Fremdsprachen Lehren und Lernen
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0932-6936
2941-0797
Narr Verlag Tübingen
Es handelt sich um einen Open-Access-Artikel, der unter den Bedingungen der Lizenz CC by 4.0 veröffentlicht wurde.http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/61
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Gnutzmann Küster SchrammJochen PLIKAT: Fremdsprachliche Diskursbewusstheit als Zielkonstrukt des Fremdsprachen-unterrichts. Eine kritische Auseinandersetzung mit der Interkulturellen Kompetenz. Frank-furt/M.: Peter Lang Verlag 2017, 336 Seiten [75,95 €]
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Adelheid Hu
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Buchbesprechungen • Rezensionsartikel 127 47 (2018) • Heft 1 zuzeigen sowie hinsichtlich didaktisch-methodischer Konsequenzen weiterzuentwickeln. Der Band stellt sowohl für Wissenschaftler/ -innen und Studierende als auch für Lehrpersonen einen inspirierenden Einblick in den Stand der fremdsprachenspezifischen digitalen Medienforschung dar. Auckland D IANA F EICK Jochen P LIKAT : Fremdsprachliche Diskursbewusstheit als Zielkonstrukt des Fremdsprachenunterrichts. Eine kritische Auseinandersetzung mit der Interkulturellen Kompetenz. Frankfurt/ M.: Peter Lang Verlag 2017, 336 Seiten [75,95 €] Bei der Dissertationsschrift von Jochen P LIKAT handelt es sich um eine theoretische Arbeit, die einen Beitrag zur fremdsprachendidaktischen Theoriebildung leisten möchte. Ausgangspunkt für die Studie ist ein in Kapitel 1 ausführlich begründetes Unbehagen in Bezug auf existierende Konzepte von Interkulturalität innerhalb der Fremdsprachendidaktik. Hauptkritikpunkte betreffen „überholte Kulturvorstellungen“ (S. 38) sowie ein Theoriedefizit im Hinblick auf das Dilemma von Relativismus und Universalismus. Vor diesem Hintergrund bearbeitet der Autor drei Forschungsfragen: 1. Wie sind ausgewählte Ansätze interkultureller Fremdsprachendidaktik hinsichtlich verschiedener Kulturverständnisse zu beurteilen? 2. Wie sind ausgewählte Ansätze interkultureller Fremdsprachendidaktik hinsichtlich des Dilemmas von Universalismus und Kulturrelativismus zu beurteilen? 3. Wie könnte ein Zielkonstrukt für den Fremdsprachenunterricht beschaffen sein, das sowohl ein zeitgemäßes Kulturverständnis als auch einen reflektierten Umgang mit dem Dilemma von Universalismus und Kulturrelativismus anbahnt? (S.38) Bei der Bearbeitung dieser Fragen geht der Autor folgendermaßen vor: Im Hinblick auf die erste Forschungsfrage stellt er in Kapitel 2 zunächst verschiedene Kulturbegriffe dar, wobei er sich stark an den Arbeiten von Andreas R ECKWITZ orientiert und die Frage in den Mittelpunkt rückt, inwieweit bei den verschiedenen Konzepten von Kultur die Kontingenz kultureller Phänomene transparent gemacht wird. In einem Exkurs geht der Autor auch auf das Konzept der Transkulturalität ein, wobei er sich hier in besonderer Weise auf die Theorien von Wolfgang W ELSCH bezieht. Im Hinblick auf Forschungsfrage 2 folgt eine kritische Auseinandersetzung mit kulturrelativistischen Positionen, die nach P LIKAT sowohl in der Erziehungswissenschaft als auch der Fremdsprachendidaktik häufig zugrunde gelegt, aber theoretisch ungenügend bearbeitet wurden.Auf der Basis dieser theoretisch-kulturwissenschaftlichen Erörterungen analysiert der Autor dann in Kapitel 3 ausgewählte Theorieansätze zu interkulturellem Lernen und interkultureller Kompetenz, so wie sie in fremdsprachendidaktischen Kontexten vorgelegt wurden. Dies sind a) die im Gießener Graduiertenkolleg entwickelte Didaktik des Fremdverstehens, b) das Konzept der Thirdness und der Symbolic Competence von Claire K RAMSCH , und c) der Theorieansatz der Intercultural Communicative Competence von Michael B YRAM . Dies geschieht durchgängig im Hinblick auf die Frage, inwieweit in den vorliegenden Ansätzen nach Ansicht des Autors akzeptable Kulturkonzepte zugrunde gelegt werden bzw. inwieweit das Dilemma von Universalismus und Kulturrelativismus reflektiert bzw. angemessen gelöst wird. Als Ergebnis dieser kritischen Analyse konstatiert der Autor, dass keine dieser Positio- 128 Buchbesprechungen • Rezensionsartikel 47 (2018) • Heft 1 nen im Hinblick auf die Forschungsfragen als zufriedenstellend bezeichnet werden kann. In Kapitel 4 folgt dann die Beschäftigung mit Forschungsfrage 3, also der Frage, wie ein Zielkonstrukt für den Fremdsprachenunterricht beschaffen sein kann, das sowohl ein zeitgemäßes Kulturverständnis als auch einen reflektierten Umgang mit dem Dilemma von Universalismus und Kulturrelativismus anbahnt. Der Autor wählt dafür als zentrales Konzept das Konzept Diskurs, von dem er annimmt, dass es die beschriebenen Unzulänglichkeiten des Kulturkonzepts zu überwinden in der Lage ist. Auch hier erfolgt nun zunächst eine ausführliche Darstellung verschiedener Diskurstheorien, wobei der Autor vor allem an die sozialphilosophischen Diskurstheorien von M. F OUCAULT und N. F AIRCLOUGH anschließt. Daneben wählt er - in kritischer Abgrenzung zum Konzept der Kompetenz - den Ansatz von Awareness, so wie er in der language awareness-Tradition entwickelt wurde. Das somit sich herauskristallisierende Konstrukt der Diskursbewusstheit wird darüber hinaus an die Theorie der transformatorischen Bildung nach Hans-Christoph K OLLER angebunden. Die Studie schließt mit kurzen Überlegungen zur Empiriefähigkeit und zur didaktischen Umsetzung des Konstrukts „Diskursbewusstheit“ sowie mit einem knapp gehaltenen Fazit, in dem „Fremdsprachliche Diskursbewusstheit“ visuell in Form eines Modells dargestellt wird (S. 299) und in dem die Bedeutung der Menschenrechte als normative Grundlage noch einmal besonders betont wird. Insgesamt gesehen handelt es sich bei dieser Studie um eine gründlich durchdachte und kritische Auseinandersetzung mit dem Konzept der Interkulturalität an sich und vor allem mit der Art und Weise, wie dieses Konzept in fremdsprachendidaktischen Kontexten aufgegriffen und implementiert wurde. Der Autor zieht eine beeindruckende Menge an Literatur heran, die er in der Regel ausgesprochen detailliert darstellt und analysiert. Allerdings überrascht, dass er sich bei der Kritik am Kulturkonzept (Kapitel 2.1.) fast ausschließlich auf die Positionen von Andreas R ECKWITZ und Wolfgang W ELSCH stützt und teilweise m.E. unkritisch deren Darstellungsweisen übernimmt, wie etwa den ahistorischen Umgang mit J.G. H ERDER , der im Übrigen kaum im Original zitiert wird und der nur zu wiederholten Malen als der Vertreter essentialisierender Kulturkonzepte herhalten muss. Es ist von Anfang an klar, dass die Darstellungen kulturorientierter Ansätze in einer grundsätzlich kritischen Haltung erfolgen. Der Leser ist sich bewusst, dass der Autor seine Analysen perspektivisch anlegt und entsprechend den Forschungsfragen spezifische Aspekte in den Mittelpunkt rückt, andere aber eher ausblendet. Dies führt u.a. dazu, dass etwa die historische Perspektive, d.h. die (Weiter-)Entwicklung fremdsprachendidaktischer Leitkonzepte - gerade durch interkulturelle Ansätze! - weniger Würdigung erfährt. Einflussreiche und international breit aufgegriffene Konzepte (wie z.B. das Konzept der Communicative Intercultural Competence von Michael B YRAM ) werden kaum in ihrer generellen Bedeutsamkeit für die fremdsprachendidaktische Theoriebildung und Unterrichtspraxis in den Blick genommen, sondern vielmehr unter einer sehr spezifischen Fragestellung kritisch analysiert. Der Autor geht selbst kurz auf diese Problematik ein, wenn er sagt: „Bei aller Kritik sind jedoch die Verdienste des cultural turn in der Fremdsprachendidaktik zu nennen. Interkulturalität als Zielkonstrukt fremdsprachlichen Lernens hat dazu geführt, dass frühere landeskundliche Ansätze hinterfragt und allmählich durch komplexere Ansätze ersetzt wurden“ (S. 192). Als jemand, der selbst intensiv zu den hier erörterten Fragen gearbeitet hat (z.B. Hu 1999) und aktives Mitglied des in der Studie erwähnten Gießener Graduiertenkollegs Didaktik des Fremdverstehens war (es ist im Übrigen schade, dass in der Studie die zahlreichen Publikationen des Kollegs auf Lothar B REDELLA beschränkt bleiben), teile ich weitgehend die Kritik an Buchbesprechungen • Rezensionsartikel 129 47 (2018) • Heft 1 bestehenden Konzepten der Interkulturalität und kann auch die Hinwendung zum Diskurskonzept nachvollziehen. In H U 1999 habe ich mich damals mit kritischen Positionen zur Interkulturalität auseinandergesetzt und ebenfalls das diskursive Element hervorgehoben: „Kulturen in diesem Sinne sind keine vorgefundenen Gegebenheiten, sondern ,diskursive Ereignisse‘ […] Ich würde in diesem Sinne dann von Interkultureller Kommunikation sprechen, wenn sich GesprächspartnerInnen über kulturelle Entwürfe, Abgrenzungen, Werte oder Normen austauschen, streiten oder wenn sie sich selbst innerhalb dieser Entwürfe in ihrer Identität verorten. Entscheidend ist also nicht die ethnische Herkunft der Beteiligten, sondern die Qualität des stattfindenden Diskurses“ (Hu 1999, 298). Dennoch zweifle ich daran, dass das Kulturkonzept im Sprachenunterricht ausgeblendet werden kann. Wie auch immer geartete Vorstellungen von Kultur bzw. Kulturen sowie das Bedürfnis nach kultureller Verortung und Identität sind alltagssprachlich und somit auch in den Köpfen der Schüler/ -innen verankert und müssen reflektiert werden. Auch ist zu befürchten, dass das Diskurskonzept, das wie der Autor selbst schreibt, ausgesprochen vieldeutig und darüber hinaus sehr akademisch ist (S. 194), schwer in der Fremdsprachendidaktik bzw. Unterrichtspraxis implementierbar sein würde. Auch dies konstatiert der Autor selbst, wenn er schreibt: „In der vorliegenden Arbeit wird Fremdsprachliche Diskursbewusstheit als ein solches Konstrukt entworfen. Die Brauchbarkeit dieses Konstrukts wird erst im Licht zukünftiger Diskussionen und Forschungsbeiträge beurteilt werden können“ (S. 42). Auffällig ist, dass in der vorliegenden Abhandlung Fremdsprachenunterricht in erster Linie als politische Erziehung bzw. Demokratieerziehung verstanden wird. Dies sind in der Tat wichtige Zielsetzungen von sprachlichem Lernen und Lehren, allerdings bleiben andere zentrale Aspekte am Rande. Z.B. thematisiert der Autor die Frage der Sprachkompetenz nicht, die aber für die Arbeit an der Diskursbewusstheit vorausgesetzt werden müsste. Es bleibt offen, ob der vorgelegte Ansatz nur für extrem fortgeschrittene Lerner geeignet wäre. Obwohl es in weiten Teilen der Studie so erscheint, bleibt letztlich unklar, inwieweit der Autor tatsächlich ‚Kultur‘ als Kategorie aus dem Fremdsprachenunterricht verbannen will bzw. inwieweit die Arbeit an der Diskursbewusstheit nicht viel mehr ein Mittel ist, um letztlich zu differenzierten und nicht essentialisierenden Kulturkonzepten zu gelangen: „Das Zielkonstrukt Fremdsprachliche Diskursbewusstheit hätte daher das Potential, ein bedeutungs- und wissenschaftliches Kulturverständnis anzubahnen, ohne dabei mit dem immer wieder zu Missverständnissen führenden Kulturbegriff arbeiten zu müssen“ (S. 220). Insgesamt gesehen handelt es sich bei der Dissertation von Jochen P LIKAT um eine äußert lesenswerte Abhandlung, die einen wertvollen Beitrag zur fremdsprachendidaktischen Theoriebildung leistet. Wichtige Positionen werden kritisch analysiert, und zentrale Fragen interkulturellen Lernens werden gründlich durchdacht. Wichtig wäre es in einem nächsten Schritt, den Bezug zur Schule stärker herzustellen und didaktische Beispiele zu entwickeln, wie die Anbahnung von Diskursbewusstheit bzw. Kulturbewusstheit bei Schüler(inne)n mit zunehmend plurilingualen Repertoires konkret aussehen könnte. Luxemburg A DELHEID H U