Fremdsprachen Lehren und Lernen
flul
0932-6936
2941-0797
Narr Verlag Tübingen
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Gnutzmann Küster SchrammContra - Der Companion zum GeR 2017 – eine gelungene sprachenpolitische Initiative?
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2018
Hans-Jürgen Krumm
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Pro und Contra 131 47 (2018) • Heft 2 Dass der Gemeinsame europäische Referenzrahmen für Sprachen (GER) schon in der ursprünglichen Form beides ist, ein starker positiver Impuls für den Fremdsprachenunterricht und die Fremdsprachendidaktik und zugleich ein Ärgernis, vor allem wegen seiner politischen Vereinnahmung und einseitigen Verwendung, bei der es nicht um individuelle Sprachenprofile und autonome Lernende geht, sondern um starre Niveaustufen, die zur systematischen Ausgrenzung und Diskriminierung von Migrant(inn)en und Flüchtlingen führen, ist seit langem bekannt. In Österreich z.B. sollen nach einem Regierungsbeschluss vom Mai 2018 Migrant(inn)en, die keine Deutschprüfung auf dem Niveau B1 vorweisen können, nur noch eine erheblich reduzierte Mindestsicherung erhalten; in zahlreichen europäischen Ländern, Deutschland und Österreich eingeschlossen, sind Familiennachzug und Aufenthaltsbewilligung vom Bestehen von Sprachprüfungen auf einer bestimmten Niveaustufe des GERs abhängig. All dies widerspricht den Intentionen, mit denen der Europarat den Referenzrahmen entwickelt und publiziert hat - insofern wäre zu hoffen und zu erwarten gewesen, dass dem bei einer Bearbeitung oder Erweiterung Rechnung getragen wird. Genau das aber passiert leider nicht. Zugegeben, die Erweiterung nimmt einige bedeutsame Ergänzungen vor: Präzisierung vieler Deskriptoren und eine neue Niveaustufe Pre-A1 sowie zu Mediation und Phonologie, hilfreiche Erläuterungen zur Verwendung des GERs, auch der Möglichkeiten der Profilbildung. Aber auf die grundsätzliche Kritik und den sprachenpolitischen Missbrauch geht nicht einmal ein Vorwort ein. Manche der Einwände gelten für die Erweiterung in verstärktem Maße: die unterschwellige Orientierung am Native Speaker (genauer P ITZL 2015); das klingt bei den neuen Deskriptoren für Literatur dann eher wie eine Abituraufgabe als eine Kompetenzbeschreibung: Can outline his/ her interpretation of a character in a work; their psychological/ emotional state, the motives for their actions and the consequences of these actions (C1). Vor allem die Deskriptoren für die neu aufgenommenen Bereiche Building on pluricultural repertoire, Plurilingual comprehension und Building on plurilingual repertoire fallen hinter den Diskussionsstand im Fach zurück - von wenigen Ausnahmen abgesehen bleibt es bei einem Nebeneinander von ‚Sprache A‘ / ‚Sprache B‘ bzw. zwei Kulturen. Der Verzicht auf die Komplexität des Referenzrahmens für plurale Ansätze zu Sprachen und Kulturen ist nicht gelungen. Der Irrglaube, man könne das menschliche Miteinander und die Diversität der Lernsituationen präzise vermessen und nach sauber abprüfbaren Niveaustufen 1 - 6 gradieren, herrscht ohne Selbstzweifel. Dem weiteren Missbrauch des Referenzrahmens für Segregation bleibt damit - jetzt in erweiterter Form! - Tor und Tür geöffnet. Schade, dass der Appell der französischen Fremdsprachenverbände, die Ergänzung auszusetzen und erst einen viel breiteren und wirklich öffentlichen Fachdiskurs zu führen, nicht gehört wurde. Eigentlich verträgt sich das nicht mit den menschenrechtlichen Zielen und der auf Integration gerichteten Politik des Europarats. Wien H ANS -J ÜRGEN K RUMM
