eJournals

Forum Modernes Theater
0930-5874
2196-3517
Narr Verlag Tübingen
Es handelt sich um einen Open-Access-Artikel, der unter den Bedingungen der Lizenz CC by 4.0 veröffentlicht wurde.http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/0601
2008
231 Balme
Inhalt Gerald Siegmund (Bern) Tanzgeschichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 Aufsätze: Gabriele Klein (Hamburg) Inventur der Tanzmoderne Geschichtstheoretische Überlegungen zur tanzwissenschaftlichen Forschung . . . . . . . . . 5 Christina Thurner (Bern) Zeitschichten, -sprünge und -klüfte Methodologisches zur Tanz-Geschichts-Schreibung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 Sabine Sörgel (Aberystwyth) Von der Manie zur Melancholie: Tanzhistoriographie im kulturhistorischen Vergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 Jens Richard Giersdorf (New York) Von der Utopie zum Archiv: Patricio Bunster und die politische Funktion der Choreographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 Harmony Bench (Los Angeles) Media and the No-Place of Dance . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 Ramsay Burt (Leicester) Revisiting ‘No To Spectacle’: Self Unfinished and Véronique Doisneau . . . . . . . . . . . . . . . . 49 Mary Kate Connolly (London) An Audience with the Other: The Reciprocal Gaze of Raimund Hoghe’s Theatre . . . . . . 61 Rezensionen: Lothar Pikulik: Schiller und das Theater. Über die Entwicklung der Schaubühne zur theatralen Kunstform (Wolf-Dieter Ernst) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 Alexander Nebrig: Rhetorizität des hohen Stils. Der deutsche Racine in französischer Tradition und romantischer Modernisierung (Katharina Keim) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 Wilfried Floeck, María Francisca Vilches de Frutos (Eds.): Teatro y Sociedad en la España actual (Heribert Härtinger) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 Matthias Rebstock: Komposition zwischen Musik und Theater. Das instrumentale Theater von Mauricio Kagel zwischen 1959 und 1965 (Björn Heile) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 Umschlagabbildung: Theodoros Terzopoulos, Die letzte Maske. Foto: Martin Kaufhold Gedruckt mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft. © 2008 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · Tübingen Die in der Zeitschrift veröffentlichten Beiträge sind urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte, insbesondere das der Übersetzung in fremde Sprachen, vorbehalten. Kein Teil dieser Zeitschrift darf ohne schriftliche Genehmigung des Verlages in irgendeiner Form - durch Fotokopie, Mikrofilm oder andere Verfahren - reproduziert oder in eine von Maschinen, insbesondere von Datenverarbeitungsanlagen, verwendbare Sprache übertragen werden. Auch die Rechte der Wiedergabe durch Vortrag, Funk- und Fernsehsendung, im Magnettonverfahren oder ähnlichem Wege bleiben vorbehalten. Fotokopien für den persönlichen und sonstigen eigenen Gebrauch dürfen nur von einzelnen Beiträgen oder Teilen daraus als Einzelkopien hergestellt werden. Jede im Bereich eines gewerblichen Unternehmens hergestellte oder benützte Kopie dient gewerblichen Zwecken gem. § 54 (2) UrhG und verpflichtet zur Gebührenzahlung an die VG WORT, Abteilung Wissenschaft, Goethestraße 49, 80336 München, von der die einzelnen Zahlungsmodalitäten zu erfragen sind. Internet: www.narr.de E-Mail: info@narr.de Satz: NagelSatz, Reutlingen Druck und Bindung: Laupp & Göbel, Nehren Printed in Germany ISSN 0930-5874 Tanzgeschichten Gerald Siegmund (Bern) Die Tanzgeschichte ist in Bewegung gekommen. Noch vor zehn Jahren bedeutete sich mit Tanzgeschichte auseinanderzusetzen, sich an den kanonisch gewordenen Künstlerinnen und Künstlern abzuarbeiten, die sich in der Wahrnehmung der Wissenschaftler wie der Öffentlichkeit als Pioniere einer bestimmten Tanzästhetik durchgesetzt hatten. Versuche, ihre jeweiligen Bewegungs- und Körperkonzepte zu verstehen and gegeneinander abzugrenzen, standen dabei ebenso im Vordergrund wie die Frage nach den Ästhetiken ihrer Inszenierungen. Das erstrebenswerte Aufarbeiten von bis dato vergessenen Biografien und Werken diente in erster Linie dazu, Traditionslinien zu komplettieren, Einflüsse, Besonderheiten oder Abweichungen innerhalb eines Stils oder einer Schule zu unterstreichen. Niemals geriet dabei jedoch die konzeptionelle Grundlage des Geschichtsbildes selbst ins Blickfeld. Die Position, die etwa eine Isadora Duncan an der Wende zum 20. Jahrhundert als Revolutionärin des Tanzes besetzt hielt, blieb bei allen widersprüchlichen Auslegungen ihres Schaffens unangetastet. Angeregt durch die Diskussionen des New Historicism sowie der Cultural, Postcolonial und Gender Studies, die im anglo-amerikanischen Raum auch im Bereich der Dance Studies schon viel länger und nachhaltiger ihre Spuren hinterlassen haben, tauchen auch im deutschsprachigen Raum vermehrt Fragen nach dem Fremden, dem Anderen sicher geglaubter Traditionslinien auf. Anstelle der Beschäftigung mit den “großen Namen” rücken nun übergreifende Fragen nach dem Unabgegoltenen innerhalb historischer Positionen in den Vordergrund. Neuorientierungen und Neukontextualisierungen quer zu etablierten Traditionslinien werden auf diese Art möglich. Die Tanzwissenschaft im deutschsprachigen Raum beginnt nach ihrer Phase der institutionellen Selbstvergewisserung, die immer auch eine Vergewisserung über den künstlerischen Stellenwert des Tanzes war, gerade erst, Tanz in diesem Sinne als ausgedehntes Feld zu begreifen. Vor diesem Hintergrund bieten die sieben Aufsätze des vorliegenden Bandes von Forum Modernes Theater Einblicke in größere, zum Teil noch ausstehende Forschungsprojekte, die, ausgehend von aktuellem Tanzgeschehen, ihren Blick in die Ordnungen der Tanzgeschichte richten. Gabriele Klein fragt in ihrem Aufsatz grundsätzlich nach dem Konzept, das der “Geschichtsschreibung der europäischen Tanzmoderne” zugrunde liegt, und kommt dabei zu dem Schluss, dass die Tanzhistoriografie einer dringenden Revision bedarf. In Schillers Konzept der Universalgeschichte und Hegels vernunftgeleitetem Fortschrittsdenken hin zur Freiheit entdeckt sie das “koloniale europäische Bewusstsein”, das es durch Einbeziehung des Einflusses von Migrantenkulturen auf den Tanz zu durchbrechen gilt. Dass Tanzgeschichte nicht als ein chronologischer Ablauf von Stilen und Ereignissen zu denken ist, sondern vielmehr ein verzweigtes und gebrochenes dynamisches Gebilde darstellt, dafür plädiert auch Christina Thuner in ihrem Beitrag. An die Stelle der linearen, forschrittsorientierten Zeitachse traditioneller Geschichtsschreibung setzt sie die Metapher des Raumes, in dem einander ausschließende sich widersprechende Praktiken ihren Platz haben. Hegels und Schillers weißer Geschichtsschreibung hält Sabine Sörgel die Brüchigkeit Forum Modernes Theater, Bd. 23/ 1 (2008), 3-4. Gunter Narr Verlag Tübingen 4 Gerald Siegmund der Traditionslinien und deren unabänderliche Rückbindung an den zeitgenössischen Betrachter entgegen. Ausgehend von Walter Benjamins Denken versteht sie den Tanzkörper auf der Bühne als eine barocke Allegorie, “deren kinetische Verweise sich als performatives Körpergedächtnis lesen lassen”, das immer wieder aktuell aktiviert und neu konstruiert werden muss. Auch Jens Giersdorf fragt in seinem Text nach dem lebendigen Köperarchiv. Er verfolgt die Spuren des chilenischen Choreografen Patricio Bunster zwischen Lateinamerika und der DDR und fragt nach dem Funktionswandel seiner Choreografien in unterschiedlichen historischen Kontexten. Wurden Bunsters Arbeiten in den siebziger Jahren als direkte Repräsentation des Klassenkampfes verstanden, stellen deren Wiederaufnahmen im Chile des Jahres 2006 ein lebendiges Körperarchiv dar, das utopische und transnationalen Identitäten zu artikulieren vermag. Harmony Bench folgt der Spur des kolonialen Diskurses in der Figur des “no-place”, die sie historisch am weißen Blatt Papier festmacht, auf dem Raoul Auger Feuillet an der Wende vom 17. zum 18. Jahrhundert die Bodenwege der Tänzer notierte, um mit ihnen den leeren unbeschrieben Raum zu erobern. In aktuellen Videotanzinszenierungen findet das Konzept des “no-place” seine Entsprechung im Bildschirm, der nicht nur den Raum von jeglichen geschichtlichen Spuren befreit, sondern auch dem Körper eine phantasmatische Beweglichkeit und Ausdehnung zuspricht. Bench richtet ihr Augenmerk auf die kritischen Rahmungen, die die Geste und den Körper des Kolonisators selbst in den Blick nehmen. Ramsay Burt beschäftigt sich mit der Abkehr vom klassisch gewordenen Modern Dance und liest Xavier le Roys Self Unfinished und Jérôme Bels Veronique Doisneau als widerständige Inszenierungspraktiken. In der Entmenschlichung der Körper, die beide Choreografien durch mechanische Bewegungen im hierarchischen Apparat der Tanzbühme fokussieren, entdeckt Burt ein unverrechenbares menschliches Potential, das Optionen für die Zukunft bereit hält. Mary Connolly schließlich wendet sich dem Blickregime in den Stücken des Choreografen Raimund Hoghe zu und fragt nach dem monströsen von der Bühne ausgeschlossenen Körper, dessen Anblick die Zuschauerposition in Frage stellt. Bern, im März 2008 Gerald Siegmund Inventur der Tanzmoderne Geschichtstheoretische Überlegungen zur tanzwissenschaftlichen Forschung Gabriele Klein (Hamburg) Der Begriff Inventur stammt vom lat. Wort invenire: etwas finden, aber auch etwas ausfindig machen, etwas erdenken oder ersinnen. Und genau in dieser Mehrdeutigkeit liegt auch die Problematik, die dieser Text in Bezug auf eine “Inventur der Tanzmoderne” thematisieren will. Wie finde ich das, was ich finde und zur “Geschichte mache”? Dies ist eine zentrale Frage, die die Konstitutionsbedingungen des kulturellen Archivs des Tanzes berührt. Die - hier zwangsläufig verkürzte - Inventur der Tanzmoderne fragt danach, welche Konzepte der Geschichtsschreibung der europäischen Tanzmoderne zu Grunde liegen. Der Fokus richtet sich dabei auf eine Revision von Tanzhistoriografie und dies vor allem in Bezug auf den europäischen Tanz in der Moderne. Unter Moderne soll der Zeitraum von der europäischen Aufklärung bis zur Mitte bzw. dem Ende des 20. Jahrhunderts verstanden werden. Die Geschichtskonzepte, die diesen Zeitraum geprägt haben, werden sowohl zueinander als auch zur Tanzgeschichtsschreibung in Beziehung gesetzt mit dem Ziel, ein Geschichtskonzept zur Diskussion zu stellen, das Tanzgeschichte nicht als einen chronologischen Ablauf von Ereignissen versteht, die evolutiv aufeinander folgen. Tanzgeschichte soll vielmehr als ein vielfach verzweigtes, mitunter gebrochenes, aber dennoch mit Struktureigentümlichkeiten ausgestattetes dynamisches Gebilde präsentiert werden, das zahlreiche, nicht eindeutige und eindimensional zuzuordnende Bezugspunkte aufweist. Die Moderne ist gerahmt durch umfassende Umwälzungen: Mit der Aufklärung, der französischen Revolution und der in England einsetzenden Industrialisierung erfolgte der Aufbruch in eine moderne Gesellschaft, die nationalstaatlich organisiert war und sich mit industrieller Wirtschaft, politischer Demokratie, bürgerlicher Kultur und “Freier” Kunst durchsetzte; auf der anderen Seite der Aufbruch in eine globalisierte und neoliberale Gesellschaft, die die nationalstaatliche Organisation in Frage stellt und den bisherigen ökonomischen, politischen und kulturellen Status, den Europa als Kontinent der Kolonialmächte seit dem 15./ 16. Jahrhundert innehatte, verändert und noch fundamental verändern wird. In beiden Zeiträumen vollziehen sich auch radikale Umwälzungen in den Wissenskulturen des Tanzes. Tanzwissen prägt in komplexer, konstitutiver Wechselwirkung die Imaginationen über Tanz, die Erfahrungen von Tänzern sowie die Lebenswelten von Tanzschaffenden. Über diese Wissensformationen entsteht das, was in Anlehnung an Benedict Anderson “imagined communities” genannt werden kann, also Gemeinschaften, die ortlos sind und über sprachliche oder bildliche Traditionalisierungen ihre Identität finden. Insofern ist gerade die Tanzgeschichtsschreibung eine zentrale Wissensform der Tanzmoderne. Ihr fällt die Position eines legitimierten Sprechers, eines Diskursverwalters zu; mit ihren Narrationen prägt sie das kulturhistorische Gedächtnis des Tanzes. Forum Modernes Theater, Bd. 23/ 1 (2008), 5-12. Gunter Narr Verlag Tübingen 6 Gabriele Klein Tanzhistoriografie als vernetzte Tanzgeschichte 1789 - in jenem Jahr, das ausgehend von den revolutionären Ereignissen in Paris, eine Zäsur für das moderne politische Europa bedeuten sollte, veröffentlichte die deutsche Zeitschrift Der teutsche Merkur die Antrittsrede Friedrich Schillers, die dieser in Jena gehalten hatte. Sie trug bekanntlich den Titel: “Was heißt und zu welchem Ende studiert man Universalgeschichte? ” Schiller vertrat ein für die Aufklärung charakteristisches Geschichtskonzept einer Weltgeschichte, die sich als “Universal History” Mitte des 18. Jahrhunderts in England, der ersten Industrienation Europas, entwickelt hatte. Durch die Übersetzung von Siegmund Baumgarten hatte dieses Konzept auch in Deutschland einen universalhistorischen Diskurs provoziert, der bedeutende Historiker, Philosophen und Theologen in Bann hielt. An diesen Diskurs knüpfte Friedrich Schiller in seiner Antrittsvorlesung an. Wie Hegel unterschied auch Schiller zwischen dem Weltgeschehen und dem Gang der Weltgeschichte. Voraussetzung für das, was er als Weltgeschichte verstand, ist das durch objektive Aufzeichnungen von Zeitzeugen festgehaltene Weltgeschehen. Dies kann nur standortgebunden und mit Hilfe von Quellenmaterial erfolgen; Weltgeschichte erscheint demnach immer als das Verhältnis der jeweiligen historischen Zeit zur aktuellen Weltsicht. Universalgeschichte aber war für Schiller weit mehr. Sie ist das teleologische Prinzip, welches das Weltgeschehen lenkt. Universalgeschichte studieren heißt demnach, sich philosophisch zu bilden mit dem Ziel, “das Problem der Weltordnung aufzulösen und dem höchsten Geist in seiner schönsten Wirkung zu begegnen”. 1 Schillers Antrittsvorlesung gehörte zu jenen Arbeiten, die das 19. Jahrhundert, das das ‘historische Jahrhundert’ genannt werden sollte, gedanklich vorbereiteten. Es war das Jahrhundert der Universalgeschichte, das vor allem von der Geschichtsphilosophie Hegels geprägt war. Geschichte, so hieß es bei Hegel, erfordere notwendigerweise ein dialektisches Zusammenwirken zwischen Einzelfakten und einer übergreifenden Darstellung des Geschichtsprozesses. Denn, so die Kurzformel Hegels: “Die Weltgeschichte ist der Fortschritt im Bewusstsein der Freiheit.” 2 Hegel verstand den historischen Prozess als einen vernunftgeleiteten Vorgang, der auf Emanzipation und Freiheit hinaus läuft. Sein Konzept der Freiheit formulierte er genau zu jener Zeit, als das westliche Wirtschaftssystem sich auf der systematischen Versklavung von Nicht-Europäern als Arbeitskräfte in den Kolonien etabliert hatte. Hegel selbst hatte das Konzept der Freiheit aus seiner Vorstellung des Verhältnisses von Herrschaft und Knechtschaft abgeleitet, das er erstmalig in der Phänomenologie des Geistes niedergelegt hatte, die 1805/ 06 zeitgleich mit Schillers Antrittsrede ebenfalls in Jena und ein Jahr nach der haitischen Revolution erschienen war. Diese Revolution galt schon damals als Schmelztiegel der französischen Aufklärungsideale und über ein Jahr lang wurde in der deutschen Zeitschrift Minerva, die auch Hegel las, regelmäßig darüber berichtet. Fragt man in der Philosophiegeschichte, worauf Hegels Geschichtskonzept basierte, findet man immer wieder dieselben Antworten: Sie beruhte auf der Auseinandersetzung mit den Schriften anderer Philosophen, nicht etwa auf der Kenntnis der Freiheitsbewegungen gegen koloniale Unterdrückung. 3 Ganz im Gegenteil: Das koloniale europäische Bewusstsein der Aufklärer formulierte sich in einem evolutiven, von der Barbarei zur Zivilisation fortschreitenden Geschichtsmodell, das eine Akkulturation an die europäische Kultur einforderte und dies aus der Höherwertigkeit der eigenen Kultur ableitete. Diesem Muster folgte auch die Antrittsvorlesung Schillers: Inventur der Tanzmoderne 7 Die Entdeckungen, welche unsere europäischen Seefahrer in fernen Meeren und auf entlegenen Küsten gemacht haben, geben uns ein eben so lehrreiches als unterhaltendes Schauspiel. Sie zeigen uns Völkerschaften, die auf den mannigfaltigsten Stufen der Bildung um uns herum gelagert sind, wie Kinder verschiedenen Alters um einen Erwachsenen herum stehen und durch ihr Beispiel ihm in Erinnerung bringen, was er selbst vormals gewesen und wovon er ausgegangen ist. Wie beschämend und traurig aber ist das Bild, das uns diese Völker von unserer Kindheit geben! Was erzählen uns die Reisebeschreiber nun von diesen Wilden? 4 Und hier zählte Schiller blumig auf, welche Kulturtechniken und Leistungen den “Wilden” fehlen. Die Erzählung ‘Universalgeschichte’ fußt also auf der Diskrepanz zwischen idealem Gesellschaftsbild und realer kolonialer Gesellschaft. Sie setzte sich im 19. Jahrhundert fort in teleologischen Geschichtsentwürfen, beispielsweise von Karl Marx, Herbert Spencer oder Auguste Comte. Es ist heute ein geschichtstheoretisches Grundtheorem, dass Universalgeschichte ein Geschichtsentwurf ist, der Allgemeingütigkeit beansprucht, aber eurozentristisch ist; eine Geschichte schreibt, die die des weißen, bürgerlichen europäischen Mannes ist, eine Geschichte der Eroberer und Kolonialherren. In dem Konzept der Universalgeschichte wird Geschichte als räumlich und zeitlich unbegrenzt gedacht, obwohl das Schreiben einer Weltgeschichte praktisch erst möglich geworden ist, seitdem ein Teil der Menschheit in die Lage versetzt wurde, den gesamten Planeten in den Blick zu nehmen, konkret: seit den Entdeckungsfahrten der Europäer und dem Beginn der europäischen Expansion ab der Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert. Es ist - und darauf zielt dieser Text - nach wie vor eine offene Frage, wie dieses eurozentristische und auf kolonialer Herrschaft basierende männliche Geschichtsbild die Tanzgeschichte der Moderne geprägt hat. Von daher ist auch in Bezug auf die Tanzgeschichte die Frage virulent: Wozu und zu welchem Ende schreibt man Tanzgeschichte? Geschichtsschreibung der Tanzmoderne Tanzgeschichte ist bis weit in das 20. Jahrhundert hinein im Stile der im 19. Jahrhundert in der Geschichtswissenschaft üblichen Universalgeschichte geschrieben worden. 5 Noch heute tauchen nach wie vor Publikationen auf, die eine Weltgeschichte des Tanzes in den Blick nehmen. 6 Auch diese Weltgeschichten des Tanzes behandeln in der Regel die Geschichte des Westens - und setzen diese mit denen jener Länder und Tanzkulturen in Verbindung, mit denen Europa sich verbunden fühlte. Schwarzafrika, Südostasien und Ozeanien beispielsweise gehören bis heute nicht dazu. Neben den Weltgeschichten des Tanzes wird in den jüngeren europäischen Dance Studies die Geschichte des Tanzes in Europa vornehmlich als Geschichte des europäischen Kunsttanzes und diese aus der Genealogie europäischer Kulturen oder auch aus der Perspektive einer nationalen Gesellschaftsgeschichte geschrieben und gedeutet. Hierbei dominieren Werke, die ganz im Sinne einer traditionellen Geschichtsschreibung, die Geschichte des Tanzes als Geschichte herausragender Tänzer erzählen oder als Begriffsgeschichte - so z.B. Modern dance, moderner Tanz - vorstellen. 7 Der inhaltliche Aufbau tanzgeschichtlicher Buchpublikationen weist dabei erstaunliche Ähnlichkeiten auf, die sich vor allem an den folgenden vier Merkmalen zeigen: 8 • Wenn überhaupt wird in der Geschichte des künstlerischen Tanzes - ob in Deutschland, England oder Frankreich - lediglich auf tänzerische Einflüsse aus 8 Gabriele Klein anderen Ländern und Kulturen bei der Entstehungsgeschichte des Tanzes hingewiesen. Hierbei wird vor allem der Einfluss des ‘modern dance’, made in USA hervorgehoben. • Die Geschichte des künstlerischen Tanzes wird erzählt als eine Geschichte ihrer Protagonisten. D.h. in allen Werken wird eine Chronologie oder Typologie hergestellt und einzelne Choreographen zu einzelnen Zeitphasen systematisch zusammengefasst. • Die aufgeführten Choreographen und Choreographinnen sind im wesentlichen Europäer, genau genommen West-Europäer. Sie erscheinen als die herausgehobenen Figuren, die zu der Geschichte der Tanzmoderne einen wesentlichen Beitrag geleistet haben. • Die Geschichte des Tanzes wird implizit als eine evolutionäre Geschichte erzählt, die zumeist als eine Geschichte des Fortschritts gedacht wird. Kurz gesagt: Die europäische Tanzgeschichte der Moderne wird als eine Geschichte des Westens, also als eine Geschichte einer weißen bürgerlichen Kultur und ihrer Avantgardebewegungen vorgestellt. Sie erscheint als ein, mit Niklas Luhmann gesprochen, autopoietisches System, insofern suggeriert wird, dass die Tanzkunst nur ihre Bezugnahmen in ihrer eigenen Geschichte - und damit ist zumeist die Nationalgeschichte thematisiert - findet. Und sie erscheint mitunter als eine Geschichte der permanenten Modernisierung, des Fortschreitens der tänzerischen Entwicklung. Demnach grenzt sich der Ausdruckstanz vom klassischen Ballett ab, das Tanztheater entwickelt die Ideen des Ausdruckstanzes weiter, der postmodern dance grenzt sich vom modern dance ab usw. Sie erscheint drittens als eine Geschichte ihrer Protagonisten, als Geschichte einer überschaubaren Anzahl von Choreographen und Tänzern, deren Stellenwert für die Tanzkunstgeschichte hervorgehoben wird. Es sind demnach diese Choreographen, die zu den Subjekten der Geschichte erklärt werden, die ‘Geschichte gemacht haben’. Tanzgeschichte wird aus dieser Perspektive als Personen- und nicht als Strukturgeschichte vorgestellt oder anders ausgedrückt: Die historischen Einzelfakten oder Einzelwerke werden ganz im Sinne des Individualitätskonzeptes der modernen Gesellschaft als Einzelleistungen archiviert. Sie werden damit weder eingebettet in einen kollektiven Schaffensprozess, durch den sich gerade zeitgenössische Tanzkunst auszeichnet noch kontextualisiert in das komplexe Netzwerk von künstlerischer Produktion und ihren kulturellen, sozialen und ökonomischen Rahmenbedingungen, Prozessen und Ereignissen. Schließlich scheint sich bei einem evolutiven, auf Tanzkunst konzentrierten Geschichtskonzept die Kunstgeschichte des Tanzes allein aus sich selbst zu entwickeln; der Anteil der populären Tanzkulturen im 20. Jahrhundert, der Einfluss von Migrant/ innen und die Tanzästhetiken anderer Kulturkreise bleiben zumeist unerwähnt oder werden in spezifischen Publikationen thematisiert. 9 In die Arbeiten fließen also Konzepte von Kunst, Nation, Subjekt, Fortschritt, Emanzipation, Avantgarde etc. ein, die zu impliziten Strategien von In- und Exklusion - von ethnischen Gruppen, Migranten, tänzerischen Ästhetiken - führen. Eine derart angelegte Tanzgeschichtsschreibung reproduziert und repräsentiert nicht nur die für eine Gesellschaft und Kultur konstitutiven Narrationen. Sie bestätigt und aktualisiert diese Konzepte auch performativ, indem sie in die Tanzgeschichte implizit Eingang finden und beglaubigt werden. Diese tanzgeschichtlichen Konzepte widersprechen aber dann den “sozialen Tatsachen” globalisierter Tanzkulturen und das meint: der Multikulturalität von Tanzkompanien und der Vielzahl von Tanzstudierenden Inventur der Tanzmoderne 9 aus allen Ländern der Welt, wenn sie auf Einheitlichkeit angelegt sind und den hybriden Charakter von Tanzkulturen nicht zu fassen vermögen. Aber wie ist Tanzgeschichte angesichts einer globalisierten Welt und hybrider Tanzkulturen möglich? Globalisierte Tanzgeschichte Das am nationalstaatlichen Denken ausgerichtete Konzept von Universalgeschichte ist spät, erst in den 1960er Jahren - also in der Zeit, als nahezu alle Kolonien in die Freiheit entlassen waren und sich der Umbruch zu einer globalisierten Gesellschaft ankündigte - in Verruf gekommen. Es ist heute ein Allgemeinplatz der zeitgenössischen Geschichtswissenschaft, dass das Schreiben von Geschichte sich nach Kriterien vollzieht, die vom Geschichtsbegriff des jeweiligen Historikers her bereits beeinflusst sind und dass der Blick auf die Geschichte stets Wandlungen unterworfen ist, die das permanente Neu-Schreiben von Geschichte und damit auch die permanente Reflexion der geschichtstheoretischen Grundlagen erfordern. Historische ‘Fakten’, so heißt es heute - anders als noch bei Hegel - , werden letztlich nach weltanschaulichen Kriterien ausgewählt, neu erzählt, geordnet und gedeutet. Geschichtsschreibung ist somit niemals Re-Konstruktion sondern immer eine permanente Neu-Konstruktion und als solche ein Deutungs- und Verständigungskonstrukt für die Gegenwart und Zukunft von Gesellschaften, Kulturen oder von bestimmten Gruppen. Geschichtsschreibung ist von daher auch immer Geschichtspolitik. Entsprechend knüpfen aktuelle geschichtstheoretische Konzepte einer “Weltgeschichte” oder “Global History” nicht an die universalhistorischen Entwürfe der Aufklärung an. Auch stammen die Konzepte nicht aus Europa, sondern aus den USA, wie einst England eine Weltmacht, von der aus heute das (postkoloniale? ) Konzept von Weltgeschichte entworfen und gelehrt wird. Und diese positioniert sich anders als die Universalgeschichte, deren Prinzipien Friedrich Schiller 1789 dargelegt hatte: Schiller ging davon aus, dass die Geschichte ein zielgerichteter Prozess sei, der notwendig zur Verbesserung der ‘conditio humana’ führe. Die Universalgeschichte steuerte auf ein Telos zu; sie war ein progressiver, nur aus dem Zeithorizont des 18. Jahrhunderts heraus zu verstehender Ansatz. Ihren Wurzeln in der Aufklärungsphilosophie zufolge hatte die Geschichte Ziel, Auftrag und Richtung. Das Ziel lag in der Verbesserung der Gesellschaft; sie verfolgte die Mission, der Welt die Prinzipien westlicher Kultur und Philosophie nahe zu bringen, davon versprach man sich einen allgemeinen, menschheitsgeschichtlichen Fortschritt. In dieser Konzeption war Europa das unbestrittene und klar definierte Zentrum. Das Verhältnis von Zentrum und Peripherie war für jeden Gebildeten klar definiert. Die Welt präsentierte sich nicht, wie heute, als hoffnungslos dezentriert. Die Frage nach der ‘agency’, nach der Handlungskompetenz in der Geschichte, war ebenfalls eindeutig geklärt: Die Welt bestand, der Weltgeschichte zufolge, aus denkenden, rational handelnden (weißen) Männern, anstatt, wie heute, aus komplex handelnden und unter mannigfachen, sich nicht selten widersprechenden Anforderungen stehenden Menschen, die - durch Migration, prekäre Arbeitsverhältnisse, flexible Lebensformen und ‘Bastelbiographien’ - hybride Subjektstrukturen aufweisen. Zusammengefasst bedeutet das: Was ältere, zumeist in der Aufklärung und in eurozentrischen Weltbildern verankerte welt- oder universalhistorische Entwürfe von den heutigen geschichtstheoretischen Bemühungen unterscheidet, sind erstens die Konstruktion des handelnden historischen Subjekts bzw. handelnder Kollektivsubjekte; zweitens die apodiktische Annahme, dass Europa das Zentrum, der Rest der Welt hingegen die Peripherie sei; und 10 Gabriele Klein drittens die Vorstellung, dass der historische Prozess mehr oder weniger automatisch auf Fortschritt, Modernisierung, Demokratie sowie eine vernünftige Weltordnung hinauslaufe. Global History ist ein mehrperspektivistisches Geschichtskonzept. Wenn dieses nicht postkolonialen Mustern folgen und das Globalisierungskonzept affirmativ auf Geschichtsschreibung übertragen will, muss Geschichtsschreibung kombinierbar werden: mit ‘area studies’ sowie ‘cultural studies’ und ‘postcolonial studies’. Während ‘area studies’ die regionale empirische Forschung in den Mittelpunkt rücken, konzentrierten sich cultural studies und postcolonial studies darauf, kulturelle Praktiken in den Kontext von Politik und Ökonomie, von Wissenschaft und Macht zu stellen und Kulturentwicklung politisch zu rahmen. Dabei spielen sozialwissenschaftliche Strukturkategorien wie Gender, Nation, Ethnie und Kultur eine zentrale Rolle. Tanzgeschichte als Strukturgeschichte Es ist eine Grundlage der Geschichtstheorie seit den 1960er Jahren, dass die impliziten Kategorien und Konzepte, die in das Schreiben von Geschichte einfließen, reflektiert und transparent werden und damit als genuiner Bestandteil der Geschichtsschreibung in Erscheinung treten können. Ausgehend von dieser Erkenntnis wurde auch die Tanzgeschichte seit den 1970er Jahren neu geschrieben. So zum Beispiel in Bezug auf Gender: Meine 1992 erschienene Dissertation Frauen- KörperTanz. Eine Zivilisationsgeschichte des Tanzes 10 sowie die ein Jahr später publizierte Dissertation von Anke Abraham mit dem Titel Frauen Körper Krankheit Kunst 11 haben in Deutschland den Weg bereitet für eine geschlechtertheoretische Fundierung der Tanzforschung. Gender-Forschung war im Anschluss an die zweite Frauenbewegung und die Frauenpolitik an den Universitäten sehr virulent, ist aber ein spezifisches Thema und zudem ein Zeitgeistthema geblieben und bis heute keine zentrale Kategorie des Tanzforschung und Tanzgeschichte geworden. Auch internationale Publikationen wie die von Ramsay Burt The Male Dancer” 12 haben bislang keine nachhaltigen Folgen für tanzgeschichtstheoretische Konzepte gezeigt. Zwar gebührt Ramsay Burt das Verdienst herausgearbeitet zu haben, dass Vorurteile über den männlichen Tänzer 150 Jahre lang dazu gedient haben, immer wieder die Normen heterosexueller Männlichkeit zu aktualisieren. Wie aber thematisiert die Tanzgeschichtsschreibung die sexuellen Orientierungen von Tänzern und Tänzerinnen oder der Entsexualisierung der Tanz-Körper, beides ja nicht unwichtig für die Frage einer tänzerischen Ästhetik und künstlerischen Produktivkraft. Oder die AIDS-Problematik, die im sozialen Feld des Tanzes keineswegs ein marginales Thema ist. Und ist schließlich das strukturelle Ausblenden der Geschlechterfrage nicht immer auch eine implizite Bestätigung kolonialer, präkolonialer und postkolonialer Heteronormativität? Diese Fragen stellen sich insbesondere, da ‘Rasse’ nicht einfach Hautfarbe und Geschlecht nicht nur kulturelles und biologisches Geschlecht oder sexuelle Orientierung thematisieren. Vielmehr verbergen sich dahinter immer auch Strategien von unterworfener Arbeit, kolonialer Ausbeutung und sozialer Ausgrenzung auf der einen Seite bei gleichzeitiger Exotisierung, Erotisierung und Essentialisierung von Körpern auf der anderen Seite. Genau hier zeigt sich, mit Zygmunt Bauman gesprochen, die “Ambivalenz der Moderne”, die in der Dialektik der Aufklärung liegt: Der ‘schwarze Tänzer’ oder der ‘Latino’ z.B. sind nach wie vor die mythischen Figuren des westlichen Denkens. Sie sind heute jene mystifizierten und zugleich sozial und diskursiv ausgegrenzten ‘Anderen’, wie es noch um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert der orientalische Tänzer war. Inventur der Tanzmoderne 11 Wie die Sexualität ist auch die Konstruktion von Whiteness im europäischen Tanz als implizite Kategorie der Tanzgeschichtsschreibung eher unbeleuchtet. Buchtitel oder Buchkapitel wie “Vom anderen Ende der Welt” oder “Der exotische Tanz”, “Der schwarze Tanz” oder schlicht “außereuropäische Einflüsse” verweisen auf Grundmuster der Konstruktion des ‘anderen’ Körpers und damit auf die implizite Herstellung von Whiteness. Und nicht selten geht diese Konstruktion des Anderen mit einer Differenzierung von Hoch- und Populärkultur einher. Wie die Tanzmoderne des 20. Jahrhunderts ohne Migration nicht darstellbar ist, ist auch der Einfluss der Populärkultur auf den künstlerischen Tanz nicht zu vernachlässigen. Mitunter ist der ‘andere’ Tanz - auch in der Tanzgeschichtsschreibung - marginalisiert worden, indem er als populärer Tanz, als Showtanz etikettiert und archiviert wurde. Dieses für die europäische Tanzkultur charakteristische In- und Exklusionsprinzip zwischen Hoch- und Populärkultur zeigt sich auch darin, dass der Zusammenhang von Tanzmoderne und Populärkultur nur in spezifischen Buchpublikationen zur Populärkultur oder zu einzelnen Tänzerinnen 13 thematisiert wird. So zeigen beispielsweise Brygida Ochaim und Claudia Balk in ihrem Buch über Varieté-Tänzerinnen um 1900 14 , dass nicht nur einige der wichtigsten Wegbereiterinnen des modernen Tanzes wie Ruth St. Denis, Löie Fuller oder Isadora Duncan ihre Karrieren in Varietés begonnen hatten, während andere große Tänzerinnen jener Zeit sich in den “Pläsierkasernen” und Vergnügungslokalen der Halb- und Demimode verdingten wie Anita Berber. Zwar ist die These nicht neu, dass lange vor Isadora Duncans ersten Auftritten in Europa bereits Tanzbewegungen entstanden waren, die als praktischer Beginn der Tanzmoderne anzusehen sind, die Namen der wichtigsten Tänzerinnen aber - wie La Goulue, La belle Otéro, Saharet, Sada Yacco beispielsweise - sind aus der Tanzgeschichtsschreibung weitgehend verschwunden, ihr Beitrag zur Tanzmoderne damit unsichtbar. 15 Dies ist ein gutes Beispiel dafür, dass die Orte der Tanz-Kunst, das Publikum und der Diskurs darum sehr entscheidend für die Wahrnehmung dessen geworden sind, was Tanzkunst ist und sein soll, was tanzgeschichtlich relevant ist und was nicht. Allerdings waren es gerade die populären Tänze, die zum Inbegriff der modernern, hybriden, von Migranten geprägten Stadtkultur wurden: Migrationswellen aus Lateinamerika transformieren bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts die europäische Tanzkultur fundamental: Schwarze Tänze, begleitet vom “Niggerjazz” eroberten die Tanzpaläste, die Vergnügungslokale der neuen Stadtmenschen. Diese Tänze dekonstruieren auf eine sehr subtile, da vorreflexive Weise das tradierte Körperkonzept des europäischen Tanzes, indem sie nicht nur andere geschlechtsspezifische Paarfigurationen erlebbar machen, sondern auch Prinzipien der Polyzentrik und Polyrhythmik in den europäischen Tanz einführen und das Becken als Bewegungszentrum vorstellen. Von Charleston bis HipHop - die populären Tänze sind ein eruptiver Ausdruck sozialer und urbaner Erfahrung; sie werden zu wichtigen Seismographen einer am Körper wahrnehmbaren fragmentierten Sozialität und Multikulturalität. Und: Es sind Bewegungs- und Tanzpraktiken, die einen nachhaltigen Einfluss auf die zeitgenössische Tanzkunst genommen haben. Diese skizzierten Desiderate der Tanzgeschichte werfen schließlich die Fragen auf: Wie ist Tanzgeschichte heute möglich? Und wo folgt Tanzforschung einem Denken und Sprechen über Tanz, das implizit der Re- Konstruktion einer weißen, bürgerlichen Kultur folgt? Und: Wie kann der Einbezug von nicht-westlichem Denken und Sprechen über Tanz erfolgen? Konkreter: Inwieweit bemüht man sich in Europa und anderen westlichen Ländern - und hier vor allem die 12 Gabriele Klein über sprachliche Hegemonie verfügenden englischsprachigen Länder - kritische, nichtwestliche Traditionen und Geschichtsschreibungen einzubeziehen und dies zunächst einmal, indem sie Übersetzungen möglich machen und damit hegemoniale Diskurse - auch im Tanz - durchbrechen? 1955, lange vor Edward Saids bahnbrechenden Buch Orientalism und Homi Bhabas Arbeiten hat Césaire im Discourse on colonialism (frz.: Discours sur le colonialisme) 16 die Frage gestellt, inwieweit wir das westlich Partikulare als universell konstruieren. Anders gefragt: Inwieweit sind unsere westlichen Deutungen des Tanzes und der Tanzgeschichte koloniale Repräsentationssysteme? Auf diese Frage aufmerksam zu machen, ist das Anliegen dieses Textes. In Anlehnung an Schiller aber auch in Abgrenzung zu Schiller wäre zu fragen: Was heißt und wie schreibt und studiert man heute Tanzgeschichte? Anmerkungen 1 Friedrich Schiller, “Was heißt und zu welchem Ende studiert man Universalgeschichte? ”, in: Der teutsche Merkur 4 (1789) S. 105-135 (hier S. 132). 2 Georg Friedrich Wilhelm Hegel, Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte. Stuttgart 1961, S. 61. 3 Vgl. Susan Buck-Morss, “Hegel und Haiti”, in: Der Black Atlantic, hrsg. Vom Haus der Kulturen der Welt, Berlin 2004, S. 69-98. 4 Friedrich Schiller, “Was heißt und zu welchem Ende studiert man Universalgeschichte? ”, S. 114. 5 Vgl. z.B. Curt Sachs, Eine Weltgeschichte des Tanzes (1933), Hildesheim 1992. 6 Vgl. z.B. Jochen Schmidt, Tanzgeschichte des 20. Jahrhunderts in einem Band, mit 101 Choreographenporträts, Berlin 2002. 7 Vgl. z.B. Sabine Huschka, Moderner Tanz, Konzepte - Stile - Utopien, Hamburg 2002. 8 Grundlage meiner Recherche sind Buchpublikationen zur Tanzgeschichte aus dem deutschen, angelsächsischen und französischen Sprachraum. 9 So z.B. Susan Manning, Modern Dance, Negro Dance, Race in Motion, Minneapolis [u.a.] 2004 oder auch Publikationen, die populäre Tanzkulturen thematisieren wie z.B. Brygida Ochaim, Claudia Balk, Variete-Tänzerinnen um 1900, Vom Sinnesrausch zur Tanzmoderne, Frankfurt am Main, Basel 1998. 10 Gabriele Klein, FrauenKörperTanz, Eine Zivilisationsgeschichte des Tanzes, Weinheim, Berlin 1992. 11 Anke Abraham, Frauen, Körper, Krankheit, Kunst; zum Prozess der Spaltung von Erfahrung und dem Problem der Subjektwerdung von Frauen; dargestellt am Beispiel des zeitgenössischen künstlerischen Tanzes, Oldenburg 1992. 12 Ramsay Burt, The Male Dancer: Bodies, Spectacle, Sexualities, London [u.a.] 1995. 13 Lothar Fischer, Anita Berber, Göttin der Nacht; Collage eines kurzen Lebens, Berlin 2006. 14 Brygida Ochaim, Claudia Balk, Varieté-Tänzerinnen um 1900, Vom Sinnesrausch zur Tanzmoderne, Frankfurt am Main, Basel 1998. 15 Vgl. z.B. zur französischen Tanzgeschichtsschreibung: Jacqueline Robinson, Modern Dance in France, an Adventure 1920-1970, Amsterdam [u.a.] 1997. 16 Aimé Césaire, Discourse on colonialism, übersetzt von Joan Pinkham, New York [u.a.] 1972. Zeitschichten, -sprünge und -klüfte Methodologisches zur Tanz-Geschichts-Schreibung Christina Thurner (Bern) “Dance historians! The past is now! ” 1 Mit diesem Aufruf will die Tanzhistorikerin Ann Hutchinson Guest erreichen, dass die Gegenwart des Tanzes für die Zukunft präserviert werde. Ihr Appell kann aber ebenso als Einforderung eines eigentlich paradoxen Zugangs zur Geschichte gelesen werden. Er mahnt nämlich auch an die Gegenwärtigkeit von Vergangenheit beziehungsweise von deren Behandlung und macht auf diese Weise deutlich, dass jeder Historiker, jede Historikerin immer von Aktuellem ausgeht, wenn er oder sie sich mit Vergangenem auseinandersetzt. Damit ist eine bestimmte Auffassung von (Tanz-)Geschichte formuliert, der zufolge Geschichte stets eine Konstruktion von Vergangenheit ist, die im ‘Jetzt’ “hergestellt” wird - nicht zuletzt auch, um die Ereignisse des ‘Jetzt’ über die Vergangenheit besser zu verstehen und umgekehrt. Im Zuge eines solchen historischen Bewusstseins hat sich Tanzgeschichte generell als ein wesentlicher Bestandteil der Tanzwissenschaft mittlerweile gut etabliert; dies stellt u.a. auch die britische Forscherin Alexandra Carter im Band Rethinking Dance History aus dem Jahr 2004 fest. 2 Allerdings räumt sie ein: “Paradoxically, the traditional discipline of history has come under attack from critical and cultural theories which question the very nature and status of knowledge, and how that knowledge is retrieved, organised, recorded and received.” 3 Gerade wie sich in der Tanzforschung also das historische Erkenntnisinteresse durchsetzt, ist man - gemäß Carter - in anderen Disziplinen im Zuge postmoderner Theorien bereits dabei, dieses zu hinterfragen, grundsätzlicher Kritik zu unterziehen und zu dekonstruieren. Hinkt man in Bezug auf den Gegenstand ‘Tanz’ da wieder einmal hinterher? Oder aber reflektieren Tanzwissenschaft und -kunst die Probleme mit der Historie auf ihre eigene Weise? Und schließlich: Wo liegt oder läge das Potential einer kritischen Aufarbeitung, Aufschreibung respektive Erzählung der eigenen Geschichte(n)? Und wie sähe(n) diese aus? Solche Fragen sind Ausgangspunkt eines Projekts, dessen erste Schritte im Folgenden vorgestellt und skizziert werden sollen. Dazu muss weiter ausgeholt und zunächst einleitend etwas zu den Symptomen der Krise der Geschichtsschreibung allgemein gesagt werden. Ausgehend davon komme ich über die Kategorie von der ‘Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen’ auf die spezifischen Schwierigkeiten und Chancen der Tanzhistorie zu sprechen. Ich werde alternative Modelle der Geschichtsschreibung aus anderen Disziplinen, insbesondere der Literaturwissenschaft, im Hinblick auf den Tanz diskutieren und schließlich einige Vorüberlegungen zu einer nicht-vektoriellen, einer ‘verräumlichten’ Historiographie zum Tanz des 20. Jahrhunderts präsentieren. Es handelt sich dabei um methodologische Vorüberlegungen und (noch) nicht um die Präsentation eines fertigen oder bereits in Angriff genommenen ‘Produktes’. Dennoch scheint es mir sinnvoll, zunächst die epistemologischen Prämissen fundiert zu reflektieren, bevor dann in einem nächsten Schritt ein eigentliches historiographisches ‘Erzeugnis’ folgt. Die Krise der Geschichtsschreibung “[M]it den Verzeitlichungsstrategien und Bewegungsstrukturen der einen Geschichte” Forum Modernes Theater, Bd. 23/ 1 (2008), 13-18. Gunter Narr Verlag Tübingen 14 Christina Thurner ist - so Burkhart Steinwachs - “der Komplexität gesellschaftlicher Prozesse” heute nicht mehr beizukommen. 4 Eine generelle Skepsis des 20. Jahrhunderts gegenüber der Historiographie wird verschiedentlich festgestellt. 5 Insbesondere die Epochentheorien stehen in der Kritik, wobei - laut Niklas Luhmann - vor allem einzelne Prämissen derselben auf Ablehnung stoßen: “zum Beispiel: Linearität, Irreversibilität, Kontinuierlichkeit, Notwendigkeit”. 6 Neben einer kritischen Haltung lässt sich derzeit aber auch eine “steigende Konjunktur der historischen Studien (z.B. New Historicism)” beobachten, 7 die sich allerdings bei genauerem Hinsehen häufig gerade durch diese kritische Haltung auszeichnen und autoreflexiv einen Paradigmenwechsel im Geschichtsverständnis herbeigeführt haben. So weist etwa Reinhart Koselleck bereits in den 1970er Jahren darauf hin, dass ‘Geschichte’ das Geschehene nicht minder wie die Geschichtserzählung sei, historia rerum gestarum und die res gestae selbst, Ereignis und Erzählung. 8 Damit macht er auf den konstruktiven Charakter der Historiographie aufmerksam. Diese bilde keinen mimetischen Diskurs, als Abbildung einer ‘wahren Wirklichkeit’, vielmehr konstruierten oder konstituierten Geschichtsschreibende die Historie(n) nach bewussten oder unbewussten Erkenntnisinteressen. 9 Wir ‘hätten’ die Geschichte nicht anders als in Form einer akzelerierenden Geschichte von interpretierenden Geschichten, schreibt auch Uwe Japp: “D.h. wir haben sie in einem genauen Sinne niemals, sondern arbeiten beständig an ihr.” 10 So gesehen kann es die eine umfassende, chronologische Geschichte nicht geben respektive hat es sie nie in der Weise gegeben, wie uns der Historismus seit dem ausgehenden 18. und dem beginnenden 19. Jahrhundert weiszumachen versucht hat. Dabei wurde die “ältere Pluralform von Geschichte […] zu einem singulären Leitbegriff” 11 , zu einem “Kollektivsingular” 12 zusammengefasst. Jean- François Lyotard hat demgegenüber anstelle der großen Geschichte die kleinen Geschichten propagiert. 13 Die Konsequenz daraus für die historische(n) Wissenschaft(en) ist die Akzeptanz von Partialität anstelle von Totalität, von Pluralität und Differenz statt Homogenität, Kontingenz statt teleologischer Notwendigkeit sowie Diskontinuität statt linearer Kontinuität. Wenn man diese allgemeinen epistemologischen Modifikationen ernst nimmt, welche Fragen und Erkenntnisse ergeben sich sodann spezifisch im Hinblick auf die Tanzgeschichte? June Layson bezeichnet den Tanzhistoriker als “both chronicler and interpreter” 14 , und sie verweist damit auch auf den konstruktiven Charakter seiner keineswegs exakten Wissenschaft, die außerdem “always amenable to reinterpretation”, also immer offen für Neuinterpretationen sein sollte. 15 Der tanzästhetische Kanon stützt sich stärker als jener anderer Künste auf sehr vages Material, weil der historische Gegenstand, die Aufführung, schlicht nicht mehr vorhanden ist und es bei jeder Historiographie darauf ankommt, welche Quellen überhaupt verfügbar sind und - spezifisch im Tanz - welcher Art diese sind (Abbildungen, Beschreibungen, Notationen, körperlich gespeicherte Erinnerungen oder elektronische Aufzeichnungen). Kategorie von der Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen Dass sich die eine Geschichte der Künste nicht aufrechterhalten lässt, belegen in Bezug auf den Tanz auch die Hilfskonstruktionen der Epochenbegriffe, deren Chronologie teilweise nicht mit jener anderer Kunstformen übereinstimmt (z.B. die Reihenfolge von Klassik und Romantik im Ballett). Unnötige Abgrenzungen und vermeintliche Kontinuitäten geben dabei ein falsches Bild - dies zeigt sich in Hinsicht auf den Tanz deutlicher noch als in den traditionell historiographisch bearbeiteten Disziplinen wie etwa der Literatur Zeitschichten, -sprünge und -klüfte 15 oder der bildenden Kunst. Vor allem im 20. Jahrhundert lassen sich die verschiedenen Strömungen im theatralischen Tanz nicht linear aneinanderreihen und klar abgrenzen, vielmehr bilden sie ein komplexes Gefüge von Gleichzeitigkeit und Ungleichzeitigkeit und verlangen eine vergleichende und auch für Kontingenzen, Pluralitäten und Differenzen offene Interpretation. Das sogenannte ‘Ballett’ beispielsweise existiert in seiner Heterogenität neben verschiedenen Formen Modernen Tanzes, die sich wiederum gerade auch in der Abgrenzung beeinflussen. Die Kategorie von der Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen gilt auch in der allgemeinen Geschichtswissenschaft “als ein Indiz für wachsende Schwierigkeiten mit der Epochenkonstituierung”. 16 Koselleck schreibt dazu: “Die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen. In dieser zeitlichen Brechung sind einmal verschiedene Zeitschichten enthalten, die je nach den erfragten Handlungsträgern oder Zuständen von verschiedener Dauer sind und die aneinander zu messen wären.” 17 Die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen kann also als alternatives Denkbild zum vektoriellen Modell der chronologisch fortschreitenden (Entwicklungs-)Geschichte gesehen werden. Die Zeitschichten, die Koselleck erwähnt, lagern dabei vielmehr über-, neben- und greifen ineinander, je nachdem, welche Handlungsträger man in den Blick nimmt. Dies kann kurz an einem Beispiel, einem beliebigen Datum aus dem Bereich der Tanzgeschichte verdeutlicht werden: Am Ende der ersten Dekade des 20. Jahrhunderts bringt Sergei Diaghilew die Ballets Russes nach Paris. In der Historiographie wird dieses Ereignis immer wieder als Beginn der Moderne im Ballett gedeutet. Dies stellt sich gewiss im Rückblick so dar. Dabei darf aber nicht übersehen werden, dass einige der Protagonisten der Ballets Russes in verschiedenen Zeitschichten verankert waren. So choreographierte etwa Michail Fokin sowohl für die Pariser Truppe als auch für das Mariinski Ballett in St. Petersburg, und auch Waslaw Nijinski tanzte in beiden Kompanien, also erste Schritte der Ballettmoderne wie auch ein traditionsgeprägtes Repertoire. Zur gleichen Zeit hatten amerikanische Pionierinnen des Modernen Tanzes, Loïe Fuller, Isadora Duncan und Ruth St. Denis, bereits während einiger Jahre den freien Tanz in Europa revolutioniert, alle drei hielten sich aber in jener Periode wieder in ihrer Heimat auf. Fuller gastierte 1909/ 1910 in verschiedenen Städten der USA, St. Denis kehrte ganz nach New York zurück und Duncan ging auf Amerikatournee. Im selben Zeitraum stirbt Marius Petipa, werden Birgit Cullberg und José Limón geboren und kehrt die damals siebenjährige Gret Palucca mit ihrer Familie aus Kalifornien nach Dresden zurück, wo sie später den deutschen Ausdruckstanz entscheidend mitprägen wird. Diese scheinbar willkürlich zusammengestellten Ereignisse geben als Momentaufnahme einen Aufriss mehrerer Zeitschichten, die synchronisch zusammenhängen, aber diachronisch auf je verschiedene “Zustände”, um bei Kosellecks Terminologie zu bleiben, verweisen - zurück oder voraus in der Zeit sowie geographisch gestreut. “Writing about the past”, schreibt auch die Tanzwissenschaftlerin Lynn Garafola, “one has many […] gaps to fill, places to imagine, people to resurrect, and frames of reference to inhabit.” 18 Historiographie tut also nichts anderes als (imaginär) Klüfte zwischen einzelnen Zeitschichten und Orten zu überwinden, sie lässt Menschen oder “Handlungsträger” wieder aufleben und stellt sie in - explizit oder implizit definierte - Bezugsrahmen. Stephanie Jordan sieht diesen Vorgang - ausgehend von der Kunstform Tanz - gar als “political manoeuvre to establish a power base for cultural identity as well as for the art itself.” 19 Eine Kunst etabliert sich somit auch in ihrer und über ihre Geschichtsschreibung. Wie sie dies tut beziehungsweise sinnvoll und vielleicht auch 16 Christina Thurner politisch wirksam tun kann, soll Thema des Folgenden sein. Alternative (räumliche) Geschichtsmodelle Auch hier muss ich wieder etwas ausholen und auf andere ästhetische Disziplinen mit einer längeren wissenschaftstheoretischen Tradition eingehen, um schließlich zum Tanz zurückzukommen. Die Literaturwissenschaften beispielsweise machen sich in größerem Ausmaß seit den 1980er Jahren Gedanken zu adäquaten geschichtlichen Schreibtechniken. 20 Dabei stößt man verschiedentlich auf Projekte, die sich nicht mehr an einem linearvektoriellen Zeitmodell, sondern vielmehr an räumlichen Metaphern orientieren. Zwei dieser Projekte stellt Miltos Pechlivanos in seinem Aufsatz “Literaturgeschichte(n)” vor: Die Columbia Literary History of the United States, 1988 bei Columbia University Press, New York erschienen; 21 sowie ein Projekt der Yale University, A New History of French Literature, 1989 bei Harvard University Press in Cambridge (Massachusetts) von Dennis Hollier u.a. herausgegeben. 22 Letztere gewann den James Russell Lowell Prize of the Modern Language Association. Beide sind Gemeinschaftswerke verschiedener Autorinnen, Autoren, Herausgeberinnen und Herausgeber. Sie bestehen aus einzelnen Kapiteln respektive Aufsätzen, die gängige Darstellungsmodelle von Literaturgeschichten ablehnen und weder alphabetisch geordnete Enzyklopädien noch kontinuierliche Narrationen bieten. 23 Stattdessen orientieren sie sich - wie erwähnt - an räumlichen Konzeptionen. Die Columbia Literary History of the United States nimmt für sich die Architekturmetapher in Anspruch: Die neue Geschichte […] sei konstruiert nach dem Modell einer Bibliothek bzw. Kunstgalerie; mehrere Eingänge sollen den Eintritt in die jeweiligen Korridore gewährleisten. Im Gegensatz zu älteren Literaturgeschichten, die ‘monumental’ seien und eine lineare wie einheitliche Darstellung des Vergangenen anstrebten, mache sie die Diversität, die Komplexität und die Kontradiktion zu ihren Strukturprinzipien und versuche, den Eindruck sowohl der Vollständigkeit wie auch der Homogenisierung der jeweiligen Standpunkte zu vermeiden. […] Der Leser und die Leserin sollen dabei die ‘paradoxe Erfahrung’ machen, sich ‘sowohl mit der Harmonie als auch mit der Diskontinuität der Bausteine’ konfrontiert zu sehen. 24 Einzelne Bausteine arrangiert oder montiert auch A New History of French Literature, und sie setzt dabei ausdrücklich auf Diskontinuität, Heterogenität und Fragmentierung. 25 Die räumliche Metapher, die ihr zugrunde liegt, ist jene eines “historische[n] und kulturelle- [n] Feld[es], betrachtet aus einem breiten Spektrum zeitgenössischer kritischer Perspektiven”. 26 Ausgebreitet auf diesem Feld liegen wie Landmarken historische Datumspunkte, an denen sich Ereignisse bündeln lassen. So befassen sich rund 200 Essays mit je einer Jahreszahl, der dann bestimmte Geschehnisse und überlieferte Begebenheiten zugeordnet und so miteinander in Zusammenhang gebracht werden. Erzählt wird da also nicht - um Pechlivanos’ Beispiel anzuführen - das Leben von Proust vom Anfang über Aufstieg, Reife bis zum Tod, vielmehr finden sich in verschiedenen Aufsätzen jeweils fragmentarische Aspekte zum Leben und zum Werk des einen Autors immer unter bestimmten Gesichtspunkten im Zusammenhang mit anderen historischen Handlungsträgern - möglicherweise aus anderen Zeitschichten, die in demselben Datumsquerschnitt zusammentreffen. Freilich lässt sich an diesen beiden Projekten auch Kritik üben. So könnte man einerseits hinter der jeweils propagierten Kontingenz und Heterogenität auch eine gewisse Beliebigkeit der Blickpunkte und Informatio- Zeitschichten, -sprünge und -klüfte 17 nen sehen; andererseits werden über die Distanzierung von traditionellen Ordnungskriterien aber auch wieder neue kreiert und festgeschrieben, die allenfalls weniger vertraut respektive explizit daherkommen als die herkömmlichen wie Epochen, Perioden, Bewegungen, Schulen, Generationen. Auch wird vielleicht zu wenig deutlich gemacht, wie stark die Herstellung dieser historiographischen Werke nicht nur auf neuen epistemologischen Prämissen beruht, sondern auch mit (neuen) medialen Möglichkeiten zusammenhängt. Die (räumlichen) Verlinkungen des Internets haben die linearen Denk- und Schreibweisen nicht nur im medialen Alltag abgelöst, sondern als Modell sowie als konkretes Hilfsmittel auch Einzug in die Methodik der Wissenschaften gehalten. Eine logische Konsequenz wäre dann wohl die Frage, ob das Buch (noch) das adäquate Medium für solche Projekte ist oder ob nicht auch elektronische Medien oder gar ganz andere, räumliche Formen der Vermittlung dem formulierten Anspruch eher gerecht würden. Damit bin ich zum Schluss bei meinem eigenen Projekt angelangt. All diese wissenschaftstheoretischen Vorüberlegungen sind wichtig für mein Vorhaben, eine nicht-vektorielle Tanzgeschichte zu schreiben beziehungsweise zu initiieren, die eher vom Modell eines Geflechts oder von einer choreographierten Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen als von einem gerichteten Vektor ausgeht. Wie das Produkt schließlich aussehen wird, weiß ich noch nicht. Es könnte eine DVD, eine Datenbank, eine Ausstellung, eine Lecture Performance oder eine Kombination von allem sein. Die live im Raum bewegte Kunstform Tanz fordert m.E. mehr noch als andere Künste räumliche oder zumindest an räumlichen Metaphern orientierte Vermittlungsmethoden, damit die spezifischen ästhetischen Traditionen und Zusammenhänge deutlich werden. Ich schließe mich dabei Helen Thomas an, die wiederum mit Referenz auf Mark Franko postuliert: “The construct of tradition with which I would want to work is one that lives and breathes through embodied textual practice (on or off stage), not one that is locked up in ‘performance museums’” 27 - oder in chronologischen Tanzgeschichtsbüchern, könnte man ergänzen. Die ‘neuen’ Ordnungskriterien einer kritischen Geschichtsschreibung wie Partialität anstelle von Totalität, Pluralität und Differenz statt Homogenität, Kontingenz statt teleologischer Notwendigkeit sowie Diskontinuität statt linearer narrativer Kontinuität sind in der Tanzkunst auf der Bühne seit der Moderne und insbesondere der Postmoderne längst Konsens. Zahlreiche Kreationen brechen da mit einer totalitären Blickführung und fokussieren plurale Differenzen statt harmonische Einheiten; sie verweigern sich einer allzu eindeutigen Sichtweise und öffnen die Wahrnehmung statt sie schlicht affirmativ bedienen zu wollen; und schließlich reflektieren sie so auch stets kritisch die eigene(n) künstlerische(n) Tradition(en). Die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen als ein choreographiertes Nebeneinander von bewegten Szenen könnte also für die Tanzgeschichtsschreibung gleichzeitig als Darzustellendes wie auch als Modell für die Darstellung betrachtet werden. Eine solche Geschichte des Tanzes nähme ihren Gegenstand ernst und würde mit ihren Fragen beziehungsweise möglichen Antworten der kritischen historiographischen Bewegung nicht etwa hinterherhinken, vielmehr könnte sie dieser sogar ein Beispiel sein für eine nicht nur metaphorisch räumlich verstandene Geschichtsschreibung. Anmerkungen 1 Ann Hutchinson Guest, “Is Authenticity to be Had? ”, in: Stephanie Jordan (Hg.), Preservation Politics. Dance Revived, Reconstructed, Remade, London 2000, p. 65-71, hier p. 71. 2 Alexandra Carter (Hg.), Rethinking Dance History. A reader, London, New York 2004, p. 10. Vgl. dazu auch die Auswahlbibliographie 18 Christina Thurner der Tanzgeschichtsbücher in Janet Adshead- Lansdale, June Layson (Hg.), Dance History. An Introduction, Second edition, revised and updated. London, New York 1994, p. 254ff.; außerdem June Layson, “Historical Perspectives in the Study of Dance”, in: ebd., p. 14; Layson betont: “dance history needs to claim a place as an eminently important and worthwhile area of study”. 3 Carter 2004, p. 10. 4 Burkhart Steinwachs, “Was leisten (literarische) Epochenbegriffe? Forderungen und Folgerungen”, in: Hans-Ulrich Gumbrecht, Ursula Link-Heer (Hg.), Epochenschwellen und Epochenstrukturen im Diskurs der Literatur- und Sprachhistorie, Frankfurt a.M. 1985, S. 312-323, hier S. 317. 5 Vgl. u.a. Miltos Pechlivanos, “Literaturgeschichte(n)”, in: ders. u.a. (Hg.), Einführung in die Literaturwissenschaft, Stuttgart, Weimar 1995, S. 170-181, hier S. 171. 6 Niklas Luhmann, “Das Problem der Epochenbildung und die Evolutionstheorie”, in: Gumbrecht, Link-Heer 1985, S. 11-33, hier S. 13. 7 Vgl. Pechlivanos 1995, S. 171. (Hervorhebung im Original). 8 Vgl. Reinhart Koselleck, “Geschichte, Geschichten und formale Zeitstrukturen”, in: Reinhart Koselleck, Wolf-Dieter Stempel (Hg.), Geschichte - Ereignis und Erzählung, München 1973. S. 211-222. 9 Koselleck 1973, S. 211ff. 10 Japp zit. in Pechlivanos 1995, S. 177. 11 Pechlivanos 1995, S. 175. 12 Vgl. u.a. Koselleck 1973, S. 211. 13 Jean-François Lyotard, La condition postmoderne, Paris 1979. Vgl. dazu auch Gabriele Brandstetter, “Geschichte(n)-Erzählen in Performances und im Theater der Neuzigerjahre”, in: dies., Bild-Sprung. TanzTheaterBewegung im Wechsel der Medien, Berlin 2005 (= Theater der Zeit Recherchen 26), S. 116-133, hier S. 130. 14 Layson 1994, p. 4. 15 Layson 1994, p. 4. 16 Hans-Ulrich Gumbrecht, “Posthistorie Now”, in: Gumbrecht, Link-Heer 1985, S. 34-49, hier S. 35. 17 Koselleck 1973, S. 213. 18 Garafola 2005, p. ix. 19 Jordan 2000, o. S. 20 Vgl. Pechlivanos 1995, S. 170. 21 Emory Elliot u.a. (Hg.), Columbia Literary History of the United States, New York 1988. 22 Dennis Hollier u.a. (Hg.), A New History of French Literature, Cambridge (Massachusetts) 1989. Vgl. auch Pechlivanos 1995, S. 172ff. 23 Vgl. auch Pechlivanos 1995, S. 173. 24 Pechlivanos 1995, S. 172. 25 Vgl. Pechlivanos 1995, S. 173. Er hält fest, dass die Herausgeber folgende Darstellungsmodelle ablehnten: “das einer alphabetisch geordneten Enzyklopädie und das einer kontinuierlichen Narration. Während das eine Literatur in linearen Genealogien homogenisiert, tauchen der Leser und die Leserin des anderen in die unüberschaubare Fülle der nicht selektierten Informationen unter. Der dritte Weg, den sie vorschlagen, beruht auf dem Prinzip der Montage, eines Arrangements von Fragmenten, die kein einheitliches Bild anstreben.” 26 Pechlivanos 1995, S. 174. 27 Helen Thomas, “Reconstruction and Dance as embodied textual Practice”, in: Carter 2004. p. 32-45, hier p. 42. Von der Manie zur Melancholie: Tanzhistoriographie im kulturhistorischen Vergleich Sabine Sörgel (Aberystwyth) I. Steinbruch Tanzhistoriographie: Eine tanztheoretische Reflexion auf Walter Benjamin Was die Antike hinterlassen hat, sind ihnen Stück für Stück die Elemente, aus welchen sich das neue Ganze mischt. Nein: baut. Denn die vollendete Vision von diesem Neuen war: Ruine. 1 In seiner Abhandlung zum Ursprung des deutschen Trauerspiels beschreibt Walter Benjamin die uns gegenwärtige Ruine der Historie vorausdeutend als eben jene “allegorische Physiognomie der Natur-Geschichte, die auf der Bühne durch das Trauerspiel” dargestellt werde. 2 Für den Tanz relevant erscheint hier insbesondere seine Deutung des Allegorischen, dessen nicht abschließbare Bildmacht das Gestern im Heute vereint, wenngleich sich das Bild selbst längst in die Erinnerung des subjektiven Betrachters verflüchtigt hat. Benjamins Geschichtsphilosophie rettet so die Erinnerung über Zeiten und Räume hinaus als kulturelles Gedächtnis der Kunst, das fortwirkt in der allegorischen Kontemplation des Betrachters. Der tänzerischen Bewegung gleich bezeichnet die Allegorie damit den “Fortschritt in einer Reihe von Momenten” und unterscheidet sich in ihrer transitorischen Prozesshaftigkeit nur all zu deutlich von der “momentane[n] Totalität” des klassischen Symbols. 3 In nahezu paradoxer Verschränkung von Flüchtigkeit und komplexer Dichte ähnelt die Allegorie darin jedoch nicht nur dem Tanz, sondern bezeichnenderweise auch der Hieroglyphe als gleichsam enigmatisch erscheinendes “Bildzeichen […] im Rahmen der sakralen Unterweisung als letzte Stufe einer mystischen Naturphilosophie”, d.h. als ein System komplexer dialektischer Verweisung von Schein und Sein als unmittelbarer Ausdruck und damit “Urgeschichte des Bedeutens” schlechthin. 4 Die barocke Allegorie steht für Benjamin also schlussendlich für nichts weniger als die “versinnlichte, verkörperte Idee”, quasi als deren “Begriff selbst in diese Körperwelt herabgestiegen […]”. 5 Allegorien werden damit zu abstrakten Formeln, deren Geheimcode sich ausschließlich in der kontemplativen Versenkung zu erschließen scheint. Als vereinnahmendes Theater der Grausamkeit, ganz im Artaudschen Sinne, ritualisiert die Allegorie demzufolge das intime Verhältnis des Betrachters zu seinem Gegenstand, der die absolute Hingabe an den wechselseitig entstehenden Bedeutungsprozess einfordert. Am Beispiel des Barock, von dem schon immer streitbar war, ob er denn nun als Epoche oder Stil zu gelten habe, führt Benjamins komplexes Gedankenspiel fernerhin jene politische Dimension der Ruine ein, welche die Historie künftig nur mehr als allegorisches Bruchstück aufscheinen lässt. 6 Während im Barock die Allegorie primär “der frommen Mortifikation des Leibes” dienen sollte, um so die dämonische Natur antiker Götter im historischen Wandel christlich zu domestizieren, lassen sich heute eine Vielzahl analoger Strategien postmoderner Pastiche finden, deren politische Ziele hingegen wesentlich diffuser zu erkennen sind. 7 Das Faszinosum der Ruine jedoch besteht für deren Lektüre gerade darin fort, dass sie diese Vielschichtigkeit der Historie eben als deren Bruchstück gleichzeitig auf dem Theater präsent werden lässt. Forum Modernes Theater, Bd. 23/ 1 (2008), 19-28. Gunter Narr Verlag Tübingen 20 Sabine Sörgel Im Sinne einer gegenwärtigen Tanzhistoriographie wäre demnach die These aufzustellen, dass der Tanzkörper auf der Bühne eine ebensolche barocke Allegorie in den Raum schreibt, deren kinetische Verweise sich als performatives Körpergedächtnis lesen lassen, quasi Tanzgeschichte als ruinöses Bruchstück re-inszenieren, wobei sich Vergangenheit und Gegenwart der ausgeführten Körperpraktiken überlagern. Choreografie entsteht so aus Fragmenten der historischen Ruine im Benjaminschen Sinne, die sich im Neuen stets artikuliert und Teil des performativen Fortschreibens aber auch Umschreibens von Geschichte darstellt. Der zeitgenössische Tanz wird in dieser Betrachtungsweise also zum Steinbruch einer Tanzhistoriographie, die der Entwicklung kulturhistorischer Körpergenealogien von der antike in die postmoderne Gegenwart nachspürt. Insbesondere konzentriert sich dieser Rückblick im Folgenden auf die dem Tanzkörper kulturell eingeschriebenen Ideologien kollektiver Manie und individuell-psychologischer Melancholie als einer gleichsam sich fortschreibenden kulturhistorischen Wellenbewegung performativen Körperwissens. Ausgehend von Foucaults Genealogie-Begriff, insbesondere in Bezug auf den geschichtlichen Körperdiskurs, stellt ein solcher Ansatz somit den Ansatz einer Tanzgeschichtsschreibung vor, die Tanzhistoriographie im Sinne einer chronologisch rückwärtsgewandten Spurensuche notwendig vor dem Hintergrund des Zeitgenössischen situiert. 8 II. Bruchstück Antike: Griechische Tragödie und Manie Es geht darum, den Kopf zu vergessen und den Fuß sich erinnern zu lassen. 9 Theodoros Terzopoulos’ jüngste Produktion Die letzte Maske des Athener Theatro Attis verdeutlicht in der mnemotechnischen Arbeit mit den Schauspielern sowie der Komplexität choreographierter Bewegung wie sich die hier vorangestellte tanztheoretische Reflexion auf Benjamin im Zusammenhang zeitgenössischer Körperkonstruktionen im Tanz deuten lässt. Denn wie im Verlauf der Analyse zu zeigen sein wird, handelt es sich bei dieser Produktion um eine Allegorie postmodernen Tanztheaters, das verkörperte Erinnerung als kulturelles Gedächtnis an die historisch überlieferte mania der griechischen Kultur im 6.-5. Jh. v. Chr. heraufbeschwört. So bezieht sich bereits die Tragödienvariation des studierten Altphilologen und Gegenwartsdramatikers Logaras auf die Ursprungsthese, laut der die griechische Tragödie im Ritual des Dionysos-Kult und der bacchantischen Ekstase zu verankern sei. 10 Basierend auf einem tatsächlichen Ereignis in der Stadt Patras Anfang der 1960er Jahre, entwirft Logaras lyrisch-dramatischer Text somit das abstrakte Tableau einer rächenden Kindsmörderin, die als Variation des Medea- Mythos, das Kind ihres sie verleugnenden Liebhabers tötet und sich schließlich selbst als modernen pharmakos im ritualisierten Selbstmord opfert, während zeitgleich ihre Maske im örtlichen Karneval auftritt, wo sie von der Bevölkerung gebrandmarkt und ihr puppenhaftes Ebenbild letztlich den Flammen anheim gegeben wird. In der Verschränkung von Mythos und Gegenwart erscheint die Frauenfigur dergestalt als allegorisches Körper/ Sprach/ Bild im die Figur charakterisierenden Fremdkommentar des Chorführers, der sie wie folgt charakterisiert: “Sie nannten sie die Maria des Mansar/ und Patrinella,/ eine Zauberin, Ehebrecherin/ wahnsinnig und verwirrt/ die tief liebte/ und wie eine Mänade/ bis in den Tod ging”. 11 Mit dieser Eröffnung erkennt der Zuschauer die Figur bereits als Stereotyp weiblichen Rollenverhaltens, welches im Verlauf der Inszenierung sowohl im Botenbericht als auch über die getanzte Maske des Chors männlicher Schauspieler im neo-antiken Wechselgesang von Chor, Chorführer Von der Manie zur Melancholie 21 Abb. 1: Der ekstatische Schauspieler während der manischen Anrufung der Patrinella in der Inszenierung Die letzte Maske. Foto: Martin Kaufhold. und erstem bis sechstem Schauspieler fortgeführt wird. Wenngleich die Figur selbst als solche nicht in Erscheinung tritt und die Rolle der Patrinella somit nach einem naturalistischen Verkörperungskonzept streng genommen nicht besetzt wird, entsteht ihr allegorischer Bild/ Körper als “Frau, die tief liebte” - und, man entnimmt es während der Inszenierung dem Wehklagen des Chors, ebensoviel litt - um so nachdrücklicher in der Imagination des Zuschauers. Als Archetyp des Weiblichen konstituiert sich dieser Bild/ Körper vermittels der theatralen Körpermaske des Chors männlicher Darsteller, welche die eigentlich Abwesende im Sinne einer beschwörenden Anrufung zur Hauptfigur der dramatischen Handlung werden lassen. Diese theatrale Anrufung der Figur durch den Chor bemächtigt sich in diesem Zusammenhang interessanterweise einer abstrakten Form der rituellen mania als eben jener bacchantische Ekstasetanz des antiken Dionysos-Kults, wie ihn Terzopoulos für seine Schauspieler als Körpertechnik nutzbar zu machen sucht. Im Sinne Grotowskis geht es dem Regisseur dabei um das Herunterreißen der gesellschaftlichen Alltagsmasken und die Befreiung des inneren Energiezentrums wie es etwa in Ergänzung hierzu die biodynamische Methode Meyerholds in seiner Arbeit mit den Schauspielern lehrt. Terzopoulos beschreibt diesen avantgardistischen Ansatz als die befreiende Dimension des theatralen Prozesses für sein Theater als “Lebensform” wie folgt: Die Arbeit mit dem Körper ist wie ein bestimmter Modus zu leben. Das ist das Konzept des Lebens. Eine lebenswerte Lebensform. 22 Sabine Sörgel Technisch gesprochen geht es um die Befreiung der sieben kritischen Punkte der Wirbelsäule, so dass der Energiefluss vertikal nicht mehr blockiert ist. […] Man wird Dionysos. Wenn die Energie fließt, in alle Richtungen fließt, ist der Körper äußerlich ganz ruhig, aber die innere Geschwindigkeit ist enorm hoch. 12 Worum es Terzopoulos und seinen Schauspielern also geht ist die Reaktivierung uralten Körperwissens, dass auf der körperlichen Ekstase beruht, die im Kontext der griechischen Tragödien an den Zustand der rituellen mania anknüpft. Ekstase unterscheidet er dabei von der oft mit ihr verwechselten Trance, wenn er erklärt: Die Ekstase ist die Situation, in welcher der Schauspieler die Realität überwindet. Er findet zu einer Realität auf höherem Niveau. Das ist die Differenz zur Trance. In der Trance flieht man die Realität wie unter Drogen, während der Körper des Schauspielers in der Ekstase die Realität zu einer anderen, energetisch dichteren, energetisch konzentrierteren Wirklichkeit überwindet, die näher zu Gott ist. Er wird dem Gott ähnlich. […] Um in den Zustand der Ekstase zu gelangen, muss der Körper sich seiner Füße bewusst sein. In Trance hat man kein Bewusstsein der Füße. […] Wenn man die Füße reibt und dadurch diese Nervenenden erwärmt, wenn man das eine Stunde macht, erweckt man das Diaphragma, und das setzt Energie frei. Diese Energie steigt hinauf zum Kopf. Die Aboriginies in Australien benutzen eine Technik mit dem Fuß, um zu ihren Ahnen zu gelangen. Auch in Afrika gibt es das. Im Fuß enden alle Nervenstränge, und wenn man sich die Füße blutig tanzt, kommt es zur Explosion. Das ist alles Natur. Es geht darum den Kopf zu vergessen und den Fuß sich erinnern zu lassen. 13 Diese zuletzt durchaus martialisch formulierte Beschreibung der Ekstase als Resultat gesteigerten Körperbewusstseins durch Technik bezieht sich in der Tat auf kulturelle Praktiken wie sie nicht zuletzt in der Theater- Anthropologie und in ethnographischer Forschung zu Ritualen und Schamanismus weltweit beobachtet worden sind. 14 Denn obwohl hier als Schauspieltechnik veranschlagt, handelt es sich eigentlich um den Rückgriff auf rituelle Tanzformen, welche die Nähe bzw. den Ursprungsmythos des Theaters aus Ritual und Tanz zu erhärten scheinen. Die Verdrängung der mania bzw. des Tanzes aus der Rezeptionsgeschichte der griechischen Tragödie aufgrund fehlender Quellen bzw. entsprechend privilegierter Deutung der aristotelischen Poetik als Dramentheorie ist bekannt und soll daher an dieser Stelle nicht weiter referiert werden. Interessant jedoch erscheint im Zuge einer solchen Körper- und Tanzverdrängung innerhalb der westlichen Kultur die damit einhergehende Unterdrückung eines als traditionell weiblich veranschlagten Geschlechterdiskurses, der die ursprünglichen Fruchtbarkeits- und Opferrituale der Göttin Kybele marginalisiert und aus dem gesellschaftlichen Alltag zu bannen sucht. Wie David Wiles in seiner Einführung Greek Theatre Performance (2000) kritisch anmerkt spielten gerade Frauen eine große Rolle in der athenischen Religion, deren Verehrung der zwölf kanonischen Gottheiten erst in der demokratischen Phase mit der Substitution der häuslichen Göttin Hestia (häuslicher Herd) durch den androgynen Dionysos die zahlenmäßige Übermacht männlicher Gottheiten einleitet. Wenngleich Dionysos also den weiblich konnotierten Ritualen Raum gibt, so wird er doch tendenziell eher als männliche Gottheit angesehen, welche die kosmologische Harmonie in Ungleichgewicht bringt und deren nachhallendes Chaos bzw. gewaltsames Zusammenbrechen der gesellschaftlichen Ordnung die oft körperlich spürbar werdende Gewalt der Tragödien kennzeichnet und deren gesellschaftspolitischen Konsequenzen wir vermittels der entsprechenden Rezeptionsgeschichte bis in die heutige Zeit nachspüren können. Von der Manie zur Melancholie 23 Einer solch dichotomisierenden Betrachtungsweise männlicher Vormachtstellung einerseits steht jedoch die gleichzeitige Vielzahl komplexer Frauenfiguren der erhaltenen griechischen Tragödien auf der anderen Seite gegenüber, die durchaus für die Komplexität des antiken Genderdiskurses zu sprechen scheint. Denn obgleich die Frauen auf dem Theater durch den männlichen Blick des Autors geprägt wurden anonymisiert die Maske deren Vermittlung, öffnet sie für die, man könnte behaupten, manische Einnahme der Figur, deren vorgestellte Rolle daher keineswegs mit geschlechtlicher Minderwertigkeit gleichzusetzen ist. Und interessanterweise verweist Wiles in diesem Zusammenhang nachdrücklich auf die Substitution der als feminin kodierten Trauer- und Begräbnisrituale durch die Maske des männlichen Schauspielers, die der rituellen Klage auf dem Theater weiterhin Raum bietet, während sie aus dem öffentlichen Leben der athenischen Demokratie zusehends verdrängt wird. 15 Die Verdrängung der Trauer und ihrer getanzten Rituale begründet also die Polis Athens, in deren Nachfolge sich Logozentrismus, modernes Staatswesen und Kapitalismus der so genannten westlichen Welt systemisch ausbilden. Und dennoch bleibt die Spur dieses verdrängten Körperwissens um den Tod als die Macht des Tanzes - wie es als Paraphrasierung Joachim Fiebachs zum Theater Afrikas zu formulieren wäre - in der Abstraktion des Tanzes und Theaters erhalten und wird im hier diskutierten Beispiel des Theaters des Theodoros Terzopoulos exemplarisch über das beschworene Gedächtnis des Fußes als unsere direkteste Verbindung zur Erde und deren Regenerationsriten reaktiviert. 16 Wie nun anhand der Schlusssequenz der Inszenierung verdeutlicht werden soll, tritt der letzte der sechs Schauspieler an dieser Stelle aus der ursprünglichen Chorformation aus, indem auch er sich des uniformen dunklen Jacketts und des weißen Hemdes - als Insignien der Alltagsmaske eines Geschäftsmanns - entkleidet. In diesem Moment erkennt der Zuschauer die Transformation des Schauspielers, der von der Figur der Patrinella bzw. ihrer Maske gerade zu mystisch verzückt erscheint, d.h. die Figur der Patrinella nimmt den Schauspieler in Besitz. Man beobachtet an dieser Stelle recht deutlich die für Terzopoulos’ zwar schauspieltechnisch evozierte dennoch typische Geste einer theatralisierten Referenz an die mania wie sie die flatternde Hand über dem neurophysiologischen Zentrum der Ekstase charakterisiert, indem sie unser menschliches Gehirn als kosmologisch verankertes Tanz- und Bewegungszentrum markiert. Das von Schmerz und Klage verzerrte Gesicht sowie der tief aus dem Beckenboden emporsteigende Schrei intonieren den für die Ekstase entscheidenden langen Rhythmus während dieser Sequenz. Terzopoulos selbst beschreibt diesen ekstatischen Tanz, der dem Schauspieler letztlich Harmonie und Freiheit des Ausdrucks verleiht: Wenn der Schauspieler frei ist, dann bilden Körper und Stimme eine Einheit. Dann entsteht echte Harmonie. Dann ist der Schauspieler glücklich und so entsteht auch Schönheit. Mit dieser Einheit ist man frei und kann die Instinkte mobilisieren. Das ist die Schönheit auf dem Theater. Also Ausdruck der Utopie. Das bedeutet aber auch, dass die Tragödie keine Charaktere kennt. Dargestellt wird die Manie, nicht die Mainade. 17 Es ist dies die erschütternd einfache und zugleich hoch politische Botschaft seines Theaters, die den befreiten Schauspielerkörper als Kosmosmenschen feiert und konventionell tradierte Geschlechterdichotomien transzendiert. Der ekstatische Schauspielerkörper ist weder Frau noch Mann - allenfalls übergeordnete Figur, Maske oder Gottheit, die durch ihn spricht. Damit rückt ein solches Theater des ekstatischen Tanzens in die Nähe der von Victor Turner theoretisierten communitas oder auch 24 Sabine Sörgel Abb. 2: Befreiung des Energiezentrums als Referenz an die rituelle mania im Tanztheater des Theodoros Terzopoulos. Foto: Martin Kaufhold. feministischer Theorien des multiplen Subjekts bzw. einer neu zu denkenden Bisexualität nach Cixous wie sie vielleicht der androgyne Dionysos avant la lettre schon immer verkörpert hat. Denn eine solch ekstatische Tanzfigur erlaubt, der als feminin codierten Passivität und Durchlässigkeit eine empfangende Großzügigkeit, die das Andere oder Fremde in sich aufnimmt und als Geschenk weder vereinnahmt noch ablehnt. Während die konventionell männliche Geschlechterposition das vermeintlich Weibliche als dunkel, passiv, dem gefürchteten Tode verwandt ausschließt und auf das eigene phallozentrische Identitätsmodell diskursiv fixiert scheint, erlaubt der Tanz seit jeher die Begegnung mit dem Anderen der Rolle bzw. der Gottheit. Wie Hélène Cixous diesen Prozess einer expandierenden Identitätsbzw. Subjektkonstitution für letztendlich beide Geschlechter theoretisiert hat: Femininity and bisexuality go together, in a combination that varies according to the individual, spreading the intensity of its force differently and (depending on the moments of their history) privileging one component or another. It is much harder for man to let the other come through him […] In the past, when carried to a rather spectacular degree, it was called ‘possession’. Being possessed is not desirable for a masculine Imaginary, which would interpret it as passivity - a dangerous feminine position. It is true that a certain receptivity is ‘feminine’. One can, of course, as History has always done, exploit feminine reception through alienation. A woman, by her opening up, is open to being ‘possessed’, which is to say, dispossessed of herself. But I am speaking here of femininity as keeping alive the other that is confided to her, that visits her, that she can love as other. The loving to be other, another, without its necessarily going rout of abasing what is same, herself. 18 Von der Manie zur Melancholie 25 Das über den Tanz aktivierte Körpergedächtnis transfiguriert damit nicht nur die Geschlechterdichotomie, sondern schlägt auch die Brücke von der Gegenwart in die Vergangenheit als kosmologische Verknüpfung der Lebenden mit den Toten wie das in auf den Tanz fokussierten Kulturen schon immer Teil kultureller Praxis von Religion und sozialer Feier ist. III. Bruchstück Mittelalter: Die Melancholie und der Totentanz Wenn die Manie also wie im erwähnten Beispiel dargestellt repräsentativ für das ekstatische Moment selbstvergessener Tanzwut zu stehen scheint, die das Subjekt in kosmischer Verschränkung an seinen Ursprung zurück bindet, so ist die Melancholie schon immer die janusköpfige Kehrseite dieses selbstvergessenen Rituals als die ontologische Trauer des vereinsamenden Subjekts, das irgendwann einmal zu tanzen aufhört, indem es den kosmischen Kreis durchbricht. Melancholie wäre dann gleichzusetzen mit der Vorahnung auf den Tod, just in dem Moment, wo mythologisch gesprochen uns die Mutter-Gottheit der Kybele verlässt und die Hybris des sich formierenden Subjekts einsetzt, das sich als narzisstisch-allmächtiger Gott selbst zu wähnen beginnt. Melancholie wäre also vorerst zu bezeichnen als das Ende der im Diskurs als weiblich veranschlagten Durchlässigkeit und folglich ein nicht zu befriedigendes Begehren, das keine Erfüllung kennt. 19 Diese körper-kastrierende Angst vor einem erfüllten - man möchte im Gedenken an die Funktion der Myal-Tänze der rebellierenden Sklaven des kolonialen Jamaikas fast sagen - (Auf)Begehren bricht sich ebenso deutlich in der Unterwerfung der Tanzwut sowie der Kirchhofs-, Tarantell- und Totentänze des europäischen Mittelalters Bahn. 20 Entfesselte Erotik wie die während der Weiberfastnachten wird verteufelt und die Gemeinschaft mit den Toten als Teil des Lebens in ein Jenseits gedrängt, das die Angst vor dem Tod durch die Verdrängung nur umso größer werden lässt. Indem man das Volk seines Körperwissens zu berauben versucht, verliert es Teil seiner revolutionären Freiheit und wird leichter kontrollier- und beherrschbar. Gleichzeitig wird das neue Wissen in Form von Büchern Teil einer gesellschaftlichen Elite, die nach politischer Macht strebt. Entsprechend einer solchen Verdrängung des Mütterlichen als letztendliche Angst vor dem Tod sind diese Mythen bekannterweise von der Psychoanalyse rezipiert worden. So verweist beispielsweise Julia Kristeva in Black Sun - ihrem Werk zur Melancholie - auf das Wechselspiel zwischen Subjektkonstitution, Melancholie und westlicher Metaphysik seit der Antike. Sie spricht in ihrer Analyse der Melancholie unter anderem davon, dass der Verlust bzw. die Sehnsucht nach der Mutter über Sprache und andere symbolische Referenzsysteme sublimiert werde, wenngleich diese Sublimation im Sinne einer Repräsentation der Mutter notwendigerweise unvollständig bleibt bzw. diese sogar als das Andere des Subjekts verleugnet. Die Trauer um diesen Verlust des Ursprungs, so des Weiteren ihre These, äußere sich demnach als enigmatischer Affekt, der nicht eindeutig im Sinne eines Ursachebzw. symbolischen Austauschprozesses zuzuordnen sei. Affekt sei also vielmehr anzusehen als eine komplexe psychosomatische Energieverschiebung, die zum Sprachbild gerinnt, das sich laut dieser Argumentation unmittelbar ins Bewusstsein als Voraussetzung des Imaginären und Symbolischen einschreibe. 21 Wenngleich Kristeva zwar Melancholie als Impuls kreativer Schöpfung deutet und auf deren therapeutische Funktion verweist, richtet sich ihr Augenmerk doch primär auf die Kunst und Literatur, deren Energien im Verhältnis zur Funktion des Tanzes in diesem Zusammenhang in gewisser Weise sekundär erscheinen bzw. deren primär semiotische 26 Sabine Sörgel Vermitteltheit der kinästhetischen Übertragung und Rezeption gegenübersteht. Wie aber ließe sich ihre Analyse in Bezug auf den Tanz und die Tanzhistoriographie deuten, als ja eben gerade der Tanz mit einer psychosomatischen Energieverschiebung arbeiten kann, wenn man beispielsweise an die Figuration der Maske der Patrinella bei Terzopoulos denkt. Gerade über die Befreiung der Energiezentren als Ausdruck von ritualisierter Klage und Trauer stellt sich ja die Frage nach der soziokulturellen Bedeutung des Tanzes als Therapie in diesem Zusammenhang zumindest anders wenn nicht unmittelbarer. Tatsächlich konfrontieren der Tanz und sein Theater den Zuschauer mit einer äußerst komplexen Verdichtung solch allegorischer SinnBildlichkeit, wie abschließend noch kurz am Beispiel der Opernchoreographie Trisha Browns zu Monteverdis L’Orfeo aus dem Jahr 1998 veranschaulicht werden soll. IV. Bruchstück Barock: Trisha Brown L’Orfeo (1998) Auch Trisha Browns Choreographie der Operninszenierung L’Orfeo aus dem Jahr 1998 unter der musikalischen Leitung von René Jacobs präsentiert allegorische Körper/ Sinn/ Bildlichkeit im Benjaminschen Sinne, insofern ihre Choreographie das komplexe Zusammenspiel von Affekt/ Geste des Tanzes als die verdrängte Mania bzw. Melancholie des Mythos zum Tragen bringt. Im Folgenden soll an dieser Stelle nur recht kurz auf einige Aspekte der Choreographie in diesem Zusammenhang eingegangen werden, um daran aufzuzeigen, inwiefern auch diese zeitgenössische Tanzchoreographie einen Beitrag zur Tanzhistoriographie leisten kann, indem sie Bruchstücke der Tanzgeschichte als Ursprung des Musiktheaters offenbar werden lässt. Trisha Browns Choreographie etabliert den Tanz als der Musik gleichwertige Isotopiebene der Inszenierung über die originelle Umsetzung des Prologs der Musica, die nicht wie sonst üblich als ätherische Stimme aus dem Orchestergraben emporsteigt, sondern am mondhellen Bühnenprospekt in illusionistischer Schwerelosigkeit, die Gesetzte der Gravität unterläuft. Ein heikles Unterfangen für eine Tänzerin, deren Balance und Erdgebundenheit üblicherweise zum Rüstzeug ihres gewohnten Bewegungsrepertoires gehören. Allerdings erscheint dieser Bühnentrick seit Browns legendärer Choreographie Man Walking Down the Side of a Building (1970) heute nur mehr weniger spektakulär als im Benjaminschen Sinne allegorisch, überkreuzen sich auch hier: antike Mythologie mit barocker Bühnenästhetik und postmodernem Selbstzitat, das inzwischen das vormals Postmoderne bereits schon wieder hinter sich gelassen zu haben scheint. Brown erklärt ihre Motivation für diese Besetzung der Rolle entsprechend dramaturgisch motiviert: In my estimation La Musica is the embodiment of music and so she would be free to travel anywhere in time and space; she is a ceiling painting, yes, and she’s also the guide from one world into the next, leading us through the passage from one plane to another. It was a matter of working with the strophes and the ritornelli, and the music and text really dictated the movements, as in that moment when she suddenly drops from the top to the bottom edge of the sphere - that’s when she commands everyone to listen, and you need to use both a dramatic movement and introduce stillness. 22 Indem der Zuschauer die Musik als getanzte Verkörperung der Schwerelosigkeit wahrnimmt, wird deren grundlegende Ambivalenz als Paradox offenbar, das sich als Dädalus- Motiv durch den Orpheus-Mythos zieht und zusammenfassend vom Chor der Geister am Ende des 3. Akts vorgetragen wird: “Nichts unternimmt der Mensch vergebens/ und die Natur steht ihm unbewaffnet gegenüber./ […] Um auf seiner Reise durch die Lüfte zu ziehen,/ entfaltete der einfallsreiche Dädalus Von der Manie zur Melancholie 27 seine leichten Flügel”. 23 Wenngleich wir ob der Virtuosität der illusionistischen Darbietung staunen, so ist die Schwerelosigkeit der an Bühnenmaschinerie geketteten Tänzerin doch nur allzu offenbarer Schein. Als Luftwesen tanzt sie nach neo-platonischer Lesart die Musik der Sphären kosmischer Harmonie in Anbetracht des Mondes, dessen nachtblauer Himmel bereits auf Klage und Melancholie der orfeischen Trauer ganz im Sinne der Benjaminschen Komplexität kontemplativer Bildversenkung vorausdeutet. So steht der Mond zum einen als Verbindung zum Reich der Toten und der dort zu verlierenden Euridike, zum anderen für die Kehrseite der Sonne und des apollinischen Prinzips, das Orpheus vermittels der Musik in das Reich der Toten lenkt. Verbleibt man in der neo-platonischen Lesart der Renaissance so geht man fernerhin davon aus, dass Musik und Tanz hier gleichzusetzen bzw. als Einheit verschränkt aufzufassen sind. Nach antikem Brauchtum des 5. Jh. handelte es sich während dieser Szene also um nichts weniger als die durch Rhythmus, Musik und Bewegung eingeleitete mania, welche Orpheus hier über den Styx geleitet, wenn der Sänger in Anrufung der Gottheit die bekannte Arie Possente Spirito zu singen beginnt: “Mächtiger Geist und gewaltiger Gott,/ ohne den zum anderen Ufer zu gelangen/ die vom Körper befreite Seele vergeblich hofft […]”. 24 Jedoch verhält es sich hier anhand des barocken Librettos, ebenso wie Benjamin für die Allegorie als Ruine beschwört: dass sich nämlich christlicher Heilsmythos mit pantheistischem Daimon vermischt, wie es im Übrigen auch den zwei überlieferten Endfassungen der Oper entspricht, die Brown in der unmittelbaren Aufeinanderfolge inszeniert. Orpheus Hybris besteht demnach in seinem jugendlichen Begehren, welches ihn sich umwenden lässt. Er zweifelt an den Göttern - der Macht der Verkörperung als mania, die ihn Euridke im bacchantischen Ritual wiederfinden lässt - und gehorcht dem Begehren des sich allmächtig wähnenden Blicks. Laut christlichem Verständnis der zweiten Fassung vergöttlicht folglich Apoll denjenigen, der die Melancholie gegen den Himmel singt, während Orpheus in der mythischen Fassung von den zürnenden Backchen ob seiner Missachtung ihres Rituals zerrissen wird. Tanzästhetisch ging es Trisha Brown in der Zusammenarbeit mit den Sängern interessanterweise darum, den aus unserem heutigen Musiktheater oftmals zurückgedrängten Tanz im Sinne von grundlegenden Bewegungsmustern und affektiven Gesten wieder zu finden. Nach der musikalischen Partitur Monteverdis sowie des Librettos entsteht eine solch choreographische Geste dabei vor dem Hintergrund des narrativen Textes, wenngleich sie abstrakt bleibt und entspricht damit der frühbarocken Operndramaturgie für die der lyrisch-allegorische Text ebenfalls zentral war. An anderer Stelle beschreibt Trisha Brown diesen choreographischen Prozess wie folgt: If one is working with form and not formula, then the ideas take a visual presence in the mind and one must find a method to decant that vision. I start by describing the idea to the dancers, they query the request (I don’t blame them), I say the same thing with other words, they try, I articulate what is missing, they try again, process is in motion. We keep heaving ourselves at each other like this until one or the other breaks through. We have a beginning. The metaphor is physically in existence. Now we have a template as reference to complete the phrase (theme). 25 Es scheint also, dass solch physische Metaphern letztlich im Rückgriff auf erinnerte sowie instinktive Bewegung rekurrieren, wie Brown das zuvor für den Improvisationsprozess und seinen Eingang in die Choreographie beschreibt. Tatsächlich wird der Tanz damit zur Therapie: manisch-kosmologische Fußmetaphern gegen kopflastige Trauer und Melancholie. Oder wie Trisha Brown die 28 Sabine Sörgel Metaphysik von Schein und Sein in postmodern neo-platonischer Mystik neu formuliert: I loved the give and take between idea and physical enactment with instinct sorting out the problems along the way. The body solves problems before the mind knows you had one. I love thinking on my feet, wind in my face, the edge, uncanny timing and the ineffable. 26 Abschließend ließe sich also für die Ausführungen zu den genannten Beispielen vorerst festhalten, dass die Tanzgeschichte ihre manisch-kosmologischen Füße tanzmächtig gegen kopflastige Trauer und Melancholie in unsere Kulturgeschichte stemmt. Als sozusagen kinästhetisch-therapeutisches Korrektiv tanzt sie sich frei, erdmächtig und ungebunden, gegen vereinnahmenden Rationalismus, visuell-illusionistische Höhenflüge und sich allmächtig wähnende Hegemonie. Gleichzeitig und das nicht nur nebenbei, verleiht sie den Frauen wie dem Volk als Rückhalt jeder Gesellschaft ihr revolutionäres Recht als innere Stärke und schützenswertes Potential. Anmerkungen 1 Walter Benjamin, Ursprung des deutschen Trauerspiels, Frankfurt a.M. 1963, S. 198. 2 Benjamin 1963, S. 197. 3 Benjamin 1963, S. 181. 4 Benjamin 1963, S. 186; 182. 5 Benjamin 1963, S. 181. 6 Vgl. hierzu Erwin Panofsky, “Was ist Barock? ”, in: Michael Glasmeier und Johannes Zahlten (Hg.), Was ist Barock? , Hamburg & Berlin 2005, S. 13-99. 7 Benjamin 1963, S. 151. 8 Vgl. hierzu auch Sabine Sörgel, “Tanz(Ge)schichte(n) der Moderne im Tanztheater der Gegenwart am Beispiel von Kurt Jooss, Pina Bausch, Sasha Waltz und Wanda Golonka”, in: Forum Modernes Theater 21.1 (2006), S. 61-78. 9 Theodoros Terzopoulos, “Die Metaphysik des Körpers”, in: Frank M. Raddatz (Hg.), Reise mit Dionysos. Das Theater des Theodoros Terzopoulos, Berlin 2006, S. 158. 10 Manfred Beilharz (Hg.), Neue Stücke aus Europa 2006. Theaterbiennale des Staatstheaters Wiesbaden 15.-25. Juni, Wiesbaden 2006, S. 75. 11 Kostas Logaras, Die letzte Maske - Fallimento, Wiesbaden 2006, S. 3. 12 Raddatz 2006, S. 169. 13 Raddatz 2006, S. 158. 14 Siehe hierzu u.a. Richard Schechner, Theater- Anthropologie. Spiel und Ritual im Kulturvergleich, Reinbek 1990. 15 David Wiles, Greek Theatre Performance. An Introduction, Cambridge 2000, p. 67. 16 Vgl. hierzu Joachim Fiebach, Die Toten als die Macht der Lebenden: zur Theorie und Geschichte von Theater in Afrika, Berlin 1986. 17 Raddatz 2006, S. 171-172. 18 Héléne Cixous, “Sorties”, The Newly Born Woman (1975), in: Susan Sellers (Ed.), The Hélène Cixous Reader, London & New York 1994, p. 42. 19 Hélène Cixous, “First Names of No One” (1974), in: Sellers 1994, p. 30. 20 Vgl. hierzu Monica Schuler, “Myalism and the African Religious Tradition in Jamaica”, in: Margaret E. Grahan, Franklin W. Knight (Edd.), Africa and the Caribbean: The Legacies of a Link, Baltimore 1979, pp. 65-79 sowie Stephan Cosacchi, Makabertanz, Meisenheim am Glan 1965, Justus F.C. Hecker, Die großen Volkskrankheiten des Mittelalters, Berlin 1865 und Andreas Kotte, “Simulation als Problem der Theaterwissenschaft”, in: Forum Modernes Theater 1 (1996), S. 33-44. 21 Julia Kristeva, Black Sun, New York 1989, pp. 21-22. 22 “Trisha Brown in interview with Melanie Eskenazi”, http: / / www.musicweb-internation al. c om/ s andh/ 2002/ May02/ Trish a_ Brown.htm 17.08.2007. 23 Claudio Monteverdi, L’Orfeo. Favola in musica, ed. Claudio Gallico, London 2004, S. 130. 24 Monteverdi 2004, S. 128. 25 Trisha Brown, “How to make a modern dance when the sky’s the limit”, in: Hendel Teicher (Ed.), Trisha Brown: Dance and Art in Dialogue, 1961-2001, Cambridge 2002, p. 289. 26 Brown 2002, p. 289. Von der Utopie zum Archiv: Patricio Bunster und die politische Funktion der Choreographie Jens Richard Giersdorf (New York) Prolog Als ich am 11. August 2006 am Flughafen Heathrow ankam, um von London nach Santiago de Chile zu fliegen, hatte die Regierung Großbritanniens gerade einen Terroranschlag aufgedeckt, bei dem mehrere Passagierflugzeuge simultan über dem Atlantischen Ozean gesprengt werden sollten. Heathrow stürzte ins komplette Chaos. Unser Gepäck wurde untersucht und eingecheckt, wieder ausgecheckt und nochmals untersucht. Fast alle Flüge wurden storniert, der Flughafen füllte sich mit Passagieren, die stundenlange Verspätungen hatten. Keiner wusste, was eigentlich los war, wie reagiert werden sollte und wie die Situation zu lösen sei. Letztendlich wurde uns gestattet an Bord zu gehen, allerdings ohne jegliches Handgepäck. Kein Laptop, kein iPod, kein Buch, keine Medikamente, keine Augenmaske für den 22 Stunden währenden Flug. Die mögliche Gefahr eines Terroranschlages stellte plötzlich jegliche globale Mobilität in Frage. Ich hatte eigentlich geplant, den Flug damit zu verbringen, meine Notizen in Vorbereitung für mein Interview mit dem chilenischen Choreographen Patricio Bunster zu überarbeiten. War Bunsters internationale Karriere nicht nur ein faszinierendes Beispiel für die internationale Migration von Vokabularien aus der Ausdruckstanztradition, interessierte mich vor allem Bunsters Affirmation einer politische Funktion von Choreographie während seiner gesamten Karriere. Ähnlich wie der Philosoph Ernst Bloch sah Bunster Potential für Veränderung und Entwicklung in allen Manifestationen der Gegenwart und bot damit die Möglichkeit für gesellschaftlichen Fortschritt außerhalb des marxistischen Verständnisses von Klassenkampf als der treibenden Kraft für sozialen Umbruch. Identitätsformationen Mein Interview mit Bunster sollte sein letztes werden. Er starb fünf Wochen nach unserem Treffen in seiner Wohnung unweit der Tanzabteilung, welche er mit Joan Jara nach seiner Rückkehr aus zwölfjährigem Exil 1985 gründete. Ausgebildet unter anderem von Kurt Jooss und Sigurd Leeder, war Bunster vor seinem Exil einer der führenden Choreographen Chiles. Nach dem Pinochet-Putsch 1973 hatte Bunster politisches Asyl in der DDR gefunden, wo er unter anderem an der Palucca Schule in Dresden unterrichtete. Mit Susanna Borchers - einer Palucca Schülerin - entwickelte er Trainingsetüden, in welchen er von Jooss und Leeder inspirierte Untersuchungen dynamischer Bewegungsqualitäten und deren Nutzung der Spannung zwischen Stabilität und Labilität mit Paluccas Wertschätzung von Linien, Sprüngen und Bewegungsfluss sowie Übungen aus der Release Technik kombinierte. Als Bunster 1985 wieder nach Chile zurückkehren konnte, hatte er eine eigenständige Generation von Tänzern und Choreographen in der DDR ausgebildet. Die Kulturfunktionäre der DDR sahen in dem kommunistischen Künstler aus Chile ein Musterbeispiel für die revolutionäre Bewegung in den jungen Nationalstaaten (ein marxistisch-leninistischer Code für entkolonialisierte Staaten in Afrika, Asien und Latein- Forum Modernes Theater, Bd. 23/ 1 (2008), 29-36. Gunter Narr Verlag Tübingen 30 Jens Richard Giersdorf amerika). Das bedeutete, dass die DDR-Offiziellen Bunsters revolutionäre Leidenschaft naturalisierten, indem sie seine Arbeit auf eine triumphale Vision proletarischen Kampfes in den ehemaligen Kolonialstaaten und eine siegreiche Fortsetzung des proletarischen Klassenkampfes gegen den Imperialismus reduzierten. Mit anderen Worten, die DDR- Regierung essenzialisierte Bunsters choreographische Arbeit zum Tropus der marxistisch-leninistischen Doktrin. Aufgewachsen mit DDR-Ideologie und unter anderem trainiert mit Hilfe von Bunsteretüden in den 80er Jahren bewertete auch ich Bunsters Choreographien als Agitprop-Kunst und als sozialistische Ideologie. Erst später, durch ein besseres Verständnis von Identitätsformationen im Sinne Stuart Halls, als nicht nur Einigkeit vermittelnd, sondern auch als einen Prozess der Differenzierung und Diskontinuität innerhalb gegenwärtiger Identitätskonstruktionen, begann ich Bunsters Karriere als komplexer zu sehen. 1 Meine Ankunft in Santiago überschnitt sich mit der zweiten Retrospektive von Bunsters Choreographien Antalogia II, in welcher fünf Arbeiten, geschaffen von 1969 bis 2005, gezeigt wurden. 2 Alle diese Choreographien entstanden in Chile, mit Ausnahme von A Pesar de Todo, einem Werk, welches Bunster 1975 während seines Exils in der DDR im Auftrag der DDR Regierung unter dem Titel Trotz Alledem - Venceremos choreographiert hatte. Die Choreographie fiktionalisiert Bunsters Erlebnisse während des Pinochet Putsches 1973, eine reale, zutiefst persönliche Erfahrung, welche er allerdings durch eine theatralisierte Vision eines erfolgreichen Aufstandes gegen das faschistische Regime vervollständigte. DDR Kulturfunktionäre priesen die Arbeit als Nachweis dafür, dass die sozialistische Ideologie über nationale Grenzen hinweg verkörpert werden kann und als eine Demonstration der Relevanz und Notwendigkeit der Solidarität mit der chilenischen Arbeiterklasse. Die Wiederaufführung von A Pesar de Todo 2006 erfüllte in Chile einen entschieden anderen Zweck. Zum einen funktionierte Bunsters Choreographie nun als historisches Dokument für die Generation von Chilenen, welche in Chile nach dem Putsch aufwuchsen und durch die bereinigende Geschichtsschreibung in Chile oft nicht mit der Realität des Putsches konfrontiert wurden. Diese Aufführung schrieb damit die Ereignisse des Putsches wieder in die chilenische Geschichte und damit in das öffentliche Gedächtnis ein. Zum anderen gab die Choreographie der Generation, welche den Putsch erlebte, einen Mechanismus, sich noch einmal mit den Ereignissen vom 11. September 1973 zu konfrontieren und eine Möglichkeit, sich - mehr als 20 Jahre nach dem Putsch - zu erinnern. Genau diese Verschiebung von Choreographie als Verkörperung einer ideologischen Utopie in der Uraufführung 1975 in der DDR zur Choreographie als lebendigem Archiv im zeitgenössischen Chile verbindet eine Untersuchung von choreographischen Prinzipien mit einer breiteren politischen Eruierung von Sozialutopien und Identitätsstrukturen im globalen Kontext. Bunsters Karriere, die sich zwischen Chile, Westdeutschland, England und der DDR bewegte, signalisiert daher nicht nur einen Nachvollzug der Migration von Tanzvokabularien, sondern verlangt auch die Erschaffung eines alternativen Verständnisses von Tanz und Globalisierung durch das Verfolgen einer ideologischen Diaspora, in diesem Falle der Bewegung von Ausdruckstanz, beeinflusst von revolutionären und sozialistischen Ideologien. Dieser Artikel baut daher auf Analysen anderer Tanzwissenschaftler auf und ergänzt sie gleichzeitig, wie z.B. Karl Töpfers Untersuchung der Tanzentwicklung der Weimarer Republik, Marion Kants Aufdeckung der Kollaboration von Choreographen mit dem Naziregime, Susan Mannings feministische Sicht auf Ausdruckstanz, oder generell eines US-zentristischen Modernismus im Tanz. 3 Von der Utopie zum Archiv 31 Migrationsbewegungen Wenn wir Körper als das Vehikel verstehen, welches Tanz und Ideologien über Räume und Zeiten bewegt, dann ist es wichtig, die Komplexität von Bunsters internationaler Bewegung zu untersuchen. Während Bunster Ende der 30er Jahre Architektur in Santiago studierte, sah er ein Gastspiel von Kurt Jooss’ Kompanie, die sich während Jooss’ Emigration von Nazideutschland auf einer ihrer Latein-Amerika-Tourneen befand. Inspiriert von Jooss’ Choreographien begann Bunster wenig später bei Ernst Uthoff, Lola Botka und Rudolf Pescht zu trainieren, alles ehemalige Jooss-Tänzer, welche mit Ausbruch des zweiten Weltkrieges nach einem Lehrauftrag in Chile gestrandet waren, da kein Schiff mehr Deutsche an Bord nehmen wollte. Als Uthoff Leiter des von ihm etablierten chilenischen Nationalballetts wurde, folgte Bunster ihm als Solotänzer und trat unter anderem in Jooss’ Klassiker Der Grüne Tisch auf. Jooss selber wurde von 1947 bis 1949 von Uthoff nach Santiago eingeladen, um zu unterrichten und zu choreographieren. Auf solch eine Einladung folgte auch Sigurd Leeder von 1959 bis 1964. Jooss und Leeder führten Rudolf Labans Untersuchungen im Hinblick auf ein praktisches Verständniss von Raum und Bewegungsqualitäten weiter, einen Fokus, den Bunster in seiner eigenen Arbeit weiterdachte. Durch seine Architekturausbildung war Bunster besonders von Jooss’ choreographischer Entwicklung der architektonischen Spannung zwischen Gruppe und Solist beeinflusst, welche sein lebenslanges Interesse an räumlichen Konfigurationen in der Choreographie initiierte. Auch politisch identifizierte Bunster sich mit Jooss und Leeder, die, da sie sich weigerten ihre jüdischen Tänzer zu entlassen und mit dem Naziregime zu kollaborieren, 1933 über Nacht aus Deutschland fliehen mussten. Mit Jooss’ Rückkehr 1949 nach Essen kam auch Bunster nach Westdeutschland, um in der Kompanie zu tanzen. Als während einer England Tournee 1953 die Stadt Essen die Finanzierung strich und sich somit die Kompanie auflösen musste, entschied sich Bunster in London zu bleiben und bei Leeder zu studieren, womit er sein Verständnis der Jooss-Leeder Trainingsmethode und Labans Theorien noch weiter vertiefte. 1954 kehrte Bunster zurück nach Chile und übernahm schließlich die Leitung des chilenischen Nationalballetts, wo er in seinen Choreographien das Ausdruckstanzvokabular mit lateinamerikanischer Folklore und Alltagsbewegung zu verschmelzen begann. 1968 gründete er die erste Tanzabteilung an einer Universität in Chile, in welcher er und seine Kollegen in enger Zusammenarbeit mit Leeder ein Ausbildungskurrikulum entwickelten. Ende der 1960er und Anfang der 1970er Jahre arbeitete Bunster mit dem kommunistischen Volkssänger Victor Jara an der Choreographie und Regie von Massentheateraufführungen für die Unidad Popular im Nationalstadium in Santiago de Chile zusammen. Die Unidad Popular war die sozialistische Partei, welche mit Salvador Allende die nationalen Wahlen im November 1970 gewonnen hatte. Auch Bunsters Wissen um die Bewegungschöre der frühen Ausdruckstanztradition erlaubte ihm die erfolgreiche Kreation von Aufführungen mit bis zu 100 000 Teilnehmern, unter anderem Bauarbeitern, Bergarbeitern, Bauern, Studenten, Kindern und sogar Bewohnern der Slums am Rande Santiagos. General Pinochets faschistischer Putsch von 1973 gegen die Unidad Popular-Regierung Allendes unterbrach Bunsters egalitäre Massenchoreographien. Das Nationalstadium, welches die Massenaufführungen beherbergt hatte, war nun als Konzentrationslager missbraucht, in dem Tausende von Zivilisten - des Widerstandes oder des Kommunismus verdächtigt - gefoltert und ermordet wurden. Bunster, der das Regime bereits am Tag des Putsches in der Universität verurteilte, musste noch am gleichen Abend 32 Jens Richard Giersdorf ins Exil gehen. Letztendlich, nach mehreren Stationen in anderen Ländern, fand er - wie viele andere Anhänger Allendes - Asyl in der DDR, welche damit ihre Solidarität mit der chilenischen Linken untermauern wollte. Bunster fand nicht sogleich Zugang zur ostdeutschen Tanzszene und arbeitete am Theater in Rostock. In den 1970er Jahren war die DDR von einer Neuinterpretation des Balletts geprägt. Vor allem Udo Schillings eigene Version des Tanztheaters an der Komischen Oper versuchte durch eine Verschmelzung von choreographischen Prinzipien aus dem Ausdruckstanz mit Ballettvokabular eine sozialistische Version zu schaffen. Die Ausdruckstanztradition als alleinstehende Tanzform war jedoch, mit der Ausnahme der Arbeit Paluccas (einer Schülerin und Zeitgenossin von Mary Wigman) an ihrer Schule in Dresden, fast vollständig verschwunden. Und es war die Palucca Schule, die Bunster schließlich einlud zu unterrichten. 4 Bunster, zu Beginn nur die Jungen unterrichtend, vermittelte seine eigene Interpretation der Ausdruckstanztradition, wie er sie durch seine Arbeit mit Jooss und Leeder als auch im Austausch mit der chilenischen Folklore verstand, aber auch mit einem Glauben an das transformierende Potential von Tanz. Mit dieser leistungsfähigen Kombination von ästhetischen und politischen Prinzipien beeinflusste er eine neue Generation von Tänzern und Choreographen. Utopische Identitäten Bunster choreographierte mit Erfolg Werke wie ….porque tenemos solo una vida (Denn wir haben nur ein Leben, 1984), Leuchten wird mein Schatten (1979), and Trotz Alledem- Venceremos (1975). In Trotz Alledem-Venceremos, wiederaufgeführt in der Retrospektive im Jahre 2006 in Santiago de Chile als A pesar de Todo, arbeitet Bunster mit lateinamerikanischem Folklorematerial und Ausdruckstanzvokabular, um den Putsch darzustellen. Choreographisch ist das Stück aus einer Reihe von Tableau-ähnlichen Formationen aufgebaut, die in einer ständigen Abfolge entstehen und sich wieder auflösen. Die räumliche Spannung zwischen verschiedenen Gruppen sowie der Gruppe und dem Solisten erinnert an ähnliche choreographische Untersuchungen im Ausdruckstanz. In der Anfangsszene tanzen Tänzerinnen und Tänzer zelebrierend im Kreis um einen Solisten, der ein großes rotes Tuch manipuliert, welches zuerst als ein Poncho benutzt wird, später als eine Fahne und dann als ein Totentuch. Gekleidet in simple, ländliche Kostüme (die Frauen in Röcken, Tücher schwenkend und die Männer mit Kniebundhosen und einfachen kragenlosen Hemden), springen und drehen sich die Tänzer um die zentrale Figur herum, um danach mehrfach in einer Keilformation direkt auf das Publikum zuzumarschieren. Victor Jaras rhythmisch treibende Musik wird von einer Peruanischen Flöte dominiert und verleiht dem Stück eine volkstümliche, lateinamerikanische Atmosphäre. Schließlich wird die nunmehr getragene und melancholische Musik von Schüssen und Sirenen überlagert, während die Tänzer verschiedene Tableaus bilden und auflösen, die Gewalt, Trauer und Widerstand durch eine durchdachte Wiederverwendung von Material aus den Anfangszene darstellen. Erhobene Arme mit offenen Händen werden zu gestreckten Fäusten, folkloristisch abgerundete Armpositionen werden zu Pietaähnlichen Haltungen und der Poncho wird zur Flagge, die im Widerstand geschwungen wird. Die Ausschreitungen kulminieren letztendlich im Tod des Protagonisten, der von drei Frauen und einem Mann in einer Trauerprozession aufgebahrt wird; die Fahne wird zum Totentuch. Aus der Prozession heraus entsteht ein Aufbegehren gegen die Unterdrücker, für dessen erfolgreiches Ende die Tänzer in einer Reihe direkt auf das Publikum zum Bühnenrand marschieren. Eine der Von der Utopie zum Archiv 33 drei Frauen nimmt das Totentuch auf, um es nun wieder als Poncho zu tragen. DDR-Kulturfunktionäre feierten die Choreographie mit ihren erhobenen Fäusten, strengen Gruppenformationen und dem utopischen Duktus als eine Affirmation eines proletarischen Aufstandes, der zu einem neuen sozialistischen Lateinamerika im marxschen Sinne führt. Auch für Bunster war der Zusammenhang zwischen Tanz und sozialen Veränderungen in Lateinamerika wichtig. Allerdings hatte er eine andere Vorstellung von dem Verhältnis von Tanz und Politik. In seinem Manifest-ähnlichen Essay “Perspektiven des Amerikanischen Balletts” von 1961 machte Bunster auf das -wie er meinte - Verschwinden einer lateinamerikanischen Identität durch die allzu bereitwillige Akzeptanz der Einflüsse von unterschiedlichen dominierenden Kultursphären aufmerksam und verlangte eine Besinnung auf einheimische kulturelle Identität. 5 Er bezeichnete diesen Kampf als eine Wiederentdeckung der kulturellen Reichtümer und schrieb der Choreographie eine Hauptrolle darin zu. Für Bunster war Choreographie nicht nur eine Kreation und Organisation von Bewegungsvokabular in Raum und Zeit. Er glaubte, dass Choreographie nicht nur sozialen Aufschwung unterstützen, sondern auch potentielle Wege in eine bessere Zukunft weisen könne. Diese Funktion von Choreographie verlangt eine Untersuchung existierenden Bewegungsmaterials auf dessen Werte und Eignung für eine revolutionäre Umstrukturierung der Gesellschaft. Am wichtigsten bewertete Bunster jedoch das Studium von Alltagsbewegung als mögliches Ausdrucksmittel und als Rohmaterial für revolutionäre choreographische Strukturen. 6 Beeinflusst von Labans, Jooss’ und Leeders Arbeiten, sprach sich Bunster für die Beobachtung und Benutzung von Bewegungen aus manueller Arbeit, Freizeit, täglichen Ritualen, Natur und der Struktur von Architektur aus. Seiner Meinung nach tragen alle diese Bewegungsreservoire Spuren zukünftiger Choreographien für die Schaffung transnationaler, lateinamerikanischer und utopischer Identitäten in sich. Es ist die Aufgabe des Choreographen, diese Spuren aufzufinden, deren revolutionäres Potential freizulegen (indem er sie in wirksame Choreographien strukturiert) und damit den Weg in eine neue Gesellschaft zu zeigen. Ernst Bloch, einer der bedeutendsten Theoretiker von Utopie, determiniert die Gegenwart ebenfalls als hoffnungstragend und damit das Potential der Erfüllung enthaltend. 7 Während der Marxismus das Klassenbewusstsein als die treibende Kraft hin zur klassenlosen Gesellschaft definiert, sieht Bloch Potential und Hoffnung in allen Erscheinungen der Gegenwart. Durch seine philosophische Evaluierung von Sein als Noch-Nicht- Erfüllung, erlaubt Bloch eine Neubewertung von artistischer Produktion im Dienste des sozialen Fortschritts, da jede dieser Produktionen bereits die Möglichkeit einer eventuellen Verwirklichung einer erfüllten Zukunft enthält. Sowohl Bloch als auch Bunster sehen daher die Möglichkeit des Fortschritts bereits in Erscheinungen der Gegenwart, jedoch betonen beide auch die Notwendigkeit von Restrukturierung und Entwicklung. Bloch postuliert das Potential der Gegenwart nicht einfach in der Zukunft erfüllt, sondern sieht Hoffnung als eine treibende Kraft, die die derzeitigen sozialen Systeme radikal umstrukturiert. Bunster spricht sich in vergleichbarer Weise gegen eine simple Nutzung von gegenwärtigem Bewegungsvokabular und aktueller Bewegungstechnik aus und fordert das Freilegen der Essenzen dieser Bewegungen, welches nicht nur neue choreographische Lösungen schafft, sondern auch für diesen Prozess verlangt. Bloch schreibt Kunst einen bedeutenden Platz in der Umstrukturierung der sozialen Gegenwart zu, da Kunst (Tanz und Choreographie sind darin eingeschlossen) sowohl durch Inhalt als auch Form im Alltag wirksam wird. 34 Jens Richard Giersdorf Von der Repräsentation zum lebendigen Körperarchiv Solch ein Verständnis von Tanz und Choreographie ist natürlich nicht einzigartig. Delsarte und Laban hatten bereits Körperpotentiale untersucht, um konstruktive Möglichkeiten in Kunst und Alltag zu finden. Bunsters Lehrer Jooss und Leeder entwickelten ein Trainingssystem, welches den Tänzer für diese komplexe Aufgabe vorbereitet. Sie legten vor allem einen hohen Wert auf das Ausdruckspotential von Tanz und lehnten rein ästhetische Projekte ab. Wie bereits gesagt, glaubte Bunster, dass es nötig sei, die Essenz des Gegenwärtigen im Bewegungs- und Trainingsmaterial zu finden, um das Potential für neue choreographische Lösungen zu schaffen. Jedoch, wo Bunster dieses Potential in allen sozialen Strukturen sah, ein Potential welches freigelegt, choreographiert und im Dialog mit dem Publikum kommuniziert werden musste, fanden die DDR Kulturfunktionäre nur eine direkte Repräsentation des Klassenkampfes in den sogenannten jungen Nationalstaaten, welche eine der drei revolutionären Kräfte in der marxistischleninistischen Ideologie darstellten. Auch ich teilte dieses marxistische Verständnis, als ich Trotz Alledem - Venceremos zum ersten Mal 1985 sah. A Pesar de Todo in Chile zu erleben forcierte mich, meine erste Rezeption zu überdenken. Im März 2006 hatte Chile Michelle Bachelet zur neuen Präsidentin gewählt, eine Frau, welche vom Pinochet Regime eingesperrt und gefoltert worden war und die auch als Exilantin in der DDR gelebt hatte. Unter den vielen von Bachelet initiierten Reformen war auch eine Aufhebung der Immunität für Verbrechen aus der Pinochet Ära, die ehemaligen Mitgliedern der Pinochet Regierung seit fast 30 Jahren ein Leben unbehelligt von jeder Anklage wegen Mordes oder Folter ermöglichte. Trotz solcher weitreichenden Initiativen ist Chile nicht vereint in einer Re-Evaluierung der Verbrechen des Pinochet Regimes. Die oberen Schichten der Gesellschaft hatten die Immunität unterstützt und bekämpften eine progressive Revision der jüngsten chilenischen Geschichte. Die Wiederaufführung von Bunsters Choreographie kam somit zu einem wichtigen Zeitpunkt, da sie eine eigene Stimme in den ausbrechenden nationalen Dialog einwarf. Zur Zeit der Uraufführung im Jahr 1975 repräsentierte die Choreographie den Putsch und seine verheerenden Auswirkungen, entwarf allerdings auch eine erfolgreiches Aufbegehren und inszenierte damit eine utopische Vision einer vereinten und freien Welt. Die Wiederaufführung 2006 zeigte eine Version von Geschichte, wie sie von Chilenen gelebt wurde und lieferte damit einen Beitrag zu einem lebendigen nationalen Archiv durch die korporeale Auseinandersetzung mit Geschichte. Im Gegensatz zu Performance Studies Professor Diana Taylor, welche einen Unterschied zwischen einem aufführbaren Repertoire auf der einen Seite und einem Archiv im eher klassischen Sinne als materielle und evidentielle Spuren von Aufführungen auf der anderen Seite etabliert, möchte ich das Verständnis von Archiv erweitern, indem ich die wiederholte korporeale Auseinandersetzung mit Tradition, Geschichte und Gegenwart einbeziehe. 8 Solch ein Verständnis von Performance als Archiv lehnt sich an Joseph Roachs klassische Untersuchung von kulturellem Gedächtnis als inszeniert und Inge Baxmanns Definition von Körpern als Gedächtnisorten an. In seinem preisgekrönten Buch Cities of the Dead befähigt Roach Performance im Zusammenspiel mit oraler Geschichtsschreibung und historischem Schriftgut durch komplexe kulturelle Praxen der Surrogation, Wiedererfindung und transnationale Zirkulation kontinuierlich Geschichte und mit ihr gegenwärtige Strukturen umzugestalten. 9 Baxmann geht einen Schritt weiter durch die explizite Definition von Körperlichkeit und Bewegung als Archivierungs- Von der Utopie zum Archiv 35 prozessen. Solch ein Verständnis verleiht Körperlichkeit nicht nur das Potential Gesellschaft umzustrukturieren und gemeinschaftliche Utopien zu schaffen, Baxmanns Definition etabliert Korporealität als den Ort dieser Umstrukturierungen und Imaginationen. 10 Diese beiden theoretischen Zugänge zu Performance und Verkörperlichung als Archiv teilen eine Ausrichtung auf das Vergangene mit einer gleichzeitigen Betonung des Gegenwärtigen und damit der Kapazität, jetzige Strukturen zu beeinflussen und sogar utopische Visionen aufzuführen. Für Bunster war die Aufführung seiner 30 Jahre alten Choreographie immer noch notwendig - nicht nur für eine Generation, die unter dem Pinochet Regime lebte und nun mit den Nachwirkungen kämpfte, sondern auch für eine Generation, welche den Putsch nicht selbst erlebte. Die Aufführung, die ich besuchte, gab Bunsters Überzeugung Recht. Das Publikum sprang von den Sitzen auf und kommentierte wortreich die Aktionen auf der Bühne, als wären sie Teil der aufgeführten Geschichte. Der passionierte Beifall am Ende stellte mehr als nur eine positive Reaktion auf die Choreographie dar, es war eine Zelebration des Sieges, der auf der Bühne dargestellt wurde. Der fast kathartische Einfluss auf das Publikum erhob die Choreographie jenseits einer simplen Darstellung einer unerreichbaren Utopie zu einem greifbaren lebendigen Archiv, welches Tanz und Choreographie nicht nur als reflektive und imaginäre Medien befähigt, sondern auch als Strukturen, welche Realität transformieren können. Addendum Nach der Aufführung und meinem Interview mit Bunster flog ich zurück von Chile nach Hause nach New York. Ich finde es immer wieder überraschend, dass ich als ein ehemaliger DDR Bürger - jahrelang umgeben von einer fast unüberwindbaren Grenze - mich nun so frei bewegen kann. Dieses Privileg des sich Frei-Bewegens, in der westlichen Welt als Normalität konstruiert, wird durch einen Terroranschlag wie den am Flughafen Heathrow in London komplett in Frage gestellt. Solche Infragestellungen legen nicht nur die privilegierte Mobilität, sondern auch die Bewegung ermöglichende globale Demokratie als ein Konstrukt bloß. Dieses dominierende Konstrukt gibt sich als nicht-ideologisch, da es als die Norm definiert wird, gegen welche andere marginalere Sozialutopien - seien sie regional, religiös oder national - gemessen werden. 11 Durch Terrorakte oder nationalistische Aufstände ist solche globale Normalität allerdings wesentlich gestört und wird eindeutig als ideologisch enttarnt. Diese Störungen werden daher immer als negativ und anti-progressiv durch die globale Demokratie charakterisiert. Auch eine Choreographie, wie die von Bunster, könnte wegen ihrer eindeutig ideologischen und nationalen Funktion von unserem westlich dominierten Verständnis von Demokratie und sozialer Entwicklung als nicht progressiv gesehen werden. Wenn man sie allerdings im Kontext einer Historisierung von Migration von Bewegungsvokabular über nationale Grenzen hinweg analysiert, Grenzen, welche nicht immer in unserer ökonomisch definierten Globalisierung wahrgenommen werden, da sie entweder an der Peripherie liegen (Chile) oder nicht mehr existieren (DDR) - wird die globale Demokratie gezwungen, sich zu diesen regionalen Territorien ins Verhältnis zu setzen. Unausweichlich wird dadurch globale Demokratie als ideologisch offenbart. 12 Oder wie Lisa Lowe für kulturelle Produktionen in der Migration postuliert: Sie stellen nicht metophorisch das Erlebnis von Immigranten dar, sondern finden in den lokalen Widersprüchen der Immigration zum einen die kritische Intervention in das nationale Paradigma genau dort, wo sich dieses mit internationalen Strukturen überschneidet 36 Jens Richard Giersdorf und zum anderen den theoretischen Nexus, der die globale Ökonomie vom Standpunkt des Lokalen anficht. 13 Der transnationale Wert einer Re-Evaluation von Bunsters choreographischer Arbeit liegt genau in dieser doppelten Intervention seines Lebenswerkes. Anmerkungen 1 Vgl. Stuart Hall, “Cultural Identity and Diaspora”, in: Williams, Patrick, Laura Chrisman (Edd.), Colonial Discourse and Postcolonial Theory: A Reader, New York 1994, pp. 392-402. 2 Antalogia I wurde im Jahr zuvor aufgeführt. 3 Vgl. Töpfer, Karl, Empire of Ecstasy, Berkeley 1997; Karina, Lilian & Marion Kant, Hitler’s Dancers, London 2004; Manning, Susan, Ecstasy and the Demon, Minneapolis 2006; Gitelman, Claudia, Liebe Hanya, Madison 2003, Partsch-Bergsohn, Isa, Modern Dance in Germany and the United States: Crosscurrents and Influences, Newark 1994. 4 Es ist nicht ganz klar, wieviel Druck auf Palucca ausgeübt wurde, um Bunster an ihrer Schule zu akzeptieren und damit eine weitaus analytischere und politische Interpretation des Ausdruckstanzes zuzulassen. 5 Kühl, Edith, Patricio Bunster: Wege - Begegnungen, Berlin 1989, S. 33. 6 Ibid. S. 35. 7 Bloch, Ernst, Das Prinzip Hoffnung, Franfurt am Main 1993. 8 Vgl. Diana Taylor, The Archive and the Repertoire, Durham 2005. 9 Vgl. Joseph Roach, Cities of the Dead, New York 1996. 10 Inge Baxmann, “Der Körper als Gedächtnisort.” In: Baxmann, Inge und Franz Anton Cramer (Edd.), Deutungsräume, München 2005, S. 15-35. 11 Ich denke hier Althussers Weiterenwicklung der Marxschen Staatstheorie weiter, in der er die Notwendigkeit des ideologischen Staatsapparates, sich in die Privatsphären auszubreiten und damit zu normalisieren und scheinbar entideologisieren, beschreibt. Althusser, Louis, Lenin and Philosophy and other Essays, New York 1971, pp. 143-145. 12 Ich versuche mit dieser sehr generellen Aussage zu vermeiden, dass über eine Untersuchung des Spezifischen in Bunsters Choreographie der generelle politische Wert dieser Analyse verloren geht. Wie Ahkil Gupta und James Ferguson warnen besteht nämlich die Versuchung verstreute Beispiele von kulturellem Strömungen, die von den Peripherien in die Zentren der Kulturindustrie fliessen, zu benutzen ohne den totalisierenden Effekt des globalen Imperialismus zu verstehen und damit die politischen Probleme, die mit der westlichen Hegemonie einhergehen zu verdrängen. Vgl. Desai Jigna, Beyond Bollywood: The Cultural Politics of South Asian Diasporic Film, New York 2004, p. 7. 13 Lowe, Lisa, Immigrant Acts: On Asian American Cultural Politics, Raleigh 1996, p. 35. (Meine Übersetzung.) Media and the No-Place of Dance Harmony Bench (Los Angeles) As dance migrates through visual and electronic media, the number of possible venues in which it might take place multiplies exponentially. From bars and coffee shops to cliffs and factories, from large screens (projection systems and home theaters) to small screens (televisions and computers) to even smaller screens (cellular phones, PDAs, and other hand-held devices). Even the “worlds” in which dances are staged have changed with virtual reality and gaming environments. Media increasingly shape where and how dances are created, where and how they are seen. In this veritable proliferation of locations, there is one I would like to isolate, a site I call no-place. No-place is an abstracted space, a blank or evacuated scene. It is, in a sense, nothing. Nominating no-place as a site for dance may seem somewhat paradoxical, but in identifying no-place, I am trying to theorize the political effects of a site deployed to erase location - a site that works to render itself invisible. No-place, I argue, substantiates dance’s mediation across analogue and digital platforms. Its very emptiness grounds Western dance practices and launches dancing bodies into new sites by erasing topological specificities. I use the term “no-place” as distinct from the concept of “non-place” or “non-lieu” that surfaces in texts by French scholars from Michel Foucault and Jacques Derrida to Michel de Certeau and Marc Augé. 1 While non-lieu functions differently for each author, they all use the term to convey a sense of indeterminacy and alterity. For Foucault, non-lieu is a gap or distance between irreconcilable sites, a confrontation between the visible and the articulable. 2 Derrida imagines non-lieu as the “other” of philosophy that he hopes to discover through deconstruction. 3 In Certeau, non-lieux are spatial appropriations carved out of place through constant motion and eroding signification. 4 Building on Certeau, Augé argues that non-lieux are nonspecific spaces of passage - shopping malls, airports, hotels - sites that are neither here nor there but on the way to somewhere else. 5 Non-lieu may be a site of opposition or an indeterminate mutating or eroding space, but it is not conceived of as an empty vacuum in these authors’ texts. “[W]e do not live in some kind of void”, Foucault argues. 6 Yet it is precisely this void, absent of spatial and political markers and relations, that no-place proposes. As a site, no-place entails its own protocols for imagining, creating, framing, and reading dance. Abstracted from built or natural environments that would situate their movement, bodies wander through space with an illusory freedom, unrestricted by physical or ideological barriers. Extractions of dance from place, enabled through both print and digital mediation, necessarily presuppose that dance can exist completely outside or independent of place. In its very abstract emptiness, no-place instantiates an a priori decontextualization, a fundamental divorce of mathematical spatial constructs from lived environments. Additionally, no-place operates in tandem with other sites, which may include media as well as other geographic and physical locales. Dance filmmaker Douglas Rosenberg, for example, argues that video constitutes its own choreographic site that must be examined as such. 7 Working in screendance, 8 as Rosenberg does, one must consider what the location of the film shoot, the medium of film or video, the screen itself, and even the circumstances Forum Modernes Theater, Bd. 23/ 1 (2008), 37-47. Gunter Narr Verlag Tübingen 38 Harmony Bench of viewing bring to bear on a screen-based work. As another example, dance and theater companies increasingly integrate digital visual media elements into their stage-based productions. The frequent appearance of screens and monitors in performance settings complicates and multiplies the sites represented “onstage”. These overlapping sites - geographies and media that dis-locate as much as they locate dance - easily go unnoticed, as does the no-place that frequently supports them. No-place is perhaps most visible onscreen and in digital media’s graphic environments, but it is not a new place synonymous with cyberspace, electronic space, screen space, or virtual space. This empty and flattened terrain, “planar, linear, [and] firm”, functions, according to culture and performance theorist Paul Carter, “as the metaphysical ground of Western art”. 9 Indeed, no-place is wellestablished, if not generally acknowledged, in Western dance history. Its foundational emptiness already appeared in the late 17 th century when Raoul Auguste Feuillet began clearing a space for dance on the printed page. Dancing in the Clearing: Feuillet To complement the many improvements in French court ballet technique since the establishment of the Academie Royale de la Danse in 1661, King Louis XIV charged dancing master Pierre Beauchamps with the task of “discover[ing] the means of making the art of dance comprehensible on paper”. 10 That course of research resulted in Feuillet’s 1700 publication Chorégraphie, ou l’art de décrire la danse par caractères, figures et signes démonstratifs. 11 Feuillet’s main objective with his notation system was to provide a means of preserving dance. 12 But as notators recorded the time-filled movements of dance in timedepleted print media, they also documented a historical understanding of space and dancing bodies’ relationship to it. In Feuillet notation, the site of dance is neutralized, an unmarked no-place in which dance is inscribed. It begins with a blank page - a place, Certeau notes, “where the ambiguities of the world have been exorcised” 13 - onto which dancers’ movements and pathways are traced. Feuillet’s planimetric dance notation system imagines the dancing body as the vertical axis of a geometric grid. This body opens out onto a vacant space where the dance unfolds. A curved line traces the dancer’s spatial pathway on the page, emphasizing the orientation of a body in space and the directions in which that body moves. Placed on either side of this line are symbols that denote the various actions a particular dance requires - for example, batterie, turns, and jumps - while maintaining the dancer’s relationship to the designated path. Together, they track a dancer’s trajectory and progress through space and illustrate the movement of feet and legs. 14 The notation score channels dancers into the blank scene in which the dance has been inscribed. The document, aligned with an unchanging architectural reference, provides a spatial absolute, a “true north” to orient the dance. In graphing a dancer’s movement, Feuillet notation requires that a dancer locate him or herself within a corollary grid as he or she follows the paths and actions mapped out on the page. “Thus the graphing of motion summons the body into and locates it within a geometrically defined grid stipulating both horizontal and vertical positionings”, notes dance historian and theorist Susan Leigh Foster. 15 Feuillet notation installs the dancing body, a vertical axis perpendicular to both floor and page, in a no-place of intersecting geometric planes. Imagining dance’s occurrence in such an abstract, idealized space is perhaps a precondition for its paper-based mediation and documentation. However, no-place is not the Media and the No-Place of Dance 39 apolitical space it imagines itself to be. Rather, as an unmarked terrain for movement, noplace links Western dance practices with colonialism. Carter establishes a causal link between colonialism’s flattening of the ground and the smoothed and emptied spaces - the even floors of dance studios and theaters - presupposed in Western concert dance forms. The ground, Carter argues, “is theatricalized as a void, a tabula rasa available for imperial overwriting”. 16 According to Carter, the leveling impact of colonialism enables dancers’ unfettered movement. “Logically, and perhaps historically”, he argues, “the colonizing explorer precedes the pirouetting dancer”. 17 Colonialism thus paves the way for dance, “creat[ing] the conditions for the emergence of the planar ground occupied by the dancer”. 18 The dancer, who cannot clear the ground simply by dancing, follows in the colonizer’s wake. Constructing a genealogy alternative to Carter’s, Foster posits a kinesthetic sensibility underlying both Europe’s colonialism and its dance practices. Feuillet’s portrayal of dancing bodies evidences the construction of a colonial physicality built upon a shared conceptualization of space. At a representational level, Feuillet notation describes a subject that establishes himself as a center from which to govern a periphery. That periphery may be corporeal, in the refined gestures of arms and legs, or geographic, in the assessment of territories laid out before one’s gaze. Foster further argues that Feuillet notation “reinforce[s] a bodily experience of […] extend[ing] into and mov[ing] through an unmarked space”. 19 The cultivation of this “bodily experience” in dancers parallels that of explorers moving into foreign and unknown lands. As Foster shows, Feuillet’s notation system does not simply document a dance’s progress through space. It represents a colonial understanding of space and demonstrates the cultivation of a colonial kinesthetic awareness in dancing bodies. 20 Furthermore, Feuillet notation schools dancing bodies to move into the evacuated space it presupposes. As dancers follow notation scores, they rehearse the colonial expansion that Feuillet stages on paper. Feuillet’s dance notation system documents a spatial and kinesthetic history of colonialism first by siting dance in an empty no-place, and then recording movement within that evacuated terrain. No-place projects its empty geometry onto foreign territories into which dancing or colonizing bodies may then step, seemingly without consequence. No-place as a “theatricalized void” thus underwrites both European concert dance and European colonialism. It eases corporeal transitions among geographic and other sites by erasing barriers to movement, imagining razed terrain in advance of and alongside imperial flattening. Similarly, screenic no-places isolate dance and dancer in blank, unmarked spaces emptied of geopolitical signification. No-place disentangles choreography from the site of performance, disarticulating dancers from the grounds on which they stand. In dance onscreen, once dissociated from a particular location, dancers access a heightened, media-enabled mobility. Just as colonial imaginings of space opened up new lands for occupation, no-place surreptitiously slides dance into new screenic sites by erasing the specificities of locale. Radically dis-located and thus existing in no place in particular, dancing bodies can easily move from one place to any other. No-place in Dance Onscreen Like Feuillet notation, a number of mediabased choreographies obscure the locatedness of dance altogether, siting dance within an anonymous no-place. Choreographers and filmmakers utilize black curtains and floors in 40 Harmony Bench Fig. 1: Gina Czarnecki: Nascent Fig. 2: Magali Charrier: Left or Right for Love? darkened theaters to blot out place. They set dancers against infinity cycs 21 in film studios, minimizing shadows with bounced light. Or they configure computer programs to completely envelop dancers in a void. As a site in screendance, no-place is emptied of spatial referents - dancers float in limbo, surrounded by a field of white or a black abyss. This erasure is more profound than in Feuillet notation, which at least orients a dancer in a room to which the printed page corresponds, and which tracks movement across the floor. In screendance, not only are the geographical markers erased, gone, too, are the architectural bearings derived from floors, walls, corners, or curves. Masked and whitewashed screenscapes insistently foreground dancing bodies dis-articulated from a ground and environment that support their movement. No longer contained within theater’s rectangular enclosures, dancing bodies are rendered as free-floating images in smooth, shapeless spaces. The past ten years have seen the production of several notable screendance works in which dancing bodies are surrounded by a seeming nothingness. For example, in Gina Czarnecki’s experimental video Nascent, 22 luminous bodies unfurl across a blackened screen. A dancer hangs from invisible wires, suspended in endless white in Magali Charrier’s Left or Right for Love? . 23 In Alex Reuben’s Line Dance, 24 motion-captured figures moving to Brazilian music are engulfed in black, erasing both geographical specificities as well as the dancers’ physical specificities. Cari Ann Shim Sham*’s Are You for Real 25 installs and multiplies a Post-It Note-wearing, grey-bodied dancer in a white space. David Michalek filmed some 45 dancers at high speed against black backdrops for his suspended-animation multi-screen installation Slow Dancing. 26 In each of these pieces, dancing bodies sited in no-place take on an inhuman mobility. They are unrestricted by physical or ideological boundaries and untroubled by forces such as gravity. Abstracted from built or natural environments that would contextualize their movement, bodies drift across the screen with an illusory freedom. Other screendances go a step further, maintaining the abstraction of no-place, while also placing topographically detached bodies in different settings. 27 Examples include Ghostcatching, 28 in which digital artist Shelley Eshkar creates shifting environments out of Bill T. Jones’s motion-captured movement residues and Magali Charrier’s Tra La La, 29 where dancers wind up in the bellies of various animated creatures in the course of their fantastical adventures. Editing and compositing analogue or digital images, artists easily achieve such transport from one place to another. Just as Feuillet permitted physical Media and the No-Place of Dance 41 Fig. 4: Screen Shot Richard Lord: Waterfall Fig. 3: Screen Shot Richard Lord: Waterfall bodies to move into empty spaces equated with the page, so, too, these image-bodies are free to move into new environments. They are not tied down. Local affiliations have been rendered invisible by black boxes, white screens, and other technologies of abstraction. This freedom of movement is further explored in hyperdances, which specifically locate dancing bodies on the computer screen. Hyperdances are interactive dances created for computer rather than theatrical platforms. They are often built in Macromedia (now Adobe) Director or Flash, and are usually found on CD-ROM or on the Internet. Hyperdances combine still images and/ or pre-recorded digital video clips of dancing bodies with computer users’ realtime navigation. Users are encouraged to participate in a piece’s evolution by activating video clips, dragging dancing images to new positions in the frame, clicking through possible movements, and mousing over the computer screen in search of invisible buttons and unanticipated changes. Through these actions , users generate their own choreographies for the dancing images onscreen. In exploring the computer screen as a performance venue, hyperdances also posit a no-place for dance. Like the screendances described above, some hyperdances visually represent no-place as an unbounded monochromatic space, while others project dance into any number of computerized environments. Having been extracted from a place and sited in no-place as images, bodies take on an uncanny ability to move from one location to virtually any other. Additionally, hyperdances re-conceive the correspondence between dancer and ground, creating a very different relationship between body and space than that which Feuillet represented on paper. The ground remains planar as in Feuillet, but is now upended, propped up vertically as a desktop image rather than a horizontal plane of movement. Displacing the ground as a stable horizontal terrain with a changeable background image, hyperdances are able to explore physically impossible and occasionally absurd environments in which to locate dance. Richard Lord’s Waterfall, 30 a hyperdance on CD-ROM, serves as a case in point. Throughout this work, dancer Emma Diamond sensuously engages water through various explorations: walking along a grassy and windy beach, feeling water pour through her fingers or drip onto her face, and splashing barefoot in puddles. In using the computer as a platform for these sensory investigations, Waterfall positions nature and technology alongside one another. Water spills onto the screen, even as the electronic circuitry underneath Diamond’s mediated interactions resists the moist encounters represented. In one particular section of 42 Harmony Bench Fig. 5: Screen Shot Marikki Hakola: Triad Hyper Dance Waterfall, Diamond’s luxurious and focused task-like investigations give way to water studies of a different kind where Diamond seems to dance on a river, below the ocean’s surface, on a cresting wave, in a rainforest, on a glacier, among other sites through which users navigate. Lord recorded Diamond in what appears to be a dance studio or black box theater, extracted her dancing image, and overlaid it onto images of water. He cleverly matched Diamond’s movement to each background, suturing them together to encourage an illusory integration of dancer and scene. Diamond thus skips through a cresting wave and gently glides across the surface of an icy glacier. While Diamond dances with abandon, however, the oceans, lakes, and rivers remain disturbingly stationary - still images onto which Diamond is projected. With his cut-and-paste technique, Lord insinuates dance into places in which “dancing”, at least of the sort in which Diamond engages, could not actually occur. Confronted with neither the force of moving water, nor that of gravity, Diamond snakes across rapids and walks on water. She maps the liquid motion onto her body, while Lord stills the oceans and rivers behind her in his idealized photographic representations. Furthermore, the nameless bodies of water onto which Lord projects Diamond’s dancing provide little context for her dancing. They seem to have been chosen for their formal properties rather than geographical significance or communicative value. Diamond choreographically interprets the water’s movement in each scene, adapting her dance to reflect each new environment. But in fact she does not dance in any of the places represented onscreen, which, in their postcard-like perfection, have already ceased to be places. The images function only to signify generic watery environments in Lord’s romanticized portrayal of dance and nature. The photographed sites have no identity except as unlikely venues for Diamond’s dancing. Even with Lord’s careful compositing, Waterfall struggles to maintain a seamless connection between Diamond and each body of water onscreen. This tension is due in part to the uncharacteristic stillness of each site, but it is also a result of the environmental extraction that allows Diamond to appear against each background. Lord aligned his camera angles to those from which the waterscapes were photographed, but the water still repels Diamond, refusing to fully integrate her. Though Lord tightly cropped the footage of Diamond’s dancing, residues of the black floor on which she originally danced show through. Her reflections in its shiny surface undermine Lord’s photographic sleight-of-hand, reminding viewers that Diamond is located not in the watery venues portrayed, but somewhere else, in some other erased space. Ultimately, Diamond sits in noplace, a dancing image hovering over emptied imaginations of place. A second dance for computer, Triad HyperDance 31 also mediates contact among distant geographies. Triad is a Web-based, interactive documentation of the 1998 telematic performance Triad NetDance 32 directed by Marikki Hakola, featuring modern dancer Molissa Fenley in New York Media and the No-Place of Dance 43 Fig. 6: Screen Shot Marikki Hakola: Triad Hyper Dance and butoh performer Akeno in Tokyo. Fenley and Akeno were joined by video transmitted over the Internet and projected into the Kiasma museum in Helsinki, the primary performance venue. In Helsinki, the feeds from New York and Tokyo were mixed with other visual imagery and music. Linking the cities together created a complex and interwoven site that drew on aspects of all three. Via their Internet connection, the performers forged a temporary and contingent relationship with each city, technologically extending the reach of each location into the others. Scrolling upward, users navigate an electronic mise en scène littered with metal grates, lotus flowers, and images of Fenley and Akeno. As users “follow the Triad path”, they click on buttons strewn along the way. They may activate streamed video documentations of the performance in pop-up windows or enter new scenes in which skyscrapers, fire escapes, pools of water, and parchment provide the backgrounds against which Fenley and Akeno dance. Triad presents a landscape of entwined pictorial references to urban and pastoral scenes - concrete and metal tempered by gardens and ponds. Whereas in Waterfall Diamond introduces distinct choreographies for each of her liquid encounters, the dancers in Triad do not alter their movement in accordance with their changing background environments. Instead, Triad offers computer users the same selection of six very short, looped movements for each dancer in every scene, which users organize into their own choreographies. Akeno remains low in squats and crawls, while Fenley stands largely upright, cycling through attitudes and turns. The changing scenes have no impact on their movement repertoire; they could be projected against any background and it would not affect their dancing. In contrast to Waterfall, no attempt is made in Triad to merge dancers and background images. Dancers and background are stacked in parallel planes, one in front of the other, in a move that aestheticizes the underlying software structure. 33 Users further compose the scene by clicking and dragging the dancers anywhere within the browser window. Still, as images, the dancers register no change from one place to the next. As with Feuillet notation, all places appear equally undifferentiated as flattened spaces for movement, and the same movement vocabularies remain sufficient for every context. 34 Feuillet notation and digital images find in no-place a common springboard into any place. As illustrated in Feuillet notation, noplace eases the dancer/ colonizer’s passage into new terrains by erasing all barriers to movement. No-place obscures both the labor required to move and the geo-political realities of each site. In digital media, no-place lubricates the transition among places by erasing the act of “getting there” in what digital performance theorist Gabriella Giannachi describes as “hypertextual travel”. 35 Following Paul Virilio’s claim that “‘we are seeing the beginning of a “generalized arrival” whereby everything arrives without having to leave,’” 36 Giannachi argues that hypertextual travel involves “no real movement”. “Everything happens”, she remarks, “without us needing to go anywhere”. 37 In both Waterfall and Triad, where a click of a button will change the scene, there are no more departures or 44 Harmony Bench traversals of space. Perhaps there are no real arrivals either, just transposable backdrops framing mathematical translations in space. The movement from place to place simulated in Waterfall and Triad presupposes that dance and dancers can be imagined independent of context - that dance, existing nowhere in particular, can appear everywhere equally. Such is the function of no-place in both Feuillet notation and hyperdance: to make it seem as though dance practices are rooted to nothing. However, there are key differences between Feuillet notation and hyperdance in how abstracted bodies move through no-place from one place to another and in the consequences of their appearance. As mentioned earlier, Foster argues that Feuillet’s portrayal of dancing bodies reflects a colonial organization of space and the bodies therein. Feuillet represents a subject who occupies a central location from which to survey and move into outlying terrain. In hyperdance, however, there is no longer a designated center or periphery. The dancers in Waterfall and Triad are projected into environments with which they remain fundamentally disconnected; they are cutouts sitting atop a collage of images with which they are juxtaposed, but of which they remain unaware. Triad especially flattens the differences among dancing images and digitally rendered environments. The dancers neither govern from a central place, nor oversee the landscape from an idealized external perspective. Instead, they float above the background, indifferent to successive image-based substitutions of one place for another. In performance and on the Web, Triad’s intent was to enfold disparate locations into one cyber-site. Yet, differences among the sites are all but erased as they become interchangeable scenery in a tourist-like utopian globalism. Helsinki, New York, and Tokyo - Fenley and Akeno travel the world without really going anywhere at all. Just as Foster finds colonial resonances in Feuillet notation, some media scholars have argued that digital media’s repeated evacuations of space are similarly implicated in an expansionist project. Indeed, the enormous commercial and social investments in imagining cyberspace as an endless electronic frontier to be filled with online communities, trade, and even alternate worlds makes such a reading attractive. Neo-colonial interpretations of digital spaces depend, in part, upon a characterization of such spaces as in some way occupiable by a computer user who, again, “extends into and moves through an unmarked space”, whose movements through that space are strategically configured as “value-free”, and whose labor in journeying across that space is obscured. 38 In my analyses of Waterfall and Triad, I have followed a similar line of argumentation, describing the ease with which the dancers appear in each new environment. And yet, bringing these pieces immediately under a colonial framework overlooks the nuances of how these mediated dancers relate to their computerized surroundings in comparison with the bodies and spaces Feuillet documented on paper. Crucially, the dancing images in Waterfall and Triad are not avatars of computer users. 39 Whereas representations of bodily movements in Feuillet notation summon dancers into a written scene, in hyperdance the dancing images are almost never digital representations of computer users, whose onscreen presence is reduced to a cursor. Users influence the dancers’ positions and movements by mousing and clicking over the screen, but the interactive figures remain images of other performers and not of the users. They neither duplicate users onscreen, nor offer characters whose identities or roles users temporarily take on. 40 Furthermore, unlike the colonial model embedded in Feuillet notation, the digitallyextracted dancing images in Waterfall and Triad do not move into spaces of their own Media and the No-Place of Dance 45 accord. Nor do they command the landscape around them. Located in a transparent noplace, they are overlaid onto background image after background image. Both of these hyperdances operate under the assumption, present in Western concert dance traditions at least since Feuillet, that dances could exist in an empty no-place and could thus appear in any place. But unlike dancers following Feuillet’s marks on the page, these digital images of dancing bodies are deposited into spaces - a drag and drop process. The dancers never forge a connection with each new place. Indeed, the very technologies used to bring dancing and background images together reinforce their separation - the visual layers are not merged but stacked, impenetrable to one another. While both print and digital media posit an abstract, evacuated scene for dance, their spatial imaginings result in very different occupations of space. The dancing images in hyperdance may have greater mobility, transported as they are from place to place, but they do not move by choice, nor do they belong to any of the places in which they appear. Waterfall and Triad choreographically elaborate upon digital visual media as sites through which turn of the 21 st century bodies access disparate or remote geographies. They represent weightless, ungrounded, and transposable dances and dancers in the place of weight-filled bodies, 41 and substitute visual backdrops for the physical grounds dancers would otherwise require. Even as Waterfall and Triad delight in dance’s digitally reconfigured mobility, both pieces struggle to maintain a connection between the dancers and each new environment. Disarticulated from their grounds, the digital dancers in Waterfall and Triad do not move in relation to or in defiance of a ground, but hover and suspend indifferently in sites evacuated of context and meaning. They dance in no-place. As translations of dance to print and digital media, Feuillet notation and hyperdance re-imagine dancing bodies according to their media-specific protocols. In the process, their transformations or mediations reveal what might otherwise remain under-examined assumptions about how dance inhabits space. With this essay, I have been particularly interested in dance’s relationship to what I have called no-place, and how its abstract logic continues to propel dance into new sites. Notably, erasing dance’s prior instantiations and siting dance in no-place is not without its consequences. Indeed, all sites of dance carry ideological weight. In developing a notation system, Feuillet inscribed a colonial spatiality and physicality in Western concert dance. In hyperdance, radically dis-located dancers access an increased mobility, but their unmooring inhibits all other connections to place. How no-place gets deployed and by whom changes over time - as a tool of colonial expansion in one context, and as a seemingly neutral space of global flows in another. Noplace’s characteristic emptiness and selfeffacement continuously allows it to function as a site in print media, imaging technologies, and cyberspace, as well as the vacant spaces of dance studios and theaters. Where else does no-place emerge? What movement strategies does no-place enable in addition to those I have discussed here? How do the tensions between physical location and technological dis-location and/ or dispersal play out in noplace? How does no-place negotiate both the global and the local, for example among an international community of viewers on YouTube or in a virtual community such as Second Life? Such questions are beyond the scope of this essay, which is only a preliminary study of no-place as a site for dance on page and screen. In this initial consideration, I hope to have demonstrated some of the ways in which no-place operates across “old” and “new” media to open up spaces for movement, and begun to gesture toward possible theoretical as well as choreographic 46 Harmony Bench implications of perpetuating a digital noplace. As ever, thanks to Susan Foster and Jeannine Murray-Román for their comments and insights. Anmerkungen 1 For good summaries of how the term nonplace functions in French texts, see Bruno Bosteels, “Nonplaces: An Anecdoted Topography of Contemporary French Theory”, in: diacritics 33.3/ 4 (2003), pp. 117-139 and Laurence Louppe, “Modes de production: Hétérotopies, non-lieux, espaces quelconques”, in: Poétique de la danse contemporaine. Brussels 2007, pp. 137-145. 2 See Gilles Deleuze, Foucault, trans. Seán Hand, Minneapolis 1988, pp. 68, 87. 3 See Bosteels, 125. 4 Michel de Certeau, The Practice of Everyday Life, trans. Steven Rendall, Berkeley 1984, p. 106. 5 Marc Augé, Non-lieux: Introduction à une anthropologie de la surmodernité. Paris 1992, pp. 120-121. 6 Qtd. Louppe, 292. My translation. 7 Douglas Rosenberg, “Video Space: A Site for Choreography”, in: Leonardo 33: 4 (2000), pp. 275-280, p. 275. 8 Screendance is the term most recently adopted to encompass what has variously been called dance film, video dance, dance for camera, and cinedance. The term is also applied to dances for computer, media installations, and other screened or projected dances. Screendances are works created specifically for the screen or monitor and not for the purpose of documenting a performance. 9 Paul Carter, The Lie of the Land, London 1996, p. 292. 10 Susan Leigh Foster, “Choreographing Empathy”, in: Topoi 24 (2005), pp. 81-91, p. 87. 11 Raoul Auguste Feuillet, [1700] Chorégraphie, ou l’art de décrire la danse par caractères, figures et signes démonstratifs, Forni 1970. 12 Feuillet’s system further elaborated an entire symbolic, analytical schema for the purpose of documenting dance. Feuillet broke danced movements into their component parts in his effort to discover a set of movement elements common to all dance traditions. These building blocks gave dance masters/ choreographers a means of creating and disseminating new dances. With the advent of Feuillet notation, they could both notate pre-existing dances and choreograph new dances by arranging Feuillet’s symbols on the page. 13 Certeau, p. 134. 14 Notably, only a body’s lower half is depicted in Feuillet notation. Arm and hand movements were perhaps considered inessential to the choreographed movement, or were so unified with the leg and foot movements that common knowledge rendered them unnoticeable. Visual representation of the movement of feet and legs implies the rest of a body moving in concert. 15 Foster, “Choreographing Empathy”, p. 88. 16 Carter, p. 305. 17 Carter, p. 291. 18 Carter, p. 291. 19 Foster, “Choreographing Empathy”, p. 88. 20 Susan Leigh Foster, “The Earth Twice Shaken Wonderfully”, in: Considering Calamity: Methods for Performance Research, ed. Linda Ben-Zvi and Tracy C. Davis, Tel Aviv 2007, pp. 151-168. p. 156. 21 An infinity cyc curves at the bottom to seamlessly flow into the floor. By smoothing the 90 degree angle between floor and wall, filmmakers and photographers can produce a visual illusion of an unlimited space continuing out infinitely. 22 Nascent, dir. Gina Czarnecki, chor. Garry Stewart, prod. Forma and Australian Dance Theater 2005. 23 Left or Right for Love? , dir. Magali Charrier, chor. Maria Lloyd, prod. Amanda Lloyd; Linda Jasper, South East Dance; Caroline Freeman, Lighthouse 2003. 24 Line Dance, dir. and chor. Alex Reuben, cochor. Afua Awuku, prod. Margaret Williams; Caroline Freeman, MJW Productions 2003. 25 Are You for Real, dir. Kyle Ruddick and Cari Ann Shim Sham*, chor. Cari Ann Shim Sham*, prod. Eyestorm 2006. Media and the No-Place of Dance 47 26 Slow Dancing, dir. David Michalek, prod. David Michalek and Moving Portrait, Inc. 2007. 27 Frederick S. Armitage’s Neptune’s Daughters is a much earlier example of strategically combining incongruous locations. In this doublyexposed film, music hall performers dance atop the ocean surf. See Neptune’s Daughters, [1900], dir. Frederick S. Armitage in: Unseen Cinema: Early American Avant-Garde Film 1894-1941, disc 7: Viva la Dance: The Beginnings of Ciné-Dance, prod. Anthology Film Archives, 2005. Maya Deren’s The Very Eye of Night is another notable example. See The Very Eye of Night, [1958], dir. Maya Deren, chor. Anthony Tudor in: Maya Deren: Experimental Films, prod. Mystic Fire Video, 2002. 28 Ghostcatching, dir. Paul Kaiser and Shelley Eshkar, chor. and perf. Bill T. Jones, prod. Riverbed 1999. 29 Tra La La, dir. and chor. Magali Charrier, prod. Mairead Turner, South East Dance; Kathleen Smith, Moving Pictures Festival of Dance on Film and Video 2004. 30 Waterfall, dir. and chor. Richard Lord, CD- ROM, prod. Big Room Ventures 2002. 31 Triad HyperDance, dir. Marikki Hakola, chor. and perf. Akeno and Molissa Fenley, 1998-1999, from: Ctheory Multimedia, edd. Arthur and Marilouise Kroker. Issue 1: Digital Dirt. <http: / / ctheory.concordia.ca/ multimedia/ dirt/ triadhyperdance/ triad/ index. html>. Accessed 1 May 2007. 32 Triad NetDance, dir. Marikki Hakola, chor. and perf. Akeno and Molissa Fenley, prod. Sanna-Kaisa Hakkarainen and Marikki Hakola, Kroma Productions; Tomoe Shizune and Hakutobo; Joseph Di Matta, Dance Theater Workshop 1998. 33 By stacking the background and dancing images rather than attempting a realistic fusion, Triad reveals Macromedia Director’s layering hierarchies, in which images are stacked according to visibility. In other words, the “front-most” images, here the dancers, occupy the top-most layers in Director. Triad encompasses and even aestheticizes Director’s structural logic, enabling users to see through Triad’s images to the software supporting the work. 34 Feuillet notation was intended to bring all dance forms under a single sign system, regardless of origin. Further, dance notation documents, as transportable records of new choreographies, allowed dances to be realized on bodies far removed (geographically or historically) from the choreographer, thus enabling the training of remote bodies in specific movement and cultural values. As Foster argues in “Choreographing Empathy”, “Implementing this bodily disciplining, the colonial regime could first institute protocols of comportment at home and then proliferate these standards and indexes of behavior to those foreign bodies that it desired to govern abroad”, p. 88. 35 Gabriella Giannachi, Virtual Theaters: An Introduction, London 2004, p. 17. 36 Giannachi, p. 17. Original emphasis. 37 Giannachi, p. 17. Original emphasis. 38 Foster, “Choreographing Empathy”, p. 88. 39 This marks a difference between hyperdance and online theater worth critical examination. 40 I have argued elsewhere that some hyperdances ask computer users to enter into a more sensuous relationship, offering something of a contact improvisation with onscreen images. Such hyperdances still do not represent users onscreen as an avatar or character. See “Of Skins and Screens: Hyperdance, Haptic Cinema, and Contact Improvisation” in: Extensions Journal 3 (2007), n.p. <http: / / www.performancestudies.ucla.edu/ extensionsjournal/ >. Accessed 15 Nov. 2007. 41 In contrast, Paul Virilio suggests that Feuillet notation “bring[s] weightiness into perception”. He notes that the object of Feuillet notation is a body’s perpetual fall from one foot to the other - the dancer’s transfer of weight. See Virilio, “Gravitational Space” in: Traces of Dance: Drawing and Notation of Choreographers, ed. Laurence Louppe, trans. Brian Holmes. Marsat 1994, pp. 35-59. p. 37. In Waterfall and Triad, as well as the other screendances I mentioned, the artists play with weightlessness, achieving their resistances to gravity through technological means. Fig. 1: Xavier Le Roy: Self Unfinished. Foto: Katrin Schoof Revisiting ‘No To Spectacle’: Self Unfinished and Véronique Doisneau Ramsay Burt (Leicester) This paper explores the way two recent solos, one by Jérôme Bel and the other by Xavier Le Roy, use strategies of defamiliarisation to challenge and disrupt conventional expectations about the charismatic presence projected by a solo dancer. Le Roy’s 1998 Self Unfinished expands institutionally sanctioned ideas about what constitutes dancing, while Bel’s solo Véronique Doisneau, made in 2004 for the Paris Opéra Ballet, enacts an anarchic intervention within one of the most hierarchical sectors of the dance industry. This kind of institutional critique is characteristic of a number of recent dance works, mostly created in Europe during the last fifteen years by choreographers of Bel and Le Roy’s generation. These solos’ deconstructive approach to performative presence revisits some of the concerns of the US artists associated with Judson Dance Theater in the 1960s. Writing in 1965, Yvonne Rainer famously summarised her avant-garde concerns in a list of strategies that begins ‘No to spectacle’ and includes ‘no to seduction of spectator by the wiles of the performer’. 1 Bel and Le Roy’s solos have, in effect, said no to spectacle and seduction, although, as I will argue, they have done so in a different way. Their works often acknowledge historical precedent and this is particularly significant in a field which has invariably made claims about its new and unprecedented nature. These beliefs about the newness of modern dance, I suggest, have often circulated around solos presented by the choreographer which utilise movement vocabularies that are uniquely her (or occasionally his) own. As Claire Rousier has pointed out, for much of the twentieth century the solo was an emblematic and singular figure of modernity in dance. 2 This paper explores the critical way Self Unfinished and Véronique Doisneau use ideas about performative presence and historical reference to pose questions of an ethical nature. Self Unfinished is a solo created and performed by Le Roy himself that consists of a few extended sequences of slow, abstract movement danced mostly in silence that, though physically demanding, contains nothing that requires any knowledge of mainstream, conventional dance technique to perform. These seem purged of all aesthetic qualities and its dancer turns, with the use of costume and nudity, into a strangely dehumanised figure. The Paris Opéra commissioned Véronique Doisneau for and about a retiring ‘sujet’, someone who dances in the corps de ballet and occasionally performs minor roles. During the piece, Doisneau talks to the audience about her life, career and opinions, and demonstrates extracts from her repertoire. At the end, pointing out that what audiences often find most magical about the ballet can be excruciatingly boring and odious to perform, she shows what, as a member of Forum Modernes Theater, Bd. 23/ 1 (2008), 49-59. Gunter Narr Verlag Tübingen 50 Ramsay Burt Fig. 2: Jérôme Bel: Véronique Doisneau. Foto: Anna Van Kooij the corps de ballet, she dances during the second act adagio of Swan Lake. This mostly consists of holding a pose for a long, boring wait until the musical cue to change to another position. This final section, in particular, like the dehumanised dancing figure in Self Unfinished, critically disrupts the kind of performative presence normally associated with the solo dancer. These disruptions have significant ethical implications. Self Unfinished, I shall suggest, investigates ways of moving that seem inhuman in order to remind the beholder of what is needed to become human, while Véronique Doisneau prompts the audience to take responsibility for the actions that invisible others have to perform while entertaining them. Institutional critique The American art historian Thomas Crow, writing in 1996, observed: Almost every work of serious contemporary art recapitulates, on some explicit or implicit level, the historical sequence of objects to which it belongs. Consciousness of precedent has become very nearly the condition of major artistic ambition. For that reason artists have become avid, if unpredictable, consumers of art history. 3 Many recent European dance artists like Bel and Le Roy are avid, if unpredictable consumers of dance history which they have used to make works that challenge some tacit assumptions about dance. To understand the subversive way in which Self Unfinished and Véronique Doisneau critique dance performance, it is necessary to look a little more closely at the history of modern dance, examining in particular the ways in which, during the first half of the twentieth century, solos by charismatic artists like Isadora Duncan, Mary Wigman, and Martha Graham sometimes became a vehicle for affirming and celebrating modern life. The philosopher Susanne Langer’s enthusiasm, in 1953, for Wigman’s work typifies a common way of characterising the relationship between modern dance and the social experience of modernity. The substance of Wigman’s work, Langer argued: is the same power that enchanted ancient caves and forests, but today we invoke it with the full knowledge of its illusory status, and therefore with wholly artistic intent. […] Once more human beings dance with high seriousness and fervour; the temple dance and the rain dance were never more reverent that the work of our devout artists. 4 Langer betrays the unfortunate influence here of Curt Sach’s now discredited account of the primitive origins of dance. 5 Her argument is, however, that knowledge of scientific and philosophical thought separates modern dancers from their supposedly primitive forebears. So, if soloists like Graham and Wigman ‘once more’ dance with high seriousness and fervour, the inference is that they do so despite the impingements of modernity. It is generally acknowledged that industrial efficiency drives processes of rationalisation that use fragmentation to break down problems and make them manageable. This allows them to be dealt with more easily and profit- Revisiting ‘No To Spectacle’ 51 ably, regardless of the social disruption this invariably causes. The radical modernist aesthetic qualities exemplified by the work of choreographers like Graham and Wigman, to some extent, replicated these modernist processes. By breaking down the residue of traditional aesthetic values and cultural traditions, they sought to articulate new ways of thinking and feeling. The intensity of their solo works, and their charismatic presence as they performed them, seduced their audiences; they gave the beholder the feeling that, as artists, they were facing up to the challenges of modern times rather than escaping them. Film theorist Richard Dyer has suggested reading the charismatic appeal of the Hollywood film star against the grain in order to reveal the underlying contradictions within society at the time when they were popular. He argues that “charismatic appeal is effective especially when the social order is uncertain, unstable and ambiguous, and when the charismatic figure or group offers a value, order or stability to counterpoise this”. 6 Where modern dance was concerned, a seductive projection of charismatic presence was bound up with existential romanticism and with a claim of authenticity. The solo thus offered a fantasy of coherence and mastery at a time of fragmentation and alienation. The process of modern dance’s institutionalisation, particularly in the United States, turned this expressive ideology into an emblem of an ahistorical artistic modernism, and perpetuated it beyond the moment when it had been socially and culturally relevant. Bel and many of his generation of dancers, who started to make their own work in the 1990s, had began their careers dancing in companies during the previous decade. While Le Roy was carrying out the research for his PhD in biochemistry, he was inspired to take up dancing by seeing the work of these dance companies. The promotional rhetoric surrounding much contemporary dance at this time invariably emphasised its pursuit of progress for its own sake, sometimes almost seeming to imply that last year’s repertoire was already obsolete. These young dancers’ recognition that the work which they had been performing was not in fact new and unprecedented, was an incentive for their own investigations of dance history. In Judson Dance Theater they found an example of an earlier generation whose avant-garde experiments grew out of disappointment and disillusionment with the seductive heroism underlying much of the work of Graham and Wigman’s generation. Saying no to spectacle and no to seduction implied rejection of the fantasies of mastery and coherence evoked by these earlier modern dancers. It was a shift from dance works that exemplified an individualistic liberal idealism towards ones that exemplified a more socially-oriented libertarianism. In the mid 1990s, Le Roy was a member of the group Quatuor Albrecht Knust who used existing notation and documentation to reconstruct a series of dances from earlier in the twentieth century. In 1996 they performed Steve Paxton’s Satisfyin’ Lover (1967) and Yvonne Rainer’s Continuous Process Altered Daily (1970). Le Roy’s Self Unfinished resembles many aspects of the new American dance of the 1960s, in its use of everyday objects and ordinary, task-like or everyday movement material, and in its nudity. In Bel’s piece, Doisneau’s performance of some of the more static material created for the corps de ballet in canonical nineteenth-century works resembles the use of stillness in pedestrian works from the 1960s like Paxton’s 1968 piece State. In this a large number of people walk on stage and freeze for two and a half minutes. There is then a short black out, during which they move to another position in which they appear when the lights return. During a second black out they move to a third position which they then hold until the piece finishes. I saw a revival of this which Paxton 52 Ramsay Burt supervised in the early 1980s. My experience was initially one of boredom, but after a while I found myself becoming interested in the singularity of the performers as they stood in ordinary, everyday poses all facing in a variety of different directions. Paxton’s piece exemplified a libertarian attempt to break down the difference between the creative potential of professional dancers and untrained ones. By showing that everyone can be interesting on stage, the piece inferred that everyone has creative potential. This is not, however, what I believe happens in Bel and Le Roy’s pieces. To explain the difference, I turn to recent discussions about relational aesthetics. While recognising similarities between the work of Judson Dance Theater and that of Bel and Le Roy’s generation, it is also important to acknowledge what saying ‘no to spectacle’ meant in the 1960s and the different effect that saying it has had over the last few years. In the 1960s, dancers like Rainer, along with the minimal sculptors and conceptual artists with whom they associated, were engaged in what Art Historian Lucy Lippard called the dematerialisation of the art object. 7 In retrospect, this took the form of a strategic attack on the conditions of possibility of art making as a means of critiquing art as an institution. Since the early 1990s, artists have engaged in a kind of critique that problematises the role which institutions themselves play in bringing together artworks, art practitioners, art theory, and members of the public in relational situations. Such relations generate opportunities for interactivity and collaboration that can often dematerialise creative outputs, resulting in the development of what Nicolas Bourriaud has called a relational aesthetic. Bourriaud, who is himself an exhibition curator, suggests that: Meetings, encounters, events, various types of collaboration between people, games, festivals, and places of conviviality, in a word all manner of encounter and relational invention thus represent, today, aesthetic objects likely to be look at as such. 8 As Claire Bishop points out, Bourriaud has in effect proposed one of the most useful frameworks for discussing the art practices of the 1990s and early 2000s. She is, however, one of a number of scholars who have criticised Bourriaud’s propositions from theoretical or socio-political points of view. 9 The kinds of activities that Bourriaud lists can, in general terms, be identified in some recent European dance works: the collaborative processes which Thomas Lehmen initiates and the places of conviviality and encounter that Felix Ruckert creates might be seen as instances of the kinds of encounter and relational invention Bourriaud discusses. In a very different way, the interactive question and answer section at the end of Xavier Le Roy’s Product of Circumstances, and the kinds of activities generated as part of his E.X.T.E.N.S.I.O.N.S. projects (1999-2001) exemplify the use of critical tactics that bring about the new kinds of aesthetic relations that Bourriaud identifies. The game-like structures of Le Roy’s Project (2003) might be seen as a performative representation of such strategies. I shall show that it is these kinds of performative representations which Self Unfinished and Véronique Doisneau use to stage a meeting or encounter between a solo dancer and his or her audience. While acknowledging the pertinence of Bourriaud’s insights into the recent emergence of these kinds of artistic activities, Bojana Kunst suggests that the institutional positioning of this relational work requires further interrogation. Many of the projects Bourriaud writes about, she argues, “belong to an institutional community of work that fetishises mobility, participation and communication”. 10 In Kunst’s view, Bourriaud’s analysis is in danger of affirming and celebrating a particular stage of globalised capitalism. Any critical potential that these recent artistic Revisiting ‘No To Spectacle’ 53 Fig. 3: Xavier Le Roy: Self Unfinished. Foto: Katrin Schoof practices may have, Kunst warns, becomes lost in Bourriaud’s account of “the fluid multiplicity of ways of doing things together”. 11 Although subjectivities may dynamically interact in such work, they seem to do so as empty circulating signs. Kunst reminds us of another form of contemporary mobility experienced by the “‘non-belonging’ people or groups of people [who] move in the invisible and deadly channels of illegality, poverty, invisibility, and escape”. 12 Rather than celebrating new artistic forms of mobility and participation in an uncritical way, it is necessary to interrogate the critical potential of the new kinds of artistic projects Bourriaud has identified: to what extent can they resist recuperation by the processes of institutionalisation and globalisation? The kind of performative presences projected within Véronique Doisneau and Self Unfinished offer two such sites of resistance. Rather than seducing the audience with the kind of charismatic presence popular in the first half of the twentieth century, Le Roy presents a figure that challenges ideas about what it is to be human. Similarly, Doisneau presents a performance of powerlessness and vulnerability that, I suggest, prompts beholders to reflect on their own responsibility for those who don’t count or don’t belong. Both solos therefore stage a relational aesthetic that is grounded in ethics. What the body can do Self Unfinished was made in 1998 and has been performed many times since then in theatres and during dance festivals around the world. It was Le Roy’s breakthrough piece and has become, in effect, a modern classic. It was set in a cold, almost clinical, white box - the negative of the classic black box studio theatre. Towards the back of this was a square table with black metal legs and white top, with beside it a black, plastic, stackable, metalframed chair. Downstage left was a portable radio cassette player which was not actually used until right at the end when Le Roy switched it on to play Diana Ross’s Upside Down before leaving the stage. By then the beholder had indeed seen Le Roy upside down a few times, and the song’s lyrics seemed to offer an ironic commentary on the rest of the movement material he has just presented: “Upside down, Boy, you turn me/ Inside out/ And round and round”. The choreography consisted of three sections, each of which started with Le Roy sitting at the table in a particular position in profile. Hands, palm down, on the table in front of him, he slowly bowed forward until his forehead touched the table between them. Just as slowly he then returned to an upright position. This provided a prelude for a series of abstract movement sequences that all contained roughly the same kinds of actions along a fairly similar track through the space: up from the table, along the back to a point where he sometimes lay down full length with his back to the audience, then moving on diagonally across the floor to a position down stage from the table, then back to it. Throughout Self Unfinished, Le Roy proceeded at a slow pace performing similar kinds of unusual but unimpressive and inexpressive movement sequences. The floor of the studio where I recently saw Self Unfinished creaked 54 Ramsay Burt at one particular point just by the table, and this creek became for me a minor staging post in the piece, which was in effect a series of linear sequences. Sometimes he crawled under the table, sometimes leaned upside down against the back wall in a hand stand, his back to the audience. Indeed, like the dancers in Yvonne Rainer’s canonical 1966 piece Trio A, he never faced them or made any eye contact. The first sequence was made up of robotic isolated movements of the arms, head and torso each of which Le Roy accompanied with a distinct mechanical noise such as a child might make while playing with toys. The second sequence was performed wearing a black stretch cotton tube that hid his head and almost seemed to turn his body into two pairs of legs connected with a bare midriff. This looked particularly strange when he did a handstand against the back wall. The third sequence began with Le Roy moving while curled up in a foetus-like position. Then, having undressed, he progressed in a crab-like posture around the floor, slowly and with difficulty coordinating his limbs to kick over the table and then did another handstand against the back wall. How Le Roy moved is, of course, the crux, because he didn’t show any obvious signs of conventional training. In his autobiographical lecture demonstration Product of Circumstances (1999), he explained that he had taken a lot of dance classes, many in Cunningham technique. With his long, gangling body he found his back lacked flexibility, and he had never been able to achieve the kind of polished mode of performing that is generally looked for during an audition for a mainstream dance company. At the same time, recently watching Le Roy present the dry, abstract, task-like movements that make up the material for Self Unfinished, I couldn’t but be aware that he had performed it so many times. He had the kind of focused bodily awareness about what he was disclosing to the beholder that I find compelling to watch. Self Unfinished was thus very low tech, both in terms of the technical demands made on theatrical resources and in terms of conventional dance technique. At the same time, however, it was extremely rigorous in its exploration of what bodies can do and surprising in its range of new ways of moving. I do not mean by this that he extended our experience of aesthetically pleasing kinds of contemporary dance movement; merely that we generally don’t see people as social beings moving like this. The effect here is markedly different from that of Steve Paxton’s State which I described earlier. Whereas I argued Paxton’s piece suggests that everyone can be interesting on stage and has creative potential, Le Roy has found movement possibilities whose blankness suggests an emptying out of those rhetorical elements that conventionally signify the kind of human values underpinning ideas about creativity. The choreography of Self Unfinished offered a kind of unconventional expressiveness that cannot be recuperated within the institutionalised discourses of artistic modernism. This is exemplified in the section where he disguised his body in a stretch cotton tube. Bending over so that his head was near the ground, Le Roy reached up his back to take off his shirt while at the same time unfurling a black stretch cotton tube that was underneath it. This covered his torso, head and arms so that his body now resembled two pairs of legs, each clad in black, connected by a bare midriff. While his ‘real’ legs were in trousers, his arms seemed to be in a narrow, black skirt that reached down to the floor. At times it reminded me of the purple tube in which the dancer bends and stretches during Graham’s Lamentation. In this costume, Le Roy walked around with the palms of his hands flat against the floor, his fingers pointing towards his toes, so that his body resembled two pairs of legs performing a couple dance. When he did a handstand with his feet against the wall, the stretched black Revisiting ‘No To Spectacle’ 55 triangle of his skirt made his hands at the bottom look like feet and his legs and feet at the top like arms and hands. If one read his body in this inverted way, the implication was that he had no head. 13 Le Roy’s object-like treatment of his body, here and elsewhere in the piece, seemed emptied out of the rhetorical signs of humanity that I suggested earlier act as emblems of an ahistorical artistic modernism. Read in the context of the institutionalized tradition of the charismatic soloist in modern dance that I discussed earlier, Self Unfinished refused to supply a reassuring aesthetic experience that offers a fantasy of coherence and mastery at a time of fragmentation and alienation. Indeed Self Unfinished might be taken as a symptom of these modern ills rather than a means to alleviate them. What, I suggest, it performs is an explicit repudiation of normative modernist ideologies by articulating affective qualities that are enduringly resistant to the institutionalisation of such ideologies. 14 Parts of Self Unfinished were funny, but I felt that some of the audience also laughed at things that were, perhaps, so strange that they were potentially disturbing. Such laughter was, perhaps, a defensive mechanism, an avoidance of considering the consequences of what these movements were proposing. There was something inhuman about the unfinished self or fragmentary subjectivity that Le Roy was performing. In referring to the inhuman, I am thinking here of a discussion of it that Judith Butler has recently excavated from Theodore Adorno’s writings on morality. When Adorno was invited to join the Humanist Union, he replied: “I might be willing to join if your club had been called an inhuman union, but I couldn’t join one that calls itself ‘humanist’”. 15 Butler suggests that Adorno thought the inhuman at least identified a starting point for critically interrogating how the human is defined and investigating the factors that determine the limits of any such definition. The inhuman, she argues: becomes a way of surviving the current organisation of ‘human’ society, an animated living on of what has largely been devastated; in this sense, ‘the inhuman’ facilitates an immanent critique of the human and becomes the trace or ruin through which the human lives on. 16 Adorno was, of course, deeply pessimistic in his view of the difficulties surrounding subject formation under the condition of modernity. His pessimism was rooted in disappointment and disillusionment with the devastation of contemporary life, but one should not, however, make the mistake of reducing this to nihilism. This, I suggest, is also true of Self Unfinished. It is a piece in which Le Roy has critically interrogated the way dance is defined by exploring the limits of what is generally considered to be dance. If we do not laugh away our discomfort when we see someone moving in a way that seems to be right at the edge between human and inhuman, we may become aware of a trace of something that somehow resists the dehumanisation of contemporary life and lives on despite it. Le Roy is not as pessimistic as Adorno. There is humour in the piece and much of the audience’s laughter is by no means just defensive. In an extract from an email to Le Roy reproduced in the programme and on Le Roy’s website, Yvonne Rainer writes: “By the time you’re into the contortions with the dress, we’re given this extraordinary hybrid creature that confronts us with a multiplicity of interpretations”. 17 In a practical, deliberate way, Le Roy has used Self Unfinished to expand our conception of what dance might be in ways that propose a multiplicity of previously unconsidered possibilities. The fact that these have not yet been considered is surely linked with the way they threaten the kind of existential romanticism endemic in the genre of institutionalised contemporary dance to which some audiences have become habituated. 56 Ramsay Burt Fig. 4: Jérôme Bel: Véronique Doisneau. Foto: Icare Ethics and Powerlessness The programme for Véronique Doisneau credits Bel for the conception and direction of the piece but avoids using the term choreographer. In the work, choreography borrowed from Jean Coralli and Jules Perrot, Merce Cunningham, Mats Ek, and Rudolf Nureyev (after Petipa and Ivanov) is contextualised and framed by Doisneau’s introductions and commentary. Ostensibly the piece takes the form of a lecture demonstration in which the dancer introduces a few of her favourite extracts from the repertoire of the Ballet of the Paris Opéra. In the process however, the piece engages in a critical reflection on the nature of performance and its institutional context. By including extracts borrowed from La Bayadère, Giselle, Swan Lake, and Cunningham’s Points in Space, Bel was, in Thomas Crow’s terms, ambitiously recapitulating the sequence of works to which his piece belonged. As I noted earlier, Doisneau was not one of the ‘étoiles’ (principal soloists) at the Paris Opéra but a ‘sujet’ who, as she explains, dances in the corps de ballet but sometimes performs minor roles. The piece was made just before she retired from the company. Audiences never hear a ballet dancer speak on stage during a ballet performance; off-stage it is only ever the best known and most popular prima ballerinas who are interviewed, never ordinary dancers like Doisneau. When she therefore told the audience that she didn’t like dancing in the choreography of Roland Petit or Maurice Béjart, she was expressing opinions that, as a relatively junior member of the company, she would not ordinarily be expected to have. When performed at the Paris Opéra, Bel’s piece gave Doisneau an opportunity to be heard by an audience most of whom had perhaps not noticed her until then, especially when she was one of the corps in the background behind a classical pas de deux. The piece made the audience notice someone who would not ordinarily count and who they would normally therefore ignore. In a matter of fact way, Doisneau described her work as anyone might talk about their job. Wearing practice clothes, with a small radio microphone by her mouth, and carrying a plastic bottle of mineral water, she told the audience how old she was, about her children, the amount she was paid each month, and how long she had been in the company. She also mentioned a severe injury which may have stopped her progressing beyond ‘sujet’. It is almost more embarrassing to hear someone admit how much or how little they earn than it is to see them undress in public. Similarly the physical risks and dangers of dancing are ordinarily a taboo subject. Doisneau was not sharing intimate confidences with her audience, merely stating factual information. The piece therefore Revisiting ‘No To Spectacle’ 57 established her socio-economic status and physical vulnerability in order to ground her performance in an extensive network of relations between ballet and the social, and thus deflate the transcendental fantasies that performances of La Bayadère, Giselle, and Swan Lake normally attempt to evoke. After this uncomfortable introduction, Doisneau went on to say how inspiring she had found it working for Rudolf Nureyev. As an example of part of the repertoire that she enjoyed performing, she danced, on her own, a third of a pas de trois in Nureyev’s restaged version of La Bayadère. As she performed, she made her own musical accompaniment out of a series of ‘tum-ti-tums’ like someone rehearsing dancers in a studio. One could tell from a strain in her voice which movements were the most demanding, and one could hear her becoming increasingly out of breath as the extract progressed. At the end, she took her time to get her breath back, sipping water, her heavy breathing broadcast throughout the auditorium. Her exhaustion was perhaps surprising. Not only had the stately quality of the material she performed not seemed especially strenuous, but ballet dancers conventionally strive to create an illusion of effortlessness. Doisneau’s exhaustion in real time effectively deflated the ballet extract’s ethereal connotations. Furthermore, watching her get her breath back was boring, making the beholder uncomfortably aware of the mundane reality of their own embodied experience of inactivity in contrast to the escapism normally offered by Romantic ballets. Doisneau’s performance was entirely lacking in the customary deferential formality that characterises self-presentation by members of ballet companies, although everything she said and did was carefully calculated and by no means casual. Clarity and precise execution are characteristic of ballet as an art form, but had the particular effect, in this instance, of keeping Doisneau’s narrative from becoming sentimental. Towards the end, having expressed her admiration for her fellow ‘sujet’ Céline Talon, Doisneau sat at the front of the stage, her back to the audience, and watched Talon dance one of Giselle’s solos from Mats Ek’s modern version. Following this, she carefully ensured that her own clapping outlasted the audience’s applause, maintaining an ironic distance that inferred her own capacity for self-reflection. Doisneau then explained some home truths about dancing in the corps de ballet. Some of the most beautiful moments to watch, she said, are horrible to perform. The thirty two swans in Swan Lake have long, still moments when, as she put it, they become human decor to make the stars seem special (“à fin de metre en valeur des étoiles”). Doisneau confessed that moments like these made her want to howl or leave the stage. Then, asking the sound technician to switch on the recording of her music, Doisneau performed alone her part of the corps’s material from the second act of Swan Lake with all its excruciating, held poses. By showing the audience what she had just been talking about, Doisneau brought their attention to the vulnerability of those who do not count and whose suffering, in this kind of spectacle, is the price paid for the audience’s gratification. This is what I am calling a performance of powerlessness. Thus far I have emphasised the way Bel’s piece is grounded in an ethical, relational aesthetic that critiques the conventions and traditions of ballet. I claimed earlier, however, that it intervenes within the modern dance tradition. Modern dance artists and their chroniclers have often identified the merits of modern dance by criticising supposed deficiencies within ballet. Thus, for example Isadora Duncan attacked the ‘unnaturalness’ of ballet movement. Hence also Marcia Siegal valorised the supposedly rugged vigour of American modern dance in contrast with what she characterised as the effete decora- 58 Ramsay Burt tiveness of the European ballet tradition. 18 In Véronique Doisneau, Bel’s use of ballet repertoire to critique ballet can therefore be seen as one more skirmish in a long running conflict between rival constituencies. Since Bel is one of a generation of dancer artists who have absorbed the practical implications of recent dance theory, he may well know Sally Banes’s discussion of reflexive modernist choreography. Banes defines this as work that is not merely about unadorned movement for its own sake but choreography whose formal elements are so foregrounded that they can be seen as revealing essential characteristics of the medium. In addition to this, Banes requires that the work should not merely be itself but should be about being the kind of thing it is. 19 While the extract that Talon performed from Ek’s Giselle could be read in conventional narrative terms, all the extracts that Doisneau herself performed divested ballet movement of these narrative and expressive properties. The way Doisneau sang her own basic accompaniment, or performed half a duet in isolation, or danced a large unison group’s movements on her own, emphasized her singular presence, in what is normally a collective activity. This stripped the dance material of the qualities and associations it might otherwise have carried. It was no longer even about interesting movement design for its own sake but just about movement itself. By default it thus fulfilled the conditions Banes has laid down for a modernist work. This formalist reading, however, can not account for the ethical discourse I am suggesting the solo puts into circulation. Bel flattened and decontextualised the material he cited. I noted earlier Susanne Langer’s admiration for the high seriousness and fervour of Mary Wigman’s dancing. In contrast with this, the carefully unsentimental and inexpressive way Doisneau executed her dance material suggests an emptying out of what it means to be human. Resisting dehumanisation Both Le Roy’s Self Unfinished and Bel’s Véronique Doisneau used an aesthetic of emptiness to show what is required to survive the dehumanising effects of institutional structures. Just as it is women who create human decor behind the stars in nineteenthcentury ballets, so it is predominantly women from poor countries who, as Kunst puts it, “move in the invisible and deadly channels of illegality” that produce an unending supply of cheap goods and services for affluent western consumers. By dancing alone one half of a solo or the corps’ material from the nineteenth-century repertoire, because of the frame put in place by Doisneau’s spoken commentary and the piece’s conceptual premises, Doisneau foregrounded the uncharismatic presence of one of these women who do not count, replicating precisely their dehumanised, object-like status. Just as I argued earlier that Le Roy’s subtly humorous pessimism prevented Self Unfinished from lapsing into nihilism, I am not suggesting that we read Doisneau’s performance of powerlessness as a nihilistic gesture. Instead, I am proposing that the kind of contemporary disappointment which both these pieces articulate can become an incentive for resisting dehumanisation. Le Roy’s investigation of what seems inhuman reminds the beholder of what is needed to become human, while Bel’s piece prompts the audience to take responsibility for the excruciating actions that invisible others have to perform to service the audience’s requirements as privileged consumers. The consistency and clarity of Le Roy’s choreography and Bel’s artistic direction, the validity and relevance of their critiques, and the rigour and economy with which this is followed through, propose positive aesthetic values commensurate with the moral challenges of contemporary life. Revisiting ‘No To Spectacle’ 59 Notes Part of this essay was originally presented at the conference Solo? in Contemporary Dance, Bo aziçi University, Istanbul, 6-7 October, 2007, as part of the idans Festival. 1 Yvonne Rainer, Work 1961-73, Halifax, N.S 1974, p. 51. 2 Claire Rousier (ed.), La danse en solo: Une figure singulière de la modernité. Pantin 2002, p. 8. 3 Thomas Crow, Modern Art in the Common Culture, New Haven and London 1996, p. 212. 4 Susanne Langer, Feeling and form : a theory of art developed from ‘Philosophy in a new key’, London 1953, p. 206-07. 5 Curt Sach, World history of the dance, New York 1937. [Eine Weltgeschichte des Tanzes, Berlin 1933] 6 Richard Dyer, Stars, London 1979, p. 35. 7 Lucy R. Lippard, Six years: the dematerialization of the art object from 1966 to 1972, London 1973. 8 Nicolas Bourriaud, Relational Aesthetics, Paris 2002, p. 28. 9 Claire Bishop, “Antagonism and relational aesthetics”, in: October 110, Fall 2004, pp. 51-79. See also Francis Halsall, Julia Jansen and Tony O’Conner, “Editorial introduction: aesthetics and its objects - challenges from art and experience”, in: Journal of Visual Culture, 5(3), pp. 123-6; Toni Ross, “Aesthetic autonomy and interdisciplinarity: a response to Nicolas Bourriaud’s ‘relational aesthetics’”, in: Journal of Visual Culture, 5(3), pp. 167-81; and Bojana Kunst, “Sodelovanje in proctor / The collaboration and space”, in: Maska 21(101-102), 2006, pp. 80-87. 10 Kunst 2006: 83. 11 ibid. 12 ibid., 82. 13 One might also read this image in relation to Georges Bataille’s use of the idea of an ‘acéphale’ or headless man. 14 In Product of Circumstances, Le Roy points out that Western European dance companies benefit from supportive arts policies and funding, but a side effect of the way these systems work has been the creation of a format which has “influenced and sometimes to a large degree also determined how a dance piece should be. Most of the time, producers and programmers have to significantly follow the rules of global economy.” Quoted in Helmut Ploebst, No Wind No Word: New Choreography in the Society of the Spectacle, Munich 2001 p. 65. 15 Theodore Adorno, Problems in Moral Philosophy, Stanford 2001, p. 169. 16 Judith Butler, Giving and Account of Oneself, New York 2005, pp. 105-06. 17 www.insituproductions.com 18 Marcia Siegel, Shapes of Change, New York 1981, p. 307. 19 Sally Banes, “Letter (‘Terpsichore in Combat Boots’)”, in: TDR T-121 Spring 1989, p. 14. Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Postfach 25 60 · D-72015 Tübingen · Fax (0 7071) 97 97-11 Internet: www.francke.de · E-Mail: info@francke.de Die Zeit um die Jahrtausendwende ist von einer Epochenschwelle in der Erinnerungs- und Gedächtniskultur geprägt: Während die Zeitzeugen des Zweiten Weltkrieges zunehmend aussterben, suchen sich die Nachgeborenen, die zur Vergangenheit keine biographische Verbindung mehr haben, ihren eigenen Zugang. An die Stelle individueller und unmittelbarer Erinnerungen tritt bei dieser Erinnerungsliteratur zweiten Grades eine medial vermittelte, kollektive und kulturelle Form von Memoria. Methodisch im kulturwissenschaftlichen Forschungsfeld der Erinnerungstheorien verortet, untersucht die Studie, mit welchen textuellen Strategien diese Schwellensituation in Dramen der zweiten französischsprachigen Autorengeneration inszeniert und verhandelt wird. Dabei etabliert die Autorin mit dem zugrunde gelegten Dramenkorpus erstmals ein Kompendium zeitgenössischer frankophoner Dramatiker mit dem Fokus Memoria, dessen Einzeltexte bislang nur marginal Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchungen waren. Christine Felbeck Erinnerungsspiele Memoriale Vermittlung des Zweiten Weltkrieges im französischsprachigen Gegenwartsdrama Mainzer Forschungen zu Drama und Theater, Band 38 2008, 377 Seiten, €[D] 78,00/ Sfr 132,00 ISBN 978-3-7720-8257-3 Fig. 1: Raimund Hoghe: Swan Lake, 4 Acts. Foto: Rosa Frank An Audience with the Other: The Reciprocal Gaze of Raimund Hoghe’s Theatre Mary Kate Connolly (London) The house lights fade, strains of Tchaikovsky’s Swan Lake begin to fill the space. Familiar to the ear, yet altered in some way - the music sounds scratchy, distant, an old gramophone record perhaps - the majesty of the music faded with repeated playing through the passing of the years. It is a recording that evokes a bygone time, an eroded glamour steeped in memories. In the shadows of the dimly lit stage, a man stoops to light a tea light, placing it in the centre of a miniature stage model. The glow fills the box-like miniature at the back of the stage; it is difficult to see from the audience seats, faint, indiscernible and dreamlike. As the man stands, his silhouette becomes visible in the gloom - he is small in stature and clad in black. His outline is unusual, broken, and as he turns a hump is barely visible beneath the back of his shirt. His name is Raimund Hoghe. The site of confrontation between performer and spectator is an unusual space. One, perhaps, of observation and contemplation, occasionally one of objectification and occasionally one of exchange. There can exist an uneven power play between performer and spectator. Does the power and agency rest with the performer who dazzles with display, transporting the viewers where he wills and thus distinguishing his identity as being above the mass of spectators? Or indeed is the performer objectified by the powerful eyes of so many viewers - onlookers imbued with a predilection to love or loathe what they see, and thus to dictate the worth and merit of a performance? The notion of gaze is fruitful in this context. The audience members look where they please, focusing on whatever aspect of the performance they wish and forming associations and opinions of their choosing. Does the performer look back? Is it possible to return a steady gaze from the stage? In this judgemental and fleeting environment, how much influence can a performer really be expected to exert over how he is viewed? And what of these questions when applied to a ‘marginal’ body - a body which does not comply with societal or performance norms? An individual who could be deemed as Other, an individual whose physicality ensures he lives life under the gaze of spectators…in the street, at the beach and on the bus. What of this performer’s agency when his imperfections are held amid the glare of spotlights on an unadorned stage? Could there be, ironically in that space of scrutiny, a kind of power exchange and reciprocity between performer and spectator? In the case of Raimund Hoghe’s theatre, do the trump cards actually remain with the crooked figure who inhabits the stage? Hoghe, a performance artist and choreographer with severe curvature of the spine, Forum Modernes Theater, Bd. 23/ 1 (2008), 61-70. Gunter Narr Verlag Tübingen 62 Mary Connolly draws on many sources for inspiration. These find expression in the artistic collages which he creates in his performances, through the layering of imagery, music, movement and spoken word. He creates images of melancholy beauty from subtle choreography, a dramatic employment of stillness, and a unique use of mundane objects, stark lighting, evocative popular and well known music, and the spoken word. His choreography contains a multiplicity of themes, and an ability to convey these multiplicities without labouring any one idea, thus producing a heavily layered spectacle. Questions of agency, the power of gaze and a performer’s representation of the body prove worthy of investigation in any performance environment - the mechanics and exchanges between those on stage in the light and those in the darkened audience seats - the visible and the invisible. This article aims to explore what happens to these facets of performance when a marginal body is put on stage, and how a performer might choose to negotiate this delicate interplay. Raimund Hoghe’s work provides a complex and interesting subject in this investigation, due both to the elements of Hoghe’s physicality and his chosen modes of representation, and also the situation of his work within the sometimes exclusive canon of dance performance. “Theatre”, says Hoghe is a place “where people come to gawk”. 1 In Hoghe’s performance, the audience is invited to look, to consider, and be made aware of the many ruptures and reflective questions which a body such as Hoghe’s evokes in a theatre setting. He also states that, with the advent of technology, we will soon be able to “choose” our bodies, and that in this environment the importance of confrontation with his body is heightened. 2 Not only does Hoghe’s physicality serve as a reminder of bodily discrimination in the past, but it provides an immediate confrontation which forces viewers to consider their feelings and attitudes towards difference and imperfection. Hoghe suggests that audiences today cannot identify with his body because it does not conform to contemporary ideals of beauty. 3 Gerald Siegmund disagrees, asserting that Hoghe’s body “enables us to experience reality through proportions that do not comply with the norm”. 4 Perhaps, as the idolization of perfection and beauty progresses in society, the value of different bodies will increase as a result of their difference. Bodies such as these will attest to the imperfections and flaws which everybody shares, and thus, prove a release from the quest for an unattainable physical reality. It is necessary at this point to clarify that the concept of Other grew out of colonial and post-colonial discourse and theory, as developed by writers and academics such as Edward Said, Homi Bhabha and Gayatri Chakravorty Spivak in the wake of the postwar dissolution of colonial empires. 5 Conceptualising the way in which the West viewed those whom they colonised, in terms of Subject (The West) and Object (the subaltern colonised), theorists sought to expose the power/ knowledge relations and discourses inherent in colonisation, developing the terms Self and Other. This notion of Other has since been extended to explore other manifestations of subaltern due to gender, sexuality, ethnicity and identity. Hoghe could be viewed as Other due to his physicality and his homosexuality. In the realm of his performance both elements find expression, but it is his physical appearance which usually first confronts the spectator from the stage, and is clearly of much relevance given the import which displaying the imperfections of his spine and torso carries in his performance. Hoghe’s curvature of the spine is significant onstage, not necessarily because it imposes limits on artistic possibility, but due rather to the clear signal of difference which it presents, and therefore the sense of Other which is attached to such a body. An Audience with the Other 63 Whilst initially spectators might situate themselves comfortably as Self, at a detached vantage point on one side of the dividing line between stage and audience, to view the Other across the seemingly impassable divide - a curious and at times uncomfortable interchange can be felt amid the confrontation with Hoghe’s world. The lines between Self and Other, once so clearly marked and keenly felt, become fluid, blurred and eerily selfreflective. Reflection of Self in Other In a theatre environment, where dancing bodies can be subject to audience gaze and possible objectification by virtue of the public display inherent in performance, a body such as Hoghe’s can surprisingly produce an uncomfortable level of self-reflection in the spectator. Discussing the myth of the perfect body, Roberta Galler suggests that “just as society creates an ideal of beauty which is oppressive…it creates an ideal model of the physically perfect person who is not beset with weakness…or pain”. A non-normative body onstage undermines such an impossible notion of beauty and reminds us “how tenuous that…myth of the perfect body really is”. 6 Such self-reflection can be both disruptive and liberating. Confrontation with ‘imperfection’ as constructed by societal values can force one to confront one’s own “limitation and lack of perfection, towards oppressive myths, standards, and social conditions which affect us all”. 7 Acknowledging the ‘perfect’ body as indeed being essentially mythical and unattainable could however prove a liberation from the reigning ideologies of beauty and the quest for bodily perfection, rather than a reinforcement of the sense of failure produced by unachievable goals. When considering Hoghe’s work under the umbrella of dance rather than performance or live art per se, it is worthwhile examining the heightened significance of the excluded body inhabiting the often exclusive dance stage. The preferential mindset often prevalent in the dance world towards bodies which are lean, strong and rigorously trained has been explored in numerous contexts. 8 Such a mindset is frequently associated with classical ballet, which interestingly finds referential aspects in Hoghe’s works such as Swan Lake, 4 Acts. “In ballet”, ventured Adrian Stokes in 1935, “the human passions are expressed by the gradual uncontorted curves and straight lines of the extended body”. 9 Hoghe chooses at times to present images of classical ballet as a representation of ideal beauty and perfection in his works while also manipulating balletic imagery to produce a sense of rupture of certain cultural norms. An example of this rupture can be found in the juxtaposition of Hoghe’s body alongside the aging but highly classically trained body of dancer Ornella Balestra. The invasion of Hoghe’s non-conformist but at times hauntingly beautiful bodily alignment, obviously influenced by the curvature of his spine, and the outlines which his crooked form makes in his choreography, on a stage awash with the score of Swan Lake, thus do much to subvert the classically biased equation of able, upright bodies with aesthetic value. Hence a re-evaluation of some of the prevailing assumptions regarding dance becomes necessary in light of Hoghe’s choosing to place his body on stage, creating ‘choreographies’ and in some cases being classified as a dancer. Exploring issues of dance and disability in her book Choreographing Difference, Ann Cooper Albright asserts that when a “disabled dancer enters the stage, he or she stakes claim to a radical space, an unruly location where disparate assumptions collide”. 10 This space is radicalised in the case of Hoghe’s performance due to the replacement of Self, i.e. an instantly recognisable body as one which complies with the expected values and aesthetics of a dancing 64 Mary Connolly body, with Other; a body which does not comply. In this scenario should Hoghe be viewed as one who has ‘overcome’ a physical disability or difference to become a dancer, or rather does Hoghe on his contextual stage undermine performance preconceptions to challenge the very notion of what indeed constitutes a dancer? Hoghe’s body on stage in itself invites audiences to confront issues of Other, examine perceptions of beauty, and perhaps find solace or even an inability to identify with this different individual and his physical presence. Merely the unapologetic presence of difference conveys an invitation to regard the reflection of Self in the image of Other and places an onus on the audience to ponder, but only if they wish to. An Empathetic Audience with the Other In the stark landscape of Hoghe’s stage layout, a certain frankness is to be found. An appearance of intimacy, and the overriding sense that a private and marginal body has been made public, abound. There is a palpable sense in Hoghe’s spectacle that not only is the audience tentatively examining a strange body onstage, but that Hoghe too is confronting his own physicality and its potential and implications amid a performance environment. Thus the audience watches Hoghe as he tests and judges his body, and in doing so the audience is invited to share empathetically, if not physically, in the experience. In the early stages of Meinwärts, Hoghe appears at the back of the stage, his naked frame lit from above. A jump propels him into the air where he snatches hold of a trapeze bar hung low in the gloom, and begins to swing slowly from it. The strange contours of his back are illuminated, ever changing as they swing in and out of shadow. Exhaustion prevailing, Hoghe drops to the floor for a brief rest before repeating the action once more. This sequence is repeated continuously until he can bear to hang on for only a moment before dropping from the bar. In this simple, contemplative sequence, a double confrontation can be observed: that of Hoghe, exploring and testing the limits of his physicality, and the audience watching him in this physical struggle, confronted with his naked body and invited to look, and to contemplate. In this way, Hoghe’s body, especially when his back is displayed to the audience, can be seen to take on a further reflective quality. The viewers are prompted to consider not only their personal reactions evoked by the immediacy of the flesh in performance, but also to engage more widely with notions of Other and difference. In addition to the opportunity to view Hoghe’s body from the outside, the spectator is sometimes allowed a fleeting insight into Hoghe’s bodily experience from the inside. Due to the curvature of his spine for example, certain movements or prolonged positions may be uncomfortable for him to perform. At times he finds ways of transmitting this discomfort to the audience through his sustained pace of performance. Rather than trying to hide discomfort, Hoghe allows the audience to witness his physical difficulty, and thus experience the reality of a non-normative body. This can be seen in the Meinwärts trapeze sequence, Hoghe swinging from the bar until physical exhaustion renders him incapable of doing so. In Swan Lake, 4 Acts, both his careful assuming of the ‘Swan’ pose in arching forwards to raise his arms behind him while kneeling, and the long duration for which he holds the position, prompt the audience to become aware of their own bodies and the discomfort they feel in remaining still for such a long period. The identification between performer and spectator during these sequences is revelatory and unusual, as in many forms of dance such as classical ballet, performers strive not to convey the physical pain and exhaustion they may be suffering. In An Audience with the Other 65 Fig. 2: Raimund Hoghe: Lettere Amorose. Foto: Luca Giacomo Schulte Hoghe’s case, the brief insight into his physicality which this allows from his standpoint may be an uncomfortable one for the viewer to experience. ‘Sizing Up’ and a Subtle Manipulation of Gaze In addition to the marginal or Othered body capturing the dance stage, there is also the consideration of how and where such a body ‘fits’ onstage both physically and metaphorically. There exists in Hoghe’s choreography, a preoccupation with the measuring and taking account of his body in its environment. Hoghe often explores the dimensions of his body in relation to its proximity to objects within the performance space. In Meinwärts, he lies on the floor, placing an object beneath the nape of his neck, marking the point of contact between his body and the floor. He repeats this action each time he repositions himself on the floor. In Lettere Amorose, outstretching his arms, Hoghe “turns himself along the back wall of the stage thus measuring its distance according to the form and dimension of his body”. 11 Alongside these assessments of body in relation to space, Hoghe performs gestures which measure and draw attention to the dimensions within his body, for example the distances between limbs or between the contours of his misshapen spine. In Lettere Amorose, the curvature of Hoghe’s spine is marked by a red line drawn down his back. In Meinwärts he uses a red stick to highlight the crookedness of his back, drawing the stick methodically over its contours. Another Dream sees Hoghe execute a series of repeated gestures, stretching out his thumb and forefinger to create a fixed length of space between them, and then routinely placing thumb and forefinger on his arms, neck and torso, assessing in a way the dimensions of his body. This sequence is performed to the saccharine lyrics of the Mamas and Papas’ song, Dream a Little Dream of Me, a revealing juxtaposition given the disparity between the vision of idyllic love conveyed in the lyrics of the song, and the reality and limitations of Hoghe’s physical differences. This measuring of his body within the space is an interesting exploration of how Hoghe’s body ‘fits’ onstage, and what space it occupies, perhaps both physically and metaphorically. Imbued in this ‘sizing up’ of sorts is a potential to manipulate and guide the audience’s gaze in a particular fashion. Far from being trapped under the watchful eyes of many, on Hoghe’s stage a subtle guidance of how the audience looks, and why, is at work. The concept of ‘manipulation of the gaze’ as developed by Laura Mulvey (1975), has been explored in light of various concerns, such as the gaze of an audience with regard to the objectification of performers, and questions of agency and power relations between spectator and performer. 12 In The Male Dancer, Ramsay Burt alludes to a “roundtable discussion on movement and gender” with artists Johanna Boyce and Bill T. Jones. Boyce is quoted as saying that she imagined “that being on display is a fearful thing for a man because it is a situation in which he doesn’t have total control or empowerment [over the spectators]”. 13 Whilst this may be true for some male dancers, the same does not seem to apply to 66 Mary Connolly Fig. 3: Raimund Hoghe: Lettere Amorose. Foto: Rosa Frank Hoghe, an individual who by virtue of his unusual body is looked at, both on stage and in the street during his daily life. Burt suggests that perhaps Hoghe has found in his work “a way of projecting a presence that allows him to take control of the way we in the audience look at him looking back at us”. 14 This notion of control would seem crucial in Hoghe’s performance, and is something which he has mentioned in discussion. Whilst he cannot control the way in which people scrutinise him “at the swimming pool” for example, onstage he can carefully manipulate the audience’s gaze in a particular way. 15 Thus for instance when he disrobes on stage, the audience can view only his naked back - he always covers the front of his body when turned to face the theatre stalls. This manipulation of audience gaze is evident in Meinwärts when Hoghe takes a modelled cast of the contours of his back, and straps it onto the front of his torso. Slowly and tentatively, he lights a cigarette lighter and over the course of a song, passes the lighter over the cast, illuminating the curves and hollows made by the unusual landscapes of his back. This meditative approach is significant as it forces the audience to dwell on the image for a considerable amount of time. Doubly effective however is the sense that the audience is watching Hoghe as he looks at his curved back, something that without the aid of a mirror he would not normally be able to do. In this sense he appears to be exploring and coming to terms with his body along with the audience, through a careful manipulation of imagery. This evoking of a ‘double-gaze’ is also afforded in the passages of his work in which Hoghe measures his body and explores the relation and place it occupies within his surrounding performance space. Watching a sequence from Lettere Amorose in which Hoghe tests the dimensional limits of his body and assesses its measurements through the use of thumb and forefinger, the viewer as well as Hoghe is urged to consider not only the physical realities of a non-normative body, but the physical and metaphorical space which it occupies onstage. Hoghe has a keen interest in Japanese theatre, and draws much inspiration both from the use of light and shadow in Japanese performance, and Japanese attitudes towards the body in performance. “In Japan”, Hoghe emphasises, it is “the language of the body [as opposed to exposure of the face that is important]”. 16 Utilisation of light and shade are tools used in Hoghe’s choreography, not only to create striking imagery, but to control the audience gaze upon his body. The Japanese writer Junichirô Tanizaki, whom Hoghe cites as a source of his inspiration 17 wrote of the potential to “find beauty not in…[a]… thing itself, but in the patterns of shadows, in the light and the darkness, that one thing against another creates”. 18 Often a combination of these principles can be observed in the way Hoghe uses light to illuminate certain parts of his body and obscure his face. In a sequence from Dialogue with Charlotte, Hoghe, lit from above and with his back to the audience, inches towards the back of the stage. This slow sequence allows much examination of his back, and the outline of his body held in the light. His face, however, is obscured and in this way a separa- An Audience with the Other 67 tion or disembodiment is apparent as Hoghe’s torso seems in a way detached from his face and remote from his personality. This contrived appraisal of his body in such a particular fashion might afford insight into the way in which a different body such as Hoghe’s might be viewed in everyday life. This sense of bodily separation is reversed in Meinwärts when Hoghe illuminates his face but not his body, with the red glow of a torch. Within the overall darkness of the stage, this provides a dramatic image, heightened by the distortion produced by the red light. The eerie effect of this is to demonise Hoghe’s face in some way. Perhaps once again such specific guiding of audience gaze may be an attempt to convey the ways in which Hoghe has been at times viewed, perceived and accordingly Othered. By drawing the audience’s gaze in and directing it through subtle manipulations, Hoghe influences not only the way his body in particular is viewed, but furthermore the issues surrounding bodies which are considered ‘abnormal’. In this small way, Hoghe exerts control in a performance environment, a coveted control that he is not afforded in everyday life. Ironically in this at times judgemental environment of display, Hoghe’s agency as an individual and as a performer is secured. Further Bodily Implications and Representations It is perhaps fair to say that merely placing an excluded or different body onstage could be construed as simply an exercise, lacking in any huge artistic merit. After all, there are further bodily implications to be considered with regard to representation, and to present one facet alone might serve only to perpetuate a sense of difference and fail to present a body as a whole entity. In the case of Hoghe’s choreography, he chooses specific modes of representation to explore the other facets of his presence onstage in addition to the imperfections of his spine - the implications for example of a male body onstage, a homosexual body onstage, a body viewed differently when framed by other bodies of different gender and age. All of these elements find a performative voice within Hoghe’s theatre, and in turn prompt the audience to view the marginal body anew and as a whole. As a male performer, negotiation of various modes of representation concerning masculinity and sexuality is unavoidable. The development of male dancing in the fields of classical ballet and modern dance has however been constrained, according to Burt, by “conventions” and cultural modes. This has resulted, he continues, in: …first, the range of male dancing being largely limited to the expression of male dominance…over female bodies, and second, in a tough, hard vocabulary of macho movements and gestures… 19 Clearly, Hoghe’s body does not comply with these stereotypes - together with his diminutive stature and curvature of the spine, he is a man of middle years and is homosexual. The ways in which Hoghe negotiates these elements are subtle yet evocative. With a specific movement vocabulary, the framing of his body alongside athletic male and balletically trained female bodies, and a thought-provoking use of spoken word, Hoghe gently subverts such gender and bodily stereotyping. The result is a quirky performative voice which avoids cliché. Male and female gender roles and relationships are explored in Hoghe’s collaboration with Charlotte Engelkes, Dialogue with Charlotte (1998). Gender roles become blurred in this piece, revealing, according to Helmut Ploebst, “Hoghe’s irony”. 20 A striking image sees Hoghe lying across Engelkes’ lap, performing awkward swimming motions as the “mighty Aphrodite…looks into the dis- 68 Mary Connolly Fig. 4: Raimund Hoghe: Swan Lake, 4 Acts. Foto: Rosa Frank tance indifferently”. 21 Such witty subversion serves to create a “more complex portrayal of difficult human relations”. 22 Furthermore this scenario in its deployment of varying aspects of Hoghe’s physical makeup, allows his body to be viewed as a whole as distinct from merely possessing a physical difference. Hoghe is not alone as an artist who places the excluded body centre stage and produces offbeat representations of body and gender. It is in the subversion of power relationships between genders and refusal to adhere to stereotypical gender relations that a link can be traced from Hoghe’s work to that of Pina Bausch’s with whom Hoghe worked for some years. 23 Bausch can be considered (alongside artists such as Fergus Early), as a choreographer who in works such as Bluebeard (1977), and Kontakthof (1978) broke boundaries with regard to the presentation of gender. Alongside her subversion of traditional gender stereotyping, Bausch is also credited with allowing the ‘marginal’ body appear in the spotlight. 24 Discussing the politics of Bausch’s Tanztheater, Ana Sanchez-Colberg suggests that Tanztheater Wuppertal created the possibility for a “discourse other than patriarchy” to inhabit the dance stage. 25 The framing of a body when viewed beside another and perhaps contrasting one can prove provocative. Critics such as Sanjoy Roy have commented on the “drama” created in works such as Sacre - The Rite of Spring through the combination of “middle-aged hunchbacked” Hoghe and “tall, young” Lorenzo de Brabandere, a previously untrained individual who performs alongside him. 26 Despite such physical differences, both men often perform the same simple tasks together in performances, adopting a neutral and unengaged gaze. This has the effect of creating a sense of equality or acceptance of one another’s difference. Hoghe’s more intense presence at times however results in the spectator viewing De Brabandere as if through Hoghe’s eyes. Describing this aspect in regard to Sacre - The Rite of Spring, Burt asserts that while he saw “nothing queer or homoerotic in the piece”, De Brabandere “seemed beautiful because he was framed by the power of the older man’s presence”. 27 This framing can also be considered within historical bodily conceptions of ‘classical’ and ‘grotesque’. Using these terms within the connotations of their historical contexts, Cooper Albright examines the effects of disabled bodies: “within an artform [dance] that has made an icon of the statuesque…body”. She suggests that the integration of able and disabled bodies provides a “wonderful opportunity to investigate the cultural dialogue between the classical and the grotesque body”. 28 Certainly the juxtaposition of Hoghe and De Brabandere is a thoughtprovoking one, not only regarding physicality, but perhaps in relation to the multifaceted ways in which men can relate to one another in both a heterosexual and homosexual way, and the boundaries and power burdens of which these relationships are comprised. Both the presence and indeed the prevailing absence of the Othered body on our stages are significant. A dissection of Raimund Hoghe’s theatre provides some answers to the question of what happens when the marginal body captures a performance space and the disruption of cultural norms and performance preconceptions which this might effect. It seems that most certainly the space An Audience with the Other 69 between spectator and performer can be one of exchange and influence rather than objectification and reinforcement of division. Perhaps the potential for this is made ever more rich when a performing body fails to comply with preconceived societal and performance ‘norms.’ In a sense though, the mere fact that Hoghe’s presence onstage alone appears a radical gesture is cause for consideration. Whilst Hoghe is certainly not alone in his placing of the marginal body onstage, the presence of his body seems to highlight the absence and invisibility of so many others. 29 The spectator in confrontation with the Other must muse not only on his/ her personal attitudes to difference, but more vitally why a performance such as Hoghe’s should be both confrontational and deemed radical? How far, in this technologically advanced era which applauds the quest for bodily perfection, have attitudes of acceptance truly progressed? As a lover of dance, what fascinates me is that Hoghe’s appearance on stage emphasises not the marginal and exclusionary nature of dance, but a seemingly natural myriad of possibilities for inclusion and diversity. His spectacle captivates, provokes and suggests without perpetuation of division. In his 1997 documentary Der Buckel, Hoghe recounts how his childhood aspirations to be a ballet dancer were considered “absurd”. 30 The striking performative voice of Other issuing now from the stage, proves however an eloquent defiance of cultural norms and more importantly demonstrates the value of difference. For Raimund Hoghe it would seem that the potentially unruly space of theatre is in fact one under his control, one of equality and one of agency. The occupants in the auditorium provide little threat to a man for whom everyday life is a display, surrounded by uninvited onlookers. When the spectator is invited to an audience with the Other however, the gaze from the stage is reciprocal, reflective and unflinching. Notes 1 Raimund Hoghe, cited in Edith Boxberger [online, n.p.] “Der Körper widersteht” in Frankfurter Allgemeine, (2001) available from http: / / www.sarma.be/ text.asp? id=319 [date accessed: 27.04.07, translated on request]. 2 Raimund Hoghe, (2007) ‘Panel Discussion’ which took place at a ‘Writing on Performance Conference’ at the Laban Centre London, in March 2007 involving the artist, which the author attended. 3 Ibid. 4 Gerald Siegmund, [online, n.p.] “A View of The Stars Through A Pair of Red Binoculars: Raimund Hoghe’s solo ‘Another Dream’”, in Frankfurter Allgemeine Zeitung, (2001) available from http: / / kulturserver-nrw.de/ home/ rhoghe/ en/ en_fernglas.html [date accessed: 27.04.07]. 5 Edward Said, Orientalism: Western Conceptions of the Orient, London 2003 [1978, 1988]. Orientalism is considered a pivotal text within post-colonial studies. Works which have followed Orientalism have drawn on a variety of theoretical fields such as psychoanalysis, deconstructionism and feminism by writers such as Homi Bhabha, Gayatri Chakravorty Spivak, Chandra Mohanty and Aijaz Ahmad. A comprehensive selection of essays and book excerpts by key writers within the field can be found in Colonial Discourse and Post-Colonial Theory: A Reader, (eds.) Laura Chrisman, Patrick Williams, London and New York 1993. 6 Roberta Galler, “The Myth of the Perfect Body,” in: Carol Vance (ed.), Pleasure and Danger: Exploring Female Sexuality, Boston 1984, p. 167. 7 Ibid, p. 166. 8 In Making An Entrance - Theory and Practice for Disabled and Non-Disabled Dancers, Adam Benjamin (co-founder of CandoCo Dance Company), charts the progression of exclusivity within dance from its Dionysian roots, through Louis XIV’s reign in France to Fascist regimes and ethnic cleansing in twentieth century Europe, up to the present day. Adam Benjamin, Making an Entrance: Theory and Practice for Disabled and Non-Disabled Dancers, London 2002. Based on her studies of the choreographer 70 Mary Connolly Frederick Ashton and the dancers he worked with in the Royal Ballet, Geraldine Morris suggests that “the practice of allotting roles according to bodily appearance was, and still is, evident”. Geraldine Morris, “Dance Partnerships: Ashton and his Dancers”, in: The Journal of the Society for Dance Research, vol. 19 (2001), no. 1, Summer, p. 12. 9 Adrian Stokes, [1935] “Tonight the Ballet”, in: Marshall Cohen and Roger Copeland, (eds.) What is Dance? , Oxford et al. 1983, p. 244. 10 Ann Cooper Albright, Choreographing Difference: The Body and Identity in Contemporary Dance, Middletown, CT 1997, p. 58. 11 Gerald Siegmund, [online, n.p.] “Raimund Hoghe and the Art of Ritual Substitution”, from a Lecture at Kaaitheater, 26.01.04, available from http: / / kulturserver-nrw.de/ home/ rhoghe/ en/ en_lecture.html [date accessed: 27.04.07]. 12 Laura Mulvey, “Visual Pleasure and Narrative Cinema”, in: Visual and Other Pleasures, Bloomington 1989 [1975], pp. 6-18. 13 Ramsay Burt, The Male Dancer, London and New York 1995, p. 51. 14 Ramsay Burt, [online, n.p.] “Another Dream, Raimund Hoghe at the ICA, London Mime Festival” in Critical Dance (2005), available from http: / / www.balletdance.com/ forum/ viewtopic. php? t=4256&highlight= raimund+ hoghe [date accessed 20.04.07]. 15 Raimund Hoghe, (2007) ‘Panel Discussion’ which took place at a ‘Writing on Performance Conference’ at the Laban Centre London, in March 2007 involving the artist, which the author attended. 16 Raimund Hoghe, speaking in a 2002 recording of his 2000/ 01 production, Lecture Performance: Throwing the body into the fight [VHS] Courtesy of the LiveArt UK archive. 17 Ibid. 18 Junichirô Tanizaki, In Praise of Shadows, New York and London 2001 [1977, 1991], p. 46. 19 Ramsay Burt, The Male Dancer, p. 8. 20 Helmut Ploebst, No Wind No Word: New Choreography in the Society of the Spectacle, Munich 2001, p. 114. 21 Ibid. 22 Ibid, p. 113. 23 In 1979 Hoghe wrote a piece on Pina Bausch, for the periodical Theater Heute, entitled Meinwärts - Ein Zweig, eine Mauer [Minewards - A Twig, A Wall], (see: Ploebst, No Wind No Word 2001). An artistic collaboration developed between Hoghe and Bausch following this initial contact. From 1980 to 1990, Hoghe worked as dramaturge for Bausch’s Tanztheater Wuppertal. 24 Ana Sanchez-Colberg, “‘You put your left foot in, then you shake it all about…’: Excursions and Incursions into Feminism and Bausch’s Tanztheater”, in: Helen Thomas (ed), Dance, Gender and Culture, London 1993, p. 163. 25 Ibid. 26 Sanjoy Roy, [online, n.p.] “Sacre - The Rite of Spring”, in The Guardian (10/ 04/ 07), available from http: / / arts.guardian.co.uk/ theatre/ dance/ reviews/ story/ 0"2053226,00.html [date accessed: 27.04.07]. 27 Ramsay Burt, [online, n.p.] “Another Dream, Raimund Hoghe at the ICA, London Mime Festival” in Critical Dance (2005), available from http: / / www.balletdance.com/ forum/ viewtopic.php? t=4256&highlight=raimund+ hoghe [date accessed 20.04.07].Whilst Burt does not find anything “queer or homoerotic” in the moment described above from Sacre - The Rite Of Spring, Siegmund suggests that “Gay desire, men desiring other men, has become increasingly prominent in Raimund Hoghe’s recent pieces [including] Sacre - The Rite of Spring”. Gerald Siegmund, “The Mirror and the Empty Stage: Raimund Hoghe’s Staging of Desire”, in Hugo Haeghens, Fernand Haerden, Jeroen Peeters and Eef Proesmans (Eds.) Shadow Bodies. On Philipp Gehmacher and Raimund Hoghe, Limburg 2006, p. 107: Cultural Centre Maasmechelen and authors. 28 Ann Cooper Albright, Choreographing Difference, p. 76. 29 Various dance companies such as Dancing Wheels, Light Motion, Green Candle and CandoCo have sought in their production of works which contain disabled artists to disrupt the exclusionary cultural norms associated with dance. 30 Raimund Hoghe, Der Buckel (Produced for Westdeutscher Rundfunk (WDR), Germany, 1998) [VHS] Courtesy of the LiveArt UK archive. Rezensionen Lothar Pikulik: Schiller und das Theater. Über die Entwicklung der Schaubühne zur theatralen Kunstform. Reihe Medien und Theater. 9. Hildesheim: Olms, 2007, 159 Seiten. Schiller gilt als eine der zentralen Figuren, wenn es darum geht, die ästhetischen Debatten nachzuzeichnen, welche die Literarisierung des Sprechtheaters im 18. Jahrhunderts begleiten. Sein Konzept von der Schaubühne als moralischer Anstalt erfreut sich dabei ebenso ungebrochener Popularität wie seine Überlegungen zur Anthropologie des Spiels. Zugleich ist damit aber auch ein Problem einer Schiller-Rezeption bezeichnet, welche den Dichter zur Projektionsfläche der jeweils eigenen Wünsche werden lässt. Man denke nur an die in Dienstnahme der Schillerschen Idee vom “Reich der Schönheit” durch den Neoklassizismus ab 1880 oder die geistesgeschichtliche Forschung der ersten Dekaden des 20. Jahrhunderts. Über die Theaterkonzeption und Theaterpraxis Schillers und seiner Zeit wissen wir hingegen vergleichsweise wenig. Diesem Umstand trägt der Band von Lothar Pikulik Schiller und das Theater Rechnung, welcher das Theater verstanden als Wechselspiel von Zuschauer, Schauspieler und Inszenierung in den Mittelpunkt einer Schillerlektüre rückt. Dazu stellt der Autor die bekannten Dramen und dramenpoetologischen Äußerungen Schillers in Beziehung zu seinen ästhetischen und historischen Studien einerseits und zu wichtigen Debatten der Entwicklung einer bürgerlichen Schauspielkunst (Lessing, Engel, Goethe, Diderot) andererseits. Derart verdeutlicht er in sehr informativer und gut lesbarer Weise den Wandel des Sprechtheaters von den Konzepten der Rührung über den Sturm und Drang hin zur Ästhetik der Weimarer Klassik. Jedoch erschöpft er sich nicht bei einer Stil- und Epochendarstellung. Von Schillers Ästhetik nämlich übernimmt er die Denkfiguren “Stoff” und “Form” (vgl. 93f., 126f.), mit welchen er den intermedialen Übersetzungsprozess zwischen Drama und Bühne diskutiert. Unter Stoff versteht er dabei dasjenige, welches in einer Form jeweils zur Anschauung gebracht wird. “Die Bühne ist Stoff (Medium) für die Darstellung des Dramas, andererseits das Drama Stoff für seine Inszenierung” (147). Nach Maßgabe der “Stoff-Form-Dualität” (147) rückt er in drei Abschnitten die Transformationsprozesse in den Vordergrund, welche eine Aufführung im Sprechtheater vor allem konstituieren. Im Abschnitt “Zuschauer” entwikkelt er die wirkästhetischen Überlegungen Schillers, welche dieser im Anschluss an sein Konzept der moralischen (d.h. geistigen, vernünftigen, ideellen und eben nicht sittlich-moralischen, vgl. 37) Anstalt und seiner Lektüre des Erhabenen entfaltet. Dabei ist es Pikulik besonders darum zu tun, die Wirkung der Schillerschen Theaterästhetik als ein freies Spiel der Einbildungskräfte zu verstehen, welches gerade nicht eine “sittliche Belehrung” sondern das “Ergötzen” (55) des Publikums zum Ziel habe. Besonders lesenwert sind in diesem Zusammenhang Pikuliks Überlegungen zu Schillers Komödienkonzept, insofern hier die Stellung der rhetorischen Affektenlehre herausgearbeitet wird, welche dem Schillerschen Spielgedanken zu Grunde liegt. In der Komödie, so Pikulik im Rekurs auf Bergson, trete das Lachen an die Stelle der emotionalen Regung, Lachen zeichne sich jedoch durch eine ästhetische Distanz, eine “gewissen Empfindungslosigkeit” (Bergsons nach Pikulik, 46) aus. Diese ästhetische, “[b]efreiende” (47) Distanz nun verfolge Schillers Wirkästhetik, indem sie die Leidenschaften und Affekte als einen Stoff der Darstellung in dessen Form aufgehen lässt. Es wäre von dieser Überlegung ausgehend durchaus interessant, die Rezeption der antiken und klassischen Rhetorik, insbesondere der Affektenlehre bei Schiller und in der Schauspieltheorie des 18. Jahrhunderts überhaupt heraus zu arbeiten. Denn es wird in den vielen Hinweisen auf die “Autonomie” (12) des Theaters, seine “Frechheit” (12), die der Autor mit Goethe ins Spiel bringt, ja nahe gelegt, dass dieses Theater durchaus über ein Forum Modernes Theater, Bd. 23/ 1 (2008), 71-72. Gunter Narr Verlag Tübingen 72 Rezensionen affektives Kalkül verfügte, welches der Ästhetik des Idealismus und den Regeln von Sublimation und Mäßigung zu wider läuft. Das zweite Kapitel über den Schauspieler behandelt ebenfalls das Affekte-Thema. Dabei setzt Pikulik mit dem Dualismus von Seele und Körper, von Innen und Außen im Rekurs auf die bekannten Überlegungen von Lessing (zu Sainte Albine, 70ff), Engels Ideen zu einer Mimik (72ff) und Goethes Regeln für Schauspieler (76ff) ein. Die sich anbietende Differenzierung von Schauspieler, Rolle (Form), Körper und Verkörperung im Anschluss an seine Diderot-Lektüre (88ff) fällt jedoch bei Pikulik in statische Konzepte der Figur und des Schauspielers zurück. Zwar verweist er mit Recht auf die konstitutive Funktion der Erinnerung für die schauspielerische Darstellung, welche Schiller erkannt habe (92), jedoch arbeitet er die paradoxale Problematik der Schauspielkunst im Sinne Diderots an Schillers Schriften nicht heraus, wenn er konstatiert “Nicht der Affekt soll über den Schauspieler verfügen, sondern der Schauspieler über den Affekt” (92). Wenn Diderot allerdings von der “Komödie des Lebens” spricht, also alltägliches Rollenverhalten einbezieht und schließlich sich selbst als Dialogpartner und zugleich allwissender Autor und als bekennender Sentimentalist in das Paradoxon einbezieht, wie dies etwas Lacoue-Labarthe (2003) und Heeg (2000) hervorgehoben haben, dann kann von einer Verfügungsgewalt (des Schauspielers über den Affekt) nicht die Rede sein. Das letzte Kapitel “Inszenierung” ist dem Produktionsapparat ‘Theater’ gewidmet, welcher uns heute in Form der Regie und Dramaturgie als den maßgeblichen Selektions- und Übersetzungsinstanzen geläufig ist und der den Medienwechsel vom dramatischen Text hin zum Aufführungstext bestimmt. Pikuliks Lektüre des Stoff- und Formbegriffs kann hier überzeugen, wenn er die Bühne als Medium für die Dramatik bestimmt und damit den Vorrang des Dramas vor der Aufführung hinterfragt. Wie er zeigt, stellt sich das Theater nicht nur in den Dienst der Dichtung, sondern fordere umgekehrt “die Anpassung an die Bedingungen der Bühne” (146). Diese Bedingungen verdeutlicht er am Begriff der “Autonomie” und konkret sprachlich an Hand von Schillers historischen Dramen und der Rückkehr zum Versmaß. Pikuliks Begrifflichkeit von Stoff und Form ist gut gewählt, insofern sie Schillers Überlegungen auf dem Stand aktueller Kunst- und Medientheorie zugänglich macht. Der Band bietet daher einen guten und konzisen Einstieg zu Theater- und Kunstkonzeption Schillers. In welcher Weise man die Autonomieästhetik Schillers, seine Anthropologie des Spiels und seine Theaterpraxis weiter erforschen könnte - dies wäre ein weiteres Projekt, dem Pikuliks Studie freilich als willkommenes Arbeitsbuch dienen kann. München W OLF -D IETER E RNST Alexander Nebrig: Rhetorizität des hohen Stils. Der deutsche Racine in französischer Tradition und romantischer Modernisierung. Münchner Universitätsschriften. Münchner Komparatistische Arbeiten. Herausgegeben von Hendrik Birus und Erika Greber. Band 10. Göttingen: Wallstein 2007, 448 Seiten. Nebrig begibt sich in seiner komparatistischen Dissertation zu exemplarischen, zwischen Ende des 17. und zu Beginn des 19. Jh.s. verfassten deutschen Übersetzungen der Dramen Jean Racines auf das von der Theaterwie auch der Literaturwissenschaft bislang weitgehend unerschlossene Gebiet der Dramenübersetzung. Dieses wurde bislang fast nur vom Göttinger SFB Literarische Übersetzung sowie in einer Reihe von Einzelstudien wissenschaftlich bearbeitet. Innerhalb der Übersetzungstheorie kommt Theatertexten bekanntlich eine Sonderstellung zu, stehen sie doch aus heutiger Sicht im Spannungsfeld zwischen den Anforderungen an die Lesbarkeit der gedruckten Ausgabe einerseits und der Spielbzw. Sprechbarkeit auf der Bühne andererseits. Eben diese medial unterschiedliche Wirkungsintention von der “Deklamation zur Lektüre” umreißt der Autor mit dem Terminus der “Rhetorizität” (11), womit nicht allein das Dargestellte sondern gleichzeitig auch die Darstellungsweise deskriptiv erfasst werden soll. Zwar rekurriert Nebrigs Untersuchung überwiegend auf die traditionelle Termino- Forum Modernes Theater, Bd. 23/ 1 (2008), 72-74. Gunter Narr Verlag Tübingen Rezensionen 73 logie der Rhetorikforschung, doch wird diese ergänzt um die Kategorie der Performanz. Fokussiert wird damit der jeweilige intendierte Präsentationsbzw. Rezeptionsmodus als Aufführung bzw. Leseakt, der die Textualität der Übersetzungen in syntaktischer, metrischer und prosodischer Hinsicht determiniert. Eben dieses Verfahren erweist sich sowohl aus literaturwie auch aus theaterwissenschaftlicher Perspektive als äußerst fruchtbar. Ausgangsthese ist, dass für die deutschen Racine-Übersetzungen zwischen dem späten 17. und dem frühen 19. Jh. zwei “Übersetzungswellen” (19) auszumachen sind: In der ersten Phase bewahren die - im Rezeptionskontext einer zumindest intendierten Aufführung verfassten und höchstens in Einzeldrucken publizierten - Übertragungen stets das Versmaß des gereimten Alexandriners. Spätestens 1770 hat die französische klassizistische Tragödie ihren von Gottsched propagierten Vorbildcharakter für die Etablierung einer deutschen Schaubühne jedoch endgültig eingebüßt: Mit ihrer Ablösung durch das Modell der englischen Dramatik, insbesondere Shakespeares, geht ein entscheidender Wandel in der Übersetzungspraxis einher: Vorherrschendes Versmaß der Racine-Übersetzungen ist nun der Blankvers. Doch trotz metrischer Angleichung sieht sich das hohe Trauerspiel französischer Provenienz weitestgehend aus der Theaterpraxis verdrängt; nur höchst selten finden diese Werke jetzt, wie Nebrig akribisch anhand von Aufführungsdokumenten belegt, den Weg auf die Bühne. Im Bewusstsein der deutschen ästhetisch gebildeten Öffentlichkeit bleibt die klassizistische französische Tragödie von nun an durch Lektüre präsent, wozu der sich im 18. Jh. entwickelnde Buchmarkt und die Veränderungen im Schullektürekanon entscheidend beitragen. Neben dieser medialen Determinierung von Übersetzungen im Kontext der (intendierten) Aufführungspraxis oder der Lesekultur wandelt sich im letzten Drittel des 18. Jh.s. überdies das Selbstverständnis von poetischer Übersetzung grundlegend. Diente diese (wie etwa noch die erste deutsche 1766 anonym erschiene Gesamtausgabe von Racines Dramen) der “Vermittlung” des Originals, so nimmt im ausgehenden 18. Jh. die Übersetzung selbst den Stellenwert eines “Originals” ein, versteht sich also als Produkt eines hermeneutischen Prozesses. Sowohl das mediale wie auch das übersetzerische Kriterium sind nach Nebrig als Signum eines kulturhistorischen Wandels der Poetologie, in deren Rahmen Rezeption und Produktion untrennbar miteinander verbunden sind, anzusehen: Während das genus grande bis etwa zur Mitte des 18. Jh.s rhetorisch (und damit medial deklamatorisch) definiert war und mehr oder weniger universale Gültigkeit beanspruchen konnte, zeichnet sich ab der Jahrhundertmitte eine Verschiebung ab: Stilfragen werden nun auf nationaler Ebene diskutiert und zudem sozial relativiert, das rhetorische Verständnis des genus grande weicht einem ästhetischen (88ff). Der Akzent verlagert sich quasi von einer Rhetorik des deklamierten Affekts hin zu einer Ästhetik des literarischen sublimen Effekts, also vom Pathos der sprachlichen Darstellung selbst hin zur (ästhetisch intendierten) pathetischen Wirkung des sprachlich Dargestellten. Damit fundiert Nebrig seine Eingangshypothese, wonach die Analyse poetischer Übersetzungscorpora sowohl Aufschlüsse über die Genese so genannter Nationalliteraturen bzw. -philologien wie auch zur stilgeschichtlichen Entwicklung einer bestimmten literarischen Gattung geben kann (17). Dieser mehrschichtigen Frage des Wandels der Rhetorizität versucht der Autor im zweiten Teil seiner Studie in drei vergleichenden Untersuchungen der jeweils ersten (den gereimten Alexandriner beibehaltenden und die Zäsur berücksichtigenden) und zweiten (in den Blankvers übertragenen) “Übersetzungswelle” nachzugehen: Racines religiösem Drama Athalia in der Übersetzung von Bressand (1694) und Cramer (1786); Iphigenia in den Übersetzungen von Gottsched (1733) und Ayrenhoff (1804) sowie der Phädra von Stüven aus dem Jahre 1749 (den Nebrig hier - im Gegensatz zur bisherigen Forschung, welche die Übertragung einem Anonymus zuschreibt - als Übersetzer belegt) und derjenigen Schillers (1805). Dabei steht der Autor vor dem Dilemma, die für die Deklamation bestimmten Übersetzungen aus der Zeit vor der Mitte des 18. Jh.s. auf Grund der Quellenlage kaum hinsichtlich der actio erfassen zu können. Entsprechend konzentriert er sich auf die dispositio exemplarischer Tiraden und im Bereich der elocutio auf rhetorische Figuren und Syntax. 74 Rezensionen Dabei erweisen sich die älteren, das Korsett des Alexandriners wahrenden Übersetzungen in prosodischer wie auch syntaktischer Hinsicht als überraschend adäquat; in den spärlichen zitierten Aufführungsbelegen wird der Höreindruck der Deklamation als erstaunlich prosanah beschrieben. Die hier konstatierte “Vermessung der Rede” (341) kontrastiert mit einer weitgehenden Tilgung der Rhetorik in der dramatischen Rede (im Sinne einer Preisgabe sprachlicher Ordnungsschemata) in den jüngeren Übersetzungen. In letzteren wird damit eine neue, poetologisch für Racine wie auch soziokulturell vor Mitte des 18. Jh.s. kaum relevante Kategorie erschlossen, nämlich die der (primär sprachlich basierten) Psychologisierung der Charaktere. Trotz weitgehender Ausblendung der Schauspielpraxis des 18. Jh.s. mit ihrem Wandel vom deklamatorisch-rhetorischen zum ‘natürlichen’ Schauspielstil gelingt es Nebrig auf äußerst eindrucksvolle Weise, poetologische, mediale und damit verbunden sprachlich-performative Aspekte der Theaterkultur des 18. Jh.s. auf der Basis von Übersetzungsvergleichen zu erschließen und damit nicht nur einen entscheidenden Beitrag zur Rezeptionsgeschichte der französischen Klassik im deutschsprachigen Raum zu leisten, sondern überdies auch den Materialfundus für weitere Forschungen bereit zu stellen: Der dritte Teil der Studie bietet ein wunderbar ausführliches, für Theaterwissenschaftler, Übersetzer und Philologen gleichermaßen hilfreiches Repertoire-Verzeichnis der Racine-Aufführungen im deutschsprachigen Raum bis 1841 sowie eine annotierte Übersetzungsbibliographie bis 1846. München K ATHARINA K EIM Wilfried Floeck, María Francisca Vilches de Frutos (Eds.): Teatro y Sociedad en la España actual. Teoría y práctica del teatro 13. Madrid: Iberoamericana, 2004, 391 Seiten. Dieser Sammelband umfasst 25 Beiträge, die im September 2003 anlässlich des internationalen Symposiums zum Thema Teatro y Sociedad en la España actual in Schloss Rauischholzhausen präsentiert wurden. Damit gliedert er sich in eine ansehnliche Reihe von Titeln ein, die sich in den letzten Jahren aus verschiedenen Blickwinkeln der Frage nach neueren Entwicklungen im spanischen Gegenwartstheater gewidmet haben. Den roten Faden für den vorliegenden Sammelband legen die Herausgeber mit ihrer Ausgangsthese, im aktuellen spanischen Theater zeichne sich inhaltlich die Tendenz zu einem verstärkten politischen und gesellschaftskritischen Engagement ab. Zugleich sei in formaler Hinsicht eine Abkehr von einer naturalistischen Realitätsdarstellung erkennbar sowie eine Hinwendung zu innovativen ästhetischen Experimenten, die sich u.a. in einer Fragmentarisierung der Handlungsstruktur und der Auflösung der traditionellen Protagonistenrolle niederschlügen. Die Herausgeber werten diese Phänomene als Reflex einer neuen gesellschaftlichen Realität und als “nuevas formas de la estética teatral posmoderna” (12), wenngleich - was den Rezensenten nicht überrascht - eine konsensfähige Definition des umstrittenen Begriffs der Postmoderne gar nicht erst in Angriff genommen wird. Die Beiträge stammen von einer internationalen Autorenschaft (mit Vertretern aus Spanien, Deutschland, USA, Frankreich, Großbritannien, der Schweiz und Italien) und gliedern sich thematisch in die drei folgenden Abschnitte: I. Teatro y democracia: Cambios sociopolíticos y gestión cultural. II. Canon autorial y escénico: Lo sociopolítico como elección dramática. III. La renovación de los lenguajes teatrales: Discursos textuales y escénicos. Abschnitt I umfasst zwei Beiträge, die zum einen die negativen Auswirkungen des institutionellen und kulturpolitischen Umfelds auf die Theaterproduktion zu dokumentieren versuchen (M.F. Vilches de Frutos) und zum anderen die Arbeit des halb öffentlichen und halb privaten Madrider Teatro de La Abadía unter der Leitung von José Luis Gómez vorstellen (Antonio B. González). Abschnitt II widmet sich der Analyse von Werken, in denen die sozio-politische Komponente eine herausgehobene Rolle spielt. So untersucht Dieter Ingenschay u.a. am Beispiel der Stücke Forum Modernes Theater, Bd. 23/ 1 (2008), 74-76. Gunter Narr Verlag Tübingen Rezensionen 75 Dedos von Borja Ortiz de Gondra und La llamada de Lauren von Paloma Pedrero die Frage, wie das Theater der Zeit nach Franco das Thema des Machismus verarbeitet. Eine komplementäre Untersuchung zur neuen weiblichen Identität im spanischen Gegenwartstheater (profesional de éxito, mujer fatal, mujer loca) stellt Pilar Nieva de la Paz an. Im Mittelpunkt eines Beitrags von Antonio Fernández Insuela steht die Rolle bekannter Figuren aus Politik und Kultur im zeitgenössischen spanischen Geschichtsdrama, illustriert vor allem am Beispiel des Stücks La zorra ilustrada von Ignacio Amestoy. Es folgt eine Reihe von Studien, die das Werk einzelner Autoren in das Blickfeld rücken: Untersuchungsgegenstände sind hier Werk und Rezeption von Buero Vallejo in den Jahren der transición und der Demokratie (Derek Gagen), ferner das Stück ¿Dónde estás, Ulalume, dónde estás? , in dem Alfonso Sastre die letzten Tage im Leben von Edgar Allan Poe in Szene setzt (Silvia Monti), Jerónimo López Mozo und seine Darstellungsstrategien in dem Dokumentarstück Ahlán (John P. Gabriele), das Theater von José Alonso de Santos mit Blick auf die Verarbeitung sozialer Konfliktthemen wie Drogensucht und Fremdenfeindlichkeit in Salvajes (José Rodríguez Richart) sowie der zunehmend ideologische Charakter der Gesellschaftskritik bei Alonso de Santos, mit der der Theaterautor nach Ansicht von Antonia Amo Sánchez immer mehr der Versuchung zum Moralisieren erliegt. Mit der Analyse von El local de Bernardeta A. zeigt Dru Dougherty, dass sich hinter diesem Werk von Lourdes Ortiz mehr verbirgt als nur die im Titel evozierte Parodie des Lorca-Dramas La casa de Bernarda Alba. Phyllis Zatlin schließlich geht der Frage nach, wie in Cachorros de negro mirar von Paloma Pedrero und in El traductor de Blumemberg von Juan Mayorga das Motiv des Neonazismus verarbeitet wird. Die Beiträge in Abschnitt III ranken sich um die Frage, wie sich die Erneuerung des dramatischen Diskurses literarisch und auf der Bühne manifestiert. Ebenso vielfältig wie die methodischen Ansätze sind auch die Themen der Beiträge. In einer besonders lesenswerten Studie sucht Winfried Floeck mit Blick auf Autoren wie Sanchis Sinisterra, Alonso de Santos, Cabal, Belbel, Caballero und anderen eine Antwort auf die Frage, ob es so etwas wie eine Ethik der Postmoderne gibt und wie diese sich zum Ende des 20. Jh. im spanischen Theater manifestiert. Es folgen Untersuchungen zu Begriff und Stellenwert des Theatralischen in einer von Kino und Fernsehen dominierten Konsumgesellschaft und die Lösungsansätze der Gruppe Els Joglars (Óscar Cornago Bernal), zur textuellen und strukturellen Fragmentarisierung als Ausdrucksmittel einer jungen Gruppe von Absolventen der Real Escuela Superior de Arte Dramático (Susanne Hartwig), zur Rhythmik als ästhetischem Paradigma bei Lluïsa Cunillé u.a. (Yvette Sánchez), zur räumlichen Abstraktheit im Sinne eines no-lugar als häufigem Phänomen im spanischen Gegenwartstheater (Anxo Abuín González) und zum zentralen Stellenwert der Körperlichkeit in der Dramaturgie von Autoren wie Joan Brossa und Albert Vidal (José A. Sánchez). Den Bogen zwischen Theater und Film spannen José Antonio Pérez Bowie, der die Verkürzung der sozialkritischen, poetischen und symbolischen Dimension in Filmadaptionen von Werken großer Dramatiker wie Lorca und Valle-Inclán kritisiert, und M. Teresa García-Abad García, die eine vergleichende Untersuchung der Filmversion und der Theateradaptation eines Romans von Manuel Rivas vorlegt und dabei neben der Textanalyse auch Inszenierungsfragen und die Rezeption seitens der Kritik nicht vernachlässigt. Es folgen zwei Analysen zu Einzelwerken von Rodríguez Méndez (Cerstin Bauer-Funke) und Sanchis Sinisterra (Monique Martínez Thomas) sowie zwei autoren- und werkübergreifende Studien mit Untersuchungen zu den verschiedenen Ausprägungsformen des Humors im spanischen Theater der 90er-Jahre und v.a. mit Blick auf das Œuvre von Rodrigo García (Isabelle Reck). Mit bühnensprachlichen Innovationen bei Martínez Ballesteros und Belbel vor der Folie der jüngeren Theatergeschichte mit ihren wegbereitenden Autorengestalten wie Echegaray, Galdós, Arniches und Lorca befasst sich Klaus Pörtl. Besonders bemerkenswert, weil aus der Feder eines Autors und Bühnenpraktikers stammend, ist der Beitrag von Ernesto Caballero, der über die Entwicklung seiner Schaffensprozesse im Spannungsfeld zwischen Text und Inszenierung berichtet. Fazit: Die geschilderte thematische Vielfalt macht diesen Tagungsband lesenswert und in der 76 Rezensionen Summe aufschlussreich. Gleichzeitig geht sie mit einer methodischen Heterogenität einher, die allerdings kein schwerwiegendes Problem für die innere Einheit des Bandes darstellt. Mit Blick auf die im Vorwort vertretene These, dass Themen- und Motivwahl und dramatischer Diskurs des spanischen Gegenwartstheaters vor allem als Reaktion der Autoren auf einen strukturellen Wandel im Theaterbetrieb zu werten seien, wäre zu hoffen, dass sich weitere Einzelstudien anschließen, die dieser Frage unter stärkerer Berücksichtigung institutioneller, kulturpolitischer und inszenierungsbezogener Aspekte nachgehen. Köln H ERIBERT H ÄRTINGER Matthias Rebstock: Komposition zwischen Musik und Theater. Das instrumentale Theater von Mauricio Kagel zwischen 1959 und 1965. sinefonia. 6. Hofheim: Wolke, 2007, 376 Seiten. Obwohl das experimentelle Musiktheater (um einen gebräuchlichen Oberbegriff zu verwenden) bereits auf eine illustre Geschichte von, je nach Definition, über 50 oder sogar fast 100 Jahren zurückblicken kann, steht eine angemessene wissenschaftliche Theorie oder Analysemethode noch aus. Allein aus diesem Grund kann die vorliegende Publikation kaum genug begrüßt werden. Nur wenige Musikwissenschaftler sind mit den Grundbegriffen der Theaterund/ oder Performativitätstheorie vertraut, wohingegen Theaterwissenschaftler, so sie sich mit musiktheatralischen Formen überhaupt auseinandersetzen, selten die rein musikalischen Aspekte angemessen berücksichtigen. Auch in diesem Zusammenhang fällt das Buch positiv auf: Rebstock ist mit der zeitgenössischen Theatertheorie gut vertraut und weiß sie in seine eigene Arbeit einzubeziehen. Aber auch im Hinblick auf die Kagel-Forschung ist der Band mehr als willkommen. Seit Dieter Schnebels Buch von 1970 - das Werk eines damals geistesverwandten Komponisten - wurde die Kagel-Forschung vornehmlich von Musik- Pädagogen wie etwa Karl-Heinz Zarius, Werner Klüppelholz und Rudolf Frisius fortgeführt. Damit soll keineswegs gesagt werden, dass diese Publikationen geringeren Wert hätten, doch ist deren Perspektive und Zielrichtung naturgemäß mit von der Herangehensweise bestimmt. In diesem Sinne ist es erfreulich, dass eine ‘zweite Generation’ von Kagel-Forschern, unter denen Rebstock in vorderster Linie zu nennen wäre, Kagels Werk umfassender wissenschaftlich würdigt und damit auch dessen historische Bedeutung jenseits der vielleicht eher modisch-zeitbezogenen Aspekte herausarbeitet. Hier zeigt sich wieder einmal, in welchem Maße die Nachkriegs-Avantgarden geschichtlich geworden sind und deshalb dementsprechend aufgearbeitet werden müssen. Die Analyse und Interpretation des experimentellen Musiktheaters kann von dieser historischen Distanz und der von letzterer begründeten methodischen Neuorientierung nur profitieren. Das Buch enttäuscht denn auch nicht, obwohl es etwas an den Gepflogenheiten deutscher Dissertationen krankt. Es eröffnet mit der Beschreibung des Forschungsgegenstandes, der Zielsetzung, Methode und Literatur. Bei dieser akademischen Übung gibt es wenige Überraschungen. Jedoch besteht ein gewisser Widerspruch darin, dass Rebstock einerseits den Untersuchungsbereich - aus relativ guten Gründen - auf die Jahre 1959 bis 1965 einschränkt, andererseits aber bemerkt, dass Kagel im Gegensatz zu Cage an der “kompositorischen Kontrolle, der subjektiven Entscheidung des Komponisten und dem Expressiven als Grundanliegen festhält” und sich bei ihm keine “nur für sich stehende[n] Aktion[en] wie im Happening oder beim Fluxus” finden (11). Dies trifft aber nur auf Kagels Werk im genannten Zeitraum zu: In späteren Jahren finden sich dagegen durchaus Stücke wie Privat (1968), Ornithologica multiplicata (1968) und Probe (1971), die in ihrem Experiment-Begriff jede Vorstellung von kompositorischer Kontrolle weit hinter sich lassen. Hier kollidiert also Rebstocks Theaterbegriff mit seiner chronologischen Festlegung. Es folgt der erste Hauptteil, “Kagels instrumentales Theater im Kontext” (29-129), wobei insbesondere das erste Kapitel, “Kagels Argentinien”, extrem aufschlussreich ist. Es handelt sich um den ersten Versuch, Kagels argentinische Forum Modernes Theater, Bd. 23/ 1 (2008), 76-77. Gunter Narr Verlag Tübingen Rezensionen 77 Periode zu beleuchten, wofür der Autor auch nach Buenos Aires gereist ist und landessprachige Literatur mit einbezieht (was bislang, mangels entsprechender Sprachkenntnisse, kaum geschehen ist). Hier hat Rebstock Neuland aufgetan. Es bleibt anzumerken, dass Alejandro Saderman (und nicht Kagel, wie auf Seite 43 behauptet) den Film Muertes de Buenos Aires gedreht hat, Kagel hat nur die Musik dazu geschrieben - also entgegen anders lautenden Berichten durchaus traditionelle Filmmusik komponiert. Kapitel 2-4 handeln in etwas akademischer Weise von den Vorraussetzungen des instrumentalen Theaters orientiert an den bekannten Traditionslinien Serialität, Fluxus, Cage. Es wäre wünschenswert zu erfahren, worin die konkrete Bedeutung dieser historischen Vorläufer für das Werk besteht. Diese Unterlassung allein dem Autor zur Last zu legen, wäre jedoch unfair, handelt es sich hierbei doch um die Gepflogenheiten deutscher Dissertationen, in denen historische Voraussetzungen summarisch abgehandelt und von den Werkanalysen streng getrennt werden. Darin zeigt sich jedoch ein höchst problematisches Geschichtsverständnis: Traditionslinien bestehen schließlich nicht vor dem Werk und unabhängig, sondern werden erst durch das Werk konstruiert. Denn nur wenn sich ein Werk konkret auf eine Traditionslinie bezieht und damit selbst einen Zusammenhang herstellt, kann dieser Kontext als relevant betrachtet werden. Daraus folgt natürlich, dass die kritische Einordnung eines Stückes in seinen historischen Kontext zum Problembereich der Analyse gezählt werden muss und nicht gesondert abgehandelt werden kann, wie es hier - wie in den meisten vergleichbaren Werken - geschieht. Im “Hauptteil II”, die eigentliche Diskussion der behandelten Werke, erfolgt Rebstocks wichtigster Beitrag zur Theorie und Analyse des instrumentalen Theaters. Dabei arbeitet er eine zweidimensionalen Matrix aus, die mit den Polen “instrumentales Konzept” und “Mehrspurkonzept” sowie den “Materialbereichen Musik” bzw. “Theater” operiert. Dies führt ihn zu einer schematischen Darstellung, in der die unterschiedlichen Stücke ihrer theatralischen Anlage gemäß räumlich angeordnet sind (226). Hierbei sind die Unterscheidungen selbst nicht neu, jedoch wurde zuvor nur zwischen “musikalisiertem Theater” und “theatralisierter Musik” differenziert und erst durch Rebstock wird deutlich, dass Kagels Konzeptionen nuancierter und subtiler sind, als es diese eindimensionale Einordnung nahe legte. Um einen kleinen Abstrich zu erwähnen, erscheint mir der Theaterbegriff durch die Einbeziehung von Stücken wie Musik für Renaissance-Instrumente sowie Acustica unter dem Stichwort “Theater der Instrumente” zu weit ausgedehnt. Im dritten Teil, “Analyse des instrumentalen Theaters” (235-349) erläutert Rebstock in einem ausgesprochen diffizilen und schwergängigen Kapitel seine Analysemethode. Nachdem er sich von den meisten gängigen Theorien distanziert hat legt er die Grundprinzipien seiner “Interaktionsanalyse” dar, die vorwiegend auf der Semiotik Nelson Goodmans beruht, welche er von der “traditionellen” Semiotik unterschieden wissen möchte. Leider bleibt jedoch der Sinn dieser Methodendiskussion weitgehend im Dunkeln, und die folgenden, ausgesprochen ausführlichen Analysen sind fast ausschließlich deskriptiver Natur. Methodisch wären Ansätze der opera studies und performance studies eine sinnvolle Ergänzung, um weniger werkzentriert argumentieren zu müssen. Abschließend lässt sich zusammenfassen, dass das Buch das Verständnis von Kagels instrumentalem Theater sowie seinem Gesamtwerk auf eine neue Grundlage stellt. Wer jedoch nach einer grundlegenden Theorie oder einer methodisch fundierten Analysemethode des experimentellen Musiktheaters sucht, wird hier nur bedingt fündig werden. Brighton B JÖRN H EILE Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Postfach 25 60 · D-72015 Tübingen · Fax (0 7071) 97 97-11 Internet: www.narr.de · E-Mail: info@narr.de This book provides a commentar y on the most important remains of several of the key poets of the Athenian Middle Comedy. A major asset of this book is the Introduction, where the author discusses two controversial issues; the periodisation of Greek Comedy and the validity of the term Middle Comedy itself. The Introduction also deals with the issue of the sources for the comic remains and their reliability. The rest of the book is divided into six sections, each devoted to one of six major Middle Comedy playwrights respectively. For each fragment a critical apparatus, a translation and a commentar y are provided. The commentar y for ever y fragment is meticulous and thorough, enriched with cross-references to parallels, in the form of either antecedents or precedents, both from within Greek Comedy and from other genres. The comprehensive analysis of individual fragments is intended to help the reader to understand both the work of the individual poets and the nature of Middle Comedy. As well as demonstrating that the first half of the fourth century is an epoch of extreme experimentation, the commentary also illustrates the complex process of innovation and continuity which characterises Athenian Comedy over two centuries. Athina Papachrysostomou Six Comic Poets A Commentary on Selected Fragments of Middle Comedy Drama, Neue Serie, Band 4 2008, VI, 304 Seiten, €[D] 58,00/ Sfr 98,00 ISBN 978-3-8233-6378-1 Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Postfach 25 60 · D-72015 Tübingen · Fax (0 7071) 97 97-11 Internet: www.francke.de · E-Mail: info@francke.de Der erste Band der Reihe Theatralität, der hier in überarbeiteter und aktualisierter Auflage erscheint, fragt danach, inwieweit gerade das Authentische - das, was als ursprünglich oder gar selbstverständlich wahrgenommen wird immer schon der Inszenierung bedarf. In der Einleitung entwirft Erika Fischer-Lichte ein Konzept von Theatralität, das die vier Dimensionen Inszenierung, Performance, Wahrnehmung und Korporalität expliziert und zueinander in Beziehung setzt. Beiträge aus verschiedenen Kunst- und Kulturwissenschaften demonstrieren die analytische Kraft des Konzepts an markanten Fallbeispielen. E . Fischer-Lichte/ C. Horn I . Pflug / M. Warstat (Hg.) Inszenierung von Authentizität Theatralität 1 2., überarb. und akt. Auflage 2007 368 Seiten , €[D] 49,00/ SFr 77,50 ISBN 978-3-7720-8208-5 Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Postfach 25 60 · D-72015 Tübingen · Fax (0 7071) 97 97-11 Internet: www.francke.de · E-Mail: info@francke.de Wie schreibt man heute Theatergeschichte? Welche Vielfalt unterschiedlichster Theaterformen entfaltet sich, blickt man über die am Höhenkamm orientierte Theatergeschichtsschreibung früherer Forschergenerationen hinaus? Welche innovativen Ergebnisse bieten neu erschlossene Quellen, hinterfragt man mit ihnen bereits etablierte Forschungsmeinungen? Diese und weitere Fragen haben sich die Autorinnen und Autoren des vorliegenden Bandes gestellt. Die Ergebnisse bieten einen neuen Blick auf ein Thema, das es immer wieder zu diskutieren gilt: die Theaterhistoriographie. Mit Beiträgen von: Joachim Fiebach · Heidy Greco-Kaufmann · Stefan Hulfeld · Corinna Kirschstein · Anja Klöck · Andreas Kotte · Friedemann Kreuder · Peter W. Marx · Uta Schorlemmer · Constanze Schuler · Sabine Sörgel · Stefanie Watzka · Birgit Wiens Friedemann Kreuder / Stefan Hulfeld / Andreas Kotte (Hrsg.) Theaterhistoriographie Kontinuitäten und Brüche in Diskurs und Praxis Mainzer Forschungen zu Drama und Theater, Band 36 2007, 328 Seiten, 25 Abbildungen, €[D] 59,00/ SFr 93,00 ISBN 978-3-7720-8212-2