Fremdsprachen Lehren und Lernen
flul
0932-6936
2941-0797
Narr Verlag Tübingen
121
2023
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Gnutzmann Küster SchrammContra - Schulforschung kann nicht ausschließlich im wechselseitigen Interesse stattfinden
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2023
Nils Jaekel
flul5220125
Pro und Contra 125 52 • Heft 2 DOI 10.24053/ FLuL-2023-0024 Schulforschung kann nicht ausschließlich im wechselseitigen Interesse stattfinden Partizipative Bildungsforschung liegt immer stärker im Trend und räumt Schulpartnern ausführliche Mitspracherechte und Gestaltungsmöglichkeiten ein. Dies darf jedoch nicht bedeuten, dass wechselseitige Interessen ein Muss darstellen dürfen. Unabhängige Bildungsforschung ist unverzichtbar, um das Bildungssystem über Trends zu informieren, Stärken und Schwächen aufzuzeigen, und neue Methoden und Lösungsansätze für Herausforderungen zu entwickeln. Um dieser wichtigen Rolle gerecht werden zu können, muss Schulforschung auch frei von externen Einflüssen der Bildungspolitik oder Schulpartnern im Forschungsprozess agieren dürfen. Gute Forschung braucht detaillierte Studienplanung und hohe Methodenqualität. Externe Einflüsse stellen dabei nicht nur das konzeptionelle und methodische Vorgehen von Bildungsforschung in Frage, sondern möglicherweise auch ihre Ergebnisse und das Vertrauen in diese. Wie frei und unabhängig Schulforschung sein kann, wirft auch die Fragen auf, welche Institutionen diese genehmigen und ob wissenschaftlich fundierte Forschungsvorhaben, die durch unabhängige Evaluationen wie z.B. durch Gutachtergremien und universitäre Ethikkommissionen geprüft sind, an politischen, wirtschaftlichen oder anderen externen Hürden scheitern dürfen. Wer entscheidet, was relevante, zukunftsträchtige oder gar bildungspolitisch erwünschte Forschung ist? Ist die Forschungsfreiheit nicht eines unserer höchsten Güter? Insbesondere groß angelegte Studien verlangen Schulpartnern viel Vertrauen ab, wie zum Beispiel das Bildungsmonitoring, das unverzichtbar ist, um Trends und Entwicklungen nachzuvollziehen und in Bildungsprozesse steuernd einzugreifen zu können. Schulen haben hier wenig Gestaltungsmöglichkeiten, und ein zeitnaher Mehrwert für Schulen oder Schüler*innen ist nicht zu erwarten. Langfristig bieten solche Studien die Möglichkeit, sich aus den Daten ergebende spezifische Schwerpunktthemen aufzugreifen. Sollten wir deshalb auf Studien verzichten, die auf systemischer Ebene Defizite aufzeigen und Stärken hervorheben, weil ein direktes wechselseitiges Interesse nicht vorliegt? Ich meine nicht! Auch bei der Entwicklung neuer Methoden, Materialien sowie pädagogischer oder psychologischer Interventionen können wechselseitige Interessen nicht immer garantiert werden. Um die Effektivität bestimmter Methoden verlässlich untersuchen zu können, sind kontrollierte Interventionsstudien der forschungsmethodische Goldstandard. Bei solchen Verfahren prallen jedoch pädagogische und forschungsmethodische Realitäten aufeinander, wenn die Interventionsgruppe eventuell neuartige, vermeintlich vorteilhafte Methoden nutzt, die der Kontrollgruppe vorenthalten werden müssen. Als Lehrkraft muss ich das Beste für meine Schüler*innen wollen; diesem Anspruch können manche Forschungsmethoden nicht gerecht werden. Umgekehrt müssen Forschungsteams zukunftsgerichtet denken und dabei die Qualität ihrer Forschung priorisieren. Hier ist Forschung in der Verantwortung, Vertrauen aufzubauen und das gemeinsame Ziel von gutem und erfolgreichem Unterricht für die heutigen, aber auch für zukünftige Generationen von Schüler*innen im Auge zu behalten. Ein wechselseitiges Interesse mag politisch und gesellschaftlich wünschenswert und oft auch dienlich sein, um voneinander zu lernen, muss jedoch langfristig gedacht und gehandelt werden. Ich plädiere dafür, die Freiheit der Forschung auch und gerade in Deutschland als oberstes Leitziel zu bewahren und Schulforschung auch ohne ein direktes wechselseitiges Interesse möglich zu machen. Kopenhagen N ILS J AEKEL
