Fremdsprachen Lehren und Lernen
flul
0932-6936
2941-0797
Narr Verlag Tübingen
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2020
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Gnutzmann Küster SchrammContra - Die empirische Wende der Fremdsprachendidaktik hat unser Verständnis von Fremdsprachenunterricht nicht wesentlich verändert
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2020
Henning Rossa
flul4920131
Pro und Contra 131 49 (2020) • Heft 2 DOI 10.2357/ FLuL-2020-0023 Mit der empirischen Wende wird üblicherweise das Ende eines Dornröschenschlafs der Fremdsprachendidaktik gemeint, das mit einer Verschiebung ihres Selbstkonzepts von einer Transferwissenschaft und Rezeptologie hin zu einer eigenständigen, evidenzbasierten Disziplin einherging. Ein wichtiger Auslöser für diesen paradigm shift waren die internationalen large-scale assessment Studien der 1990er Jahre, obwohl diese nicht fremdsprachliches, sondern mathematisch-naturwissenschaftliches Lernen und fächerübergreifende Basiskompetenzen in den Blick nahmen. Dieses bildungspolitisch befeuerte Interesse an den Ergebnissen schulischer Bildung verlangt seitdem offensiver als zuvor nach Erkenntnissen, die auf empirischen, d.h. systematisch und reproduzierbar erhobenen Daten beruhen. Eine Intensivierung entsprechender Forschungsanstrengungen ist seit der Jahrtausendwende auch in der Fremdsprachenforschung zu beobachten. Empirische Forschung in diesem weiten Sinne zählt aber zweifelsohne schon seit den Anfängen der Fremdsprachendidaktik (in Deutschland) zu ihren zentralen Arbeitsfeldern, denn wir sind im Wortsinne selbstverständlich daran interessiert, ein möglichst umfassendes, präzises und valides Verständnis der Praxis ‚Fremdsprachenunterricht‘ zu erreichen. Da Praxis in erster Linie eine Erfahrung der beteiligten Akteure ist, liegt das Potential eines empirischen Ansatzes auf der Hand: Empirie zielt darauf ab, Wissen über und anhand von Erfahrungen zu gewinnen. Aus einer kritischen sozialwissenschaftlichen Perspektive ist die Validität der Eingangsthese deshalb in Frage zu stellen: Wenn das Sein (wie wir forschen) das Bewusstsein (unser Verständnis von Fremdsprachenunterricht) bestimmt, dann ist davon auszugehen, dass empirische Forschung durchaus für wichtige Bereiche fremdsprachendidaktischer Theoriebildung verantwortlich zeichnet. Aus der These spricht aber offenbar Enttäuschung über ein (bislang) nicht eingelöstes Versprechen der empirischen Forschung, unser Verständnis von Fremdsprachenunterricht wesentlich zu verändern. Dies mag darauf zurückzuführen sein, dass mit dem Begriff ‚empirische Wende‘ im engeren Sinne eine Verlagerung des Forschungsinteresses auf die outputfokussierte Erfassung von Kompetenzen gemeint ist. Ich halte diese Deutung des Begriffs für eine unangemessene Engführung, aber auch die Erfassung von Lernergebnissen leistet aus meiner Sicht einen wichtigen Beitrag zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Unterricht ist ein politisch und gesellschaftlich legitimierter, zielgerichteter Prozess. Wie vollständig wäre ein Verständnis unseres Forschungsfeldes ohne Erkenntnisse darüber, inwiefern im Unterricht Ziele erreicht werden und antizipierte Wirkungen didaktischer Konzepte eintreten? Empirische Forschung liefert wichtige Indikatoren für die Weiterentwicklung eines Fremdsprachenunterrichts, in dem Lernende mit ihren individuellen Voraussetzungen dabei unterstützt werden, ihre Potentiale zu entfalten. Empirischen Forschungsprojekten in der Fremdsprachendidaktik ist zu wünschen, dass es ihnen zukünftig besser gelingt, inhaltliche Bezüge zwischen Kompetenzmessungen und stärker an den vielfältigen Prozessen und Kontexten des Lehrens und Lernens orientierten Studien aufzuzeigen. Trier H ENNING R OSSA