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Forum Modernes Theater
0930-5874
2196-3517
Narr Verlag Tübingen
Es handelt sich um einen Open-Access-Artikel, der unter den Bedingungen der Lizenz CC by 4.0 veröffentlicht wurde.http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/0601
2009
241 Balme
Inhalt Aufsätze: Julia Stenzel (München) Der Zuschauer im Bild der Antike. Konstruktionen des 19. Jahrhunderts . . . . . . . . . . . . . . . . 3 Danièle Galiby-Daude (Berlin) “Können Neger blond sein? ” - “Du, die sind zu allem fähig! ” Zur Inszenierung der Zauberflöte von Hans Neuenfels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 Ann-Christin Focke (München) Zum Verhältnis von Mensch und Ordnung im Rahmen einer affirmativen politischen Theaterästhetik am Beispiel von Schlingensiefs Bitte liebt Österreich - Erste europäische Koalitionswoche (Ausländer raus) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 Herbert Blau (Washington) The Nothing That Is: Aesthetics of Anti-Theater . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 Barbara Mailos Tibaldi (München) Im akustischen Vergrößerungsglas Carola Bauckholts hellhörig im Spannungsfeld zwischen Hör- und Musiktheater . . . . . . . . . . 61 David Whitton (Lancaster) The practical turn in theatre research . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 Rezensionen: Friedemann Kreuder, Sabine Sörgel (Hg.): Theater seit den 1990er Jahren. Der europäische Autorenboom im kulturpolitischen Kontext. (Josef Bairlein) . . . . . . . . . . . . . . . 89 Christine Felbeck. Erinnerungsspiele. Memoriale Vermittlung des Zweiten Weltkrieges im französischsprachigen Gegenwartsdrama (Ina Hatzig) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 Eli Rozik. Generating Theatre Meaning. A Theory and Methodology of Performance Analysis. (Jerzy Limon) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 Gabriele Brandstetter, Bettina Brandl-Risi, Kai van Eikels (Hgg). SchwarmEmotion. Bewegung zwischen Affekt und Masse. (Katja Schneider) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 Autorinnen und Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 Umschlagabbildung: Skizze des Potsdamer Bühnenbildes. Ausschnitt aus einem Brief von Felix Mendelssohn-Bartholdy an Stadtrat Dr. Wilhelm Demuth, Leipzig, 10.1.1842. Abdruck mit freundlicher Genehmigung der Universitätsbibliothek Leipzig (Rep. IX, 16, fol. 10). Gedruckt mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft. © 2009 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · Tübingen Die in der Zeitschrift veröffentlichten Beiträge sind urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte, insbesondere das der Übersetzung in fremde Sprachen, vorbehalten. Kein Teil dieser Zeitschrift darf ohne schriftliche Genehmigung des Verlages in irgendeiner Form - durch Fotokopie, Mikrofilm oder andere Verfahren - reproduziert oder in eine von Maschinen, insbesondere von Datenverarbeitungsanlagen, verwendbare Sprache übertragen werden. Auch die Rechte der Wiedergabe durch Vortrag, Funk- und Fernsehsendung, im Magnettonverfahren oder ähnlichem Wege bleiben vorbehalten. 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Jahrhundert entwickeln: Rezensent Ungethuem und Schauspieler Carlos sind Figuren der Komödie Antigone in Berlin, die der Publizist Adolf Glaßbrenner im Jahre 1842 veröffentlichte - bezeichnenderweise unter dem Pseudonym ‘Brennglas’. Und tatsächlich ist es nicht übertrieben zu sagen, dass sich in seinem Stück soziale Energien auf exemplarische Art und Weise bündeln. 3 So entfaltet sich schon in der Exposition ein Wort-Spiel um den Namen der Hauptfigur, das als hintergründiger Kommentar zur kulturell-politischen Situation im zeitgenössischen Berlin gelesen werden kann. Ausgehend von Fehllektüren und Missverständnissen um ‘Antigone’ entspinnt sich ein assoziatives Netz: Sie können mir vielleicht dienen, wie des Trauerspiel ausjesprochen wird. Ich habe mir nämlich nie mit Jriechisch beschäftigt, […] un in meine alten Dage, wo ich mir zur Ruh setzte, […] nich daran dachte, daß es von mir als deutschen Bürjer verlangt wird, daß ich Jriechisch kennen soll, was en Paar Dausend Jahre todt is. Heißt es Antijohne … 4 So formuliert Rentier Buffey 5 umständlich seine Frage gegenüber dem Buchdrucker Feist, der die falsche Betonung harsch korrigiert: “Jo nich! Antigone”. Es entspinnt sich, immer noch als eine Art Vorspiel auf dem Theater, die Debatte um den Sinn und Unsinn von Antike-Inszenierungen. Erst nach knapp 15 Druckseiten beginnt dann die Sophokleische Antigone-Handlung auf der drameninternen Bühne - unterbrochen von zahlreichen Zwischenrufen, Nebendialogen und von Versuchen des Publikums, mit den Figuren zu kommunizieren. Bei Bekundungen von Missfallen und Unverständnis aber bleibt es nicht: So manche Bemerkung lässt sich auch als politischer Kommentar zum Verhältnis von König und Volk, von Herrscher und Gesetz, zur Frage nach der besten Staatsform und nach der Beziehung von Theater und Staat lesen. Neben Antigone, Kreon, Haimon und dem Chor der thebanischen Greise erscheint denn auch der Berliner Kleinbürger Piefke auf der Bühne; bezeichnenderweise nach der zentralen Stichomythie von Kreon und Haimon, in der es bei Sophokles ja auch um Kreons Selbstverständnis als Herrscher geht. Piefke versetzt die hehren Helden in unbekümmert anachronistischer Manier ins 19. Jahrhundert und fasst dabei seine Ansicht über die Relevanz griechischer Dramen für seine Zeitgenossen in deutliche Worte. Die Handlung der antiken Tragödie tritt mehr und mehr in den Hintergrund; in griechischen Versmaßen verwahren sich Chor und Tragöden gegen die Vorwürfe des Publikums, das die Darsteller auspfeift und sie schlussendlich von der Bühne vertreibt. Glaßbrenner bezieht sich mit Antigone in Berlin unzweideutig auf die vielbeachteten Aufführungen der Sophokleischen Antigone 1841 und 1842 in Potsdam und Berlin, Forum Modernes Theater, Bd. 24/ 1 (2009), 3-17. Gunter Narr Verlag Tübingen 4 Julia Stenzel Abb. 1 Skizze des Potsdamer Bühnenbildes. Ausschnitt aus einem Brief von Felix Mendelssohn-Bartholdy an Stadtrat Dr. Wilhelm Demuth, Leipzig, 10.1.1842. Transkription der Beischriften (von oben nach unten): “Die Bühne, worauf die Schauspieler spielen”; “Ein rundes Forum, worauf der Chor steht, der nicht auf die Bühne kommt”; “Das Orchester für die Musici”; “Die Sitze für den König und den Hof”. Abdruck mit freundlicher Genehmigung der Universitätsbibliothek Leipzig (Rep. IX, 16, fol. 10). die auf eine Initiative des preußischen Königs Friedrich Wilhelm IV. zurückgingen. Friedrich Wilhelm wollte einen Kontrapunkt setzen zum französischen Klassizismus einerseits, zur Vorherrschaft reiner Unterhaltungsstücke auf den deutschen Bühnen andererseits - und zwar unter anderem mit Aufführungen der attischen Tragödie. 6 Die Antigone-Inszenierung von Ludwig Tieck hatte ihre Premiere am 28. Oktober 1841 im Hoftheater des Neuen Palais in Potsdam. Sie wurde von der zeitgenössischen Kritik kontrovers besprochen und gilt bis heute als Markstein in der Geschichte der Antike- Inszenierung: 7 Denn erstmals wurde hier der Versuch unternommen, ein attisches Drama unter Rückgriff auf aktuelle Forschungen der Altertumswissenschaft aufzuführen. Textuelle Grundlage war die metrische Übersetzung von Johann Christian Donner; maßgeblich für die Bühnengestaltung war die Arbeit von Hans Christian Genelli. 8 Die Schauspielmusik stammte von Felix Mendelssohn-Bartholdy - wie im griechischen Theater wurden die Chorpassagen nicht gesprochen, sondern gesungen, und zwar von einem reinen Männerchor. 9 In den epirrhematischen Szenen stand den gesungenen Chorpassagen die zwar deklamierte, aber instrumental begleitete Schauspielerreplik gegenüber. Als Spitze gegen eine solche Aufführungspraxis und gegen Mendelssohns Musik muss man wohl den Zusatz der Brennglas-Parodie lesen: “Die Aufführung findet ohne Musik statt”. 10 Die Inszenierung des Zuschauens in Glaßbrenners Antigone in Berlin markiert entscheidende Veränderungen der ästhetischen und politischen Funktion von Aufführungen antik-griechischer Stücke. Ausgehend von den Wortspielen um “Antigone” Der Zuschauer im Bild der Antike. Konstruktionen des 19. Jahrhunderts 5 einerseits, von Piefkes Anachronismen und Aktualisierungen andererseits will ich zwei Aspekte eines veränderten Umgehens mit den attischen Dramen verfolgen, die sich in den mittleren Jahren des 19. Jahrhunderts zeigen. Vorderhand scheinen sie auf Ästhetiken vorauszuweisen, die man gemeinhin mit dem Theater der Jahrhundertwende verbindet. Bei genauer Betrachtung wird aber schnell klar, dass eine Teleologisierung der 1840er Jahre hin auf die Theaterreform-Bewegungen vor und um 1900 zu kurz griffe. Die Konvergenzen von Theatertheorie und der Interpretation speziell des attischen Theaters im Kontext philosophischer und staatstheoretischer Modelle einerseits, der zeitgenössischen Bühnenpraxis und deren Rezeption andererseits sind spezifisch für die kulturelle und politische Situation im Deutschland des Vormärz und schon deshalb nicht linear auf die Situation um die Wende zum 20. Jahrhundert hin zu lesen. Zwar wird im Zusammenhang meiner Beobachtungen auch die (Selbst-)Konstruktion der Moderne als radikaler Bruch fragwürdig. Eine Relativierung und Differenzierung des Explanandums ‘Moderne’ ergibt sich aber lediglich sekundär aus den Beobachtungen, die an den Relationen von Theatertheorie und Bühnenpraxis bzw. deren Rezeption im Vormärz zu machen sind. Im Zentrum der Überlegungen steht der Zuschauer des 19. Jahrhunderts als Beobachter des theatralen Ereignisses, oder, in der Metaphorik des Titels, “Der Zuschauer im Bild der Antike”: Was bedeutet es, wenn er ‘im Bilde’ ist, informiert ist (oder auch nicht)? Zu den Zuschauern zählen auch Altertums- Wissenschaftler, vor allem aber Theaterkritiker als Zuschauer zweiter Ordnung. Sie setzen zusätzlich den zeitgenössischen Zuschauer ‘ins Bild’, bringen ihn in Beziehung zu ihrem Bild des antiken Theaters und des antiken Publikums. Und wird der Zuschauer in theatralen (Re)Formulierungen der Antike im zweiten Sinne ‘ins Bild gesetzt’, so wird notwendigerweise auch das ‘Im-Bilde-Sein’ im ersten Sinne mitgedacht. Aus der skizzierten Zweiwertigkeit der Metapher vom ‘Bild der Antike’ ergeben sich für die Argumentation zwei Frageperspektiven, die freilich nicht immer scharf voneinander abzugrenzen sind: Zum einen ist zu klären, welche Vorannahmen das Wissen um das antike Theater und damit die Perspektive(n) auf die Antike strukturieren, wie sie der Zuschauer im Theater des 19. Jahrhunderts einnehmen kann und welche Rolle sein (kulturelles und politisches) Selbstverständnis für den Umgang mit der Antike spielt. 11 Dieser Aspekt leitet die Überlegungen im ersten Abschnitt des Artikels, der an Buffeys “Antijohne” ansetzt. Zum anderen ist zu fragen, wie die Funktionen ‘Zuschauer’ und ‘Zuschauen’ in zeitgenössischen Bildern der Antike bestimmt sind. Denn das Wissen um Bau und gesellschaftliche Funktion des griechischen Theaters führt auch dazu, dass der Zuschauer als Planstelle der Theaterarchitektur ins Bild rückt, und zwar auch in Antike-Inszenierungen. Um diesen Komplex dreht sich der zweite Teil des Aufsatzes; hier nehmen die Überlegungen ihren Ausgang am unfreiwilligen Wortspiel des Rezensenten Ungethuem. Ein abschließender dritter Teil unternimmt die Verortung der Potsdam-Berliner Antigone und ihrer Rezeption vor dem Hintergrund gängiger historiographischer Markierungen wie ‘Vormärz’ und ‘Moderne’. In produktiver Absetzung von ‘modernen’ Theaterphänomenen, die den Zuschauer als Akteur einbeziehen und speziell das attische Drama auf ihre Gegenwart hin lesen, sind die ästhetischen und politischen Spezifika des Umgehens mit der Antike in Theaterkonzeptionen des frühen und mittleren 19. Jahrhunderts, vor allem aber Etikettierungen wie ‘Historismus’ und ‘Epigonalität’, in ihrer Aussagekraft und Reichweite neu zu bewerten. 6 Julia Stenzel I. “Antijohne” Mit der Betonung auf der dritten Silbe öffnet sich das diskursive Feld um den Begriff des Epigonen, der auf den bekannten Immermannschen Roman Die Epigonen zurückgeht. 12 So ist es nur noch ein kurzer gedanklicher Schritt zum sprichwörtlichen epigonalen Selbstverständnis des 19. Jahrhunderts, der auch und gerade die Theaterverhältnisse im Vormärz mitbestimmt. Eines sei vorausgeschickt: Die Zuschauer- Figuren in Glaßbrenner-Brennglas’ Parodie verhalten sich zum Bühnengeschehen alles andere als einheitlich. Es äußert sich schroffes Unverständnis: “Ja, ick weeß ooch nich, wie man Eenen mit jeschwollne Beene zum Helden von mehreren Trauerspielen machen kann”, so Buchbinder Feist über König Ödipus. 13 Dagegen steht das Konzept von Bildung als Besitz, geäußert von Rentier Buffey gegenüber seinem Sohn Wilhelm: “Nu paß’ uf, wenn der Vorhang in de Höhe jeht, daß Du Dir mit des Altherthum vertraut machst, damit Du mal en nützlicher Mensch wirst, dummer Junge! Denn jetzt muß der Mensch des Allens wissen, sonst kommt er nicht mehr fort”. 14 Der Schlosser berichtet von seinem Gesellen, der “uf det Amphibientheater, uf de der Jaleere” sitze, “vor sechs Jroschen”. 15 Der Philologe Bos ist in quasireligiöser Begeisterung ob des Schauspiels entbrannt - und nickt doch immer wieder ein. Ein Publizist erhofft sich Stoff für Gelegenheitsgedichte - man wird sich nicht einig. Doch: Sind die Brennglas-Antigonisten, sind gar die Protagonisten der Antike-Rezeption im 19. Jahrhundert notwendigerweise Epigonen? Vor dem Hintergrund der archäologischen Forschungen des 18. Jahrhunderts differenzierte sich in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts eine historisch bewusste Altphilologie aus. Paradigmatisch ist die Darstellung der Alterthums-Wissenschaft (1807) von Friedrich Anton Wolf. Forscher wie er vermissen an den Konzepten der älteren Altphilologie nun den Sachbezug und die Integration archäologischer Forschungsergebnisse. Einer bloßen ‘Wortphilologie’ wird in diesem Zusammenhang das ganz neue Konzept einer interdisziplinär verfahrenden ‘Sachphilologie’ gegenübergestellt. Und im Zuge dessen werden auch für Aufführungen neue Konzepte möglich. Ein exponierter Vertreter der neuen Alterthums-Wissenschaft im Sinne von Wolf war Prof. August Böckh, der als wissenschaftlicher Berater auch am Potsdamer Antike-Projekt beteiligt war. Böckh interessierte sich für das Alltagsleben in Athen und für das realhistorische Substrat antiker Kunst und Literatur; so hat er als einer der ersten versucht zu errechnen, was der Bau der Akropolis gekostet haben könnte. 16 So scheint es nur folgerichtig, dass sich die Initiatoren des Potsdamer Antike-Projekts von bisherigen szenischen Konkretisierungen antiker Stücke - auch explizit - abgrenzen; man wirft etwa der Weimarer Inszenierungspraxis die Entfernung der zugrunde liegenden Textversionen vom Original und die allzu großen Zugeständnisse an den Geschmack der Zeit - kurz: Klassizismus - vor. Im (durchaus schon im 19. Jh. als illusorisch erkannten) Idealfall mache die szenische Konkretisierung die Überlieferungsgeschichte ungeschehen und ermögliche eine direkte Begegnung des zeitgenössischen Rezipienten mit dem antiken Werk. Zu dieser Abgrenzungsbewegung in der Inszenierung des so verstandenen Ursprungs des abendländischen Theaters verspricht die Figur des Anfangs einiges an deskriptivem und analytischem Potential: Die Antike wird im 19. Jh. als ‘Urszene’ des Theaters konstruiert. 17 Und die Tragweite dieser Konstruktion geht über die des 18. Jahrhunderts hinaus: Das Antike-Ideal Winckelmanns in seiner Aufnahme durch die Weimarer Klassik als ästhetisch-ethische Referenz ist ja zunächst noch nicht politisch grundiert, anders als etwa bei Hegel oder - weit konkreter - in den theatertheoretischen Schriften Theodor Rötschers und Eduard Der Zuschauer im Bild der Antike. Konstruktionen des 19. Jahrhunderts 7 Devrients. Gerade die Rezeption des Potsdamer Projekts macht die nationalpolitische Färbung der neuen ‘Urszene Antike’ unübersehbar: Die Attische Polis, repräsentiert durch das attische Drama und seine Bühne, steht paradigmatisch für einen organisch gedachten ‘Staatskörper’, innerhalb dessen der (dramatischen) Kunst eine entscheidende Funktion zukommt: Die der Generierung und Affirmation der Gemeinschaft. Jede Bezugnahme auf die Antike setzt sich auf die eine oder andere Art und Weise mit diesen diskursiven Vorgaben auseinander - so auch die von Tieck und in der Folge die von Adolf Glaßbrenner. 18 Und auch der Rekurs auf dieses Anfangskonstrukt selbst wird emphatisch als Neubeginn beschrieben, als Abkehr von bisherigen Praktiken des Umgehens mit der Antike. Vor dem Hintergrund eines solchen ‘Anfangens am Anfang’ erscheint das deutsche Theater in den mittleren Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts in einem neuen Licht. Der Topos von seinem im negativen Sinne epigonalen Selbstverständnis wird fragwürdig, zementiert er doch das kulturhistorische Verlaufsschema von Beginn, Blütezeit und Verfall. Dieses Schema war schon im 19. Jahrhundert nicht unumstritten und erscheint aus heutiger Perspektive schon gar nicht mehr angemessen. Ein wertfreier Begriff des Epigonalen als ästhetisches Vermögen, wie er in den letzten Jahren vorgeschlagen wurde, 19 kann in der Frage nach der Relation von Figuren des Anfangs bzw. des Anfangens und der Größe ‘Tradition’ weiterhelfen. Epigonen sind ja von der Etymologie her zunächst nicht mehr und nicht weniger als Nachgeborene. Positiv gewendet, impliziert das Nachgeboren-Sein die Möglichkeit einer spezifischen, nämlich bewusst und dynamisch gestalteten Form von kulturellem Gedächtnis. Das unerhört Neue an Tiecks Antigone- Inszenierung war nicht nur für den informierten Altphilologen offensichtlich; auch zeitgenössische Kritiken sprechen eine deutliche Sprache. Wiederholt ist von der ‘Erfindung’ der Antike, der attischen Bühne oder der antiken Musik die Rede: Der Gastgeber der ersten Leipziger Privataufführung berichtet von der positiven Aufnahme durch den konservativen Altphilologen Gottfried Hermann. Hermann stand dem Unternehmen grundsätzlich eher reserviert gegenüber. Nach der Aufführung aber sei er auf Mendelssohn zugegangen mit den Worten: “Sie haben, so zu sagen, griechische musik erfunden”. 20 Für den Historiker Johann Gustav Droysen ist “der Eindruck des Ganzen neuartig und unerwartet genug, um die bekannten Trivialitäten der Kunstkennerei unanwendbar zu machen”. 21 Und Ludwig Tieck resümiert als Spielleiter nach der Dernière in Berlin: Für die große und aufgeregte Teilnahme wurde dies merkwürdige Schauspiel zu selten gegeben, da das ganze Theater bei jeder Aufführung gedrängt angefüllt war. So ist dieser gelungene Versuch als ein Fortschritt unserer Bühnenkunst anzusehen, als eine neue Erfindung. 22 Natürlich muss man bei diesem Resümee von einer gewissen Parteilichkeit ausgehen. Aber interessant ist auch nicht in erster Linie Tiecks Lob seiner eigenen Arbeit, sondern seine Formulierung: Tieck spricht von “Fortschritt” und “Erfindung”, nicht von Kunstwollen und Genie. 23 Das Potsdamer Projekt ist als Versuch einer originalgetreuen Rekonstruktion dessen, was man als die Realität des griechischen Theaters sah, ebenso wie als historistische Wiederbelebung oder Wiedergeburt der Antike, nur unzureichend beschrieben. 24 Das wird schon bei der Betrachtung der Oberfläche des Inszenierungstextes deutlich: Trotz entsprechender Forderungen trugen die Akteure keine Masken, Frauenrollen wurden nicht von Männern, sondern von Frauen gespielt (Auguste Crelinger präsentierte die Antigone). Die Orchestra wurde 8 Julia Stenzel auch von den Figurendarstellern betreten - nach damaligem Forschungsstand wäre das in der Antike ganz und gar unmöglich gewesen. Und auch Mendelssohn verabschiedete das Vorhaben, die griechische Musik nachzuahmen, schon im Vorfeld. Die wissenschaftlichen Vorarbeiten von Philologie und Altertumswissenschaft haben, denkt man die Hintergrund-Metapher der Erfindung weiter, zum Experiment in Potsdam geführt. Wissenschaftliche Grundlagenforschung hat die Erfindung ‘Antike-Inszenierung für das 19. Jahrhundert’ möglich gemacht. Wie gesagt: Das Berliner Antigone-Projekt ist nicht einhellig gelobt worden; das historische Publikum war sich in der Einschätzung des Projekts ebenso uneins wie die Zuschauer in Glaßbrenners Parodie. Und die Kritik geht auch über die (immer wieder gern zitierte) Anmerkung hinaus, dass “der Wächter wie ein Feuerwehrmann aussah”. 25 Tiecks Inszenierung sind mangelnde Werktreue ebenso wie Klassizismus oder Unverständlichkeit für das zeitgenössische Publikum vorgeworfen worden. Man monierte das Fehlen von Masken, die Buntheit der Kostüme, die Vermischung des “scenischen mit dem thymelischen”, 26 sprich: die Tatsache, dass die Orchestra nicht für den Chor reserviert blieb, außerdem die Verwendung einer unzulänglichen Übersetzung. Richard Wagner nannte das Projekt “eine grobe künstlerische Notlüge”. 27 Auch Mendelssohn musste sich Vorwürfe gefallen lassen: Seine Chöre seien “scheußliche Liedertafelmusik”, 28 und der Bacchus-Chor passe “wie ein Walzer zur Predigt”. 29 Wahrscheinlich lässt sich zu jedem dieser willkürlich herausgegriffenen Monita auch eine gegenteilige Einschätzung finden. Und gerade eine kontroverse Besprechung weist ja in der Regel eher als uneingeschränktes Lob auf innovatives Potential hin. Mit der ‘Erfindungs’-Metaphorik deutet sich nicht nur auf der inhaltlichen Ebene eine wesentliche Veränderung an: Auch das Verhältnis von Kunst und Wissenschaft justiert sich neu. Der Epigone wird zum wissenschaftlich Interessierten und Informierten, der um die Unmöglichkeit von Rekonstruktion weiß und sich daher bewusst für Re-Invention entscheiden kann. Das heißt aber nicht, dass Tieck in seiner Konzeption der Antigone Tieck in jedem Detail mit den - in aktueller Forschung fundierten - Vorschlägen des die Inszenierung betreuenden Fachmanns August Böckh übereinstimmt, sprich: dass allein der aktuelle Stand der Forschung die Interpretation bestimmt. Mitnichten: Tieck konstruiert eine Art prä-christlichen Kalvarienberg, indem er Antigone in Analogie zu Maria Magdalena setzt, die den Leib des Heilands vom Kreuz nimmt und mit Salben pflegt. Dieses Verständnis geht auf eine Interpretation zurück, die seit dem 16. Jahrhundert nachweisbar ist und auf die Tradition der christlichen Relektüre antiker Autoritäten zurückgeht; und dies markiert auch einen wesentlichen Unterschied zum Ideal der Wissenschaftlichkeit, wie es später in naturalistischen Theaterkonzepten formuliert wurde. Sie steht außerdem in diametralem Gegensatz zur - in den 1840er Jahren vieldiskutierten - Hegelschen Interpretation, wonach in der Antigone die Sphären von Staat und Familie kollidierten; bei Tieck gewinnt das Leiden und Sterben der Protagonistin ja den Charakter eines christlichen Martyriums. Antigone steht also moralisch weit über Kreon. 30 Böckh hingegen interpretiert das Stück in zwei Akademie- Abhandlungen der Jahre 1824 und 1828 als Kampf einander entgegengesetzter Leidenschaften. Während Antigone groß und edel, lediglich des Maßes unkundig sei, sei Kreon hart und tyrannisch. Allerdings plädiert der Philologe in der Diskussion um das Inszenierungskonzept für die Hegelsche Sicht. 31 Die Forschung ist sich nicht ganz einig, inwieweit sich Tieck mit seiner Interpretation durchsetzen konnte. Immerhin wird von intensiven Debatten zwischen Böckh und Tieck berichtet. Und so einige Kritiken, Briefe und Der Zuschauer im Bild der Antike. Konstruktionen des 19. Jahrhunderts 9 Tagebuchaufzeichnungen mutmaßlicher Zuschauer der Potsdamer und der Berliner Aufführungen lassen auf einen spürbaren Einfluss dieser Ideen auf die Konzeption der gesamten Inszenierung schließen. So habe der König von Hannover abfällig geäußert: “Ich gehe nicht hin, solches Zeug sehe ich nicht, ich bin kein Pietist”. 32 Ebenso schwer zu beantworten ist die Frage, welchem der in Frage kommenden Ansätze Friedrich Wilhelm IV. zugeneigt war. Hegels Gegenüberstellung von Staat und Familie mag so gar nicht zu Friedrich Wilhelms patriarchalisch-christlichem Verständnis des Staats als organische Einheit passen. Möglicherweise tendierte der König auch mehr zu Tiecks christlicher Sichtweise, denn zu Böckhs philologisch verantwortlicher Interpretation. Kreon wäre dann das Gegenbild zum guten, christlichen Herrscher. - Freilich fordert eine solche Lesart Kritik am politischen Status quo geradezu heraus, insbesondere im Zusammenhang mit der junghegelianischen Forderung nach einem erneuerten, nämlich verfassten Preußischen Staat. So gewinnt das Berliner Antike-Projekt auch politisch an Brisanz. Und Glaßbrenners Antigone in Berlin ist damit weit mehr, als die Parodie eines weltfremden Projekts verschrobener Philologen: Das Stück exponiert das Potential von Antike-Inszenierungen als Inszenierungen von politisch-ästhetischen Utopien. II. Piefke und der Antigonismus Über die Hintergrundmetapher der Aufführung als kollektives Festereignis formuliert Tieck ein Theaterkonzept, das zunächst fast an theaterreformerische Ideen nach 1900 denken lässt. [D]as Theater und die Bühne war ganz eins, die Zuschauer gehörten zum Theater, die Dekoration waren öffentliche Plätze, bei denen man sich die Zuschauer als von ohngefähr versammelt dachte, der Chor war selbst als die Rolle der Zuschauer eingeführt […] die Zuschauer standen nicht vor dem Gemählde, sondern sie waren selbst ein Theil des Gemähldes. 33 Tieck konstruiert hier das antike Theater, auch ganz konkret-räumlich, als ‘Urszene’ eines Theaters, in dem die Blicke bidirektional sind: Im Theater erblickt die Polis-Gemeinschaft sich selbst. Sicherlich wäre es grob verkürzend, Tieck und seiner Inszenierung deshalb eine bewusst und explizit regierungskritische Haltung zuzuschreiben. Die Zusammenhänge sind weitaus komplexer: Aus Tiecks (zunächst gänzlich unverdächtiger) Auffassung des attischen Theaters im Allgemeinen und der Antigone im Besonderen ergeben sich Wahrnehmungsoptionen, die entsprechende Reaktionen regierungskritischer Kreise provozieren. Tieck stellt Kreon moralisch unter Antigone. Offenbar schlug sich diese Sicht auf die Inszenierung nieder, was ihr die Kritik der staatstreuen Presse, etwa der Berlinischen Zeitung, eintrug: “Kreon hätte von vorneherein wohl noch etwas würdiger und vorteilhafter genommen werden können: er ist durchaus kein Bösewicht, er ist nur starr und kann keinen Widerspruch ertragen”. 34 Die Brisanz, das politische Aktionspotential, das sich aus der von Tieck beschriebenen öffentlichen Dimension des griechischen Theaters ergibt, wird in Potsdam und Berlin nicht exponiert. Aber zeitgenössische Quellen machen durchaus entsprechende Andeutungen. So schreibt der Schriftsteller und Diplomat Karl Anton Varnhagen von Ense in seinem Tagebuch: […] heute grade wird die ‘Antigone’ in Potsdam aufgeführt […], welche die schrecklichen Folgen zeigt, die man herbeiruft, wenn man das Naturgemäße zum Verbrechen macht […] Uebrigens weckt es mir eine Art abergläubischen Schauders, daß eine solche Tragödie am Hofe zur Aufführung gewählt worden, solche Darstellung der harten zum Gesetz erhobenen Willkür und des gräuelvollen Untergangs! 10 Julia Stenzel Varnhagen beklagt an dieser Stelle auch, dass es im Preußen seiner Zeit keine “Rednerbühne, [k]eine freie Presse” gebe. 35 Und ebenso wie Varnhagens Formulierung kann man auch Brennglas’ Parodie als Konkretisierung des Potentials verstehen, das sich aus dem Potsdamer Projekt ergibt und das man durchaus auch als auto-dekonstruktives Potential des Tieckschen Inszenierungskonzepts beschreiben könnte. Wenn ein heutiger Theaterwissenschaftler vom Streben der Reformbewegungen um 1900 schreibt, die das Theater “über den engen Kreis literarischer Kunstübungen hinaus zu einer alle Sinne ansprechenden Lebenserfahrung machen” wollten, 36 so erinnert das zunächst an das Fazit des Haimon- Darstellers Eduard Devrient angesichts der Antigone-Inszenierung von 1841: “Die antike Tragödie war […] aus dem engen Kreise des Bücherstudiums auf den frei zugänglichen Boden der lebendigen Kunstanschauung versetzt”. 37 Der Altertumswissenschaftler Friedrich Förster fügt zum Stichwort der Verlebendigung den Aspekt der Öffentlichkeit hinzu: “Daß ein so edeles Kunstwerk aus der engen Zelle des Gelehrten […] befreit, in das öffentliche Leben tritt, der Theilnahme des Publikums zugänglich gemacht wird, kann nicht erfolglos vorübergehen”. 38 Bei genauerer Betrachtung allerdings wird klar, dass das Verhältnis von Öffentlichkeit und Bühne im Vormärz keineswegs das utopische Moment der Moderne einfach vorwegnimmt. Eine der wohl wesentlichsten Differenzen liegt im Charakter der Utopie. Während die Inszenierung der Antike als vormärzliche Utopie auf die Vollendung der Kulturnation Deutschland als politische Nation - also auf die Schaffung einer integralen, organischen Einheit - zielt, geht es den ‘modernen’ Konzepten um die Überschreitung eines Bestehenden (sowohl in ästhetischer, als auch in politischer Hinsicht). Und vor diesem Hintergrund erscheint es nur folgerichtig, dass bei Glaßbrenner ein Potential ausagiert wird, das in Tiecks Konzept des antiken Theaters und seiner Zuschauer nur angelegt ist: Die Brennglas-Antigone konstituiert nicht einfach ein Theater im Theater, sondern eher zwei konkurrierende und interagierende Bühnen. Das Stück lebt von einer Überkreuzung der Blicke und von ihrer inszenierten Bidirektionalität: Die Figuren auf der Bühne verändern sich durch die Perspektiven, die die Zuschauer einnehmen; ganz explizit dann, wenn sie auf Einwürfe und Forderungen des Publikums antworten. Ein Beispiel dafür, wie der Chor sich gegen den Vorwurf des Altertümelns, des ‘Un-deutlichen’ und ‘Un-Deutschen’ verteidigt: Deutsches, griechischer Sprache Vor- und Nachwelt besiegende Schönheit nicht verstehendes Publikum, wir sind gleich des kyllenegeborenen Hermes Jüngstes stillmeckernd menschenwollbeleibtes Schaf schuldlos, Daß erschienen nun sind vor Euch wir. - Denn nicht für der Staatssysteme sprachliches Häkelwort Nicht für der Zeiten kluge Vorgerücktheit, gab der bienensüßberedete Sophokles, Halons Priester, das Wort uns. 39 Das beschriebene Überkreuzen der Blicke kulminiert im Auftritt des “Neujriechen” Piefke. Piefkes Ahnherr ist ein attischer “Jurkenverkäufer”: Eijentlich is er adlig, denn sein Jeschlecht reicht weit runter, er hat ne Unmasse Ahnen, aber er is nich so’n Teekessel, daruf wat zu jeben. Denn wir sind alle nich aus de Wolken jefallen. Irjend en Vater hat jeder Vater un Sohn jehabt, un wer sich auf seine Vorfahren und seine Jeburt beruft, der beweist blos, daß er an sich zu dumm oder zu schlecht is, um sich selber Achtung zu verschaffen. 40 Piefke mischt sich in die Stichomythie Haimons und Kreons - es geht dabei um Herrschafts- und Rechtsfragen, letztlich um die Frage nach der rechten Staatsform. Und er Der Zuschauer im Bild der Antike. Konstruktionen des 19. Jahrhunderts 11 Abb. 2: Antigone in Berlin. Titelkupfer der 2. Aufl., Leipzig 1842. lässt sich von Kreon nicht vertreiben: “Wir sind Berliner: Bange machen jilt nich! ” 41 Der “Neujrieche” tritt immer deutlicher in die Position eines zweiten Chores, eines Mitspielers und Vermittlers auf zwei Bühnen. Er kommentiert den Auftritt des Teiresias und fasst das Ende der Tragödie zusammen. Das einzig Tragische der Antigone sei, dass der Chor am Leben bleibt: “Wie die Tragödie schließt, bleibt uns das höchst unbehagliche Gefühl des Zweifels, was der herrscherlose Chor ferner beginnen […] wird”. 42 Seine Erläuterungen fruchten, oder, in der zu Beginn eingeführten Metaphorik: Dadurch, dass und wie Piefke ins Bild tritt, setzt er das Publikum ins Bild. Als Kreon von Teiresias zur Einsicht gebracht wird und Antigone begnadigen will, bricht das Publikum in Gelächter aus. Der hier inszenierte Zuschauer positioniert sich aktiv und selbstbewusst im Bild der Antike, er gibt sich nicht mit der Einsicht in sein Unverständnis zufrieden. Stattdessen nimmt er sich das Recht zu einem aktualisierenden Verstehen, das nicht mehr dem antiken Stück, sondern seiner Zeit gerecht werden will. Und konsequent anachronistisch zu Ende gelesen, führt die in Potsdam erstmals auf dem Theater der Neuzeit ausprobierte Bühnenform zur Schluss-Szene von Brennglas’ Antigone in Berlin: Kein Vorhang trennt Zuschauerraum und Bühne; auch die klare Markierung von Anfang und Ende der Aufführung ist relativiert. Die Bühne ist leer, ein Forum, ohne Requisiten und Dekoration. Das Titelkupfer für die Druckfassung stellt das unerhört Neue an der Bühnenform überspitzt dar. Die Bühne ist eine Art steinerne Plattform, am äußersten rechten Rand steht der Chor; die einzelnen Choreuten sind nicht individualisiert. Im Vordergrund sind die Zuschauer-Figuren hingegen sehr individuell gezeichnet; Piefke steht auf der Bühne und deutet mit einer einladenden Geste auf den Tragöden (möglicherweise der Darsteller des Kreon). Ohne Kenntnis des Stücks, allein anhand des Bildes, ist nicht zweifelsfrei zu entscheiden, wer Publikum und wer Darsteller ist; am ehesten steht noch der Chor außerhalb. Formal ist Antigone in Berlin also eine gewagte und bewusst anachronistische Interpretation des Sophokleischen Dramas unter Rückgriff auf die Potsdamer ‘Erfindung’. Von ‘modernen’ Formen des Umgehens mit dem attischen Drama unterscheiden sich die Konzepte von Tieck und seinen Zeitgenossen allerdings in wesentlichen Punkten. Bei Tieck verweist das inszenierte attische Drama auf eine spezifische Staatsform und ein historisch kontingentes Verhältnis von Kunst und Politik, das der Zuschauer in Beziehung setzen kann zur ihm zeitgenössischen Situation in Preußen und in Deutschland. Der 12 Julia Stenzel Interpretationshorizont umfasst in jedem Fall eine zu vollendende Staatsutopie, sprich: die Realisierung einer deutschen Nation als kulturelle und politische Einheit (wie sie ja in Athen verwirklicht gewesen sei). Am deutlichsten ist diese quasi-dialektische Erwartung an den Rezeptionsprozess wohl bei dem Theatertheoretiker Theodor Rötscher, der in an Hegel angelehnter Formulierung das (wörtlich-authentisch zu inszenierende) attische Drama auf der Bühne als These mit der gegenwärtigen Situation Preußens als Antithese beschreibt; potentiell ist dann das Theater in letzter Konsequenz die Keimzelle eines neuen Preußens. 43 Entscheidend für die Theaterreformbewegungen um die Wende zum 20. Jahrhundert ist ihre Tendenz zur Retheatralisierung des Theaters. So zielen auch ‘moderne’ Inszenierungen des Attischen Dramas darauf, Raum für ein Kollektiverleben zu schaffen - man denke etwa die Projekte Max Reinhards in Berlin und München. Die Neu-Konstruktion der ‘antiken’ Rezeptionssituation ermöglicht die Neu-Erfindung von Theater als (nun säkulares) kollektives Festereignis. III. Aristophanisches Gelächter Im Konstrukt der attischen Polis überlagert sich die Faszination an kulturellen mit derjenigen an politischen Ursprungserzählungen: In ihr, so die Vorstellung, sei die utopische Einheit von Ästhetik, Ethik und Politik bereits verwirklicht gewesen. Und vor diesem Hintergrund ist eine viel zitierte Passage aus der Besprechung durch Gustav Droysen nicht nur als Apologie der Rekonstruktion lesbar, sondern auch ganz im Gegenteil, als emphatische Betonung ihres innovativen Potentials: Nicht die abgestorbenen Vergangenheiten sollten uns wiederkehren, aber was an ihnen Großes und Unvergängliches, das soll mit dem frischesten und lebendigsten Geist der Gegenwart erfaßt, von ihm durchdrungen zu neuer, unberechenbarer Wirkung in die Wirklichkeit geführt werden; kein Babel toter Trümmerstücke, sondern ein Pantheon der Vergangenheit sei unsere Gegenwart. 44 Das Glaßbrennersche Stück als exemplarisches Rezeptionszeugnis stellt das Potsdamer Projekt als Paradigma für eine Konvergenz von philosophisch grundierter Theaterhistoriographie und -theorie einerseits, zeitgenössischer Bühnenpraxis andererseits geradezu aus. Diese Konvergenz macht eine trennscharfe Unterscheidung von ästhetischen und politischen Konzepten ‘der’ Antike ganz unmöglich. Unter der scherzhaft-parodistischen Oberfläche der Antigone in Berlin liegt die Inszenierung eines politischen Erkenntnisprozesses, den Piefke wenn nicht ermöglicht, so doch öffentlich macht. Und auch Glaßbrenner ist eine Art Piefke: auf einen analogen Erkenntnisprozess bei seinen Zuschauern zielt auch er. - Feodor Wehl schreibt 1865 in der Leipziger Gartenlaube: Der Berliner Witz war bis dahin nur ein Gassenjunge gewesen, ein Element, das auf allen Brunnenschwengeln, Treppengeländern und Fenstersimsen saß, mit den Beinen schlenkerte und schnoddrige Redensarten machte, aber von niemand recht beachtet wurde, ausgenommen von denen, welchen er seine Schabernacke spielte. Adolf Glaßbrenner erlöste ihn aus dieser etwas unbequemen Situation, um ihn in eine epochemachende Stellung zu bringen […] Berliner Witz, du bist kein bloßer dummer Junge, sagte er zu ihm, du bist das Genie Berlins, der souveräne Geist der Bevölkerung. Wenn du deiner selbst bewußt wirst, so kannst du es zu etwas bringen […]. Du mußt dich nur gewöhnen, deine Blicke höher und über die sogenannten Kellerhälse der Häuser hinaus zu richten. Du mußt dich um Gott und die Welt, zuletzt auch ein wenig um die Politik und Geschichte bekümmern. Der Zuschauer im Bild der Antike. Konstruktionen des 19. Jahrhunderts 13 In der Rückschau gewinnt auch der zunächst unvermittelt und beliebig wirkende Schluss von Glaßbrenners Antigone in Berlin einen politisch brisanten Sinn: Als Piefke schlussendlich allein auf der leeren Bühne zurückbleibt, singt er “während der Vorhang fällt, sehr gemüthlich von der Bühne herab”: Sie sollen ihn, sie sollen ihn, sie sollen ihn nicht haben, den freien deutschen, deutschen freien Rhein! 45 Und diese Verse sind natürlich als Parteinahme für eine selbstbewusste, zeitgenössische Kunst und Kultur im deutschen Sprachraum gegenüber jeder Form von politischem und kulturellem Konservatismus und - auch ästhetischer - Reaktion zu lesen. Letztlich verstehen Piefke und einige der erzählten Zuschauerfiguren Antigone als Stück über das Scheitern von Friedrich Wilhelms Utopie einer Verschmelzung von Volks- und Herrscherwillen. 46 Und gerade im Kontext der Bemerkungen des bereits genannten Theatertheoretikers Theodor Rötscher zum Chor und seiner Funktion erscheint Glaßbrenners textuelle Re-Inszenierung und Doppelung des Chores politisch besonders brisant: Bei Rötscher ist der Chor als Gegenüber des Publikums ein affirmatives Element. Entsprechend seiner organologischen Staatsmetaphorik realisiert sich in jedem einzelnen Choreuten eine übergeordnete Staatsidee, eine demokratische Debatte innerhalb des Chores ist entsprechend überflüssig. 47 Indem bei Glaßbrenner das Publikum, gleichsam als ein anderer, ein neuzeitlicher Chor, aktiv und durchaus kontrovers zum Bühnengeschehen Stellung bezieht, konstruiert Antigone in Berlin vor der Negativfolie der attischen Gesellschaft (repräsentiert durch den Antigone-Chor) eine demokratische, deutsche Gesellschaft. Ganz anders als in autonomieästhetischen Poetiken in der Nachfolge der Weimarer Klassik liegt bei Glaßbrenner die Aufgabe des Dichters im Beobachten seiner Zeit: “Das Poetische liegt im Wirklichen, man muß nur das Wirkliche nach allen Seiten hin verstehen”, 48 so ein Tagebucheintrag von 1836. Und so scheint es nur folgerichtig, wenn Glaßbrenner in seiner Parodie gewissermaßen eine funktionale Analogie zur Alten Komödie herstellt. Auch bei Aristophanes entsteht mit der Bezugnahme auf das diskursive Feld der Tragödie politisches Aktionspotential. 49 Vor diesem Hintergrund lässt sich die Metapher der zwei Bühnen weiter konkretisieren: Einerseits parodiert Antigone in Berlin die Potsdamer Antigone. Andererseits lässt das Stück eine Bezugnahme auf die diskursive Praxis der attischen Komödie erkennen: Auch bei Aristophanes und, so könnte man mutmaßen, bei seinen zeitgenössischen Dichter-Kollegen, treten oftmals Figuren einer Tragödie oder gar ihre Autoren auf, werden in den sozialen und politischen Kontext der gesellschaftlichen Wirklichkeit gestellt und fungieren so als Katalysatoren für gesellschaftliche Konflikte. Wie unter einem Brennglas werden diese gesellschaftlichen Konflikte nicht nur deutlicher sichtbar, sie werden - zunächst nur im Medium des Poetischen - zur Austragung gebracht. Und Glaßbrenner geht in gewisser Weise über Aristophanes hinaus: Nicht die Autoren, sondern die Zuschauer stehen auf der Bühne; sie werden zu ‘Antigonisten’, indem sie in Dialog treten zu den Figuren der Tragödie. Theater werden wieder zu den von Tieck beschworenen “öffentliche[n] Plätze[n], bei denen man sich die Zuschauer als von ohngefähr versammelt dachte”. 50 Als Beobachter zweiter Ordnung tritt dann der Zuschauer auf die Bühne; Antigone in Berlin ist nicht mehr als Rekonstruktion, sondern als Reformulierung der antiken Antigone zu lesen, die ihre Zeitgebundenheit nicht nur billigend in Kauf nimmt, sondern sie aktiv ‘in die scene setzt’. 14 Julia Stenzel Anmerkungen 1 Dieser Aufsatz ist die überarbeite und erweiterte Form eines Vortrags, den ich im Rahmen der Jahrestagung der Gesellschaft für Theaterwissenschaft in Amsterdam am 24. Oktober 2008 gehalten habe. 2 Ad. Brennglas (i.e. Adolf Glaßbrenner): Antigone in Berlin. Frei nach Sophokles, 2. Auflage, Leipzig. 1843 (Berlin wie es ist - und trinkt, H. 23, 1842), S. 7. 3 Antigone in Berlin erschien zuerst in Glaßbrenners Periodikum Berlin wie es ist - und trinkt. Die Zuschauer-Figuren, ihre soziale Herkunft, ihr Bildungsstand und ihre Marotten waren dem regelmäßigen Leser des Journals wohlbekannt. Auch die Zuordnung des Pseudonyms dürfte keine große Schwierigkeit gewesen sein. Zu Glaßbrenners Auseinandersetzung mit der politischen und sozialen Situation im Berlin der Vormärz-Zeit s. Fritz Wahrenburg, “Stadterfahrung im Genrewechsel: Glaßbrenners Berlin-Schilderungen”, in Vormärz und Klassik: Vormärz-Studien I (1999), S. 277-300 sowie Patricia K. Calkins, Wo das Pulver liegt. Biedermeier Berlin as Reflected in Adolf Glassbrenner’s Berliner Don Quixotte. New York u.a. 1998. 4 Brennglas, Antigone in Berlin, S. 7. 5 Der ehemalige Kneipenbesitzer Rentier Buffey ist eine der zentralen Figuren in Glaßbrenners Werk. Vgl. Volkmar Steiner, Adolf Glaßbrenners Rentier Buffey. Zur Typologie des Kleinbürgers im Vormärz. Frankfurt a. Main 1983. 6 Vgl. etwa Susanne Boetius, Die Wiedergeburt der griechischen Tragödie auf der Bühne des 19. Jahrhunderts: Bühnenfassungen mit Schauspielmusik, Tübingen 2005, bes. S. 11-25 und 49-61; Hellmut Flashar, Mendelssohn und die griechische Tragödie. Bühnenmusik im Kontext von Politik, Kultur und Bildung. Stuttgart/ Leipzig 2001, S. 12-15. 7 Ich verwende für das Geschehen in Potsdam bewusst den voraussetzungsreichen Begriff ‘Inszenierung’. In meiner Begriffsverwendung ist die Hypothese mitformuliert, dass schon in den Antike-Projekten der 1840er Jahre - freilich in deutlich anderer historischer Konkretisierung - Aspekte zu beschreiben seien, die in der Forschung gemeinhin für Bühnen- und Theaterkonzeptionen der Jahrhundertwende stehen. 8 Hans Christian Genelli, Das Theater zu Athen, Berlin/ Leipzig 1818. Vgl. Susanne Boetius, Die Wiedergeburt der griechischen Tragödie sowie Hellmut Flashar, Inszenierung der Antike. Das griechische Drama auf der Bühne der Neuzeit 1585-1990, München 1991. Die Monographie von Mara Nottelmann-Feil, Ludwig Tiecks Rezeption der Antike. Literarische Kritik und Reflexion griechischer und römischer Dichtung im theoretischen und poetischen Werk Tiecks, Frankfurt 1996, ist bei Quellenangaben unzuverlässig und methodisch unterbestimmt. Zur Wahrnehmung im europäischen Ausland s. Edith Hall/ Fiona Macintosh, “Antigone with Consequences”, in: dies., Greek Tragedy and the British Theatre, 1660-1914, Oxford 2005, S. 316-349. Zur Bühnenmusik s. Hellmut Flashar, Mendelssohn und die griechische Tragödie und Jason Geary, “Reinventing the Past: Mendelssohn’s Antigone and the Creation of an Ancient Greek Musical Language”, in: Journal of Musicology, Bd. 23, Nr. 2 (2006), S. 187-226. 9 Auch Zeitgenossen Mendelssohns versuchten sich an Schauspielmusik zu griechischen Tragödien. Vgl. Gesine Schröder, “Bellermanns Kompositionen zur Antigone”, in Petra Stuber: Schauspiel/ Musik im 19. Jahrhundert, Hildesheim (im Erscheinen); Susanne Boetius, Die Wiedergeburt der griechischen Tragödie; Hellmut Flashar, Mendelssohn und die griechische Tragödie. 10 Brennglas, Antigone in Berlin, S. 3. 11 Vgl. dazu die grundlegende Studie von Jörg Wiesel, Zwischen König und Konstitution. Der Körper der Monarchie vor dem Gesetz des. Theaters, Wien 2001. 12 Der Roman gestaltet “den Segen und Unsegen des Nachgeborenseyns. Unsre Zeit, die sich auf den Schultern der Mühe und des Fleißes unsrer Altvordern erhebt, krankt an einem gewißen geistigen Überfluße. Die Erbschaft ihres Erwerbes liegt zu leichtem Antritte uns bereit; in diesem Sinne sind wir Epigonen. Daraus ist ein ganz eigenthümliches Siechthum entstanden, welches durch alle Verhältniße hindurch darzustellen, die Aufgabe meiner Arbeit ist.” (Karl Leberecht Immermann, Briefe. Textkritische und kommentierte Aus- Der Zuschauer im Bild der Antike. Konstruktionen des 19. Jahrhunderts 15 gabe in drei Bänden, hg. v. Peter Hasubeck. München 1978-1987. Bd. 1, S. 836; Brief an Ferdinand Immermann vom 24. 03. 1830). 13 Brennglas, Antigone in Berlin, S. 18. 14 Brennglas, Antigone in Berlin, S. 8. 15 Brennglas, Antigone in Berlin, S. 16. 16 Die Antithese ‘Wort-‘ vs. ‘Sachphilologie’ simplifiziert freilich; im Hintergrund steht die Frage, ob die Sprache (des griechischen Textes) die Sache (die Epoche Alterthum) schon einschließe (Wortphilologie), oder ob die Sprache eine Sache neben anderen sei (Sachphilologie; Unterscheidung nach Flashar, Mendelssohn und die griechische Tragödie, S. 36f.). Vgl. E. Vogt, “Der Methodenstreit zwischen Hermann und Boeckh”, in: Hellmut Flashar, Philologie und Hermeneutik im 19. Jahrhundert, Göttingen 1979, S. 103-121; G. M. Most, “One hundred years of fractioness: disciplining polemics in 19-century German classical scholarship”, in: TAPA 127 (1997), S. 349-361. 17 Vgl. zu Konzepten des Ursprungs und ihre Bedeutung für die europäische Antike-Rezeption etwa Nina Mindt, “Begegnungen mit ‘der Antike’. Zum Umgang mit Rezeptionsformen”, in: Gymnasium 114 (2007), S. 461-474. Theo Girshausen, Ursprungszeiten des Theaters. Das Theater der Antike, Berlin 1999. 18 Vgl. zur Umwertung der ästhetischen Vorgaben des 18. Jahrhunderts Esther Sophia Sünderhauf, Griechensehnsucht und Kulturkritik. Die deutsche Rezeption von Winckelmanns Antikenideal 1840-1945, Berlin 2004; Volker Riedel, Antikerezeption in der deutschen Literatur vom Renaissance-Humanismus bis zur Gegenwart, Stuttgart u.a. 2000, Clemens Pornschlegel, Der literarische Souverän. Zur politischen Funktion der deutschen Dichtung bei Goethe, Heidegger, Kafka und im George-Kreis, Freiburg 1994. Speziell zum Antiken Theater vgl. Jörg Wiesel, Zwischen König und Konstitution, S. 141-154; ders., “Zum Verhältnis von Theater und Staat im Vormärz”, in Vormärz-Jahrbuch 2001, S. 25-41. Nicht zu verwechseln ist die Konstruktion der Antike als politische Urszene mit der einer Antike des Mythos, wie sie sich bei Bachofen oder bei Friedrich Nietzsche finden lässt. Das religiöse Moment der Antike-Rezeption bei Johann Gustav Droysen, das sich auch in den Anmerkungen des Historikers zum Potsdamer Projekt niederschlägt, spielt, wie angedeutet, auch für Tieck eine Rolle; allerdings sind die Implikation des Potsdamer Projekts dezidiert politisch. 19 So bei Matthias Kamann, Epigonalität als ästhetisches Vermögen, Stuttgart 1994. Vgl. auch Burkhard Meyer-Sickendiek, Die Ästhetik der Epigonalität. Theorie und Praxis wiederholenden Schreibens im 19. Jahrhundert: Immermann - Keller - Stifter - Nietzsche, Tübingen/ Basel 2001. Meyer-Sickendiek gibt einen aktuellen Überblick zu Forschungssituation (S. 49-59) und Begriffsgeschichte (S. 62-93). 20 Johann Paul von Falkenstein, “Einige Randbemerkungen zu H. Köchlys ‘Gottfried Hermann’”, in: Neue Jahrbücher für Philologie und Pädagogik 113 (1876), zit. n. Hermann F. Weiss, “Unbekannte Zeugnisse zu den Leipziger Aufführungen von Felix Mendelssohn Bartholdys Bühnenmusik zur Antigone in den Jahren 1841 und 1842” in: Die Musikforschung 51 (1998), S. 50-97, hier S. 56. 21 Johann Gustav Droysen, “Die Aufführung der Antigone des Sophokles in Berlin”, in: ders., Kleine Schriften zur Alten Geschichte, 2. Bd., Berlin 1894, S. 146-152, hier S. 146f. (Wiederabdruck der Besprechung vom 25.04.1842, ersch. in: Berliner Nachrichten von Staats- und Gelehrtensachen). 22 Ludwig Tieck, “‘Antigone’, von Sophokles” in, ders.: Kritische Schriften. Zum ersten Male gesammelt und mit einer Vorrede herausgegeben, IV. Band, Leipzig 1852, S. 371-373, hier S. 373. 23 Vgl. zu Konzepten von Autorschaft zwischen Romantik und Vormärz Jochen Strobel, “Nach der Autonomieästhetik. Zu Reaktion romantischer Autoren auf Veränderungen des Literatursystems in der Zeit des Vormärz” in: Romantik und Vormärz: Vormärz-Studien X, S. 433-459. 24 So etwa auch im Titel der Monographie von Susanne Boetius. Zu Metaphern der Antike- Rezeption vgl. Mindt, “Begegnungen mit ‘der Antike’”. 25 Besprechung von Droysen, Kleine Schriften zur Alten Geschichte Bd. 2, S. 146-152, hier S. 152; zit. z.B. bei Flashar, Inszenierung der Antike, 16 Julia Stenzel S. 73, bei Fischer-Lichte, “Berliner Antikenprojekte”, S. 102 und bei Nottelmann-Feil, Ludwig Tiecks Antike-Rezeption, S. 225. 26 Arnold Boeckh, Ernst Heinrich Toelken, Friedrich Förster, Über die Antigone des Sophokles und ihre Darstellung auf dem königl. Schloßtheater im Neuen Palais bei Sanssouci, Berlin 1942. Der Band versteht sich als eine grundlegende Stellungnahme der Berliner Altphilologie, Philosophie und Archäologie. Boeckh ist für die philologischen Aspekte zuständig, während Toelken die Fragen der bühnentechnischen Umsetzung aus archäologischer Sicht behandelt. Der Hegel-Schüler Förster gibt eine (durchaus affirmative) Interpretation des Stücks im Horizont der gegenwärtigen politischen Situation in Preußen. Bei kleineren kritischen Anmerkungen wird die Inszenierung insgesamt positiv beurteilt. 27 Richard Wagner, “Das Schauspiel und das Wesen der dramatischen Dichtkunst”, in: ders., Gesammelte Schriften und Dichtungen, Bd. IV, Leipzig 1872, S. 3-128, hier S. 37. 28 Julius von Werther, Erinnerungen und Erfahrungen eines alten Hoftheater-Intendanten, Stuttgart 1911, S. 95. 29 Friedrich Hebbel, Werke, hg. v. Gerhard Fricke, Werner Keller und Karl Pörnbacher, Frankfurt a. Main 1966; Bd. IV, S. 651, Tagebucheintrag Nr. 3093 [31. 03. 1844]. 30 Vgl. Boetius, Die Wiedergeburt der griechischen Tragödie, S. 18-27, bes. S. 24f; 260f. Tiecks Interpretation ist nicht originär; die Vorstellung von Sophokles’ christlichem Weltbild findet sich schon bei August Wilhelm Schlegel und bei Goethe; vgl. Boetius, Die Wiedergeburt der griechischen Tragödie, S. 18f. Die Analogie ‘Antigone - mater dolorosa’ wurde von Robert Garnier (Antigone où la Piété) 1580 erstmals formuliert; vgl Nottelmann-Feil, Tiecks Rezeption der Antike, S. 220. 31 Vgl. dazu Boetius, Die Wiedergeburt der griechischen Tragödie, S. 260f.; Nottelmann-Feil, Tiecks Rezeption der Antike; S. 228. 32 Karl Anton Varnhagen von Ense, Tagebücher, Bd. II, S. 68 (3.5.1842). 33 Henry Lüdeke, Das Buch über Shakespeare. Handschriftliche Aufzeichnungen von Ludwig Tieck. Aus seinem Nachlaß herausgegeben. Halle 1920, S. 300f. 34 Berlinische Zeitung, 30.10.1841. 35 Varnhagen, Tagebücher, Bd. I, S. 359f. (18.10.1841). 36 Patrick Primavesi, “Schluß mit dem Gottesgericht? Theaterarbeit zwischen Ritual, Tragödie und Performance”, in: Richard Faber / Volkhard Krech (Hg.), Kunst und Religion im 20. Jahrhundert, Würzburg 2001, S. 157-186, hier S. 159. 37 Eduard Devrient, Geschichte der Schauspielkunst, Bd. V, Leipzig 1874, S. 157. Ähnlich auch Droysen, “Die Aufführung der Antigone des Sophokles in Berlin”, in: ders., Kleine Schriften zur Alten Geschichte, Bd. 2, S. 146- 152, hier S. 146. 38 Friedrich Förster, “Vorwort”, in: Boeckh, Toelken, Förster, Über die Antigone des Sophokles. 39 Brennglas, Antigone in Berlin, S. 27. 40 Brennglas, Antigone in Berlin, S. 42. Piefke hat in Athen bei Komödienaufführungen ‘saure Jurken’ verkauft; da man in Deutschland als Komödienschreiber alles sagen dürfe, sei er hierher gekommen, um sein Geschäft auszuweiten. Da die deutschen Komödienschreiber aber selbst nur Saure Gurken auf die Bühne bringen, läuft das Geschäft schleppend an. Der Ausdruck ‘Sauregurkenzeit’ wurde schon im 19. Jh. bildhaft verwendet für eine Zeit des politischen Stillstands. Man kann die Passage als Anspielung auf biedermeierliche Gemütlichkeit lesen; s. Lutz Röhrich, Lexikon der sprichwörtlichen Redensarten, 2 Bd., Berlin 1994, Bd. 1, S. 599. 41 Brennglas, Antigone in Berlin, S. 45. 42 Brennglas, Antigone in Berlin, S. 48. 43 Vgl. Wiesel, Zwischen König und Konstitution, bes. Kap III; ders., “Zum Verhältnis von Theater und Staat im Vormärz”. 44 Droysen, “Die Aufführung der Antigone des Sophokles in Berlin”, in: ders., Kleine Schriften zur Alten Geschichte, Bd.2, S. 146-152, hier S. 148. Erika Fischer-Lichte zitiert diese Passage um ihre These von der Potsdamer Antigone als “Totenbeschwörung” zu stützen (“Berliner Antikenprojekte”, in: dies., Theater im Prozeß der Zivilisation, Tübingen u.a. 2000, S. 99-122, hier S. 100). M.E. bedeutet das eine problematische Verkürzung, ist es Droysen doch gerade nicht um Rekonstruktion zu tun. Ganz im Der Zuschauer im Bild der Antike. Konstruktionen des 19. Jahrhunderts 17 Gegenteil vergleicht er die Neu-Entdeckung der Antike im 19. Jahrhundert mit der Shakespeareomanie des Sturm und Drang: “Und fürwahr, schon zeigen sich da und dort die Frühlingsboten einer neuen Zeit, schon keimt es und beginnt es zu grünen; ein fruchtbarer Regen noch, und das alte, fahle Wintergras ist vom frischen Grün überholt”, so schließt Droysen seine Besprechung der Antigone (S. 152). 45 Brennglas, Antigone in Berlin, S. 56. 46 Auf diesen Aspekt kann ich hier nicht näher eingehen; er wird demnächst im Rahmen des Bayern excellent-Projekts Reformulierung der Antike (Leitung: Prof. Dr. Christopher Balme; Teilprojekt Dr. Julia Stenzel) weiterverfolgt. 47 Vgl. Wiesel, “Zum Verhältnis von Theater und Staat im Vormärz”, in Vormärz-Jahrbuch 2001, S. 25-41, bes. 28-39 48 Aphorismus aus Glaßbrenners Tagebuch [1836], zit. n. Heinz Gebhardt: Glaßbrenners Berlinisch, Berlin 1933, S. 116. 49 Man denke etwa an den Dichterwettstreit in den Fröschen des Aristophanes. Vgl. Martin Holtermann, Der deutsche Aristophanes: Die Rezeption eines politischen Dichters im 19. Jahrhundert, Göttingen 2004. Glaßbrenner hat zudem unter dem Titel Kaspar, der Mensch (1850) eine Parodie auf Goethes Faust verfasst; das Stück ist bezeichnenderweise auch formal an die Alte Komödie angenähert. 50 Henry Lüdeke, Das Buch über Shakespeare, S. 300. Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Postfach 25 60 · D-72015 Tübingen · Fax (0 7071) 97 97-11 Internet: www.narr.de · E-Mail: info@narr.de This book provides a commentar y on the most important remains of several of the key poets of the Athenian Middle Comedy. A major asset of this book is the Introduction, where the author discusses two controversial issues; the periodisation of Greek Comedy and the validity of the term Middle Comedy itself. The Introduction also deals with the issue of the sources for the comic remains and their reliability. The rest of the book is divided into six sections, each devoted to one of six major Middle Comedy playwrights respectively. For each fragment a critical apparatus, a translation and a commentar y are provided. The commentar y for ever y fragment is meticulous and thorough, enriched with cross-references to parallels, in the form of either antecedents or precedents, both from within Greek Comedy and from other genres. The comprehensive analysis of individual fragments is intended to help the reader to understand both the work of the individual poets and the nature of Middle Comedy. As well as demonstrating that the first half of the fourth century is an epoch of extreme experimentation, the commentary also illustrates the complex process of innovation and continuity which characterises Athenian Comedy over two centuries. Athina Papachrysostomou Six Comic Poets A Commentary on Selected Fragments of Middle Comedy Drama, Neue Serie, Band 4 2008, VI, 304 Seiten, €[D] 58,00/ Sfr 98,00 ISBN 978-3-8233-6378-1 “Können Neger blond sein? ” - “Du, die sind zu allem fähig! ” Zur Inszenierung der Zauberflöte von Hans Neuenfels Danièle Galiby-Daude (Berlin) “Ich weiß nur allzu viel - Weiß, daß deine Seele ebenso schwarz als dein Gesicht ist.” (Die Zauberflöte, Sarastro Elfter Auftritt) Opernkonventionen Am 25. November 2006 schließt die Komische Oper Berlin ihren Mozart-Zyklus mit der Zauberflöte unter der Regie von Hans Neuenfels. Dass Neuenfels keine illustrative Märchenoper auf die Bühne stellen würde, war zu erwarten, sorgte sein Idomeneo doch kurze Zeit zuvor für die Erhitzung der aktuellen Debatte um die Mohammed-Karikaturen. Sex auf der Bühne sowie die Frage danach, ob die Aufführungspraxis der Oper veraltet sei, zeichnen sich schnell als Leitlinien seiner Inszenierung der Zauberflöte ab: Als szenische Mittel setzt der Regisseur unter anderem einen über einen Meter langen Penis als Flöte und einen silbernen Hodenbaum als Glokkenspiel ein, außerdem einen sexuell frustrierten und onanierenden Papageno und einen homosexuellen, pädophilen Priester. Unser Augenmerk richtet sich jedoch auf den zweiten Aspekt: auf die Kritik an den veralteten Dramaturgien und Aufführungspraktiken der zeitgenössischen Oper. Neuenfels erweitert das Ensemble um drei zusätzliche Figuren: Marie-Louise, die französische Leiterin einer Schauspieltruppe (Elisabeth Trissenaar) und ihre zwei Gehilfen Franz (Ludwig Blockbeger) und Xaver (Alexander Heidenreich). Die von Neuenfels selbst verfassten Dialoge lassen die aufklärerische Intention des Regisseurs von Anfang an erkennen. Das Spiel ist emphatisch und der Grundton der Inszenierung plakativ. Hinsichtlich der intendierten Kritik am Opernbetrieb erweist sich die Beschäftigung des Regisseurs mit der Neben-Figur Monostatos als besonders aufschlussreich. Auf der dramatischen wie auf der szenischen Ebene stellt Monostatos jeden Regisseur vor eine Herausforderung. Er steht abseits - nicht zuletzt durch seine Schwarze Hautfarbe, die nach altem Komödienrecht auf seine Bösartigkeit schließen lässt. […] Monostatos, d.h. seine Arie, ist das Gegenbild zur Liebe Taminos, Papagenos und Paminas, ja auch zur allgemeinen Menschenliebe Sarastros. Seine Lüsternheit stiftet keine Beziehung. 1 Zudem wird jeder Regisseur, der sich mit der Zauberflöte beschäftigt, mit einer starken Aufführungstradition konfrontiert. 2 In dieser Hinsicht erweist sich die Darstellung des Monostatos nicht nur als gattungsspezifische, sondern als durch und durch kulturhistorische Problematik. Kunze erwähnt die schwarze Hautfarbe der Figur als traditionelles Symbol des Bösen in der Komödie. Sicherlich bildet das Komische einen Teilaspekt der musikdramatischen und szenischen Konstruktionen dieser Figur. Der ideologische Boden dieser Konvention reizt allerdings nicht zum Lachen. Denn Monostatos werden Merkmale wie dumm, böse, unterwürfig, lüstern, schreckhaft, feige zugeschrieben. Kurz: es handelt sich bei diesen Zuschreibungen um eine bildliche Übertragung des Be- Forum Modernes Theater, Bd. 24/ 1 (2009), 19-30. Gunter Narr Verlag Tübingen 20 Danièle Galiby-Daude griffs NEGER 3 auf die Bühne - und zwar ohne Anführungszeichen. Die Stigmatisierung der Figur Monostatos verfestigte sich im Laufe der Aufführungsgeschichte im Sinne des rassistischen Begriffs NEGER, bis diese den Status einer Aufführungskonvention erreichte und damit legitimiert und normalisiert wurde. Eine Konvention, der eine während der europäischen so genannten Aufklärung systematisierte Rassentheorie 4 zugrunde liegt, muss hinterfragt werden. Dies tat Neuenfels, indem er versuchte, solcherart rassisierte Darstellungen zu thematisieren. 5 Gewiss ist der Versuch, rassisierte Darstellungen zu demaskieren, sei es durch inszenatorische oder akademische Arbeiten, zunächst begrüßenswert. Immerhin erkannte Neuenfels die von der Figur Monostatos ausgehende Problematik und versuchte ihr entgegenzuwirken. Der gute Vorsatz allein reicht aber zu einer erfolgreichen Demaskierung oder Entlarvung rassisierter Inhalte nicht aus. Im musiktheatralen Bereich wird die Demaskierung (wie in jeder auf Re-Präsentation basierenden künstlerischen Ausdrucksform) zusätzlich dadurch erschwert, dass rassisierte Darstellungen ästhetisiert und dadurch verharmlost werden. Oft wird argumentiert, dass ‘es’ doch im Werk stehe oder, dass die Inszenierung eben einer Aufführungstradition gehorche. Der Gedanke, dass jegliche rassisierten Darstellungen im Grunde genommen nichts anderes als eine Aufführungstradition seien, ist nicht nur falsch, da sich die Aufführungsgeschichte der Oper einer ihrer prägenden Bestandteile ist, sondern auch inakzeptabel, denn er rechtfertigt rassisierte Darstellungen. Sowohl in der Inszenierungspraxis wie auch in der Forschung besteht ein dringender Nachholbedarf, was die Auseinandersetzung mit rassisierten Inhalten anbelangt. Zunächst einmal fehlt die theoretische Grundlage zur Auseinandersetzung mit diesem durchaus unangenehmen Thema. Hinzu kommt die Komplexität des musiktheatralen Forschungsgegenstands. Die musikwissenschaftliche Opernforschung gibt hierzu eine unmissverständliche Einschätzung, indem sie jegliche szenische Komponente als außermusikalische Angelegenheit bezeichnet und sie damit von jeglicher Betrachtung ausschließt. Die Theaterwissenschaft hingegen kann sich dem Thema nur schwer entziehen, denn ihr Forschungsgegenstand ist nun einmal das theatrale Ereignis, also die Inszenierung und die Aufführung. 6 Die Auseinandersetzung mit rassisierten Darstellungen wird demnach aus einer theaterorientierten Perspektive erfolgen, welche den spezifischen Forschungsgegenstand Oper bzw. Musiktheater als Ergebnis und Teil eines kulturhistorischen Kontextes betrachtet. Denn es gilt jene Tradition und jenen akademischen Diskurs, welche Rassismus banalisieren und unsichtbar machen, zu benennen und zu hinterfragen. Dieser Artikel versteht sich als einen Beitrag zu dieser wesentlichen, und dennoch vernachlässigten Problematik der Opernpraxis und -forschung. Daher erfolgt die Analyse von Neuenfels’ Kritik an einem Aspekt der Operntradition, nämlich der Darstellung des Monostatos, auf zwei Ebenen. Zunächst werden die szenischen Mittel seiner Entlarvungsstrategien anhand dreier repräsentativer Beispiele untersucht: erstens der Monostatos-Arie; zweitens des Aufklärungsdialogs zwischen Franz und Xaver und drittens der kurzen Dialogstelle zwischen Monostatos und Marie-Louise. Der Erfolg der Entlarvung wird dabei geprüft, indem die ideologischen Voraussetzungen, wovon diese Mittel ausgehen und woran sie appellieren, untersucht werden. Vor diesem Hintergrund wird weiter der akademische Diskurs anhand seiner drei tragenden und auffälligsten Argumente analysiert. Genauso wie Mysogynie den Mann - bzw. eine androzentrische Perspektive - als Normalität voraussetzt, wird Rassismus erst durch die gleichermaßen konstruierte Kategorie des Weißseins bedingt und allererst ermöglicht. Ich werde daher an “Können Neger blond sein? ” 21 die deutschsprachige Weißsein-Forschung anknüpfen, welche für die folgende Argumentation grundlegende Erkenntnisse liefert und damit eine erste Bestandaufnahme für den Bereich der Operntheorie und -praxis ermöglicht. Beispiel 1: Auftritt und Fall des Monostatos: “Alles fühlt der Liebe Freuden” Ich habe meinem Agent gesagt, ich habe nichts dagegen einen NEGER, den Monostatos, zu spielen, wenn man erkennt, dass ich keiner bin. (Dialog aus der Zauberflöte, Neuenfels) Es sei hier zunächst kurz an die textlichen und musikalischen Vorgaben erinnert: Gliederung Taktzahlen Tonarten Dynamik u. Motivik Libretto und Regieanweisungen Orchester Vorspiel 1-9 C-Dur Allegro 2/ 4 1. pp, doch meist mf - f gespielt 2. Motiv: Thematisch (Holzbläser und V I) Pointierter Rhythmus/ Begleitung rasche Sechzehntel (Streicher außer V I) (Alles wird so piano gesungen und gespielt, als wenn die Musik in weiter Entfernung wäre) Durchführung 10-43 A 10-24 C-Dur Ritournelle a1 10-14 1. “Alles fühlt der Liebe Freuden, schnäbelt, tändelt, herzt und küsst; ” 2. “Drum so will ich weil ich lebe, schnäbeln, küssen, zärtlich sein! ” a2 15-20 18-20 Modul. in G- Dur 1. “und ich soll die Liebe meiden, weil ein Schwarzer hässlich ist! ” 2. “Lieber, guter Mond, vergebe, eine Weiße nahm mich ein.” a1 21-25 G-Dur B 25-34 G-Dur Kontrastierender Divertissement b1 25-28 Wird meist p - mp gespielt 1. “Ist mir denn kein Herz gegeben? ” 2. “Weiß ist schön, ich muß sie küssen” b2 29-34 1. “bin ich nicht vom Fleisch und Blut? ” 2. “Mond! verstecke dich dazu.” A’ (a1+ a2) 35-43 C-Dur Coda 1. “Immer ohne Weibchen leben, wäre wahrlich Höllenglut! ” 2. “Sollt’ es dich zu sehr verdrießen, o, so mach die Augen zu.” Orchester Nachspiel 43-49 C-Dur (er schleicht langsam und leise zu Pamina hin) 22 Danièle Galiby-Daude Schikaneder und Mozart bemühen sich nicht sonderlich darum, Monostatos Tiefe zu verleihen. Sie geben ihm zwar im Ansatz dramatische Züge, zerstören diese jedoch gleichzeitig, indem sie sie oberflächlich halten und nicht weiter verfolgen. Textlich verweisen die drei ersten Strophen des Librettos auf die Einsamkeit der Figur. Monostatos klagt über seinen Staus im Reich Sarastros: von allen verstoßen und nicht ernst genommen. Selbst eine Partnerin wird ihm verweigert, “weil ein Schwarzer hässlich ist”. Doch die vierte Strophe setzt der mühsam aufgebauten Tragik der Figur ein abruptes Ende und lässt sie ins Bestialische abstürzen. Amüsiert kündigt Monostatos schamlos und selbstverständlich seine Absicht der Vergewaltigung Paminas an. Musikalisch könnte diese extrem kurze Aria da Capo ABA’ (49 Takte) kaum einfacher sein: C-Dur (A) geht auf die Dominante G-Dur (B) und kehrt etwas bereichert auf der ursprünglichen Tonart C-Dur (A’) zurück. Tempo: Allegro. Das kontrastierende Divertissement, das aus zwei Motiven besteht, lässt allerdings wenig Raum für einfühlsamen Ausdruck (10 Takte). Es handelt sich also nicht um ein Klagelied. Der rasche 2/ 4-Takt und der punktierte hastige Rhythmus des Themas auf die Sechzehntel der Bässe erwecken einen Eindruck der Hektik. Hier deutet sich Monostatos’ sexuelle Erregung bereits an. Mozart hatte hier offensichtlich kein Interesse daran, Monostatos als Mitleid erregende Figur darzustellen. Er nimmt ihn so wenig ernst, dass er ihn auf zwei völlig unterschiedliche Inhalte die gleiche Melodie singen lässt, nämlich “weil ein Schwarzer hässlich ist” als Klage über seine einsame Situation im Reich Sarastros und “eine Weiße nahm mich ein” als Ausdruck der Hoffnung über einen möglichen Ausweg aus seiner einsamen Situation durch die Bindung mit einer Frau. Wie stellt sich Neuenfels zu diesem Inhalt? Er lässt Monostatos mit schwarzer Schminke und überdimensionierter roter Bemalung der Lippen auftreten. Dieses szenische ‘Nachäffen’ von Schwarzen hat natürlich eine Geschichte, die mit der des Kolonialismus in Verbindung steht und entsprechend weit zurückreicht. Berühmt und verbreitet wurde diese szenische Karikatur von Schwarzen jedoch erst später, und zwar durch den Erfolg der Minstrel Shows und ihrer Titel- Figur Jim Crow auf US-amerikanischen Bühnen im 19. Jahrhundert. Die Show wurde von weißen Schauspielern präsentiert, welche die von ihrem weißen Umfeld den Schwarzen zugeschriebenen Attribute - dumm, lüstern, lustig, böse, feige, unterwürfig usw. - tänzerisch und gesanglich illustrierten. Diese Zuschreibungen basierten auf bereits propagierten und praktizierten Formen im abendländischen Raum und in den Kolonien. Die Minstrel Shows tourten auch durch Europa und machten dort Schule. Ihre Funktion war eine doppelte. Einerseits affirmierten sie rassistische Normsetzungen beziehungsweise die Ideologie einer weißen Überlegenheit, andererseits trugen sie zur nachträglichen Rechtfertigung der über vier Jahrhunderte andauernde Deportierung afrikanischer Menschen als Sklaven in die Karibik und nach Amerika bei. 7 Ich gehe davon aus, dass die Absurdität und die Gefährlichkeit der Rassen- Ideologie jedem klar sind und werde sie daher nicht weiter ausführen. Wenn man aber dieser Ideologie entgegen zu wirken gedenkt, sollten ihre Mechanismen nachvollzogen werden. Und zwar nicht auf einer abstrahierenden Makro-Ebene, sondern auf der individuellen Mikro-Ebene. In dieser Hinsicht erweist sich die Reflexion über die Konstruktion von Weiß-Sein beziehungsweise über die eigene Positionierung innerhalb dieses Kontextes als unverzichtbar. “Können Neger blond sein? ” 23 Wie ist der ‘Bananen-Esser’ zu deuten? Einer verbreiteten Ansicht gemäß ist diese Figur nichts als ein weiteres Zeichen einer überladenen, sexualisierten Zauberflöte. Genauso wie Monostatos’ Hautfarbe ausschließlich anhand einer Komödienkonvention nicht zu verstehen ist, ist diese rassisierte Darstellung nicht ohne ihren ideologischen, genauer: rassenideologischen Hintergrund zu erklären. An dieser Stelle lässt sich ein begrifflicher Exkurs nicht vermeiden. Wie bereits in der Darstellung der Minstrel Shows erwähnt, funktioniert die Rassen-Ideologie durch die Kategorisierung von Menschen aufgrund ihnen zugeschriebener Merkmale. Es handelt sich dabei um eine Übertragung der darwinschen Evolutionstheorie auf die menschliche Kultur, die Machtverhältnisse naturalisiert und somit legitimiert. Dabei werden Schwarze als eine Art Zwischenstufe zwischen dem Affen und dem der weißen ‘Herrenmenschen’ dargestellt. 8 Wenn Neuenfels seinen schwarz geschminkten Schauspieler langsam und genussvoll eine Banane essen lässt, rekurriert er auf diesen Zusammenhang. Vor diesem Hintergrund will ich nun Prämissen und Auswirkungen des vorgestellten Dialogs ergründen. Fraglich ist, wie die von Neuenfels angestrebte Entlarvung der Rassenideologie stattfindet. Die Bloßstellung ist zu Beginn des Dialogs plakativ eingeführt. Dennoch gilt es zur Art der Entlarvung an dieser Stelle einige Fragen zu stellen: wird durch ein solches offensives ‘Alibi’ die Verwendung des rassistischen Wortes NEGER weniger rassistisch? Worüber lacht das Publikum? Über den rassistischen Witz oder über die Entlarvung? Ist das Gelächter des Publikums - wie vielfach behauptet - ein Beleg für ihren Erfolg? Im Folgenden will ich erläutern, warum gerade das Gelächter des Publikums als Misserfolg der Entlarvung aufgefasst werden muss. Erstens: Bevor man Rassismus entlarven kann, muss man in der Lage sein, ihn überhaupt zu erkennen. Unabdingbare Voraussetzung für ein Erkennen bildet allerdings die Kenntnis des Rassismus. Dazu bedarf es zum einen einer Aneignung von Kenntnissen über die Erscheinungsformen (sprachlich, bildlich etc.) rassistischer Vorurteile, ihre Verwandlungen und “Verfeinerungen” im Laufe der Beispiel 2: “Können NEGER blond sein? ” (verkniffenes Gelächter im Parkett) - “Du, die sind zu allem fähig! ” (Gelächter) Franz und Xaver sind allein. Ihr Dialog beginnt wie folgt: “Ich würde gerne mal schwarz sein. Wenn ich danach wider normal sein kann” “Du meinst weiß” [gestische Untermalung mit beiden Händen] “Ja na klar! ” [leichtes Gelächter in meiner Umgebung, im Parkett] Dann tritt ein Schauspieler von rechts auf. Er ist schwarz gekleidet, groß und schlank, mit halblangem blondem Haar. Wie Monostatos ist er schwarz geschminkt, die Lippen sind rot übermalt. Er isst langsam und genussvoll eine Banane. Im folgenden Dialog wird nicht weniger als sechs Mal das Wort NEGER ausgesprochen. Ein Ausschnitt sei hier wiedergegeben: “Ist er [der NEGER, D. G.-D.] echt? ” [einer schnüffelt an seinem linken Bein herum] “Ja, er stinkt! ” [offenes Gelächter im Zuschauerraum] “Nein, es ist die Schminke! ” [erneutes Gelächter] […] “Können NEGER blond sein? ” [Gelächter, so dass der Schauspieler seinen Ansatz leicht verzögert] “Du, die sind zu allem fähig! ” [offenes Gelächter] 24 Danièle Galiby-Daude Zeit (von Beginn der deutschen Kolonialzeiten an), sowie ihrer ideologischen Prämissen und ihrer Auswirkungen im aktuellen gesellschaftlichen Kontext. Zum anderen, und das ist der schwierige Part, gilt es, sich des eigenen ‘weißen’ Raums beziehungsweise der Konstruktion des Weißseins bewusst zu werden. Diese Reflexion und die daraus folgende individuelle Positionierung zur weißen Selbstverständlichkeit unterscheidet sich grundlegend von einer Reflexion, welche von Weißsein als Norm ausgeht. Sie zwingt zur Auseinandersetzung mit den eigenen Vorurteilen. Es geht hierbei keinesfalls darum, sich in die Lage von Minoritäten, hier Schwarzen, zu versetzen. Denn man braucht nicht selber in aller Öffentlichkeit ausgegrenzt, beschimpft und gedemütigt zu werden, um zu wissen, dass es sich nicht gut anfühlt. Rassistische Vorstellungen haben weniger mit einem konstruierten ‘Anderen’ zu tun, in das es sich hineinzuversetzen gälte, um diesen Vorstellungen entgegenzuwirken. Vielmehr hängen sie mit der Projektion ‘weißer’ Phantasien auf Schwarze zusammen, die in ‘weißen’ Räumen entstanden sind und in diesen weiter fortgeführt werden (z.B. Minstrel Shows). Zweitens: das ‘N-Wort’. An dieser Stelle bedarf es einer begrifflichen und historischen Erläuterung von Bezeichnungen für Schwarze in Deutschland. 9 MOHR ist im deutschsprachigen Raum die älteste Bezeichnung für nicht-weiße Menschen. Das Wort ist vom lateinischen Mauri abgeleitet und wurde im Mittelalter dazu verwendet, Heiden von Christen zu unterscheiden. Die abwertende Prägung bekam das Wort mit dem Beginn der Kreuzzüge und den daraus folgenden Kriegen zwischen Moslems und Christen. Ein vergleichbarer Bedeutungswandel zeigt sich auch an anderen Stellen im christlichen Vokabular. 10 Zunächst Ende des 17. Jahrhunderts für die Klassifikation von Tieren und Pflanzen verwendet, wurde der Begriff ‘Rasse’ im Zeitalter der so genannten Aufklärung auf Menschen übertragen. Auf diese Weise wurde die christliche Farbensymbolik zum Ausgangspunkt einer Rassenideologie, die Menschen in einer ethnozentrischen Entwicklungstheorie klassifizierte bzw. auf- und abwertete. Im Kontext der kolonialen Expansionen Europas (vom 16. Jahrhundert bis ins 20. Jahrhundert) setzte sich das N-Wort zur Bezeichnung von Schwarzen in weißen Räumen durch. Es löste die Bezeichnung MOHR ab und fügte eine weitere abwertende Komponente hinzu: den Aspekt der Versklavung und der damit verbundenen Demütigungen. Von diesem Punkt an ist das N-Wort endgültig zum Schimpfwort geworden. Nicht ohne Grund bediente sich auch die Nazi-Propaganda dieses Begriffs. Neu war allerdings die Verbreitung einer bildlichen Umsetzung des N-Worts im Medium der US-amerikanischen Minstrel Shows. M- und N-Worte finden im heutigen Deutschland trotz massiver Proteste Schwarzer Communities weiterhin Verwendung. Man denke an die vielen Redewendungen, Kinderlieder, Sprüche, Bücher-, Zeitungs- oder Magazintitel, an bildliche Darstellungen, die durch die Produkte der Konsumindustrie reproduziert werden - u.a. Lakritze, Schokolade, Backwaren in Tierform oder Straßennamen wie ‘M-straße’. Durch diese Banalisierung von M- und N-Worten beziehungsweise entsprechender bildhafter Darstellungen tritt die Tatsache in den Hintergrund, dass es sich dabei um eine abwertende Fremdbestimmung handelt, welche nach wie vor in einer rassistischen Ideologie gründet. Daher ist das von Weißen verwendete N-Wort immer rassistisch und gegenüber Schwarzen abwertend. Und so muss bezüglich Neuenfels’ szenischer Mittel (seien es die Dialoge, die Schminke, die Figurenzeichnung des Monostatos) gefragt werden, wie man rassistische Stigmatisierungen demaskieren soll, ohne dass man sich über die Konstruktion von Weißsein als hegemoniale Macht- und Wissensstruktur im Klaren ist. Denn der weiße Raum “Können Neger blond sein? ” 25 wird hier in seinem Bestand und in seiner Selbstverständlichkeit weiterhin bestätigt und verfestigt, indem ein Witz von und für Weiße inszeniert wird. Dieser Prozess kann per definitionem keine Entlarvung enthalten. Und das führt uns zum letzen Punkt: dem Raum, also der Komischen Oper Berlin, in dem solche ‘Witze’ geäußert werden können. Drittens: ‘Witze’ setzen immer einen in- und einen outsider und somit einen sozialen Raum voraus. Der Erzähler oder Darsteller des Witzes versucht sein Publikum zu unterhalten, indem er sich seiner eigenen sowie der Repräsentationsfelder seines Publikums bedient. Innerhalb des weißen Raumes werden ihm auf diese Weise ‘Witze’ in den Mund gelegt, die auf Gemeinsamkeiten fußen, hier: die von Weißen für Weiße auf Kosten von Schwarzen konzipiert werden. Diese sehr beliebte und verbreitete Verwendung rassistischer Darstellungen auf deutschen Theater- und Musiktheater-Bühnen nenne ich den White-Joker-Modus. 11 Die Bezeichnung zielt weniger auf den ursprünglichen Narrencharakter des Jokers als vielmehr auf die Intra-Referenzialität des so benannten Witzes. Intra-Referenzialität unterscheidet sich von Selbst-Referenzialität: Während die letztere ein dargestelltes Objekt ausschließlich durch die von ihm hervorgebrachten eigenen Referenzen definiert - in diesem Falle wäre hier ein Witz von und für Neuenfels - setzt Intra- Referenzialität den Fokus auf die interaktive Beteiligung einer exklusiven Gruppe, hier Weiße, auf Basis gemeinsamer Referenzen. Den vorgegebenen Witz auf ein selbstreferenzielles Niveau zu reduzieren, leugnet diesen gemeinsamen Referenzboden, den weißen Raum, an den der Witz appelliert. Diese Verharmlosung ist paradigmatisch für das Misslingen der Entlarvung. Denn der Witz hat in einem Raum stattgefunden, in dem ein Diskurs über Rassismus vorgeführt wurde, ohne dass die Kategorie ‘Weißsein’ als einzige gültige epistemologische und historische Referenz dekonstruiert wurde. Man kann Rassismus nicht entlarven, wenn man seine Mechanismen im eigenen Raum nicht erkennt. Wie ist diese Szene zu deuten? Vordergründig handelt es sich hier um eine durchschnittliche Bürgerin, für die die Toleranz selbstverständlich ist, 12 denn Toleranz lernt man in Deutschland schon früh. Gleichzeitig lernt man aber auch, dass eine tolerante Einstellung nicht unmittelbar mit ihrer Umsetzung verbunden ist. Marie-Louise reagiert hier nicht nur zickig, sondern sie sieht aufgrund der Beleidigung durch Monostatos keinen weiteren Grund, ihre tolerante Fassade beizubehalten. Dadurch spricht sie empathisch alternde weiße Frauen an. Die plakative Botschaft lautet: die unbescholtene Bürgerin ‘rastet aus’ und zeigt ihr wahres, wenig schönes Gesicht. Indem der Regisseur rassistische Verhaltensmuster in Alltagssituationen als marginale Ausraster wohlmeinender Bürger präsentiert, erklärt er deren - für den gesellschaftlichen Alltag grundlegende - Mechanismen für nichtig. Damit ist der erste Schritt hin zur Leugnung der Existenz des alltäglichen Rassismus bereits getan. Und wie soll etwas bekämpft werden, das nicht existiert? Beispiel 3: Marie-Louise rastet aus: “Ja, was ist NEGER? ! ” “Ja, es gibt Menschen mit anderen Hautfarben”, sagt Marie-Louise, die Leiterin der Theatertruppe, “schwarze Menschen”. Ihre Begegnung mit dem lüsternen, aber anscheinend auch begehrenswerten Monostatos verläuft dennoch schlecht. Marie- Louise, die ohnehin schon Schwierigkeiten mit ihrem Alleinsein und Älterwerden hat, reagiert ganz pikiert auf Monostatos ‘Kompliment’: “Sie sehen ja ganz gut aus für Ihr Alter”. Zunächst starr vor Wut, ‘rastet sie aus’. Sie brüllt ihren Gesprächpartner, den zwischenzeitlich verschwundenen Monostatos, an: “Ja, was ist? NEGER! ”, was erneutes Gelächter im Zuschauerraum hervorruft. 26 Danièle Galiby-Daude Die zu Beginn plakativ angekündigte Erziehung des Durchschnittsbürgers zielt also vielmehr darauf, diesen zu entlarven. Um eine Kritik des Bürgertums zu vollziehen, könnte m.E. aber auf das N-Wort verzichtet werden. Das Publikum Aufgrund der Intra-Referenzialität von Neuenfels’ szenischen Darstellungen ist das Handeln bzw. das Nicht-Handeln des Publikums mindestens ebenso problematisch wie die präsentierten Beispiele der Regie. Es wurde gelacht und zwar mehrmals. Worüber? Über die rassistische Witze oder über deren Entlarvungen? Die Darstellung des Monostatos schockierte niemanden; niemand regte sich über die groteske Schminke, die Reproduktion der rassistischen Attribute auf. Auch von der wiederholten Artikulation des N-Wortes wurde wenig Notiz genommen. Monostatos wurde am Ende gleichgültig applaudiert; er wurde weder ausgebuht noch ausgepfiffen noch löste er Entsetzen aus. Im Parkett vernahm ich hinter mir sogar ein “gut dieser MOHR! ”. Zu empörten Reaktionen ist das Publikum an diesem Abend dennoch fähig: Die Figur der Marie-Louise löste Aufregung aus. Die Gründe sind unschwer zu erraten. Als Leiterin der eingeführten Theatertruppe verkörpert sie einen Angriff auf die Zauberflöte, auf das Werk selbst. Und dagegen wehrt das Opernpublikum sich. Klar ist, dass rassistische Ideologie nur mit stillschweigender Duldung des Publikums und der Strukturen des Kulturbetriebs auf der Bühne zur Darstellung kommen kann. In Frankreich oder den USA wäre Neuenfels’ Inszenierung schon allein wegen der Verwendung des N-Worts nicht möglich gewesen, der Regisseur hätte sich strafbar gemacht. Entsprechende Gesetze werden durch die entsprechenden Lemmata in Wörterbüchern und Lexika bestätigt: Das N-Wort wird dort als rassistische Bezeichnung klassifiziert. Das haben sich Schwarze Communities blutig erkämpft. Obgleich auch in Deutschland für die Gleichberechtigung Aller gekämpft wird, ist die Verwendung des N-Worts hier nicht strafbar. Dadurch wird der alltägliche Rassismus verharmlost und auf die vermeintliche Überempfindlichkeit der Betroffenen geschoben. 13 In Deutschland besteht ein Konsens zwischen weißem Publikum und weißen Theatermachern, der es ermöglicht, Nicht- Weiße Mitbürger als quantité négligeable zu betrachten. Interpretation und Analyse im akademischen Raum Ich setze an einem Zitat des US-amerikanischen Philosophen Arnold Farr an: Eine der tragischen Vorstellungen westlicher Philosophie ist die, dass wir philosophische Fragestellungen irgendwie auf eine unbeteiligte Art und Weise angehen können. Ein zweites Problem ist die Annahme, dass, auch wenn wir keine unbeteiligte Haltung einnehmen können, unsere Interessen trotzdem universell bleiben. Der Philosoph/ die Philosophin neigt zu der Annahme, dass seine/ ihre Interesse universell sind, ohne die biologische, geographische, ‘rassische’, kulturelle und klassenbedingte Grundlage für dieses Interesse genau zu untersuchen. Der Blick aus dem Nirgendwo ist eine Unmöglichkeit, da dieser Blick durch ein Interesse motiviert ist, das in der materiellen Welt des Philosophen gründet. 14 Arnold Farr beschreibt ein Faktum, das nicht nur die Philosophie, sondern alle geisteswissenschaftlichen Fächer betrifft, ganz besonders, wenn es um Interpretation und Analyse geht. Mit ihrer Publikation Die Frau in der Oper, besiegt, verraten und verkauft (1992) führte Catherine Clément die gender-Problematik in die Opern- und Musiktheaterforschung ein. Indem sie ihr Augenmerk auf einen blinden Fleck der Opernforschung lenkte, machte sie die konstruierte Selbstver- “Können Neger blond sein? ” 27 ständlichkeit einer androzentrischen Perspektive sichtbar. Erst nachdem rassisierten Mechanismen benannt sind, können sie bekämpft werden. Während der Problematik des androzentrischen Blicks allmählich Platz in der Forschung eingeräumt wird, 15 bleibt Weißsein als konstruierte Normalität und Selbstverständlichkeit noch zu thematisieren. Nach der Konstruktion von Geschlecht bildet die Konstruktion von ‘Rasse’ die zweitgrößte unerforschte Thematik der Opernforschung. Dies liegt nicht zuletzt am erheblichen geistigen Aufwand, den die Erforschung dieser Themen mit sich bringt. Die Auseinandersetzung mit sexistischer und rassistischer Thematik in der Oper erfordert nämlich nicht nur die Beherrschung der technischen musik- und theaterwissenschaftlichen Instrumentarien. Sie verlangt darüber hinaus die Beschäftigung mit Sexismus und Rassismus, was mit einem Prozess der Bewusstwerdung und der daraus folgenden kritischen Reflektion der eigenen Position als weißer Mensch in einer weißen Gesellschaft einhergehen muss. Solch eine kritische Einstellung benötigt wiederum eine grundlegende Untersuchung rassisierter Mechanismen und Erscheinungsformen auf sprachlicher (etymologischer, semantischer und rhetorischer), geschichtlicher (vom Moment der Entstehung einer systematischen Rassen-Ideologie während der Aufklärung bis zu heutigen Varianten in den aktuellen Diskursen) und epistemologischer Ebene in Form einer systematischen Untersuchung der Gültigkeit von Erkenntnis im Zusammenhang mit den diskursiven Machtstrukturen. Michel Foucault definiert Macht nicht als Instrument der Repression, sondern als eine kontrollierende und regulierende Instanz. Sie stelle daher weniger eine geplante institutionelle Unterdrückung dar, als vielmehr einen impliziten, kollektiven diskursiven Konsens: Das Instrument der Machtausübung und -Erhaltung ist der Diskurs. Im Musiktheater können Diskurse in zweierlei Hinsichten betrachtet werden. Diskurs als unterschwellige Ideologie innerhalb der Musik-Kritik und -Wissenschaft einerseits, als Spiegelung einer Ideologie im Sinne einer kulturellen Gemeinschaft beziehungsweise eines kulturellen Gedächtnisses andererseits. 16 Im ersten Fall erfolgt eine Untersuchung des analytischen Instrumentariums von Opern- und Musiktheaterforschung durch die Thematisierung der ihnen zugrunde liegenden implizierten Wissensformen, der Tropen. Es handelt es sich also um eine historische Epistemologie des musik- und theaterwissenschaftlichen Wissens. Im zweiten Fall, und darin liegt die Aufgabenstellung dieses Aufsatzes, werden szenische Vorgänge als besonders effiziente diskursive Form untersucht, welche immer auf spezifischen kulturhistorischen Aspekten ihrer Aufführungszeit beruht. Ich möchte an dieser Stelle auf die wichtigsten Einwände gegen eine Kritik am akademischen Diskurs eingehen. 17 Erstes Argument: “das Thema Rassismus hat hier keine Relevanz” Für wen? In welcher Hinsicht? Für Mozarts Zauberflöte, für ihre Aufführungsgeschichte oder für die Inszenierung von Neuenfels? Auf die Dramaturgie und die Aufführungsgeschichte der Zauberflöte bin ich bereits zu Beginn dieses Artikels eingegangen. Ich will deshalb jetzt auf die Relevanz des Themas Rassismus angesichts der Darstellung von Monostatos eingehen. Wenn man sich die Rezensionen der Zauberflöte von Neuenfels ansieht, fällt auf, dass Monostatos so gut wie immer abgebildet wird. Die Bilder bleiben jedoch bis auf den Eintrag von Al Jolson: He wants his blackface back unkommentiert. 18 Warum? Neuenfels’ Monostatos ist repräsentativ genug, um als exemplarisches Bild zu gelten; schließlich wurde er zum Markenzeichen der Inszenierung. 19 Er ist aber nicht repräsentativ genug um kommentiert zu 28 Danièle Galiby-Daude werden. Woran liegt das? Wahrscheinlich an den Berührungsängsten mit dem Thema Rassismus. Es ist durchaus verständlich, wenn man sich nicht mit Rassismus auseinandersetzen will, denn das Thema ist für jeden unangenehm und für manchen besonders schmerzhaft. Die skizzierte Art der Vermeidung, will man sie Blindheit oder Naivität nennen, ist ein Privileg, das aus der schon erwähnten Konstruktion von Weißsein als hegemonialer und unsichtbarer Norm resultiert. Es erlaubt es Themen auszublenden, die ‘uns’ scheinbar nicht unmittelbar betreffen. Und dieses Ausblenden ist das direkte Resultat mangelnder Reflexion über das Thema Rassismus im eigenen weißen Raum beziehungsweise auf der eigenen individuellen Ebene. Rassismus ist nicht abstrakt, sondern eine traurige Realität, die verleugnet, nämlich verharmlost, verschleiert, ignoriert wird. Ich nenne dieses Phänomen Leugnungsmodus. Der Leugnungsmodus besteht darin, den unangenehmen Problematiken des Rassismus auszuweichen, indem man sie für nicht existent oder für ein “Problem der Betroffenen” erklärt: diese reagieren angeblich “überempfindlich”, interpretieren “sehr einseitig” oder “missverstünden” gar die eigentliche Problematik. Kurz, der Leugnungsmodus macht Rassismus unsichtbar, er erklärt ihn gar für eine Phantasie der Betroffenen. Von dort her stellt sich die Frage, wie solch eine magische Struktur bekämpft werden kann, die zwar weiterhin Menschen tötet, aber eigentlich nicht existiert? Zweites Argument: “Die Darstellung des Monostatos bezieht sich auf eine Opernkonvention, nämlich die Tradition des ‘Mohren’. Neuenfels überzieht diese Konvention so offensichtlich, dass sie lächerlich wird”. Demnach läge die Qualität der Darstellung des Monostatos darin, dass Neuenfels eine rassistische Konvention als subversives Mittel gegen diese selbst einsetzt. Dass Monostatos’ Schminke Tradition hat, habe ich erläutert. Sie dient bei Neuenfels aber nicht als subversives Mittel. Rassistische Darstellungen sind nicht dadurch zu bekämpfen, dass man sie ausführlich zitiert. Das genannte Argument impliziert außerdem, dass rassistische Darstellungen nicht als solche gelten dürfen, wenn sie zum kulturhistorischen Gemeingut gehören. Und damit wird Rassismus legitimiert, indem er zum kulturellen Erbe erklärt wird. Ist eine rassistische Tradition - hier eine Opernkonvention - denn weniger rassistisch, wenn sie konventionalisiert ist? Drittes Argument: “Neuenfels konfrontiert das Publikum mit den eigenen Vorurteilen. Er legt die Absurdität der rassistischen Ideologie offen und bekämpft sie damit”. Dass Neuenfels’ Intention auf die Entlarvung rassistischer Mechanismen zielt, steht außer Frage. Fragwürdig sind aber die Mittel dieser Demaskierung. Ihr kann nur Erfolg beschieden sein, wenn die überwiegende Mehrheit des Publikums mit der grundlegenden Problematik vertraut ist. Es ist aber nicht davon auszugehen, dass sich jeder Zuschauer der Implikationen seines eigenen Weiß-Seins bewusst ist, sie reflektiert und daher auch unbeschwert darüber lachen kann - und zwar schon aufgrund der dazu erforderlichen Denkanstrengungen und der bewussten Positionierung im und zum eigenen weißen Raum. Man ist nicht von rassistischen Vorurteilen frei, weil man kein Rassist sein will. Schlusswort Die Darstellungen von Schwarzen auf der Bühne sind repräsentativ dafür, inwieweit eine Gesellschaft ihre koloniale Geschichte verarbeitet hat. Eine der berühmtesten und “Können Neger blond sein? ” 29 erfolgreichsten Opern der Operngeschichte wie die Zauberflöte eignet sich für solch eine Überprüfung besonders gut. Schon ein kurzer Blick in ihre Inszenierungsgeschichte vermittelt einen Eindruck der tiefen Verankerung rassistischer Mythen in der Gattung Oper. Abgesehen von vereinzelten Aufsätzen über Exotismus als Form rassisierter Darstellung wurde eine grundlegende systematische Untersuchung rassistischer Formen auf deutschen Opernbühnen bis heute nicht geleistet, weder in der musiknoch in der theaterwissenschaftlichen Forschung. Es ist daher nicht verwunderlich, dass eine grundlegende Reflexion über das Thema Rassismus auf deutschen Opernbühnen fehlt und nachzuholen wäre. Eine erfolgreiche Demaskierung kann nur auf der Grundlage solcher Vorüberlegungen erfolgen. Andernfalls läuft man Gefahr, die zu demaskierenden Formen mangels Sachkenntnis nur weiter zu tradieren. Als erstes sollten Grundkenntnisse über das Thema, seine Auswirkungen und seine Prämissen vorhanden sein. Eine Kritik am Rassismus kann nur erfolgen wenn Weißsein als eine Konstruktion erkannt wird, welche auf die Erhaltung bestimmter Machtverhältnisse zielt. Erst dann können deren Mechanismen im eigenen weißen Raum erkannt und bekämpft werden. Und es sind Mittel einzusetzen, die weder nach dem White-Joker- Modus noch nach dem Leugnungsmodus funktionieren. Denn durch Unreflektiertheit verfehlt die Entlarvung nicht nur ihr Ziel, sondern reproduziert die zu demaskierende Mechanismen. Anmerkungen 1 Stefan Kunze, Mozarts Opern, Stuttgart 1984, S. 591-592. 2 Unter ‘Aufführungstradition’ fasse ich die Konventionen zusammen, die sich innerhalb eines geographischen Raumes etabliert und als kulturhistorisches Moment normalisiert haben. 3 Die Großschreibung soll auf die Problematik des Begriffs hinweisen, der Schwarzen das Mensch-Sein abspricht, indem er eine koloniale Fremdbestimmung wiederholt. Zur Umschreibung dieses Begriffs verwende ich die von Schwarzen-Communities gewählte Bezeichnung ‘N-Wort’. 4 Exemplarisch sind etwa Hegels Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte: “Bei den NEGERN ist nämlich das Charakteristische gerade, daß ihr Bewußtseyn noch nicht zur Anschauung irgend einer festen Objektivität gekommen ist, wie zum Beispiel Gott, Gesetzt, bei welcher der Mensch mit seinem Willen wäre, und darin die Anschauung seines Wesen hätte […]. Der NEGER stellt, wie schon gesagt worden ist, den natürlichen Menschen in seiner ganzen Wildheit und Unabdingbarkeit dar: von aller Ehrfurcht und Sittlichkeit, von dem was Gefühl heißt muss man abstrahieren, wenn man ihn richtig auffassen will: es ist nicht an das Menschliche Anklingende in diesem Charakter zu finden”, in: Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Sämtliche Werke, hg. v. Hermann Glockner, Stuttgart 1971, Bd. 11, S. 137 5 Die Formel rassisierte Darstellung weist auf den Prozess einer systematischen Stigmatisierung hin. Damit sind alle Aspekte gemeint, die aus der rassisierten Konstruktion eines herrschenden Diskurses resultieren, ob rassistische, sexistische, homo- und transphobe, antimuslimische, anti-semitische etc. Tendenzen. 6 Vgl. Erika Fischer-Lichtes Definition von Inszenierung als “Vorgang der Planung, Erprobung und Festlegung von Strategien, nach denen die Materialität der Aufführung performativ hervorgebracht werden soll.”, in: Erika Fischer-Lichte, Ästhetik des Performativen, Frankfurt/ M. 2004, S. 327. 7 Oft wird angemerkt, dass Deutschland keine Kolonialmacht gewesen und daher vom kolonialen Denken ‘verschont’ geblieben sei. Damit wird behauptet, rassistisches Verhalten werde durch koloniale Expansion hervorgebracht. Umgekehrt setzt aber die Versklavung Schwarzer Menschen eine ‘Rassentheorie’ schon voraus, wie sie im 18. Jh. in Deutschland durchaus vorhanden war (etwa bei Kant, Herder und Blumenbach). 30 Danièle Galiby-Daude 8 Paradigmatisch der in Fußballstadien und in der Neonazi-Szene beliebte Vergleich Schwarzer mit Affen. 9 Natürlich sind Schwarze genauso wenig schwarz wie Weiße weiß, dennoch ist er die bestmögliche Bezeichnung. Der Begriff beschreibt eine politische Realität und konstituiert Identität, weshalb ich ihn groß schreibe. Darüber hinaus hat diese Bezeichnung den Vorzug, keine Fremd-Zuschreibung zu sein, sondern eine Selbst-Benennung. Schwarze Deutsche bezeichnen sich auch als Afro-Deutsche. Im Grunde reichen Bezeichnungen wie ‘Deutsche’, ‘Dänen’, ‘Franzosen’, ‘Portugiesen’, ‘Italiener’, ‘Finnen’ etc. aus. 10 So wurde der Begriff ‘Ägypter’ mit dem des Teufels gleichgesetzt. Zeitgleich entstehen Abbildungen, auf denen geschwärzte Gesichter auf Heiden oder Ketzer und somit auf das Böse verweisen: Weiße, die von der christlichen Norm abwichen, wurden dergestalt als ‘Schwarze’ dargestellt. Gemäß der Vorstellung, der Mensch müsse für die Sünden seiner Vorväter büßen, setzte sich im 16. und 17. Jahrhundert die Idee durch, die schwarze Hautfarbe sei der Spiegel einer ‘schwarzen’, d.h. teuflischen Seele. 11 Der Begriff bezeichnet eine intentionale Ausrichtung auf Insider, hier: Weiße. Dabei soll die Aufmerksamkeit vom ‘Witz’ auf den ‘Witz-Macher’ gelenkt werden, welcher auf schon vorhandene Intra-Referenzialität zwar referiert und diese somit weiterführt, sie aber konstituiert hat. Dadurch wird auch die Basis für eine Untersuchung der Interaktionen bzw. Intersubjektivitäten zwischen dem ‘Joker’ und seinem Publikum geschaffen. 12 ‘Tolerieren’ heißt ‘dulden’. Geduldet wird nur etwas, was vorderhand nicht akzeptiert wird. Die durchgesetzte positive Verwendung dieses Wortes zählt zu den zahlreichen Beispielen der ambivalenten Strukturen des Rassismus. 13 Vgl. Noah Sow, “Das N-Wort in Enzyklopädien und Wörterbüchern”, in: Sow, Deutschland Schwarz Weiß. Der alltägliche Rassismus, München 2008, S. 120. 14 Arnold Farr, “Aufklärungsrassismus und die Struktur eines rassifizierten Bewusstseins”, in: Kritische Weißseinforschung in Deutschland. Mythen, Masken und Subjekte, Münster 2005, S. 43. 15 Zur Konstruktion von gender in der Oper vgl. Gabriele Busch-Salmen/ Eva Rieger (Hg.), Frauenstimmen, Frauenrollen in der Oper und Frauen-Selbstzeugnisse, Herbolzheim 2000, sowie Carmen Ottner, Frauengestalten in der Oper des 19. und 20. Jahrhunderts, Symposium 2001. 16 Jan Assmann, Das kulturelle Gedächtnis, München 2005. 17 Vgl. die Positionen in Werner Hintze/ Clemens Risi/ Robert Sollich, Realistisches Musiktheater. Geschichte, Erben, Gegenpositionen, Berlin 2008, bes. S. 231-235. 18 “Although Neuenfels isn’t the first director to depict Monostatos in blackface (Norbert Orth also appeared in blackface in Wolfgang Sawllisch’s 1983 Munich Opera version with Popp, Gruberova, and Moll), I personally don’t see the necessity or allure […]. Aside from his use of the oldest racist caricature in the entire book, this production actually doesn’t look so bad” (Al Jolson, “He wants his blackface back”, in: Opera Chic, 23.11.2006). 19 Vgl. die Abbildungen im Jahresprogramm der Komischen Oper Berlin. Zum Verhältnis von Mensch und Ordnung im Rahmen einer affirmativen politischen Theaterästhetik am Beispiel von Schlingensiefs Bitte liebt Österreich - Erste europäische Koalitionswoche (Ausländer raus) Ann-Christin Focke (München) Die Geschichte des politischen Theaters ist lang und vielfältig: Von der antiken Tragödie als Forum der polis über die dramatischen Analysen von Macht und Herrschaft bei Shakespeare und Schiller, die multimedialen agitatorischen Massenmobilisierungen eines Erwin Piscator, die Lehrstückform Brechts bis hin zu den provozierenden und skandalisierenden Aktionen Christoph Schlingensiefs - im Laufe der Jahrtausende haben Autoren und Theatermacher die unterschiedlichsten Strategien entwickelt, ‘das Politische’ auf der Bühne wirksam werden zu lassen. Gerade die Entwicklung der letzten Jahre wird vielfach als Paradigmenwechsel beschrieben, für den Jean-François Lyotards Begriff einer ‘affirmativen Ästhetik’ als Gegenbegriff zur traditionellen ‘Ästhetik der Negation’ das entscheidende Stichwort bereitstellt. 1 Gemeint ist damit die Ablösung der Ästhetik der Repräsentation durch eine affirmative Ästhetik der Präsenz und der Energie. Während erstere die Zeichen lediglich in ihrer Dimension als auf etwas Anderes verweisende in Erscheinung treten lässt, während dazu Energien kanalisiert und reguliert werden und im wahrsten Sinne des Wortes ein Sinn festgestellt wird, basiert letztere auf einer “nicht-hierarchisierten […] Energiezirkulation”. 2 Die Zeichen sind hier “Kräfte, Intensitäten, Affekte in ihrer Präsenz”. 3 Das affirmative politische Theater ist somit ein Theater, durch das nicht eine andere, bessere Gesellschaftsordnung dargestellt, repräsentiert wird, sondern das vielmehr die bestehenden Verhältnisse zuspitzt, durch Techniken der Parodie, der Travestie und der Ironie präsent macht und entlarvt, ohne dass daraus Alternativen abgeleitet würden: “An die Stelle des moralischen Ernsts tritt die Parodie der Geschichte”. 4 Den verschiedenen Modellen liegt jedoch trotz allem eine gemeinsame Problemstellung zugrunde. So ist politischen Auseinandersetzungen in der Regel eine gewisse Abstraktheit und Theoriehaftigkeit eigen, die zunächst einmal querliegt zu Grundcharakteristika von Drama und Theater: “Politik […] kann auf der Bühne nur konkret in Erscheinung treten. Sie wird vor einem Publikum gespielt, also muss ihr Gegenstand von diesem erkannt werden”. 5 Kategorien wie Anschaulichkeit und sinnliche Zugänglichkeit spielen auf die ein oder andere Weise in quasi jeder Theatertheorie eine Rolle. Etwas schematisch gesprochen, könnte man die Konkretisierung des abstrakten Politischen durch das Theater also als eine ästhetische beziehungsweise gattungsspezifische Anforderung bezeichnen Diese Konkretisierung vollzieht sich häufig in unmittelbarem Zusammenhang mit einer Ebene des ‘Menschlichen’. “Es scheint mir eines Versuchs nicht ganz unwert”, schreibt Schiller 1788, Wahrheiten, […] die bis jetzt nur das Eigentum der Wissenschaften waren, in das Gebiet der schönen Künste herüberzuziehen, mit Licht und Wärme zu beseelen und, als lebendig wirkende Motive in das Menschenherz gepflanzt, in einem kraftvollen Kampfe mit der Leidenschaft zu zeigen. 6 Forum Modernes Theater, Bd. 24/ 1 (2009), 31-47. Gunter Narr Verlag Tübingen 32 Ann-Christin Focke Die Dramatisierung abstrakter politischer Inhalte erfolgt demnach durch die Darstellung anhand einer konkreten, lebendigen dramatischen Figur. Über 200 Jahre später schreibt der Pop-Theoretiker Diedrich Diederichsen: Wer sich aber nur für die Kritik der Politik und der Ideologie zuständig fühlt […], gerät oft in eine distanzierte Welt der reinen Abstraktion von einem solchen politisch verursachten Leid. Hier könnte Theater ganz traditionell helfen, das Mitleid freizusetzen oder zu mobilisieren, das jeder Politisierung vorangehen müsste. 7 Etwas grundsätzlicher könnte man auch von einer sinnlich-emotionalen, auf das Zwischenmenschliche bezogenen Vermittlung des Politischen sprechen. Aufgrund der spezifischen Bedingungen des Mediums Theater rückt hier das Partikulare und Konkrete, und das heißt: der einzelne Mensch, ins Zentrum der politischen Auseinandersetzungen. Oder präziser: Aufgrund der ästhetischen Anforderung einer Konkretisierung und Versinnlichung des Abstrakten wird das Verhältnis von Mensch und politischer Ordnung im Medium des Theaters in besonderer Weise virulent. Und auch hier, im Hinblick auf die der politischen Ästhetik zugrundeliegenden Modelle des Verhältnisses von Mensch und politischer Ordnung, hat sich in den letzten Jahren eine grundlegende Veränderung vollzogen, die sich am besten von der politischen Theorie her greifen lässt: Das nach einer Vermittlung von Mensch und Ordnung strebende Modell der traditionellen politischen Anthropologie wurde abgelöst von einer eher Foucaultschen Perspektive, aus der heraus Ordnungsstrukturen grundsätzlich als unterwerfend kritisiert und gerade Diskrepanzen zwischen Mensch und Ordnung zum Ideal erhoben werden. Nach einem kurzen Exkurs in die Geschichte des traditionellen politischen Theaters möchte ich dieses neue Modell anhand von Christoph Schlingensiefs Aktion “Bitte liebt Österreich” - Erste europäische Koalitionswoche systematisch aufzeigen. 8 Zur Abgrenzung: Das Verhältnis von Mensch und Ordnung im traditionellen politischen Theater Otfried Höffe versteht unter politischer Anthropologie “anthropologische Probleme […], auf die die politische Legitimationsdebatte nicht verzichten kann”. 9 Die Leitfrage einer solchen Perspektive klingt hier bereits an: Wird die als legitim und richtig erachtete politische Ordnung dem Menschen, so wie er ist, gerecht und kann umgekehrt der Mensch dieser Ordnung gerecht werden? Unter welchen Bedingungen kann er das und was bedeuten die anthropologischen Befunde für die Konzeption der Ordnung? Abgezielt wird auf eine Integration von anthropologischer und gesellschaftlicher Dimension. Der Ansatz Höffes steht dabei stellvertretend für eine lange Tradition. Es ist kein Zufall, dass er seine “politische Fundamentalphilosophie” ausgehend von den Werken Platons und Aristoteles’ entwickelt, 10 sich auf Hobbes bezieht und auf Kant, dass er auf für die Geschichte des politischen Denkens so zentrale Kategorien wie das Naturrecht oder die Vertragstheorie zurückgreift. Stets kreisten diese Denker und Debatten um das, was Höffe als “praktischen Syllogismus” bezeichnet: 11 Die Vermittlung des normativen Prinzips der politischen Gerechtigkeit - oder, etwas allgemeiner formuliert: der guten, anzustrebenden Ordnung - mit seinen “(deskriptiven) Anwendungsbedingungen”, d.h. der anthropologischen Ebene. 12 Innerhalb der traditionellen Ästhetik der Negation ist es in der Regel die einzelne dramatische Figur, die zum Träger der Kritik und zum Kämpfer für eine andere, bessere Gesellschaftsordnung wird und somit das Zum Verhältnis von Mensch und Ordnung 33 politische Gedankengut sowohl zu (vermeintlichen) anthropologischen Gegebenheiten als auch zur eigenen Individualität in Beziehung setzt. Nicht selten ist diese Beziehung eine konfliktträchtige, stehen politisches Postulat und konkrete Figur in einem unaufgelösten Spannungsverhältnis. Ein prägnantes Beispiel für eine dramatische Figur, die dem eigenen Gesellschaftsentwurf nicht gerecht wird, ist Marquis Posa aus Schillers Don Carlos. Zentrales Merkmal der von ihm angestrebten Ordnung ist das Prinzip der Freiheit und Autonomie des Einzelnen, sowohl der Handlungsautonomie als auch der “Gedankenfreiheit”. 13 Mit Posa einerseits und Karlos andererseits stellt Schiller diesem theoretisch-abstrakten Entwurf dann jedoch zwei konkrete menschliche Figuren gegenüber, die dieses Prinzip auf je eigene Weise verletzen: Posa durch sein despotisches und manipulatives Verhalten, Karlos durch seine Unselbständigkeit, ja Manipulierbarkeit. Eine detailliertere Analyse kann an dieser Stelle nicht geleistet werden, zu den skizzierten Zusammenhängen liegen jedoch eine Reihe umfassender Studien vor. 14 Ebenso wenig kann ich auf ein breiteres Korpus von als politisch geltenden Dramen eingehen. Ich möchte lediglich einige so heterogene Titel wie Schillers Räuber, Büchners Dantons Tod, Brechts Maßnahme und Heiner Müllers Auftrag nennen, um anzudeuten, dass die Figur des unzulänglichen Revolutionärs fast so etwas wie einen Typus in der Geschichte des politischen Theaters darstellt: Karl Moor, der eine gerechtere Gesellschaft will und sich dabei selbst in Willkür verliert, Danton, der seiner Triebhaftigkeit auf Kosten des Volkes nachgeht und damit die überwunden geglaubte Ungleichheit reproduziert, der junge Genosse, der sich ganz in den Dienst der Sache stellen soll und an seiner Individualität und Emotionalität scheitert, Sasportas, der die Herrschaftsverhältnisse nicht überwinden hilft, sondern sie aufgrund seines eigenen Machtstrebens nur umkehrt. 15 Festzuhalten ist, dass diese Dramen gerade durch die Problematisierung menschlicher Unzulänglichkeit die Versöhnung von Mensch und Ordnung zur Norm erheben. Das den genannten Dramen zugrundeliegende Modell der traditionellen politischen Anthropologie ist inzwischen jedoch in die Krise geraten. Schon durch den Marximus wurde die Vorstellung eines von gesellschaftlichen Strukturen unabhängigen menschlichen Wesens in Frage gestellt. Seit den 60er Jahren haben Theoretiker wie Michel Foucault, Judith Butler, Pierre Bourdieu oder Homi K. Bhabha dann aus unterschiedlichen Perspektiven gezeigt, dass hinter Versuchen der Festschreibung vermeintlich naturgegebener Wesensmerkmale und Identitätskategorien stets Machtinteressen und Diskriminierungsversuche stehen. Aufgrund der damit einhergehenden Ablehnung einer Lehre von ‘dem Menschen’ wird in diesem Zusammenhang häufig auch von ‘Anthropologiekritik’ gesprochen. 16 Und während im Marximus noch davon ausgegangen wurde, dass die Schaffung einer besseren Gesellschaftsordnung einen entsprechenden besseren ‘neuen Menschen’ hervorbringen könne, wird die Möglichkeit einer macht- und diskriminierungsfreien Ordnung von den genannten Theoretikern grundsätzlich zurückgewiesen. Dieser Paradigmenwechsel hat sich inzwischen auch im politischen Theater niedergeschlagen. Beispiele der letzten Jahre zeigen zur Abschiebung freigegebene Asylbewerber (Bitte liebt Österreich), aussteigewillige Neonazis, denen die Rückkehr in die Mitte der Gesellschaft verwehrt ist (Schlingensief, Hamlet/ NAZI~LINE), oder Menschen, die sich zur Ware machen beziehungsweise machen lassen (René Pollesch). Hier wird menschliche Identität als Produkt von Ordnungs- und Diskursstrukturen dargestellt, eine völlige Durchdringung des Menschen durch die Ordnung diagnostiziert - gerade nicht normativ im Sinne einer Vermittlung, 34 Ann-Christin Focke sondern vielmehr kritisch im Sinne einer Unterwerfung, vor deren Hintergrund eine Diskrepanz zwischen Mensch und Ordnung eben nicht als Scheitern, sondern vielmehr als Befreiung erscheint - eine gegenüber dem traditionellen politischen Theater genau umgekehrte Konstellation also, die im Folgenden näher beleuchtet werden soll. Das Verhältnis von Mensch und Ordnung aus Foucaultscher Perspektive In Die Ordnung der Dinge analysiert Foucault, wie sich gegen Ende des 18. Jahrhunderts ein “erkenntnistheoretisches Bewusstsein vom Menschen als solchem” konstituiert, 17 in Überwachen und Strafen untersucht er die Entwicklung der Justiz von einer Instanz der Bestrafung zu einer “Technik der Verbesserung” des Einzelnen, 18 um aufzuzeigen, dass erst aus der Verknüpfung dieser beiden Prozesse die neuzeitliche Konzeption des Individuums hervorging. So konnte etwa das christliche Zeitalter bis ins 17. Jahrhundert den Menschen lediglich in seiner Beziehung zu Gott und nur in seiner Mangelhaftigkeit gegenüber demselben denken, während im klassischen Zeitalter, dem Zeitalter der Repräsentation, die Souveränität des Zeichenraums die Frage nach dem Menschen in seiner Endlichkeit und mit seiner transzendentalphilosophisch begründbaren Vernunft überflüssig machte. Erst der Zusammenbruch dieses Zeichenraums unter den realen und zugleich fremden Zwängen von Leben, Arbeit und Sprache und die Notwendigkeit, die reine Vernunft zu denken, lassen laut Foucault den Menschen als solchen hervortreten: als Objekt neuer Wissenschaften wie Psychologie und der klinischen Medizin und als transzendentales Subjekt von Erkenntnis. Etwa zur gleichen Zeit verändert sich das Strafwesen dahingehend, dass die auf den körperlichen Schmerz abzielende Sühne abgelöst wird durch eine Strafe, “die in der Tiefe auf das Herz, das Denken, den Willen, die Anlagen wirkt”. 19 Durch die Kontroll- und Zwangsmechanismen des modernen Gefängnisses, flankiert durch die neuartigen Phänomene des Psychologen, des Psychiaters und des Bewährungshelfers, mit Entsprechungen in den disziplinierenden Praktiken der Klöster, Schulen, Armeen und Fabriken, durch “eine minutiöse Beobachtung des Details und gleichzeitig eine politische Erfassung der kleinen Dinge”, 20 wird eine Ansammlung unvorhersehbarer Möglichkeiten und querschlägerischer Bedürfnisse zum greifbaren und steuerbaren Glied des Gesellschaftskörpers vereinheitlicht. Durch diese beiden Entwicklungen, “über die Verzahnung von Machtwirklichkeit und Wissensgegenstand”, hat man laut Foucault “verschiedene Begriffe und Untersuchungsbereiche konstruiert: Psyche, Subjektivität, Persönlichkeit, Bewußtsein, Gewissen usw.”. 21 Daraus “ist der Mensch des modernen Humanismus geboren worden”. 22 Sowohl das Konzept des Individuums als auch die Identität und Individualität eines jeden Einzelnen sind aus Foucaultscher Perspektive Produkt von Ordnungs- und Diskursstrukturen, Ergebnis von Unterscheidungen, Kategorisierungen und Zuschreibungen. Im Vergleich zur klassischen Vertragstheorie, derzufolge sich freie und gleiche Individuen zum allerseitigen Vorteil zu einer gesellschaftlichen Ordnung zusammenschließen, haben wir es hier also mit einem umgekehrten Verhältnis von Mensch und Ordnung zu tun. Und während in der Vertragstheorie die Ordnung als etwas von den Individuen prinzipiell Verschiedenes und deshalb von ihnen Gestaltbares erscheint, ist in den Augen Foucaults der Mensch von der Ordnung vollständig durchdrungen und ihr unterworfen: eine Unterwerfung, die viel tiefer ist als er. Eine ‘Seele’ wohnt in ihm und schafft ihm eine Existenz, die selber ein Stück der Herrschaft Zum Verhältnis von Mensch und Ordnung 35 ist, welche die Macht über den Körper ausübt. Die Seele: Effekt und Instrument einer politischen Anatomie. 23 Eine derart weitverzweigte und subtil operierende Macht lässt sich “weder in bestimmten Institutionen noch im Staatsapparat festmachen”, 24 vielmehr handelt es sich um eine “Technologie”, die “diffus, in zusammenhängenden und systematischen Diskursen kaum formuliert” ist. 25 Die grundsätzlich andere Stoßrichtung dieses neuen Modells zeichnet sich hier bereits ab. Während die traditionelle politische Anthropologie aus normativer Perspektive auf eine Vermittlung von Mensch und Ordnung abzielt, ist die absolute Durchdringung des Menschen durch die Ordnung für Foucault ein Fakt, den es deskriptiv zu analysieren und kritisch zu hinterfragen gilt: “Man muss das Verstehbare auf dem Hintergrund des Leeren erscheinen lassen, Notwendigkeiten verneinen und denken, dass das Vorhandene noch lange nicht alle möglichen Räume ausfüllt”. 26 Wenn eine solche Analyse auch darum weiß, dass sie sich selbst nicht außerhalb des kritisierten Machtfeldes bewegt, 27 so lässt sich doch festhalten, dass innerhalb der Foucaultschen Theorie gerade die Diskrepanz von Mensch und Ordnung das Ideal bildet. Ihm geht es um die “Verteidigung freier und nonkonformer Existenz”, die “von der Übermacht jeder, noch so vernünftig begründbaren Ordnung bedroht ist”. 28 Vor diesem Hintergrund möchte ich nun das Verhältnis von Mensch und Ordnung in Bitte liebt Österreich untersuchen. “Wir spielen das mal durch” - Politische Ordnungsstrukturen in Bitte liebt Österreich Die Thematisierung politischer Ordnungsstrukturen erfolgt bei Schlingensief zunächst einmal durch die Verwendung von Slogans der rechtspopulistischen Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ). Wahlplakate und Zitate von FPÖ-Politikern, allen voran des Kärntner Landeshauptmanns und ehemaligen Parteichefs Jörg Haider, sind an den Außenwänden der Container plakatiert: “Wien darf nicht Chicago werden”, 29 “China statt Wiener? ” (00: 12: 57), “Stop der Überfremdung” (00: 35: 44) etc. Ab dem fünften Tag hängt zusätzlich noch ein Banner mit der Aufschrift “Unsere Ehre heißt Treue” (01: 03: 19), ein SS- Spruch, den Ernest Windholz, FPÖ-Landeshauptmann von Niederösterreich, bei einer Parteiveranstaltung verwendet hatte. Ein über allem thronendes “Ausländer raus”- Transparent fasst die anderen Slogans in pointierter Form zusammen. Die zitierten Slogans implizieren den Entwurf einer politischen Ordnung, die durch Mechanismen der Ab- und Ausgrenzung gekennzeichnet ist. Im Rahmen der Schlingensiefschen Aktion wird eine solche Ordnung dann im Kleinen exemplarisch realisiert - freilich in zugespitzter Form: “Es wird endlich mal mit Inhalten gefüllt, was das abstrakte ‘Ausländer raus’ eigentlich bedeutet. […] Wir produzieren Bilder, die Jörg Haider und seine Parolen einfach einmal beim Wort nehmen”, 30 erläutert Schlingensief. 12 Asylbewerber sind in versiegelten Containern untergebracht, die zusätzlich durch einen Bauzaun eingegrenzt sind. Damit bezieht sich Schlingensief nicht nur auf die potentielle Ordnung der FPÖ-Programmatik, sondern auch auf bereits existierende gesellschaftliche Praktiken im Umgang mit Ausländern. Das Geschehen im Inneren der Container wird von sechs bis acht Kameras 24 Stunden am Tag ins Internet übertragen. Jeden Tag werden zwei Asylbewerber von der Bevölkerung per Votingseite im Internet oder über TED-Telefonnummern abgewählt, weggefahren und angeblich umgehend abgeschoben. Auch bei diesem “Eliminationsspiel” (Sloterdijk) handelt es sich sowohl um die anschauliche Darstellung eines worst 36 Ann-Christin Focke case-Szenarios für die Zukunft als auch um die Zuspitzung aktueller Gesellschaftsstrukturen: Es ist kein Zufall, dass es bei Schlingensiefs Aktion um die Nachahmung eines Eliminationsspiels geht. Bezeichnenderweise bekommen wir diese Thematik von drei Seiten gleichzeitig vorgesetzt. Der augenblickliche Kultfilm heißt ‘Gladiator’ und spielt in Freiluft-Containern, in denen Unterhaltungsmassaker zelebriert werden. Zeitgleich wurde in Deutschland die ‘Big Brother’-Hysterie abgewickelt - ein pures Eliminationsspiel. In Holland und Belgien läuft die Fußball-Europameisterschaft - ebenfalls ein Eliminationsspiel. […] Sobald man die Siegerorientierung weglässt und den Eliminationsmechanismus als solchen beleuchtet, kann man beobachten, wie die Gesellschaft sich selbst an der Produktion von Verlieren beteiligt. 31 Eine weitere Charakterisierung beziehungsweise Kommentierung der durch die FPÖ postulierten Ordnung erfolgt durch zahlreiche Anspielungen auf die Zeit und das Gedankengut des Nationalsozialismus, eine Analogie, die in Äußerungen wie “Unsere Ehre heißt Treue” ja von der FPÖ selbst angelegt ist. So erscheint jeden Tag eine von nationalsozialistischer Rhetorik geprägte Lagerzeitung: “Mit deutscher Strenge und Ordnung wird er bis nächsten Samstag das Lager führen. […] Von Aufsehern konnten wir erfragen, dass die Ausländer täglich körperliche und geistige Ertüchtigung erhalten werden”. 32 Ursprünglich wollte Schlingensief dem Projekt sogar den Namen Erste europäische Konzentrationswoche geben, scheiterte damit jedoch am Widerstand von Festwochen-Intendant Luc Bondy. 33 Jenseits dieser anschaulichen Darstellung en miniature zielt die Schlingensiefsche Aktion außerdem auf der Rezeptionsebene darauf ab, die Artikulation latent in der Bevölkerung vorhandener Vorstellungen einer politischen Ordnung zu provozieren und diese dadurch anschaulich zu machen. So erfolgt die Enthüllung des “Ausländer raus”- Schriftzuges am ersten Abend unter dem “Jubel der Zuschauer”. 34 Ein Passant erklärt: “Der Türke und der Jugo, die übervölkern uns. Das ist bei uns ein Problem. […] Da kommen [sic! ] nicht die Intelligenz, der letzte Rest kommt da” (00: 32: 50). Wieder und wieder stellt Schlingensief die Situation außerdem als eine Bewährungsprobe für die Regierungskoalition dar: “Ich finde das sehr interessant. In Berlin wäre dieses Schild nach einer Stunde weg, in Frankreich nach zwei Stunden. Aber hier hängt es nach zweieinhalb Tagen noch immer”. 35 Hier erfolgt also gerade im Ausbleiben einer Reaktion eine Hervorhebung politischer Ordnungsstrukturen beziehungsweise eine Rückversicherung über den Realitätsbezug der Schlingensiefschen Zuspitzungen und Zukunftsszenarien. Doch mit seinem Container-Arrangement bezieht sich Schlingensief natürlich nicht nur auf ausländerpolitische Praktiken, sondern auch auf das zum damaligen Zeitpunkt omnipräsente mediale Phänomen Big Brother. Sowohl die Container selbst als auch die Kameraübertragung als auch die Möglichkeit zur Abwahl der Bewohner durch die Zuschauer sind eindeutige Verweise. Durch diese Doppeldeutigkeit des Containers werden politische und mediale Ordnungsstrukturen aufeinander bezogen - oder anders formuliert: Die Container verweisen auf den untrennbaren Zusammenhang von politischer und medialer Ordnung nicht nur in Österreich. Ähnliches gilt für die Kronen Zeitung. Deren Banner hängt direkt unter dem “Ausländer raus”-Schild und einer FPÖ-Fahne - zumindest solange, bis das Blatt gerichtlich seine Entfernung verfügt. Gegenüber Passanten präsentiert Schlingensief das Projekt als eine Aktion der FPÖ und der Kronen Zeitung - eine weitere Ineinssetzung von politischen und medialen Strukturen, die in diesem speziellen Fall wohl besonders zutreffend ist. Zum Verhältnis von Mensch und Ordnung 37 Mit einer Million Exemplaren bei einer Bevölkerung von 7,4 Millionen hat die Kronen Zeitung das weltweit größte Print-Monopol innerhalb eines Landes inne. “Im Hintergrund aller österreichischen Entwicklungen”, konstatiert der Kulturphilosoph Burghart Schmidt, “steht Dichand [der Herausgeber, A.-C. F.] mit der Krone” (00: 16: 20). Und auch jenseits von Big Brother- und Kronen Zeitungs-Bezügen ist der mediale Diskurs in Bitte liebt Österreich von Anfang an sowohl Thema als auch Material. Zum einen wird als integraler Bestandteil des Projektes ein eigener medialer Diskurs etabliert. So wird die Container-Anlage vor Ort ergänzt durch eine eigene Internetseite (www.auslaenderraus.at). Hier findet eine Live-Übertragung aus dem Inneren des Containers statt und hier kann die Bevölkerung jeden Tag zwei Asylbewerber aus dem Land wählen. Unter einer Rubrik mit dem Titel “Pranger” sind die Protokolle eines eigens eingerichteten “Österreich-Hilfstelefons für Ausländer” nachzulesen, bei dem Ausländer anrufen und “über ihre Misshandlungen eine Minute lang berichten” können. 36 Schließlich gibt das Projektteam eine eigene Neue Lager Zeitung heraus, die in ihrem Stil nationalsozialistische Rhetorik, vor allem aber auch die Boulevardpresse kolportiert. Zum anderen sind die Reaktionen der Presse von Anfang an in das Kalkül der Aktion einbezogen und werden deshalb auch als Teil des theatralen Ereignisses auf einer Pressewand vor den Containern dokumentiert. Weiter oben wurde bereits darauf hingewiesen, dass Schlingensief in der Bevölkerung virulente Vorstellungen einer politischen Ordnung dadurch deutlich werden lässt, dass er ihre Artikulation durch sein Publikum provoziert. Ähnliches gilt auch für den Bereich der Medien. Indem insbesondere die Kronen Zeitung zu einer Reaktion animiert wird, werden mediale Ordnungsstrukturen vorgeführt. Sowohl die oben angesprochene Dominanz der Kronen Zeitung als auch die Argumentations- und Suggestions-, um nicht zu sagen Agitationsmuster der Boulevard- Presse insgesamt treten deutlich hervor: “Schlingensief stürmte Geschäft. ‘Es war wie ein Terrorüberfall! ’”, 37 wird da getitelt, oder: “245.000 Schilling Wochengage für Schlingensief. Container-Show kostet Millionen”. 38 Hinter medialen Phänomenen wie Big Brother oder der Kronen Zeitung verbirgt sich natürlich letzten Endes eine kapitalistische Wirtschaftsstruktur. Auch als solche fällt die mediale Ordnung in gewisser Weise mit der dargestellten politischen Ordnung zusammen, wird doch Ausländerfeindlichkeit heutzutage häufig als im weiteren Sinne wirtschaftlich bedingt verstanden. Dass die Ausgrenzung oder Offenheit gegenüber Fremden von marktwirtschaftlichen Gesichtspunkten abhängt, wird innerhalb der Aktion explizit gemacht, wenn Schlingensief inmitten einer Beschreibung ausländerfeindlicher Aktionen plötzlich anmerkt: “Touristen sind okay, die bringen Geld, und sie werden nicht mehr von Homosexuellen, Drogenabhängigen, Schwarzen angefallen, damit ist nun Schluss” (00: 16: 51). Tatsächlich sind die entrüsteten Reaktionen auf Bitte liebt Österreich - sowohl auf Seiten der österreichischen Bevölkerung als auch auf Seiten von FPÖ-Politikern - zu einem Großteil von der Angst vor verschreckten Touristen geprägt. Der Schlingensiefschen Darstellung politischer Ordnungsstrukturen liegt also ein Verständnis politischer Ordnung zugrunde, das sich nicht auf den Bereich der staatlichen Institutionen beschränkt. Ich bin eingangs bereits auf den Machtbegriff Foucaults eingegangen, der Regierungsmacht und Gesetzgebung eher als Endformen der Macht begreift und demgegenüber die “Vielfältigkeit von Kraftverhältnissen, die ein Gebiet bevölkern und organisieren”, betont. 39 Einer solchen komplexen Situation spürt Bitte liebt Österreich auf den unterschiedlichsten Ebenen nach. Nicht die österreichische Regierung oder Staatsform wird von 38 Ann-Christin Focke Schlingensief thematisiert, auch nicht - zumindest nicht in erster Linie - die FPÖ. Stattdessen zeigt er in der Öffentlichkeit präsente Haltungen, den politischen Diskurs prägende Zielvorstellungen, die Medienlandschaft bestimmende Argumentations- und Suggestionsmuster; er unterstreicht den gesellschaftlichen und administrativen Umgang mit Asylbewerbern, aber auch die Regeln der freien Marktwirtschaft insgesamt. “Die Macht kommt von unten”, 40 schreibt Foucault, und: “Die Machtbeziehungen verhalten sich zu anderen Typen von Verhältnissen (ökonomischen Prozessen, Erkenntnisrelationen, sexuellen Beziehungen) nicht als etwas Äußeres, sondern sie sind ihnen immanent”. 41 Schlingensief zeigt Strukturen, die sich vom Unterhaltungsfernsehen über den Wohnungsmarkt und die Tourismusbranche durch die verschiedensten Bereiche des menschlichen Miteinanders ziehen, und die auf der Ebene der Herrschaftsordnung und der Politik im engeren Sinne lediglich eine institutionelle Kristallisation erfahren. Im Folgenden soll untersucht werden, welche Position dem Einzelnen innerhalb dieser vielfältigen und vielschichtigen Ordnungsstrukturen zukommt. “Ich bin endlich Bundeskanzler” - Der Einzelne in seinem Verhältnis zur Ordnung In der Schlingensiefschen Container-Anlage sind 12 Asylbewerber untergebracht. Geht man von der Quantität und Qualität der Präsenz aus, sind sie den oben skizzierten politischen und medialen Strukturen eindeutig untergeordnet. Im Fokus der allgemeinen Aufmerksamkeit steht die Container- Anlage samt Slogans und “Ausländer raus”- Banner, die Asylbewerber sind direkt nur zu sehen, wenn man in die Umzäunung hinein geht und durch einen Bretterzaun blickt, indirekt nur auf einem kleinen Monitor oder im Internet. Entsprechend beziehen sich auch nahezu sämtliche entrüstete Zuschauerreaktionen auf die Anlage und das Banner und nicht auf den Umgang mit den Insassen. Und so konnte es auch passieren, dass Demonstraten der allwöchentlichen Anti-FPÖ-Demonstrationen in einem symbolischen Akt das Banner herunterreißen wollten und erst dann bemerkten, dass in den Containern keine Schauspieler, sondern tatsächliche Asylbewerber saßen, denen sie mit ihrer Aktion Angst machten. Wenn die Container-Insassen zu sehen sind oder explizit auf sie Bezug genommen wird, dann kaum als Individuen, sondern lediglich als Elemente einer Gesamtkonstellation. Beim Einzug und bei der Abschiebung tragen sie größtenteils Perücken oder Kopftücher und Sonnenbrillen und verstecken ihre Gesichter hinter Zeitschriften. Ihre Fotos an den Außenzäunen sind mit schwarzen Balken unkenntlich gemacht. Frühsport und Deutschkurs auf dem Containerdach erfolgen jeweils im Kollektiv, man bewegt sich synchron und spricht im Chor. Häufig tragen alle identische T-Shirts. Selbst der Gewinner bekommt bei der Siegerehrung von Schlingensief einen Platz auf dem Containerdach zugewiesen, wird regelrecht herumgeschoben und kann - hinter Sonnenbrille und Perücke versteckt - nur stumm und verständnislos dastehen und alles über sich ergehen lassen (01: 27: 06). Nur ein einziges Mal kommen die Asylbewerber selbst zu Wort, und zwar im Rahmen einer zusammen mit Elfriede Jelinek erarbeiteten Kasperletheateraufführung, für die jeder die wenigen deutschen Sätze, die er kann, aufschreiben soll. Nur hier können sie ihre Empfindungen und Bedürfnisse artikulieren: “Ich lebe gern alles”, “Ich wollen nicht raus”, “Ich möchte Arbeitsbewilligung”. 42 Und nur hier ist ein Angriff auf die Macht, eine vorübergehende, karnevaleske Umkehrung der Herrschaftsverhältnisse möglich: “Ich bin Frau Magister Heidemarie Unterreiner [Kul- Zum Verhältnis von Mensch und Ordnung 39 tursprecherin der Wiener FPÖ, A.-C. F.]”, “Ich bin endlich Bundeskanzler”. 43 Der Karneval als Sprachrohr der Ungehörten hat eine lange Tradition. 44 Foucault berichtet über Hinrichtungen, bei denen verbale Ausschweifungen des Verurteilten unter dem Beifall des Volkes einem Vorgang, der eigentlich dazu bestimmt war, die Macht des Fürsten zu manifestieren, “etwas Karnevaleskes [gaben], das die Rollen vertauscht, die Gewalten verhöhnt und die Verbrecher heroisiert”. 45 Bezeichnend ist aber vor allem der Auftakt von Bitte liebt Österreich: Die Container- Anlage steht, Schlingensief hat der anwesenden Menschenmenge ihre räumliche Aufteilung und die Spielregeln bereits erläutert, dann erst nehmen die Asylbewerber ihren Platz in ihr ein. Sie werden in einem Bus herangefahren und auf Schlingensiefs Kommando einer nach dem anderen von Security- Kräften entlang durch Absperrungen vorgegebener Wege in den Container gebracht. Auch der Abstand zwischen den einzelnen Auftritten folgt einer klaren Struktur: “In welchem Rhythmus? “ (00: 06: 37), fragt die beteiligte Assistentin Schlingensief. Zusätzlich gibt eine Blaskapelle einen bestimmten Laufrhythmus vor, der tatsächlich sichtbar in die Bewegungen der Containerinsassen übergeht (00: 06: 57). Und auch die bei der Ankunft vorgegebene soziale Situation weist den Asylbewerbern einen eindeutigen Platz zu: Der schlimmste Moment war, glaub’ ich, für die Asylbewerber, als sie aus dem Bus ausgestiegen sind, durch diese johlende Menschenmenge von 500 Leuten gegangen sind, die 10 Kameras und die 30 Fotografen auf sich gerichtet sahen … (00: 05: 43), beschreibt der Produktionsdramaturg Matthias Lilienthal. Dass die Asylbewerber sich hier hilflos ausgeliefert fühlen, wird daran deutlich, dass sie die Köpfe senken und versuchen, ihre Gesichter hinter Zeitschriften zu verbergen. Vor allem aber werden sowohl die Asylbewerber als auch alle anderen an der Aktion Beteiligten immer wieder in ein Raster starrer Unterscheidungen und Kategorisierungen gepresst. Auch diese Kategorien sind bereits vor dem ersten Auftritt der Containerinsassen klar etabliert: “Heute Abend, in wenigen Minuten, werden hier Asylbewerber einziehen” (00: 04: 26), verkündet Schlingensief. Die Gegenkategorie des österreichischen Bürgers wird durch mehrfache Wiederholung bekräftigt: “Jeden Abend können Sie in Österreich, liebe Österreicher - ich spreche jetzt zu Ihnen …” (00: 04: 43). Kurz darauf wird die Staatsangehörigkeit als Identitätskategorie noch einmal betont: “liebe Japaner, liebe Franzosen, liebe Belgier, liebe Amerikaner, machen Sie Fotos” (00: 08: 18). Außerdem formuliert Schlingensief eine klare Dichotomie von Vertrautem und Fremdem, von Drinnen und Draußen, wenn er den Asylbewerbern “im Namen Europas” (00: 08: 06) alles Gute wünscht und dann das “Ausländer raus”-Banner enthüllen lässt. Schließlich verkündet er bei einer der Abschiebungen: “Wole aus Nigeria. Wieder ein Schwarzer, Österreich hat wieder einen Schwarzen raus gewählt, gestern auch einer, heute wieder ein Schwarzer, das ist doch ziemlich konsequent” (00: 45: 05). Und auch die Reaktionen der Passanten offenbaren immer wieder ein Denken in starren Kategorien von Nationalität und ethnischer Zugehörigkeit und in starren Dichotomien von Eigenem und Fremdem, von Österreichischem und Nicht-Österreichischem. Dies gilt für ausländerfeindliche und ausländerfreundliche Aussagen gleichermaßen. So hält ein Mann einem schwarzen Passanten vor: “So gut wie hier geht's keinem Afrikaner. […] Wenn ich nach Afrika gehen würde, wenn ich den Mund aufmachen würde, würde ich umgebracht” (01: 09: 59). Ein anderer Zuschauer ruft aufgebracht: “Welche Schweine haben das genehmigt? Ich bin Österreicher, aber ich bin für die Aus- 40 Ann-Christin Focke länder! Meine Frau ist eine Halb-Ausländerin! ” (00: 35: 08). Interessanterweise führt gerade der Versuch, den Vorwurf der Ausländerfeindlichkeit abzuwehren, zu einer besonderen Betonung der Identität als Österreicher. Jemand hält ein großes Schild hoch, auf dem steht: “Ich bin Österreicher und schäme mich für diese Aktion” (01: 16: 46), jemand anderes brüllt Schlingensief an: “In jedem anderen Land hätte man Sie verhaftet oder gleich hingerichtet. Da sehen Sie mal, was für ein Land Österreich wirklich ist” (01: 22: 54). Vor allem wird Schlingensief immer wieder vorgehalten, dass er sich als Deutscher nicht in österreichische Belange einmischen solle: Frau: Das, das ist Kunst? Das ist eine Verarschung von Österreich! Schlingensief: Hier sitzen doch die Faschisten. Hier wohnen doch die Nazis. Frau: Und in Deutschland nicht? Wer sitzt denn in Deutschland. Schlingensief: Ein Volk von Nazis. Älterer Herr: Wir haben noch keine Asylantenheime angezündet. […] Frau: Das sind unsere Probleme und nicht eure Probleme. Und da braucht ihr in Österreich das nicht daherstellen! (00: 37: 32) Ich habe bereits erwähnt, dass die ‘Figuren’ in Bitte liebt Österreich gegenüber der Ordnungsstruktur der Containeranlage wenig präsent sind und kaum individuell in Erscheinung treten. In den wenigen Momenten, in denen sie in ihrer Individualität jenseits der kollektiven Kategorie des Asylbewerbers zur Geltung kommen, erfolgt dies in Form einer Identitätszuschreibung durch die Ordnung. Dabei spielt zum einen die biographische Erfassung der Container-Insassen eine entscheidende Rolle. Die Biographien werden beim Einzug verlesen und sind zusätzlich an die Zäune plakatiert. Inwiefern Individualisierung gerade eine Form der umso intensiveren Normierung durch bestehende Ordnungsstrukturen sein kann, hat Foucault ausführlich herausgearbeitet - gerade auch anhand historischer Praktiken der Biographieschreibung. Er grenzt dabei zwei Modelle voneinander ab: Die Chronik eines Menschen, die Erzählung seines Lebens […] gehörten zu den Ritualen seiner Macht. Die Disziplinarprozeduren nun kehren dieses Verhältnis um […] und machen aus der Beschreibung ein Mittel der Kontrolle und eine Methode der Beherrschung. 46 Im Fall der Asylbewerber haben wir es eindeutig mit letzterem Modell zu tun. Ihre Erzählung liegt nicht in ihrer Hand, sondern wird durch die Ordnung vermittelt, um nicht zu sagen zugeschrieben, wobei das individuelle Moment der unterschiedlichen Lebensgeschichten in einen einheitlichen Rahmen gepresst ist. Schließlich macht vor allem die Tatsache, dass die Biographien offensichtlich nicht ganz mit den Insassen übereinstimmen, 47 die Zuschreibung deutlich. Als zweites Moment des individuellen Hervortretens spielt außerdem die allabendliche Abwahl und Abschiebung eines der Container-Insassen eine Rolle. Auch eine solche Anordnung nach Rängen oder Stufen wird von Foucault als Wechselspiel von Individualisierung und Normierung beschrieben. 48 Auch hierbei handelt es sich um eine von außen an den Einzelnen herangetragene Kategorisierung durch die Ordnungsstrukturen, in diesem Fall das TED-Telefonsystem. Die individuelle Hervorhebung besteht darin, dass ein von außen zugewiesener Prozentwert zum identitätsbestimmenden Merkmal erhoben wird. Die Hierarchisierung der individuellen Werte gibt dabei den Abstand eines jeden Einzelnen zum Ideal, zur Norm an - in diesem Fall zur Norm, bei der Gesamtheit der österreichischen Bevölkerung Gefallen zu finden. Dies gilt natürlich insbesondere für den Verlierer, bei dem der Prozentwert einer Klassifizierung als nicht Zum Verhältnis von Mensch und Ordnung 41 wert, in Österreich zu bleiben, als Grundlage dient. Doch auch der letztendliche Sieger ist Teil dieses selben Systems der Identitätszuweisung. Und auch ohne die Identitätszuschreibung per TED-Wahl haben wir es mit der Gefängnis-, vor allem aber mit der Big Brother- Situation der Schlingensiefschen Container- Anlage mit einer Individuen verfertigenden Ordnungsstruktur zu tun. Neben der biographischen Erfassung wird auch die hierarchische Überwachung von Foucault als ein Instrument dieser Verfertigung identifiziert. Er spricht von der “Einrichtung des zwingenden Blicks: eine Anlage, in der die Techniken des Sehens Machteffekte herbeiführen und in der umgekehrt die Zwangsmittel die Gezwungenen deutlich sichtbar machen”. 49 An anderer Stelle wird ergänzt, dass diese Überwachung imstande sein muss, “alles sichtbar zu machen, sich selber aber unsichtbar”. 50 Während Foucault innerhalb seines historischen Ansatzes vor allem architektonisch denkt, hat die Frage der absoluten Überwachung inzwischen durch mediale Phänomene wie Big Brother eine ganz neue Dimension erhalten. Nicht die Kontrolle, sondern vielmehr der voyeuristische Einblick ist hier das entscheidende Ziel. Der Effekt ist jedoch der gleiche: auch der voyeuristische Blick der Öffentlichkeit, selbst ohne direkte und explizite Sanktion in Form einer Abwahl, verändert den Beobachteten. Die ganzen Bemühungen der Big Brother-Maschinerie gelten der Produktion von Authentizität im Sinne einer absoluten Unberührtheit von der Präsenz des Beobachters: Das war einfach faszinierend. Man hat in sein normales Leben gucken können. […] die Bewohner im Haus waren schon sich [sic] selbst, sie waren zwar in einer inszenierten Welt, aber innerhalb dieser inszenierten Welt waren sie authentisch (00: 25: 10), schwärmt Rainer Laux, der Produzent der deutschen Big Brother-Sendung. Tatsächlich ist das Gegenteil der Fall: Selbst Stanislawski, der heute gerne als Kronzeuge für wahrhaftige Gefühle herhalten muss, räumt ein, dass “die Bedingungen des öffentlichen Schaffens” stets “eine Lüge enthalten”. Jedes Lächeln hat seine Unschuld verloren, wenn es für einen Beobachter geschieht. 51 Bedingt durch den Wunsch nach sozialer Anerkennung, sind die der Beobachtung Ausgesetzten in ihren Verhaltensweisen von dieser Beobachtung und damit von der gesellschaftlichen Ordnung insgesamt durchdrungen. Ihre Identität wird durch die Situation des Beobachtet-Werdens entscheidend mitkonstituiert. Laut Foucaults Analysen in Überwachen und Strafen wurde durch den Übergang vom reinen Verbot und von der rein körperlichen Strafe zur Arbeit an der Seele des Delinquenten durch Umerziehung und psychologisch-psychiatrische Behandlung die Kontrolle des Individuums subtiler und damit intensiver und umfassender. In ähnlicher Weise ist auch die vom Wunsch nach Anerkennung in einer Berühmtheit und Glamour verheißenden Mediengesellschaft gekennzeichnete Beobachtungssituation des Big Brother-Containers unter Umständen sogar stärker identitätskonstituierend als die eher mit einer gewissen inneren Abwehr des Betroffenen verbundene Überwachung im Gefängnis. Schließlich betrifft die Diagnose einer Vorgängigkeit der Ordnungs- und Diskursstrukturen gegenüber dem Individuum in Bitte liebt Österreich nicht nur die Asylbewerber. Ich habe bereits erwähnt, dass Schlingensief im Rahmen seiner Aktion einen eigenen medialen Diskurs schafft - er selbst spricht von einer “Medieninstallation” (00: 18: 37). FAZ-Kulturkorrespondent Mark Siemons bezeichnet in einem Beitrag über Bitte liebt Österreich mediale Strukturen als Drehbuch, das den Akteuren der Öffentlichkeit ihre Rollen zuweist und sie zugleich von der Einsicht fernhält, dass sie alle nur in einem Film mitspielen. 52 42 Ann-Christin Focke Jeder, der sich in irgendeiner Form zu der Containeranlage verhalten möchte, wird von der Aktion absorbiert und den Regeln ihres Diskurses unterworfen, bekommt von Schlingensief einen Platz in diesem Diskurs zugewiesen. Reaktionen von Passanten werden in die eigenen Aussagen integriert, etwa wenn ein offensichtlich geistig verwirrter alter Mann sagt, “Die werden alle hingerichtet”, und Schlingensief daraufhin per Megaphon verkündet: “Ja. Offizielle, öffentliche Hinrichtungen. Hier auf dem Platz, jeden Tag. Bis zu 20, 30 Ausländer hinrichten. Hier auf dem Platz. Platz der himmlischen Hinrichtung. Genau” (00: 17: 09). Auch emotionale Ausbrüche der Zuschauer wiederholt Schlingensief und ironisiert sie dabei durch einen übertrieben ernsthaft zustimmenden Gestus: Ältere Dame (sehr aufgebracht): Auf der ganzen Welt wird Krieg geführt und niemand macht was dagegen, und da regen sie sich wegen sowas auf. Bin ich denn verrückt? Schlingensief (mit Megaphon): Die Dame sagt, auf der ganzen Welt werden Kriege geführt, und da regt man sich hierdrüber auf, dass Ausländer abgeschoben werden. Das ist völlig richtig, ja, es gibt überall Kriege, und da nimmt man - lässt man hier einfach jemand abschieben, das ist wirklich in gar keiner Relation, ja, völlig richtig, absolut richtig … (00: 32: 16). Hinzu kommt hier sogar eine gewisse Sinnentstellung: Die Frau beklagt, dass man sich unverhältnismäßig über die Installation Schlingensiefs aufrege, während Schlingensief ihr unterstellt, eine unverhältnismäßige Aufregung über Abschiebungen zu kritisieren. Auch durch die Verweigerung einer Reaktion kann man sich solchen Fremddeutungen und Indienstnahmen nicht entziehen. So wird die Untätigkeit der FPÖ von Schlingensief wie bereits erwähnt als Nichtbestehen eines Tests gedeutet. Ganz abgesehen davon, dass Schlingensief im Rahmen seiner Aktion sowieso eine Situation erzeugt hat, in der man keine Stellung beziehen kann, ohne dabei die eigene Position zu demontieren: “Wer gegen die Entfernung des ‘Ausländer raus’ war, sprach sich scheinbar für dessen Inhalt aus; wer es entfernen wollte, gegen die Freiheit der Kunst”. 53 In diesem double bind sieht sich die FPÖ gefangen, aber auch jeder einzelne entsetzte oder begeisterte Zuschauer - und vor allem die Anti-FPÖ-Demonstranten, die am fünften Tag das Banner herunterreißen und die Asylbewerber befreien. In der Presse ernten sie dafür entweder ein müdes Lächeln oder harsche Kritik: “Es geht hier viel grundsätzlicher um Widerstand, als sich die gutwilligen Widerständler der Donnerstags-Demos träumen lassen”, 54 urteilt Mark Siemons. “Sie wollten an einem besseren Österreichbild mitwirken und haben sich dadurch in einer gewissen Weise auf das Niveau der Kronen Zeitung begeben, der es ja auch um nichts anderes gegangen ist” (AR 00: 56: 04), konstatiert Armin Thurnher. Ähnlich Uwe Mattheiss in der Süddeutschen Zeitung: “Die österreichische Opposition muss nun endlich klären, ob es ihr um die Demokratie geht oder um die Wiederherstellung der Identifikation mit dem nationalen Kollektiv”. 55 Die Möglichkeit eines Ausstiegs aus dem ‘Drehbuch der Öffentlichkeit’ ist also nirgends zu erkennen. Dabei klingt die Drehbuchbeziehungsweise Filmmetapher Siemons auch im Rahmen der Aktion selbst wiederholt an, etwa wenn Schlingensief in sein Megaphon ruft: “Das ist hier die Nazifilmfabrik, die hier eröffnet wurde. Hier werden die Bilder produziert, die Europa gerne hat” (00: 15: 16). Wir können also zunächst festhalten, dass wir es in Bitte liebt Österreich nicht mit Individuen zu tun haben, die - sei es kritisch oder postulierend - von einer Gesellschaftsordnung sprechen und diese damit als grundsätzlich von ihnen gestaltbare präsentieren, sondern dass hier vielmehr eine Ordnung dargestellt wird, die im Foucaultschen Sinne dem Zugriff und vielleicht sogar dem Bewusstsein Zum Verhältnis von Mensch und Ordnung 43 des Einzelnen entzogen beziehungsweise vorgelagert ist und diesem eine Identität kategorisch zuweist. Im Rahmen eines solchen Denkens muss die Frage, welche politische Ordnung ‘dem Menschen’ gerecht wird (beziehungsweise: eher gerecht werden könnte), entfallen. Stattdessen wird das Verhältnis von Mensch und ihm vorgängiger (politischer) Ordnung von Foucault grundsätzlich als das einer Unterwerfung bewertet. Dabei bedient er sich des Gefängnisses als historischem Analyseobjekt. Es handelt sich dabei jedoch nur um die extremste Manifestation der für die modernen Gesellschaften als ganze grundlegenden Strukturen. Auch Christoph Schlingensief wählt das Bild des Gefängnisses beziehungsweise Lagers, um das von ihm dargestellte Verhältnis von Mensch und Ordnung prägnant als das einer Unterwerfung zu charakterisieren. In geradezu frappierender Weise spielen dabei ähnliche Merkmale und Mechanismen eine Rolle wie in den historischen Analysen Foucaults. Dies werde ich im Folgenden herausarbeiten. Dabei darf jedoch auch hier nicht übersehen werden, dass das Gefängnis beziehungsweise Lager bei Schlingensief als Bild für eine grundsätzlichere gesellschaftliche Disposition zu verstehen ist. Indem verschiedene gesellschaftliche Bereiche explizit mit dem Bild des Gefängnisses beziehungsweise Lagers in Verbindung gebracht werden, kommentiert Schlingensief deren Unterwerfungscharakter. Doch zunächst zum Bild des Gefängnisses und den darin enthaltenen Unterwerfungsmechanismen selbst. Die “Methoden, welche die peinliche Kontrolle der Körpertätigkeiten und die dauerhafte Unterwerfung ihrer Kräfte ermöglichen”, nennt Foucault “Disziplinen”. 56 Dabei ist die erste große Operation der Disziplin die Errichtung von “lebenden Tableaus”, 57 die Verteilung der Individuen im Raum. Sie vollzieht sich unter anderem durch die “Klausur, die bauliche Abschließung eines Ortes von allen anderen Orten”. 58 Dass dies auch ein Prinzip von Bitte liebt Österreich ist, ist wohl unmittelbar einleuchtend. Die Asylbewerber werden durch Zäune und patrouillierende Security-Kräfte vom Rest der Bevölkerung separiert. Bei Schlingensief erfolgt dies an exponierter Stelle, direkt vor der Wiener Oper, er bezieht sich dabei jedoch auf eine gesellschaftliche beziehungsweise administrative Praktik, die üblicherweise vor allem mit einer geographischen Abschließung verbunden ist. Asylbewerber- und Asylantenheime werden an die Ränder der Städte oder in bestimmte Viertel verbannt. In der Kontrolle der Tätigkeit durch Zeitplanung sieht Foucault eine weitere disziplinierende Operation. Auch der Tagesablauf der Container-Insassen ist streng reglementiert, das Programm wird jeweils per Plakat vor den Containern, per Lagerzeitung und im Internet bekanntgegeben. Dabei ist insbesondere der Frühsport eine Tätigkeit, die in sich noch einmal “zeitlich durchgearbeitet” ist. 59 Die Teilnehmer absolvieren ein vorgegebenes Programm, bewegen sich in einem vorgegebenen Rhythmus: “Die Zeit durchdringt den Körper und mit der Zeit durchsetzen ihn alle minutiösen Kontrollen der Macht”. 60 In engem Zusammenhang mit der baulichen Abschließung steht bei Foucault schließlich auch das Instrument der hierarchischen Überwachung. Auch diese ist in der Container-Anlage gegeben. Ritzen in einer Bretterwand, durch die die Passanten in den Wohnraum hinein blicken können, ohne selbst gesehen zu werden, gewährleisten eine Unterwerfung durch Ausstellung, durch die Einseitigkeit der Blickrichtung wird ein Machtgefälle hergestellt. Selbst in Situationen, in denen die Asylbewerber die Zuschauer sehen können - etwa beim Deutschunterricht oder Frühsport auf dem Containerdach oder beim Einzug in den Container -, bleibt durch die Unterzahl der Container-Insassen und die Lenkung des Blickes der Menschenmenge diese Konstellation erhalten. 44 Ann-Christin Focke Gleichzeitig ist damit die Kommentierung anderer gesellschaftlicher Bereiche, allen voran der medialen Ordnung, durch das Bild des Gefängnisses bereits angeklungen. Denn die hierarchische Überwachung im Gefängnis beziehungsweise Lager wird in Bitte liebt Österreich bildhaft verknüpft mit der Überwachung im Rahmen der Big Brother-Situation. So überlagern die beiden Situationen sich nicht nur räumlich. Vor allem fällt der Mechanismus der Abwahl der Containerinsassen mit dem Mechanismus der Abschiebung von Asylbewerbern in eins. Die Big Brother-Situation in ihrer Darstellung durch Schlingensief erinnert damit stark an Foucaults Beobachtung, dass der Mensch an seiner eigenen Unterwerfung mitarbeitet und diese Unterwerfung besonders dort zu beobachten ist, wo es um die vermeintliche Selbstentfaltung des Menschen geht. 61 Im Rahmen meiner Ausführungen zum Begriff der Authentizität ist dies bereits angeklungen. Vermeintliches Ziel von Big Brother-Produzenten und -Zuschauern ist es, den ‘wahren’ Menschen in seiner unverfälschten Individualität zu erleben - “Zeig mir dein Gesicht, dein wahres Gesicht”, heißt es im Titelsong der zweiten Staffel. Aber auch die Container-Insassen selbst hoffen, durch ihre umfassende Präsenz und deren millionenfache Rezeption ihrer Identität und Individualität besondere Geltung verschaffen zu können. So heißt es in einer auf Interviews mit den ehemaligen Big Brother-Teilnehmern basierenden Studie: Für eine Vielzahl der Befragten stellte allein die Möglichkeit, durch “Big Brother” Fernsehpräsenz zu erlangen, eine starke Motivation dar. Diese Teilnehmer beschreiben einen “Prestigegewinn”, der allein aus ihrer medialen Anwesenheit resultiert. 62 Sie wollen als ‘Stars’ wahrgenommen werden - als Menschen, bei denen häufig implizit davon ausgegangen wird, dass sie über besondere Autorität und Autonomie, über einen in irgendeiner Weise über gesellschaftliche Strukturen erhabenen Status verfügen und deshalb zu einer weiter reichenden Selbstentfaltung in der Lage sind als der Durchschnittsbürger. Indem Schlingensief die vermeintlichen Stars jedoch mit den in Lager gepferchten Asylbewerbern in eins setzt, kehrt er deren Abhängigkeit von - um nicht zu sagen Gefangenschaft in - den Strukturen der Medien und der Öffentlichkeit hervor. Und so wie das Bild des Asylbewerberlagers die Situation der Big Brother-Teilnehmer kommentiert, so erhellt umgekehrt der Mechanismus der Ab- und Auswahl die Strukturen von Asylpolitik. An dieser Stelle möchte ich noch einmal auf Sloterdijks Begriff des Eliminationsspiels zurück kommen: Jenseits des verliererorientierten Zugangs liegt die Radikalität der Aktion Schlingensiefs vor allem auch darin - und Sloterdijk deutet es mit der Wahl seiner Beispiele (Gladiator- Film, Big Brother und Fußball-EM) implizit bereits an -, dass die Kategorien des Siegers und des Verlierers aus der Sphäre der Unterhaltung in die der Asylpolitik übertragen werden. Während der konstitutive Zusammenhang von Sieg und Niederlage in spielerischen Zusammenhängen weitestgehend anerkannt wird, ist der politische Diskurs der westlichen Demokratien auf den ersten Blick von der Annahme der Gleichheit und Würde aller Menschen getragen. Giorgio Agamben hat jedoch darauf hingewiesen, dass diese vermeintliche Gleichheit und die damit verbundene Ausstattung mit Grundrechten tatsächlich auf über das Prinzip der Nation vermittelten Ein- und Ausschlussmechanismen beruht: Schon die Erklärung der Menschenrechte von 1789 präsentiert zwar das reine Faktum der Geburt, das natürliche nackte Leben, als Quelle und Träger des Rechts, jedoch nur, um es sogleich in der Figur des Bürgers verschwinden zu lassen, in der sich die Rechte des Menschen ‘bewahrt’ finden sollen: “le but de toute association politique est la conservation des droits Zum Verhältnis von Mensch und Ordnung 45 naturels et imprescriptibles de l’homme”. 63 Gleichzeitig entstehen jedoch bereits während der Revolution normative Anordnungen, die präzisieren sollen, “welcher Mensch nun Bürger sei und welcher nicht”. 64 Die Ausweisung von Asylbewerbern per TED-Telefonabstimmung spitzt diese Zusammenhänge prägnant zu. Sie macht deutlich, dass die Zugehörigkeit einer Person zu einer Nation auf dem Ausschluss einer großen Zahl anderer Personen beruht. Und sie entlarvt damit die Ausstattung vermeintlich gleicher Menschen mit Grundrechten als Ergebnis politischer Entscheidungs- und Unterscheidungsprozesse. Kurz: Sie zeigt die existentielle Unterwerfung des Menschen unter politische Ordnungsstrukturen und entlarvt die umgekehrte Vorstellung einer Ordnung ausgehend von naturgegebenen menschlichen Grundrechten als Illusion. Ausblick An den Befund eines gegenüber dem traditionellen politischen Theater veränderten Verhältnisses von Mensch und Ordnung in Bitte liebt Österreich schließen sich zwei Fragen an. Zum einen wäre zu untersuchen, inwieweit jenseits der kritischen Darstellung von unterwerfenden Strukturen auch von einer emanzipatorischen Stoßrichtung der Aktion Schlingensiefs gesprochen werden kann. Oder grundsätzlicher formuliert: Wie könnte die emanzipatorische Dimension des politischen Theaters im Rahmen des herausgearbeiteten neuen Paradigmas aussehen? So unterstreicht Schlingensief beispielsweise einerseits die Dominanz und Alternativlosigkeit bestehender Diskurse dadurch, dass er auch Widerstand sehr explizit als Ergebnis einer Zuschreibung darstellt, wenn er Passanten mit den Worten anspricht: “Sie sind ab sofort Widerstandskämpferin! Wir haben jetzt 18.32 Uhr. Ich ernenne Sie hiermit offiziell zur Widerstandskämpferin” (00: 18: 56). Gleichzeitig wird jedoch die theatrale Ordnung der Repräsentation - ebenfalls eine Art ‘Drehbuch der Öffentlichkeit’, durch das eine ganz bestimmte Wirklichkeit erst konstituiert wird - aufgelöst, indem immer wieder verunklart wird, ob man es gerade mit Theater zu tun hat oder nicht. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf die Asylbewerber: “Es sind in diesem Moment natürlich Schauspieler, und natürlich ist alles wahr”, 65 stiftet Schlingensief beim Einzug in den Container bewusst Verwirrung. Ausgehend von der spezifischen Konzeption von Widerstand im Rahmen des Foucaultschen Denkens und ausgehend vom emanzipatorischen Potential des Lyotardschen Konzepts einer affirmativen Ästhetik, gälte es, derartige Ansätze systematisch zu erhellen. Zum anderen habe ich bereits mehrfach erwähnt, dass im traditionellen politischen Theater abstrakte Entwürfe und Ideen in der Regel dadurch konkretisiert und sinnlichästhetisch erfahrbar gemacht werden, dass sie durch einzelne Figuren postuliert werden und dann mit deren Identität und Individualität in Konflikt geraten. Dem liegt ein Verständnis des Menschen als Subjekt der Ordnung zugrunde, als solches kann er von der Ordnung sprechen, mehr oder weniger erfolgreich an ihr arbeiten und dabei im Konkreten auf das große Ganze verweisen. In Bitte liebt Österreich hingegen haben wir es mit Ordnungsstrukturen zu tun, die dem Zugriff und vielleicht sogar dem Bewusstsein des Einzelnen entzogen beziehungsweise vorgelagert sind, ihn unterwerfen und absorbieren. Dementsprechend kommt die Ordnung selbst zur Darstellung, ihre Strukturen sind unmittelbar auf der ‘Bühne’ präsent und nicht durch die Bühnenpräsenz beziehungsweise durch das Bewusstsein einer Figur vermittelt. In Schillers Don Carlos spricht Marquis Posa von verbrannten menschlichen Gebeinen in Flandern und Brabant und von einer Gesellschaft, in der Gedankenfreiheit herrscht, hier steht der 46 Ann-Christin Focke Großinquisitor für eine repressive Ordnung, deren Strukturen ansonsten nicht unmittelbar zu erfassen sind. In Bitte liebt Österreich hingegen sieht der Zuschauer die Mechanismen der Ausgrenzung und der Überwachung selbst am Werk - zwar im Kleinen, aber doch als in sich geschlossenes System. Dabei ist die Zuspitzung natürlich ein entscheidendes Mittel der Konkretisierung - hier möchte ich noch einmal auf den eingangs erläuterten Begriff der affirmativen Ästhetik verweisen. Dort, wo Ordnungsstrukturen jenseits ihrer unmittelbaren Präsenz zur Geltung kommen, geschieht dies häufig ebenfalls quasi an den ‘Figuren’ vorbei. Hier ist das ästhetische Mittel des Zitats einzuordnen, sei es das wörtliche (FPÖ-Slogans) oder das bildhafte (Container). Es verweist unmittelbar auf eine gesellschaftliche Realität und es tut dies allein durch seine Zeichenhaftigkeit. Nicht ein Subjekt spricht und bedient sich dabei eines Zeichens, vielmehr spricht das Zeichen selbst durch seinen Bezug zu anderen Zeichen. Entscheidend ist dabei außerdem, dass die dargestellten Ordnungsstrukturen in eine Interaktion mit realen Ordnungsstrukturen treten. Dies betrifft insbesondere die mediale Dimension von Bitte liebt Österreich. Ich kann hierauf an dieser Stelle nicht mehr ausführlicher eingehen, möchte abschließend jedoch zumindest erwähnen, dass die Frage nach den neuen Strategien der ästhetischen Vermittlung abstrakter Ordnungsstrukturen weiterer Beachtung bedürfte. Denn an dieser Stelle zeigt sich ganz deutlich, in welchem Ausmaß Fragen des Verhältnisses von Mensch und Ordnung im politischen Theater auch ästhetische Fragen sind und umgekehrt. Anmerkungen 1 Zum Prinzip der Negation im traditionellen politischen Theater vgl. Achim Geisenhanslüke, “Schreie und Flüstern: René Pollesch und das politische Theater in der Postmoderne”, in: Ingrid Gilcher-Holtey/ Dorothea Kraus/ Franziska Schössler (Hg.), Politisches Theater nach 1968. Regie, Dramatik und Organisation, Frankfurt/ M./ New York 2006, S. 254-255. 2 Jean-François Lyotard, Essays zu einer affirmativen Ästhetik, Berlin 1982, S. 20-21. 3 Lyotard, Essays, S. 21. 4 Geisenhanslüke, “Pollesch”, S. 255. 5 Siegfried Melchinger, Geschichte des politischen Theaters, Velbert 1971, S. 414. 6 Friedrich Schiller, “Briefe über Don Karlos”, in: Herbert Meyer (Hg.), Schillers Werke. Nationalausgabe. Zweiundzwanzigster Band. Vermischte Schriften, Weimar 1958, S. 168. 7 Diedrich Diederichsen, “Das Gespenst der Freiheit”, in: Matthias Lilienthal/ Claus Philipp (Hg.), Schlingensiefs Ausländer raus. Bitte liebt Österreich, Frankfurt/ M. 2000, S. 185. 8 Es ist dies der ursprüngliche Titel der Aktion. Die zugehörige Web-Adresse lautete “www.auslaender-raus.at”, außerdem nahm ein Banner mit der Aufschrift “Ausländer raus” eine zentrale Stellung ein. In der Folge war von dem Projekt häufig unter diesem Titel die Rede. Ich werde bei meinen Ausführungen jedoch den Kurztitel Bitte liebt Österreich verwenden. 9 Otfried Höffe, Politische Gerechtigkeit. Grundlegung einer kritischen Philosophie von Recht und Staat, Frankfurt/ M. 1989, S. 219. 10 Höffe, Gerechtigkeit, S. 28. 11 Höffe, Gerechtigkeit, S. 381. 12 Höffe, Gerechtigkeit, S. 381. 13 Friedrich Schiller, Dom Karlos. Infant von Spanien. Leipzig 1787, hg. v. Joseph Kiermeier- Debre, München 1998, S. 229. 14 U.a.: Wolfgang Wittkowski, “Höfische Intrige für die gute Sache. Marquis Posa und Octavio Piccolomini”, in: Achim Aurnhammer u.a. (Hg.), Schiller und die höfische Welt, Tübingen 1990, S. 378-397; Stephanie Editha Kufner, Nur einen Menschen braucht dies Amt. Zum politischen Helden in Schillers Don Karlos, Albany 1992. 15 Auch diese Dramen sind unter dem skizzierten Aspekt gut erforscht, z.B. Michael Hofmann, “Das Drama des Verrats: Geschichtlicher Auftrag und Eigensinn des Einzelnen bei Zum Verhältnis von Mensch und Ordnung 47 Heiner Müller und Georg Büchner”, in: Weimarer Beiträge: Zeitschrift für Literaturwissenschaft, Ästhetik und Kulturwissenschaften 46: 1 (2000), S. 89-104. 16 Vgl. etwa Dirk Jörke, Politische Anthropologie. Eine Einführung, Wiesbaden 2005. 17 Michel Foucault, Die Ordnung der Dinge. Eine Archäologie der Humanwissenschaften, Frankfurt/ M. 1978, S. 373. 18 Michel Foucault, Überwachen und Strafen. Die Geburt des Gefängnisses, Frankfurt/ M. 1977, S. 17. 19 Foucault, Überwachen, S. 25. 20 Foucault, Überwachen, S. 181. 21 Foucault, Überwachen, S. 42. 22 Foucault, Überwachen, S. 181. 23 Foucault, Überwachen, S. 42. 24 Foucault, Überwachen, S. 37-38. 25 Foucault, Überwachen, S. 37. 26 Von der Freundschaft als Lebensweise. Michel Foucault im Gespräch, übers. von M. Karbe und W. Seitter, Berlin 1984, S. 92-93. 27 Foucault, Überwachen, 39. 28 Georg Kohler, “Ordnung und Lebendigkeit. Michel Foucaults kritische Theorie des ‘zoon politikon’”, in: Otfried Höffe (Hg.), Der Mensch - ein politisches Tier? Essays zur politischen Anthropologie, Stuttgart 1992, S. 180. 29 Paul Poet, Ausländer raus. Schlingensiefs Container, Bonus Film, BRD 2002. DVD: Monitorpop Entertainment 2005, 90 min. 00: 13: 00. Im Folgenden werde ich die Minutenangaben in Klammern dem Zitat hintanstellen. 30 Lilienthal, Ausländer, S. 99. 31 “Bürgerkrieg im Organismus. Peter Sloterdijk im Gespräch mit Christoph Schlingensief”, in: Lilienthal, S. 230. 32 Lilienthal, Ausländer, S. 65. 33 Lilienthal, Ausländer, S. 12. 34 Lilienthal, Ausländer, S. 114-115. 35 Lilienthal, Ausländer, S. 106. 36 Lilienthal, Ausländer, S. 27. 37 Lilienthal, Ausländer, S. 6-7. 38 Lilienthal, Ausländer, S. 133. 39 Michel Foucault, Der Wille zum Wissen. Sexualität und Wahrheit 1, Frankfurt/ M. 1983, S. 93. 40 Foucault, Wille, S. 95. 41 Foucault, Wille, S. 94. 42 Lilienthal, Ausländer, S. 152. 43 Lilienthal, Ausländer, S. 151. 44 Vgl. Michail M. Bachtin, Literatur und Karneval. Zur Romantheorie und Lachkultur, München 1969. 45 Foucault, Überwachen, S. 79. 46 Foucault, Überwachen, S. 246-247. 47 Lilienthal, Ausländer, S. 131-132. 48 Foucault, Überwachen, S. 234-238. 49 Foucault, Überwachen, S. 221. 50 Foucault, Überwachen, S. 275. 51 Jens Roselt, “Big Brother: Zur Theatralität eines Fernsehereignisses”, in: Lilienthal, Ausländer, S. 76. 52 Mark Siemons, “Der Augenblick, in dem sich das Reale zeigt. Über Selbstprovokation und die Leere”, in: Lilienthal, Ausländer, S. 127. 53 Armin Thurnher, “Das Bild Österreichs muss wieder sauber werden”, in: Lilienthal, Ausländer, S. 57. 54 Siemons, “Selbstprovokation”, S. 127. 55 Zit. in: Thurnher, “Österreich”, S. 58. 56 Foucault, Überwachen, S. 175. 57 Foucault, Überwachen, S. 190. 58 Foucault, Überwachen, S. 181. 59 Foucault, Überwachen, S. 194. 60 Foucault, Überwachen, S. 195. 61 Foucault, Wille, S. 153. 62 Alexandra Dolff/ Susanne Keuneke, “Das subjektive Erleben der ‘Big Brother’-Kandidaten. Die Herausforderung ist die Zeit danach”, in: Karin Böhme-Dürr/ Thomas Sudholt (Hg.): Hundert Tage Aufmerksamkeit. Das Zusammenspiel von Medien, Menschen und Märkten bei “Big Brother”, Konstanz 2001, S. 190. 63 Zit. in: Giorgio Agamben, Homo sacer. Die souveräne Macht und das nackte Leben, Frankfurt/ M. 2002, S. 136. 64 Agamben, Homo Sacer, S. 139. 65 Lilienthal, Ausländer, S. 112-113. Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Postfach 25 60 · D-72015 Tübingen · Fax (0 7071) 97 97-11 Internet: www.francke.de · E-Mail: info@francke.de Die Zeit um die Jahrtausendwende ist von einer Epochenschwelle in der Erinnerungs- und Gedächtniskultur geprägt: Während die Zeitzeugen des Zweiten Weltkrieges zunehmend aussterben, suchen sich die Nachgeborenen, die zur Vergangenheit keine biographische Verbindung mehr haben, ihren eigenen Zugang. An die Stelle individueller und unmittelbarer Erinnerungen tritt bei dieser Erinnerungsliteratur zweiten Grades eine medial vermittelte, kollektive und kulturelle Form von Memoria. Methodisch im kulturwissenschaftlichen Forschungsfeld der Erinnerungstheorien verortet, untersucht die Studie, mit welchen textuellen Strategien diese Schwellensituation in Dramen der zweiten französischsprachigen Autorengeneration inszeniert und verhandelt wird. Dabei etabliert die Autorin mit dem zugrunde gelegten Dramenkorpus erstmals ein Kompendium zeitgenössischer frankophoner Dramatiker mit dem Fokus Memoria, dessen Einzeltexte bislang nur marginal Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchungen waren. Christine Felbeck Erinnerungsspiele Memoriale Vermittlung des Zweiten Weltkrieges im französischsprachigen Gegenwartsdrama Mainzer Forschungen zu Drama und Theater, Band 38 2008, 377 Seiten, €[D] 78,00/ Sfr 132,00 ISBN 978-3-7720-8257-3 The Nothing That Is: Aesthetics of Anti-Theater Herbert Blau (Washington) For the listener, who listens in the snow And nothing himself, beholds Nothing that is not there and the nothing that is Wallace Stevens, “The Snow Man” Nothing will come of nothing. William Shakespeare, King Lear If we ain’t got that then we ain’t got much And we ain’t got nothing, nothing. A Lyrics, “Nothing” Wherever it comes from, morality or the aesthetic, the anti-theatrical prejudice is a conceptual vanity, subject to or victimized by theater, while going through every nerve-end to the dubious heart of drama, which has from whatever beginnings always distrusted the theater. I’m not merely referring here, with the author living or dead, to a certain protectionism of the text against the depredations of the stage, a tradition extending, at times with egregious vigilance, from Ben Jonson to Samuel Beckett to, recently and unexpectedly, Sam Shepard - once with-it in the counterculture, and its polymorphous perversions - who refused to allow a production of True West, if the combative brothers were misgendered, enacted by women. Propriety aside, and social construction, the liability of the prejudice, whose contingency is theater, is that it’s constrained ontologically even before it’s thought, for as Heidegger said of language, “Language itself is - language and nothing else besides. Language itself is language”. 1 And though it’s been institutionalized, so it appears with theater, theater itself is, tautological maybe, but in the immanence of appearance, theater itself is theater, before anything else, or - in a spectrum of apprehension from Plato to Genet (sainted by Sartre for sanctifying appearance) - with a duplicitous presence suffusing everything else. That may very well prompt, in the deepest sense, a desire for anti-theater, which may paradoxically, in a strategic, desperate, or imperious theatricality, increase the quotient of theater, while never resolving the question of whether, in being theatrical as anti-theater, it ought to be more or less. Either way, in a superfluity of it or on a minimalist stage, theatricality isn’t, in its containment or presumption of theater, even a shadow of it, only the merest facsimile, and even then we can’t be sure; for if theater is not entropic, a sort of leak in the Real, it seems brought into being by thought - though maybe the thing itself, disappearing in the perceiving, is precisely the leak in the Real. It seems no accident that the greatest drama is obsessed with that. As it happens, the most elusively theatrical figure in the canonical drama would seem, in escaping interpretation, to have reflected on this, and if we ask the simple question, what makes theater? the answer might be Hamletic: thinking makes it so. What’s then to be kept in mind is the theater’s incipience as appearance, because we have it in mind, from whatever it is it is not (reality? experience? life? ), as it must have been, if it was, before there was any theater, or precipitous semblance of it, no less anything Forum Modernes Theater, Bd. 24/ 1 (2009), 49-60. Gunter Narr Verlag Tübingen 50 Herbert Blau like the notion that all the world’s a stage or society of the spectacle or, making a non sequitur of anti-theater, a precession of simulacra. If we’re not quite at the end of the real - bereft in an imaged world, with its superfetation of signs, no referentials, no metaphysics, only the vanity of a redundancy without any substance at all, not even the imaginary substance once thought of as illusion - the undeniable truth is that we’re not quite sure where we are. And so far as the theater reflects that, we’re back through whatever demystifications to its ineliminable seeming, or in its doubling over of life, the “Seeming, seeming”, distressingly seminal, as if precisely Measure for Measure (II. 4, V. 151), now you see it now you don’t - and with its indeterminacy, a sensation of the aesthetic. Autonomous? who can say? but as an effect of the nervous system, maybe autonomic. Insidious it may be, or a reprise of illusion, but it’s not to be done away with by an alienating detachment or preëmptive imitation. Nor will it be carried away or contained by a kind of Brechtian narcissism, the ‘ontological-hysteric’ or wired-up objectification, in the theater of Richard Foreman, who’s still there pulling the strings, but - even before the dominion of exacerbated digitality - with the video game momentum of somewhat robotic bodies, a little sexier now, but no way “bodies that matter”. 2 If the Brechtian paradigm has receded, or is now so familiar it needs some A-effect itself, it was the theatricalization of theory that - with the materiality of the body linked to the performativity of gender - appeared to take over the gestus, with a parodic amplification, as in the films of John Waters and the outrageous drag of Divine. In deconstructing Austin’s notion of performativity built around the marriage vow, and imitating an origin that really never was, the ‘corporeal style’ of queer performativity - truly queer, celebrating a stigma - derides the notion of a stable or coherent, self-identical body, with a preëmptive strike at specularity in a reversal of the gaze. Making a virtue of gender trouble, the bodily inscriptions of the performative are a nuance away from performance and, in its repetitive acts (“truly troubling”, 3 or so it is claimed, in the hegemony of subversion), disdainful of theatre - bourgeois theater, of course, which has always distrusted itself. As with modernist art and thought, which in the era of cultural studies has had a bad rap (masculine dominance, elitism, a depoliticizing formalism, and the emptying out of history), that apparently commodified theater seems at various levels to have anticipated its critique, as if the theater itself were proposing something like anti-theater. As for the queer reversed gaze, and its subversive look at the myth of interiority, and the inside/ outside binary of what became, in the Method, the actor’s psychic space, it may be that its seeming seeing is something other than that. For as queer becomes method, it discovers again - as they did in painting, since Cézanne pushed his big mountain up to the picture plane - that there is no surface that doesn’t recede; and if the activity of perception changes what it sees, it’s in the seeing itself that interiority persists, as it always has in the theater, subvert it as you will. And so it may be, with all its sophistication, in a “discursive performativity” that, in “arguing with the real”, 4 confronts an impasse in the parody turning back upon itself - or, as Shakespeare says in a sonnet, with a stylish riff on delusion, “Seems seeing, but effectually is out” (Sonnet 113). What’s in, what’s out is itself a dismaying problem - beyond specularity, or even the simulacra - in a dromoscopic, techno-scientific, biochemical, geneticist, informational world, with everything seeming to move, in the wake of the Enlightenment, with the speed of light or, as Paul Virilio thinks it, with “the light of speed”. 5 Channels, screens, PCs, cellphones, satellite dishes, CDs, webs and The Nothing That Is: Aesthetics of Anti-Theater 51 weblogs, samplers, Ethernets: in the proliferous sensation of the multitudinous moment, the sheer repetitive promiscuity of the instantly mediated, what happens to temporality, or for that matter, materiality, no less the validating stasis of aesthetic autonomy? Lady Macbeth wanted the future in the instant, but with so many futures in the infinity of instants, what passeth show would, if it wanted to show, already be far in the past - though a past is problematic, with the wavelengths and frequencies picking up speed. So it is, if we pick up on the velocity and go with the implications, that theater/ anti-theater wouldn’t even be an issue, though that wouldn’t necessarily relieve Michael Fried, who worried about the degeneration of art “as it approaches the condition of theater”. 6 Defending an art-as-object wholly manifest in the instant, “a continual and perpetual present” insusceptible to the attritions of time, 7 Fried insists on defeating theater, because it is given over to “a sense of temporality, of time both passing and to come, simultaneously approaching and receding, as if apprehended in an infinite perspective”. 8 What is past, and passing, and to come might have been thus apprehended, when Minimal Art, and then Conceptual Art, first appeared on the scene, but if we’re now amidst the megabytes, minimizing the instant and swifter than any thought, what perspective can be expected when what’s coming has already passed and the simultaneity, if imaginable, is always already surpassed? So with theater/ anti-theater: the binary would seem to depend on a here and now, but we’re living acceleratingly, anaphylactically, in a then and there, with nothing like the memory of a Bergsonian durée, since, in the immediacy of the remote, lightyears faster than the channel changer, “speed is the old age of the world”, where if you hadn’t seen it all in an epiphanic flash there was hardly even an instant for now you see it now you don’t. Is this not something more than fantasy? Or if still not unfantastic, merely the virtual truth of a prospective virtual world? Maybe yes maybe no. But if Virilio is (as he would have to be, if what he’s seeing is so) retrospectively prescient, then with reality ‘foreclosed’, retracted by acceleration, “out of time in the strictest sense”, 9 any apparency of the real in the form of theater would hardly be worth our attention, no more than a sheet of newspaper in a Florida hurricane. Or for that matter, the end of modernism, which like the end of history is always beginning again - not modernism, remember, but the beginning of its end. But slowing down for a moment, taking time (or the restored illusion of it), in the recidivist way of rehearsal: a brief connection was made before, between modernism and the bourgeois theater, about which - as if in a matrix of anachronism and history (with the universe of the Matrix looming) - I want to say more. So far as that theater is an expressive function of modernism, it was from the beginning a good deal more conflicted, aphasic, destabilizing than, with the advent of critical theory, we’ve made it out to be - its gravity such, if thought, that its accretions of realism, density impacted, as if becoming a black hole, were an inside out eruption into a more far-reaching amplitude than those apparently predictable plots and box sets would seem to suggest. The atmosphere can be oppressive, but with the constraints of space and time there is, metonymically, a kind of impacted remembrance, too, opening up as in the unconscious, or as in the modernist visual arts, to the spatialization of time. If in Cubism, however, all of history appears to be there, geometrically severed, but (in the wake of Cézanne) up on the picture plane, and with an autonomy there, that would seem to be the reverse of what we have in the theater, with its proscenium arch, teasers and tormentors, surreptitious wings, and legacy of perspective. Yet I’ve seen productions in open spaces, 52 Herbert Blau indoors, outdoors, or sprawling all over somewhere, the legacy there regardless, with text, without text, even through improvisation, old outguessable reflexes, much of it banal, irredeemably locked in the brain, as if a proscenium there - though maybe a false proscenium with no perspective at all. But “Fie upon’t, foh! About my brains”, putting it into the plural, as Hamlet does, as if with brain damage arrested, the gaze itself is reversed, as he turns to the “guilty creatures sitting at a play” (II. 2., V. 573-575). In a space created, it would seem, by a high-tech Mousetrap - where the watchers are watching the watchers watch - we’re talking not only of graduated perception, but also, in reflecting that (no less reflecting upon it), unaccountable degrees of theater. As for the watchers in the audience, what brought them there to begin with, or - while digesting dinner, as in Brecht’s jaundiced view - compels inert attention, tuning in and screening out? Well, we all know that from the plotline, which has an ancient history: appearance, disguise, concealment, the lies, deceits, the overheard, the disclosed, the mortifying confession, guilt again, the cover up, and (what else to be expected? ) the anxious relief of exposure - that suspect heritage in the bourgeois drama of the phallic Oedipal theater, all of which the new historicism or cultural materialism, or gendered or racial versions of the going revisionist Marxism, and with it anti-theater, has been determined to expose. And then we go through a cycle where we want to expose the exposure. As the debates continue in theory - and now beyond theory, whose future is dubious too - no doubt about it, there is a cloud of unknowing in our now conventional theater, as if “the scene upon the stage”, which Freud might have been describing in Totem and Taboo, “was derived from the historical scene through a process of systematic distortion - one might even say, as the product of a refined hypocrisy”. 10 Or maybe, after all, not so refined. Anything can be cheapened by performance, but what’s not there, and should be, preys upon the brain, all the more as you look with what, “imagination dead imagine”, Beckett called “the eye of prey”. 11 Is it a case of anti-theater when you want to stand up and shout, ‘Use your brains! ’ We’ve all heard the platitudes (and may even recite them), in courses of dramatic literature, about not knowing a play until we see it staged. But much of the time, up there, we don’t see it at all, not to mention the liability - even with a fine performance, and sometimes especially so, as that gets in the way (transposed now to film/ video, and frequently shown in class) - of not seeing it in multiple ways, incessantly re-imagined or, as by some inquest in the cortex, otherwise rehearsed. It might be thought of as closeting the drama, or resisting theater, but I’ve been telling students for years (even while staging plays, and this important to the stagings) that they may engage with a play far more profoundly if they don’t go to a production, and then, grasping my head to define it, I’d insist that the brain is the best stage of all, the most expansive, versatile, dynamic, and volatile in containment. Think of it, I’d say, that englobed space behind the eyeballs (a site of immense “confabulation”, with never a repetition, “unstructured immensities”, and according to “neural Darwinism”, with a “value system” 12 ) - now that’s what a theater should be! inexhaustibly ideational, with a repletion of image, as if the singular brain were fractured, dialectically plural, of untold and variable magnitude, and maybe as antitheater, where (with all the neurons working) you can see it again and again, through every (mis)apprehension, in some other heuristic form, but not with absent vision. (There is, as with Charles Lamb and Goethe on Shakespeare, and particularly King Lear, an anti-theatrical precedent for keeping a play in the text and staging it in the mind, as with Gertrude Stein on reading, but that’s not what I’m talking about.) Vision may be, as they say, The Nothing That Is: Aesthetics of Anti-Theater 53 a ‘transcendental signifier’, but then, so be it: for theater, against theater, it always remains to be seen, and so it is in re-imagining what we think of as bourgeois theater, which was once, however impaired, also a matter of vision - and with a materialist disposition, a vision haunted by history, and its visionary gleam. Arising from the Enlightenment with a thwarted dialectic, it’s as if it were inhabited at the outset by some ghosting imminence of Ibsen’s Ghosts, its remorseless analytic brought to unspeakable terror, with glaciers and peaks in the background bathed in the morning light. Where Peer Gynt once was, the dead may awaken, in a kind of supertheater, site of the world beyond, but unsayable, Wagnerian, at the limit of wish-fulfillment upping the ante on theatricality, but as if the subtext of Osvald’s final line, “The sun - The sun”, 13 were through the syphilitic blindness a sonorous delirium. How, really, should it be staged, and in the rush of repressed memory, what kinesthetic evocations? And would they be enough? For one can imagine that at the very dawn of the Enlightenment, embodied at dawn in the Festival of Dionysus, the first primeval murmurs were heard - the proleptic soundings of a stillunending cultural hysteria - from those subhuman figures in the caves below the mountain on which, in the Aeschylean drama, the fire-giving god of forethought, Prometheus, was bound, persisting there in a “mad harmony” with the punishing forces of nature, slashing winds, pitted clouds, lightning bolts, earthquakes, serving a higher power. 14 It may be that Shelley released him or some revisionist production, but I wouldn’t count on that. What is more likely, however, whatever we do in the theater, is that at some subliminal level all of it is remembered, all the more if resisted, and if not quite of the same dimensions, the delirium surely persists. With an ongoing animus against bourgeois theater, but nothing like Wagner’s resources for hypertrophic theatricality, something like it was aroused again, in the visceral ‘grain of the voice’, from way down in the throat, lips, tongue, glottis, teeth, the mucilaginous membranes, and scabbily out the nose, 15 by the sound/ movement exercises of the 1960s, and the participatory mystique of their psychophysical clamor. As with Dionysus in 69, this was one of the ways in which performance, disavowing the conventional actor, mere menial of the authorized text, would “escape the tyranny of meaning”, 16 dismantling bourgeois value and - with bodies that matter naked, and more or less jouissance - thus transcending its theater, the mere “sensuous expression of estranged human life”. 17 (Which is actually how Marx described, not irrelevantly, it would seem, the movement of production and consumption.) As for the political apotheosis of that vociferous period, there was, with bodies spelling out its title and then naked all over the stage, the Living Theater’s Paradise Now, which also passed for the temporal instant as a sort of anarchically mesmeric, unmimetic materialism, with its libidinal economy flowing out to the streets. In the Economic and Philosophic Manuscripts of 1844, Marx spoke of the senses as direct theoreticians, each of them formed by the labor of the entire history of the world; 18 but he had in mind another materialism, which had to bring itself first to consciousness, in a “fully-developed naturalism [that] equals humanism, and as fully-developed humanism [that] equals naturalism”, only thence “coming-to-be”, 19 through the long riddling burden of that estranging history, with paradise having to wait. And so it had been in the theater, which is in the play of appearance the form of coming-to-be, as it is - in more than etymology, and not merely with the specular gaze - also the shadow of theory, suffused with all the senses and with a sensory life. (As I used to tell my KRAKEN group, taking that as a datum, what we’re doing here is thinking, though some might think, in a kneejerk, that’s really anti-theater.) 54 Herbert Blau As for performance itself, the sensuous expression of estranged life may occur with a certain dispassion, or as in the anti-theater of Brecht, by estranging the estrangement; but so with Ibsen too, in a dramaturgy that was radically other, a good long way from the boulevards and the assembly-line scriptures of Scribe. And if we now think we can predict Ibsen’s moves, the degrees of estrangement and passion were once, as contingencies of the perceptual, what aroused critique in the drama, while this degree or that degree, like any gesture on stage, or even an instant of held breath (not to mention Beckett’s play), may at a particular moment in history determine the force of critique, which sustains itself in estrangement because, so far in history, there is no other life. As he evolved a utopian vision, Marx was very conscious of that. As for Ibsen, it adhered like a guilty thought to the most ethereal theatricality of his most symbolic plays, as it did through the grain of the voice in the organless bodies of Artaud, and - in the consummate delirium of anti-theater - those immemorial incantations, prodigal in the air, also betrayed by the Real. So, down to earth again, where the cruelties are sufficient. In a remarkable early letter, meant to deflect the Young Hegelians from ‘dogmatic abstraction’, Marx had called for “a ruthless critique of everything existing”, 20 but in this regard - if they didn’t quite share a politics - it was Ibsen who virtually outdid him in conducting such a critique, which is why (historicize! to be sure, but speaking of truly troubling) one of his plays was attacked as if it were Artaud’s plague, as a running sore, a wound, an open drain, a cesspool. As for the dramaturgy of his realism, or the later departures from it, the paradox was that it constituted in performance, the truth of illusion there, a devastating critique of theater, along with the apparatus of representation we’ve been belaboring since, where the reality of appearance is confounded by the appearance of reality - though we’re still not entirely sure which of those phrases ought to go first, or (though I can see everything disappearing into the velocity of the virtual) whether there’s any reality at all without the duplicity of appearance. About the future of (an) illusion, it was Freud who acceded to that, after moving, in the anti-theater of psychoanalysis, from the mise en scène of the unconscious through Civilization and its Discontents, virtually admitting there, with a kind of tragic vision, that demystification had failed. Meanwhile, theater persists through anti-theater like the generic ghosting in Hamlet through the factitiousness of the Ghost, or, with Hegel turned on his head, through the ruthless critique like “phantoms formed in the human brain”. 21 It was during the period, approximately, from Freud’s Project for a Scientific Psychology to the inconsolable prospect of unpurgeable discontents that, in a sort of Moebius warp, theater and anti-theater merged in the vicissitudes of critique: from the early naturalism of Strindberg - whose preface to Miss Julie has a surprising Brechtian strain - to Pirandello’s bewildered characters and Gertrude Stein’s bewildering plays that, with elisions or traces of character, were really anti-plays, where “each one is that one and that there are a number of them each one being that one” 22 - which one is only one (and, until recently, a neglected one at that) among the avatars of anti-theater in the modernist avant-garde. And there were various ironies there, as in Futurism’s assault not only on the vacuities of boulevard theater, but also on the naturalism equaling humanism in the fully-developed realism. In refusing not only the mere mimicry, but even the accomplished mimicry that - as theory sees it today - reproduced what it critiqued, Marinetti and his cohorts actually went, with all the ferocity of his manifestoes, through an exponentially manic reality theater (with its own Survivor shows) after the manifest sublimity of a more immediate truth. It’s as if he were anticipating - though, The Nothing That Is: Aesthetics of Anti-Theater 55 for all the ferocity, in a tamer version of less dimension - what Slavoj Žižek wrote about (with another performative put-on of his gleeful dialectic) after 9/ 11: the fundamentalist terror latent but secreted in the twentieth century’s “passion for the Real”, 23 with martyrdom not only impassioned, but real, immediate and, guaranteed houris in heaven, sublime. There were, to be sure, Boccioni and Carrà paintings, but the theatricalized spirit of Futurism was not confined to the flat walls of museums or stage sets, but went instead (as with Tzara and Dada too), to where the real action was, in cafés and cabarets, political parlors, sporting events, the offices of hostile newspapers, or out there on the streets, where in the notorious spectacles, with no playacting, they even beat people up. And while the Surrealists were enamored of dreams and the unconscious, they also broke out of the frame of painting and plinth-based art into collage, photomontage, installations, assemblage, noise and body art, environments and, with multiple sites in the real world, not only performance art but the performance of everyday life. (As for beating people up, the only person I ever heard Beckett talk about with contempt was André Breton, because if you disagreed with him too much, he had you beaten up.) All of these, of course, are the going things today in a performative artworld that - as with the blood spatterings of Istvan Kantor, or his Machine Sex Action Group, or the costumes, prosthetics, and roleplaying in Matthew Barney’s Viral Infection: The Body and Its Discontents - couldn’t care less about theater. As for the traditional avant-garde, and its incursion on everyday life, they may have deranged it in the process, but what then seemed weird or strange is - on stage, off stage, even in fashion, or blockbuster shows in museums - second nature now. Or so it is until you think about it, when it may become threatening again, like the very substance of theater, which, not unlike a viral infection, keeps itself out of sight. As for the instrumental theatricality of whatever forms of theater - the entire repertoire of representation, its originary sources or pretensions to sacred rites - that was later exposed by exploitation demonically in Genet, who, as if nurtured by infections, sustains in the theater’s seeming what is indelibly there in life. (If that seems to be mocking deconstruction, Derrida tried to make the Genetic best of it in his mirroring Glas. This occurred after he already had to acknowledge, in an essay on Artaud, that to abolish representation is a tragic impossibility, that even to think its closure “is to think the tragic: not as the representation of fate, but as the fate of representation. Its gratuitous and baseless necessity”. 24 ) So it is at the end of The Balcony, when Madame Irma says to the audience, while closing up the Brothel, before extinguishing the last light, “You must go home, where everything - you can be quite sure - will be even falser than here. […] You must go home”. 25 It may very well be, in our heart of hearts, that we really don’t want to go home, which is why I’ve often felt that at the sticking point of the most powerful plays - say, Oedipus or King Lear or Endgame (among those I’ve directed over the years) - we tend to be most evasive, as if analysis were closing in, or in the process of absorption also blanking out, or acknowledging a profundity that really we’d rather forget - and in order to get on with it, however estranged the life, that’s just about what we do. So, too, with anti-theater, as a scourge of falsehood and lies; relying as we do on appearances, it would be hard to live with that. At the extremities of exposure, we may actually incline to comedy, so we can laugh it off, though the comedy that really gets us is when we don’t know when to laugh. Is that theater or anti-theater, or the seeming between? If there’s an autonomy there, it’s that autonomy of indeterminacy that I won’t say is antiaesthetic. 56 Herbert Blau It was Freud who said we must learn to live in doubt, but the anti-theatrical prejudice, for one reason or another, has had its doubts about that - most of all, perhaps, at the intolerable limits of theater, where we sense ourselves seeing what we maybe shouldn’t see. Or through all the seeming, the indiscernible, the insidious, what we really can’t. Yet what would theater be if it didn’t move toward the unbearable, unless we’re prepared to abandon the greatest of all plays, especially tragedy, already much critiqued, or stage revisionist versions that arrest, expose, or otherwise set it right. But that, too, is a vanity of anti-theater, for would they really go away - that is, the rage, shame, remorse, immeasurable pain that, prior to any drama, brought them into being, insisting they be represented - if we should rewrite or abolish or parody Lear’s howls or his never never never never nevers, or even, in some mind-blowing enraptured form of belated epic redemption, substitute for them Molly Bloom’s yes I said yes I will Yes? In all this we might remember that it’s not only anti-theater or a strategic theatricality that deters what’s so overpowering in performance that you almost can’t think about it, but simpler things, like bad acting or directing or - again lightyears from what charges the theater, its grievous mortality and invisible wounds - lightweight production concepts, anti-theater by default. Having said that, I may now retract it, or at least qualify the apparent fault. For while I think I know bad acting when I see it, or an overcharged or slovenly or empty production, the issue that determined my own rethinking of what I was doing in the theatre - after more than twenty years of doing it, radically changing what I did - is this: what do we mean by acting where why how for whom? and to what ideological end? 26 Answering any one of those questions may mean that you’re for or against theater, at least that theater; and indeed, there is a sense in which the antitheatrical prejudice, or the deployment of theatricality, becomes an issue of this form of theater against that form of theater. From the outset, however, I have not been thinking so much of theater forms as about the troubling question, undispelled by the correlative notion, in the becoming of theater, that theater is itself, of the materialization of theatre - unless it’s all theater, reality, appearance, whatever - from whatever it is it is not. Where theater happens in its emergence, as itself or not, it’s something else again, or at least would appear to be, which - like the “Nothing that is not there and the nothing that is”, 27 or the activated nothing which opens Waiting for Godot, that “Nothing to be done” 28 - baffles perception itself, and again demystification, or the distantiation of that Brechtian A-effect. This is theater at ground zero, or like the concept of zero itself, about which it has been said, “If you look at zero you see nothing; but look through it and you will see the world”. 29 And beyond mathematics, you may see more than that, or rather, see it and not see it, as in Hamlet’s closet scene, where Gertrude says all that is she sees, which, even if he’s hallucinating, and nothing there to be seen, is existentially something more - what he sees, what she doesn’t - than mere coinage of the brain. And so it is with what’s palpably there that none of us can see, neither the characters, nor the actors, nor those of us in the audience, in looking directly at it, or eyes with gazing fed, and no form of anti-theater can do anything about that, though it might break the gaze or intensify it, cutting to the brain. And that’s no coinage either, or the accursed commodification. Thus, when I’ve written before that the entire institution of theater, with all its apparatus, is a historical cover up for the ontological fact that the one performing there, that one, is dying in front of your eyes, I was not, as with queer performativity, talking of corporeal style, but rather - in the bodies that matter, the matter that makes the body - the theater’s generic substance, inarguably there The Nothing That Is: Aesthetics of Anti-Theater 57 but imperceptible, compelling the specularity that it will never satisfy. Yet, if I can believe what I read in the newspaper, what passeth show may be, and sooner than we think, another passing phase. In his apocalyptic imaginings, which he would insist is the virtual truth (quite literally so), Virilio had already foreseen a superdigitized world whose high frequencies would invalidate the body as an encumbrance, requiring, perhaps, the semblance of a biological body with a body art that mirrors its inexistence, with dying then irrelevant. 30 Now we actually hear from (maybe way-out) geneticists - as from molecular artists like Joe Davis, who has made art of DNA by inserting coded messages into bacterial genes - that defeating death may be in the offing, or that, shy of total victory, a life expectancy of 4,000-5,000 years is now a prospect, and in the sights of the avant-garde. When, moreover, we hear from Whitfield Diffie, chief of security of Sun Microsystems, that “we live, largely speaking, in the last generation of human beings,” and that there are people alive today who will have unlimited life spans, 31 well, that’s really likely to change our thinking about theater, as anything but a residual seeming, since the apparatus of representation on which the institution is predicated, even as anti-theater, becomes itself obsolete, as representation itself, reproducing what otherwise disappears, would itself more or less disappear into the interminable - which was in that other life the fate of psychoanalysis, in the vanity of interpretation of the dramaturgy of the unconscious. Meanwhile, as if to augment these prospects there was a production called The Hanging Man - brought over recently from England to the Brooklyn Academy of Music, in which dying becomes impossible through a series of events that are eccentrically, obsessively, and decidedly theatrical, no question of it. The production was developed by The Improbable Theater, which would seem to be a more sanguine mutation of my own The Impossible Theater. Subtitled A Manifesto, that book was written with an unyielding reality principle, that the theater itself is a form of impossibility, though impossibly so, or despicably, in the American theater, at the time I was writing the book, after the emergence of the Cold War. At one point, merging a phrase from the Cold War with terms from the New Criticism, I made this observation: “The ritual balance of power, the maintenance of ambiguity in perilous tension has also been one of the major preoccupations of art in the twentieth century”. 32 And now in the twenty-first, what we’re calling an age of terror, it would seem for the time being, which is the time of theater, that the perilous tension is worse, even more ambiguous, with innumerable bodies dying, whether they matter or whether they don’t. Whatever the reasons for it, mea culpa as we wish, Orientalism, Occidentalism, the paranoia is growing, what with tunneled networks, stateless, like dreadnaughts spreading dread, with conspiracy theories and secrecies, homeland security dubious and everything out of sight. If you really think it over, how does any theater, by whatever theatrical means, really match up with that, or the pervasiveness of seeming that, in the material world, not virtual at all, appears in actuality - now a perversion of seeming? - to make it nothing but theater. In this regard, mirrored (paranoia in abeyance), there is a level of behavior in theater that, like a subatomic particle, a muon or charmed quark, would - if there were an electronic microscope powerful enough to bring it into focus - disappear in the energy required for you to see it. (Which we can only hope won’t happen with the indeterminate jihad, Al Qaeda, or the suicide bombers.) Materializing as disappearance, theater escapes us in being theater, though we might think of it then as anti-theater, or, corporeal as it is, a correlative of anti-matter. (Which, among scientists, seems to have its own aes- 58 Herbert Blau thetic.) As for actual theater practice, to the degree that it persists through the self-reflexive impasse of an ethos of suspicion, it may acquire a certain energy from what will never be resolved, which is how to determine though all the seeming whether at any historical moment there is an insufficiency or overdose of what we think of as theater. That we can do without it is absurd, since - if we’re to engage the issues at the level at which Plato introduced the prejudice, and Socrates pursued it - we have no choice in the matter; and we’ve had a form of theater that, in the perverse excess of its apparent undoings, or nothings to be done, was predicated on the absurdity, though some of the cruder theatricality, and its repetitive acts, appeared to overstate a case that can’t be overstated. Still, if we think we have it right, there’s nothing more certain in the seeming than the future of illusion, the insubstantial pageant fading, leaving not a wrack behind - except the empty space that, for Peter Brook, is (again) the beginning of theater, if an actor enters the space. My own view has always been that it needs no more than a look. More theater, less theater. Actors have always proceeded on that wobbling pivot, which also defines historical periods, either acting too much or acting too little, though who in the world can say - actor? director? audience? - what is really enough? Every aspect of theater can be thought of the same way, from scenery, lighting, costumes, sound, to the timing of a play, its two-hour traffic or the aestheticized soporific of Robert Wilson’s earlier stagings, attenuated, aphasic, repetitive as a raga, with imperceptible permutations, seen unthinkingly as afterthought. Or, as the theater expands to operatic dimensions, there may very well be, even there in its grandeur, too much to be seen, which was actually an issue in the news recently - the case of Deborah Voigt, resounding voice, oversized body - the right weight of a soprano to be singing Ariadne, no less (auf Naxos) in a cocktail dress. What this suggests, even in the reduced proportions of other forms of theater, is that aside from too much acting there can also be too much actor, literally so, psychically so, which we’ve heard in a tradition from Gordon Craig to Roland Barthes. When I said a moment ago that the empty theater space only requires a look, it was not from a desire to create an impersonal art, like Mallarmé and others since, who, in attempting by diverse means to void representation, have wanted the actor out of it, in a vanity of poesis opposed to mimesis. For even when the acting is reduced to the gestural or the ideographic, even when in fact the actor is not there, but replaced by a puppet or other nonhuman figure, the mimetic is not extinguished, representation prevails, and if the human figure seems erased, it is there as on Freud’s mystic writing pad, if only as a trace. Theater remains to be seen because it is as remainder, and it wouldn’t be thus at all if it didn’t smell of mortality, something to be seen feelingly (as the blind Gloucester does in King Lear) in or out of the theater, that is, the institution. As for Barthes’ essay on the Bunraku, it is also in the tradition of critique that finds nothing more discreditable in the theater, no mode of theatricality, than that associated with mimesis and - with a repertoire of hapless gestures and self-indulgent mannerisms, even when focused in character - the corporeal presence of the actor. For all his exhortation of the grain of the voice (sidelined with the musicians in the Bunraku), Barthes prefers on stage the blackrobed anonymous figures manipulating the puppets to the psychologized human body, which is no more than an execration in its posturing mindlessness. In the crossing of theory by practice, I must admit at times, as I’ve watched or worked with certain actors, sharing this view, though the preference for puppets is sometimes there when certain authoritarian directors push the actors around. The Nothing That Is: Aesthetics of Anti-Theater 59 Where the actors are presumably liberated by sense and emotional memory, they would be doubly anathema to Barthes, not only because of their physical presence, and with it the smell of mortality, but maybe even worse, the inside risk of narcissism. As for the Actors Studio actor, with a technique disguising mimesis, or any appearance of theater, the liability in performance is - beyond that in the play - still another illusion, when the refusal of theatricality becomes, as iconically with Marlon Brando, a conspicuous symptom of it. If, meanwhile, there’s a certain jeopardy in casting, aesthetically or conceptually it may also be judicious, as a means of augmenting or minimizing theater, and thus, whether or not by intention, an incursion of anti-theater. As for what happens in a rehearsal, the degrees of appearance there: Do it again! the director says. What ‘it’, and how much? “It all. [Pause.] It all”, 33 or some intangibly furtive part of it? which, as in the Beckettian scene, can nearly drive you up the wall. What wall? Hollow, like the one Hamm insisted on going to, before being returned to the center - “Bang in the center! ” 34 - in the bottoming out of illusion. And how many times does one hear in rehearsal, No! that’s not it at all, you’re merely repeating yourself. Or, you’re merely acting. Which is, one would think, what you’re supposed to do in the theater. What I’m essentially saying here - in a period of jaundiced value, where the familiar is distrusted, as ‘natural’, taken for granted, and essence disqualified - is that the theater is essentially, in every nuance, the site of antitheater, and would hardly exist without it, no more than those subatomic particles without their anti-particles. But then, at a last psychic extremity of the anti-theatrical prejudice, another nuance of seeming, there’s something we tend to forget: another doubleness in the actor, not that of character, but of wanting to act and not. And I’m not speaking of the desire, out of technique into performance, for a consummate realism, but once again of the Real, the datum of any acting, ineliminable in the theater, the reality of stage fright. Shakespeare had it exactly when he spoke (in the best manual of acting I know) of “the imperfect actor on the stage,/ Who with his fear is put besides his part” (Sonnet 23) - the implication being that there is no other actor. If that appears to confirm again that the theater is inseparable from some instinct of anti-theater, it leaves us with the question out of which - through whatever imperfection, in the actor, in reality, in theater itself - the most powerful theater is made: why theater at all? That’s a question always preëmpting the autonomy of the aesthetic. Notes 1 Martin Heidegger, “Language”, in: Heidegger, Poetry, Language, Thought, trans. and intro. Albert Hofstadter, New York 1971, p. 190. 2 Judith Butler, Bodies That Matter: On the Discursive Limits of ‘Sex’, New York/ London 1993. 3 Judith Butler, Gender Trouble: Feminism and the Subversion of Identity, New York/ London 1990, p. 139. 4 Butler, Bodies, p. 189 5 Paul Virilio, Ground Zero, trans. Chris Turner, London/ New York 2002, p. 15. 6 Michael Fried, “Art and Objecthood”, in: Gregory Battcock (ed.), Minimal Art: A Critical Anthology, New York 1968, p. 141. 7 Fried, “Art and Objecthood”, p. 146. 8 Fried, “Art and Objecthood”, p. 145. 9 Virilio, Ground Zero, p. 16. 10 Quoted by René Girard, Violence and the Sacred, Baltimore 1979, p. 202. 11 Samuel Beckett, “Imagination Dead Imagine”, in: Samuel Beckett: The Complete Short Prose, 1929-89, ed. and intro. S.E. Gontarski, New York 1995, p. 185. 12 “The Brain? It’s a Jungle in There”, in: The New York Times 27 March 2004, Arts & Ideas, national ed.: A17, A19. 13 Henrik Ibsen, “Ghosts”, in: Six Plays by Henrik Ibsen, trans. and intro. Eva Le Gallienne, New York 1957, p. 153. 60 Herbert Blau 14 Aeschylus, “Prometheus Bound”, trans. David Grene, in: David Grene / Richmond Lattimore (eds.), Greek Tragedies, Vol. 1, Chicago 1968, p. 104. 15 Roland Barthes, “The Grain of the Voice”, in: Barthes, Image-Music-Text, trans. Stephen Heath, New York 1977, p. 183. 16 Barthes, “Voice”, p. 185. 17 Karl Marx, The Marx-Engels Reader, ed. Robert C. Tucker, New York 1978, p. 85. 18 Marx, Marx-Engels, pp. 87, 89. 19 Marx, Marx-Engels, pp. 84. 20 Marx, “Letter to Arnold Ruge”, in: Marx, Marx-Engels, p. 13. 21 Marx, “German Ideology”, in: Marx, Marx- Engels, p. 154. 22 Gertrude Stein, “Plays”, in: Look at Me Now and Here I Am: Writings and Lectures 1909-45, ed. Patricia Meyerowitz, intro. Elizabeth Sprigge, London 1967, p. 75. 23 Slavoj Žižek, Welcome to the Desert of the Real! , London/ New York 2002, p. 9. 24 Jacques Derrida, “The Theater of Cruelty and the Closure of Representation”, in: Derrida, Writing and Difference, trans. and intro. Alan Bass, Chicago 1978, p. 250. 25 Jean Genet, The Balcony, trans. Bernard Frechtman, New York 1960, p. 115. 26 See the chapter on “Ghosting”, in the book written - in that uncertain period when I thought it might start again - around the work of my KRAKEN group, Take Up the Bodies: Theater at the Vanishing Point, Urbana 1982, pp. 78-44. 27 See Wallace Stevens, “The Snow Man”, in: Stevens: The Palm at the End of the Mind, ed. Holly Stevens, New York 1972, p. 54. 28 Samuel Beckett, Waiting for Godot, New York 1954, p. 7. 29 Robert Kaplan, The Nothing That Is: A Natural History of Zero, New York 2000, p. 1. 30 Virilio, Ground Zero, p. 42. 31 New York Times 1 Nov. 2004; national ed.: A15. 32 Herbert Blau, The Impossible Theater: A Manifesto, New York 1964, p. 21. 33 Samuel Beckett, Footfalls, in: Beckett, Collected Shorter Plays, New York 1984, p. 240. 34 Samuel Beckett, Endgame, New York 1958, p. 27. Im akustischen Vergrößerungsglas Carola Bauckholts hellhörig im Spannungsfeld zwischen Hör- und Musiktheater Barbara Mailos Tibaldi (München) Terminologische Irritationen Die Fliege ist tot, kein Zweifel. Wir haben bereits einen halben Zoo bereist, allerlei größeres und größtes Getier besucht und sind Zeugen fauchender Auseinandersetzungen geworden, als wir uns nach etwa fünfundvierzig Minuten Spielzeit in den Gefilden der Insekten wiederfinden. In dem vollständig weißen Rund der mit gitterstabartigen Seilen gesicherten Manege ist über den ebenfalls weiß gekleideten und geschminkten Sängern und Instrumentalisten das Licht wieder angegangen. Die drei Sänger haben sich in der Mitte zum Schlafen gelagert, um sie herum summen, brummen und zirpen die Insekten, mal näher, mal aus der Ferne, durch Luftballons, Schwämme, Celli mit Bogen oder Glas und diverse andere “Instrumente”. Offensichtlich in ihrer Ruhe gestört, erheben sich die Sänger. Der Bariton kratzt sich, ergreift eine Sprühflasche und macht sich auf die Suche nach den lästigen Störenfrieden. Dabei versorgt er auch seinen Kollegen am Luftballon mit ausreichend Feuchtigkeit für das gewünschte Quietschen. Seine beiden Kolleginnen haben das bereitliegende Papier entdeckt und stimmen summend und brummend in die Soundkulisse ein. Den Insekten verschiedenster Provenienz haben sich nun auch größere Tiere zugesellt, ein veritables Biotop ist entstanden. Immer wieder aber kristallisieren sich die lästigen Schwärme heraus und summen vorbei, fast meint man gar, ein leises Tapsen kleinster Beine in den Celli zu vernehmen. Ein einzelnes Insekt, das uns bereits den Arm heraufgekrabbelt ist und nun direkt neben unserem Ohr zischt? Nach guten zehn Minuten quälender Insekten erlöst uns schließlich ein Schlag, es rumpelt in den Celli und in diversem Schlagwerk, dann ist alles still. Bewegungslos verharren Sänger und Instrumentalisten auf der Bühne wie die Mitglieder eines Orchesters vor dem erhobenen Stab des Dirigenten. Im Konzert sitzt das Orchester auf der Bühne, sichtbar für jedermann bringt es die Musik erst hervor. Auch hier sehen wir den Musikern zu und meist sind ihre Handlungen unmittelbar und ausschließlich auf die Hervorbringung des aktuell geforderten Geräuschs oder Klangs gerichtet. Zugegeben, das Cello wird mit äußerst ungewöhnlichen Spielpraktiken bearbeitet, aber sind die Gesten der Spieler nicht letzten Endes genauso funktional einzuschätzen wie die des dritten Cellos von links im Symphonieorchester? Handelt es sich also bei hellhörig letztlich um ein verkapptes Konzert, eine Art experimentelle Weiterentwicklung von Peter und der Wolf, ergänzt um eine paar konkretisierende Ansätze von Rollenspiel? Oder würde unsere Geschichte vom Mord an der Fliege ohne diese optische Unterstützung vielleicht ganz anders aussehen und bei jedem Zuschauer unterschiedlich? Aber geht es tatsächlich (nur) ums Geschichtenerzählen? Die Fragen ließen sich beliebig weiterführen, aber vielleicht liegen Antworten näher als vermutet. Nicht zuletzt nimmt das Programmheft der Uraufführung selbst eine Verortung vor. Das Team um die Komponistin schreibt: Forum Modernes Theater, Bd. 24/ 1 (2009), 61-75. Gunter Narr Verlag Tübingen 62 Barbara Mailos Tibaldi Die Oper hellhörig ist ein ‘Theater der Geräusche’: Die akustischen Ereignisse, die den traditionell guten Ton weit überschreiten, geben diesem Werk nicht nur das Material, sondern übernehmen Funktionen und Bedeutungen, die im herkömmlichen Theater den ‘dramatis personae’ zukamen. Carola Bauckholt zielt mit dieser Produktion wie mit allen ihren Werken auf eine Sensibilisierung, eine Schärfung der Wahrnehmung, auf eine Haltung gesteigerter Aufmerksamkeit, die vom Hören ausgeht. 1 Hier werden ganz offensichtlich mehrere Anknüpfungspunkte gesucht, die der Charakterisierung des neuen Stücks dienen sollen. Aber was heißt es eigentlich, wenn akustische Ereignisse als “dramatis personae” fungieren sollen? Man könnte es so verstehen, dass das “Theater der Geräusche” schlichtes Erzählen mit akustischen Figuren durch Nachahmung ist, wie es uns etwa die Episode Leben und Tod einer Fliege vor die Ohren führt. Denkbar wäre aber auch, es als Analogiesetzung zu betrachten, welche auf die offensichtlich anvisierte Brechung des dominant Visuellen als der zentralen Wahrnehmungskategorie abzielt - dann wäre eine viel weitergehende Komplexion denkbar und zu erwarten. Die Schwierigkeiten einer Verortung offenbaren in ihrem Rückgriff auf bestehende Kategorien auch die Einschätzungen der Uraufführungskritiken, stellvertretend für andere hier Reinhard Schulz: Und so wird die Komposition, die nur mit der Partitur (kein Text, keine musikfremde szenische Anweisung, keine Bildvorstellungen) auskommt, gleich zwei Mal zum Theater: zum einen in der Form des instrumentalen Theaters (Bauckholt hat bei Mauricio Kagel studiert), also durch die notwendigen Aktionen zur Geräuschproduktion, zum anderen durch eine sich bei jedem individuell einstellende und gewiss unterschiedlich ausfallende semantische Deutung der Geräusche. 2 Damit ist uns neben dem - zunächst intuitiv bestimmten - “Theater der Geräusche” mit dem Vergleichsangebot des instrumentalen Theaters eine - und diese Verbindung stellt Schulz her - durch Kagel selbst bestimmte Kategorie erwachsen. Es bleibt zu klären, ob das Zusammenspiel von musikalischen und theatralen Aktionen auf der Bühne analog dem instrumentalen Theater ist und worin genau die theatrale Qualität des von Carola Bauckholt selbst als Musiktheater bezeichneten Stücks liegt. Ganz offensichtlich sollen mit den drei Begriffen Spezifika des Stückes benannt werden, aber wie präzise tun sie das tatsächlich? 3 Für “Theater der Geräusche” bieten sich mehrere Verständnismöglichkeiten an, während Kagel die Formulierung “instrumentales Theater” einführt, um sich vom Begriff des “Musiktheaters” abzusetzen, der ohnehin wenig präzise ist: Wegen der erforderlichen Unterscheidung zwischen gesungener Handlung der Oper einerseits und der schauspielartigen Mitwirkung der Instrumentalisten eines Kammermusikstücks andererseits ist es heute angemessener, statt vom musikalischen vielleicht vom instrumentalen Theater zu sprechen. 4 Die Beschreibung der Differenzen zwischen den Konzepten kann einer genaueren Charakterisierung dienlich sein. Barbara Zuber bereitet hierfür das Feld, indem sie an dem auch in Kagels Aufsatz entscheidenden Handlungs- und Rollenbegriff ansetzt und daraus Kriterien entwickelt, mit denen das problematisch gewordene Verhältnis zwischen Rolle, also theatralem Handeln, und instrumentell-musikalischem Handeln des Akteurs auf der Bühne präzise beschrieben werden kann. 5 Auch für hellhörig stellt sich die Frage nach einer Einordnung des Akteurs zwischen den Polen Konzert und Theater, denn wenn man die Bestimmung als Musiktheater mit den Musikern auf der Bühne ernst nimmt, muss das Musikmachen als Darbietung in Im akustischen Vergrößerungsglas 63 Bauckholts Konzept eine theatrale Funktion erhalten. Mit Blick auf eine mögliche Bestimmung als instrumentales Theater stellt sich auch die Frage nach dem Verhältnis von schriftlich fixiertem, musikalisch-sprachlichem Text (=Partitur) und Aufführung, konkret: die Frage, ob und inwieweit Elemente der Theatralisierung in die Partitur eindringen, in ihr also beispielsweise bestimmte Aktionen der Musiker festgelegt sind und “wie dort musiktheatrale Interaktion, Handeln (bzw. musikalisches Handeln) und Rollenspiel realisiert werden, und vor allem: wie sie funktionieren”. 6 Und je nachdem, zu welchem Schluss man in der Betrachtung der Partitur für eine mögliche Rollenzuweisung an die Akteure käme, stellt sich in diesem Zusammenspiel in neuer Komplexität die Frage nach den “dramatis personae” in einem “Theater der Geräusche”. Wie etwa wäre in einer solchen Konstruktion die Rolle der Sänger zu bestimmen, die der akustisch behaupteten, um sie herum surrenden Fliege nachstellen? Der Blick auf die Akteure im Kontext des instrumentalen Theaters kann uns also helfen, einen Zugriff genauer zu bestimmen. Schulz weist aber zu Recht auf einen zweiten hin, durch den das Stück “zum Theater” werde: die bei jedem Rezipienten wohl etwas anders ausfallende Semantisierung der Geräusche. Um hier, auch im Zusammenhang mit der Konkretisierung des “Theaters der Geräusche”, eine präzisere und letztendlich komplexere Bestimmung leisten zu können, tut an dieser Stelle ein Blick auf die Bedeutung der Kategorie Wahrnehmung für Bauckholts Arbeitsweise not, die auch in der einleitenden Stellungsnahme des Programmhefts herausgestellt wird. Der Faktor Wahrnehmung Die Aufgabe von Musik ist es, dieses Leben zu beschreiben, zu reflektieren und so die Wahrnehmung zu schärfen. Musik schafft es, durch ihre unmittelbare, irrationale Sinnlichkeit, einen Kontakt zum individuellen Lebensnerv zu knüpfen. Dies geht nur über den Weg der Aufmerksamkeit und Wahrnehmung, der Offenheit zu Klängen, Empfindungen und Gedanken. 7 sagt Bauckholt und nennt damit die Zielsetzung ihrer Kompositionstätigkeit, die für szenische wie für rein instrumentale Stücke gilt. Ihre Musik ist immer rückgebunden an Objekte, Situationen, Geräusche des realen, oft präziser des alltäglichen Lebens, die in unterschiedlicher Weise in ihren Eigenschaften und ihrem assoziativen Potential musikalisch fruchtbar gemacht werden, ein Verfahren, das Reinhard Schulz ausführlich beschrieben hat - in einem Artikel, der bezeichnender Weise den Titel Hellhörig trägt. 8 Diese Rückbindung an Begrifflichkeiten und die Kontextualisierung mit dem Alltag spiegelt sich auch in Bauckholts Titeln wider; Wortanfall (1986), In gewohnter Umgebung I-III (1991,93, 94), Galopp (1996) oder Hubschrauber (2001/ 02) sind hier nur einige Beispiele. Entscheidend ist für Bauckholt insbesondere die Kategorie der Wahrnehmung beziehungsweise der Aufmerksamkeit, also der bewussten Wahrnehmung. Das bedeutet einerseits, dass die Aufmerksamkeit des Adressaten nicht allein auf vermeintlich nichtige, akustische Alltäglichkeiten gelenkt werden soll; vielmehr geht es darum, einen neuen Blick oder besser eine neue und bewusste Wahrnehmung des uns umgebenden akustischen Alltags anzuregen. Andererseits aber beeinflusst dieser Ansatz auch die Produktion, indem die Aufmerksamkeit eine bestimmte Materialauswahl und kompositorische Gestaltung des vorgefundenen Materials bedingt. Der auditive Blick der Komponistin bleibt nicht an der Oberfläche eines betrachteten Phänomens, sondern er vertieft sich in die Verknüpfungs- und Übersetzungsmöglichkeiten des vernommenen Materials in musikalische Zusammenhänge, das Interesse 64 Barbara Mailos Tibaldi gilt also in beiden Fällen den Scharnieren. Damit setzt der Prozess der musikalischen Gestaltung direkt an den Verzweigungen zwischen Wahrnehmung und Deutung an und erlaubt mehrschichtige Netze möglicher Beziehungen. Auch in hellhörig basiert die musikalische Gestaltung auf dieser Form der Assoziationsbildung, womit sich die Frage stellt, ob damit das als Musiktheater bezeichnete Stück genauso funktioniert wie ein Instrumentalstück Bauckholts. Da sich die kompositorisch wirksam gewordenen Assoziationen von Alltagsmaterial im weitesten Sinne ableiten, stünde zu vermuten, dass die in der Rezeption wirksam werdenden Assoziationen wiederum in den Alltag zurückführen und damit rekontextualisiert werden. Inwieweit und wie präzise dies erfolgt, hängt fraglos mit der Konkretbeziehungsweise Abstraktheit sowie der Vielschichtigkeit und Komplexität des jeweiligen Assoziationsangebots zusammen. Assoziationen können verkettet werden in dem Sinn, dass sie einer Perlenkette gleich in der Zeit als abgeschlossene Einheiten aufgereiht werden, oder sie können zu erzählenden Strukturen verknüpft werden, die kausallogisch funktionieren beziehungsweise eine solche Verknüpfung intentional zulassen. Bereits die Möglichkeit, dem Summen der Instrumente eine ganze Handlungseinheit um ein Fliegenschicksal herum zuzuschreiben, belegt, dass Bauckholts Verfahren mindestens über die erste Assoziationsstufe der für sich stehenden Splitter hinausgeht. Die begriffslose Kunst Musik wird also in diesem Zugriff durch eine bestimmte Auswahl und Verarbeitung des Materials zu einer zumindest teilweise begrifflich gebundenen Kunst. Doch die Vernetzung des Assoziationsangebots durch die mehrschichtige Materialverarbeitung führt zu einem höheren Komplexionsgrad und verhindert damit ein eindeutig abbildendes Verhältnis. Neben den Fliegenschwärmen, wenn wir für den Moment bei dieser Identifikation bleiben wollen, tauchen Motive aus anderen Teilen des Stücks auf, und die Geräusche der Schwärme selbst werden streckenweise so verunklart, dass die Identifikation bereits wieder fragwürdig erscheint. Dazu tritt dann nicht zuletzt die Sichtbarkeit der Geräuschproduktion, welche andere Assoziationsbrücken anbietet und so die Bedeutungs- und Verknüpfungspotentiale nochmals erweitert. Auf musikalischer Ebene liegt die Begründung und nicht zuletzt auch eine wesentliche Linie für die Bestimmung des Begriffs “Theater der Geräusche” in der spezifischen Art und Weise, wie Bauckholt mit dem Geräuschmaterial kompositorisch umgeht, um die Schärfung der Wahrnehmung zu erreichen und die Geräusche in besonderer Weise “zum Theater zu machen” (Schulz). Dieses Theater aber hat die Komponistin selbst als Musiktheater, also als Musik und Bühne, bestimmt. Im Gegensatz zu Stücken wie Es wird sich zeigen (1998) finden sich allerdings im Fall von hellhörig keine detaillierten szenischen Anweisungen in der Partitur, mit denen die Aktionen der Sänger und Instrumentalisten auf der Bühne festgeschrieben wären. Eine solche Ausdehnung des kompositorischen Zugriffs auf alle Parameter der musikalischen und szenischen Gestaltung aber ist wesentlich für das instrumentale Theater Kagels. Eben deshalb ist eine Differenzierung zwischen instrumentalem Theater und dem “Theater der Geräusche” unumgänglich. Eine Determination der Szene im Rahmen eines Gesamtkonzepts wiederum müsste in hellhörig auf einer anderen Ebene liegen als bei Kagel und wäre nur mittelbar, nicht direkt durch diakritische Angaben, aus der Partitur zu erschließen. Formen der Integration Die Einbeziehung von nicht eigentlich klanglich-musikalischen Komponenten in Kompositionen stellt schon lange keine Au- Im akustischen Vergrößerungsglas 65 ßergewöhnlichkeit mehr dar. Bereits in den zwanziger und dreißiger Jahren betrieben Komponisten wie Edgar Varèse die Erweiterung des Klangraums, und in Hörcollagen zu Filmen wie Berlin: Die Sinfonie der Großstadt (1927) wurde die Einbeziehung außermusikalischen Materials, konkret: von Alltagsgeräuschen, erprobt, Entwicklungen, welche nach 1945 auch in Europa wieder aufgegriffen und fortgeführt wurden. Mit der elektronischen Musik potenzierten sich die Verfahren, und ab den sechziger Jahren kamen die Möglichkeiten der Live-Elektronik, also computergestützter Echtzeitverfahren der Klangmanipulation, dazu. Letztgenanntes Verfahren wird von Bauckholt in hellhörig kaum genutzt, die Manipulation ist minimal. Die natürlichen Geräusche werden lediglich verstärkt, im Sinne von gestärkt - gewissermaßen als eine, die unmittelbarste, Version eines akustischen Vergrößerungsglases, mithilfe dessen das Akustische im Allgemeinen und das Geräusch im Speziellen ins Zentrum gerückt werden. Die Partitur weist elf vorproduzierte und genau verortete kurze Toneinspielungen aus, die das einzige Material darstellen, welches unbehandelt aus dem Alltag übernommen wird, damit eindeutig identifiziert werden kann und die konkretesten Anknüpfungspunkte für assoziative Kontextualisierung darstellt. Was Bauckholt aber speziell an den Geräuschen interessiert, geht über die bereits angesprochene Frage der Wahrnehmungsprägung wie auch über die schlichte Integration von Einspielungen als Ready Mades in einen musikalischen Zusammenhang hinaus. Ihr geht es um die Expressivität des Geräuschmaterials und den Abgleich mit Klängen, das heißt, um das akustische Experiment der Ineinander-Überführung von Geräusch und Klang auf musikalischer Grundlage und um einen spielerischen, das Überraschungsmoment suchenden Umgang mit dem Geräusch- und Klangpotential eines Gegenstandes, beispielsweise einen bestimmten, dem Menschen zugeschriebenen Ausdruck auf anderem, mechanischem Wege zu erreichen. Die Komponistin geht dabei in Material und elektronisch-technischen Anforderungen nicht über Vorhandenes hinaus, hat aber ein anders gelagertes, individuelles Gestaltungsinteresse, aus dem sich ein sehr spezifischer Umgang mit dem Material ergibt, welchen sie selbst im Gespräch als “Musikalisierung der Geräusche” bezeichnet. Ihre Form der Integration von Geräuschmaterial kann man sich mithilfe eines Ansatzes verdeutlichen, den die Spektralisten insbesondere am Pariser IRCAM entwickelt haben. Das kompositorische Material kann sich bruchlos auf einer Achse zwischen dem reinen Ton (Sinuston) und dem reinen Geräusch (weißes Rauschen) verschieben, wobei horizontal wie vertikal die ästhetische Differenz des Materials als aufgehoben gilt. 9 Streng genommen gibt es in einem solchen System also keinen ästhetischen Kontrast mehr zwischen einem Ton beziehungsweise Klang und seinen Abwandlungen bis hin zum Geräusch. Bauckholt nun geht es zwar nicht um das experimentelle Ausloten dieses Kontinuums, doch erlaubt die Ton-Geräusch-Achse als gedankliche Hilfskonstruktion für das Konzept einer “Musikalisierung der Geräusche” die Verortung eines Ursprungsgeräuschs im Sinne einer absoluten Tonhöhe. Davon ausgehend können Geräusche in Töne eingebettet und sogar überführt werden, weil sie funktional und qualitativ auf derselben Ebene stehen. Die Bestimmung der Objektgeräusche im Sinne einer Verortung im abendländischen musikalischen System ist notwendige Grundlage dieser Herangehensweise, die mit Geräuschen nicht nur im Sinne einer Erweiterung des Materials komponieren möchte: Mir geht es ja darum, die musikalischen Energien, die in Geräuschen stecken, herauszulocken. […] Der Lampenschirm einer ganz normalen Stehlampe besitzt einen klaren Grundton mit ganz eigener Klangfarbe, 66 Barbara Mailos Tibaldi wenn man ihn auf kolophoniertes Holz zieht. 10 Folglich ist das Tonmaterial zumindest teilweise durch diese Geräusch-Ablauschungs- Strategie präfiguriert, und für die Geräusche steht zu erwarten, dass sie in der Notation wie Klang behandelt werden, das heißt, Parameter wie Dynamik oder Dauer können beispielsweise auch auf Eigengeräusche von Gegenständen angewandt werden. Konkret bedeutet das, eben nicht die in unserer Erfahrung erwartbaren Geräusche eines Gegenstandes zu integrieren, sondern ihm durch ungewöhnliche Behandlung überraschende akustische Qualitäten zu entlocken. Besonders offensichtlich ist dieses Verfahren, wenn eine Zinkwanne wiederholt umgedreht über den Boden gezogen wird. Im Notensystem ist die genaue Tonhöhe der Wanne angegeben, welche durch Celli und Sänger zum komplexen Klang ergänzt wird. Ähnliche Verfahrensweisen gibt es auch in der Geräuschsphäre, die Ausrichtung erfolgt also nicht ausschließlich als Umwandlung in Klangkomponenten. Durch die qualitative Gleichgewichtung innerhalb dieses Konzepts scheint - in traditionellen Kategorien gedacht - eine Quasi-Schönung des Geräuschs erreicht und die Opposition von Geräusch und Klang als potentieller Gegensatz des Materials außer Kraft gesetzt. Die Achse Geräusch - Klang als formbildendes Prinzip Die Musikalisierung des Geräuschs auf Grundlage der sowohl horizontal wie vertikal wirksam werdenden Achse einer kontinuierlichen Verschiebung ist aber nicht nur in der Integration der Geräusche in einen musikalischen Kontext wirksam. Vielmehr erweist sich diese Idee als das zentrale, formgebende Prinzip, welches die anderen Aspekte der musikalischen Gestaltung prägt. Die Konsequenz der gedanklichen Anwendung des Konzepts ist bis in die Anordnung der Instrumente in der Partitur hinein sichtbar, welche die tradierte Reihenfolge der Instrumentengruppen geradezu auf den Kopf stellt, hier von unten nach oben: Percussion 1 bis 4, Klavier, Celli und zuoberst Sänger beziehungsweise Orgelpfeifen. 11 Der Schlüssel für diese Gliederung liegt offenbar in der Verortung auf einer Geräusch-Klang-Achse: Am einen Ende steht das Schlagzeug, also diejenige Instrumentenfamilie, welche gemäß traditioneller Auffassung dem Geräusch am nächsten ist, am anderen Ende die menschliche Stimme, welche in der Tradition des musikalischen Theaters in erster Linie mit Klang in Verbindung gebracht wird. Diese Einteilung stellt das gesamte Ensemble gewissermaßen auf eine als geräuschhaft zu charakterisierende Basis, aus der heraus dann der Klang entwickelt wird, beruhend auf den tradierten, also ins neunzehnte Jahrhundert zurückreichenden Charakterisierungen der Instrumente. Das Stück exemplifiziert die Überkommenheit eines Modells, in welchem Sänger für die Produktion von Schönklang zuständig sind und Schlagzeuger sich auf rhythmische Markierung beschränken. Vermischung und letztendlich Überführung erscheinen auch als das zentrale Merkmal in der formalen Gestaltung, denn obwohl einzelne Abschnitte in ihrer klanglichen und rhythmischen Ausarbeitung durchaus voneinander abzugrenzen sind, überlagern sich in der Phase des Übergangs ihre Schichten. Dadurch werden Übergänge verschliffen, es herrschen Kontinua vor, und klare musikalische oder szenische Abschnittsmarkierungen wie Generalpausen oder Blacks bleiben Ausnahmen. 12 Diese Aufweichung von Abschnittsbildungen durch Überlagerungsstrukturen kommt insbesondere auf der Ebene der in der Partitur angegebenen Unterteilung in Großabschnitte zum Tragen. Markiert sind fünf großformale Teile und zwar in der Abfolge A1 - B1 - A2 - B2 - B3. 13 Die Im akustischen Vergrößerungsglas 67 Abb. 1: Partitur, S. 22, Takte 271-274, Beginn des Formteils A2 Abgrenzung der Teile gegeneinander erscheint nicht immer eindeutig, geschweige denn zwingend, wie etwa ein Blick auf den Übergang von B1 auf A2 erweist. Laut Partitur setzt der Teil A2 mit Takt 271 ein und zwar zunächst identisch mit Takt 1 des Stücks, also dem Beginn von A1 - fraglos ein klarer Schnitt und etwas, das man gemäß der verwendeten Nomenklatur erwarten könnte (Abb. 1). Diese Einschätzung scheint durch die Beobachtung bestätigt zu werden, dass die Orgelpfeifen, welche ganz am Anfang stehen, im Verlauf des Stücks nur noch einmal verwendet werden, nämlich an genau dem beschriebenen Übergang. Die Aufweichung dieses Schemas ist jedoch auf den zweiten Blick sofort evident: Die Orgelpfeifen setzen bereits in Takt 255, also noch in B1, ein. Zur weiteren Verunklarung tragen die Takte 256 bis 259 bei: Im ersten bricht ein groß entwickeltes, geräuschhaftes Crescendo unvermittelt ab, eine Generalpause folgt (Abb. 2). In dieser Generalpause sind nur die Orgelpfeifen zu hören, im nächsten Takt schließen sich Percussion 2 und 3 mit demselben Material an, das sie im ersten Takt des Stücks zu spielen hatten und das in Kürze zu Beginn von A2 wiederkommen wird. Der Eindruck eines Bruchs und somit der potentiellen Abgrenzung zweier Teile ist an dieser Stelle um ein Vielfaches größer als zu Beginn von A2. Dieses Ineinanderüberführen hat mehr als nur eine Verzahnung der Teile zur Folge; es werden Grauzonen an den Übergängen geschaffen, die mal größer und mal kleiner sein können und sich ohne Blick in die Partitur kaum auflösen lassen. Da zudem Material, das in einem Teil eingeführt wurde, in anderen in gleicher Weise auftaucht, scheint die Abgeschlossenheit und Schlüssigkeit der Unterteilungen sowie ihre Benennung zusätzlich aufgeweicht. Nach traditionellem Verständnis der Nomenklatur für Formteile würde man davon ausgehen, dass sich die jeweils mit identischen Buchstaben bezeichneten Teile in einem Ähnlichkeitsverhältnis - wären sie identisch, bräuchte es keine Nummerierung - aufeinander beziehen, und genau diese Strukturierung wird formal-kompositorisch unterminiert. Sinnstiftend wirkt die Abgrenzung der Teile allerdings auf einer anderen, abstrakteren Ebene, die wiederum 68 Barbara Mailos Tibaldi Abb. 2: Partitur, S. 21, Takte 252-260, Wiederkehr der Orgelpfeifen mit der Idee der Überführung von Geräusch in Klang zu tun hat, wenn man nämlich die diakritischen Angaben in der Partitur in Betracht zieht, die meist aufs engste mit der Charakterisierung des zu erzeugenden akustischen Ereignisses verbunden sind. Der Schwerpunkt in den A-Teilen liegt ganz offensichtlich auf dinghaften und mechanischen, also geräuschhaften Objekten, aus denen die Musik abgeleitet wird. Typisch dafür sind Anmerkungen wie in Takt 18 für das Klavier: “tape Tonhöhe des Bunsenbrenners übernehmen” oder in den Takten 301ff für die Sänger: “tief, mezza voce, wie Waschmaschine”. Während man hier also von einer Beschäftigung mit der Geräusch- und Klangwelt des Unbelebten sprechen könnte, geht es in den B-Teilen um die belebte Welt von Tieren über Insekten bis zum Menschen. Diese Bezüge fallen teilweise äußerst konkret aus wie etwa in Teil B1, in dem das Spektrum unter anderem “Seelöwenschreie” (Mezzosopran, T. 152), “Wal” (Mezzosopran, T. 168), “Schweinegrunzen” (Percussion 1, T. 192) und “Ziege” (Sopran, T. 245) umfasst und durch die hier vermehrt eingesetzten CD-Einspielungen noch unterstützt wird. B2 hebt sich davon ab, indem der Fokus gewissermaßen vom Boden in den Luftraum verlegt wird, eingeführt durch die Atemgeräusche, die den ersten Abschnitt des Teils prägen. Im Folgenden machen wiederum die entsprechenden Angaben wie “Fliegenschwarm fliegt auf” (T. 499) unmissverständlich klar, welche assoziative Qualität bei der Klangproduktion anvisiert werden soll. Der dritte B-Teil stellt den Mensch ins Zentrum; er ist von allen am stärksten klanglich geprägt, was vor allem in der Behandlung der Im akustischen Vergrößerungsglas 69 Sänger evident wird. Im Unterschied zu allem, was bisher zu hören war, kommt hier ein kleiner Anteil an Sprache vor, zunächst nur als Ausrufe von Sängern und Percussion (Hej! , Tt. 834ff), also Sprache in rudimentärster Form, die zunächst vorwiegend rhythmische Bedeutung hat. Zusammenhängende Sprache kommt auch innerhalb dieses Teils nur ein einziges Mal vor und zwar als Einspielung “Schimpfen auf Spanisch” (CD10, Tt. 857ff). Ein großer Teil des Materials kehrt als Reminiszenz und teilweise als eine Art Grundform über die Grenzen der Teile hinweg wieder und trägt dadurch ebenfalls dazu bei, Abgrenzungen zu verwischen. Das betrifft insbesondere einen Materialkomplex, der sich direkt aus der als prägend ausgemachten Überführung von Geräusch in Klang ableitet: das Glissando im weitesten Sinn. Glissandostrukturen werden gleich zu Beginn eingeführt als sich verschiebendes Klangkontinuum in den drei Celli, also gleichsam als eine kammermusikalische Klangfläche. Diese sich im mikrotonalen Bereich verschiebenden Klänge tauchen vor allem in Sängern und Celli über das gesamte Stück hinweg immer wieder auf und finden sich erweitert als Idee der gleitenden, bruchlosen Veränderung in vielen Formen der Materialausarbeitung wieder: als Rauschglissandi, in den vielen Crescendo- und Decrescendo-Entwicklungen wie in den gleitenden Änderungen der Tempi und in der “Übersetzung” von Geräuschen auf die traditionellen Instrumente, strukturiert meist durch eine geräuschhaft-rhythmisch organisierte Basis - eine Verbindung, die ebenfalls bereits in den Anfangstakten exponiert worden ist. Verzahnung, Verwischung von Übergängen sowie Überlagerungs- und Überführungsstrukturen erweisen sich also als zentral für die Formgebung des Stücks wie für die Ausgestaltung des Materials. Die Segmentierung in der Musik wird somit nur noch rudimentär über formale Verläufe, als teleologisch organisierte Anfang-Mitte-Ende-Relationen, festgeschrieben und könnte etwa über szenische Momente wie Auf- und Abtritte neu segmentiert werden. Eine Regie nach traditionellem Verständnis scheint hier viel Spielraum zu haben, denn Angaben zu szenischen Aktionen fehlen in der Partitur. Allerdings gibt es innerhalb dieses sehr offen scheinenden musikalischen Systems mit seiner abstrakten Geräusch-Klang-Thematik auch sehr konkrete akustische Bezugnahmen. Geräusch und außermusikalische Assoziationsbildung Mit der Integration nicht nur in musikalische Zusammenhänge, sondern in die Musik selbst stehen die Geräusche auf formaler Ebene fraglos im Zentrum des Stücks. Darüber hinaus jedoch postuliert Bauckholt ein “Theater der Geräusche”, in dem akustische Ereignisse die Funktion von “dramatis personae”, also doch wohl von Figuren, übernähmen. Wir hätten es mit einer Form von imaginärem Theater zu tun, da dieser Art von Figur eine körperliche oder überhaupt materielle Präsenz fehlte. Die Konturierung wäre rein akustisch zu leisten und darüber hinaus in einem musikalisch-formalen Kontext, der in erster Linie durch Überlagerungsstrukturen und Überführungen geprägt ist. Bereits diese Überlegung macht die Problematik der plakativ-griffigen Formulierung deutlich, wobei prinzipiell ein solches Konzept von innermusikalischer Figurenentwicklung durchaus möglich ist. Caroline Mattenklott gebraucht den Begriff der Figur im Zusammenhang eines imaginären (musikalischen) Theaters für ein anderes Musiktheater ohne Figuren auf der Bühne und schreibt in ihrer Verortung von Hans Werner Henzes Le miracle de la rose: Zu den ‘theatralischen’ Semiose-Verfahren - den Zuordnungen von Motiven und Instrumenten zu Protagonisten der Handlung - 70 Barbara Mailos Tibaldi treten in Le miracle de la rose Techniken der Bedeutungserzeugung, die sich im weitesten Sinne als ‘Figuren’ bezeichnen lassen: kunstvolle Dispositionen musikalischer Formelemente verschiedenen Ausmaßes, in denen sich Text- oder Sinnstrukturen widerspiegeln, aber auch musikalische Metaphern, Vexierbilder, Akrostichen und Rebusse - in Tönen verwirklichte ‘disegni interni’ also, ‘Concetti’, die es mit Hilfe des beigelegten Programmtextes zu entschlüsseln gilt. 14 Im Unterschied zu hellhörig haben wir es bei Henzes Komposition mit einem Werk zu tun, das auf einer sprachlichen Vorlage, Genets Roman, basiert und davon ausgehend eine musikalisch-metaphorische Sprache entwickelt. Hier werden Charakterisierungsverfahren, über die sich Figuren als solche fassen und gegeneinander abgrenzen lassen - etwa Einmaligkeit und Kohärenz in der Zusammensetzung der charakterisierenden Merkmale -, in ihrer Funktion und Struktur in die Musik übersetzt. Und nicht zuletzt liegt dem Rezipienten der sprachliche Text vor, den sich Henze für die Vertonung aus den entsprechenden Passagen des Romans abgeleitet hat. Damit bewegen wir uns in einer dem traditionellen Begriff des Erzählens verbundenen Sphäre, die für die Erfassung der Komplexität von hellhörig wenig gewinnbringend erscheint. Klar wird durch den Vergleich, dass es sehr wohl möglich ist, mit musikalischen Mitteln Äquivalente zu Figuren zu entwerfen, die dann allerdings einer sprachlichen Rückversicherung bedürfen, um begrifflich fassbar zu werden. Die Bezeichnung der akustischen Ereignisse in hellhörig als “dramatis personae” erweist sich eher als irreführend, wenn wir den Versuch unternehmen, die komplexe Kategorie der Figur auf den Einsatz der Geräusche in diesem Stück anzuwenden. Nehmen wir an, dass diese Verortung in erster Linie dazu dient, das Akustische im Sinne des Gesamtentwurfs in den Fokus zu rücken - klar gemacht durch die pointierende Ersetzung der traditionell zentralen Informationskategorie eines Bühnenwerks, der Figur, durch “akustische Figuren”. 15 Die Ablehnung der Kategorie Figur mag zunächst paradox erscheinen, wo doch Geräusche im Gegensatz zu absolut musikalischer Strukturbildung den Vorteil größerer begrifflicher Konkretheit haben und somit zur Bildung von sprachloser Erzählung prädestiniert scheinen, was in Abschnitten wie dem eingangs dargestellten Tod der Fliege sofort evident ist. Das konzeptuelle Interesse aber liegt in hellhörig nicht bei der Entwicklung einer sich in einem imaginären musikalischen Theater abbildenden akustischen Handlung; das Stück bezieht hingegen Momente daraus punktuell ein in die spielerische Erforschung des Verhältnisses von Geräusch und Klang. Wenn innerhalb dieses Rahmens semantische Strukturen auftauchen, zielen sie auf den Zuschauer und -hörer, dem damit Anknüpfungspunkte gegeben werden, von denen aus ihm idealer Weise eine neue Erfahrung des akustischen Alltags eröffnet werden soll. Diejenigen Elemente, die spontan der Bildung imaginärer Figuren verdächtig erscheinen, wie etwa die Tierschreie, weisen umso direkter über den musikimmanenten Kontext hinaus und erlauben dem Rezipienten dadurch, das akustische Ereignis einem durch Erfahrungswerte gedeckten Kontext zuzuordnen - was wiederum Anknüpfungspunkt für komplexere, assoziative Verbindungen sein kann. Lediglich partiell werden konkrete Geräusche zur Etablierung von Erzählstrukturen genutzt, innerhalb derer die akustischen Ereignisse in der Phantasie der Zuhörer “Figuren” im weitesten Sinne entstehen lassen. Für die Frage nach der Semantisierung sind damit Erklärungskonzepte nur von bedingtem Nutzen, die auf das Potential von Musik abheben, über immanente Strukturen metaphorisch und im Rahmen eines absolutmusikalischen Gesamtkonzeptes sinnstiftend auf Außermusikalisches zu verweisen. 16 Im akustischen Vergrößerungsglas 71 Semantisierung findet in hellhörig auf verschiedene Weise statt und führt in der Verknüpfung von akustischen und visuellen Zeichen zur partiellen Etablierung von Erzählstrukturen - der Schlag wird umso wahrscheinlicher als Tod der Fliege gelesen, je deutlicher die Sänger vorher Fliegenjagd spielen. Für den einfachsten Fall spielen die Einspielungen vom Band eine besondere Rolle, da sie reale und unbehandelte Klänge dokumentieren. Zu hören sind Aufnahmen realer Tierlaute, ein “echter” Scheibenwischer samt zugehörigem Regen und eindeutig als solches identifizierbares Schimpfen auf Spanisch. Damit sind alle anderen Geräusche, etwa auch die Tierlaute, in die Künstlichkeit verrückt, und zugleich wird gewissermaßen ein Fenster auf die Realität aufgemacht, das heißt, die Stoßrichtung von Bauckholts Konzept wird hierin nochmals deutlich. Die Verbindung nach draußen darf in zweifacher Weise im Bewusstsein der Zuhörer nicht abreißen: Die Nachahmungen von real existierenden Geräuschen oder Klängen werden zwar als künstlich gekennzeichnet, aber zugleich auch in ihrem Verweis und damit ihrer semantischen Aufladung gefestigt und festgelegt. Wenn so nun ein konkreter Anknüpfungspunkt aufgemacht worden ist, dann führt die Häufung von thematisch ähnlich verorteten akustischen Ereignissen dazu, dass der kausallogisch konditionierte Zuhörer versucht, innerhalb des aufgemachten Assoziationsspektrums Erzählstrukturen zu etablieren. Dieses Verfahren lässt sich bis in die Abstraktion in der Bedeutungszuschreibung der großformalen Teile verfolgen. Die Anknüpfung an konkrete Geräusche über einfache Imitationsstrukturen hinaus ist entscheidend für die komplexere Musikalisierung von Geräuschen, wobei wir im Moment lediglich auf der akustischen Ebene argumentieren und die Frage nach dem Zusammenwirken mit der Szene - noch - außer Acht lassen. In den Takten 16ff etwa wird zunächst mit Bunsenbrenner und Airspinner in Percussion 1 und 2 eine Geräuschkomponente eingeführt, die an zu- und abnehmenden Wind denken lässt. Sie wird dann sukzessive auf die Instrumente übersetzt, zunächst auf das hier präpariert eingesetzte Klavier (tape Tonhöhen des Bunsenbrenners übernehmen), dann treten die Celli hinzu (Bunsenbrenner imitieren). Der Bunsenbrenner “verschwindet” im Instrumentalklang. Zweifellos liegt hier durch die Integration und Übersetzung des Ausgangsgeräuschs in klangliche Strukturen ein komplexerer Fall vor, letztendlich jedoch haben wir es auf akustischer Ebene noch mit einem aus der Alltagserfahrung heraus zu verortenden Geräusch zu tun, welches lediglich um klangliche Komponenten erweitert wird. Auf den Rezipienten bezogen befinden wir uns damit grundsätzlich in einer unveränderten Situation. Bauckholt geht es jedoch nicht um die Herstellung einer Hörspielkulisse, sie zielt mit ihrem Konzept direkt auf eine Veränderung der Wahrnehmung des Rezipienten. 17 Diese veränderte Wahrnehmung nun will sie aktiv provozieren und zwar mit dem Fokus auf Geräuschen. Die Geräusche treten an die Stelle der Figuren als dem traditionell komplexesten und am meisten Aufmerksamkeit heischenden Parameter unserer durch traditionelle Erzählmuster geprägten Theaterwahrnehmung. Um diese Umfokussierung zu erreichen, benötigt sie die Bühne in einer ganz bestimmten Art und Weise. Auditives und Visuelles notwendig neu verbunden Die konkrete Anknüpfung an Alltagsgeräusche und -laute, die eindeutig identifizierbar sind und sich somit umstandslos zu kleinen Erzähleinheiten verbinden lassen, steht im größeren Zusammenhang der Musikalisierung der Geräusche. Die Grundidee, die “musikalischen Energien, die in Ge- 72 Barbara Mailos Tibaldi räuschen stecken, herauszulocken” 18 und damit zu Bewusstsein zu bringen, führt uns auf der akustischen Ebene zu einem potentiellen Problem und auf der Suche nach Lösungsmöglichkeiten zu einer weiteren Verknüpfung von Zeichen. So ist uns die Vorstellung, dass etwa eine Zinkwanne einen Eigenklang haben könnte, nicht unbedingt aus unserem Alltag vertraut, und wir würden den Klang zunächst einmal wohl nicht auf den Erzeuger zurückführen. Er bliebe also, für sich stehend, zunächst unspezifisch und im Sinne des beschriebenen Konzepts nur eingeschränkt wertvoll. Denn um eine Veränderung unserer Alltagswahrnehmung auf der akustischen Ebene zu erreichen, müsste eine Verbindung entweder über sprachliche oder über visuelle Kontextualisierung hergestellt werden, mit rein musikalischen Verfahren ist sie nicht zu leisten. Da eine sprachliche Verortung hier keine Option sein kann, muss eine Verbindung vom akustischen Ereignis zur Ausstellung seiner Erzeugung geschaffen werden, die verschieden realisiert sein kann. Erwartungen an die Verbindung von Optischem und Akustischem können sich bestätigen oder aber in ihrer Diskrepanz ein Überraschungspotential bieten und dadurch die Aufmerksamkeit schaffen, welche die Komponistin braucht. Genau die hier mögliche Spannung zwischen Erwartung und Ereignis, zwischen Hören und Sehen, ist es, welche das Ausloten des Verhältnisses von Seh- und Hörgewohnheiten aufgrund der bevorzugten Verbindung von Geräusch und Klang ermöglicht und zugleich die Szene unabdingbar macht. Wenn also in den bisher beschriebenen Fällen noch an dem unserem Verständnis nach natürlichen Eigengeräusch des Gegenstandes angesetzt wird, dann steht bei der Zinkwanne das “abgelauschte” Klangpotential am Beginn. Die Zinkwannen sind im Vorwort der Partitur unter “Percussion” mit präzisen Tonhöhen vermerkt, fünf Zinkwannen (B, A, Fis, es, e), und werden an den entsprechenden Stellen in der Partitur folgerichtig auf den fünf Notenlinien notiert. Beim zweiten Einsatz der Wanne (Tt. 69ff) tritt diesmal nicht das präparierte Klavier mit Tape stützend hinzu, sondern sukzessive kommen zunächst die Celli dazu (Wanne imitieren), gefolgt von den Sängern, welche die “Obertöne der Wanne singen”, so dass aus dem Ton ein veritabler Klang entsteht, den der Zuhörer über die Sichtbarkeit des Ursprungs der Wanne zuordnen muss. Das akustische Vergrößerungsglas zeigt hier einen unvermuteten Reichtum, der nur in der Aufspaltung hörbar und damit erfahrbar wird. Zugleich wird hier aber auch deutlich, dass die Instrumente für dieses Konzept eben gerade nicht in den Orchestergraben gehören. Es kann kein Konzert, keine Regiearbeit im traditionellen Sinn geben, denn solche Überraschungsmomente können nur über die Sichtbarkeit der Tonerzeugung hervorgebracht werden, was so auch bei der Münchner Uraufführung in der im Programmheft so bezeichneten Installation - der Terminus erscheint hier angebrachter als Regie und Bühnenbild - umgesetzt wurde (Abb. 3). Sichtbar wird in dieser oder einer ähnlichen Anordnung, welche die Instrumente und ihre Spieler - hier wortwörtlich - im Zentrum hat, das ganze Instrumentarium in seinem inhärenten Gegensatz von klassischen Instrumenten der abendländischen musikalischen Hochkultur und Alltagsgegenständen. Der Zuhörer und Betrachter erlebt, dass Instrumente beider Sphären Geräusche wie Klänge hervorbringen können und wird in der Zuordnung von Akustischem zur optischen Beglaubigung des Erzeugers manches Mal überrascht werden. Interessanter Weise findet sich in der Partitur kein Hinweis darauf, wie genau mithilfe der Wanne der in der Partitur klar durch Tonhöhe und Dauer definierte Liegeton erzeugt werden soll, wie sich überhaupt die diakritischen Angaben im Wesentlichen auf Nennung der zur Klangerzeugung zu verwendenden Mittel und Beschreibung Im akustischen Vergrößerungsglas 73 Abb. 3: Wie in einer Zirkusarena wird alles zentriert, die ungeteilte Aufmerksamkeit gilt der Produktion der akustischen Ereignisse. Zugleich bleibt der Wahrnehmungsaspekt wortwörtlich im Blick, da der Zuschauer beim Blick auf die Bühne immer auch die Zuschauer gegenüber und ihre Reaktionen wahrnimmt. des zu erzeugenden Geräusches oder Klangs beschränken. Festgelegt wird darüber hinaus im Vorwort, dass auch die Sänger Instrumente zu spielen haben, wobei es sich nicht um klassische Instrumente handelt, sondern um das Ausführen von Aktionen wie “Eimer umschütten” und “Bedienung von Kurbelsirene und Luftballons”. Genuin szenische Anweisungen finden sich so gut wie gar nicht, Ausnahmen sind die Festlegung eines einzigen Blacks mit Beginn von CD8 (der Scheibenwischereinspielung) sowie die im Vorwort gemachte Setzung, dass die “wackelnde Zinkwanne mit Licht (B2)” erscheinen soll. Die szenische Aktion steht also im Dienste der Ausstellung der klangerzeugenden Mittel und dazu notwendiger (ungewöhnlicher) Spieltechniken sowohl der Instrumente als auch der Gegenstände und ist damit funktional gebunden. Dabei ergeben sich aber keine Rollen, wie sie in Kagels als Vergleichmodell herangezogenem “instrumentalen Theater” erscheinen, wo sie durch die Festlegung der Aktionen in der szenischen Partitur festgeschrieben sind. 19 Lediglich ausnahmsweise gibt die Partitur in hellhörig vergleichbare Anweisungen. Auffälligstes Beispiel dürfte ein Abschnitt im Teil A2 sein, in dem Sänger und Percussion “scharfe Luft zum Anderen zischen” (Tt. 324ff), was durch die Gerichtetheit des Zischens Assoziationen wie Frisbeespiel hervorruft und durch die ebenfalls akustisch festgelegten Unterbrechungen des Spiels noch verstärkt wird. Die Akteure können also über kurze Strecken Momente einer Rollenfunktion übernehmen, die in der Partitur angelegt ist. Diese Rollenfunktionen sind aber äußerst rudimentär und stehen im Dienst einer präziseren Konturierung der akustischen Ereignisse. 74 Barbara Mailos Tibaldi Die Sichtbarkeit der Geräuscherzeugung verändert die Wirkung, schafft Aufmerksamkeit. Sie verschafft damit der Tonerzeugung eine Art Selbstinszenierungsfaktor, das heißt, eine spezifische Theatralität kann entstehen - eben nicht im Sinne eines Hörtheaters mit ausgeprägt konkreter Konnotation der akustischen Ereignisse und auch nicht als Bühnenaktion mit Musik, sondern über die Wahrnehmbarkeit des Musikmachens. Sie geht über die einer traditionellen Konzertbühne weit hinaus und erlangt in der überraschenden Verbindung von akustischem Ereignis und visueller Beglaubigung der Erzeugung selbst performative Qualität. Die Geräusche erscheinen zwar nicht als Figuren, also nicht als “dramatis personae”, aber wie der Fokus bei einer traditionellen Produktion auf den auf der Bühne präsenten Figuren liegen dürfte, kommen hier die Geräusche unter einem Vergrößerungsglas zu liegen, welches die Aufmerksamkeit bündelt. In diesem Sinne haben wir es sehr wohl mit einem “Theater der Geräusche” zu tun. Ein wesentlicher Unterschied zu Kagels instrumentalem Theater scheint mir darin zu liegen, dass musikalischkompositorische Verfahren bei Kagel dezidiert auch für die Organisation der Szene herangezogen werden und entsprechende szenische Anweisungen ein fester Bestandteil der Partitur sind. Die traditionelle Bestimmung einer Geste, die nur ausgeführt wird, um einen bestimmten Klang zu erzeugen, unterläuft Kagel systematisch. Bauckholt hingegen braucht gerade die Diskrepanz zwischen Gegenstand und dem zu erzeugenden Klang, welchem die Geste zuallererst dienen muss. Ihr geht es um die Ergründung des Zusammenspiels von Geräusch und Klang, um die Auslotung der Möglichkeiten, nicht aber als Materialerforschung, sondern vielmehr als Erlebnis für den Zuhörer, der idealer Weise daraus sensibilisiert für die Musikalität seines vermeintlich geräuschhaft banalen Alltags hervorgeht. Dazu schafft Bauckholt konkrete Anknüpfungspunkte wie Überraschungsmomente, eine Rückbindung an unseren Alltag und - auf abstrakter Ebene - einen Bogen vom Beginn der tiefen und dadurch geräuschhaft wirkenden Orgelpfeifen, die damit gewissermaßen programmatisch Klang mit Geräusch in sich vereinen, über diverse Ausformungen der Musikalisierung von Geräuschen bis hin zum vom Klang dominierten Schlussteil. Und um diesen Bogen sichtbar zu machen, bedarf es der Sichtbarkeit der Musikproduktion in der Verbindung von traditionellen Instrumenten und den ungewöhnlichsten Klangerzeugern - womit sie wieder ganz nah bei Kagel ist, der für neue, unkonventionelle Stücke fordert, dass “das innere Gefüge musiktheatralischer Werke […] zwingend genug sein [muss], um die Form der szenischen Realisation, also nicht bloß den Stil, entscheidend mitzubestimmen”. 20 Anmerkungen 1 Uraufführung am 23.04.2008 als Kompositionsauftrag der GEMA- und der Franz-Grothe- Stiftung zur Münchener Biennale 2008. Musik und Konzept: Carola Bauckholt, Musikalische Leitung: Erik Oña, Installation: Georges Delnon und Roland Aeschlimann, Kostüme: Marie- Thérèse Jossen, Video: Christoph Schödel, Licht: Tobias Löffler; Zitat aus dem Programmheft der Uraufführung, S. 1. 2 “Die Quadratur des Kreises. Reinhard Schulz zur Münchener Biennale”, http: / / www.nmz. de/ nmz/ 2008/ 06/ bericht-biennale.html, letzter Zugriff am 23.08.2008 3 Sicher sind noch andere Begriffe genannt worden, doch erscheint eine Auflistung nur der Vollständigkeit zuliebe wenig zweckdienlich. Vielmehr geht es darum, die Besonderheiten des Stücks durch die Problematisierung einiger beispielhaft ausgewählter Begriffe herauszustellen. 4 Mauricio Kagel, “Neuer Raum - Neue Musik. Gedanken zum Instrumentalen Theater [1966]”, in: Gianmario Borio/ Hermann Danuser (Hg.), Im Zenit der Moderne. Die internationalen Ferienkurse für Neue Musik Darmstadt 1946-1966, Bd. 3, Freiburg 1997, S. 250. Im akustischen Vergrößerungsglas 75 5 Barbara Zuber, “Theatrale Aktionen in und mit Musik. Zum Handlungs- und Rollenbegriff in John Cages und Mauricio Kagels Musiktheater”, in: Hans-Peter Bayerdörfer (Hg.), Musiktheater als Herausforderung. Interdisziplinäre Facetten von Theater- und Musikwissenschaft, Tübingen 1999, S. 190-209. 6 Zuber, “Theatrale Aktionen”, S. 191. 7 Carola Bauckholt, 1996, in: MusikTexte. Zeitschrift für Neue Musik 79 (Juni 1999), S. 5. 8 Reinhard Schulz, “Hellhörig. Portrait der Komponistin Carola Bauckholt”, in: Musik- Texte 79, S. 42-46 und Frank Hilberg. “Krümel des Alltags. Carola Bauckholts Musiktheater Es wird sich zeigen”, in: MusikTexte 79, S. 54-56. 9 Für eine beispielhafte Analyse, wie die Vorstellung dieser Achse kompositorisch in vielfachen Ausprägungen fruchtbar gemacht werden kann, siehe Ivanka Stoianova, “Kaija Saariaho. Im Inneren des Klangs: Die Wege des Bewusstseins”, in: Susanne Winterfeldt (Hg.), Kaija Saariaho, Berlin 1991, S. 20-32. 10 “Komponistengespräch: Carola Bauckholt”, Moderation: Peter Ruzicka. 23. April 2008, http: / / www.muenchenerbiennale.de/ biennal e_2008/ program.php5? lang=de&id=_01_02, letzter Zugriff am 23.08.2008. 11 Die Orgelpfeifen sind, wie im Vorwort der Partitur angegeben, von den Sängern zu bedienen. Diese wie alle weiteren Angaben zur Partitur beziehen sich auf Carola Bauckholt, hellhörig, Musiktheater für Sopran, Mezzosopran, Bariton, 3 Celli, Klavier, 4 Schlagzeuger, Köln 2007, überarbeitete Fassung Februar 2008. 12 Selbst das einzige in der Partitur vermerkte Black, eine der wenigen szenischen Anweisungen in der Partitur, wird durch die kurz davor bereits einsetzende Einspielung von CD 8 überschrieben (T. 717). 13 In der mir vorliegenden Partitur sind die letzten beiden Seiten (77 und 78) wieder mit B2 gekennzeichnet. Da dieser Setzung aber im Gegensatz zu den anderen Übergängen keine Markierung innerhalb der Notensysteme zugeordnet ist und eine weitere Unterteilung an dieser Stelle keinen Sinn zu machen scheint, handelt es sich hierbei wohl um einen Druckfehler. 14 Caroline Mattenklott, Figuren des Imaginären. Zu Hans Werner Henzes ‘Le miracle de la rose’, Hamburg 1996, S. 26. 15 Vgl. auch Martin Zenck, “Der Begriff des ‘Imaginären’ und die Theatralität der Musik. Wirkungen des Theatralitätskonzepts in der Musikwissenschaft”, in: Erika Fischer-Lichte et al (Hg.), Theatralität als Modell in den Kulturwissenschaften, Tübingen 2004, S. 213-234: “Dem Prozess der Theatralisierung durch die Exterriorisierung der absoluten Musik korrespondiert ein Prozess der De-Theatralisierung durch die szenische Reduktion, durch welche die Musik selbst szenisch wird (die äußere Bewegungsform, Gestik, Mimik, Proxemik, Sprache, Ausdruck, Figur, Double, Figuration und Konfiguration, also alle Parameter der theatralen Szene sind an die Nerven und an die Hautspannungen der Musik übergegangen: an ihre Textur, Struktur und inneren Spannungs- und Aggregatzustände)”, S. 216. 16 Vgl. Simone Mahrenholz, “Musik-Verstehen jenseits der Sprache. Zum Metaphorischen in der Musik”, http: / / www.momo-berlin.de/ Mahrenholz_Musik-Verstehen.html, letzter Zugriff am 04.10.2008. 17 Hierin trifft sie sich mit Simone Mahrenholz’ dritter These, dass die metaphorische Übertragung einer erkannten Struktur auf ein außermusikalisches Anderes in eins fällt mit einer Umstrukturierung dieses Anderen, welches damit im Akt der Projektion in der eigenen Wahrnehmung re-organisiert wird. 18 “Komponistengespräch: Carola Bauckholt”. 19 Vgl. Barbara Zuber, “Theatrale Aktionen in und mit Musik. Zum Handlungs- und Rollenbegriff in John Cages und Mauricio Kagels Musiktheater”, S. 204-209 und Kagel in: Gianmario Borio / Hermann Danuser, Im Zenit der Moderne, S. 245-253. 20 Kagel in: Gianmario Borio / Hermann Danuser, Im Zenit der Moderne, S. 248. The practical turn in theatre research David Whitton (Lancaster) In all domains of knowledge, the recent decades have seen moves to reassess the roles and possible interactions between the types of knowledge validated by academic research and forms of knowledge acquired through practical experience. Across a wide spectrum of disciplines, positivist epistemologies which assume that knowledge is only admissible as knowledge if it is founded on empirical evidence, rationally analysed, have been challenged - not necessarily in order to replace them but to assert the equivalence of other categories of knowledge. The new epistemological paradigms - variously referred to as action research, 1 reflective practice, reflection-in-action, embodied knowledge, practical knowledge, tacit knowing - recognise that experienced practitioners in any field possess knowledge which may not be conventionally articulated. They assert that practice is not merely the application of theoretical knowledge to instrumental ends (its traditional function in positivist epistemology) but a form of knowledge in its own right, a knowledge which might be called art, intuition, creativity or skill, all terms denoting a kind of knowing which does not derive from a prior cognitive operation. The extent to which such epistemologies have acquired legitimacy in research and teaching in medicine, education, architecture, management and so on, is evident from the proliferation of practice-orientated journal titles from academic publishers: Action Learning: Research and Practice (Taylor & Francis), Action Research (Sage), Action Research International (SCIAR), Educational Action Research (Taylor & Francis), Psychodynamic Practice (Taylor & Francis), Journal of Media Practice (Intellect), etc. Inevitably these developments are inseparable from the ways in which the production and transmission of knowledge are organised within institutions. Any shift in the perceived value of a particular category of knowledge implies a shift in the status of those who produce it. All the traditional disciplines are taught in institutional contexts where the producers of ‘pure’ knowledge (the core disciplinary ‘truths’) have historically enjoyed higher status than those who apply it instrumentally. In medicine, for example, the curriculum is not only organised sequentially (pre-clinical, then clinical) but also delivered in different places, with core knowledge (chemistry, anatomy, physiology, etc.) being taught in university medical schools, and applied skills acquired in teaching hospitals. Similar stratifications are found in mathematics, engineering, architecture, town planning, psychotherapy, management, education etc. In all these disciplines, even though pure and applied branches of the subject might be taught within a single institution or a single department, science-based knowledge is seen as the disciplinary foundation, and its acquisition not only precedes the acquisition of skills-based knowledge but is taught by different personnel. The division of labour which assures this arrangement is at the same time a hierarchy of labour, tacitly reflecting the hierarchy of different categories of knowledge. Donald Schön, in his classic work on cognition The Reflective Practitioner, describes universities as “institutions committed to a particular epistemology [which] fosters selective inattention to practical competence and professional artistry”. 2 His description will resonate with practitioners in Forum Modernes Theater, Bd. 24/ 1 (2009), 77-88. Gunter Narr Verlag Tübingen 78 David Whitton many fields beyond the five professions with which his study is concerned. How have the developments outlined above played out in our own subject? No less than the disciplines mentioned above, theatre studies developed as a divided community. This seems paradoxical. The legitimation of theatre studies as a discipline within the humanities depended on an acceptance of performance - that is to say of creative practice, of the application of art, of skill, of ‘embodied knowledge’ - rather than dramatic literature as a valid object of study. Yet in the academic study of theatre, for most of the time, practice and research have co-existed more or less independently, at best indifferent to each other, at worst in a state of mutual antagonism, and always in competition for resources. This is what Dwight Conquergood referred to as “the apartheid of knowledge that plays out inside the academy as the difference between thinking and doing, interpreting and making, conceptualization and creativity”. 3 Generations of theatre scholars have regarded as outlandish the suggestion that they might teach practical theatre skills. Some theorists and historians have even prided themselves on never going to the theatre. Of course, alongside observing and analysing performances, or interrogating material artefacts, documents and other evidential surrogates for performance, other theatre researchers have often engaged in practice for a variety of purposes: to explore the potentialities of a text or to embody a particular textual reading of it, to test a theoretical proposition or perhaps more diffusely to acquire a better, more informed understanding of the medium. Or even for recreation. In theatre-historical research the practice of ‘reconstructed’ performance has a long and continuing place as a means to verify a hypothesis or as an aid to historical imagination. But rarely, until recently, has anyone claimed the status of research process for an original creative performance. The current prominence given to concepts such as practice as research, practice-based research, 4 performative scholarship etc., challenges previously established boundaries between creative practice and research in the creative arts. Large claims have been made on their behalf. Kershaw and Piccini write of the creative and performing arts disciplines being “at a watershed, the negotiation of which might well determine their place and purpose in universities for decades to come”. 5 The ‘practical turn’, as I will call it, resides in the claims of creative work to be considered as a valid research process and/ or a research outcome. The claims that creativity itself constitutes an investigative tool, and that creative works constitute legitimate research outcomes equivalent to articles and monographs, pose a range of questions concerning the epistemology, documentation, dissemination and legitimation of research. It is commonly accepted that the purpose of research is to contribute original knowledge or understanding, but is originality the same thing from both artistic and research perspectives? What, in fact, is the product of an enquiry conducted through practice - the artwork or the knowledge that it makes available? How are these distinguishable from one another? And in what form can they be communicated to the scholarly community? There are, then, a number of complex problems raised by the framing of practice as research. At present, while it would be complacent to think that convincing answers have been formulated to any of these questions, the fact of their being asked signifies a radical change in the research landscape. Several factors have contributed to the repositioning of practice in theatre studies. The epistemological revolution mentioned above supplies a general context, but in the specific case of theatre studies a particular impetus seems to have been the growth of performance studies. Whereas creative practice has generally operated at the margins of The practical turn in theatre research 79 theatre studies, Schechner situates it at the heart of performance studies. He writes: Artistic practice is a big part of the performance studies project. A number of performance studies scholars are also practising artists working in the avant-garde, in community-based performance, and elsewhere; others have mastered a variety of non- Western and Western traditional forms. The relationship between studying performance and doing performance is integral. 6 From the start, performance studies developed in ways which blurred the distinction between researcher and practitioner (for example through the tendency of many performance theorists to favour interventionist action through the medium of performance) or else, as in Conquergood’s case, rejected the distinction outright. According to Conquergood “the division of labor between theory and practice, abstraction and embodiment, is an arbitrary and rigged choice, and like all binarisms it is booby-trapped”. 7 In 1999 as the then chair of Performance Studies at Northwestern University he claimed that: What is really radical about theatre, performance and media studies at NU is that we embrace BOTH written scholarship AND creative work, texts and performance. Printed texts are too important and powerful for us to cede that form of scholarship. But it is not enough. We also engage in creative work that stands alongside and in metonymic tension with conventional scholarship. We think of performance and practical work as a supplement to - not substitute for - written scholarship. 8 I would question how radical that position really was in 1999, but it is worth taking note of the public emphasis he chose to place on it. More recently (2006), Northwestern’s performance studies website preferred to talk about its ‘historic commitment to performance as a method as well as a subject of research’ and to assert: In the midst of the proliferation of performance theory from all corners of the academy, the department remains anchored in its longstanding tradition of viewing performance as an experiential practice and pedagogy, an embodied way of knowing, and not just an abstract concept. 9 Now the practitioner-scholar is becoming an increasingly familiar figure in theatre studies departments too. Some academics who occupy university posts also work in professional theatre. Conversely, professional artists are increasingly employed or sponsored to pursue creative work in universities. Of course, opportunities for creative artists to work in institutional contexts as creative artists have long been available in the form of residences with grant support from arts funding bodies or private sponsors. What is new is the framing of their creative projects as research, and the commissioning of scholarly research from creative artists by universities and research councils. In the UK, the Arts & Humanities Research Council (AHRC) funds a programme to bring researchers from universities and creative centres together, or to bring artists (defined as “producers of original creative work” 10 ) into the academy. For example, under its Fellowship in the Creative and Performing Arts scheme the distinguished playwright Howard Brenton was funded for three years to work in the Department of Drama and Theatre Arts at the University of Birmingham. Brenton’s project (The Playwright and the State) was to investigate, from the perspective of a professional playwright, the nature of political drama and the relationship between the playwright and the state at selected moments in the development of western theatre. The process combined theoretical and practical research and resulted in a number of practice-based or practice-as-research outcomes. These ranged from a series of experimental ‘lab-texts’ using theatre as a laboratory to explore relationships between political systems and dramatic 80 David Whitton forms, through to more traditional forms including a book and a series of research colloquia. The opening up of this two-way street is generally seen as a positive development. However, as Kershaw has noted, “some are critical of what they see as the academy’s colonizing of performance practices and of the problematics of the economics of [practice as research] in universities, arguing that much of it would simply not ‘work’ in an industry context where economics govern production”. 11 Elsewhere it has been argued that using the term ‘professional’ to identify artists in this context actually serves to “reinforce the academic/ practitioner divide”. 12 Or that the framing of creative practice as research problematizes creativity in unhelpful ways. One practitioner-researcher summarised his ambivalence as follows: It’s as if there is a grievance because artists who enter the academy (often in search of a regular income) are no longer allowed simply to be artists, and must adhere to a series of researchdriven regulations in order for their artistic practice to qualify as practice-led research. And yet there seems to be an extraordinary opportunity for artists entering the academy to use the impositions of the university system as a means to re-think many aspects of their practice and, in so doing, contribute to the developments of ideas both inside and outside the academy. 13 The erasing of the sharp professional versus academic distinction, then, is not without problems but it has undoubtedly contributed to the pressure to reassess the role of creative practice in a research environment. The stimulus to undertake such a reassessment is of course more than disinterested curiosity. In part it reflects a struggle to gain institutional recognition for a de facto development among practitioners of the discipline. At the same time, it reflects the pressure on humanities subjects to demonstrate their relevance to wealth-creation. There are clear political incentives for them to do so, given the economic importance of the creative industries in post-industrial economies. Governments everywhere have recognised the potential of creative arts disciplines to generate wealth-creating knowledge and have set up mechanisms to ensure its transfer to the commercial sector. The dilemma for theatre studies is that it cannot cut itself from such obligations and opportunities, but if it seeks to justify itself only in these terms it will be entering a Faustian pact. In the UK, where practice as research (PaR) has risen steadily up the research agenda in the last twenty years, its evolution is intimately connected to the structures for funding and assessing academic research. If discussion of PaR has had a greater urgency in the UK than elsewhere, this is partly a consequence of strongly interventionist mechanisms for funding advanced research. Indeed, it is no coincidence that the PaR debate only acquired its present urgency when university departments started to be funded selectively, making it necessary to devise criteria specifying how creative practice can count as research, and how such research can be measured qualitatively. At this point it becomes necessary to say a little more about the formal structures for evaluating and funding research in the UK. 14 Dwelling on such details risks appearing parochial but is unavoidable because the research funding mechanisms supply not merely the context in which debate has taken place but one of the debate’s main drivers. Since 1989, the periodic Research Assessment Exercise (RAE) has been a major stimulus leading to formal definitions of what, for institutional purposes, constitutes ‘research’. Using peer review panels and metrics, the RAE is given the task of measuring the quality and quantity of research output in the public domain, department by department, in every subject, across all British universities. From the start it was apparent to disciplines such as The practical turn in theatre research 81 theatre studies, music, and art and design, that if whole categories of staff or departments were not to be excluded a priori from recognition and funding, then it was necessary to explore ways in which practice might qualify for inclusion the RAE. Similar debates were triggered in all departments as each subject explored the boundaries of research at the applied end of its disciplinary spectrum, but the anxieties were most acute in subjects like creative arts which had strong traditions of employing practical methodologies in their teaching. In the initial, somewhat tentative stages, as Martin White explains, the discussion of practice focused on the concept of ‘research equivalence’ (i.e. the equivalence of practical work to publication). This clearly prioritised writing as the dominant medium of production and dissemination. And, by focusing on research output, the implied (and more radical) notion that the practical experimentation leading to that output represented the basis of the research process was not at the time widely accepted or understood. Subsequently, this notion has moved closer to the centre of the continuing debate. Success in the RAE is crucial to the research culture of British university departments, both for reasons of status and esteem, and because it determines the allocations which are the principal source of financial support for research infrastructure in the UK. However, when the results of the 1996 RAE were published, there was widespread suspicion that practice-based research had been evaluated less favourably than conventional scholarship. The pressure for the discipline to establish common ground on the issues of PaR thus intensified, and in preparation for the next (2001) RAE the national subject association for theatre studies made a formal submission of recommended criteria. In essence (again paraphrasing White) the proposal was that while any creative practice might qualify as research, all creative practice, although possibly of high quality and derived from kinds of intellectual investigation, was not automatically research in the terms of the RAE. Rather than attempting the impossible by trying to impose prescriptive criteria to cover all possible cases, it was considered the researcher’s responsibility to justify his or her practice as research. To be considered as research, the work would need to show that it could (a) interrogate itself critically, (b) locate itself within its research context, (c) contribute original knowledge or understanding, and (d) give rise to other forms of discourse which allow it to be disseminated. This formulation has remained (more or less) the baseline for funding bodies and research councils, though it is by no means automatically accepted by all practitioners. But if the quality of the research content was to be assessed, then as Martin White puts it: ways in which projects might be ‘stored’ and ‘retrieved’ for the purposes of dissemination or assessment had to be developed. Inevitably, this raised issues of documentation: how could the ephemeral practice maintain itself as a - or perhaps the - key element of the research rather than be subsumed in the medium of print? What new forms of presentation and dissemination, beyond the conventional book or article, needed to be developed? How could a researcher who work was based in practice achieve the international reputation [which is] central to the UK system of research assessment? 15 One early suggestion was that a research performance might generate a dossier in which the research sources are documented and analysed. This suggestion, however, exposed the problem that the process of documenting a project could potentially consume more time and resource than the project itself. Subsequently, attention has come to be fixed on electronic media such as DVDs. If anything this has confused matters. On the one hand this is because of the problematic 82 David Whitton relationship of electronic reproduction to live performance (as previously explored by Phelan 16 and Auslander, 17 among others) which has led to endless - and, in this context, largely irrelevant - discussions about the respective ontologies of live and mediatised performance. On the other hand, the increasing tendency of mediatised performance to assert its own status as a creative medium has generated experimental work, but at the cost of compounding the confusion about whether the resulting artefact should be considered as a documentary record or an original work in its own right. Not all practitioner-researchers in fact recognise the obligation to document their work, or else see it as threatening to eclipse or displace the creative work. According to one of the contributors to an online discussion site on PaR edited and published in 2003: The role of documentation can be unduly stressed - even to the extent that documentation (rather than the live performance work itself) may be seen as the primary dissemination mode. The best dissemination of PaR is to show the work as widely as possible in its original live form. 18 Yet this seems to contradict the commonly held view that a creative output or performance can not stand on its own as a record of the process. It was countered by another contributor who maintained: The ‘problem of documentation’ explored by Auslander, Phelan and others is really a pseudo-problem in this context. Surely the documentation is not required to ‘capture the work’ but to report critically on the method and outcomes. The problem, it seems to me, is really one of how to validate any specific instance of practice as research and then how to evaluate that (particular) practice. […] We might have an absolutely brilliant DVD that documents the process of creating a performance, and critically reflects on that process, without providing any evidence that the process was ‘research (= gave us new insights). 19 If there is, at present, anything resembling a consensus about how to recognise practice as research, it is in the area of postgraduate training and qualification. This is natural and unavoidable, given that PhD programmes generally have regulatory frameworks requiring institutions to specify what outputs are allowable, what constitutes originality, and so on. The majority of British universities currently recognise and support postgraduate research programmes which include practical research. While the precise regulations vary from one institution to another, an indication of what constituted common ground in 2001 is given by the report of a national working party which brought together representatives from music, drama, dance, art and design, and creative writing. 20 Some disciplines, it appeared, had more established understandings of practice-based research and were more comfortable with the notion of the research equivalence of practice. In music, for example, there was little difficulty about accepting composition as equivalent to more traditional research outputs, possibly because the more fixed method of notation makes it more stable and accessible than a performance. Choreography seemed to have acquired (or to be acquiring) a similar status in dance. Leaving aside subject-specific differences, however, there was general agreement that creative output on its own was unlikely to be acceptable as the outcome of a research process. In order to fulfil the core requirements for a research degree (i.e. “that it must display independence and originality, must be conducted systematically and presented in a form which can be understood by peers, and recovered by future researchers” 21 ) it would almost certainly be necessary for it to involve an external apparatus of critical reflection and documentation. The written component, it was agreed, “should be more than a factual report, should define some critical and intellectual perspective, and should not merely ‘justify’ the practice”. 22 Other matters ad- The practical turn in theatre research 83 dressed included methodology (for example, methods for tracking and documenting the research), the implications for research training (since students undertaking practicebased research required particular skills in addition to those needed for traditional research), and for assessment (using new modes of assessment more appropriate to the research being assessed). Recent thinking in the UK may be best represented by an investigation into protocols and regulations governing PhD by practice as research in twenty British universities, which resulted in a set of draft guidelines, covering areas such as applications, supervision, types of projects, examination procedures, and criteria. 23 Under the heading “Scope and components of the project”, for example, the guidelines recommended that: • The admission of creative practice in a PaR PhD context is premised on the notion that research questions in the performing arts can be rigorously worked through in a range of practices (of which writing is only one). • Any prescriptive model of creativity and reflection is avoided in order to enable students to develop their own praxis. The specificity of each project, its scope and the location(s) of its examinable presentation(s) in terms of PhD submission must be established in the applications and admissions procedure above. • The balance between written and practical outcomes will be determined by individual students with their supervisors under the auspices of regulatory frameworks of the institution concerned. Normally, a written submission of 40,000 words will constitute 50% of the project and there will be a minimum of 20,000 words or 25% of the project. • The practical component must demonstrate a high level of skill in the manipulation of the materials of production and involve a research inquiry. • Practice should be accepted as methodological process of research inquiry and a mode of dissemination of research in its own right • The written outcome will contextualize the project and include a retrospective analysis of the process and outcomes, reflecting on chosen research methodologies and production processes and the relation between them. Under “Criteria” the guidelines read: • PhDs involving PaR should meet the established generic criteria of ‘making a contribution to knowledge’ or ‘affording substantial new insights’. In some cases, though by no means all, the practice itself may be original (in the sense of unlike anything which has gone before, rather than in the simple sense of the product of the maker’s creative imagination). In other instances, new knowledge or substantial new insights will be afforded by ideas in practice (writing being just one of several practices in this context). As with PhDs in other disciplines, including across the Sciences, Humanities and Arts, the requirement is for a modest, but new, contribution to a body of knowledge. Examiners should take care not to require more of PhD candidates by PaR simply because PaR is a relatively recent phenomenon Despite the references here to “new insights”, the guidelines obviously encounter difficulty in saying where originality is located in terms of PaR. The problems involved in treating originality in art and in research as equivalent are amply recognised, if not resolved, elsewhere. Kershaw writes about the need to define carefully “the differences between aesthetic innovation, and the uses of such innovation placed at the service of explicit research agendas designed to produce new knowledge or insights”. 24 The issue was widely aired at the Practice as Research in Performance (PARIP) symposium held in 2001 at Bristol University. Angela Piccini reports one group’s concern to uphold the distinction between practice as research and artistic practice. Whereas artists might legitimately remain unaware of their work’s relation to the wider artistic context, it was considered 84 David Whitton paramount that practitioner-researchers explicitly identify and justify their contribution to knowledge within their field. The group argued that practice as research should obey the norms of scholarly research practice, in which the claim to new knowledge is made explicit in a commentary or abstract, supported by the academic apparatus of bibliography, abstract, literature review, citations, etc. 25 The group also maintained the need for research to produce “a set of separable, demonstrable, research findings that are abstractable, not simply locked into the experience of performing”. 26 Likewise, the UK Council for Graduate Education in a separate report on practice-based doctorates maintained that creative output must have an “academic research perspective” if it is presented as part of a PhD submission. 27 The suggestion again is that reflective generation of knowledge within a research context, rather than artistic innovation, is what counts in this context. But, it went on to suggest, the practice-based doctorate advances knowledge partly by means of practice. An original/ creative piece of work is included in the submission for examination. It is distinct in that significant aspects of the claim for doctoral characteristics of originality, mastery and contribution to the field are held to be demonstrated through the original creative work. 28 Elsewhere, the report maintained that high artistic quality in the creative work constituted a necessary condition, if not a sufficient condition, for the award of a PhD. 29 It is hardly surprising, then, that in her discussion of practice as research in dance Anna Pakes observes: “This ambiguity about whether practice as research has to demonstrate artistic innovation or originality in cognitive terms is yet to be resolved”. 30 While the most acute anxieties arise in connection with contemporary performance practice framed as research, practice-based research has also developed a significant presence in theatre historiography. There has always been a small but devoted group of advocates of reconstructed performance. Indeed, as Erika Fischer-Lichte tells us, some of the earliest research under the disciplinary label of Theaterwissenschaft (theatre studies) took precisely that form. 31 This was the work carried by out in Germany by Max Hermann in the early twentieth century. Having located the specificity of theatre in what might now be called ‘eventness’, with all its implied ephemerality, Hermann had to confront the problem that the object of research can never be present to the researcher. Accordingly, he devoted his efforts to reconstructions of past performances as a way of compensating for the lacuna. But, according to Erika Fischer- Lichte, “as early as the 1920s, Hermann realised that led to a dead end. So, he gave up the futile attempt to reconstruct past performances and restricted his efforts to reconstructing their spatial conditions”. 32 Hermann’s perceived failure did not deter later scholars from reconstructing past performances - not necessarily in the expectation of being able to observe under laboratory conditions the spark of living theatre but often with less grandiose and perhaps more achievable aims. In the 1960s and 1970s at Lancaster Tom Lawrenson undertook reconstructions both of historical performance spaces (such as the Hôtel de Bourgogne in the early seventeenth-century) 33 and of landmark productions (such as Gaston Baty’s 1936 adaptation of Madame Bovary). 34 In the first of these experiments the aim was to learn more about how a scenic convention from a different era (in this case décor simultané) actually functioned in practice. The second was carried out with a view to experiencing (as opposed to intuiting) how a highly distinctive plastic aesthetic was articulated in space and time. Whilst laboratory work of this kind clearly has utility in resolving particular questions, understanding specific practices, or The practical turn in theatre research 85 even sometimes yielding unexpected insights, it is easy to feel a sense of disappointment at the seeming disproportion of scale between effort and results. This disadvantage is offset to some extent if, rather than serving for a one-off experiment, the reconstructed performance space constitutes a permanent resource capable of housing different types of embodied research. A current project of this type is Martin White’s full-scale reconstruction of a Jacobean indoor theatre to support research into the material conditions of professional performance in early seventeenthcentury English theatre. The Architectural Research Group, a wing of the Shakespeare’s Globe research programme, is likewise pursuing a project to build an Inigo Jones Playhouse alongside the most well-known reconstructed theatre, the Globe, at Southwark in London. The primary challenge involved in reconstructed performance spaces is how to interpret historical evidence. Reconstruction of past performances poses an altogether greater set of challenges. Robert Sarlos, one of the most enthusiastic advocates of reconstructed performances, sees their utility primarily as aids to the researcher’s historical imagination. Arguing for an approach that unites scholarly and creative approaches, he says I firmly believe it is within the scholar’s reach - sometimes working as artists, sometimes with them - to deepen the artist’s and spectators’ understanding of the Elizabethan and many other theatrical golden ages. 35 Sarlos proposes that Armed with data, the historian should approximately traverse the road followed by the original group of artists ands create a dynamic, life-size, spatial and temporal (hence, fourdimensional) model. No matter that it cannot be an exact replica of the original work - it will bring all participants, including spectators, closer to the sensory realization of the style and atmosphere, the physical and emotional dynamics of a bygone era, than can mere reading. 36 The effect of “sensory realization” is most potent when the theatrical form is most remote from modern-day aesthetics. A wellknown example is Dunbar Ogden’s stagings of the twelfth-century church music-drama Ludus Danielis which have allowed spectators to appreciate the extraordinarily moving qualities of one of the most beautiful artworks of medieval Europe. 37 Conversely, of course, it is precisely in such cases that the impression of sensory realization is likely to be most misleading. The hurdle at which even the most brilliant reconstruction necessarily falls is the impossibility of reconstructing audiences of the past. Both Max Hermann, approaching the question as a theatre historian, and Nikolai Evreinov, approaching it as progressive practitioner (in his Ancient Theatre), eventually renounced their attempts to recreate the experiential dimension of past performances. Confronting this difficulty head-on, Gilli Bush-Bailey has taken a contrary approach to embodied historical research. As she notes, the integrity of historiography as research practice can only be undermined by an inevitably presentist approach to historically distant dramatic texts and performance style when examined in the modern workshop. 38 The strategy adopted to address this difficulty was not to try to replicate the spirit of the original performance but to inscribe the researcher’s historiographic consciousness in the reconstructed performance. So, when researching working relationships between actresses and female playwrights in seventeenth-century theatre, her reconstructed performance (of Ariadne’s She Ventures and He Wins at the playhouse in Lincoln’s Inn Fields in 1695) staged the historical elements within a meta-play specially written to explore the context of the play’s first production, and in this way 86 David Whitton combining the more secure elements from approaches to performance reconstruction with a new piece of writing that would incorporate and demonstrate my own research on the female theatre practitioners who created [the original play]. 39 This example of embodied creative research might be seen as an innovative response to Tracy Davis’s call for a specifically feminist historiography to explore aspects of the theatrical past which are simply not recoverable from conventional documentary evidence. 40 Conclusion The term ‘practice as research’ embraces a number of emerging and still controversial developments. Given the evident state of flux, there is no single conclusion to be drawn from the foregoing. However, several observations may be advanced by way of provisional conclusion. First, if we accept - as we surely must - that all performance constitutes research into theatre, then ultimately there is nothing new in practice as research except its framing as research in terms that are acceptable to the academy. As Maria Shevtsova points out, research about the theatre, of which academic research is a significant part, depends on the research of the theatre, that is, of its practitioners. Rarely, if ever, does academic research pre-empt the work of practitioners. 41 Second, however, framing creative practice as research in an academic sense necessarily involves practitioner-researchers in a set of obligations to the research community which they are not required to engage with as creative artists. Practice as research can hardly constitute its own end without becoming solipsistic. The fact that most of the published material involving PaR is concerned with debating the conditions and consequences of its validation by the academy, rather than with communicating specific insights or knowledge generated by it, is evidence that at present these obligations are still a source of tension, and their nature is either imperfectly understood, or contested. Thirdly, and rather obviously, if the practical turn does constitute a new direction for academic theatre research, the current state of understanding of its possibilities is still at a tentative stage. Attempting to survey the small but growing published corpus relating to PaR, 42 one encounters far more questions than clear-cut answers. A degree of scepticism is therefore appropriate. However, the number of postgraduates currently working on practice-base projects virtually guarantees that the field will continue to grow in significance. It therefore seems vital to continue asking the questions. Finally, it is evident from this summary account that, rather than constituting an identifiable methodology, PaR actually denotes an expansion in multiple directions simultaneously, in other words an expansion of the range of possibilities open to researchers. Ideally, practice as research would be understood as an option among several, a tool to be used in combination with others, in the way that Schechner once spoke of the need to combine “aspects of the ‘scientific method’ with some of the traditionally intuitive methods of the arts”. 43 Gilli Bush-Bailey’s embodied feminist research combining elements of positivist historiography, creative writing, and performance perhaps serves as a paradigm for a methodology which utilises different types of evidence and moves between multiple discourses. It definitely seems desirable that recourse to practice, having emerged from one ghetto, should become naturalized in this form rather than confine itself in another. Notes 1 As long ago as 1946 Lewin used the term ‘action research’ to describe an intentional The practical turn in theatre research 87 method for deriving knowledge from practice. Kurt Lewin, “Action research and minority problems”, in: Journal of Social Issues, 2 (4), 1946, pp. 34-46. 2 Donald A Schön, The Reflective Practitioner, London 1983, p. vii. 3 From a talk at the ‘Cultural Intersections’ conference, Northwestern University, 1999. Reproduced in Richard Schechner, Performance Studies. An introduction, London 2002, p. 18. 4 Baz Kershaw - not unproblematically - distinguishes between practice-based research and practice as research in the following terms: “I take practice-based research to refer to research through live performance practice, to determine how and what it may be contributing in the way of new knowledge or insights in fields other than performance. Hence, practicebased research may be pursued for many purposes - historical, political, aesthetic, etc. - and so researchers may not need to be theatre scholars to pursue it. By practice-as-research I refer to research into performance practice, to determine how that practice may be developing new insights into or knowledge about the forms, genres, uses, etc. of performance itself, for example with regard to their relevance to broader social and/ or cultural processes” (Baz Kershaw, “Performance, memory, heritage, history, spectacle - The Iron Ship”, in: Studies in Theatre and Performance, 21 (3), pp. 132-149). 5 Angela Piccini/ Baz Kershaw, “Practice as Research in Performance: from epistemology to evaluation”, in: Journal of Media Practice, 4 (2), 2003, p. 114. 6 Schechner, Performance Studies. An introduction, p. 1. 7 Quoted in Schechner, Performance Studies, p. 18. 8 Schechner, Performance Studies, p. 18. 9 http: / / www.communication.northwestern.ed u/ performancestudies/ graduate/ , Consulted 21.7.06. 10 http: / / www.ahrb.ac.uk/ news/ news_pr/ 2005/ research_in_practice.asp, Consulted 21.7.06. 11 Piccini/ Kershaw, “Practice as research”, p. 119. 12 Studies in Theatre and Performance, 22 (3), p. 162. 13 Studies in Theatre and Performance, 22 (3), p. 133. 14 These have been prescribed in successive official publications of the Higher Education Funding Council for England. Martin White has concisely summarised the historical process in “Practice-based Research in the UK - an overview”, paper given to the American Society for Theatre Research conference, New York 2000 (unpublished). I am indebted to Martin White for allowing me to draw on his paper for the following account of RAE-related discussions between 1992 and 2000. 15 White, “Practice-based Research”. 16 Peggy Phelan, Unmarked: the Politics of Performance, London 1993, Chapter 7: “The ontology of performance: representation without reproduction”. 17 Philip Auslander, “Against ontology: making distinctions between the live and the mediatised”, in: Performance Research 2 (3), pp. 50-55. 18 Peter Thomson (compiler), “Notes and Queries: Practice as research”, in: Studies in Theatre and Performance, 22 (3), 2003, p. 165. 19 Thompson, “Notes and Queries”, pp. 161-162. 20 UK Council for Graduate Education, Research Training in the Creative & Performing Arts & design, Coventry 2001 (http: / / www.ukcge.ac. uk/ NR/ rdonlyres/ 07850CCD-371A-46CD- 976A-27817FD007EB/ 0/ CreativePerforming Arts2001.pdf, Consulted 5.11.07). 21 UK Council for Graduate Education, Research Training, p. 16. 22 UK Council for Graduate Education, Research Training, pp. 16-17. 23 Robin Nelson/ Stuart Andrews, “The regulations and protocols governing ‘Practice as Research’ (PaR) in the performing arts in the UK leading to the award of PhD”, http: / / www.bris.ac.uk/ parip/ par_phd.htm, Consulted 21.7.06 24 Baz Kershaw, “Performance, memory, heritage, history, spectacle - The Iron Ship”, in: Studies in Theatre and Performance, 21 (3), p. 146. 25 Angela Piccini, “An Historiographic Perspective on Practice as Research”, http: / / www. bris.ac.uk/ parip/ t ap.doc, Consulted 21.7.06. 26 Piccini, “An Historiographic Perspective”. 88 David Whitton 27 UK Council for Graduate Education (UKCGE), Practice-based Doctorates in the Creative and Performing Arts and Design, Coventry 1997 (http: / / www.ukcge.ac.uk/ NR/ rdonlyres/ CD25644D-0D5A-41DA-8CC4- EEFADA55DB31/ 0/ Practicebaseddoctorates Arts1997.pdf, Consulted 9.11.07). 28 UK Council for Graduate Education (UKCGE), Practice-based Doctorates, p. 14. 29 UK Council for Graduate Education (UKCGE), Practice-based Doctorates, p. 9. 30 Anna Pakes, “Original embodied knowledge: the epistemology of the new in dance practice as research”, in: Research in Dance Education, 4, 2 (2003), p. 132. 31 Erika Fischer-Lichte, “From text to performance. The rise of theatre studies as a discipline in German”, in: Theatre Research International, 24, 2, pp. 168-178. 32 Fischer-Lichte, “From text to performance”, p. 173. 33 C.M Fogarty/ Tom Lawrenson, “The lessons of the reconstructed performance”, Theatre Survey, 22, pp. 141-159. 34 Tom Lawrenson, “Madame Bovary: essai de reconstitution”, in: Theatre Research/ Recherches Théâtrales, 13, p. 155. 35 Tom Postlewait/ Bruce McConachie (eds), Interpreting the theatrical past: essays in the historiography of performance, Iowa City 1989, p. 203. 36 Postlewait/ McConachie, Interpreting the theatrical past, p. 201. 37 For discussions of the modern performances, see Dunbar H. Ogden (ed.), The Play of Daniel: Critical Essays, EDAM Monograph 24, 1997. 38 Gillie Bush-Bailey, “Putting it into practice. The possibilities and problems of practical research for the theatre historian”, in: Contemporary Theatre Review, 12, 4 (2002), pp. 77-96. 39 Bush-Bailey, “Putting it into practice”, p. 83. 40 Tracy C Davis, “Questions for a feminist methodology in theatre history”, in Postlewait and McConachie, Interpreting the theatrical past, pp. 59-81. 41 Maria Shevtsova, “Bells and alarm clocks: theatre and theatre research at the millennium”, in: Theatre Research International, 24, 1 (1999), p. 99. 42 See Select Bibliography for Practice as Research in Performance (http: / / www.bris.ac.uk/ parip/ bib.htm, Consulted 21.7.06). 43 Richard Schechner, “Performance and the Social Sciences: Introduction”, in: TDR, 17 (3), 1973. Rezensionen Friedemann Kreuder, Sabine Sörgel (Hg.): Theater seit den 1990er Jahren. Der europäische Autorenboom im kulturpolitischen Kontext. Mainzer Forschung zu Drama und Theater. 18. Tübingen: Francke Verlag, 2008, 291 Seiten “Die Rückkehr des Autors an die Bühnen Europas” thematisierte das 2007 an der Universität Mainz veranstaltete Symposium, dessen Beiträge nun unter dem Titel Theater seit den 1990er Jahren von Friedemann Kreuder und Sabine Sörgel herausgegeben wurden. Der ‘Autor’ ist dabei in den Untertitel gewandert, der verspricht, den “Autorenboom im kulturpolitischen Kontext” zu beleuchten. Die Suche nach dem Dramatiker, nach seiner Bedeutung im Theater der Gegenwart und seinen kulturpolitischen Voraussetzungen verwebt die Beiträge des Bandes miteinander. Der Raum, in dem sie den Autor ansiedeln und sichtbar machen, ist groß und öffnet sich zu einem Panorama dramatischen Schaffens der letzten 20 Jahre. Einsetzend mit dem britischen In-Yer-Face-Theater der 1990er Jahre und seinen Autoren - allen voran Mark Ravenhill und Sarah Kane - führt der Band nach Schottland und Nordamerika, bevor er sich dem europäischen Festland, dem deutsch- und romanischsprachigen Raum nähert, um schließlich das Theater ehemals kommunistischer Länder (Polen, Russland und mit Peter Hacks den Osten Deutschlands) zu betrachten. Eine weite Reise, auf der dem Leser weitgehend bekannte Gesichter begegnen, Dramatiker, deren Werke die Welle des Autorenbooms in alle Welt spülte. Beispielsweise Sarah Kane. Mit ihrem Werk und Leben beschäftigen sich gleich zwei Beiträge - und das nicht ohne Grund, gilt die britische Autorin doch als Galionsfigur einer neuen Generation von Dramatikern, fließt in die Rezeption ihrer Werke doch beharrlich ihr Leben, Leiden und früher Freitod ein. Dass eine autobiographische Lesart von Phaedra’s Love zu kurz greift, legt Anja Müller-Wood in ihrer detaillierten Analyse der emotionalen Dynamiken des Dramas dar. Währenddessen beschreibt Bernhard Reitz die Verknüpfung von Autorbiografie und dramatischem Werk als Konstituens des In-Yer-Face- Theaters, indem er in der Selbstreferentialität der Werke eine mediale Strategie der Legitimation von Authentizität und Identität festmacht - auch wenn es sich hierbei nach Reitz um eine in Auflösung befindliche, “sterbende Identität” (33) und Personalität handelt. Identitätskonstruktionen, so zeigen es mehrere Beiträge des Bandes, misslingen in der gegenwärtigen Dramatik, wie auch kohärente Handlungsführungen in Auflösung begriffen sind. Hierin sieht Sabine Sörgel denn auch einen Unterschied zwischen dem Realismus des 19. Jahrhunderts und den “Realismus-Variationen der Gegenwart”, in denen die reine Fassade bürgerlicher Identität in Zitaten medialer Rollenklischees augenfällig werde, wobei die leicht konsumierbaren, neorealistischen Dramen zugleich aber auch reproduzierten, was sie zu kritisieren vorgeben (vgl. 119). Überhaupt durchzieht die Frage nach der gesellschaftskritischen Funktion gegenwärtiger Dramatik und dem politischen Engagement ihrer Autoren den Band. Dramatiker melden sich zu Wort. Und mit der Rückkehr zum Wort werden auf den Bühnen auch wieder zentrale politische und gesellschaftlich relevante Fragestellungen verhandelt - so zumindest die Vermutung, die der Blick auf Portugal, Polen oder Russland, wo Frank Göbler auch die Gefahr erneuter Zensur und damit der Abkehr vom Autorentheater sieht (vgl. 276), auch bestätigt. Anneka Esch-van Kan beschreibt in ihrem breiten und systematischen Überblick die Rückkehr des Politischen auf die Bühnen des anglo-amerikanischen Raums, wobei sie die (von Hans-Thies Lehmann getroffene) Unterscheidung von “politischem Theater” und dem “Politischen des Theaters” zu überwinden sucht und auch postdramatisches Theater als politisches ausweist (vgl. 88ff.). Die ineinander greifenden Produktionsprozesse von Dramentext und Inszenierung ermöglichten die Thematisierung tagespolitischen Geschehens (vgl. 89). Forum Modernes Theater, Bd. 24/ 1 (2009), 89-90. Gunter Narr Verlag Tübingen 90 Rezensionen Der Autor des gegenwärtigen Theaters ist ein neuer Autor. Er ist ein Autor, der auf den Bühnen groß wurde, ein Theatermensch, dann erst Literat - ein schreibender Regisseur, ein auftretender Schriftsteller. Jean-Luc Lagarce, Olivier Py oder René Pollesch sind zugleich ihre eigenen Regisseure (siehe hierzu bspw. Stefanie Schmitz, 230). Und Dario Fo betritt, wie Klaus Ley ausarbeitet, agitatorisch “in seiner Doppelfunktion als ‘autore/ attore’” (165) wortwörtlich die Bühne. Dramatische Texte nehmen, so legt Wilfried Floeck dar, eine “hybride Position zwischen Literatur und Theater” (134) ein. Und kritisch macht Gunther Nickel darauf aufmerksam, dass Autoren wie Peter Hacks, die dem Regietheater abgeneigt gegenüberstehen, heute von den Bühnen Europas weitgehend verschwunden sind. Die Rückkehr des Autors muss also relativiert werden, zeichnen die Beiträge doch einen Autor, der die Kluft von Dramentext und Bühnenperformanz, von ecriture dramatique und ecriture scenique, von Autoren- und Regietheater überwindet und mit dem verschwundenen Literaten nur noch wenig gemein hat. Die Reise durch die Theaterlandschaft Europas, Russlands und Nordamerikas ist vielseitig, auch wenn hier nur wenige Impressionen geschildert werden können und viele lesenswerte Aufsätze gänzlich unberücksichtigt bleiben. Der Band stellt mit seinen 16 Beiträgen ein reiches Panorama des “Theaters seit den 1990er Jahren” vor, blickt aber auch weiter zurück in die Theatergeschichte und Kulturpolitik der einzelnen Länder. Nicht zuletzt erhält der Leser einen Überblick über die Förderung neuer Dramatik, wie sie an den zahlreichen Preisen und Wettbewerben ablesbar ist und teilweise auch kontrovers - beispielsweise als Vermarktung serieller Produktion (vgl. Sörgel, 122) - diskutiert wird. Dabei bleibt die Anthologie ihrem Gegenstand treu, und dieser ist in erster Linie die Dramatik, dann erst ihre Autoren. Die Verbindung von dramatischem und theatralem Schaffen wird konstatiert. Die Frage nach der Dynamik dieser Prozesse bleibt aber weitgehend offen, was den Band nicht minder zum Objekt anregender Lektüre macht. München J OSEF B AIRLEIN Christine Felbeck. Erinnerungsspiele. Memoriale Vermittlung des Zweiten Weltkrieges im französischsprachigen Gegenwartsdrama. Mainzer Forschungen zu Drama und Theater; Bd. 38. Tübingen: Francke, 2008, 377 Seiten. Die Erinnerungs- und Gedächtniskultur des Zweiten Weltkrieges ist um die Jahrtausendwende von einer Epochenschwelle geprägt. In der Literatur folgt auf die Zeugnisse Überlebender die Erinnerungsliteratur der Nachgeborenen, die diesen Krieg nur medial vermittelt erfahren können. Die kulturwissenschaftlich orientierte Dissertation Christine Felbecks geht davon aus, dass die “jenseits der Schwelle” (12) schreibende zweite Autorengeneration sich ihrer Erinnerungs- und Vermittlungsproblematik bewusst ist und untersucht die textuellen Strategien memorialer Vermittlung in fünfzehn französischsprachigen Dramen, die alle “die Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg als Rückblick handlungsrelevant inszenieren” (22). Felbecks Generationenbegriff orientiert sich dabei an der in der Holocaust- Forschung üblichen Terminologie Karl Mannheims sowie Heinz Budes, wobei hier aber auch der 1939 geborene Dramatiker Jean-Claude Grumberg schon der zweiten Generation (Jahrgänge 1940-1970) zugerechnet wird. Der erste Teil der Studie formuliert den Untersuchungsgegenstand und führt zunächst in den Forschungsstand zur französischsprachigen Gegenwartsdramatik und zu Erinnerung und Gedächtnis ein. Felbecks erfreuliche Untersuchung von bislang noch kaum erforschten französischsprachigen Gegenwartsdramatikern greift aufgrund der spärlichen Forschungsliteratur auch auf parawissenschaftliche Texte zurück (Rezensionen, Internetquellen usw.), wobei die von ihr für die Arbeit durchgeführten Autorenbefragungen, die im Anhang noch einmal abgedruckt sind, “als Ausgangspunkt eigener Hypothesenbildung dienen” (20). Der Gefahr, dass die Stellungnahmen der Autoren (die übrigens weitergehende Informationen für zukünftige Forschungsarbeiten bieten) die Studie zu stark lenken, entgeht Felbeck glücklicherweise dank ihrer kritischen Distanz. Forum Modernes Theater, Bd. 24/ 1 (2009), 90-92. Gunter Narr Verlag Tübingen Rezensionen 91 Die terminologischen und erinnerungstheoretischen Voraussetzungen der Arbeit etabliert Felbeck, indem sie zunächst die einflussreichsten Erinnerungstheorien resümiert, die eine Verortung von Prozessen der Memoria-Phänomene im Spannungsfeld zwischen Individuum, Kollektiv und Kultur ermöglichen. ‘Memoria’ wird dabei in der Tradition der antiken Rhetorik als Sammelbezeichnung für Gedächtnis und Erinnerung verstanden, wobei ‘Gedächtnis’ im Assmannschen Sinn eine Integrationseinheit höherer Ordnung für die Erinnerungen ist, letztere sind einzelne, disparate Akte, sich das im Gedächtnis Gespeicherte bewusst zu machen (vgl. 24-26). Neben den erinnerungstheoretischen Konzepten von Maurice Halbwachs, Aby Warburg, Pierre Nora sowie Aleida und Jan Assmann, die das kollektive Gedächtnis als identitäts- und kontinuitätsstiftendes Medium begreifen, beachtet die Autorin auch die Umbesetzung und Verschiebung in den Gedächtnislandschaften sowie die Interaktion zwischen Bild und Schrift: Die Verbindung von Memoria und topischen Verfahren in der ‘ars memorativa’ und der ‘ars inveniendi’ der antiken Rhetorik sowie Renate Lachmanns Verständnis der Intertextualität als Gedächtnis der Texte, durch die sich Kultur immer wieder neu und umschreibt. Felbeck übernimmt für ihre Studie die Assmannsche Terminologie der drei unterschiedlichen Gedächtnisformen, da so die Schwellensituation der von ihr fokussierten Dramatiker erfasst werden kann: Sie befinden sich “in der Übergangssituation, selbst aus einem kollektiv-kulturell vermittelten Fundus zu schöpfen, zugleich aber wieder in diesen einzugehen und als Mediatoren das kulturelle Gedächtnis für zukünftige Generationen zu prägen” (45) und stehen somit im Spannungsfeld von kommunikativem, kollektivem und kulturellem Gedächtnis des Zweiten Weltkriegs. Die Autorin lehnt jedoch die Vorstellung von einem singulären kulturellen Gedächtnis ab, weil sie davon ausgeht, dass die Dramen gerade angesichts der Holocaust-Thematik mehrere sich überlagernde kollektive Gedächtnisse zeitgenössischer Erinnerungskulturen inszenieren. Ebenso versteht Felbeck Medien nicht nur als Gedächtnisspeicher, es interessieren sie im Sinne von Vittoria Borsò auch die “Einschreibungen der Alterität in die Materialität des Mediums” (46). Für die Textanalysen sind demnach neben Gedächtnis- und Identitätsdiskursen auch mögliche Spuren von Differenz- und Fremderfahrung oder traumatischen Erfahrungen, die sich in Störungen und Leerstellen in der Narration usw. äußern können, sowie intertextuelle Spuren bedeutend. Felbeck interessiert sich somit auf einer thematischen Ebene für das “Gedächtnis im Drama” sowie für die Konstruktionsprinzipien der Dramen als “Gedächtnis des Dramas” (47). Im zweiten Teil der Studie wird nun in aufmerksamen Textanalysen erforscht, wie die fünfzehn Dramen Erinnerung als ein Schreiben auf der Schwelle verhandeln. Während Jean-Claude Grumbergs L’Atelier und auch Patrick Kermanns A dies durch die Einbindung ihrer Einzelstücke in einen Gesamtzusammenhang markieren, vermitteln die übrigen Theaterstücke es über eine in den Text verlagerte Sprachschwellen-, Ortsschwellen- oder Bewusstseinsschwellen-Dramaturgie. Yoland Simons Adieu Marion, Enzo Cormanns Berlin, ton danseur est la mort und Toujours l’orage sowie Serge Kribus’ Le grand retour de Boris S. inszenieren Erinnerung und ihre Vermittlung vordergründig als sprachliches Problem (Aufbrechen von Schweigen, Generationenkonflikt usw.) und verbinden dies häufig mit einer theatralischen Selbstthematisierung, so dass die Überwindung der Sprachschwelle konkret als ‘inszeniertes Erinnerungsspiel’ erfolgt. Gérard Auberts Le voyage sowie Jean Paul Wenzels und Bernard Blochs Vater Land - Le Pays de nos pères verbinden Erinnerung und Vermittlung mit einer Reise durch Raum und Zeit. Eugène Durifs L’Arbre de Jonas und Gilles Boulans Kinderzimmer verknüpfen Erinnerung mit spezifisch semantisierten Topographien, wobei hier die Erinnerungsarbeit mal besonders vom topographischen Rand aus gegen das Vergessen des Verbrechens am Gedächtnisort geschieht oder auch durch die memoriale Funktion von Ruinen und Spuren, die die Vergangenheit in die Gegenwart topographisch eingeschrieben hat. Roland Fichets Plage de la Libération dekonstruiert den die Erinnerung entstellenden lieu de mémoire Résistance, während Bernard Chartreux’ Violences à Vichy den Ort der Kollaborationsregierung auf- 92 Rezensionen greift und Fragmente des non-lieu de mémoire Kollaboration inszeniert. Jean Manuel Florensas Auschwitz de mes nuits, Jean Claude Grumbergs Rêver peut-être und Patrick Kermanns Leçon de ténèbres zeigen eine Dramaturgie der Bewusstseinsschwellen, wobei von einer Dichotomie zwischen Tag/ Bewusstsein und Nacht/ Unterbewusstsein ausgegangen wird, in der ein “nächtliches Theater der lebenden Toten” (262) die Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg wieder als Erinnerungsspiel inszeniert. In dem die Analyseergebnisse zusammenführenden dritten Teil der Studie erkennt Felbeck neben den dominanten Schwellendramaturgien auch eine “Rhetorik des Damals und Heute” (263), da alle Stücke als erinnernde Rückblicke konzipiert sind und so den Einbezug des kollektiven und kulturellen Gedächtnisses der Rezipienten ins Erinnerungsspiel herausfordern. Dies wird durch die Aufsprengung der Fabel in disparate und dissoziative Erinnerungsakte verstärkt. Ebenso zeigt sich häufig eine Auflösung des dramatischen Antagonismus und eine zerstückelte und von Schweigen durchsetzte Sprache der Erinnerung, die als Archiv und Einschreibungsort des kollektiven und kulturellen Gedächtnisses gleichzeitig auch widerständige Diskurse eines Gegengedächtnisses birgt, die durch intertextuelle, intermediale und interdiskursive Verfahren vermittelt werden. Mit Recht verweist Felbeck darauf, dass die textuellen Strategien der Dramen die “Totalität des einen Textsinns” (268) vermeiden. Sie hätte zugleich noch erwähnen können, dass die zweite Autorengeneration somit auch das Problem der Erinnerung und Vermittlung des Zweiten Weltkrieges teilweise dem Rezipienten übergibt. Obwohl die Bedeutung der Inszenierungsbedingungen für den Rezeptionsakt beispielsweise bei der Analyse von Patrick Kermanns A durchaus schon aufgezeigt wird, hätte man sich in diesem Kontext noch gewünscht, dass dies bei den übrigen Erinnerungsspielen in Felbecks sehr lesenswerter Studie auch noch mehr beachtet worden wäre. Gießen I NA H ATZIG Eli Rozik. Generating Theatre Meaning. A Theory and Methodology of Performance Analysis. Brighton, Portland: Sussex Academic Press, 2008. 292 pages. This is a remarkable book. It is one of the few to have appeared in recent times that deal with all the basic theoretical issues concerning theatre, without avoiding or neglecting even the most difficult and controversial issues, such as language or acting. At the same time, Eli Rozik’s book, divided into three parts, remains scholarly in its basic methodological approach, avoiding intuitive or subjective commentary, and trying to preserve its quality of being verifiable not only by its inner logic but also by theatre practice. The latter is shown in Part III, which provides superb examples of performance analysis, based on theoretical assumptions raised and discussed in earlier chapters. Even though most of the issues and concepts presented in this volume are not entirely new, and have been discussed by Rozik in his previously published, highly original works, they are often given a new touch here, clarifying or enriching their intellectual refinement. But this is not just a collection of previously published essays. Many of the chapters included in this volume are new, such as the ones that discuss the concept of the implied direct and the implied reader (chapters 10-11). In times when theory as such has become suspect, and attempts to define or demarcate literary and artistic works are rejected on ideological grounds as ultraconservative, if not reactionary, the appearance of Rozik’s book is even more welcome as a voice that elevates the discussion to a level suitable for a serious intellectual exchange of thought. In Rozik’s book, the reader will find an abundance of information and detailed description concerning practically every aspect of theatrical performance, including the use of the new media on stage, or even the border cases of installations that under certain circumstances become theatrical (as Robert Wilson’s H.G., discussed separately in chapter 16). The possible exception is, perhaps, music, discussed only in passing (the word does not even appear in the index), but this is, I believe, the Achilles’ heel of theatre studies in general. We still have not learned how to describe music Forum Modernes Theater, Bd. 24/ 1 (2009), 92-94. Gunter Narr Verlag Tübingen Rezensionen 93 without indulging in highly metaphoric language; even the best scholars in the area of theatre theory often neglect the musical aspect of performances. Another gap in the otherwise thorough discussion of practically all issues connected with theatre, is the somewhat insufficient attention paid to the discussion of the significance of objects (and lights), not only in their phenomenal presence on the stage, but also in the role they play in generating meaning. Theatre is substance-specific, and meaning is created not only through the creation of some fictional entity, but through the relationship of that fiction to the material substance of its signifier, which differs in every production. We evaluate the originality and artistry of a given production predominately on the basis of the selection, combination and modeling of the substances and bodies used, and not only by their ability to create fictional realms (or illusion). The same applies to the use of language on the stage, which, in theatrical transmutation loses many of its systemic features, becoming ‘stage-speech’, inseparably merged with the material substance of the performance. In this respect, Rozik’s discussion is lengthy, deep and persuasive, especially when proving the iconicity of stage-speech. Similarly, his discussion of such important issues as theatre conventions or stage metaphors and symbols is persuasive and inspiring. In a brief review one cannot deal with equal attention with all the aspects of theatre theory. Of the great abundance of issues dealt with in the book, I will mention only a few, concentrating on those which I consider Rozik’s most important contribution to our knowledge and understanding of theatre. Of these, the most essential is the proposed theory of acting, treated, quite rightly, as the quintessence of theatre, and based on Rozik’s brilliant concept of the deflection of reference (chapter 5). Even though I do not agree with every aspect of the author’s treatment of acting, I admire the depth with which all sorts of interlinked problems and issues are tackled. Rozik himself modestly admits that his book is not definitive: he closes with the comment that “this volume is a preliminary phase in the development of a sound theory of the performance-text and an effective method of performance analysis. None of its assumptions and conclusions should be taken for granted. Each new performance analysis should lead to their re-examination” (276). Thus, in the beginning of his discussion of acting, which I find most stimulating, Rozik enumerates five premises (78), which are the following: 1. Acting is seen as the “deflection of reference”, with the latter treated as the fundamental principle of theatre 2. Deflection of reference makes possible the description of fictional entities 3. Deflection of reference characterizes both human and non-human [sic! ] acting 4. The triadic distinction actor/ text/ character is more appropriate than the usual dyadic distinction actor/ character 5. The mediation of a performance-text creates two existential gaps: between the enacting mechanism and the text, and between the text and the enacted fictional world 6. Whereas the affinity between theatre and other dramatic arts is fundamental, the similarity between it and other performative arts, based on bodily experience, is marginal. In what follows, all the enumerated issues are discussed in detail. Basically, as Rozik would have it, deflection of reference means the change of the deictic axis from the actor to the fictional figure. The ‘I’ of the actor, his/ her points of temporal and spatial reference, is transposed on to the fictional being, who ever that might be. The extreme case would involve a signaled erasure or suspension of the ‘self’, as when the actor is playing an object. Deflection of reference applies, therefore, to the mechanism or the fundamental rule of the theatre, by which fiction can be created by a live actor, or, as Rozik would put it, “the mechanism that enables actors to iconically describe fictional entities, thus making possible the description of a fictional world” (80). I find the discussion of this fundamental issue fascinating and inspiring, although on several of the questions involved, I do not agree with the author. For instance, the ability of the actor to signal his/ her consciousness of time and space is absolutely essential for any attempt to transpose his/ her ego or deixis on to a fictional being; this is why I cannot accept Rozik’s claim that animals and objects can be actors in any other 94 Rezensionen sense than a metaphoric one. Naturally, they can take part in performance, and play an important part in it, but they cannot by themselves, without a human agent, signal their changed deictic axis, and pretend they are set at a different time and a different space, and that they live or exist at a different present time evolving in front of our, the spectators’, eyes. Also, I cannot agree that it is only the actor who produces a text of a fictional figure on the stage: the figure results from a whole network of relationships between many other components of the performance-text, such as the utterances and behaviour of other actors, their costumes, the stage-set, music, lights, choreography etc. All of these contribute to the mental construct we call ‘character’, which is not the creation of the actions and utterances of single actor. And the final meaning of the ‘character’ is the relationship of that mental structure to the phenomenology of the stage (theatre is substance-specific), and that includes not only the body of the actor, but also his/ her costume, wig, make-up, and all the other visible and audible elements of the staging. Apart from these minor reservations, the chapter on acting is superb, also in its refutation of widely held opinions and of the writings of such influential writers as Erving Goffman or Richard Schechner. On the other hand, Rozik reminds his readers of the important contribution to theatre research made by Roman Ingarden, which in many ways anticipates the works of other, better known writers and of widely accepted theories, such as speech-act theory. Perhaps the most controversial is chapter 6, in which the author tackles the difficult issue of the dramatic text and whether it is or is not a literary genre. Rozik is of the opinion that it is a “commonplace fallacy” to see “playscripting as a specific form of literary activity”. Instead, he suggests that “play analysis should not only be reintegrated into theatre research, but also be perceived as one of its cornerstones, of performance analysis in particular” (90). This has been an on-going critical dispute for at least half a century, and the conclusions drawn are contradictory and incompatible. I only wonder what most Shakespearean scholars would say in reaction to Rozik’s statement that the playscript (by which he means the dramatic text) is a ‘deficient text’ when compared to the performance-text, or how they would respond to the assertion that Hamlet “is only a notation of the verbal components of the eventual dialogue, lacking all the additional non-verbal components necessary to disambiguate its component speech acts” (60). Now, it may be said, for instance, that the performance-text does not necessarily disambiguate its component speech acts (not to mention the fact that one has to agree to employ the speech act theory to performance analysis); instead, it may and often does create new ambiguities. The performance-text does not necessarily fill in all the gaps (or ‘spots of indeterminacy’, to use Ingarden’s term) contained in the dramatic text, but it certainly creates new ones. Nevertheless, Rozik is certainly right when he calls for the relationship between the two texts to be studied in terms of ‘intertextuality’ (this is also presented in practice in the analysis of Georg Büchner’s Woyzeck in chapter 17). Again, space does not allow for a more detailed discussion, and I have mentioned only some of the issues discussed, only in order to indicate to the reader that Rozik’s book is not free of controversial or provocative statements. But they never fail to be the result of a serious approach and deep insight. I cannot imagine any serious theoretical discussion of theatre, without taking Eli Rozik’s impressive volume into account. Even if one does not agree with Rozik, the fascinating ways in which he constructs and directs his argumentation, both in theory and in performance analysis, are always inspiring. I admit to being one of those who, in spite of some differences of opinion, are certainly under his spell. University of Gdañsk J ERZY L IMON Rezensionen 95 Gabriele Brandstetter, Bettina Brandl-Risi, Kai van Eikels (Hgg). SchwarmEmotion. Bewegung zwischen Affekt und Masse. Rombach-Wissenschaften. Reihe Scenae. Bd. 3. Freiburg i.Br. u.a.: Rombach, 2007, 335 Seiten. Der Begriff des ‘Schwarms’ hat Konjunktur. Aus dem biologischen Bereich wurde er übertragen auf politische, soziale sowie kulturelle Phänomene und hat gute Aussichten, zu einem kulturwissenschaftlichen Paradigma zu werden. Das Phänomen der Selbstorganisation eines dynamischen Kollektivs, die nicht nach hierarchischen, vorhersehbaren Regeln verlaufe und sich zudem einer exakten Bestimmung entziehe, scheint attraktiv für Adaptionen zu sein, gerade auch für Disziplinen, die sich mit Konzepten von ‘Bewegung’ beschäftigen. Der Sonderforschungsbereich Kulturen des Performativen an der FU Berlin legt nun Aufsätze vor, die zwischen 2005 und 2007 zum Thema ‘Bewegung, Rhythmus, Raum’ entstanden sind, organisiert unter dem mehrdeutigen Titel-Kompositum SchwarmEmotion zu Bewegung zwischen Affekt und Masse. Nach einer sechzig Seiten starken, von den Herausgebern und Ulrike Zellmann verfassten Einleitung, in der Fragestellungen des Forschungsvorhabens aufgefächert werden, widmen sich die sechs Beiträge im ersten Teil des Buchs dem Phänomen ‘Schwarm’, die sechs Beiträge im zweiten Teil der ‘(E)Motion’. Gabriele Brandstetter, Initiatorin des Projekts, macht in ihrem Beitrag über Schwarm und Schwärmer. Übertragungen in/ als Choreographie deutlich, worin die Produktivität des Schwarm-Begriffs für die Forschung zu Theater, Tanz und Performance liegt: “Die […] Minimal-Definition von Schwarm- Bewegung formuliert Basis-Regeln der Angleichung und Ausrichtung, die das Verhältnis von Einzelnem und Menge (Schwarm) stets neu als Einheit definieren. Zugleich wird aus dieser Bewegungs-Steuerungs-Anleitung deutlich, dass das Phänomen des Schwarms nicht exakt zu definieren und abzubilden ist. Eben diese Unschärfe und Unvorhersehbarkeit markieren ein entscheidendes Strukturmoment der Performativität von Schwärmen” (69). Die notwendige Unschärfe in der Beschreibung des Phänomens und dessen dynamische, nicht-mimetische, ephemere, emergente Erscheinung (im Rekurs auf Hans Ulrich Gumbrecht, der mit einem kursorischen Text ebenfalls in diesem Band vertreten ist) verbänden den Schwarm mit der theatralen Performance. Gleichzeitig erlaubt der Gegenstand bzw. dessen Zugehörigkeit zum semantischen Feld des ‘Schwärmens’, mithin also der Affekttheorie, ein zentrales Problem der neueren theaterwissenschaftlichen Forschung in den Blick zu nehmen, nämlich die emotionale (movere) und kinästhetische Affiziertheit des Betrachters/ Beobachters/ Teilhabers. Der Beobachter eines Schwarms, so Brandstetter, sei mit diesem “co-emergent” (73). Schwarm und Schwärmen eröffneten eine “Umspringzone zwischen Überblicks-Figur und Ein- Pendeln in eine Kollektiv-Körperbewegung” (91). Erläutert wird dies am Beispiel eines inszenierten dargestellten ‘Schwarms’, dem “Walzer der Schneeflocken” im Ballett Der Nussknacker von 1892, sowie der zeitgenössischen Choreographie Verosimile von Thomas Hauert, in der über den Prozess der Synchronisierung des Gehens der Betrachter “in einer Situation der Übertragung […] im ‘Pendeln’ von außen und nach innen einbezogen ist”. (91) Die Bewegtheit des Betrachters wirkt auf das Ereignis zurück. Kai van Eikels Beitrag Diesseits der Versammlung. Kollektives Handeln in Bewegung: Ligna, “Radioballett” erhellt diese dynamische Übertragungsbeziehung am Beispiel einer Performance der Gruppe Ligna, die im Mai 2002 für eine Viertelstunde auf dem Hamburger Hauptbahnhof ein Radioballett organisierte. Per Radiosendung wurden die Teilnehmer zu bestimmten Bewegungen aufgefordert, die sie auf dem Bahnhofsgelände ausführten und so in das Alltagsgeschehen intervenierten: “[Das Radioballett] erprobt, welche Wirkungen es haben kann, wenn man sich nur bewegt. Es verwendet die Bewegung als Medium der Übertragung von Impulsen zur Bestimmung und Bewertung von Anwesenheit. Teilnehmende auf der einen Seite, Zuschauer auf der anderen - die Erfahrung, sich jeweils so zu bewegen, wie sie es tun, vermittelt beiden, in welchem Maße sie dort sind, wo sie sind” (108). Forum Modernes Theater, Bd. 24/ 1 (2009), 95-96. Gunter Narr Verlag Tübingen 96 Rezensionen Die Passanten wurden - als Angehörige einer anonymen Masse - mit einer “lokalen Mehrheit von Vernetzten” (111) konfrontiert, einem Schwarm-Phänomen. Van Eikels glückt hier gleichermaßen eine treffende Beschreibung eines Phänomens wie die Anwendung und Problematisierung der zu Grunde gelegten Fragestellung. Das gelingt nicht in allen Beiträgen: So ist etwa Marc Glödes Text Verschlungene Bewegungen und Farben: Filme, Tänze, Farblichtspiel, eine Kurzdarstellung zu Kinetik und Farbe im frühen und im Avantgarde-Film, informativ, passt aber nur oberflächlich zu den spezifischen Aspekten des Schwarm-Konzepts und bringt auch (beispielsweise zum Thema Tanz im Film, zu Loïe Fuller) keine neuen Erkenntnisse. Bettina Brandl-Risi, die dritte Herausgeberin, nimmt einen Ausschnitt aus Thomas Bernhards Gehen zum Anlaß, aus dessen “Übertragungsszenario von äußerer Bewegung auf die Bewegung des Denkens” (302), weiterdrehend, ein Konzept zu Lektüren in Bewegung zu entwickeln. Sie nimmt movere als “ein Bewegen/ Bewegt-Werden ohne Ziel” (303), um, wie ihr Titel formuliert, ein Szenario der Effekte virtuoser Dynamisierungen des Lesens zu entwerfen. Dass “Denken nichts mit Geschwindigkeit zu tun hat”, so wiederholt im Bernhard-Text (301f), damit setzt sie sich nicht auseinander. Die Begeisterung, aus der Sozio-Biologie und anderen Paradigmata neue Horizonte für die eigene Disziplin zu gewinnen, prägen die heterogenen, vielfältigen Beiträge dieses Bandes. Eine Problematisierung leistet Christel Weiler, die ein szenisches Projekt zur Schwarmdynamik leitete und resümiert: “Ist es nicht immer schon eine Projektion von Bildern des Gelingens und reibungslosen Funktionierens, die wir auf Schwärme projizieren? ” Die Beschäftigung mit dem ‘Schwarm’ also als Rückübertragungsphänomen und “letzte Utopie” (156)? Statt die einzelnen Beiträge, die im Bezugsfeld des Forschungsprojekts entstanden sind, vorzustellen, möchte ich - um im Bild zu bleiben - auf deren Movens sowie die konstatierte Begeisterung über das Schwarmphänomen eingehen. Denn wie die Titelformulierung schon anzeigt, liegt in der Spannbreite der komponierten Begriffe von ‘Schwarmmotion’ bis ‘Emotion’ der Hauptfokus auf dem Phänomen der Übertragung, auf dem Zusammendenken von innerer und äußerer Bewegung: ‘E-Motion’. In der Einleitung wird vom “Effekt der Übertragung” (13f, 24 u.ö.) ausgegangen und so Bewegung von der Übertragung her aufgefasst, als ein Wirkendes, das “stets in einer anderen Bewegung” (14) mündet. Anders sei sie nicht zu fassen: “Bewegungen […] lassen sich nur durch Bewegungen beobachten” (15). Eine solcherart performative Auffassung prägt auch die Bemühungen um eine Affekttheorie der Bewegung. Ein perspektivierendes Referat von movere-Diskursen der antiken Rhetorik und des 18. Jahrhunderts, das Shiften zwischen Etymologien und aktuellen Gebrauchsweisen von Begriffen sowie die Berufung u.a. auf Derridas Konzepte zur Metapher oder das psychoanalytische Konzept der Übertragung führen zur methodischen Folgerung, die “mangelnde Konkretisierbarkeit” und Dynamik des movere-Begriffs mache gerade die “zu beschreibenden Phänomene in ihrer Qualität als transformative […] evident” (53). Der Band empfiehlt sich nicht als einführende Lektüre, zumal solch eine Immunisierung nicht automatisch zu befriedigenden Einsichten führt. Aber der Ansatz wie die produktive Auseinandersetzung mit dem ‘Schwarm’-Phänomen regen zur Diskussion an in einem Feld, in dem Theorien des Permormativen mit Konzepten von Bewegung interagieren. München K ATJA S CHNEIDER Autorinnen und Autoren Josef Bairlein M.A. realisiert derzeit sein Promotionsvorhaben zur „Performanz konnektiver Produktionsprozesse in Theater und Kunst“ im Rahmen des LMUexcellent- Projekts „Networking. Zur Performanz distribuierter Ästhetik“ (Leitung Christopher Balme) an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Forschungsschwerpunkte sind Performance Art, Netzkunst, Theatertheorie, Theorie und Ästhetik neuerer Medien. (josef.bairlein@web.de) Herbert Blau ist Byron W. and Alice L. Lockwood Professor of the Humanities an der University of Washington. Seine letzten Bücher waren Sails of the Herring Fleet: Essays on Beckett (2000), Nothing in Itself: Complexions of Fashion (1999) und The Dubious Spectacle: Extremities of Theater (2002). Zur Zeit arbeitet er an seinen Forschungsprojekten As If: An Autobiography und Reality Principles: From the Absurd to Virtuality. (hblau@u.washington.edu) Ann-Christin Focke promoviert derzeit an der Ludwig-Maximilians-Universität München zum zeitgenössischen politischen Theater. Sie studiert außerdem Politikwissenschaft an der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt/ Main. (acfocke@yahoo.de) Danièle G. Daude, Dr. phil., ist Musik- und Theaterwissenschaftlerin. Sie promovierte zum Thema Opernanalyse am Beispiel des Theaters von Ruth Berghaus (2009) und ist seit 2008 Lehrbeauftragte an der Humboldt- Universität zu Berlin. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Operngeschichtsschreibung und Opernanalyse als Technik und Diskurs. Zur Zeit arbeitet sie an einem Forschungsprojekt zu Islambildern in der Opera Seria. (galibydaude@web.de) Ina Hatzig, Dr. phil., ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Romanistik der Justus-Liebig-Universität Gießen. Zu ihren jüngsten Publikationen zählt Der moderne Kapitalismus im Theater. Michel Vinaver im Kontext des französischen Gegenwartsdramas (2005). Ihre Schwerpunkte in Forschung und Lehre sind Französisches Theater mit einem Fokus auf das Gegenwartstheater. (Ina.P. Hatzig@romanistik.uni-giessen.de) Jerzy Limon ist Professor für Englische Sprache und Literatur an der Universität Gdañsk, Polen. Seine Forschungsschwerpunkte sind englisches Drama und Theater und seine Geschichte im 16. und 17. Jahrhundert sowie Theatertheorie. 2008 erschien seine Studie zur Theorie des “Fernseh-Theaters”, Obroty przestrzeni (Moving Spaces). Seine Aufsätze sind in verschiedenen Zeitschriften erschienen, u.a. Theatre Research International, Shakespeare Jahrbuch, Journal of Drama Theory and Criticism and Cahiers Élisabéthains. Sein neuestes Buch The Chemistry of the Theatre wird 2010 bei Palgrave McMillan erscheinen. (jjj.limon@ neostrada.pl) Forum Modernes Theater, Bd. 24/ 1 (2009), 97-98. Gunter Narr Verlag Tübingen 98 Autorinnen und Autoren Katja Schneider Julia Stenzel, Dr. phil., seit Februar 2009 Habilitationsprojekt zur „Reformulierung der Antike“ (gefördert im Rahmen von Bayern excellent),. Das Habilitationsprojekt ist assoziiert an die DFG-Forschergruppe „Anfänge (in) der Moderne“ (LMU München). Forschungsschwerpunkte: cognitive performance studies, Interdisziplinaritätsforschung, Tanztheater in Deutschland, Rezeption des Attischen Dramas in Früher Neuzeit und Moderne. (julia.stenzel@lmu.de) Barbara Mailos Tibaldi ist Mitarbeiterin am Forschungszentrum für Neuestes Musiktheater Sound and Movement (SaM) der Theaterwissenschaft an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Im Feld des neuesten, viele Grenzen überschreitenden Musiktheaters ist auch ihr Dissertationsprojekt bei Prof. Dr. Jürgen Schläder angesiedelt. (barbara.scherm@campus.lmu.de) David Whitton ist Professor of European Languages and Literatures an der Lancaster University (England). Er hat eine Reihe von Büchern zur Theatergeschichte geschrieben, vor allem zu Regisseuren, Inszenierungen und Comparative Drama. Zur Zeit arbeitet er an einer Geschichte des Theaters in Frankreich. David Whitton ist Generalsekretär der International Federation for Theatre Reseach (FIRT/ IFTR). (d.whitton@lancaster.ac.uk) Die Autorinnen und Autoren Josef Bairlein M.A. realisiert derzeit sein Promotionsvorhaben zur „Performanz konnektiver Produktionsprozesse in Theater und Kunst“ im Rahmen des LMUexcellent-Projekts „Networking. Zur Performanz distribuierter Ästhetik“ (Leitung Christopher Balme) an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Forschungsschwerpunkte sind Performance Art, Netzkunst, Theatertheorie, Theorie und Ästhetik neuerer Medien. (josef.bairlein@web.de) Herbert Blau ist Byron W. and Alice L. Lockwood Professor of the Humanities an der University of Washington. Seine letzten Bücher waren Sails of the Herring Fleet: Essays on Beckett (2000), Nothing in Itself: Complexions of Fashion (1999) und The Dubious Spectacle: Extremities of Theater (2002). Zur Zeit arbeitet er an seinen Forschungsprojekten As If: An Autobiography und Reality Principles: From the Absurd to Virtuality. (hblau@u.washington.edu) Ann-Christin Focke promoviert derzeit an der Ludwig-Maximilians-Universität München zum zeitgenössischen politischen Theater. Sie studiert außerdem Politikwissenschaft an der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt/ Main. (acfocke@yahoo.de) Danièle G. Daude, Dr. phil., ist Musik- und Theaterwissenschaftlerin. Sie promovierte zum Thema Opernanalyse am Beispiel des Theaters von Ruth Berghaus (2009) und ist seit 2008 Lehrbeauftragte an der Humboldt-Universität zu Berlin. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Operngeschichtsschreibung und Opernanalyse als Technik und Diskurs. Zur Zeit arbeitet sie an einem Forschungsprojekt zu Islambildern in der Opera Seria. (galiby-daude@web.de) Ina Hatzig, Dr. phil., ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Romanistik der Justus- Liebig-Universität Gießen. Zu ihren jüngsten Publikationen zählt Der moderne Kapitalismus im Theater. Michel Vinaver im Kontext des französischen Gegenwartsdramas (2005). Ihre Schwerpunkte in Forschung und Lehre sind Französisches Theater mit einem Fokus auf das Gegenwartstheater. (Ina.P.Hatzig@romanistik.uni-giessen.de) Jerzy Limon ist Professor für Englische Sprache und Literatur an der Universität Gdañsk, Polen. Seine Forschungsschwerpunkte sind englisches Drama und Theater und seine Geschichte im 16. und 17. Jahrhundert sowie Theatertheorie. 2008 erschien seine Studie zur Theorie des “Fernseh-Theaters”, Obroty przestrzeni (Moving Spaces). Seine Aufsätze sind in verschiedenen Zeitschriften erschienen, u.a. Theatre Research International, Shakespeare Jahrbuch, Journal of Drama Theory and Criticism and Cahiers Élisabéthains. Sein neuestes Buch The Chemistry of the Theatre wird 2010 bei Palgrave McMillan erscheinen. (jjj.limon@neostrada.pl) 100 Die Autorinnen und Autoren Katja Schneider Julia Stenzel, Dr. phil., seit Februar 2009 Habilitationsprojekt zur „Reformulierung der Antike“ (gefördert im Rahmen von Bayern excellent),. Das Habilitationsprojekt ist assoziiert an die DFG-Forschergruppe „Anfänge (in) der Moderne“ (LMU München). Forschungsschwerpunkte: cognitive performance studies, Interdisziplinaritätsforschung, Tanztheater in Deutschland, Rezeption des Attischen Dramas in Früher Neuzeit und Moderne. (julia.stenzel@lmu.de) Barbara Mailos Tibaldi ist Mitarbeiterin am Forschungszentrum für Neuestes Musiktheater Sound and Movement (SaM) der Theaterwissenschaft an der Ludwig-Maximilians- Universität München. Im Feld des neuesten, viele Grenzen überschreitenden Musiktheaters ist auch ihr Dissertationsprojekt bei Prof. Dr. Jürgen Schläder angesiedelt. (barbara.scherm@campus.lmu.de) David Whitton ist Professor of European Languages and Literatures an der Lancaster University (England). Er hat eine Reihe von Büchern zur Theatergeschichte geschrieben, vor allem zu Regisseuren, Inszenierungen und Comparative Drama. Zur Zeit arbeitet er an einer Geschichte des Theaters in Frankreich. David Whitton ist Generalsekretär der International Federation for Theatre Reseach (FIRT/ IFTR). (d.whitton@lancaster.ac.uk) Die Autorinnen und Autoren Josef Bairlein M.A. realisiert derzeit sein Promotionsvorhaben zur „Performanz konnektiver Produktionsprozesse in Theater und Kunst“ im Rahmen des LMUexcellent-Projekts „Networking. Zur Performanz distribuierter Ästhetik“ (Leitung Christopher Balme) an der Ludwig- Maximilians-Universität München. Forschungsschwerpunkte sind Performance Art, Netzkunst, Theatertheorie, Theorie und Ä s t h e t i k n e u e r e r M e d i e n . ( j o sef.bairlein@web.de) Herbert Blau ist Byron W. and Alice L. Lockwood Professor of the Humanities an der University of Washington. Seine letzten Bücher waren Sails of the Herring Fleet: Essays on Beckett (2000), Nothing in Itself: Complexions of Fashion (1999) und The Dubious Spectacle: Extremities of Theater (2002). Zur Zeit arbeitet er an seinen Forschungsprojekten As If: An Autobiography und Reality Principles: From the Absurd to Virtuality. (hblau@u.washington. edu) Ann-Christin Focke promoviert derzeit an der Ludwig-Maximilians-Universität München zum zeitgenössischen politischen Theater. Sie studiert außerdem Politikwissenschaft an der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt/ Main. (acfocke@yahoo.de) Danièle G. Daude, Dr. phil. ist Musik- und Theaterwissenschaftlerin. Sie promovierte zum Thema Opernanalyse am Beispiel des Theaters von Ruth Berghaus (2009) und ist seit 2008 Lehrbeauftragte an der Humboldt-Universität zu Berlin. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Operngeschichtsschreibung und Opernanalyse als Technik und Diskurs. Zur Zeit arbeitet sie an einem Forschungsprojekt zu Islambildern in der Opera Seria. (galiby-daude@web.de) Ina Hatzig, Dr. phil. ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Romanistik der Justus-Liebig-Universität Gießen. Zu ihren jüngsten Publikationen zählt Der moderne Kapitalismus im Theater. Michel Vinaver im Kontext des französischen Gegenwartsdramas (2005). Ihre Schwerpunkte in Forschung und Lehre sind Französisches Theater mit einem Fokus auf das Gegenwartstheater. (Ina.P.Hatzig@romanistik.uni-giessen.de) Jerzy Limon ist Professor für Englische Sprache und Literatur an der Universität Gdañsk, Polen. Seine Forschungsschwerpunkte sind englisches Drama und Theater und seine Geschichte im 16. und 17. Jahrhundert sowie Theatertheorie. 2008 erschien seine Studie zur Theorie des “Fernseh-Theaters”, Obroty przestrzeni (Moving Spaces). Seine Aufsätze sind in verschiedenen Zeitschriften erschienen, u.a. Theatre Research International, Shakespeare Jahrbuch, Journal of Drama Theory and Criticism and Cahiers Élisabéthains. Sein neuestes Buch The Chemistry of the Theatre wird 2010 bei Palgrave McMillan erscheinen. (jjj.limon@ neostrada.pl) Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Postfach 25 60 · D-72015 Tübingen · Fax (0 7071) 97 97-11 Internet: www.francke.de · E-Mail: info@francke.de A. Francke Erika Fischer-Lichte Theaterwissenschaft Anders als andere Einführungen geht diese - gemäß dem aktuellen Stand des Fachs - vom Aufführungsbegriffaus und erläutert vor diesem Hintergrund die Grundlagen der Theaterwissenschaft. Anhand konkreter Beispiele werden sowohl die speziellen methodischen Probleme des Fachs erör ter t als auch die Beziehungen zwischen Theaterwissenschaft und anderen Disziplinen dargestellt. Ein Literaturverzeichnis, ein Glossar und ein Register runden den Band ab. Erika Fischer-Lichte Theaterwissenschaft Eine Einführung in die Grundlagen des Fachs UTB M 2009, X, 270 Seiten, € 19,90/ SFr 35,90 ISBN 978-3-8252-3103-3 Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Postfach 25 60 · D-72015 Tübingen · Fax (0 7071) 97 97-11 Internet: www.francke.de · E-Mail: info@francke.de Der Band untersucht italienische, deutsche, französische, russische, kroatische, polnische sowie englische/ amerikanische Theaterstücke, welche eine oder mehrere reale oder fiktive Künstlerpersönlichkeiten zum zentralen Personal zählen und auf je eigene Weise ästhetische bzw. gesellschaftliche Tendenzen reflektieren. Die Beiträge, die sich auch mit Vorgeschichte und Weiterentwicklungen, Kontinuitäten, Br üchen und Wechselbeziehungen befassen, sind als Materialien zu einer Geschichte des Künstlerdramas angeordnet. Frank Göbler (Hrsg.) Das Künstlerdrama als Spiegel ästhetischer und gesellschaftlicher Tendenzen Mainzer Forschungen zu Drama und Theater 41 2009, 306 Seiten, € 58,00/ SFr 98,00 ISBN 978-3-7720-8345-7