gezielter Unterstützung durch temporäre ‚Sprachgerüste‘“, „Einbettung von Sprachwissen in den funktionalen Zusammenhang von kognitiven Operationen und fachunterrichtlichen Inhalten und Methoden“) werden zum Abschluss des Aufsatzes verschiedene Möglichkeiten zur Umsetzung dieser Prinzipien „in den Alltag pädagogischen Handelns“ (54) genannt. Im Zentrum des Beitrags von Wolfgang H ALLET über „Generisches Lernen im Fachunterricht“ steht die Analyse von Genres, die, wie auch Diskursfunktionen (Beschreibung, Argumentation, Erklärung etc.) als „die kleinsten Einheiten diskursiver Kommunikation“ (60), verstanden werden. Nach einer Aufschlüsselung der verschiedenen Zugänge zum Genrekonzept werden Überlegungen zum Erwerb generischer Kompetenzen vorgetragen. Aufgrund ihrer zentralen Bedeutung für den schulischen Wissenserwerb wie auch im lebensweltlichen Alltag wird „die Implementierung einer generischen Dimension schulischer Bildung“ (73) als vordringlich erachtet. In seinem Beitrag „Sachtexte erschließen mit Hilfe von Frames und Scripts. Eine Interventionsstudie zur Förderung der Lesekompetenz in Klassenstufe 8“ berichtet Florian H ILLER über eine mit über 500 Teilnehmern an einer Hauptschule, Realschule und Gymnasium durchgeführte Untersuchung zur Förderung des Leseverstehens. Es konnte gezeigt werden, dass insbesondere die Hauptschüler von den Methoden profitieren, die mit schemaorientierten Textdarstellungen verbunden sind. Der bei den Gymnasiasten im Vergleich zu den anderen Schularten z.T. erheblich geringere Leistungszuwachs kann auf die höheren Ausgangswerte dieser Gruppe zurückgeführt werden. In der Besprechung der den vier verbleibenden thematischen Blöcken zugehörigen Aufsätze muss ich mich aus Platzgründen auf eine Auswahl beschränken. Dabei konzentriere ich mich auf die jeweils an erster Stelle aufgeführten Artikel. Beate L ÜTKE möchte in ihrem Beitrag „Sprachförderung im Deutschunterricht - fachspezifische und fachübergreifende Schwerpunkte“ darlegen, wie die in den mittleren Bildungsstandards für das Fach Deutsch angesprochene fächerübergreifende Orientierungsfunktion des Deutschunterrichts umgesetzt werden und welcher Stellenwert dem Fach Deutsch in einem gesamtsprachlichen Curriculum zugewiesen werden kann. Bezug nehmend auf Erträge der language awareness-Forschung in der Deutschdidaktik und den The Structuring of Pedagogic Discourse. London: Routledge 1990. Buchbesprechungen • Rezensionsartikel 141 44 (2015) • Heft 2 Fremdsprachendidaktiken spricht die Verfasserin sich dafür aus, diesen Ansatz auch für andere Fächer auszuweiten und die Bewusstmachung fachsprachengrammatischer und lexikalischer Erscheinungen bereits ab dem 3./ 4. Jahrgang zu fördern. Dem Deutschunterricht müsse in diesem Fall die Aufgabe zufallen, das Grundlagenwissen zu spezifischen fachsprachlichen Strukturen wie „z.B. Wissen über Wortbildung und Verfahren zur Entschlüsselung komplexer Wörter oder Strukturen“ zu vermitteln. Allerdings drängt sich angesichts solcher Aufgabenstellungen die Frage auf, inwieweit 9-10jährige Kinder in der Grundschule damit tatsächlich konfrontiert werden sollten. Entgegen der häufig von Eltern und Schülern, aber auch von Lehrern und Bildungspolitikern vertretenen Auffassung, dass Mathematikunterricht zu sprachlastig sei, ist es das Ziel des Beitrags von Helmut L INNEWEBER -L AMMERSKITTEN („Sprachkompetenz als integrativer Bestandteil der mathematical literacy? “) zu zeigen, dass Sprachkompetenz eine integrale Komponente der mathematischen Kompetenz darstellt und darüber hinaus ein kompetenzorientierter Mathematikunterricht zur „Förderung kognitiv-linguistischer und sozial-kommunikativer Kompetenzen“ (151) beitragen kann. Anhand von typischen Mathematikaufgaben aus den PISA-Tests wird verdeutlicht, dass diese beiden Kompetenzen für die Lösung der Aufgaben benötigt werden, und die Titelfrage des Aufsatzes somit positiv beantwortet. Gegenstand des Beitrags von Christoph K ULGEMEYER und Horst S CHECKER („Schülerinnen und Schüler erklären Physik - Modellierung, Diagnostik und Förderung von Kommunikationskompetenz im Physikunterricht“) ist eine „Konzeption zur Modellierung der physikalischen Kommunikationskompetenz von Schülerinnen und Schülern“ (225). Die Fähigkeit, physikalische Sachverhalte erklären zu können, wird als zentral für physikalische Kommunikationskompetenz angesehen. Anhand empirischer Untersuchungen konnte gezeigt werden, dass das Erlernen physikalischer Sachverhalte nicht automatisch dazu führt, dass diese von den Schülern auch kommuniziert werden können. Es wird deshalb vorgeschlagen, parallel hierzu gezielte Fördermaßnahmen der Fachkommunikation durchzuführen. Im Vordergrund des Artikels von Saskia H ANDRO („Sprache und historisches Lernen. Dimensionen eines Schlüsselproblems des Geschichtsunterrichts“) steht die Untersuchung des Zusammenhangs von Fachlichkeit und Sprachlernen am Beispiel des historischen Lernens. Die Aussage, dass historisches Lernen in der Geschichtsdidaktik als „historische Orientierung und Sinnbildung über Sprache“ (320) verstanden wird, lässt darauf schließen, dass die Reflexion des Verhältnisses von fachlichem und sprachlichem Lernen in der Geschichtsdidaktik stärker etabliert ist als in anderen Fachdidaktiken. Es wird allerdings darauf hingewiesen, dass auch Schüler im Geschichtsunterricht die an sie gestellten fachlichen Erwartungen häufig nicht erfüllen, weil sie nicht über die dafür notwendigen fachbezogenen Sprachkompetenzen verfügen. Eine wichtige Aufgabe zukünftiger Arbeit muss es somit sein, „die sprachliche Fundierung fachspezifischer Denkformen als Strukturen historischen Lernens herauszuarbeiten und die sprachlichen Erwartungen an fachliche Leistungen zu explizieren“ (329). Ausgehend von der allen Beiträgen gemeinsamen Grundauffassung, dass Sprache eine zentrale Kategorie des inhaltlichen Lernens in allen Fächern ausmacht und die Vermittlung fachbezogenener Sprachkompetenzen zur Aufgabe aller Fächer gehört, gibt der sorgfältig edierte Band einen sehr informativen und gut strukturierten Überblick zum Themenkomplex „Sprache im Fach“ in einer Reihe wichtiger Schulfächer. Dabei ist sicherlich positiv hervorzuheben, dass auch die Mathematik und die Naturwissenschaften in der Publikation prominent vertreten sind. Ob dieses Engagement repräsentativ für die angesprochenen Fächer ist oder ob die ‚Sprachlastigkeit‘ eines solchen Unterrichts nicht eher kritisch in den betroffenen Fachdidaktiken gesehen wird, muss sich zeigen. Wie die Beiträge und die in ihnen verarbeitete Literatur dokumentieren, ist das Thema des Bandes auch von internationaler Bedeutung. Insofern ist die Erstellung einer 142 Buchbesprechungen • Rezensionsartikel 44 (2015) • Heft 2 englischen Version der Einleitung der Herausgeber zu begrüßen. Man hätte in diesem Sinne durchaus noch einen Schritt weitergehen und den einzelnen Beiträgen aussagefähige englischsprachige Abstracts voranstellen sollen. Ein zentrales Anliegen des vorliegenden Bandes ist es, Schülern und Schülerinnen in ihrem Fachlernen zu unterstützen, ihnen also die sprachlichen und fachbezogenen Kompetenzen zu vermitteln, die notwendig sind, um ihre Bildungswege erfolgreich zum Abschluss zu bringen. Von Ausnahmen abgesehen, ist die Mehrzahl der Beiträge allerdings dazu nur bedingt in der Lage, da die konkrete Umsetzung in der schulischen Praxis nicht im Vordergrund steht, was angesichts des gegenwärtigen Diskussionsstandes des Themas und der Ausrichtung des Bandes vielleicht auch nicht beabsichtigt war. Braunschweig C LAUS G NUTZMANN