eJournals Fremdsprachen Lehren und Lernen 45/2

Fremdsprachen Lehren und Lernen
flul
0932-6936
2941-0797
Narr Verlag Tübingen
Es handelt sich um einen Open-Access-Artikel, der unter den Bedingungen der Lizenz CC by 4.0 veröffentlicht wurde.http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/121
2016
452 Gnutzmann Küster Schramm

Motivation zum Fremdsprachenstudium in einem englischsprachigen Land: Das Beispiel Australien

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2016
Gabriele Schmidt
flul4520062
Motivation zum Fremdsprachenstudium in einem englischsprachigen Land 63 45 (2016) • Heft 2 2. Der Stellenwert von Fremdsprachen in Australien Bereits vor hundert Jahren wies G ALWAY (1917: 15) auf die besondere Schwierigkeit hin, dem das Fremdsprachenlernen in Australien unterliegt, dass nämlich ohne unmittelbare Nachbarländer der Anreiz zum Erlernen von Fremdsprachen fehle. An dieser Einstellung scheint sich trotz zunehmender Globalisierung bis heute nicht viel geändert zu haben, wie die folgende Aussage eines Deutschstudenten aus dem Jahr 2013 zeigt: you kind of have to make a conscious decision to want to learn another language when you live in a place like Australia because (.) because otherwise there is no real incentive to if you're never going to leave you can stay here your whole life and work and live comfortably but never have to speak any other words than English [Daniel Interview 3/ Teil 48]. 1 Solche Äußerungen spiegeln das wider, was C LYNE (2005: xi) einen in der australischen Gesellschaft tief verankerten monolingualen Habitus nennt, der eigentlich überraschen müsste, wenn man bedenkt, dass Australiens Sprachenlandschaft reich an Aborigine- und Einwanderersprachen ist. Bei der letzten Volksbefragung im Jahr 2011 gab zum Beispiel knapp ein Fünftel (19 %) der Bevölkerung (5 Jahre alt und älter) an, zu Hause nicht Englisch zu sprechen (vgl. A USTRALIAN B UREAU OF S TATISTICS 2013). Eine genaue Analyse der Ursachen für die weit verbreitete Einsprachigkeit würde das Ausmaß dieses Artikels sprengen. Im Folgenden wird vornehmlich auf zwei bildungspolitische Entwicklungen eingegangen, die die Rahmenbedingungen für das universitäre Lehren und Lernen von Fremdsprachen in Australien folgenschwer beeinflusst haben. Erstens führten Curriculumreformen in den 1950er und 1960er Jahren zu einer Abschaffung von Pflichtfremdsprachen sowohl für den höchsten australischen Schulabschluss als auch für die Hochschulzulassung. Diese Entscheidung führte zu einem starken Rückgang beim Fremdsprachenunterricht an Schulen (vgl. B ARKO 1996: 6). Seit Jahren liegt der Anteil der Schüler und Schülerinnen, die in der 12. Jahrgangsstufe eine Fremdsprache lernen, unverändert bei ca. 13 % (C URNOW 2010: 38). Die wenigen Pflichtstunden, die für den schulischen Fremdsprachenunterricht angesetzt sind, finden in der Regel in den ersten Jahren der Sekundarstufe I statt, was bedeutet, dass bei Studienbeginn der letzte Fremdsprachenunterricht oft bereits mehrere Jahre zurückliegt und viele Studierende nach einem Einstufungstest wieder von vorne anfangen (vgl. J ANSEN / S CHMIDT 2011: 166). Derzeit wird versucht, ein nationales Curriculum (Australian Curriculum) für die Primar- und Sekundarstufe I zu entwickeln, um den Umfang und die Kontinuität des Fremdsprachenunterrichts zu erhöhen. Aufgrund des australischen Föderalismus, unter dem die Bundesstaaten die letztendliche Entscheidungsgewalt über bildungspolitische Fragen haben, sind Experten und Expertinnen aber skeptisch, ob sich die geplanten Veränderungen durchsetzen werden (vgl. N ICHOLAS 2014: 168). 1 Die Aussage stammt aus der Studie, deren Ergebnisse im vierten Teil dieses Artikels präsentiert werden. Alle Namen sind Pseudonyme. 64 Gabriele Schmidt 45 (2016) • Heft 2 Zweitens führten einschneidende Kürzungen im Bildungsetat Ende der 1990er Jahre zu einer Kommerzialisierung des australischen Hochschulwesens. Laut M ARTIN (2005: 69) gehörten Fremdsprachen zu den am stärksten betroffenen Disziplinen. Um ihre Immatrikulationszahlen und die damit verbundenen Einnahmen aus den Studiengebühren zu erhöhen, sahen sich viele Fremdsprachenabteilungen gezwungen, „neue Märkte“ zu erschließen, indem sie ihre Kurse auch für Studierende öffneten, die eine Fremdsprache nicht als Hauptfach studieren oder aus anderen Fakultäten kommen (P AUWELS 2002: 17). Eine Studie von Schmidt aus dem Jahr 2005 (publiziert in S CHMIDT 2011) hat gezeigt, dass fast ein Drittel von 520 befragten Deutschstudierenden keinen geisteswissenschaftlichen Studiengang absolvierte, sondern Natur- und Wirtschaftswissenschaften bzw. Ingenieurwissenschaften/ IT als Studienschwerpunkt hatten. Dieser Trend der Öffnung von Studiengängen für Studierende von anderen Fakultäten hat sich in den letzten Jahren noch weiter verstärkt. Während anfangs vor allem die vorher genannten finanziellen Gründe im Vordergrund standen, haben in den letzten Jahren mehrere australische Universitäten ihre Studienordnungen in dem Sinne reformiert, dass das Bachelor-Studium breit angelegt ist und Kurse von außerhalb der eigenen Fakultät verlangt werden. Die fachliche Spezialisierung erfolgt dann erst im Master-Studium. Bekannte Vorreiter dieser Entwicklung sind die Universität Melbourne und die University of Western Australia. In allen Fällen haben derartige strukturelle Veränderungen zu einem starken Anstieg von Studierenden geführt, die eine Fremdsprache lernen (vgl. H AJEK 2014; C ARUSO / B ROWN 2015), wenn auch vor allem im Anfängerbereich und oftmals nur für wenige Semester (vgl. N ETTELBECK et al. 2007). Das steigende Interesse an Fremdsprachen in einem englischsprachigen Land wie Australien bestätigt S HARIFIAN s (2014: 49-52) Analyse, dass die besondere Rolle von Englisch als internationale Sprache in einer globalisierten Welt nicht unbedingt das Ende von anderen Sprachen bedeutet, sondern dass Mehrsprachigkeit gerade im Zeitalter von Globalisierung einen neuen Wert bekommt. Welchen Wert australische Studierende mit Fremdsprachenkenntnissen verbinden, wird im Folgenden untersucht. 3. L2-Motivationsforschung im australischen Kontext Mit der L2-Motivationsforschung werden insbesondere die beiden kanadischen Sozialpsychologen G ARDNER und L AMBERT verbunden, deren Konzept von integrativen und instrumentellen Orientierungen (G ARDNER / L AMBERT 1972) die L2-Motivationsforschung bis heute stark beeinflusst. Die von ihnen etablierte quantitative Forschungstradition, die über Jahrzehnte in der L2-Motivationsforschung vorherrschte, lässt sich auch in verschiedenen, Anfang der 1990er Jahre veröffentlichten Studien zur L2-Motivation von australischen Sprachstudenten und -studentinnen wiederfinden. Die erste umfangreiche Untersuchung wurde 1990 von H UTCHINSON im Rahmen der Studie von L EAL / B ETTONI / M ALCOLM (1991: 345-389) durchgeführt. H UTCHINSON befragte 144 Universitätsstudierende, die sich im dritten Jahr ihres Fremdsprachenstudiums befanden und vornehmlich (72 %) eine europäische Sprache (Deutsch, Franzö- Motivation zum Fremdsprachenstudium in einem englischsprachigen Land 65 45 (2016) • Heft 2 sisch, Italienisch, Spanisch) lernten, unter anderem nach ihren Gründen, eine Fremdsprache zu studieren. Die Datenanalyse ergab, dass die Einzelmotive sowohl instrumentelle Gründe, z.B. bessere Berufsaussichten, als auch eine allgemeine Freude am Sprachenlernen und kulturelle Neugier umfassen. H UTCHINSON warnte bereits damals davor, dass Universitäten nicht ausschließlich sprachliche Fertigkeiten, sondern auch kulturelle Inhalte vermitteln sollten, da beide - Sprache und Kultur - voneinander untrennbar seien. In der Studie von L EAL / B ETTONI / M ALCOLM (1991) wird mehrmals auf A MMON s (1991) zeitgleiche Untersuchung zu den Studienmotiven australischer Deutschstudenten und -studentinnen verwiesen. Auch A MMON weist eine Kombination von integrativer und instrumenteller Motivation nach, z.B. kulturelles Interesse und Reisemotive in Verbindung mit karrierebezogenen Motiven (vgl. S CHMIDT 2011: 45-46). Dass beide Studien sich auf die G ARDNER sche Dichotomie beziehen, überrascht nicht, da erst Mitte der 1990er Jahre eine kritische Auseinandersetzung mit G ARDNER s Modell (G ARDNER 1985) begann. Die vorher erwähnte Öffnung von Studiengängen für Studierende von anderen Fakultäten und das damit veränderte Lernerprofil von Sprachstudenten und -studentinnen (vgl. S CHMIDT 2012) führte Anfang des neuen Millenniums zu einem Richtungswechsel in der australischen L2-Motivationsforschung. Der Auslöser war die Tatsache, dass viele Fremdsprachenabteilungen zwar steigende Einschreibezahlen verzeichneten, die neuen Studenten und Studentinnen aber vor allem Kurse auf dem Grundstufenniveau besuchten und häufig das Sprachenstudium nach wenigen Semestern wieder abbrachen. N ETTELBECK et al. (2007; 2009) führten daraufhin mit Unterstützung der Australischen Akademie der Geisteswissenschaften (AAH) und der Australischen Forschungsgemeinschaft (ARC) eine zweiteilige Studie durch, die die Rahmenbedingungen des universitären Fremdsprachenlehrens und -lernens, die Motivation zum Sprachenstudium sowie die Gründe für das Abbrechen eines Sprachenstudiums nach wenigen Semestern untersuchte. Während der erste Teil der Studie (2007) eine allgemeine Bestandsaufnahme des universitären Fremdsprachenunterrichts ist, wird im zweiten Teil (2009) insbesondere der Frage nachgegangen, warum Studierende ihr Sprachenstudium beginnen und dann nach wenigen Semestern wieder abbrechen. Zur Beantwortung dieser Frage wurde eine Fragebogenerhebung durchgeführt, an der 2968 Studierende von zehn Universitäten teilnahmen, die eine von acht Sprachen auf dem Anfängerniveau (A1) studierten. Zwei Drittel der Befragten lernten eine europäische Sprache (Spanisch, Französisch, Italienisch, Deutsch und Russisch in absteigender Reihenfolge). In Bezug auf die L2-Motivation enthielt der Fragebogen zehn potentielle Motivationsfaktoren auf einer 5-Punkte-Likert-Skala. Die Datenanalyse bestätigt die von L EAL / B ETTONI / M ALCOLM (1991) und A MMON (1991) identifizierte Kombination von integrativer und instrumenteller Motivation. Als wichtigstes Motiv wurde Reisen genannt, gefolgt von Freude am Sprachenlernen, bessere Karrierechancen und kulturell-historisches Interesse. Die Autoren und Autorinnen unterstreichen, dass für die Studierenden persönliche Vorteile wie Mobilität und Freude am Lernen wichtiger sind als eventuelle pragmatische Vorteile in der Zukunft (vgl. N ETTELBECK et al. 2009: 14f.). 66 Gabriele Schmidt 45 (2016) • Heft 2 Eine detailliertere Studie zur Aufnahme und zum Abbruch eines Sprachenstudiums in Australien wurde im Jahr 2009 von M ARTIN / J ANSEN (2012; M ARTIN / J ANSEN / B ECK - MANN [im Druck]) durchgeführt, die ihre Studie als ergänzende Fallstudie zu der Studie von N ETTELBECK et al. (2009) sehen. An M ARTIN / J ANSENS Fragenbogenerhebung nahmen 1.321 Studierende teil, die an der Australian National University in Canberra eine oder mehrere von insgesamt 21 europäischen und asiatischen Fremdsprachen studierten. Obwohl das Hauptziel der Studie war, erstmals umfangreiche Daten zu den Gründen für den Abbruch eines Sprachenstudiums zu sammeln, wurden auch die Gründe für ein Sprachenstudium untersucht. Auf einer 5-Punkte-Likert-Skala kreuzten die Befragten an, wie wichtig die vorgegebenen acht Motive für das Studium der gewählten Fremdsprache waren. Die Datenanalyse in Kapitel 4 (M ARTIN / J ANSEN / B ECKMANN [im Druck]) lässt folgende Reihenfolge erkennen (Liste nach fallender Bedeutung geordnet): 1. um mit Muttersprachlern zu kommunizieren 2. um in die Länder zu reisen, in denen die Sprache gesprochen wird 3. um andere Menschen und Kulturen zu verstehen 4. um in einem Land zu leben oder zu arbeiten, wo die Sprache gesprochen wird 5. aus Interesse an der Geschichte und Kultur der Sprachgemeinschaft 6. aus beruflichen Gründen 7. um meinen Studiengang abzuschließen 8. weil es mir bei meinen anderen Fächern hilft. Ähnlich wie N ETTELBECK et al. (2009) betonen auch M ARTIN / J ANSEN / B ECKMANN (in Druck) in ihrer Analyse, dass Reise- und Kommunikationsmotive stark überwiegen, während auf die spätere Karriere bezogene Motive nicht dominieren. Im Folgenden wird untersucht, inwieweit sich dieser Trend auch auf das Studium von Deutsch als Fremdsprache übertragen lässt. S CHMIDT führte im Jahr 2005 eine Fragenbogenerhebung durch, in deren Rahmen sie 520 australische Studierende von zehn Universitäten nach ihren Motiven für ein Deutschstudium befragte (S CHMIDT 2011). Die Studie war rein quantitativ angelegt und kam mittels Faktorenanalyse und Korrelationstests zu dem Ergebnis, dass die Motive in mehr als nur zwei Kategorien (integrativ vs. instrumentell) fallen. Die aus den Daten ermittelten drei Hauptmotive wurden wie folgt definiert: Erstens besteht ein allgemeines Interesse an der deutschen Sprache und Kultur gekoppelt mit einer Freude am Sprachenlernen; zweitens gibt es das Ziel, in einem deutschsprachigen Land kommunizieren zu können, z.B. als Berufstätige/ r, Student/ in oder Tourist/ in; und drittens wird Deutsch als eine wichtige (Wirtschafts-)Sprache angesehen, die berufliche Vorteile bringen könnte (vgl. S CHMIDT 2011: 110). Die Dominanz des ersten Faktors steht im Einklang mit anderen Studien, z.B. mit R IEMER s (2006: 55) Schlussfolgerung, dass für Deutschlernende, die die Sprache geografisch weit entfernt von den deutschsprachigen Ländern lernen, das Interesse für die deutschsprachige Kultur zu den „wichtige[n] und anhaltende[n] Motive[n] für das Erlernen der deutschen Sprache“ gehört. S CHMIDT s Studie lieferte zwar neue verallgemeinerbare Einblicke in die Motivation Motivation zum Fremdsprachenstudium in einem englischsprachigen Land 67 45 (2016) • Heft 2 zum Deutschlernen von australischen Studierenden und dokumentierte erstmalig, wie sich die oben genannten bildungspolitischen Entwicklungen auf das Lernerprofil ausgewirkt haben (vgl. S CHMIDT 2012), aber wie bei vielen groß angelegten quantitativen Studien bleiben auch in dieser Studie die individuellen Lerner und Lernerinnen mit ihren persönlichen Beweggründen und Lernerbiografien im Hintergrund. Außerdem bedeutet die Tatsache, dass S CHMIDT ihre Daten im Jahr 2005 sammelte, dass ihre Datenanalyse neuere Forschungsansätze der L2-Motivationsforschung wie z.B. D ÖRN - YEI s L2 Motivational Self System nicht berücksichtigt. D ÖRNYEI s (2005, 2009) Modell geht davon aus, dass alle Menschen ein ideales Selbstbild von sich haben, wie sie gerne in der Zukunft sein möchten. Wenn zu dieser Zukunftsvision Fremdsprachenkenntnisse gehören, erzeugt es Motivation zum Sprachenlernen. Dieses Ideal L2 Self ist dem Ought-to L2 Self gegenübergestellt. Das Ought-to L2 Self bezieht sich darauf, eine Fremdsprache zu lernen, um die Erwartungen von anderen zu erfüllen oder negative Konsequenzen zu vermeiden. D ÖRNYEI (2005: 118f.) weist darauf hin, dass sich das L2 Motivational Self System wahrscheinlich mehr auf globale Sprachen wie Englisch bezieht, da Lernende es schwer haben, sich ein konkretes Bild von der Zielsprachenkultur zu machen. Es lässt sich vermuten, dass dies auch für Lernende anderer Sprachen gilt, die geografisch weit entfernt von der Zielsprachenkultur leben. Für den schulischen Bereich gibt es bereits erste Anzeichen, dass das L2 Motivational Self System auch auf den australischen Kontext zutrifft. In ihrer Studie zur Sprachlernmotivation von Schülern und Schülerinnen der 12. Jahrgangsstufe fanden M OLO - NEY / H ARBON (2015: 5) eine deutliche Verbindung zwischen der Konstruktion eines Ideal L2 Self, Sprachentwicklung und Motivation. Um die Datenlücke für den universitären Bereich zu schließen, führte S CHMIDT im Jahr 2013 eine qualitative Interviewstudie durch, die im folgenden Teil präsentiert wird. S CHMIDT interviewte wieder nur Deutschstudierende, da aber in den drei oben genannten sprachübergreifenden Studien (L EAL / B ETTONI / M ALCOLM 1991, N ETTELBECK et al. 2009, M ARTIN / J ANSEN / B ECKMANN [im Druck]) keine besonderen sprachspezifischen Unterschiede erkennbar sind, kann davon ausgegangen werden, dass sich die Ergebnisse zumindest auch auf andere europäische Fremdsprachen übertragen lassen. 4. Motive für ein Sprachenstudium im 21. Jahrhundert: neuere Daten Aufgrund der bereits vorliegenden quantitativen Studien (A MMON 1991; L EAL / B ET - TONI / M ALCOLM 1991; N ETTELBECK et al. 2009; S CHMIDT 2011; M ARTIN / J ANSEN / B ECKMANN [im Druck]) hat die Interviewstudie nicht das Ziel, neue Hypothesen zu generieren, sondern vielmehr die in diesen Studien etablierten Motivationen aus der Lernerperspektive zu erklären und ihre Komplexität besser zu verstehen. 68 Gabriele Schmidt 45 (2016) • Heft 2 4.1 Datenerhebung und -analyse Insgesamt nahmen sechzehn Bachelor-Studierende der University of Queensland in Brisbane, die zu der Gruppe der acht prestigeträchtigen australischen Universitäten (Group of Eight) gehört, an der Studie teil. Die sechzehn waren in unterschiedliche Studiengänge eingeschrieben, z.B. Naturwissenschaften, Wirtschaftswissenschaften, Geisteswissenschaften, Jura, Sportwissenschaften etc. Zwölf Teilnehmer und Teilnehmerinnen besuchten den Anfängerkurs (A1-Niveau), vier die Mittelstufe (B2-Niveau). Alle sechzehn hatten sich freiwillig gemeldet und fallen von daher höchstwahrscheinlich in die Gruppe der engagierten und hoch motivierten Studierenden (vgl. M ARTIN / J ANSEN 2012: 176), was bei der Analyse der Ergebnisse berücksichtigt werden muss. Die Interviews waren auf Englisch, dauerten ungefähr 30 Minuten und wurden mit einem digitalen Audiorecorder aufgenommen. Alle begannen mit der allgemeinen Frage, warum er oder sie Deutsch als Studienfach gewählt hat, und danach folgten Fragen anhand eines Leitfadens, der sich an den Interviewfragen von B USSE / W ILLIAMS (2010) Studie orientierte. Neben den Gründen für ein Deutschstudium standen die Erfahrungen mit dem schulischen Fremdsprachenunterricht, Erwartungen an das universitäre Sprachenlernen, die Bedeutung von europäischen Sprachen für Australien sowie die Beziehung zwischen Sprache und Kultur im Mittelpunkt der Interviews. Für die qualitative Datenanalyse wurden die Interviews nach den Regeln der Konversationsanalyse wortwörtlich transkribiert. Zusätzlich wurden non-verbale Interaktionen, wie z.B. Pausen, Lachen oder Intonation, im Transkript gekennzeichnet. Die erste Stufe der Datenanalyse erfolgte mit Methoden der Grounded Theory, d.h., zuerst wurde fast jede Zeile kodiert, wobei die Verben in der Verlaufsform benutzt wurden, um den Inhalt durch die Augen des bzw. der Interviewten zu sehen und um die Dynamik zu zeigen. Die Grounded Theory geht davon aus, dass der Forscher bzw. die Forscherin keine vorgefasste Hypothese hat, sondern völlig unvoreingenommen die Daten analysiert und dann aus den Daten die Theorie bildet. Aufgrund der bereits existierenden Studien zur L2-Motivation von australischen Sprachstudenten und -studentinnen war dieser unvoreingenommene Ansatz nicht möglich. Stattdessen wurde in der zweiten Stufe der Datenanalyse nach sich wiederholenden Themen und Schlüsselwörtern gesucht, die Motive für das Deutschlernen ausdrücken. Die anfängliche Kodierung erfolgte anhand der aus den quantitativen Studien bekannten Motive, z.B. Reisemotiv oder kulturelles Interesse. Neue Motive, die mehrfach genannt wurden, wurden dann als neue Kategorie aufgenommen. Die Einzelmotive wurden schließlich in Motivgruppen zusammengefasst. Zum Beispiel bilden die drei Einzelmotive ‚berufliche Vorteile‘, ‚Deutschland als Wirtschaftsmacht‘ und ‚der Wunsch, in Deutschland/ Europa zu leben und zu arbeiten‘ das übergeordnete Motiv ‚Arbeitsmotiv‘. Die Kodierung erfolgte mithilfe der Software MAXQDA. Erste Teilergebnisse der Studie wurden 2014 veröffentlicht (s. S CHMIDT 2014a; 2014b). Im Folgenden werden die Hauptergebnisse unter besonderer Berücksichtigung des australischen Kontexts präsentiert. Motivation zum Fremdsprachenstudium in einem englischsprachigen Land 69 45 (2016) • Heft 2 4.2 Ergebnisse Die in der Analyse ermittelten Einzelmotive lassen sich in drei Hauptmotivgruppen zusammenfassen: Erstens existiert ein wachsendes Bewusstsein, dass im Zeitalter der Globalisierung Englisch allein nicht mehr reicht; zweitens besteht ein spezifisches Interesse an Deutschland, deutschsprachiger Kultur und Europa; und drittens gibt es identitätsbezogene Motive, die stark mit der Persönlichkeitsentwicklung des Lerners bzw. der Lernerin verbunden sind. Im Folgenden werden die drei Hauptmotivgruppen detailliert dargestellt. Wie in der qualitativen Datenanalyse üblich, erfolgt die Analyse und Interpretation mithilfe der Daten selbst (vgl. O’L EARY 2010: 271), um die Lernerperspektive so stark wie möglich zu berücksichtigen. 4.2.1 Englisch allein reicht nicht mehr Der im ersten Teil erwähnte monolinguale Habitus, der in weiten Teilen der australischen Bevölkerung immer noch aufzufinden ist, steht zunehmend im Widerspruch zur Realität der globalisierten und mobilen Gesellschaften des 21. Jahrhunderts. Die oben zitierte Aussage des Studenten, dass Fremdsprachenkenntnisse nicht notwendig sind, wenn man Australien nie verlässt, trifft auf viele, insbesondere jüngere reisefreudige Australier und Australierinnen nicht mehr zu. In mehreren Interviews kommt zum Ausdruck, dass den Interviewten auf Auslandsreisen, aber auch im Kontakt mit Ausländern in Australien, bewusst wird, dass sie ein Defizit an Fremdsprachenkenntnissen haben, wie die folgenden zwei Aussagen zeigen: I went to Vietnam and there were there were a lot a lot of German travellers I particularly liked the idea I know it's not particularly related to culture but is in a way that a lot of them spoke a number of languages and being in Australia we don't speak many (.) relative to other countries [Matthew 13/ 26] my brother’s buddy German buddy came here in 2006 I think and that was that was very cool because (.) the Germans all that come here have such good English you know and obviously they speak German but they speak English as well so you can practice a bit of German you know on them but most of the time it’s just like they’re another they’re an Australian with an accent if anything [Daniel 3/ 44] Diese Bewunderung für Gleichaltrige aus anderen Ländern, die zusätzlich zu ihrer Muttersprache auch andere Sprachen fließend beherrschen, scheint zu einem Nachholbedarf zu führen, der in dem wachsenden Interesse am universitären Fremdsprachenlernen zum Ausdruck kommt. Dieser Nachholbedarf reflektiert auch die Frustration über den prekären schulischen Fremdsprachenunterricht in Australien. Mehrere der Interviewten, die bereits Deutsch in der Schule gelernt hatten, bestätigten die fehlende Kontinuität und unzulängliche sprachliche Progression im Curriculum: it was (.) very basic we didn't learn formal or informal we barely learnt like the article of nouns and stuff it was kind of just ich bin and you know (.) du bist and that kind of thing […] so it was kind of just (.) just a teaser just a taste enough you know an introduction […] it never really went very complicated so it was always very basic and simple stuff [Tom1/ 2, 3] 70 Gabriele Schmidt 45 (2016) • Heft 2 Während erwartungsgemäß einige Studierende erwähnten, dass ihre positiven Erfahrungen mit dem Deutschunterricht in der Schule zum Weiterlernen an der Universität geführt haben (vgl. S TOTT / F IELDING 2015: 22), gibt es auch Anzeichen dafür, dass sich die oben genannte Unzufriedenheit mit dem schulischen Fremdsprachenunterricht auch motivationsfördernd auswirkt, indem der Wunsch entsteht, Deutsch jetzt an der Universität „richtig“ zu lernen: and then same motivation once I left high school and then went to university I thought I may as well learn it properly before I worry about learning another language [Patrick 16/ 1] Das wachsende Bewusstsein, dass Englischkenntnisse allein nicht mehr reichen, scheint zum einen stark mit einem allgemeinen Mobilitätsmotiv verbunden zu sein, zum anderen mit karrierebezogenen, also instrumentellen Motiven. Fast alle Interviewten äußerten den Wunsch, nach Europa zu reisen, und für viele Deutschstudierende scheint dies ein Studienmotiv zu sein, wie die folgende Aussage zeigt: a lot of the other students aren't (.) aren't necessarily language students they just take a first year language as an elective it gives them a little bit of an understanding of the language and then often they want to travel to a country that speaks it so it's it's a great opportunity to start and not not come off the aeroplane and have no idea what anyone is saying [Alexandra 8/ 18] Die zunehmende Internationalisierung der Universitäten hat auch in Australien dazu geführt, dass Studierenden Austauschprogramme in aller Welt offenstehen. Aufgrund der mangelnden Fremdsprachenkenntnisse können viele Studenten und Studentinnen ihr Austauschsemester jedoch nur in englischsprachigen Ländern, wie z.B. Großbritannien, den USA oder Kanada absolvieren. Wie die folgende Äußerung verdeutlicht, sind sich einige Studierende bewusst, dass Fremdsprachenkenntnisse die Zahl der Länder, die für ein Auslandsstudium in Frage kommen, vergrößern: it opens up more options in terms of studying overseas [Tim 15/ 14] Neben touristischen und studienbezogenen Reisemotiven kommen in den sechzehn Interviews auch auf die spätere berufliche Karriere bezogene Motive zutage. Während für die meisten die berufliche Zukunft noch relativ vage aussah, kommt in mehreren Interviews die Erwartung zum Ausdruck, dass Deutschkenntnisse bei zukünftigen Bewerbungen eine wichtige Zusatzqualifikation sein können: I chose to do German with the diploma on top and it gives me extra things [...] I’m hoping that’ll yeah help with everything and it’s always something I can hold over everybody else [Sam 10/ 2, 46] it’s always good to have a second language I think it gives you a bit of an edge career-wise [...] we’re always told that the employers will be looking for something that sets you apart from everyone around you [Bianca 12/ 14, 16] if I know some German that will definitely boost me up and (.) put me in front of a few other people in line for jobs [James 5/ 36] Wie im zweiten Teil erläutert wurde, sind viele australische Sprachstudierende in nichtgeisteswissenschaftliche Studiengänge eingeschrieben und Deutsch ist nicht ihr Stu- Motivation zum Fremdsprachenstudium in einem englischsprachigen Land 71 45 (2016) • Heft 2 dienschwerpunkt, sondern ein Wahlpflichtfach, weshalb A MMON bereits 1991 von Deutsch- und nicht von Germanistikstudierenden sprach (A MMON 1991: 30). Es bleibt aber die Frage, warum gerade Deutsch und nicht Französisch oder Japanisch als Zusatzqualifikation gewählt wurde. Während in einigen Interviews eine direkte Verbindung zwischen Deutsch und dem Studienschwerpunkt, z.B. Ingenieurwissenschaften, gezogen wird, dominiert in den meisten Interviews ein generelles Interesse an Deutschland 2 , deutschsprachiger Kultur und Europa. 4.2.2 Affinität zu deutscher und europäischer Kultur Australien ist zwar bereits seit 1901 ein vom Vereinigten Königreich unabhängiger föderaler Staat; das Bewusstsein, geografisch ein Nachbarland Südostasiens zu sein, ist aber erst in den 1970er Jahren entstanden. Je nach Regierungspartei ändert sich seitdem regelmäßig nicht nur der wirtschaftliche und außenpolitische Fokus Australiens, sondern auch der sprachenpolitische, d.h., ob europäische oder asiatische Sprachen gefördert werden. Während 2012 von Australia in the Asian Century gesprochen wurde, sind z.B. 2014 und 2015 mehrere wichtige bilaterale Vereinbarungen zwischen Deutschland und Australien unterzeichnet worden. Diese sich häufig wechselnden politischen Ausrichtungen lassen sich auch in den Interviews wiederfinden. Eine Frage zielte darauf ab, warum der Student oder die Studentin eine europäische und keine asiatische Sprache gewählt hatte. Die Antworten zeigen, dass Deutschstudierende sich schon dessen bewusst sind, dass sie manchmal gegen politische und wirtschaftliche Trends gehen bzw. lernen. Bei einigen hat dies sogar zu einem Schuldgefühl geführt: I’ve always felt guilty about I didn’t have an interest in learning an Asian language because we are quite geographically wise part of Asia but I’ve always had a sort of connection to Europe heritage wise and but now also academically because I’m studying English literature [Tim 15/ 86] Die Interviewdaten zeigen auch, dass Studierende sehr kritisch gegenüber der Kurzsichtigkeit von Politikern sind. Die folgende Aussage verdeutlicht, dass sich die Studentin der Tatsache bewusst ist, dass das Erlernen einer Fremdsprache länger als eine Wahlperiode dauert: I think you can’t (.) you can’t really (..) put all your eggs in one basket if that’s the term (..) because eventually things are going to change and perhaps Australia’s relationship with Europe is going to be on the forefront again and it takes so long to learn a language that you need to have sort of reserves [Bianca 12/ 32] Mehrere Studierende hatten eine asiatische Sprache, häufig Japanisch oder Chinesisch, in der Schule gelernt und dies als sehr schwierig wahrgenommen, meistens aufgrund der unterschiedlichen Schriftzeichen. Nicht überraschend fanden sie Deutsch demzu- 2 Die in den Interviews geäußerten Kommentare beziehen sich fast ausschließlich explizit auf Deutschland. 72 Gabriele Schmidt 45 (2016) • Heft 2 folge einfacher. Der geringere Schwierigkeitsgrad scheint jedoch nicht der Hauptgrund für die Wahl einer europäischen Sprache statt einer asiatischen zu sein. Mehrere Studenten und Studentinnen drückten eine starke Affinität zu europäischer Kultur aus, wofür verschiedene Gründe genannt wurden. Einige wiesen darauf hin, dass Australien eine Nation von Einwanderern aus der ganzen Welt sei und nicht nur aus Asien, während andere durch Reisen beeinflusst worden sind und den höheren Lebensstandard in Europa nannten. Speziell auf Deutschland bezogen berichteten diejenigen, die Deutschland besucht hatten, wie sehr ihnen die deutsche Kultur gefällt: I liked Germany you know as a country the you know the cities and the people and all that I’ve just I enjoyed it there [Tom 1/ 16] in Germany it was just great I just I couldn’t fault it at all [John 11/ 4] I just find German (.) German culture very interesting [Joshua 9/ 12] Auf Nachfragen, was genau sie mit deutscher Kultur assoziieren, wurden zwar erwartungsgemäß Stereotype wie Bier und Oktoberfest genannt, aber in einer Reihe von Interviews sticht ein starkes Interesse an deutscher Geschichte hervor, das u.a., wie die folgende Aussage zeigt, mit der relativ kurzen Geschichte Australiens seit der europäischen Besiedlung erklärt werden kann: I suppose that comes from an Australian perspective as well in that where we don’t have so much of a you know history around us this idea of you know living somewhere where the past is next door and you know you’re still here today is just really appealing [Patrick 16/ 16] I’ve always been fascinated by particularly 20 th century German history and I feel like I can’t quite truly understand unless I have some knowledge of the language itself [Tim 15/ 24] Die im zweiten Teil erwähnten Sparmaßnahmen, die seit Ende der 1990er Jahre für viele Sprachabteilungen zum Alltag gehören, haben dazu geführt, dass Sprachabteilungen zunehmend unter Rechtfertigungsdruck stehen, wenn sie rein themenbezogene Kurse, d.h. ohne explizit sprachpraktische Inhalte, wie z.B. deutschsprachige Literatur oder Geschichte in der Zielsprache und nicht auf Englisch anbieten möchten. Dass Fremdsprachenkenntnisse von den Lernenden selbst nicht nur als Schlüssel zu anderen Kulturen, sondern auch als Teil der eigenen (zukünftigen) Identität angesehen werden, wird im folgenden Teil untersucht. 4.2.3 Identitätsbezogene Motive Fast alle Befragten äußerten eine Faszination für Fremdsprachen und dass sie schon immer eine Fremdsprache lernen wollten: I really liked being able to express myself in another language [Sarah 14/ 4] I’m just fascinated with other languages [Sam 10/ 22] I have always loved languages [Alexandra 8/ 6] Motivation zum Fremdsprachenstudium in einem englischsprachigen Land 73 45 (2016) • Heft 2 Die in den Beispielen benutzten Verben drücken ein inneres Verlangen aus, das im Kontext von D ÖRNYEI s Ideal L2 Self wichtig ist, das - wie in Teil 3 erläutert - das Selbstbild des Lerners bzw. der Lernerin ausdrückt, im Gegensatz zu dem Ought-to L2 Self, das die Erwartungen von anderen reflektiert. Dass die Lernenden ihre Deutschkenntnisse als Teil ihrer Identität ansehen, wird an der folgenden Äußerung einer Studentin deutlich, die sagt, dass sie ihre Deutschkenntnisse immer dann nennt, wenn sie drei Eigenschaften auflisten soll, die sie charakterisieren: I always bring it up when people say like name three things about yourself I can say I can sort of speak German or like yeah it is quite important [Sarah 14/ 14] D ÖRNYEI s Ideal L2 Self ist in die Zukunft gerichtet, d.h., wie wir selbst gerne in fünf, zehn oder zwanzig Jahren sein möchten. Die folgende Aussage reflektiert diese Zukunftsversion am stärksten: it’s just kind of a personal growth kind of thing (.) [...] so that maybe (.) I’m a more interesting person at the end of the day ((laughter)) you know maybe that little quirk of mine is oh I am and I speak German [Tom 1/ 22] Der Student weist auf die Zukunft hin („at the end of the day“) und sieht die Person, die er in seiner Vorstellung dann sein wird, als eine Person, die Deutsch spricht: „I am and I speak German“. Während des ganzen Interviews betont er mehrmals, dass er Deutsch nur für sich lernt („it’s more just for me“) und dass es etwas Persönliches ist („it’s just something personal“). Ein anderer Teilnehmer bemerkt in diesem Zusammenhang, dass die große Anstrengung und das Durchhaltevermögen, die für erfolgreiches Fremdsprachenlernen erforderlich sind, nur aufrechterhalten werden können, wenn man auch auf persönlicher Ebene davon profitiert. Der Student begann mit Deutsch, weil er dachte, es könnte nützlich sein, wenn er später einmal als Ingenieur arbeitet. Aber im Interview wird deutlich, wie sich diese Anfangsmotivation weiterentwickelt hat: you know I’d need more than that to devote a large amount of time so that’s where the interest came from but there’s more to it [Matthew 13/ 18] Was genau mit diesem „mehr“ gemeint ist, ist höchstwahrscheinlich individuell sehr unterschiedlich: it’s something I’m interested in (.) so I suppose that kind of (.) makes me feel better about myself [Patrick 16/ 30] it personally makes me feel more full […] maybe (.) I'm a more interesting person [Tom 1/ 22] you feel like a more intelligent person if you can express yourself in (.) more than your own language [Bianca 12/ 26] Die drei Aussagen lassen alle ein gesteigertes Selbstwertgefühl und ein wieder erstarktes Bildungsmotiv erkennen, nachdem in den letzten Jahren häufig beobachtet worden war, dass Fremdsprachenkenntnisse zu einer Ware geworden sind (vgl. K RAMSCH 2014: 301f.). 74 Gabriele Schmidt 45 (2016) • Heft 2 5. Ausblick Die im dritten und vierten Teil präsentierten Studien zur Sprachlernmotivation von australischen Studenten und Studentinnen haben einen Einblick in das seit einigen Jahren wieder wachsende Interesse am universitären Fremdsprachenlernen in Australien gegeben. Während in den letzten Jahren oftmals befürchtet wurde (vgl. die Diskussion in A MMON 2015: 10-18), dass die zunehmende Bedeutung von Englisch als internationale Sprache das Aus für andere Sprachen bedeutet, geben die Ergebnisse der hier vorgestellten Studien Grund für vorsichtigen Optimismus. Zum einen scheinen sich gerade jüngere Menschen mit Englisch als Muttersprache der Tatsache bewusst zu werden, dass im Zeitalter von Globalisierung Fremdsprachenkenntnisse zur Mobilität beitragen und die Chancen auf dem Arbeitsmarkt verbessern. Dies bestätigt S HARIFIANS (2014: 49) Mutmaßung, dass Englisch keine Bedrohung für Zweibzw. Mehrsprachigkeit darstellt, sondern dass globale Märkte und multikulturelle Gesellschaften einen Bedarf an multilingualen Sprechern und Sprecherinnen haben. Da sich dieses Bewusstsein erst langsam durchsetzt, sind Fremdsprachenkenntnisse in Ländern mit Englisch als dominanter Erstsprache immer noch etwas Besonderes, wie in mehreren Interviews zum Ausdruck kam (it „sets you apart“). Das Gefühl, etwas Besonderes zu lernen („doing something ‚special‘“), wurde ebenso von B USSE / W ILLIAMS (2010: 81) in ihrer Studie zur Motivation von englischen Deutschstudierenden beobachtet. Sowohl in Australien als auch in Großbritannien scheint für Sprachstudenten und -studentinnen das in den Studien von R IEMER (2006: 54) 3 ermittelte sogenannte „Exotenmotiv“ ein wichtiges Motiv zu sein. Zum anderen deuten die in der Interviewstudie gefundenen identitätsbezogenen Motive darauf hin, dass bei Deutschlernenden mit Englisch als Muttersprache pragmatische Motive wie ‚Deutsch als Zusatzqualifikation‘ nicht die alleinige Motivation sind. Gleichzeitig scheinen Fremdsprachenkenntnisse als ein Mittel zur Persönlichkeitsentwicklung und zur persönlichen Bildung gesehen zu werden, was als ein humanistisches Bildungsmotiv beschrieben werden kann. Es ist zu vermuten, dass das Bildungsmotiv in solchen Ländern stärker ausgeprägt ist, die sich geografisch weit entfernt von den Zielsprachenländern befinden. Für britische Deutsch- oder Spanischstudierende ist die Aussicht, in der Zukunft einmal in Deutschland oder Spanien zu arbeiten, realistischer als für junge Australier und Australierinnen ohne EU-Pass. Dass beide Motive (Zusatzqualifikation und humanistisches Bildungsmotiv) nicht in Konkurrenz zueinander stehen, sondern als komplementär gesehen werden, wird von einer der interviewten Studierenden wie folgt zusammengefasst: „you broaden your opportunities ((Zusatzqualifikation)) and you broaden your knowledge and the way you think about the world ((Bildungsmotiv))“ [Melanie 2/ 54]. Wie das Beispiel des Studenten zeigt, der anfangs Deutsch aufgrund der engen Beziehung zwischen seinem Studium der Ingenieurwissenschaften und Deutschlands Füh- 3 Siehe auch den Beitrag von R IEMER in diesem Heft. Motivation zum Fremdsprachenstudium in einem englischsprachigen Land 75 45 (2016) • Heft 2 rungsrolle in der Automobilindustrie gewählt hatte, ist Sprachlernmotivation dynamisch und verändert sich, indem z.B. bei diesem Studenten identitätsbezogene Motive erst später hinzukamen. Für das Lehrangebot von australischen Fremdsprachenabteilungen bedeutet diese ‚doppelte Motivation‘, dass sowohl sprachliche Fertigkeiten und kommunikative Kompetenz als auch Inhalte vermittelt werden müssen, die die Lernenden dazu anregen, sich mit anderen Kulturen und Gesellschaften auseinanderzusetzen und über ihre eigenen Werte zu reflektieren. Die manchmal vorgeschlagene Trennung von Sprache und Inhalt wäre hier wenig hilfreich. Ein Grund für die relativ stabil gebliebene Zahl von australischen Studierenden, die eine europäische Sprache lernen, ist, dass es vielen Fremdsprachenabteilungen trotz der oben erwähnten Mittelkürzungen gelungen ist, nicht zu reinen Sprachkursanbietern zu werden, sondern auch weiterhin Kurse zur Geschichte, Literatur, Kultur und Linguistik anzubieten, die die Studierenden dazu animieren to „think about the world“. Literatur A MMON , Ulrich (1991): Studienmotive und Deutschenbild australischer Deutschstudenten und -studentinnen. Stuttgart: Steiner. 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Instrumental motivation dominates in Poland, while in the USA intercultural motivation is strongly represented, apart from the important instrumental motivators. In general, inner motivation plays a bigger role in the USA than in Poland, and therefore “intercultural motivation” is more significant in the USA than in Poland. 1. Einleitung Alle bisherigen Untersuchungen zu Motiven und Motivation der Deutschlernenden variieren mehr oder weniger im Hinblick auf methodische Ansätze, Forschungsschwerpunkte, Repräsentativität und Größe der Stichproben sowie das kulturelle Umfeld des jeweiligen DaF-Unterrichts. Sie können ggf. auch Teil breiter angelegter Erhebungen sein, die verschiedene Fremdsprachen in einem internationalen Vergleich erfassen. Was die Studien aber insgesamt erreichen, ist die Bewusstmachung einer komplexen Natur der Motivation zum Fremdsprachenlernen. Der vorliegende Beitrag spricht einen besonderen Aspekt der Motivation an und geht auf die Problematik der interkulturellen Motivation der polnischen und US-amerikanischen DaF-Lernenden ein. Grundlegend ist dabei die Frage, ob es neben instrumentellen Motiven auch solche gibt, die mit dem Erwerb interkultureller Kompetenz verbunden sind. * Korrespondenzadresse: Prof. Dr. Maciej M ACKIEWICZ , Uniwersytet im. Adama Mickiewicza, Instytut Filologii Germańskiej, al. Niepodległości 4, 61-874 P OZNAŃ , Polen. E-Mail: maciej.mackiewicz@amu.edu.pl Arbeitsbereiche: DaF-Didaktik, DaF-Methodik, interkultureller Ansatz im Fremdsprachenunterricht, deutsch-polnische interkulturelle Kommunikation.