Forum Modernes Theater
0930-5874
Narr Verlag Tübingen
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2020
311-2
Balmeenthält das Themenheft: Europe’s Staging - Staging Europe herausgegeben von Nicole Haitzinger und Stella Lange Forum Modernes Theater Inhalt: Heft 1 Christopher Balme (München) . Editorial 5 Aufsätze Meike Wagner (Stockholm) . Das Spiel der Liebhaber - Ästhetische Bildung im bürgerlichen Amateur-Schauspiel 7 Johanna Zorn (München) . Lange weilen können Maßlose Dauer und begrenzte Zeiterfahrung in einer Ästhetik des Durativen 26 Tamara Yasmin Quick (München) . Methodologische Diskurse der aktuellen Probenforschung - Zwischenbericht aus einer (noch jungen) Forschungsdisziplin in der Theaterwissenschaft 39 Birgit Peter (Wien) . Vorwort zu „Ich sehe was, was du nicht siehst “ Modi der Kritik 64 Melanie Reichert (Kiel) . Artaud, Barthes und der Mythos der Kritik Überlegungen zu den Bedingungen der Möglichkeit einer Verbindung von Theater und Kritik 65 Lucie Ortmann (Leipzig) . Das kritische Potential des Zeigens Brett Baileys Exhibit Series im / als Netzwerk visueller Wieder-Holungen 76 Sara Tiefenbacher (Wien) . Mobilität der Kritik am Beispiel von Holzfällen. Eine Erregung 90 Anna Volkland (Berlin) . „Brauchen Sie Kunst? Wenn ja: wozu? “ Institutionskritik im Stadttheater der BRD nach 1968 101 Marcel Behn (Bern) . Theaterwissenschaft als ethopoietische ‚feedback-Schleife‘ Überlegungen zu einer disziplinären ‚Sorge um sich‘ anhand von Gasparo Angiolinis Marionettenballett 113 Heft 2 · Themenheft: Europe’s Staging - Staging Europe Nicole Haitzinger (Salzburg) & Stella Lange (Innsbruck) . Europe’s Staging - Staging Europe 125 Lorenz Aggermann (Giessen) . Singspiel - A Proto-European Phenomenon? A contemporary practice of theatre, its genealogy and its potentiality 130 Antonia Egel (Salzburg) . ‘Pulse of Europe’ - FlashMob - Symphony Schiller’s Ode to Joy and Beethoven’s Ninth Symphony as Soundtrack at Public ‘Stagings’ of Europe 142 Nicole Haitzinger (Salzburg) . Europa: Resonances of the Mythological Figure in Contemporary Theatre 150 Stella Lange (Innsbruck) . Staging Transitory Europe Precarious Re-enactment Variations from Le Birgit Ensemble’s Memories of Sarajevo to Milo Rau’s The Dark Ages 160 Elisabeth Tropper (Luxembourg/ Trier) . Enter the Ghosts of Europe: Haunting and Contemporary Theatre 175 Karsten Forbrig (Nantes) . “Leaving and Remaining” - The Staging of Europe in the Work of Maxi Obexer 187 Michelle Cheyne (Dartmouth) . Leaving Lethe for the Bardo: Staging the Disembodied Voices and Silent Bodies of Lampedusa Migrants in the Underworld of Europe 198 Rezensionen Forum Modernes Theater ∙ Band 31 ∙ 2020 ∙ ISSN 0930-5874 2020 Band 31 FmTh_ZS_2015_31_02.indd 1,3 FmTh_ZS_2015_31_02.indd 1,3 21.01.2020 14: 20: 01 21.01.2020 14: 20: 01 FORUM MODERNES THEATER begründet von Günter Ahrends (Bochum) herausgegeben von Christopher Balme (München) Schriftleitung: Berenika Szymanski-Düll (München) in Verbindung mit Evelyn Annuß (Wien),Wolf-Dieter Ernst (Bayreuth), Doris Kolesch (Berlin), Peter Marx (Köln), Martin Puchner (Cambridge, Mass.), Kati Röttger (Amsterdam), Gerald Siegmund (Gießen), Meike Wagner (Stockholm) und Matthias Warstat (Berlin) FORUM MODERNES THEATER erscheint zweimal jährlich. Das Jahresabonnement kostet € 72,-, das Einzelheft € 45,- (jeweils zzgl. Postgebühren).Vorzugspreis für private Leser € 60,- (zzgl. Postgebühren/ Lieferung und Rechnung an Privatadresse), sofern Sie dem Verlag schriftlich mitteilen, dass Sie die Zeitschrift ausschließlich für den persönlichen Gebrauch beziehen. Erfolgt keine Abbestellung bis zum 15. November, so verlängert sich das Abonnement automatisch um ein Jahr. Wir bieten zusätzlich ein kombiniertes Print- & Online-Abonnement sowie ein ausschließliches Online-Abonnement an. Bitte kontaktieren Sie den Verlag. Publikationssprachen: Deutsch, Englisch Für unverlangt eingesandte Manuskripte wird keine Gewähr übernommen. Die Richtlinien für die Eingabe von Manuskripten können unter http: / / www.meta.narr.de/ zeitschriften/ stylesheetfmth.pdf abgerufen werden. Eine Verpflichtung zur Besprechung unverlangt eingesandter Bücher besteht nicht. www.forum-modernes-theater.de Anschrift der Schriftleitung: Dr. Berenika Szymanski-Düll Ludwig-Maximilians-Universität Institut für Theaterwissenschaft Georgenstraße 11 80799 München fmt@lrz.uni-muenchen.de Rezensionsexemplare bitte senden an: Prof. Dr.Wolf-Dieter Ernst Theaterwissenschaft GW1 Zimmer 2.18 Universitätsstr. 30 95447 Bayreuth W.Ernst@uni-bayreuth.de Anschrift des Verlags: Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG, Dischingerweg 5, D-72070 Tübingen Fax +49 (0 70 71) 97 97 11,Tel. + 49 (0 70 71) 97 97 0 Internet: www.narr.de, eMail: info@narr.de Hannah Fissenebert Das Märchen im Drama Eine Studie zu deutschsprachigen Märchenbearbeitungen von 1797 bis 2017 Forum modernes Theater 1. Auflage 2019, 313 Seiten €[D] 78,00 ISBN 978-3-8233-8314-7 e ISBN 978-3-8233-9314-6 Das Märchendrama stellt innerhalb der deutschsprachigen Dramatik eine eigene Tradition dar. Die Studie zieht erstmalig eine große Linie von der Romantik bis in die Gegenwartsliteratur. Die Relevanz dieses Korpus für die Dramenliteratur zeigt sich in den vielfältigen intertextuellen, reflexiv-kritischen Perspektiven und zeitgenössischen Fragestellungen der Märchenbearbeitungen. Methodisch verbinden sich medien- und gattungstheoretische Fragestellungen mit kultur- und sozialhistorischen Aspekten, um die bislang unterschätzte Verwandtschaft des Märchens mit dem Theater greifbar zu machen. THEATERWISSENSCHAFTEN Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG \ Dischingerweg 5 \ 72070 Tübingen \ Germany Tel. +49 (07071) 97 97-0 \ Fax +49 (07071) 97 97-11 \ info@narr.de \ www.narr.de FmTh_ZS_2015_31_02.indd 4,6 FmTh_ZS_2015_31_02.indd 4,6 21.01.2020 14: 20: 01 21.01.2020 14: 20: 01 Inhalt Christopher Balme (München) Editorial . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 Aufsätze Meike Wagner (Stockholm) Das Spiel der Liebhaber - Ästhetische Bildung im bürgerlichen Amateur-Schauspiel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 Johanna Zorn (München) Lange weilen können. Maßlose Dauer und begrenzte Zeiterfahrung in einer Ästhetik des Durativen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 Tamara Yasmin Quick (München) Methodologische Diskurse der aktuellen Probenforschung - Zwischenbericht aus einer (noch jungen) Forschungsdisziplin in der Theaterwissenschaft . . . . . . . . . . . . . . 39 Birgit Peter (Wien) Vorwort zu „ Ich sehe was, was du nicht siehst. “ Modi der Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 Melanie Reichert (Kiel) Artaud, Barthes und der Mythos der Kritik. Überlegungen zu den Bedingungen der Möglichkeit einer Verbindung von Theater und Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 Lucie Ortmann (Leipzig) Das kritische Potential des Zeigens. Brett Baileys Exhibit Series im / als Netzwerk visueller Wieder-Holungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 Sara Tiefenbacher (Wien) Mobilität der Kritik am Beispiel von Holzfällen. Eine Erregung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 Anna Volkland (Berlin) „ Brauchen Sie Kunst? Wenn ja: wozu? “ Institutionskritik im Stadttheater der BRD nach 1968 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 Marcel Behn (Bern) Theaterwissenschaft als ethopoietische ‚ feedback-Schleife ‘ . Überlegungen zu einer disziplinären ‚ Sorge um sich ‘ anhand von Gasparo Angiolinis Marionettenballett . . 113 Themenheft: Europe ’ s Staging - Staging Europe Nicole Haitzinger (Salzburg) & Stella Lange (Innsbruck) Europe ’ s Staging - Staging Europe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 Aufsätze Lorenz Aggermann (Giessen) Singspiel - A Proto-European Phenomenon? A contemporary practice of theatre, its genealogy and its potentiality. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 Antonia Egel (Salzburg) ‘ Pulse of Europe ’ - Flash Mob - Symphony. Schiller ’ s Ode to Joy and Beethoven ’ s Ninth Symphony as Soundtrack at Public ‘ Stagings ’ of Europe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 Nicole Haitzinger (Salzburg) Europa: Resonances of the Mythological Figure in Contemporary Theatre . . . . . . . . . 150 Stella Lange (Innsbruck) Staging Transitory Europe. Precarious Re-enactment Variations from Le Birgit Ensemble ’ s Memories of Sarajevo to Milo Rau ’ s The Dark Ages . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 Elisabeth Tropper (Luxembourg/ Trier) Enter the Ghosts of Europe: Haunting and Contemporary Theatre . . . . . . . . . . . . . . . . 175 Karsten Forbrig (Nantes) “ Leaving and Remaining ” - The Staging of Europe in the Work of Maxi Obexer . . . 187 Michelle Cheyne (Dartmouth) Leaving Lethe for the Bardo: Staging the Disembodied Voices and Silent Bodies of Lampedusa Migrants in the Underworld of Europe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 Rezensionen Matthias Warstat, Florian Evers, Kristin Flade, Fabian Lempa und Lilian Seuberling (Hg.), Applied Theatre. Rahmen und Positionen (Simon Gröger) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 Johanna Zorn, Sterben lernen: Christoph Schlingensiefs autobiotheatrale Selbstmodellierung im Angesicht des Todes (Lore Knapp) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 Marita Tatari, Kunstwerk als Handlung. Transformationen von Ausstellung und Teilnahme (Marten Weise) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 Lorenz Aggermann, Georg Döcker und Gerald Siegmund (Hg.), Theater als Dispositiv. Dysfunktion, Fiktion und Wissen in der Ordnung der Aufführung (Julia Schade) . . . . 217 Autorinnen und Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 Umschlagabbildung: „ Königin Europa “ von Johannes Putsch, © Museum Retz - Förderverein. © 2020 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · 72070 Tübingen Die in der Zeitschrift veröffentlichten Beiträge sind urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte, insbesondere das der Übersetzung in fremde Sprachen, vorbehalten. Kein Teil dieser Zeitschrift darf ohne schriftliche Genehmigung des Verlages in irgendeiner Form - durch Fotokopie, Mikrofilm oder andere Verfahren - reproduziert oder in eine von Maschinen, insbesondere von Datenverarbeitungsanlagen, verwendbare Sprache übertragen werden. Auch die Rechte der Wiedergabe durch Vortrag, Funk- und Fernsehsendung, im Magnettonverfahren oder ähnlichem Weg bleiben vorbehalten. Fotokopien für den persönlichen und sonstigen eigenen Gebrauch dürfen nur von einzelnen Beiträgen oder Teilen daraus als Einzelkopien hergestellt werden. Jede im Bereich eines gewerblichen Unternehmens hergestellte oder benützte Kopie dient gewerblichen Zwecken gem. § 54 (2) UrhG und verpflichtet zur Gebührenzahlung an die VG WORT, Abteilung Wissenschaft, Goethestraße 49, 80336 München, von der die einzelnen Zahlungsmodalitäten zu erfragen sind. Internet: www.narr.de eMail: info@narr.de Satz: typoscript GmbH, Walddorfhäslach CPI books GmbH, Leck ISSN 0930-5874 Gefördert vom Forschungsschwerpunkt ‚Kulturelle Begegnungen - Kulturelle Konflikte‘ der Leopold-Franzens-Universität Innsbruck Editorial Christopher Balme (München) Sometimes miracles are possible. So it is with Forum Modernes Theater. Careful readers may have noticed that the journal has now been renumbered. For some years now the editorial team has been struggling to fill in gaps that were caused by delays in publication. We have been slowly reducing a five year time lag with the help of double issues but ultimately there was no way to produce enough issues of the journal to catch up. The exact reasons for this delay have receded into the mists of time and are probably only understood or remembered by one or two people, and, like the notoriously complex Schleswig-Holstein question of the nineteenth century, at least one of those, myself, has meanwhile forgotten the answer. Thanks to the persistent questioning and complaining of a young contributor, who was unable to explain to her university why an article published in 2018 and which she submitted in 2017 appeared with the year 2014 on the cover, a decision was taken. After some deliberation the editors and publishers decided to “ o ’ er leap ” the five years between 2013 and 2018 and recommence numbering in the latter year. While this may seem somewhat odd, it is in fact not unusual with journals, which, for whatever reason, suspend publication for one or more years, and recommence after a delay. We have had a short transitional period which has resulted in a discrepancy between the dates on the hard copy and those on the digital versions (https: / / elibrary.narr.digital/ journal/ fmth). For example, the physical copy of Volume 29, issues 1 - 2, ‘ Theatre as Critique ’ , displays the year 2014 on its cover, the ejournal library of the publisher, December 2018. Scientific journal indices such as Clarivate Analytics and other platforms require consistent unambiguous numeration. Such indices cannot cope with double dating such as 2019 (2015), which would be a more accurate representation of the actual dates whereby the journal bears the year 2014 but appears in 2019. Fortunately, perhaps, this is not possible in the brave new world of analytics and citation indices, which do, indeed, register Forum Modernes Theater and its articles. For this reason, the physical copy of volume 31 (2020) that you are holding was actually published in 2020! My thanks to the executive editor, Berenika Szymanski- Düll, for her tireless work and determination, to Kathrin Heyng at Narr Verlag for making the change possible, and to Isabella Draghici, without whose persistence we would not have been motivated to make the change. This volume is presented as a double issue. Number 1 contains a combination of freely submitted articles (Wagner, Zorn, Quick) and a focus section curated by Birgit Peters (Vienna). The latter is entitled „ Ich sehe was, was du nicht siehst “ , and comprises five papers by emerging scholars, which were originally presented at the Frankfurt congress of the Gesellschaft für Theaterwissenschaft in 2016 (so finally! ). For an introduction to the articles themselves, see the foreword by Birgit Peters. The second number is a focus issue on the topic of ‘ Staging Europe ’ , guest edited by Nicole Haitzinger (Salzburg) and Stella Lange (Innsbruck). The authors engage with the question Europe today and how it is represented on stage. The editors identify three trends which are reflected in the articles: Forum Modernes Theater, 31/ 1-2 (2020), 5 - 6. Gunter Narr Verlag Tübingen DOI 10.2357/ FMTh-2020-0001 through the forms of documentary or investigative theatre; through reflection on Europe ’ s multiple histories, and via political activism. The articles themselves demonstrate that these three trends are often in fact interwoven and do not represent genres so much as different emphases found in combination in the works examined. 6 Christopher Balme Das Spiel der Liebhaber - Ästhetische Bildung im bürgerlichen Amateur-Schauspiel Meike Wagner (Stockholm) Von der These ausgehend, dass die ‚ Verbürgerlichung ‘ des Theaters um 1800 ohne das ‚ mainstreaming ‘ durch die zahlreichen Liebhaber-Theater der Zeit nicht plausibel erklärbar ist, möchte ich anhand eines herausragenden Beispiels von Theater-Liebhaberei, der Privattheater-Gesellschaft Urania (1792 - 1944), der Historiographie des bürgerlichen Theaters eine andere Perspektive geben. Im Fokus auf die frühe Phase der Urania bis zu den 1830er Jahren lässt sich verdeutlichen, wie stark die aufklärerische Bildungsidee im Spannungsverhältnis zwischen historischer ‚ Bürgerbühne ‘ und dem professionellen Schauspiel der Zeit in die gesellschaftlichen Verhältnisse hineinwirkte. Der sittliche Bürger entwickelt eine Identität als Schauspieler - ausgezeichnet mit Gewandtheit, Sprache, Belesenheit - , der Schauspieler als sittlicher Bürger - ausgezeichnet mit Studium, Anstand, Bescheidenheit. Dadurch wird erkennbar, dass die Amateurpraxis in einem urbanen Umfeld wie Berlin das ‚ missing link ‘ darstellt zwischen einer theoretischen Idee von ästhetischen Bildung und der voll entfalteten Institutionalisierung von bürgerlichem Theater. Es ist ein Kuriosum der Theaterhistoriographie: Historische Quellen berichten von einer grassierenden Theatromanie 1 um 1800, vom leidenschaftlichen Streben der Bürger aller Klassen und Stände, in halböffentlichen Zirkeln Theater zu spielen, historiographische Studien zum Amateurtheater der Zeit aber sind rar und meist auf einen prominenten Protagonisten fokussiert. Über die Massierung des Phänomens wissen wir wenig. 2 Heute, da Bürgerbühnen zur Spielpraxis der großen Häuser gehören und Amateuren vielfache Handlungsmöglichkeiten in Kunst und Theater eingeräumt werden, wird es allerdings möglich und auch nötig, das Denken nicht vollständig vom Paradigma der Professionalität und des Kunsttheaters bestimmen zu lassen. Daher möchte ich mit diesem Beitrag die Perspektive einer Theaterhistoriographie des frühen 19. Jahrhunderts erweitern und die sich in Vereinen organisierenden Liebhabertheater der ‚ modernen ‘ Bürger um 1800 in die Diskussion um die Etablierung des bürgerlichen Theaters einfügen. Der historische Übergang von einem professionellen nicht-sesshaften Theater zu stehenden bürgerlichen Theaterbühnen erklärt sich im gängigen historischen Diskurs mit dem ‚ Auftritt ‘ von literarischen Theaterreformern und deren Durchsetzungskraft gegenüber den ‚ reisenden Komödianten ‘ . So formuliert etwa Susanne Eigenmann fast exemplarisch für eine literarisierende Perspektive auf die Theatergeschichte um 1800: Die Theaterreformer schaffen kein völlig neues Theater in einem Vakuum, sondern ihre Ideen verändern die vorgefundenen traditionellen Strukturen der Wanderbühnen, erschaffen in einem allmählichen Prozeß die Institution Theater, wie es sie vorher nicht gegeben hat, und beseitigen damit das Wandertruppentheater. 3 Dieser „ allmähliche Prozeß “ erscheint hier recht unvermittelt und von konkreter Thea- Forum Modernes Theater, 31/ 1-2 (2020), 7 - 25. Gunter Narr Verlag Tübingen DOI 10.2357/ FMTh-2020-0002 terpraxis abgehoben dargestellt. Der Blick auf die Amateurpraxis erlaubt demgegenüber eine wesentlich performative Perspektive im Butlerschen Sinne: Erst durch das konstant wiederholte Tun materialisiert sich die Normativität des bürgerlichen Theaters. Dies geschieht im geschützten Rahmen des Theater-Vereins, der jedoch - wie ich darstellen werde - durch die große Anzahl seiner an die stehenden Theaterbühnen überwechselnden Dilettanten, sein bürgerliches Konzept von Theater in die Institution hineinträgt und dort weiter entfaltet. Wenn man diese Übergänge und Vernetzungen zwischen Amateurpraxis und Berufspraxis und deren Institutionen genau betrachtet, so lässt sich feststellen, dass wir es hier mit einem substantiellen Faktor für die Etablierung und Durchsetzung des bürgerlichen Theaters als dominierendes Modell zu tun haben. Meine These lautet daher, die ‚ Verbürgerlichung ‘ des Theaters ist ohne das ‚ mainstreaming ‘ durch die zahlreichen bürgerlichen Liebhabertheater um 1800 nicht plausibel erklärbar und hat in der Zeit durchaus Relevanz für die Etablierung einer bürgerlichen Gesellschaft und Kulturpraxis. Anhand eines herausragenden Beispiels von Theater-Liebhaberei möchte ich daher der Historiographie des bürgerlichen Theaters eine andere Perspektive geben, in der die Privattheater-Gesellschaft Urania (1792 - 1944) die Hauptrolle spielt. Ich werde mich auf die frühe Zeit der Urania von 1792 bis ca. 1830 beschränken, da man für diese Zeit die Entfaltung der ästhetischen und sittlichen Bildungsidee in der performativen und geselligen Praxis fokussiert darstellen kann. Nur im Spannungsverhältnis zwischen historischer ‚ Bürgerbühne ‘ und dem professionellen Schauspiel der Zeit lässt sich verdeutlichen, wie stark diese Bildungsidee in die gesellschaftlichen Verhältnisse hineinwirkte. Der sittliche Bürger entwickelte eine Identität als Schauspieler, ausgezeichnet mit Gewandtheit, Sprache, Belesenheit. Im Gegenzug dazu bildete sich der Schauspieler zum sittlichen Bürger, ausgezeichnet mit Studium, Anstand, Bescheidenheit. In dieser doppelten Perspektive steht nun mit der theatralen Ausbildung ein Modell ‚ emanzipativen ‘ 4 Bürgertums im Zentrum, das sich eng mit den politischen und sozialen Konzeptionen einer nach-absolutistischen Gesellschaftsvision verbindet. Damit unterscheidet sich dieses Amateur-Schauspiel deutlich sowohl von einem adeligen Liebhabertheater älterer Prägung, als auch von frühen Formen von Schultheater wie etwa dem humanistischen Jesuitentheater, das seit dem 17. Jahrhundert regelmäßig praktiziert wurde. Anhand der hier präsentierten analytischen Tiefbohrungen im Archiv der Urania wird erkennbar, dass die bürgerliche Amateurpraxis in einem urbanen Setting wie Berlin das Bindeglied darstellte zwischen einer theoretischen Idee von ästhetischer Bildung, welche die professionellen Wandertruppen abschätzig verwirft, und einer zum Ende des 19. Jahrhunderts hin voll entfalteten Institutionalisierung von bürgerlichem Theater. Schillers Liebhaber In den ersten Kapiteln seiner wirkmächtigen Schrift „ Über die ästhetische Erziehung des Menschen “ liefert Friedrich Schiller am Ende des 18. Jahrhunderts eine Zeitdiagnose. Durchrationalisiert und utilitaristisch konditioniert ist der Mensch sich selbst entfremdet. Die Weltbeziehungen sind verstummt 5 , das Spiel und die ästhetische Empfindsamkeit müssen neu belebt werden, um durch Schönheit zur Freiheit 6 zu kommen. Nur noch der Ausnahme-Begabung gelänge es, sich nicht völlig vom Broterwerb aufreiben zu lassen, aber das mittelmäßige Talent verzehrt in dem Geschäfte, das ihm zum Antheil fiel, die ganze karge Summe seiner Kraft, und es 8 Meike Wagner muß schon kein gemeiner Kopf seyn, um, unbeschadet seines Berufs, für Liebhabereyen übrig zu behalten. Noch dazu ist es selten eine gute Empfehlung bey dem Staat, wenn die Kräfte die Aufträge übersteigen, oder wenn das höhere Geistesbedürfniß des Mannes von Genie seinem Amt einen Nebenbuhler giebt. So eifersüchtig ist der Staat auf den Alleinbesitz seiner Diener, daß er sich leichter dazu entschließen wird, (und wer kann ihm unrecht geben? ) seinen Mann mit einer Venus Cytherea als mit einer Venus Urania zu theilen. 7 Während die fleischliche Liebe, verkörpert von Venus Cytherea, wohl noch als ‚ Nebentätigkeit ‘ zu akzeptieren war, durfte der geistigen Liebe, verkörpert von Venus Urania, in Konkurrenz zum Gewerbe keinesfalls gehuldigt werden. Wie verhält es sich nun, wenn im Jahre 1792, also ziemlich nah an der Entstehungszeit von Schillers Text (1793/ 1795), eine Gruppe von acht Handwerkern, Bediensteten und Gewerbetreibenden der ‚ Liebhaberey ‘ eine feste Größe in ihrem Leben einräumte, indem sie eine Privattheater-Gesellschaft gründete, die sie dann 1794 offiziell Urania nannte? Der Berliner Theater-Verein wird im Verlauf seiner Geschichte die Venus Urania in den Mittelpunkt einer schöngeistigen Verehrung stellen und seiner ‚ Schutzgöttin ‘ an Festtagen regelmäßig huldigen. Schillers Text, oder gar das oben Zitierte, steht sicher in keinem engeren Zusammenhang mit der Gründung des Theater-Vereins Urania. Dennoch beschreibt Schiller eine historische Situation, mit der sich die Vereinsmitglieder ohne weiteres identifizieren lassen. Sie alle strebten nach einer Verwirklichung ihres ‚ ästhetischen Bedürfnisses ‘ , sie thematisierten unentwegt, die ‚ schöne Bildung ‘ und die ‚ harmonische Geselligkeit ‘ , die ihnen durch das Liebhabertheater ermöglicht würde. So bekennt 1794 ein Mit- Abb. 1: Venus Urania, Theaterzettel von 1827, Detail 9 Das Spiel der Liebhaber - Ästhetische Bildung im bürgerlichen Amateur-Schauspiel glied, „ lediglich dem Vergnügen und der Bildung zufolge Schauspieler “ in Urania geworden zu sein. 8 Doch war diese theatrale Tätigkeit noch lange nicht als bürgerliches Vergnügen anerkannt. Das Mitglied Sander etwa musste 1801 zurücktreten: „ Schon lange habe ich gegen ortodoxe Meinungen meiner Familie, in Ansehung des Komödienspiels gekämpft “ 9 , doch das Veto der Älteren wog zu schwer. Gleichzeitig standen die Theater- Liebhaber generell unter dem ständigen Verdacht, ihre Kräfte an eine Tätigkeit zu verschwenden, die dem Staatswohl, und vor allen Dingen dem Staatswohlstand, Einbußen verursachte. 10 Mit Blick auf die Organisationsform des Theater-Verein kann man konstatieren, dass die Uranier eine Doppelstrategie der Verbürgerlichung vollzogen. Zum einen war der Verein ein Instrumentarium, um bürgerliche Handlungs- und Diskursformen sowie bürgerliche Identität auszubilden, zum anderen eigneten sie sich das Medium Theater als ein wesentlich bürgerliches an, in dem sie sich ihre Theaterpraxis innerhalb des Vereins nach ausgewählten bürgerlichen Modellen ausbildeten. Versuchsweise materialisierte sich innerhalb dieser geschützten Räume die Vision einer bürgerlichen städtischen Gesellschaft. Man muss sich vor Augen halten, dass in einer Stadt wie Berlin die männlichen Bürger der Mittelschicht, die sich Mitgliedsgebühren und Zeitaufwand leisten konnten, überwiegend in einem der vielzähligen Vereine Mitglied waren. 11 Oft waren sie sogar mehrfach in verschiedenen Vereinen engagiert, die sehr differenzierte Interessen vertraten. Einige Merkmale waren jedoch allen gemeinsam: flach hierarchische Organisationsform mit proto-demokratischen Verfassungen, stark betonte, jedoch nur vage ausformulierte ‚ bürgerliche ‘ Bildungsziele, und halb-öffentliche Diskussions- und Repräsentationsformen. In der Broschüre zum 100. Geburtstag der Urania (1892) setzte Oskar Sauerwald, der damalige Generalsekretär des Vereins, bereits auf der ersten Seite die Gründung des Vereins in den Zusammenhang mit Schillers Aufsatz „ Die Schaubühne als eine moralische Anstalt betrachtet “ (1784). In Folge der Rezeption dieser Ideen hätte man die Theaterbühne nun als ganz für die „ Bildung des Volkes thätige Institutionen “ 12 betrachtet. Auch zählte Sauerwald Schillers Dramen, neben denen von Gotthold Ephraim Lessing, August von Kotzebue und August Wilhelm Iffland, zu den ersten Theatertexten, die zunächst im geselligen Kreis gelesen, dann aufgeführt wurden. In seinem Rückblick erscheint Schiller als maßgeblicher und einzigartiger Impulsgeber, jedoch muss man natürlich berücksichtigen, dass schon sehr viel früher, mit dem Einsetzen der Nationaltheater-Idee ab der Mitte des 18. Jahrhunderts speziell in Bezug auf eine ‚ stehende Bühne ‘ ein Bildungsdiskurs zu reifen begann. 13 Der Konnex zwischen ästhetischer Bildung, Theaterinstitutionalisierung, bürgerlicher Identität und Amateur-Praxis spielte aber erst zum Ende des Jahrhunderts hin, quasi in einer Art von zweiten Welle, oder Phase der Breitenwirksamkeit der Nationaltheateridee, eine große Rolle und fand in Schillers Konzeption von ästhetischer Erziehung eine Verbündete. 14 Es gibt in den Dokumenten zu Urania 15 keine direkten Hinweise auf ein Einwirken von Schillers ästhetischer Theorie. Dennoch möchte ich vorschlagen, die Praxis der Privattheater-Gesellschaften um 1800, und insbesondere Urania, im Zusammenhang mit dem aufklärerischen Diskurs um ästhetische Bildung, wie er sich seit Baumgartens Aesthetica (1750) breit entfaltete, zusammen zu denken. Salopp formuliert könnte man sagen, dass die bürgerliche Geselligkeit und Theaterpraxis in den Privattheater-Gesellschaften eine Art von ‚ mainstreaming ‘ bewirkten, indem sie, wie von Schiller inten- 10 Meike Wagner diert, die Entwicklung von ästhetischem Kunstsinn mit der Idee einer Entfaltung von sittlichen Grundsätzen für eine bessere (Staats-)Ordnung verbanden. 16 In diesem Zusammenhang ist auch der Spielplan der Urania passgenau gewählt. Bis in die 1820er Jahre lässt sich eine starke Dominanz von Kotzebues Schauspielen ausmachen, gefolgt von Ifflands bürgerlichen Familiendramen. Obgleich das Liebhabertheater hier schlicht dem Repertoire des Königlichen Theaters folgt, so kann man in den wiederholten Diskussionen um die Stückauswahl das spezifische Bedürfnis nach einer angemessenen bürgerlichen Unterhaltung und Belehrung herauslesen. Kotzebue und Iffland boten ein konstantes humanistisch-ästhetisches Grundrauschen, das unaufhörlich in verschiedenen Familien- und Beziehungsgeflechten Sittlichkeit, Moral, Menschenliebe, Geschmacksempfinden, harmonisches Miteinander und durchaus auch von Konventionen befreite Lebensweisen 17 durchdeklinierte. In den angesetzten Stücken wimmelte es nur so von ‚ schönen Seelen ‘ , die sich von unlauteren Motiven und Machenschaften befreiten und ihre rührende Wirkung als ästhetisches Vorbild entfalteten. Dieses Repertoire wurde ab 1802 in einem ca. 290 Plätze fassenden Theatersaal regelmäßig 14tägig aufgeführt. An Urania lässt sich aufzeigen, dass sie in ihrer frühen Phase, eingebettet in den spätaufklärerischen Horizont, wesentliche Grundlagen mit Schiller teilte. Es lassen sich drei große Themenbereiche bestimmen: das Konzept einer egalitären Gesellschaftsordnung, eine Idee absoluter Harmonie und eine Fokussierung auf den Bürger als potentiell ästhetisch-sittlichen Menschen. In den Vereins-Statuten von 1797 wird gleich in den ersten Paragraphen klar ausgedrückt, dass Meinungsbildung und Entscheidungspraxis auf demokratischen Grundlagen stehen sollte: § 1 Alle Mitglieder haben gleiche Lasten, also auch gleiche Rechte, und gleiche Stimmen. § 2 Jedes Mitglied hat das Recht etwas vorzutragen, so wie seine Meinung über das Vorgetragene zu sagen. 18 Natürlich lässt sich hier einwenden, dass die von Urania geforderte und auch intensiv praktizierte Meinungsfreiheit nach außen hin eine starke Abschottung benötigte, um sich überhaupt entfalten zu können. Die Mitglieder untereinander verstanden die freie Rede in den Vereins-Konferenzen, also in den wöchentlichen Sitzungen, als hohes demokratisches Gut. So wird 1830 in der Konferenz an den Zusammenhang von „ republikanischer Einrichtung “ , freier Rede und Verschwiegenheit erinnert: Würde [die] Pflicht [der strengsten Verschwiegenheit] leichtsinnig umgangen oder vernachläßigt, so sei das heilig Recht der freien Rede jedes Mitgliedes in der Konferenz verlezt. Nach unserer republikanischen Einrichtung, könne Niemand über das, was er in der Konferenz gesagt oder besprochen, ausserhalb dem Lokale der Gesellschaft verantwortlich gemacht, angefeindet oder gar belangt werden [. . .] 19 Dass der Zugang zur Mitgliedschaft stark limitiert war und keineswegs jedem diese Vereins-Freiheiten gewährt wurden, war die Kehrseite dieser insulär ‚ republikanischen ‘ Verfasstheit. 20 Im Theater-Verein Urania transformierte die politische Gleichheit in ein absolutes Gebot der Harmonie. Die Gesellschaft musste nach außen notwendig einig erscheinen, Konflikte durften nicht nach außen dringen, aber die Mitglieder ließen auch keinen Versuch aus, Konfliktparteien innerhalb des Vereins miteinander auszugleichen. Symbolische Versöhnungen wurden gefordert und inszeniert, immer zum Besten von Urania - und ‚ das Beste ‘ war die harmonische Vereinigung in der geistigen Liebe zum Schönen. 11 Das Spiel der Liebhaber - Ästhetische Bildung im bürgerlichen Amateur-Schauspiel Eine weitere Gemeinsamkeit mit Schiller war die Fokussierung auf die bürgerliche Mittelschicht, die einen gewissen Bildungsstand pflegte und finanziell unabhängig war. Bekanntlich wies Schiller, durchaus noch ständisch orientiert, für eine Erneuerung der Gesellschaft zum freien Staat dem aufgeklärten Bürger die zentrale Rolle zu. 21 Die Mitglieder Uranias kultivierten genau diesen Bürger als Identitätsmodell. Aufgeklärt und vernünftig sollten die Mitglieder mit der gewährten Meinungsfreiheit im Verein umgehen. In Konfliktsituation wurde immer wieder an Vernunft, Moral und Wohlwollen gegeneinander appelliert. Satisfaktion musste mit einem freundlichen Handschlag gewährt werden, das Duell, in Deutschland erst um 1900 öffentlich kritisch diskutiert, war verpönt. Gleichzeitig wurden ein gehobener Bildungsstand und ein gemeinsamer Literatur- Kanon vorausgesetzt. 22 Bei der Aufnahme neuer Mitglieder wurden die charakterlichen Grundbedingungen mit der Zeit immer genauer ausbuchstabiert. Begnügte man sich in den Statuten von 1797 noch mit der Feststellung der ‚ Unabhängigkeit ‘ , so sind in den zweiten Statuten von 1827, der Verein war inzwischen auf 59 Mitglieder angewachsen, festgelegt, dass sich die Gesellschaft vor der Aufnahme eines Mitgliedes „ über den moralischen Character und übrigen Qualifikationen [. . .] die nöthige Auskunft “ 23 verschaffen musste. Ein jedes Mitglied konnte Fremde, jedoch nur „ aus den anständigen Klassen “ 24 , in die Theatervorstellungen einführen. Auch hier sollte die Gesellschaft dem Ideal des Bildungs- und Wohlstands-Bürgers voll entsprechen. Ganz deutlich spricht sich nun das erstarkte Distinktionsbedürfnis des Bürgerstandes aus, das im Verlaufe des 19. Jahrhunderts aus dem ästhetischen Diskurs herausgelöst wurde und deutlich repressive Züge annahm: nach innen in die normierten bürgerlichen Familien hinein und nach außen im verschärften Stände- und später Klassenkampf. Bis in die 1830er Jahr dominierte noch die Idee von ästhetischer Bildung als Pflege des Schönheitssinns zur Entwicklung des Gemeinwohls (Sittlichkeit). Zu den philanthropischen Grundsätzen gehörten auch eine regelmäßige Spendentätigkeit und die Förderung der ‚ schönen ‘ Anlagen junger Menschen im geselligen Beisammensein. Die ‚ Winter-Vergnügungen ‘ ließen aber auch die Unterhaltung nicht zu kurz kommen. Im Anschluss an die Theater-Vorstellungen wurden regelmäßig Abendessen und Bälle organisiert, bei denen der Wein in Strömen floss und sich durchaus die eine oder andere Liebesbeziehung anbahnte. In diesen Kontext der geselligen Praxis von ‚ sittlichen und freien Bürgern als Schauspieler ‘ war ein Bildungs- und Ausbildungskonzept von ‚ Schauspielern als sittliche und freie Bürger ‘ eingebettet. Die wöchentlichen Vereinssitzungen (Konferenzen) und die 14tägigen Theateraufführungen mit anschließendem ‚ geselligen Vergnügen ‘ trugen gemeinschaftlich zu den bürgerlichen Bildungs-Zielen bei. Gelehrte Schauspieler und sittliche Bürger Bei der ersten Einrichtung der Theater- Gesellschaft Urania, konnte der Hauptzweck nur der sein, den Winter über ein anständiges Vergnügen zu haben, und deshalb Privat- Schauspiele in einem dazu besonders eingerichteten Lokale auf allgemeine Kosten zu unterhalten, und hierdurch, wie schon angedeutet, nicht allein den Winter fröhlich zu verbringen, sondern auch den Zweck damit zu verbinden, daß Individuen, in dem Fache der Mimik, theils zu ihrem eigenen Amüsement, theils um ihre Kunst und ihr Talent der Welt wiederum mitzutheilen, sich zu vervollkommnen suchen. - Dieser Zweck scheinet im Allgemeinen bis jetzt erreicht zu sein, und 12 Meike Wagner soll er auch ferner von der Gesellschaft stets befolgt und im Auge behalten werden. 25 So formulierte die Einleitung der Statuen von 1827 das ‚ mission statement ‘ der Gesellschaft. Der Doppelzweck des Spiels ist deutlich: einerseits die Selbstbildung als schauspielender Bürger zum Privatinteresse, andererseits die Ausbildung zum professionellen Schauspieler, um sich der Welt öffentlich zu zeigen. Dabei war die Schauspiel-Ausbildung in der Zeit in die Phase der subjektzentrierten aufklärerischen Bildung eingebettet, wie sie Wolf-Dieter Ernst in seinen Studien zur Geschichte der Schauspiel-Ausbildung von der früheren rhetorischen und der späteren institutionalisierten Phase unterscheidet. 26 Entsprechend steht bei Urania die Äquivalenz des Schauspielers und des gesitteten bürgerlichen Subjekts im Zentrum, nicht aber die Methode der Ausbildung wie in der institutionalisierten Phase. Die Abstandswahrung zu den wandernden Berufsbühnen und deren Zugang zum Schauspielberuf war dabei erstes Gebot. 27 In der Anfangsphase musste man ein ‚ wirkliches Mitglied ‘ der Urania werden, um mitspielen zu können. Für die Frauenrollen wurden die sogenannten ‚ spielenden Damen ‘ rekrutiert, die nicht als Mitglieder eintreten konnten, jedoch für ihr Spiel Theaterkarten erhielten. Dies waren teilweise Familienangehörige der Mitglieder, teils jedoch auch andere junge Frauen, die über Empfehlung eines Mitglieds zum Spiel gebeten wurden. Zu einzelnen Aufführungen wurden auch Gastspieler eingeladen, teils auch professionelle Kräfte von den Königlichen Bühnen. Später, bei wachsender Mitgliederzahl, spielten nicht mehr alle Mitglieder auf der Bühne, so dass die Rekrutierung des ‚ spielenden Personals ‘ dringlicher wurde und entsprechend strukturierter organisiert sein musste. 28 Es wurde nun bei Bedarf zu Beginn der Spielzeit im September ein Probespiel veranstaltet, zu dem sich junge Debütanten und Debütantinnen melden konnten. Mit dem Regisseur wurde ein Programm von Einzelszenen erarbeitet, mit denen sich die Schauspielaspiranten präsentierten. Abb. 2: Theaterzettel zum Prüfungsspiel, 1833 Regelmäßig hatte die Urania ‚ Abgänge ‘ zu verzeichnen, das hieß, dass die jungen Liebhaber-Schauspieler an einer stehenden Bühne ein Engagement gefunden hatten. Besonders häufig wurden junge Schauspiel- Eleven von den Königlichen Bühnen in Berlin abgeworben. Es gab eine enge Beziehungen zum Theater-Intendanten Iffland (Dir. 1796 - 1814), der sich die talentiertesten Amateure nach erfolgter schauspielerischer Vorbildung sicherte. Auch sein Nachfolger Carl von Brühl (Dir. 1815 - 1828) nutzte die Urania als Ressource für den schauspieleri- 13 Das Spiel der Liebhaber - Ästhetische Bildung im bürgerlichen Amateur-Schauspiel schen Nachwuchs. Man muss sich bei diesen ‚ Austauschbeziehungen ‘ zwischen dem Liebhabertheater und den Königlichen Bühnen vor Augen halten, dass bis zu Beginn der 1820er Jahre die letzteren die einzigen öffentlichen Theaterinstitutionen in der Stadt waren. Die Liebhabertheater 29 , und allen voran Urania, waren also neben den königlichen Bühnen die zweitgrößten Theaterbühnen, die einen regelmäßigen ‚ halböffentlichen ‘ 30 Spielbetrieb aufrecht hielten. Fritz Assmann konstatiert 1922 in seiner Dissertation zu den Theaterschulen in Deutschland im 18. und 19. Jahrhundert, dass es in Berlin, im Gegensatz zu anderen Residenzstädten bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts keinerlei Spuren einer Schauspiel- Ausbildungsstätte gäbe. 31 Es ist deutlich, dass Assmann zu diesem Ergebnis kommen muss, weil er seinen Blick nicht auf die Liebhaber- Aktivitäten richtet. Das ist umso erstaunlicher, da er für Berlin nur die Buddelmeyersche Akademie (1844) anführt. Diese ging zurück auf den Schriftsteller Buddelmeyer (Dr. Adalbert Cohnfeld), der beim preußischen Staat - vergeblich - um die Einrichtung einer Theaterschule und eines Theater- Vereins Didaskalia ansuchte. Anscheinend wollte Buddelmeyer durch die Kombination von Ausbildung und Verein das Erfolgskonzept der Urania kopieren; mit dem Unterschied, dass er ein ausformuliertes Curriculum präsentierte und auf eine kommerzielle Verwertung der Ausbildung zielte. 32 Gerade, weil es keine institutionalisierte Akademie zur Schauspielausbildung in Berlin, und weitestgehend in ganz Deutschland, gab, kann man annehmen, dass die Ausbildung der Urania enorm wirksam war. Umso mehr, da sie eine ungeheure Stabilität und Kontinuität aufwies: Seit 1792 entwickelte sie nachhaltig ihr bürgerliches Theatermodell, das von den jungen Eleven weitergetragen wurde. Wie lässt sich nun argumentieren, die Urania sei eine regelrechte Ausbildungsstätte für angehende Schauspieler gewesen, wenn eben kein Curriculum oder Ausbildungsmethode vorlagen? In der Zeit basierte der Bildungsdiskurs durchaus auf umfassenden Methodik-Überlegungen und der Frage von Lehr-Lernzielen. Es lagen zahlreiche Grundsätze einer Schauspiel-Ausbildung und Schauspiel-Methodik bereits vor. Man denke etwa an Conrad Ekhofs Schauspieler-Akademie (1753, publiziert 1779 33 ), oder die einflussreiche Schauspiel-Theorie Johann Jakob Engels (1785/ 86) 34 , die beide den Schauspieler sowohl zum sittlichen Subjekt als auch zum ‚ gelehrten ‘ Schauspieler bilden wollten. Wenn nun Urania außer den vereinseigenen Regularien zum Probespiel und den disziplinierenden Schauspieler-Gesetzen keine systematische Strukturierung ihrer Schauspiel-Ausbildung erkennen lässt, kann man aus den Quellen dennoch drei Zugänge zu einer Idee von Schauspiel-Methodik herausarbeiten: Zum einen wurden die Akteure der Königlichen Bühnen in Berlin als Modell für ein modernes und angemessenes Spiel betrachtet, zum zweiten hatte Iffland eine herausragende Vorbild- Rolle als Schauspieler, Dramatiker und Schauspiel-Lehrer, und zum dritten entwickelte Urania ein spezielles Bewusstsein von Kritik und Evaluierung der Schauspiel- Aufführungen, die immer das Ziel der Besserung und Bildung der Schauspiel-Eleven haben sollten. Das Königliche Theater in Berlin war das leitende Vorbild. Nicht nur das Repertoire wurde möglichst nachgeahmt, sofern leistbar, sondern auch die Darsteller erfuhren eine besondere Wertschätzung. Der große Fixpunkt war natürlich Iffland, der nicht nur als besonders begabter und gelehrter Schauspieler 35 , sondern auch als Dramatiker und Theaterleiter verehrt wurde. Im Juni 1808 wurde eine Büste Ifflands im Sitzungssaal der Urania aufgestellt mit dem Hinweis des Gründungsmitglieds Bock, die Uranier mögen „ durch allgemeines Bestreben in der 14 Meike Wagner Kunst, diesem als dem größten Künstler Deutschlands nachkommen zu suchen “ 36 . Diese Büste wird im Oktober 1808 für die gemeinsam mit den Königlichen Schauspielern begangene Feier zur Rückkehr Ifflands von seinem Wien-Gastspiel auf der Urania- Bühne, dem in der Mittelloge sitzenden Iffland gegenüber, aufgestellt. Zu dieser Zeit gab es einen regen Austausch zwischen Urania und Königlichem Theater. Garderobe, Stück-Manuskripte und Darsteller (vor allen Dingen Choristen, selten ein Solist als Gast) gingen vom National- Theater als Leihe zu den Liebhabern, und die besten Schauspiel-Eleven gingen den entgegen gesetzten Weg ins Engagement. Die Schauspieler der königlichen Bühne waren die Vorbilder für die jungen Schauspieler der Urania und mussten sich an ihnen messen lassen. Eine Darstellung war gelungen, wenn „ langes Studium und ein gutes Vorbild [. . .] unverkennbar “ 37 waren. Wenn der Darsteller das Modell zu übertreffen suchte, so wurde dieses ‚ Outrieren ‘ - also Übertreiben - kritisiert, da „ [h]ierin [. . .] ein geschätzter Künstler der Königlichen Bühne keineswegs Ihr Vorbild “ 38 sein kann - jener würde sich mäßigen. Die Kinder der Akteure des Königlichen Theaters wurden nach Möglichkeit bevorzugt als Darsteller in die Urania aufgenommen. Die königlichen Schauspieler und ihre Kinder hatten ein konkret strategisches Interesse am Theater der Urania als ‚ Probebühne ‘ . Für junge Leute ohne familiären Bezug zum ‚ Theatergeschäft ‘ war es wesentlich schwieriger, die Risiken des Berufs einzuschätzen. Sie mussten von den Männern an den Schaltzentralen des Betriebes ‚ entdeckt ‘ werden, daher musste der Kontakt zur Berliner General-Intendanz aufwändig gepflegt werden. Nach dem Tod Ifflands (22. 9. 1814) hatte Carl von Brühl zu Beginn des Jahres 1815 die General-Intendanz der Königlichen Bühnen übernommen. Sofort zum Dienstantritt übersandte der Vorstand der Urania ihm Billetts zum freien und ständigen Eintritt in ihre Theateraufführungen. Brühl bedankte sich und versprach, „ so oft es meine Geschäfte erlauben, Gebrauch zu machen. “ 39 Er muss noch im selben Frühjahr die Urania besucht haben, engagierte er doch deren Schauspielerin Emilie Willmann vom Fleck weg. Im Mai 1815 verabschiedete sie sich wehmütig vom liebgewonnenen Theater- Verein und gab Hoffnung auf eine weitere Zusammenarbeit, die der General-Intendant Brühl „ sehr gütig “ genehmigen werden, wenn man ihm nur rechtzeitig Bescheid gebe. 40 Rührend wandte sie sich an die Vereins-Mitglieder um moralischen Beistand für ihr bevorstehendes Debut auf der großen Bühne und der zu erwartenden öffentlichen Kritik: Nur schüchtern wage ich mich aus dem Kreise wahrer Freundschaft vor das Urtheil eines strengen fremden Publikums, da ich aber mit Gewißheit hoffen darf, daß der größte Theil von Ihnen mir das Erstemal nicht fern sein wird, so wird dies Bewußtsein meinen Muth schon beleben, und mich zu dem schwierigen Unternehmen stärken! 41 Freundlich gratulierten die Uranier zum Erfolg und sicherten der jungen Sängerin natürlich ihre Unterstützung zu. 42 Deutlich wird hier der entscheidende Übergang zwischen dem durch den Rahmen der Ausbildung im „ Kreise wahrer Freundschaft “ geschützten Auftritt in der Urania und der öffentlichen Theater-Institution markiert. Graf Brühl erwies sich dann doch nicht ganz so gütig, bereits im Herbst 1815 verbot er Frl. Willmann den weiteren Umgang mit dem Theater-Verein. Sie hatte sich als brauchbare Opern-Solistin erwiesen und sollte nun im Königlichen Theater vollumfänglich eingesetzt werden. Wie schon oben dargestellt, war die Verehrung der Theater-Gesellschaft Urania für den Künstler Iffland fast grenzenlos. Sein 15 Das Spiel der Liebhaber - Ästhetische Bildung im bürgerlichen Amateur-Schauspiel Verhältnis zum Liebhabertheater erweist sich beim genaueren Hinsehen jedoch als komplex und vielschichtig, füllte er doch viele verschiedene Rollen aus, die jeweils eine andere Position gegenüber den Amateur-Aktivitäten erforderten. Als Künstler und Theater-Lehrer, der in seinen zahlreichen Publikationen seine Auffassung von Schauspiel-Metier und -Methode, von künstlerischer, ästhetischer und sittlicher Ausbildung und von dramaturgischen Interpretationen mitteilte, scheint er wesentlich im Einklang mit der Praxis der Schauspiel-Ausbildung der Urania zu sein. Er unterstützte die Theater-Aufführungen der Urania unbürokratisch und profitierte von deren Reservoir an jungen Talenten. Als Theaterdirektor sah Iffland sich in Konkurrenz zu den zahlreichen Liebhabertheatern in Berlin und fürchtete finanzielle Einbußen für seine Institution. Er versuchte wiederholt, die Liebhabertheater polizeilich einschränken und verbieten zu lassen. 43 In seinem Theater-Almanach (1807 - 1812) 44 äußert er sich gleich in der ersten Ausgabe sehr freundlich zu den Liebhabertheatern. Vorausgesetzt, sie hielten sich an Stücke, die ihnen angemessen seien, könnten die Berufs-Schauspieler sogar von ihnen lernen. Durch die vergleichsweise kleinen Theaterräume könne die Stimme angemessen ausgebildet werden, die im großen Theaterhaus mit seinen 2000 Plätzen eine große und für junge Eleven oft übergroße Anstrengung kostete. Die Rollen würden durch die größere Anzahl von Proben ausgiebig studiert und führten zu ‚ runden ‘ und ‚ wahren ‘ Darstellungen, während der Berufsschauspieler durch Wiederholung und zunehmende Routine durchaus in der Gefahr der Formelhaftigkeit und Manier stünde. Man kann davon ausgehen, dass Ifflands Almanach von den ‚ Urianischen ‘ Theaterliebhabern eingehend rezipiert wurde. Iffland erklärte hier die ‚ Wissenschaft ‘ des Schauspielers in vielen Einzelaspekten umfänglich und stellte sie in Berlin einem breiten Publikum als Lese-Lern-Stoff zur Verfügung. Gleichzeitig konnten die Berliner, unter ihnen die Uranier, ihm auf der Bühne mit seinen Schauspielern beim direkten Umsetzen der schauspielerischen und auch dramaturgischen Konzepte, die er in Einzelanalysen von Rollen und Darstellungen schriftlich darlegte, ‚ live ‘ zusehen. Im Rahmen dieses Aufsatzes fokussiere ich weitgehend auf die schauspieltheoretischen Impulse von Iffland, um den engeren kulturellen Zusammenhang in der Stadt Berlin hervorzuheben. Natürlich muss anerkannt werden, dass Iffland in einem weiteren Schauspieldiskurs seiner Zeit steht, der sich seit der Mitte des 18. Jahrhunderts, insbesondere angeregt durch eine deutsche Rezeption der französischen Schauspieltheorie und -praxis, breit entfaltete. 45 Der Regisseur Lami setzte 1824 ein „ Gesetz für das spielende Personal “ auf. Er formulierte hier die Aufnahmebedingungen. Jeder Dilettant, der mitspielen wollte, musste zunächst „ Attest[e] seines moralischen Wohlverhaltens “ und gegebenenfalls Erlaubnisscheine von Vater oder Vormund vorlegen. Dann wurde die grundsätzliche Eignung von der Gesellschaft abgeprüft: Nach dem Prüfungsspiel, welches den Winter-Vorstellungen voran geht, und zu welchem er bei dem Regisseur eine Parthie oder wenigstens einer Scene in Vorschlag bringen darf, werden seine Leistungen von der Gesellschaft abgeschätzt und bleibt es alsdann dem Regisseur überlassen, wenn der Geprüfte nicht abschlägig beschieden worden, ihn nach seinen Fähigkeiten zu beschäftigen, wogegen sich jener verbindlich macht, keine Parthie, so unbedeutend sie auch sei zurück zu weisen [. . .]. 46 In Bezug auf ‚ unbedeutende Rollen ‘ forderte er, dass jedes Mitglied, auch die älteren Darsteller, sich bereit zeigen müssten, eine 16 Meike Wagner kleine oder Statistenrolle zu übernehmen, denn: [n]ichts ehrloses liegt darin, sondern trägt (wie unser Veteran Iffland sagte) zur Ausbildung der körperlichen Haltung eines jeden Anfängers bei, wie gehen und stehen auf der Bühne auch selbst gelernt werden muß. 47 Lami spielte hier eventuell auf Ifflands Text „ Undankbare Rollen “ im Almanach von 1809 48 an, in dem er Schauspieler aufforderte, diese als Herausforderung und Übung zu betrachten. Fast möchte man behaupten, die Urania würde hier die Entwicklung weg vom strikten Rollenfach-System 49 und hin zur individuellen Charakterdarstellung vorwegnehmen. Im Theater-Verein ist dies sicher den strukturellen Zwängen geschuldet - die Schauspieler mussten bereit sein, auch Rollen außerhalb ihres Rollenfachs zu übernehmen - , sonst wäre das Repertoire für das kleine Ensemble zu eingeschränkt gewesen. Es gibt darüber immer wieder Konflikte mit den Darstellern 50 , was gelegentlich zu Vorbehalten gegenüber der Aufnahme von ehemaligen Berufsschauspielern als spielende Mitglieder führte. Demgegenüber kultivieren die Uranier ihre besondere schauspielerische Flexibilität, die insbesondere von Iffland an den jungen Schauspielern sehr geschätzt wird. Auch das klare Gebot von eingehender Prüfung der Neuzugänge stimmt mit einem anderen Aufsatz Ifflands überein, welcher sich mit dem jetzt massenhaften Streben junger Leute auf die Bühne befasst. 51 Er mahnt hier, die Lust am Theater genau zu prüfen und keine oberflächlichen Motive zur Aufnahme des Schauspiel-Berufes gelten zu lassen. Iffland forderte außer Talent maßgeblich bürgerliche Tugenden wie Eifer, Wissensbegierde, Durchhaltevermögen, Bescheidenheit, Sittlichkeit und Interesse an der Geschmacksausbildung ein. 52 Alle diese Tugenden scheinen auch die Eckpfeiler einer idealen Schauspiel-Ausbildung in der Urania darzustellen. Die Spiel-Bedingungen bei Urania förderten die Bescheidenheit, da die Entlohnung lediglich in ein bis zwei Theaterbilletts bestand. Es wurde eine volle Fokussierung auf das Spiel in Urania gefordert, jeder Auftritt in einem anderen Theater musste einzeln genehmigt werden. Und jedes darstellende Mitglied musste sich dem Urteil des Regisseurs unterwerfen: [S]o hat sich jeder von den Darstellern auf der Probe seinem Rath zu unterziehen, und bleibt es ihm überlassen, Scenen die nicht mit der gehörigen Rundung gehen doppelt und in noch nöthigen Fällen dreifach zu wiederholen, wodurch nur das Gelingen des Ganzen wozu jeder Einzelne beitragen muß, erzeugt werden kann. Wer sich aber wieder vermuthen gegen eine bescheidene Zurechtweisung opponirt, zahlt keine Strafe sondern wird als Störenfried angesehen und ferner nicht beschäftigt. 53 Die angehenden Schauspieler wurden nach der Prüfung keineswegs mit Lob überschüttet. Trocken berichtet das Konferenz-Protokoll vom 2. 10. 1826, man sei der Meinung das Probespiel sei eher „ mittelmäßig “ gewesen, doch seien einige Subjekte dabei, von denen man sich bedeutende Leistungen in der Zukunft erhoffe, wenn „ die Herren Regisseure etwas strenge sind “ . 54 Geurteilt wird eher nach Potential als nach aktueller Leistung. Man traut sich zu, die Ausbildung so zu gestalten, dass etwas Bedeutendes gelingen könnte. Obgleich, nach dem Vorbild Ifflands, das Ideal eines zu bildenden ‚ gelehrten ‘ Schauspielers vorwaltete, so führte dies jedoch nicht zur Entwicklung regelmäßiger Übungen. Die Ausbildungspraxis bestand in Proben und Aufführungen, der didaktische Impuls kam von beständigen Rückmeldungen und Kritik. 17 Das Spiel der Liebhaber - Ästhetische Bildung im bürgerlichen Amateur-Schauspiel Die kritischen Liebhaber Die Theater-Liebhaber der Urania befassten sich immer wieder mit dem Problem der Kritik im Zusammenhang mit ihren Theater-Aufführungen, und insbesondere im Umgang mit den jungen Schauspielern. Wer soll Kritik leisten dürfen? In welcher Form ist Kritik angemessen? Welche Position nehmen die Kritisierenden, aber auch die Kritisierten ein? Wieviel Kritik darf in die Öffentlichkeit getragen werden? 55 Hier könnte man wieder an die Bedenken von Frl. Willmann anschließen, die 1815 befürchtete, gewohnt an das freundliche und wohlwollende Urteil der Vereins-Mitglieder, nicht in der öffentlichen Kritik bestehen zu können. Im Jahr 1843 behauptet der offene Gegner von Liebhabertheatern, Wilhelm Hebenstreit, dass in den Privattheatern - entgegen der vielbeschworenen Bildungsfunktion dieser Institutionen 56 - gar keine sinnvolle und der Bildung fruchtbare Kritik geleistet werden könne: Die Vorstellungen auf dieser [Privatbühne, Anm. MW] erscheinen lediglich als Folgen einer Gefälligkeit, als freiwillige Leistungen, mithin müssen die mittelmäßigen für gut, die nothdürftig guten für ausgezeichnet gelten, um so gewisser, weil es an kompetenten Richtern fehlt, oder wenn diese anwesend sind, sie über die Beschaffenheit der Vorstellungen kein offenes Urtheil abgeben können und werden. 57 Der Dilettant habe nur sein eigenes Gefühl zum Maßstab, die Zuschauer seien als ‚ eingeladene Gäste ‘ nicht zum Urteil befugt, da die Theateraufführung als ‚ Privatleistung ‘ kein Gegenstand einer öffentlichen Beurteilung sein dürfe. 58 Dieses Problem wendet sich im Theater- Verein Urania in einen Vorteil zur Ausbildung der jungen Schauspieler. Kritik wird sehr gezielt kanalisiert. Als der Journalist Moritz Saphir 1826 beabsichtigt, in seiner neuen Zeitung Der Berliner Courir künftig die Vorstellungen der Urania zu besprechen, wollen die Vereins-Mitglieder ihn um jeden Preis draußen halten: „ Da es ganz gegen die Tendenz der Gesellschaft ist, ihre Vorstellungen und ihr Thun und Treiben überhaupt zur Öffentlichkeit zu bringen, “ wurde beschlossen, sich mit der Polizei zu beraten, auf welche Weise man Saphirs Kritiken verhindern könne. 59 In der gleichen Konferenz, in der über die Saphir-Anfrage beraten wird, thematisierte der erste Vorsteher, dass seit Kurzem die Mitglieder, welche in der Mittelloge lokalisiert sind, es sich mehr und mehr angewöhnt hätten, durch starkes ‚ Applaudissment ‘ ihre Meinung zur Aufführung zu äußern. Dies müsse aufhören, da doch „ das öffentliche Lob nicht von den Mitgliedern, sondern vom Publikum ausgehen müsse. “ 60 Der Journalist durfte nicht öffentlich kritisieren, die Mitglieder durften nicht öffentlich loben. Wer sollte sich also äußern dürfen, und in welchem Rahmen? Der wichtigste Kritiker war der Regisseur. Er wies die Schauspieler regelmäßig zurecht, gab ihnen ausführliches Feedback zu ihren Darstellungen. Das passierte in den Proben. Wiederholt machte der Regisseur darauf aufmerksam, dass die Mitglieder gerne bei den Proben anwesend sein dürften, sich jedoch der Kritik dabei enthalten sollten, „ weil seines Theils die Regie lediglich dazu da sei, um an Ort und Stelle Fehler zu rügen, anderentheils die jungen Schauspieler und Schauspielerinnen nur dadurch confuse und furchtsam gemacht würden “ 61 Die Aufführungen fanden regelmäßig am Sonntag statt, die Konferenzen am Montag darauf. Jetzt war es der Vorsteher, also der Präsident des Vereins, der sich mit frischen Eindrücken im Namen der Gesellschaft äußern durfte. Nicht selten folgten darauf durchaus Diskussionen als Ergänzungen oder auch Berichtigungen der Mei- 18 Meike Wagner nung des Vorstehers. Vielleicht angestoßen durch die Anfrage Saphirs und die Diskussion um Schaden und Nutzen von öffentlicher Kritik wurde dann zum Ende des Jahres 1826 eine ausgewählte Gruppe von Mitgliedern beauftragt, eine schriftliche detaillierte Kritik der Aufführungen, so genannte ‚ Relationen ‘ , zur Diskussion in den Konferenzen vorzulegen. Nach fünf Einsendungen 62 , die sehr kontrovers aufgenommen wurden, weil sie teils doch starke individuelle Kritik an den Darstellern übten, wurde das Kritik-Projekt zum Wohle der Harmonie in der Theater-Gesellschaft eingestellt. Es bleibt anzunehmen, dass sich die Mitglieder jedoch die Möglichkeit zum kritischen Austausch außerhalb der Konferenzen nicht haben nehmen lassen. 1830 stellte man fest, daß sowohl der Eifer der Darsteller als auch das Interesse der Mitglieder im hohen Grade gesteigert werde, wenn des anderen Abends, in vertraulicher harmloser Unterhaltung, über das Gesehene, von einzelnen Mitglieder, hin und wieder ein gesundes Urteil in schonenden Ausdrücken vorgetragen werde. 63 Hier drückt sich durchaus eine Reflektion der eigenen Kritikfähigkeit und auch der Wirksamkeit von Kritik aus, die dem Urteil Hebenstreits, die Liebhaber seien weder in der Lage noch Willens produktive Kritik zu leisten, direkt entgegen spricht. Die erhaltenen Kritik- ‚ Relationen ‘ zu den Aufführungen am 31. 12. 1826, am 28. 1. 1827 und am 11. 2. 1827 sind einzigartige Detailaufnahmen, sowohl des Schauspielstils, der von den Liebhabern gepflegt wurde, als auch der Bewertung von einzelnen Aspekten der Darstellung. Was war den Kritikern wichtig? Welche Ideen von Schauspiel, Dramaturgie und Aufführung waren leitend? Wie formulierten sie ihre Kritik mit dem Anspruch ‚ bildend ‘ zu wirken? Alle Kritiker reflektierten auf die eine oder andere Weise den Zweck ihrer Rezension. Es ging darum, ohne Beleidigungen auf Mängel aufmerksam zu machen, die künftig behoben werden sollten. Es ließen sich „ die besten Früchte für die Zukunft erwarten, wenn jede Rolle, auch die kleinste, Anspruch darauf hat, auf diese Weise beurtheilt zu werden. “ 64 Demokratisch verteilt sollte die Kritik jeden treffen. Es wurde deutlich die bildende Funktion solcher Kritiken betont, gleichzeitig jedoch augenzwinkernd um Verständnis bei den Kritisierten geworben: Nehmen Sie so vorlieb meine Herren und Damen, wir versprechen Ihnen, uns künftig zu bessern, falls Sie uns ein ähnliches Versprechen leisten, bis dahin sey es Ihnen gesagt, daß Sie uns doch im Allgemeinen viel Freude gewährt haben. 65 Bei den einzelnen Punkten der Kritik wurde stark auf die ‚ Rundung ‘ der Rollendarstellung fokussiert, die nur durch intensives ‚ Studium ‘ des Charakters entwickelt werden konnte. Man ging zwar nicht so weit wie Iffland, schriftliche dramaturgische Analysen der Rolle von jungen Schauspielern einzufordern 66 , jedoch wurde bei jeder einzelnen Rollenfigur überprüft, ob die Darstellung ‚ rund ‘ , d. h. dem Charakter entsprechend überzeugend gewesen sei. Die junge Schauspielerin musste mit Fleiß die Rollen dramaturgisch durchdringen, wenn sie im Beruf erfolgreich sein wollte. Es wurde ihr der Rat erteilt, „ behufs der Erreichung ihres künftigen Zieles, [. . .] mehr Studium auf ihre Rollen zu verwenden “ 67 Dieses Ziel war augenscheinlich das Königliche Theater, wie auch der andere Rezensent über die gleiche Schauspielerin vermerkte: Es ist aber für die Bildung zur Königl. Bühne wohl wünschenswerth, daß die Manier nicht zu sehr Ueberhand nähme. Wäre Studium der Parthie gewesen, so hätten wir gewiß nicht im Kammermädchen das Fräulein [. . .] vorwalten sehen. 68 19 Das Spiel der Liebhaber - Ästhetische Bildung im bürgerlichen Amateur-Schauspiel ‚ Studium ‘ vs. ‚ Manier ‘ - genau diese Argumentationsweise finden wir immer wieder aus verschiedenen Perspektiven durchdekliniert auch in Ifflands Almanach. Ob er sich selbst als ‚ gelehrter ‘ Schauspieler darstellt, indem er ausführliche Analysen von Rollenporträts seiner Kollegen vornimmt 69 oder ein Darstellungsmodell aus der sonst ‚ undankbaren Rolle ‘ der Herzogin von Friedland (Schiller, Wallenstein) entwickelt 70 , ob er ein Ausbildungsprogramm vorschlägt, dass in erster Linie gegen den zu früh und ohne vorheriges ‚ Studium ‘ auf die Rolle geworfenen ‚ Naturschauspieler ‘ argumentiert, der durch Unkenntnis oder Faulheit früher oder später notwendig zur Manier greifen muss 71 - immer ist es die ‚ Rundung ‘ der Rollenfigur, die überzeugende und authentisch entwickelte Darstellung, die er als die zentrale Fähigkeit des ‚ gelehrten ‘ Schauspielers ins Zentrum rückt. Dabei erhielt das Kostüm die Funktion, den Charakter unbedingt zu unterstützen. Angehende Schauspieler mussten Geschmack dazu entwickeln und waren voll verantwortlich, wenn das Kostüm unpassend war, oder dem Charakter eine falsche Bedeutung zuwies. Es wurde etwa darauf hingewiesen, dass eine adelige Bühnenfigur ein Jagdmesser und ein Band getragen hätte, die qualitativ minderwertiger als die Accessoires seiner Diener in der Jagdgesellschaft gewesen seien. 72 Auch hier mussten die Schauspiel-Eleven ‚ Studium ‘ zum Stand und Aussehen ihrer Rollenfigur beweisen. Diese Akribie war natürlich auch der kleinen Bühne der Urania geschuldet, hier fielen auch die kleinen Dinge ins Auge. Aber vielleicht war genau dies ja ein struktureller Bildungsvorteil bei der Erziehung der jungen bürgerlichen Schauspieler. Nicht nur das Kostüm musste passen, sondern auch die Haltung, mit der es getragen wurde. Haspelnde Hände, die sich in Ärmelaufschlägen verirrten, ein Gesamteindruck, dass das Kostüm irgendwie zu groß sei, waren noch gering beanstandete Übel. 73 Schwieriger war die Körperhaltung an sich, das Gehen und Stehen auf der Bühne, der Anspruch, die „ Füße stets in tanzmäßige Position zu bringen “ 74 . Es wurde zugestanden, dass sich hier wohl anfangs eine „ gewisse Steifigkeit “ 75 einstellen müsste, die jedoch bald zu Kunstfertigkeit führen würde. An ein Training zur Körperhaltung wurde nicht gedacht. Man muss davon ausgehen, dass die Eleven mit Literatur (Iffland, Engel, und viele andere) versorgt, ihre eigenen Übungen für sich finden mussten. Im Schauspieler-Gesetz von Lami (1824) finden sich Hinweise, dass man alleine die wiederholten Proben und Aufführungen als Trainingsrahmen betrachtete. So forderte er etwa, dass die Schauspieler unter allen Umständen an den (wenigen) Proben teilnehmen sollten und auch hinnehmen mussten, dass der Regisseur mit ihnen an der ‚ Rundung ‘ der Rolle feilte. 76 Da nur 14-tätig von September bis Ende April aufgeführt wurde, waren die Trainingsmöglichkeiten eingeschränkt. Die jungen Schauspieler holten sich daher die Erlaubnis, auch in den Sommermonaten zu Übungszwecken weiter spielen zu dürfen 77 - für die Mitglieder der Urania eine willkommene Gelegenheit für Sommer-Theater und geselliges Vergnügen. In den schriftlichen Kritiken wurde der Themenkomplex Sprache, Aussprache, Sprachperformance auch in den Blick genommen. Grundsätzlich wurde eine Präferenz für den „ Conversations Ton “ formuliert, 78 dessen sich doch bitte alle Schauspieler bedienen sollten. Die Deklamation durfte nicht zu forciert daherkommen, das ‚ Natürlichkeits ‘ -Gebot in der Sprache entsprach dem ‚ Rundungs ‘ -Gebot in der Charakter- Darstellung. Korrekte Aussprache und Grammatik wurde erwartet, da „ die Deutsche Sprache sich nicht mehr in der Kindheit befindet “ 79 - ein Hinweis auf den allgemeinen Standard des ‚ Bühnendeutsch ‘ . 20 Meike Wagner Immer wieder ist die Rede von der „ Beweglichkeit “ , oder auch „ Mobilität der Zunge “ , die nie zu schnell aber auch nicht zu langsam sein darf. Einer Schauspielerin wurde empfohlen, „ das Minenspiel des Mündleins zu beschränken, und der Mobiliät des Züngleins hin und wieder Einhalt zu thun “ 80 - man stellt sich hier eine fast groteske Entgleisung der Gesichtszüge vor. Ein anderer wurde gelobt, denn „ trotz seiner Heiserkeit war die Mobilitaet seiner Zunge und die Modulation seines Tones so bewundernswürdig. “ 81 Auch hier hilft wieder der Blick auf Ifflands Schauspieler-Instruktionen, das Sprachbild richtig einzuordnen. In seinem Almanach von 1808 spricht er von der kontrollierten „ Gelenkigkeit der Zunge “ auf die es bei der vollen Wirkung der Aussprache ankomme: Die Worte sollen nicht aus unbeweglichen Lippen heraus geleiert werden, sie sollen nicht von weit geöffneten oder hängenden Lippen, hinter welchen die Zunge eine matte Federkraft übt, hervorgesprudelt werden. Auch soll eine ungestüme, harte Zunge die Worte nicht herauswerfen, oder herausstoßen. Sie soll die Worte herauslassen, sie soll für die feineren Accente, bei welchen nur die Spitze der Zunge zu thun hat, die Worte gleichsam nur entlassen. 82 Dass die angehenden Schauspieler der Urania mit diesen Anweisungen ihre Schwierigkeiten hatten, verwundert nicht. Auch hier wieder waren sie weitgehend auf das literarische Modell, das schauspielerische Vorbild auf der königlichen Bühne und auf die kontinuierliche und feindosierte Kritik ihrer Darstellung angewiesen: ‚ Learning by doing ‘ unter kritischen Augen. Mit der genauen Analyse der Archivmaterialien und dem offenen Blick auf die Amateurpraxis der Zeit lässt sich die Etablierung der bürgerlichen Institution ‚ Theater ‘ neu und umfassender darstellen als die Theaterhistoriographie es bisher vermochte. Was ich hier ausschnittsweise am Theaterverein Urania dargestellt habe, ist das Ergebnis einer historiographischen Neuausrichtung, deren Ziel es ist, den historischen Schauspieldiskurs anhand der vielschichtigen Praxisbedingungen und Praxisverfahren zu diskutieren, die Wechselbeziehungen zwischen professionellen und nicht-professionellen Performance-Praxen im Prozess der Institutionalisierung historisch auszuleuchten, und den Zusammenhang von kultureller Praxis und Genese der bürgerlichen Gesellschaft einzubeziehen. So wird es möglich, die Abgrenzungen, Vernetzungen und Übergänge zwischen dem „ Theater des Lebens “ , dem „ anderen Theater “ und dem „ Theater der Kunst “ im Münzschen Sinne 83 historiographisch produktiv auszudeuten. Amateure und ihre Theaterpraxis in je spezifischen Verfassungen und Strukturen sind ein relevanter Bestandteil deutscher und auch europäischer Theatergeschichte. Anmerkungen 1 Ein anonymer Autor bezeichnet diesen Trend in Berlin als um sich greifende Epidemie, vgl. „ Über die hiesigen Privattheater “ , in: National-Zeitschrift für Wissenschaft, Kunst und Gewerbe in den preußischen Staaten, Berlin 1801, S. 922 - 932, hier S. 931 f. 2 Interessante Ansätze aus Kulturgeschichte und Literaturwissenschaft bieten etwa Uta Motschmann, „ Die private Öffentlichkeit. Privattheater in Berlin um 1800 “ , in: Klaus Gerlach und René Sternke (Hg.), Der gesellschaftliche Wandel um 1800 und das Berliner Nationaltheater, Berlin 2009, S. 61 - 84; Peter Hesselmann, „‚ Bühnen in Taschenformat ‘ . Zu Theorie und Praxis der Gesellschaftstheater im letzten Viertel des 18. Jahrhunderts “ , in: Erika Fischer-Lichte und Jörg Schönert (Hg.), Theater im Kulturwandel des 18. Jahrhunderts, Göttingen 1999, 21 Das Spiel der Liebhaber - Ästhetische Bildung im bürgerlichen Amateur-Schauspiel S. 503 - 520. In der Theaterwissenschaft hat sich zuletzt vor mehr als 85 Jahren Walter Ullmann zu Wort gemeldet mit Adolph Müllner und das Weißenfelser Liebhabertheater, Berlin 1934. 3 Susanne Eigenmann, Zwischen ästhetischer Raserei und aufgeklärter Disziplin: Hamburger Theater im späten 18. Jahrhundert, Stuttgart 1994, S. 1. Hervorhebung im Original. 4 ‚ Emanzipativ ‘ steht hier in Anführungszeichen, weil man nicht den Fehler machen darf, hier eine radikal-demokratische Politisierung zu vermuten. Die bürgerliche Grundkonzeption ist dabei jedoch durchaus emanzipativ im Sinne einer nach-absolutistischen Gesellschaftsordnung gedacht: die hier engagierten Bürger strebten danach, ihre bürgerliche Identität zu stärken und deren ‚ Spielräume ‘ auszuweiten. Sie vertraten etwa beharrlich und selbstbewusst im Namen ihres Vereins ihre Rechte gegenüber den Behörden, gleichzeitig blieb die umfassende Verehrung des Königshauses unangetastet. 5 Vgl. Hartmut Rosa, Resonanz. Eine Soziologie der Weltbeziehung, Berlin, 2018, S. 55. Rosa zieht selbst eine Linie zu den ästhetischen Theorien der Aufklärung, vgl. ebd. S. 38 ff. 6 Vgl. Friedrich Schiller, Über die ästhetische Erziehung des Menschen in einer Reihe von Briefen, hg. von Klaus L. Berghahn, Stuttgart: Reclam, 3. Brief, S. 11. 7 Ebd., 6. Brief, S. 24. 8 Institut für Theaterwissenschaft der Freien Universität Berlin, Theaterhistorische Sammlung Walter Unruh, Urania-Gesellschaft, Brief von Hr. Zimmermann, 30. 5. 1796. Im Weiteren abgekürzt mit „ Theaterhistorische Sammlung WU, Urania “ . 9 Theaterhistorische Sammlung WU, Urania, Brief von Hr. Sander, 26. 10. 1801. In diesem und allen folgenden historischen Zitaten wurde die ursprüngliche Schreibweise der Quelle mit allen Rechtschreibfehlern und historischen Besonderheiten beibehalten. 10 Noch 1835 gibt der bayerische König eine landesweite Umfrage in Auftrag, um herauszufinden, ob die weit verbreiteten Liebhabertheater die Sitten und den Wohlstand des Staates negativ beeinflussen. Zu einer ausführlichen Analyse dieser Berichte vgl. Meike Wagner, Theater und Öffentlichkeit im Vormärz. Berlin, München, Wien als Schauplätze bürgerlicher Medienpraxis. Berlin 2013, S. 240 - 248. 11 Das Handbuch der Berliner Vereine und Gesellschaften 1786 - 1815, herausgegeben von Uta Motschmann, Berlin 2015, verzeichnet für den angegebenen Zeitraum ca. 160 „ vereinsartige Zusammenschlüsse “ (S. XV) in Berlin, bei etwa 170.000 Einwohnern. 12 Oskar Sauerwald, Festschrift zur 100jähr. Jubelfeier der Privat-Theater-Gesellschaft Urania am Sonnabend, 27. August 1892, Berlin 1892. 13 Für das Berufstheater hat Hilde Haider- Pregler dies umfassend ausgeführt, vgl. dies., Des sittlichen Bürgers Abendschule. Bildungsanspruch und Bildungsauftrag des Berufstheaters im 18. Jahrhundert, Wien u. München 1980. 14 Es mutet fast Paradox an, dass der gleiche Schiller gemeinsam mit Goethe 1799 sein unveröffentlichtes „ Dilettantismus-Schema “ schreibt, das insbesondere die Theater-Dilettanten hart in die Kritik nimmt. Vgl. hierzu Meike Wagner, „ Diskurse des Liebhabers “ , in: Ulrike Haß et al. (Hg.), Episteme des Theaters. Aktuelle Kontexte von Wissenschaft, Kunst und Öffentlichkeit, Bielefeld 2016, S. 552 - 556. 15 Der Haupt-Nachlass Uranias befindet sich in der Theaterhistorischen Sammlung Walter Unruh am Institut für Theaterwissenschaft der Freien Universität Berlin. 16 Vgl. hierzu Jörg Zirfas et al., Geschichte der ästhetischen Bildung, Bd. 3.1 (Aufklärung), Paderborn 2014, S. 12. 17 Bei Kotzebue etwa finden sich in zahlreichen Stücken kontroverse Familienkonstellationen, die durch ein grundsätzlich humanistisches Denken dennoch zum Glück führen, z. B. die interkulturelle Doppelhochzeit (Die Indianer in England, 1788), die wiedervereinte bürgerliche Familie trotz Sündenfall der Mutter (Menschenhaß und Reue, 1790), die unabhängige Witwe, die dem ausgewählten Kandidaten einen Ehevertrag aufdrängt 22 Meike Wagner (Der Papagoy, 1792), die Lösung des Konflikts um ein Kind als Patchwork-Modell (Unser Fritz, 1803). 18 Gesetze des Theater-Vereins Urania von 1797, GStA PK, I HA, Rep. 77, Ministerium des Innern, Tit. 420, Nr. 16, Bd. 1, Bl.24 - 27. 19 Theaterhistorische Sammlung WU, Urania, Conferenz vom 13. 4. 1830. 20 Von der wirklichen Mitgliedschaft (die eine Teilnahme an den wöchentlichen Konferenzen ermöglicht) waren in der Frühphase des Vereins ausgeschlossen: Frauen (außer Witwen, die aber nicht an Konferenzen teilnehmen durften), abhängig Beschäftigte und Juden. Gerade die Frage, ob Juden Mitglieder werden dürfen, führte immer wieder zu Konflikten bis hin zu Protest-Austritten von Mitgliedern, letztlich setzte sich doch bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts eine tendenziell antisemitische Linie durch. So empörend diese Tatsachen uns heute erscheinen, so muss man jedoch das historische Gesamtbild sehen. Urania war mit diesen rigiden Ausschlüssen ganz übereinstimmend mit den meisten bürgerlichen Vereinen der Zeit in Berlin. 21 Vgl. Schiller, Über die ästhetische Erziehung, 5. Brief, S. 18 und 19. 22 Vgl. etwa die Debatte um die Stückauswahl des Regisseurs, Theaterhistorische Sammlung WU, Urania, Relation zur Aufführung am 28. 1. 1827. 23 Theaterhistorische Sammlung WU, Urania, Statuten von 1827, Zweiter Abschnitt, § 2. 24 Ebd., Erster Abschnitt, § 8. 25 Theaterhistorische Sammlung WU, Urania, Statuten von 1827, Einleitung. 26 Wolf-Dieter Ernst hat im Rahmen des DFG- Projekts „ Die Institutionalisierung und Pädagogisierung der Schauspielausbildung 1870 - 1930 “ eine grundlegende historische Einordnung der Schauspiel-Ausbildung seit der Aufklärung vorgenommen. Vgl. „ Subjekte der Zukunft. Die Schauspielschule und die Rhetorik der Institution “ , in: Michael Bachmann et al. (Hg.), Theater und Subjektkonstitution. Theatrale Praktiken zwischen Affirmation und Subversion, Bielefeld 2012, S. 159 - 172. 27 Vgl. Anonymus, „ Ueber Privatbühnen “ , S. 377: Es ist festzustellen, „ daß die Glieder guter Privatbühnen den auffallenden Abstand solcher Anstalten gegen die gewöhnlichen reisenden Horden kennen lernten, und in jedem Sinn Vergleichungen anstellen konnten. “ 28 Bereits 1795 wird festgelegt, dass jedem neuen Mitglied eine Debüt-Rolle zusteht, vgl. LA Berlin, A Rep. 232 - 19, Nr. 2, Conferenz, 1. 9. 1795. Ein reguläres ‚ Probespiel ‘ wurde wohl nach 1800 abgehalten. Die früheste Erwähnung konnte ich auf 1809 datieren, vgl. Theaterhistorische Sammlung WU, Urania, Conferenz, 14. 8. 1809. 29 Um 1800 hat es wohl ca. 10, meist kurzlebige, Liebhaberbühnen in Berlin gegeben. Durch repressive Politik seitens der preußischen Behörden verringerte sich die Zahl ab 1804 auf drei Liebhabertheater - Thalia, Concordia, Urania - , die dann viele Jahre zum festen Bestandteil der Stadtkultur wurden. Zu den Theatervereinen um 1800 vgl. Handbuch der Berliner Vereine und Gesellschaften, S. 527 - 569. 30 Zu den Vorstellungen waren auch Fremde zugelassen, jedoch nur über Vermittlung von Mitgliedern. Die Anzahl der Fremden in den Vorstellungen war jedoch ziemlich erheblich und finanziell einträglich. Der Billett-Etat 1817/ 18 (Theaterhistorische Sammlung WU, Urania) zeigt, dass 180 Billetts für Mitglieder, Darsteller, Orchester und Theatertechniker eingeplant wurden. Bei einer Gesamtkapazität von 290 Plätzen (Theatersaal in der Kommandantenstraße 72/ 73, 1802 - 1834) wurden immerhin 110 an Fremde vergeben. 31 Assmann, Fritz, Deutschlands Theaterschulen im 18. und 19. Jahrhundert, Univ.-Diss. Greifswald, 1922, Typoskript, S. 67. 32 Vgl. zur Buddelmeyerschen Akademie, Assmann, Deutschlands Theaterschulen, S. 68 - 72. Ein im NL der Urania befindlicher Brief belegt, dass Cohnfeld die Urania gut kannte, er bittet darin, das Theater der Urania im Sommer für eigene Aufführungen anmieten zu dürfe. Dies wird jedoch vom Verein abgelehnt. Vgl. Theaterhistorische Sammlung 23 Das Spiel der Liebhaber - Ästhetische Bildung im bürgerlichen Amateur-Schauspiel WU, Urania, Brief Cohnfeld, 29. 4. 1849, und Antwortentwurf der Urania, 8. 5. 1849. 33 „ Nachrichten von einer deutschen Schauspieler-Akademie “ , Theater-Kalender auf das Jahr 1779, hg. von Heinrich August Ottokar Reichard, Gotha 1779, S. 12 - 35. 34 Engel, Johann Jakob, Ideen zu einer Mimik, Berlin: August Mylius, 2 Bde. 1785 und 1786. Engel war 1786 - 1794 der direkte Vorgänger von Iffland als Direktor des Berliner National-Theaters. 35 Zu Ifflands Grundlagen eines bürgerlichen Schauspieler-Modells, vor allem auf seine Mannheimer Zeit fokussiert, vgl. ausführlich Gerda Baumbach, Historische Anthropologie des Akteurs, Bd. 1, Leipzig 2012, S. 31 - 62. 36 Theaterhistorische Sammlung WU, Urania, Conferenz, 13. 6. 1808. 37 Ebd., Erste Relation zum 28. 1. 1827. 38 Ebd. 39 Ebd., Brief von Graf Brühl, 25. 2. 1815. 40 Ebd., Brief von Emilie Willmann, 8. 5. 1815. 41 Ebd. 42 Ebd., Briefentwurf an Emilie Willmann, Mai 1815. 43 So etwa gleich nach Dienstantritt als Theaterdirektor in Berlin 1796, dann 1798 und 1803. 44 Erstmals 1807 erschienen unter dem Titel Almanach für Theater und Theaterfreunde, dann 1808 - 1809 und 1811 - 1812 unter dem Titel Almanach fürs Theater. 45 Vgl. zu Schauspieldiskurs und Schauspielpraxis des 18. Jahrhunderts immer noch einschlägig Wolfgang F. Bender (Hg.), Schauspielkunst im 18. Jahrhundert, Stuttgart 1992. Die im Band versammelten Beiträge beziehen sich jedoch ausschließlich auf professionelles Theaterspiel. Für eine erweitert anthropologische Perspektive vgl. Baumbach, Historische Anthropologie des Akteurs, Bd. 1 und 2, Leipzig 2012 und 2018. 46 Theaterhistorische Sammlung WU, Urania, Gesetz für das spielende Personal, 30. 9. 1824. 47 Ebd. 48 August Wilhelm Iffland, „ Undankbare Rollen “ , Almanach fürs Theater, Berlin 1809, S. 1 - 14. 49 Zum Rollenfach vgl. etwa Edward P. Harris: „ Lessing und das Rollenfachsystem “ , in Bender, Schauspielkunst, S. 221 - 235. 50 Vgl. etwa die andauernde Auseinandersetzung mit der Darstellerin Caroline Schöning (vorher Schauspielerin am Königstädtisches Theater, dann in Königsberg und Danzig), Theaterhistorische Sammlung WU, Urania, Briefwechsel zwischen Schöning und Urania, Dezember 1837 bis September 1838. 51 August Wilhelm Iffland, „ Ueber den Hang, Schauspieler zu werden “ , in Almanach fürs Theater, Berlin: Oehmigke jun., 1808, S. 1 - 33. 52 Ebd. S. 13. 53 Theaterhistorische Sammlung WU, Urania, Gesetz für das spielende Personal, 30. 9. 1824. 54 Ebd., Conferenz, 2. 10. 1826. 55 Bereits 1959 weist Reinhart Koselleck auf den zentralen politischen Impuls der Entwicklung von Kritik in der Aufklärung hin, vgl. ders., Kritik und Krise. Eine Studie zur Pathogenese der bürgerlichen Welt, Frankfurt a. M. 1959. Unter anderen Vorzeichen setzt sich Jürgen Habermas 1962 mit der Rolle der Kritik als Grundfunktion einer bürgerlichen Öffentlichkeit um 1800 auseinander, vgl. ders. Strukturwandel der Öffentlichkeit. Untersuchungen zu einer Kategorie der bürgerlichen Gesellschaft, Neuwied 1962. Ausführlich zu Theater und Öffentlichkeit in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, vgl. Wagner, Theater und Öffentlichkeit. 56 Hebenstreit schreibt explizit gegen Adolph Müllners positive Einschätzung der Liebhaberbühnen an. Müllner hatte in seinem Almanach für Privatbühnen 1817 formuliert, dass das Schauspiel, von der Oper aus dem Berufstheater vertrieben, sich zu den Liebhabern flüchten müsse. Adolph Müllner war selbst aktives Mitglied einer Privatbühne, siehe hierzu Ullmann, Adolph Müllner. 57 Wilhelm Hebenstreit, „ Können Privat- oder Liebhaberbühnen auf die Fortschritte der Schauspielkunst und auf die Beförderung der Sittlichkeit einwirken? “ , in: Das Schauspielwesen dargestellt auf dem Standpunkt der Kunst, der Gesetzgebung und des Bürgertums, Wien 1843, S. 310 - 319, hier S. 313. 24 Meike Wagner 58 Ebd. 59 Theaterhistorische Sammlung WU, Urania, Conferenz, 18. 12. 1826. 60 Ebd. 61 Ebd., Conferenz, 23. 10. 1826. 62 Von den fünf Einsendungen sind nur vier erhalten. Eine (28. 1. 1827) strotzte „ von Sarkasmen aller Art “ , die nur von einem Nicht- Uranier stammen konnten, und wurde daher dem Feuer übergeben. Theaterhistorische Sammlung WU, Urania, eine Relation zur Aufführung am Sylvesterabend, 31. 12. 1826; zwei Relationen zur Aufführung am 28. 1. 1827; eine Relation zur Aufführung am 11. 2. 1827; Conferenz, 5. 2. 1827. 63 Theaterhistorische Sammlung WU, Urania, Conferenz, 18. 10. 1827 64 Ebd., Relation zum 31. 12. 1826. 65 Ebd., Relation zum 11. 2. 1827. 66 Vgl. Iffland, „ Ueber den Hang, Schauspieler zu werden “ , S. 32. 67 Theaterhistorische Sammlung WV, Urania, zweite Relation zum 28. 1. 1827. 68 Ebd., erste Relation zum 28. 1. 1827. 69 Etwa August Wilhelm Iffland, „ Erklärung der Kupfer “ , Almanach für Theater und Theaterfreunde, Berlin 1808, S. I-XVI. 70 August Wilhelm Iffland, „ Ueber Darstellung der Herzogin von Friedland, Wallensteins Gemahlin, in den beiden Schauspielen: ‚ Die Piccolomini ‘ und ‚ Wallensteins Tod ‘ von Schiller “ , Almanach fürs Theater, Berlin 1809, S. 15 - 65. 71 Iffland, „ Ueber den Hang “ , Iffland, „ Ueber die Bildung der Künstler zu Menschendarstellung auf der Bühne “ , Almanach fürs Theater, Berlin 1808, S. 34 - 64; und Fortsetzung, Almanach fürs Theater, Berlin 1809, S. 80 - 106. 72 Theaterhistorische Sammlung WU, Urania, Relation zum 31. 12. 1826. 73 Ebd., erste und zweite Relation zum 28. 1. 1827. 74 Ebd., zweite Relation vom 28. 1. 1827. 75 Ebd. 76 Theaterhistorische Sammlung WU, Urania, Entwurf der Schauspiel-Gesetze, 30. 9. 1824. 77 Ab 1815 finden sich regelmäßig Anträge von jungen Schauspielern, die im Sommer Übungsvorstellungen geben wollen, vgl. etwa Theaterhistorische Sammlung WU, Urania, Conferenz, 10. 4. 1815. 78 Ebd., zweite Relation vom 28. 1. 1827. 79 Ebd. 80 Ebd. 81 Ebd. 82 Iffland, „ Ueber die Bildung “ , erster Teil, S. 44 f. 83 Vgl. Rudolf Münz, „ Ein Kadaver, den es noch zu töten gilt. Das Leipziger Theatralitätskonzept als methodisches Prinzip der Historiographie älteren Theaters “ , in Rudolf Münz: Theatralität und Theater. Zur Historiographie von Theatralitätsgefügen, Berlin 1998, S. 82 - 103. 25 Das Spiel der Liebhaber - Ästhetische Bildung im bürgerlichen Amateur-Schauspiel Lange weilen können. Maßlose Dauer und begrenzte Zeiterfahrung in einer Ästhetik des Durativen Johanna Zorn (München) Das zeitgenössische künstlerische Spektrum kennt eine Vielzahl an Inszenierungsformen, die das Phänomen der Dauer selbst thematisch und erfahrbar werden lassen. Durative Performances widersetzen sich durch ihre ostentative Maßlosigkeit dabei nicht lediglich einem ökonomisierten Zeit-Regime, sondern geben Angebote einer regelrecht exzessiven Zeiterfahrung aus, die mit der Aufforderung eines Sich-Einlassens in ihren Verlauf selbst spielen und so das Prinzip gerichteter Aufmerksamkeit empfindlich stören. Nicht das überschaubare ‚ Werk ‘ als das Phantasma eines in sich abgeschlossenen künstlerischen Produktes, sondern das Eintreten in die ‚ Situation ‘ des zeitlichen Verlaufs ist das bestimmende Dispositiv solch installativer Formen. Dies ist zugleich auch die Situation des Lebens schlechthin, zu der sich Kunst dabei mimetisch verhält. Der Artikel entwickelt ausgehend vom historischen Phänomen der Hungerkünstler*innen und mit Blick sowohl auf die anachoretische Praxis der Neo-Avantgarde als auch auf zeitgenössische installative Settings ein Panorama unterschiedlicher Formen der Dauer-Kunst, die mit der paradoxen Erfahrungsqualität einer ‚ begrenzten Unermesslichkeit ‘ spielen. Die Unermeßlichkeit ist, könnte man sagen, eine philosophische Kategorie der Träumerei. 1 Von hungernden Künstlern und ausdauernden Performern Im Übergang vom 19. zum 20. Jahrhundert eroberte ein bis dahin ungekanntes Genre der Schaustellerei die Bühnen der Jahrmärkte, Varietés und Hotels, dessen Attraktion schlicht das ‚ Hungern ‘ war. Bereits 1880 trat der Arzt Henry Tanner in der Clarendon Hall in New York an, um am eigenen Körper die zweifelhafte These zu exemplifizieren, dass der Mensch nicht nur in der Lage sei, 40 Tage ausschließlich von Wasser zu leben, sondern dass ein derartiger Nahrungsentzug überdies auch noch gesundheitsfördernd sei. Was zunächst als medizinisch ambitionierter Selbstversuch (mit überdeutlicher Allusion an das 40-tägige Fasten Jesu) in den USA begann, schwappte schnell nach Europa über, um dort als performativer Triumph des Geistes über das Fleisch die massenhaft heranströmenden Schaulustigen in den Bann zu ziehen. Seine Pointe erhielt das bizarre, ja makabre Sujet der Askese schlicht durch die vorgeführte Dauer der Abstinenz von der Essensaufnahme. Die Dauer der Handlung wurde zum Sujet der Darstellung. Die Signatur einer mit den Begriffen der ‚ Décadence ‘ und des ‚ Fin de Siècle ‘ verbundenen historischen Zeit der Übersättigung, des voyeuristischen Begehrens nach einer fortwährenden Steigerung der Sensationserfahrungen, scheint in der Enthaltsamkeit das passende dialektische Gegenstück gefunden zu haben, das nunmehr allerdings auch mit der sportlichen Formel der Überbietung zu Werke ging. So konkurrierten zahlreiche sogenannte Hungerkünstler*innen um die erreichte Höchstdauer im Fastenmarathon, was im Übrigen auch immer wieder Anlass Forum Modernes Theater, 31/ 1-2 (2020), 26 - 38. Gunter Narr Verlag Tübingen DOI 10.2357/ FMTh-2020-0003 zu Spekulationen über Betrugsfälle bot, die sich nicht selten erhärteten. Der italienische Star seiner Zunft, Giovanni Succi, der 1896 im Wiener Hotel Royal mit seiner Kunst gastierte, soll etwa durch einen unangemeldeten Arztbesuch beim Verzehr eines Beefsteaks ertappt worden sein, was wohl dazu führte, die Hungerkünstler*innen - zu denen in der Tat auch Frauen zählten - fortan in Glaskästen oder Gitterkäfigen auszustellen, um sie beim Fasten besser überwachen zu können und nebenbei den Schauwert zu erhöhen. 2 Im öffentlichen Schauhungern liefen in jedem Fall die Aspekte einer Selbstüberwindung hin zum ‚ Übermenschen ‘ , wie sie Friedrich Nietzsche in seinem Zarathustra in eine prägnante philosophische Fabel gefasst hat, 3 und die forcierte Aktivierung eines körperlichen Außer-sich-Seins zusammen. Die Erfahrung der Ekstase seitens der Agierenden wurde der Idee nach gerade durch den temporären und freiwilligen Entzug von Lebensnotwendigem ausgelöst, der selbstverständlich nicht im fiktiven Moment der Verkörperung aufgeht, sondern als „ Aufs-Spiel-setzen der Existenz “ 4 ausagiert wird. Die lebensbedrohliche Disziplinierung des Körpers bewirkte bei den Hungernden offenbar den Effekt eines regelrechten Trancezustands, der von den begeisterten Zuschauer*innen interpassiv, aus der Distanz erfahrbar wurde. 5 Die Attraktion, die zunächst wohl nicht zufällig bis zu jenem historischen Zeitpunkt immer neue Höhepunkte an Ausdauer erreichte, an dem das willentliche Fasten von der tatsächlichen kollektiven Not des Hungerns im Zuge des Ersten Weltkriegs eingeholt wurde, veranlasste Franz Kafka im Jahr 1922 dazu, einen bissigen Text über das artistisch zur Darstellung gebrachte Hungern zu verfassen. Die Erzählung Ein Hungerkünstler verhandelt im Kern die paradoxe Situation des Künstlers, der die Kunst in das eigene Leben importiert, also den eigenen künstlerischen Output regelrecht als Lebensform interpretiert und ausagiert. Der Inhalt ist in aller Kürze folgender: Der titelgebende, ehemals erfolgreiche Hungerkünstler bringt seine Kunst, das Hungern, in einem Käfig eingeschlossen und von Wachpersonal kontrolliert, dem Publikum zur Anschauung. Da diese Kunst des Schauhungerns im Verlauf der Jahre aus der Mode gekommen ist, der namenlose Künstler sich aber weiterhin, nunmehr allerdings lediglich für sich selbst, seiner Kunst hingibt, stirbt er eines Tages beinahe unbemerkt in seinem Käfig, der fortan von einem jungen Panther bewohnt wird. Der Text Kafkas, der das Erlebnis ‚ hungernder Dauer ‘ nunmehr ganz in das Ich des Künstlers einschließt, das am Ende keine Entsprechung mehr in den interpassiven Erfahrungen der Zuschauer*innen finden kann, liest sich als literarische Vorwegnahme unterschiedlicher performativer Strömungen seit den 1970er Jahren, die das Dauererlebnis des künstlerischen Ichs in den Mittelpunkt rücken: Jener Performances, die sich unter den englischen Schlagworten der ‚ Endurance Art ‘ , der ‚ Live Art ‘ , der ‚ Durational Art ‘ oder der ‚ Time-Based Art ‘ 6 für das Phänomen des gestalteten Vergehens von Zeit selbst interessieren; sowie der ‚ Body Art ‘ , die den eigenen Leib, in seinen Möglichkeiten und Grenzen, zum Ort einer erhöhten Glaubwürdigkeit machten, indem Protagonist*innen die eigene Körpererfahrung durch unterschiedliche Zurichtungen, von Selbstverletzung bis zu Askese, als Formen der eigenen Ausdauer, mithin ihres eigenen körperlichen ‚ Überdauerns ‘ ausstellten. Kafka liefert mit seinem literarischen Nachdenken über diese eigentümliche künstlerische Praxis auch eine Chiffre für die doppelte Rolle des Künstlers, nämlich selbst nicht nur Darsteller, sondern auch der ideale Zuschauer seiner selbst zu sein. In diesem Sinne heißt es bei Kafka: 27 Lange weilen können. Maßlose Dauer und begrenzte Zeiterfahrung in einer Ästhetik des Durativen Niemand war ja imstande, alle die Tage und Nächte beim Hungerkünstler ununterbrochen als Wächter zu verbringen, niemand also konnte aus eigener Anschauung wissen, ob wirklich ununterbrochen, fehlerlos gehungert worden war; nur der Hungerkünstler selbst konnte das wissen, nur er also gleichzeitig der von seinem Hungern vollkommen befriedigte Zuschauer sein. 7 Hinter Kafkas unübersehbar ironischem Kommentar über die Authentizität der historischen Ausdauer-Kunst zeigt sich die Differenz zwischen der Totalität der Erfahrung des artistischen Asketen auf der einen Seite und der notwendigerweise je ausschnitthaften Rezeptionsmöglichkeit der Zuschauer*innen auf der anderen. Dadurch kommt eine antinomische Konstellation in der Ästhetik des Durativen zum Vorschein: Sie wird für die Künstler*innen zum Leben selbst. In die totalen Erfahrungswelten dieses Lebens können die Künstler*innen ihre Rezipient*innen allerdings nicht mitnehmen. Eine Öffnung des fiktionalen Moments von Darstellung auf ein Jenseits der symbolischen Repräsentation hin wäre dem Typus der Ausdauerkünstler*in, so lehrt es uns der Text Kafkas, nur über die Vermittlung ihres Dauerns an die Zuschauer*innen möglich. Erst in der dauerhaften ‚ Erfahrung ‘ rückt die Sphäre der Darstellung dem Leben empfindlich nahe. Das wusste bereits Richard Wagner, der mit seiner Ring- Tetralogie nicht zuletzt für die Rezipierenden ein Gesamtkunstwerk des Dauerns schaffen wollte. So gesehen zeigt sich in der Verweigerungshaltung von Kafkas Hungerkünstler, seiner Darbietung ein Ende zu setzen, der Versuch einer Überführung von künstlerischer Praxis in Lebensform: [A]m vierzigsten Tage wurde die Tür des mit Blumen umkränzten Käfigs geöffnet, eine begeisterte Zuschauerschaft erfüllte das Amphitheater, eine Militärkapelle spielte, zwei Ärzte betraten den Käfig, um die nötigen Messungen am Hungerkünstler vorzunehmen, durch ein Megaphon wurden die Resultate dem Saale verkündet, und schließlich kamen zwei junge Damen, glücklich darüber, daß gerade sie ausgelost worden waren, und wollten den Hungerkünstler aus dem Käfig ein paar Stufen hinabführen, wo auf einem kleinen Tischchen eine sorgfältig ausgewählte Krankenmahlzeit serviert war. Und in diesem Augenblick wehrte sich der Hungerkünstler immer. [. . .] Warum gerade jetzt nach vierzig Tagen aufhören? Er hätte es noch lange, unbeschränkt lange ausgehalten; warum gerade jetzt aufhören, wo er im besten, ja noch nicht einmal im besten Hungern war? 8 Bei Kafka sind also gleich mehrere Aspekte enthalten, die für die künstlerische Darstellung und Verkörperung von Dauer relevant sind: Das ist zum ersten die Dopplung der Rolle als Darsteller und Zuschauer, die auf das Phänomen der ästhetischen Erfahrung verweist, in der die Pole von Produktion und Rezeption kollidieren; 9 zum zweiten die ostentative Transformation von Kunst in Leben, die sich daran zeigt, dass der Hungerkünstler selbst den Zeitpunkt des Aufhörens nicht akzeptieren möchte; und schließlich, zum dritten, die Redefigur einer Kunst, die immer schon angefangen hat und die wir Menschen nur ausschnitthaft erleben können. Diese darstellungs- und erfahrungsästhetische Parabel auf das Leben selbst hat ihr Echo längst in all jenen Reality-TV-Formaten erhalten, die seit den 2000er Jahren in nahezu unendlichen Variationen gewuchert sind, und die den Begriff der Realität, mithin der Authentizität, maßgeblich über die dauerhafte Beobachtung von - selbstverständlich laboratorisch inszenierten - Lebenssituationen legitimieren. 28 Johanna Zorn Das anachoretische ‚ Überdauern ‘ neoavantgardistischer Künstler*innen Als historisch einschlägige Referenzperformances für diese darstellungs- und erfahrungsästhetische Dimension können die im Umfeld der bereits erwähnten ‚ Endurance Art ‘ erprobten Weisen der Ausdauer ihrer Protagonist*innen gesehen werden. Chris Burdens Performance Five Day Locker Piece gilt gemeinhin als künstlerisches Initial einer solchen performativen Selbstaufopferung auf gefährlich lange Zeit. Der US-amerikanische Künstler ließ sich dafür vom 26. bis zum 30. April 1971 in einen ca. 60 x 60 x 90 cm großen Spind in der UC Irvine einschließen. Mit nichts außer fünf Kanistern Wasser im Spind über ihm und einem leeren Kanister im Spind unter ihm verbrachte er dort die vorher festgelegten fünf Tage. Vorbereitet hatte er sich durch eine längere Fastenzeit. Künstler*innen, die den körperlichen Ausnahmezustand seither in Settings erprobt haben, in denen sie sich, dem Hungerkünstler Kafkas ähnlich, freiwillig in die Gefangenscheit einer selbst inszenierten Situation begaben, gibt es zahlreiche. Die historischen, politischen und ästhetischen Differenzen zu den Hungerkünstler*innen sind dabei freilich ebenso offenkundig wie die gewandelten medien- und kommunikationstechnologischen Vorzeichen. Während das historische Panorama der performativen Askese im Fin de Siècle schwerlich als Bürge für ein politisches Protestbewusstsein fungieren kann, so zitieren nicht wenige Performances aus dem neo-avantgardistischen Spektrum das brisante Moment des Hungerstreiks, der die ästhetischen und sensationserzeugenden Faktoren des Artistischen in eine radikale Verweigerungshaltung und somit kritische Praxis invertiert. 10 Ebenso übernehmen die (audio-)visuellen Reproduktionstechniken von der Fotografie bis zum Video für die Performances der Live Art nicht nur dokumentarische Funktion. Dergestalt erwirkt die „ mediatized performance “ 11 keineswegs die aufbewahrende Übersetzung eines transitorischen Ereignisses, sondern stiftet ihrerseits eine eigene, medial distinkte Inszenierung, in der die Idee des vergangenen hic et nunc konkomitant miterscheint. 12 Damit erfolgt die ästhetische Erfahrung letztlich nach einem Schichtungsprinzip, das ein Ereignis mit dessen medialen Dokumenten übermalt. Dabei akzentuieren die performativen Versuche mit der Zeit und deren (audio-) visuelle Exporte geradezu überdeutlich die Schichten ästhetischer Erfahrung. Das forcierte Spiel mit dem Bewusstsein einer dauernden Präsenz seitens der Agierenden einerseits und der mediatisierten Spur dieser Präsenz andererseits löst nämlich die Frage nach der kopräsenten Erfahrungsdimension programmatisch zugunsten der Idee von Unermesslichkeit auf. Das Wissen, dass da jemand ist oder war, wird für die Konstitution einer Parallelwelt funktionalisiert, die je nicht mehr einsehbar, nicht mehr erlebbar ist. In besonders radikaler Weise praktizierte Tehching Hsieh die Anachorese als Form ästhetischer Erfahrung und künstlerischen Ausdrucks. So ließ er sich in einer seiner insgesamt fünf One Year Performances, dem sogenannten Cage Piece (1978 - 79), für ein ganzes Jahr in einen Käfig aus Holz einsperren. Die Einrichtung war dabei auf das zum Überleben Notwendigste reduziert und beinhaltete ein Waschbecken, ein Bett und einen Eimer für die Notdurft. Er selbst erlegte sich ein Sprech- und Leseverbot auf, um sich jede Form der Zerstreuung zu verbieten. Ein Freund versorgte ihn mit dem Nötigsten, entsorgte seine Abfälle und dokumentierte Hsiehs Zustand täglich fotografisch. In regelmäßigen Abständen wurde der Raum auch für Besucher*innen geöffnet. Die meditative Fokussierung auf das eigene Innenleben in der gesellschaftlichen Isolati- 29 Lange weilen können. Maßlose Dauer und begrenzte Zeiterfahrung in einer Ästhetik des Durativen on ist im Falle Hsiehs nicht lediglich die performativ wiederholende Überbietung seiner existentiellen Situation als illegaler Immigrant, der in Anbetracht seiner bürgerlichen Marginalisierung das selbstauferlegte Zeitregime als Kritik am Regime des Kapitalismus ausagiert. 13 Sie schreibt zugleich ganz offensichtlich die Geschichte der geistig-spirituellen Anachorese, die sich der Bekämpfung der schwerwiegenden Bürde der Acedia durch die Tätigkeiten der Selbstbeobachtung und des Ausharrens widmet, als künstlerische Praxis weiter. Erheblich medienwirksamer, allerdings auch im subtileren Setting des asketischen Einschlusses erforscht Marina Abramovic´ nunmehr seit vielen Jahren performativ die Dehnung von Zeit. Von ihrer Langzeit- Performance The Artist is Present, die sich 2010 im MoMA in New York über eine Gesamtdauer von über 700 Stunden ereignete, ging das Versprechen einer veränderten Wahrnehmung von Dauer und der Förderung eines tieferen Eintauchens in die Erfahrung von Zeit selbst aus. Für ihre Aktion 512 Hours in der Londoner Serpentine Gallery im Jahr 2014 spitzte sie das Konzept einer künstlerischen Erzeugung von Immaterialität, bei der nichts anderes entsteht, außer die Begegnung zwischen Menschen, schließlich noch einmal erheblich zu. In einem Interview spricht sie im Vorfeld gar davon, „ eine Art ‚ zeitlosen Raum ‘ erschaffen “ 14 zu wollen. Mit diesem Prinzip der Homöostase, eines schwebenden Zeitmaßes, das die Dramaturgie von zeitlichen Abläufen explizit durch eine gesteigerte Erfahrung ersetzen soll, ist ein wesentliches Moment durativer Formen benannt. Sie führen uns, da sie irgendwo anfangen und irgendwo wieder aufhören, in explizit antiaristotelischer Manier vor Augen, dass die Geschichten unseres Lebens, indem sie Anfang, Mitte und Ende haben, ein Phantasma sind. In ihren dramaturgischen Verdopplungen physikalischer Zeitstrukturen, die der Idee nach immer so weiter gehen könnten, sind sie sogar nicht selten ästhetisierte Versuche über die Unermesslichkeit, die Ewigkeit selbst. Schon Scheherazade wusste von der Möglichkeit schier endlosen Weitererzählens, um auf diese Weise dem drohenden Tod zu entgehen. Während die genannten Beispiele in ihren verschiedenen Stoßrichtungen vor allen Dingen die Dehnung und Intensivierung der Erfahrungszeit der Performer*innen selbst thematisieren, die den Rezipient*innen wiederum als Attraktionen, also lediglich in definierten Ausschnitten oder Dokumentationen zugänglich gemacht wird, so brachte die jüngere Kunstgeschichte auch durative Formen hervor, die nicht nur die ekstatische Erfahrungsdimension der Akteur*innen, sondern auch diejenige der Zuschauer*innen und Zuhörer*innen reflektieren, herausfordern, an ihre Grenzen bringen. Entfaltet wird eine ganze Bandbreite an Aktivierungsmöglichkeiten lange andauernder ästhetischer Erfahrung, in der die streng gezogene Grenze zwischen der Selbsterfahrung der Spielenden und Performenden einerseits und der aufnehmenden Erfahrung der Beiwohnenden andererseits, wie sie ausgehend von der ‚ Hungerkunst ‘ entfaltet wurde, keineswegs eingerissen, sondern lediglich in ein Dispositiv der Installation überführt wird, die verschiedene Ein- und Austrittszeitpunkte in den Verlauf ermöglicht, ja geradezu forciert. Die lange Weile der ästhetischen Erfahrung Mit dem Gestus der Provokation durch eine schlicht endlos scheinende Präsentation von Wiederholungen arbeitet bereits die Komposition Vexations, die der französische Komponist Erik Satie 1893 vorlegte. Das Werk, das mit ‚ Verärgerung ‘ oder ‚ Beleidung ‘ ins Deutsche übersetzt werden kann, 30 Johanna Zorn mag der Erwartung der Zuhörer*innen in der Tat als eine Kränkung erscheinen, denn die Komposition ist eine musikalische Verweigerung - eine Verweigerung gegenüber der Variation sowie der Kreation von Spannungs- und Überraschungseffekten. Stattdessen präsentiert sie in formaler Hinsicht über eine quälende Länge hinweg nichts als immer ‚ dasselbe ‘ . 15 Wie quälend eine Wiederholung ad infinitum sein kann, das lehrt uns wohl manchmal der Alltag selbst. Satie verdichtet die Qual der Wiederholung zum künstlerischen Programm. Das Notenblatt beinhaltet lediglich ein einfaches Bassthema, auf das alternierend eine von zwei Variationen folgt (Abb. 1). Die Anweisung von Satie sieht vor, dieses A-B-A-C-Muster 840 mal zu wiederholen und zwar, wie es nur vage heißt: „ très lent “ . Interessant sind dabei gleich mehrere Aspekte: Es handelt sich um taktlose Musik, die weder für eine bestimmte Besetzung vorgesehen ist, noch eine konkrete Tempoangabe beinhaltet. So obliegt es dem/ der Interpret*in, die Tempoanweisung zu deuten. Bei etwa 60 Schlägen pro Minute würde die Gesamtdauer der Aufführung ca. 28 Stunden in Anspruch nehmen. Dass die Langeweile der Durchschlag ist, auf dem die Aktivität der Sinne überhaupt erst möglich wird, das wusste auch Walter Benjamin: „ Wenn der Schlaf der Höhepunkt der körperlichen Entspannung ist, so die Langeweile der geistigen. Die Langeweile ist der Traumvogel, der das Ei der Erfahrung ausbrütet. “ 16 Saties Vexations können in diesem Sinne als ein musikalischer Aufruf gehört werden, sich auf das schwebende Zeitmaß einzulassen, sich in ihm zu verlieren. Zugleich liegt darin ein forcierter Versuch, Langeweile künstlerisch produktiv zu nutzen, als Spiel mit endlosen Wiederholungen, dessen Gleichförmigkeit sogar zur Stille selbst tendiert. 17 In der entsprechenden Spielanweisung heißt es dazu sinngemäß, dass man sich in der größten Stille und gewissenhaftesten Regungslosigkeit auf die Interpretation vorbereiten solle. Vexations ist insofern auch eine Vorläuferin von Saties später konkretisiertem Konzept der ‚ Musique d'ameublement ‘ . Diese, nur unelegant mit ‚ Einrichtungsmusik ‘ zu übersetzende Idee soll dazu führen, Musik nicht im Modus der gerichteten Aufmerksamkeit zu hören, intellektuell zu erfassen, sondern sie in den Raum hinein- und aus ihm herauswirken zu lassen - Räumen also eine nahezu verborgene, d. h. atmosphärische akustische Färbung zu geben. 18 Eine solche Ästhetik der Installation, die Satie damit avant la lettre vorgelegt hat, setzt die Idee um, als Besucher*in in einen Raum einzutreten, der bereits bespielt ist. Kein Werk wartet mehr auf den/ die Rezipient*in, um durch seine/ ihre Anwesenheit beginnen zu können, sondern eine Situation empfängt ihn/ sie, war je schon vorher da, hat je schon angefangen. Damit wird die von Kafka reflektierte Unzulänglichkeit, das Hungern des Künstlers dauerhaft wahrnehmen zu können, transformiert in eine ästhetische Praxis der fortlaufenden Situation, die das ‚ Ganze ‘ modellhaft in Aussicht stellt und sich doch aufgrund ihrer schieren Größe entzieht. Die Entgrenzungs-Geschichte der modernen und postmodernen performativen Kunst lässt sich vor der Folie der Installation insofern nicht lediglich als ein Herausgleiten aus den fest umrissenen ‚ Grenzen des Werkes ‘ betrachten, 19 sondern auch als Spiel mit der ‚ Unermesslichkeit der Situation ‘ selbst. Die bekannte Invektive Michael Frieds gegen die von der Minimal Art ausgehende spezifische Theatralität, die kraft der Umwandlung des Werks zur Situation entsteht und „ geradezu definitionsgemäß den Betrachter mit umfaßt “ 20 , müsste vor dem Hintergrund der ästhetisierten langen Dauer einmal mehr problematisiert werden. Denn die Situationen, die durative Formen eröffnen, bieten explizit die Möglichkeit, sich an irgend- 31 Lange weilen können. Maßlose Dauer und begrenzte Zeiterfahrung in einer Ästhetik des Durativen einem Punkt in ihren Verlauf einzuklinken, um sie ebenso in irgendeinem Moment wieder zu verlassen. Sie bestehen somit in paradoxer Weise ihrerseits auf einem starken Werkkonzept, das sich gerade durch das Strukturmerkmal der Unermesslichkeit dem vollständigen temporalen Erfassen entzieht. Ein Musterbeispiel für eine durative Ästhetik unter Beibehaltung des Werkcharakters aus dem filmisch-installativen Bereich liefert der monumentale Filmloop The Clock. Der Film, der erstmals 2010 in der Londoner White Cube Gallery gezeigt wurde, imitiert schlicht das Funktionsprinzip einer Uhr. Aus einem gigantischen filmischen Archiv von tausenden von Filmen montierte der Regisseur Filmausschnitte zu einem 24-stündigen Film zusammen, der echtzeitsynchronisiert immer eine der realen Zeit entsprechende Filmszene zeigt. Dieses Prinzip wiederholt sich exakt 24 Stunden lang, bevor sowohl der Film als auch ein neuer Tag von vorne beginnen. Dabei übt nicht nur der Blick in die faktische Größe des Archivs, die Marclay aufbietet eine Faszinationskraft aus. Ins Auge fällt indes das übergreifende Kompositionsgesetz, das Fragmente in streng durchrhythmisierter Form zur totalen Form zusammenfügt, die den tatsächlichen Nachvollzug und die filmische Spiegelung eines Tagesablaufs augenscheinlich erfahrbar macht. Die Erfahrungssituation im Kinosaal und das Zeitgeschehen eines Tages werden so eng aneinandergebunden, dass der Tagesablauf mit seinen durchaus konventionalisierten Zuspitzungen, Verdichtungen und Retardierungen tatsächlich als filmische Verdopplung ‚ erscheint ‘ . Die Tatsache, dass der Film exakt einen Sonnenumlauf dauert, macht ihn zu einem Modellfall zeitgenössischer ästhetischer Verdopplungsstrategien, die mit der Korrespondenz physikalischer Zeit und ästhetischer Zeiterfahrung arbeiten. Durch die Zeitspanne von 24 Stunden imitiert der Loop nicht nur den zeitlichen Verlauf eines Tages, sondern verkörpert metaphorisch auch die Erfahrungswelt des ‚ großen Ganzen ‘ und thematisiert auf diese Weise das Prinzip einer sogar unendlichen Wiederholung. 21 Denn die Pointe der zugrundeliegenden durativen Ästhetik liegt ja gerade darin, dass mit jedem neuen Tag auch der Film wieder von vorne beginnt und einer ‚ Never Ending Story ‘ 22 gleicht, die auch dann noch weiter läuft, wenn das individuelle Erfahren, sei es durch die Öffnungs- und Schließzeiten der jeweils ausstellenden Institution oder durch die eigene Grenze der physischen oder psychischen Ausdauer, bereits vorbei ist. Der zugrundeliegende temporale Topos ist also nicht der Zeitstrahl, der auf ein Ziel hin ausgerichtet ist, sondern das Bild des Kreises, in den die Besucher*innen eintreten und aus dem sie sich wieder ausklinken können. Damit scheint die Metapher des Uroboros, des Schwanzverzehrenden, der durch die Abwesenheit von Anfangs- und Endpunkt in der altägyptischen Ikonografie die kosmische Einheit und somit die Entsprechung von Makro- und Mikrokosmos symbolisiert, durch das filmische Gebilde hindurch. Gleichzeitig ist dieser Endlosschleife die ausschnitthafte Wahrnehmung durch die Rezipierenden einkomponiert, die ihrerseits die Unermesslichkeit des Uroborus chiffriert. In seiner Redefigur der „ ewigen Wiederkunft “ benennt Nietzsche bekanntermaßen die potentiell unendliche Wiederholung des bereits Erlebten als „ das grösste Schwergewicht “ 23 und weist ihrer Anerkennung gerade deshalb den höchsten Ausdruck der Lebensbejahung zu. Ein derartiger Experimentcharakter um die Erfahrung der Dauer, der die Idee der Endlosigkeit aus dem Strukturprinzip der Wiederholung entwickelt, kennzeichnet eine Vielzahl an zeitgenössischen künstlerischen Positionen. So inszeniert der isländische Künstler Ragnar Kjartansson seit 32 Johanna Zorn nunmehr einigen Jahren Dauerschleifen, die vordergründig einen iterativen Redundanzcharakter errichten, bei genauerer Betrachtung allerdings Meditationen über die Verdichtung von Zeit und deren Vergänglichkeit sind. So ließ er im Jahr 2013 die USamerikanische Band The National im MoMA PS1 über eine Dauer von gut sechs Stunden den Song „ Sorrow “ vor Publikum interpretieren. Daraus entstand der Film A Lot of Sorrow, der über den Modus der Wiederholung nicht lediglich die Satieschen ‚ Verärgerungen ‘ über die unendliche Melodie ironisch fasst, sondern das auratische Moment der Einmaligkeit offensiv konterkariert. Dass umgekehrt gerade die schier endlos scheinende Wiederholung bereits erlebter Situationen traumatischen Charakter annehmen kann, zeigt sich wohl in eklatantester Weise in Formen physischer und psychischer Gewalt. Der schwedische Künstler Markus Öhrn hat für seine durative Performance-Installation Häusliche Gewalt Wien, die als Auftragswerk der Wiener Festwochen im Jahr 2018 in den Gösserhallen erstmals gezeigt wurde, die Qual endloser Gewalttätigkeit thematisiert. Hinter dem programmatischen Titel verbirgt sich eine Auseinandersetzung mit gerichtlich dokumentierten Fällen häuslicher Gewalt, die Öhrn in ein verstörend stilisiertes Setting von Schablonen des Missbrauchs überführt hat. Über eine Gesamtdauer von fünf Stunden, in der den Zuschauer*innen jederzeitiges Kommen und Gehen explizit ermöglicht wird, verdichten eine Performerin und ein Performer das Prinzip erschütternder Wiederholung in eine aussichtslose Spirale körperlichen und geistigen Terrors. Dem Spielort, einer rudimentär eingerichteten, überwiegend in weißer Farbe gehaltenen Wohnung, korrespondiert eine stereotypisierte Zeichnung der unterworfenen Frau in engem roten Spitzenkleid und hochhackigen Schuhen und ihrem Mann, einem nur scheinbar seriösen Anzugträger, der mit Sporttasche in der Hand am Abend ins traute Heim zurückkehrt. Was dort zunächst als harmloses, weil durch mediale Bilder bestens bekannte Heimkommen des Mannes zum gedeckten Essenstisch beginnt, invertiert unversehens in erbarmungslose Handlungen der Demütigung seitens des Mannes. Gerade noch sitzen die beiden beim Essen, da stopft er ihr gewaltsam Nudeln in den Mund, gerade noch gibt sich das Paar Zeichen der Zuneigung, da schlägt er ihr brutal ins Gesicht. Dieses nahezu unvermittelte Herauskippen aus einer harmlosen Situation wiederholt sich ebenso wie die darauffolgenden Reaktionen der Frau. Sie legt sich vor dem Spiegel neues Make-up auf und richtet sich ihr zerrissenes Kleid zurecht, macht sauber, während er rückwirkend an seinen Taten verzweifelt, weint. Sie tröstet ihn. Das Ganze beginnt in variierter und zugespitzter Form von Neuem. Die Gesichter des Paares sieht man bei alldem nicht, stattdessen tragen die Performerin und der Performer überdimensionale, ins Groteske verzerrte Masken aus Pappmaché auf den Köpfen. Auch spricht hier niemand, doch tönen - elektronisch verstärkt - Laute durch die Masken hindurch: das Schmatzen beim Essen, ein kleiner Seufzer, schmerzvolles Stöhnen, Zeichen der Zustimmung, Weinen. Ein Pianist begleitet das sich unaufhaltsam zuspitzende Spiel der Unterdrückung mit romantischer Klaviermusik von Schubert bis Chopin. Das musikalische Symbol bürgerlicher Innerlichkeit steigert das ohnehin schier Unaushaltbare ins Extrem. Als Zuschauer*in dieser Performance hat man einander widerstreitende Haltungen zu moderieren, deren Ausweglosigkeit durch das performativ installative Setting geradezu provoziert wird. Die durative Konzeption, die den jederzeitigen Ein- und Austritt der Rezipient*innen miteinbezieht, 33 Lange weilen können. Maßlose Dauer und begrenzte Zeiterfahrung in einer Ästhetik des Durativen erzwingt unsere Entscheidung: Begeben wir uns in die Rolle der Zuschauer*in, die offenen Auges, voyeuristisch in den Abgrund blickt, der selbstverständlich wie immer auch der eigene ist, oder verlassen wir den Raum in jenen Momenten, in denen die Situation zu nahe geht. Es geht dabei weniger um jene widerstreitende Situation zwischen ästhetischer und ethischer Haltung, die Erika Fischer-Lichte in ihrer Ästhetik des Performativen exemplarisch anhand Marina Abramovic´s Lips of Thomas porträtiert. 24 Entscheidend für die Dringlichkeit des Gezeigten, für dessen affektives Potential ist vielmehr der Imperativ des Durativen, der uns mit jeder Entscheidung auf unbedingte Weise in das Geschehen verstrickt. Die sich im Dauermodus wiederholenden Vorgänge verweisen auf nichts weniger als auf deren erschütternde Existenz und machen mir als Rezipient*in bewusst: Verlasse ich den Raum, so hört die Gewalt nicht auf, komme ich wieder, ging sie in der Zwischenzeit ohne mich weiter - war vorher schon da. Das künstlerische Spektrum an Inszenierungsformen, die das Phänomen der Dauer selbst thematisch und erfahrbar werden lassen, so zeigen die Beispiele ausschnitthaft, ist groß. Durative Formen, von Saties Vexations über Marclays The Clock bis hin zu Öhrns Häusliche Gewalt Wien widersetzen sich durch ihre Maßlosigkeit dabei nicht lediglich einem ökonomisierten Zeit-Regime, dem die Verfügbarkeit von Zeit längst als der eigentliche Luxus gilt, sondern sind selbst Angebote einer exzessiven Zeiterfahrung. Wir sollen also im wahrsten Sinne des Wortes lange weilen, eine lange Weile haben und können diesem Gebot Folge leisten oder nicht. Sie fordern uns auf, uns wie der Benjamin ’ sche Traumvogel in ihren Verlauf selbst einzulassen und durchkreuzen das Prinzip gerichteter Aufmerksamkeit. Von der Aggression angesichts der Dauer über die erschütternde Einsicht in das Phänomen der sich wiederholenden Gleichförmigkeit bis hin zur Kreation von Parallelwelten durch die Deckungsgleichheit physikalischer und ästhetisch (re-)präsentierter Zeit - durative Formen exemplifizieren immer auch die Unermesslichkeit dessen, was sie zeigen. Die Zeitformel der Ewigkeit als der Prozess, der immer schon angefangen hat und unbegrenzt weiter gehen könnte, wird dabei ebenso ästhetisch funktionalisiert wie die rauschhafte Verausgabung oder die Erfahrung von Langeweile. Epilog: Die dauernde Situation im Käfig Ein letztes Beispiel, das zugleich eine verspätete Fußnote zum hungerkünstlerischen Einschluss liefert, soll dieses historisch und ästhetisch diverse Panorama von Ausdauer- Kunst abschließen. Es handelt sich um das Großprojekt DAU des russischen Regisseurs Ilya Khrzhanovsky, das in seinem Maximalismus zwar viele der bereits angeklungenen Elemente aufnimmt, diese aber erheblich zuspitzt. Alle genannten Beispiele haben es gemeinsam, dass sie auf der Grundlage ihrer Dauerstruktur nicht nur schwerlich oder gar nicht ‚ im Gesamten ‘ erfahrbar sind, sondern ebenso wenig als Anschauungsobjekte museal oder medienarchivalisch exportierbar sind. Im Fall von The Clock geht diese Unverfügbarkeit sogar so weit, dass durch die intrinsisch angelegte Synchronisation der filmischen mit der physikalischen Zeit gar keine Dokumente medial verfügbar sind. Alle Beispiele sind also schlicht an die Zeit und den Raum der Aufführung gebunden. Für DAU gilt diese ‚ zeitspezifische ‘ Bindung in besonders radikalisierter Weise. Khrzhanovsky wollte das Leben des einzigen sowjetischen Nobelpreisträgers Lew Landau, genannt Dau, verfilmen. In Charkiw, einer Stadt in der Ukraine, ließ er für die Realisierung seines Vorhabens im Jahr 2008 34 Johanna Zorn ein wissenschaftliches Institut bauen, das der tatsächlichen Wirkungsstätte Landaus nachempfunden war. Das Filmprojekt entwickelte sich zu einer Mischung aus Sozialexperiment, menschlichem Laboratorium und künstlerischer Versuchsanordnung, in der die Grenzen zwischen sozialer Wirklichkeit und ästhetischer Fiktion nur mehr schwer zu ziehen sind. In den Jahren von 2009 bis 2011 lebten ca. 400 gecastete Bewohner*innen und ihre internationalen Stargäste - von Marina Abramovic´ über Romeo Castelucci bis hin zu Peter Sellars - tatsächlich an diesem Set. So nahm das der Historie abgeschaute Institut die Form einer fiktionalisierten Gated Community an. In diesem Lebensraum, in dem zwar jeder und jede Mitspieler*in eine Rolle übernahm, für die es aber kein fixiertes Drehbuch gab, sondern einzig ein zu erfüllendes Rollenspektrum, war die Sowjetzeit der 1950er Jahre als Realität gesetzt. Dieses fingierte Zurückdrehen der Zeit zeigt sich nicht nur in Kleidung, Einrichtung und Requisiten, sondern auch in spezifischen Verhaltenskodizes und Sprechordnungen. So waren Begriffe, die in den 1950er Jahren noch nicht existierten, ebenso strikt verboten wie die dialogische Vorwegnahme von historischen Entwicklungen, von denen zu jener Zeit noch niemand wissen konnte. Festgehalten wurde das Leben auf Kamera. Allerdings handelte es sich nicht um Überwachungskameras im Stil von Big Brother, sondern um eine Handkamera. Der Kameramann Jürgen Jürges drehte, so die Fama, auf dem Gelände, was er sah, ohne Wiederholung einzelner Takes. 25 Herausgekommen sind neben einer Fülle an Ausschussmaterial dreizehn Kinofilme. Diese Kinofilme wurden eingefasst in ein überdimensionales Environment, das zugleich Film- und Theater-Installation war, sich diesen Zuschreibungen aber selbsterklärtermaßen entzieht und stattdessen für sich in Anspruch nimmt, ein in dieser Form noch nie dagewesenes immersives Gesamtkunstwerk zu sein. 26 Für die als immer noch andauerndes Experiment angekündigte Installation, 27 deren geplante Uraufführung im Herbst 2018 in Berlin gescheitert ist und letztlich in Paris zu Beginn des Jahres 2019 zustande kam, sollte die fiktive Welt des DAU-Instituts mit seiner Überwachungsstruktur spürbar gemacht werden. Als Besucher*in kaufte man dementsprechend keine gewöhnlichen Tickets, sondern ein Visum, für dessen Erhalt wiederum im Vorfeld intime Fragen zu Sexualität, aber auch zu politischen Einstellungen zu beantworten waren. Mit dem Visum erlangte man Zutritt zu den beiden Veranstaltungsorten, dem Théâtre du Châtelet und dem gegenüberliegen Théâtre de la Ville sowie zum Centre Pompidou. Zuvor hatte man Sicherheitskontrollen zu passieren und sein Handy abzugeben. Intendiert war ganz offensichtlich der Übergang in einen von der Außenwelt getrennten ‚ anderen Ort ‘ , in eine totalitäre Parallelwelt, in der eigene Gesetze gelten. 28 Die beiden Theaterhäuser wurden so gut wie vollständig bespielt, das Spektrum der über Screens angekündigten Programmpunkte reichte von philosophischen Talks und künstlerischen Darbietungen über schamanistische Rituale und One-to-ones, in denen man mit Psycholog*innen oder Seelsorger*innen sprechen konnte, bis hin zur Präsentation der DAU-Filme. Bevölkert wurden die beiden Theater außer von Besucher*innen von Wachpersonal und erschreckend lebensecht erscheinenden Puppen. Letztere waren Doubles der Hauptfiguren, die, gerade noch in den Filmen zu sehen, auf einmal in den Gängen standen oder an Tischen saßen, während man selbst russischen Wodka und russisches Essen aus der Dose konsumieren konnte. Man sollte ganz offensichtlich den Insassen des DAU- Instituts nachspüren und eintauchen in eine längst vergangene Sowjetzeit, die nunmehr wiederum vermittelt war durch die histori- 35 Lange weilen können. Maßlose Dauer und begrenzte Zeiterfahrung in einer Ästhetik des Durativen sierte Fiktion der filmischen DAU-Welt. Was sich an dieser fiktional historisierten Parallelwelt, deren installativen ‚ Abdruck ‘ ich als Besucherin über 24 Stunden in Paris erlebte, als Radikalisierung durativer Ästhetik zeigt, ist Folgendes: Die für die durative Ästhetik ohnehin signifikante Weigerung, eine vollständige Erfahrung der ‚ Situation ‘ zu ermöglichen, wird in der DAU-Installation noch einmal überboten, indem die Dokumente des Langzeitexperiments aus der Zeit von 2009 bis 2011, das ich selbst nicht erlebt habe, zur neuerlichen Kreation einer Parallelwelt montiert werden, in der ich als Besucherin wiederum die Erfahrung eines anderen Raumes und einer anderen Zeit machen soll, die mir selbstredend wieder nur ausschnitthaft gelingt. Mit Kafkas Hungerkünstler im Gepäck denke ich rückblickend zugleich an einen Käfig, in den ich selbst - auf den Spuren der DAU-Akteur*innen - freiwillig eintrete, so als müsste die Kunst drinnen im abgeschlossenen Raum doch vom Draußen ferngehalten werden; so als würde die dauernde Situation nur in klaustrophobischer Enge zu haben sein. Das DAU-Projekt stellt exemplarisch aus, in welch dialektischem Bezug die dauernden Formen der zeitgenössischen Ästhetik zum Werk- Konzept stehen: Das museal ausgestellte DAU-Projekt, das die Ausstellung der Hungerkünstler*innen in Erinnerung ruft, versteinert sich zum ‚ Werk ‘ , das die Dauer als das Erlebbare zunächst nur mehr im intradiegetischen Raum metaphorisiert. Die nicht enden wollende ästhetische Erfahrung des Durativen, die für sämtliche der besprochenen Beispiele konstitutiv ist, tritt dabei in dialektische Konkurrenz zur Ausdauer des Werkes als Vergegenständlichung von Erfahrung selbst, das stets wieder zu einem endlosen Spiel der ästhetischen Erfahrung antreibt. 29 Anmerkungen 1 Gaston Bachelard, Poetik des Raumes, Frankfurt a. M. 2007, S. 186. 2 Zum historischen Phänomen der Hungerkunst vgl. Peter Payer, Hungerkünstler. Eine verschwundene Attraktion, Wien 2002. 3 Vgl. Friedrich Wilhelm Nietzsche, „ Also sprach Zarathustra “ , in: Friedrich Wilhelm Nietzsche, Sämtliche Werke. Kritische Studienausgabe in 15 Bänden, Bd. 4, hg. von Giorgio Colli und Mazzino Montinari, München 1980, S. 146 - 147. 4 Gottfried Fischborn, „ Hungerstreikende und Hungerkünstler als Akteure neuzeitlicher Theatralität “ , in: Gottfried Fischborn, Politische Kultur und Theatralität. Aufsätze, Essays, Publizistik, Frankfurt a. M. 2012, S. 45 - 56, hier S. 47. 5 Zum Phänomen des interpassiven Erlebens vgl. Robert Pfaller, Ästhetik der Interpassivi- Abb. 1: Erik Satie, Vexations, 1893. Auf das einfache Bassthema (unterste Notenzeile) folgt alternierend jeweils eine der zwei Variationen. 36 Johanna Zorn tät, Hamburg 2008. Robert Pfaller (Hg.), Interpassivität. Studien über delegiertes Genießen, Wien 2000. 6 Vgl. Paul Allain und Jen Harvie, The Routledge Companion to Theatre and Performance, London 2006, S. 183; RoseLee Goldberg wiederum setzt den Begriff der „ endurance art “ mit dem in eins, was Kathy O'Dell als „ masochistic performance “ bezeichnet und in Zusammenhang mit den traumatischen Erfahrungen des Vietnam- Krieges bringt. Vgl. RoseLee Goldberg, Performance. Live Art since 1960, New York 1998, S. 99. 7 Franz Kafka, „ Ein Hungerkünstler “ , in: Franz Kafka, Sämtliche Erzählungen, Frankfurt a. M. 1970, S. 163 - 171, hier S. 165. 8 Kafka, „ Hungerkünstler “ , S. 166. 9 Eine prominente kunstphilosophische Position, die ästhetische Erfahrung als Kollision von produktiven und rezeptiven Momenten beschreibt, findet sich in John Dewey, Kunst als Erfahrung, Frankfurt a. M. 1980. 10 Vgl. zur Protestform des Hungerstreiks Patrick Anderson, So much wasted. Hunger, Performance, and the Morbidity of Resistance, Durham 2010. 11 Philip Auslander, Liveness. Performance in a mediatized culture, London/ New York 1999, S. 5. 12 Zur virulenten Diskussion um das Zusammenspiel von Performance und deren medialer Inszenierung vgl. exemplarisch Amelia Jones, „‚ Presence ‘ in absentia. Experiencing Performance as Documentation “ , in: Art Journal 56 (1997), S. 11 - 18; Amelia Jones, Adrian Heathfield (Hg.), Perform, Repeat, Record. Bristol 2012; Burcu Dogramaci, Fotografie der Performance. Live Art im Zeitalter ihrer Reproduzierbarkeit, München 2018. 13 Vgl. hierzu Adrian Heathfield und Tehching Hsieh, Out of now. The lifeworks of Tehching Hsieh, London 2009. 14 Marina Abramovic´, „ Man muss bereit sein, von der Erde zu fallen “ , in: Süddeutsche Zeitung Magazin, 11. April 2014, https: / / szmagazin.sueddeutsche.de/ kunst/ man-mussbereit-sein-von-der-erde-zu-fallen-80350 [Zugriff am 17. 06. 2019]. 15 Selbstverständlich gilt auch hier, was u. a. Gilles Deleuze konstatiert, nämlich dass „ [d]ie exakteste, die strengste Wiederholung mit dem Maximum an Differenz “ korreliert. Gilles Deleuze, Differenz und Wiederholung, München 1997, S. 14. Zugleich allerdings speist sich aus den Möglichkeiten des Produzierens von Doppelungen, Kohärenz oder Wiederholungsschleifen eine Faszination für das potentiell unendliche Prozessgeschehen selbst. 16 Walter Benjamin, „ Der Erzähler (1936) “ , in: Walter Benjamin, Erzählen. Schriften zur Theorie der Narration und zur literarischen Prosa, Frankfurt a. M. 2007, S. 103 - 128, hier S. 110 f. 17 Vom Aspekt der kompositorischen Gleichförmigkeit her erstaunt es nicht, dass das bis in die späten 1940er Jahre in Vergessenheit geratene Werk Saties eine besondere Faszination auf John Cage ausübte. Cage veranlasste im Jahr 1963 die erste Gesamtaufführung des Werks in New York. 18 Vgl. hierzu Gernot Böhmes Konzept der Atmosphäre, die er beschreibt als „ Sphären der Anwesenheit von etwas “ . Gernot Böhme, Atmosphäre. Essays zur neuen Ästhetik, Frankfurt a. M. 1995, S. 33. 19 Als kunstphilosophischen Beitrag zu einer in die „ Ästhetik der Installation “ mündende Geschichte der Entgrenzungstendenzen der avantgardistischen und neoavantgardistischen Strömungen vgl. Juliane Rebentisch, Ästhetik der Installation, Frankfurt a. M. 2003. 20 Michael Fried, „ Kunst und Objekthaftigkeit “ , in: Gregor Stemmrich (Hg.), Minimal Art. Eine kritische Retrospektive, Dresden 1995, S. 334 - 374, hier S. 342. 21 Ein weiteres aktuelles künstlerisches Beispiel aus dem Bereich das Theaters, das den symbolischen Vollzug von Ganzheit über eine 24-stündige Dauer unternimmt und letztlich als Metonymie für das Leben selbst erscheint, liefert Jan Fabre mit seinem 2015 erstaufgeführten Mount Olympus. 22 Vgl. hierzu den Katalog zur gleichnamigen Ausstellung des Kunstmuseum Wolfsburg von 29. Oktober 2017 bis 18. Februar 2018: Ralf Beil (Hg.), Never Ending Stories. Der 37 Lange weilen können. Maßlose Dauer und begrenzte Zeiterfahrung in einer Ästhetik des Durativen Loop in Kunst, Film, Architektur, Musik, Literatur und Kulturgeschichte, Berlin 2017. 23 Friedrich Wilhelm Nietzsche, „ Die fröhliche Wissenschaft “ , in: Friedrich Wilhelm Nietzsche, Sämtliche Werke. Kritische Studienausgabe in 15 Bänden, Bd. 3, hg. von Giorgio Colli und Mazzino Montinari, München 1988, S. 571. 24 Vgl. Erika Fischer-Lichte, Ästhetik des Performativen, Frankfurt a. M. 2004, 9 ff. 25 Informationen zu den Entstehungsbedingungen des Projekts sind ebenso rar wie widersprüchlich. Dies liegt einerseits daran, dass die Akteur*innen im Vorfeld einer Verschwiegenheit zustimmen mussten, andererseits darf die damit einhergehende Legendenbildung wohl als programmatische Intention verstanden werden. Vgl. hierzu Adam White, „ Apocalypse Dau: the most insane film shoot of all time, and why you may never get to see it “ https: / / www.tele graph.co.uk/ films/ 0/ mystery-dau-insane-ne ver-ending-russian-epic-might-stay-hidden/ [Zugriff am 17. 06. 2019]. 26 In seiner Besprechung der Premiere von DAU übernimmt Thomas Oberender diese Selbstdeklaration als immersives Kunstwerk. Vgl. Thomas Oberender, „ Das Werk als Passage. Über die Pariser Weltpremiere des Projekts DAU von Ilya Khrzhanovsky “ , in: Theater der Zeit 3 (2019), S. 24 - 28. 27 Im Trailer zu DAU ist die Rede von einem „ ongoing experiment “ . Vgl. den entsprechenden Link: https: / / www.youtube.com/ w atch? v=RdwEglW8EX8 [Zugriff am 17. 06. 2019]. 28 Dieser Einschluss in das Setting von DAU sollte intensiviert werden durch eine Brücke zwischen den beiden Theatern, die ihrerseits verhindern sollte, in den profanen Raum der Stadt eintreten zu müssen. Die Genehmigung dafür wurde allerdings nicht erteilt. 29 Von den endlosen ästhetischen Erfahrungsmöglichkeiten, die ein Kunstwerk ermöglicht, spricht die Philosophin Ruth Sonderegger. Vgl. Ruth Sonderegger, Für eine Ästhetik des Spiels: Hermeneutik, Dekonstruktion und der Eigensinn der Kunst, Frankfurt a. M. 2000. 38 Johanna Zorn Methodologische Diskurse der aktuellen Probenforschung - Zwischenbericht aus einer (noch jungen) Forschungsdisziplin in der Theaterwissenschaft Tamara Yasmin Quick (München) Im Rahmen dieses Beitrags sollen die zentralen Fragestellungen, Erkenntnisse sowie ‚ Praxis- Tipps ‘ aus der Arbeitskonferenz „ Methodologische Diskurse der aktuellen Probenforschung “ als Zwischenbericht des stetigen ‚ Work-in-Progress ‘ der Methodengenese in der aktuellen Theaterprobenforschung zusammengefasst und im Kontext des lebendigen Diskurses einer vermehrt praxeologisch ausgerichteten Theaterwissenschaft diskutiert werden. Die Konferenz wurde im April 2019 unter der Leitung von David Roesner und Tamara Yasmin Quick am Institut für Theaterwissenschaft der LMU München veranstaltet, um den (inter)disziplinären Erfahrungsaustausch unter den Kolleg*innen der Probenforschung insbesondere hinsichtlich der methodologischen Herangehensweisen anzuregen. Das Ziel der Konferenz bestand in der gezielten Bündelung und Explikation des bisherigen Wissens über die Erforschung von Theaterproben. Dabei wurden die Dynamiken und Modalitäten des physischen und sozialen ‚ Feldzugangs ‘ ebenso befragt wie die Datenerhebung im Feld, die Dokumente der Probenforschung, die Datendokumentation, -verarbeitung und -analyse sowie ethnographische Schreibprozesse. Die Probenforschung im Rahmen der szenischen Künste stellt derzeit ein sehr relevantes, jedoch noch junges Forschungsfeld dar, das sich zu einem bemerkenswert großen Anteil aus aktuell durchgeführten oder kürzlich abgeschlossenen Dissertations- und Habilitationsprojekten gestaltet und so als ein progressives Interessensfeld einer jungen, vermehrt praxeologisch ausgerichteten Theaterwissenschaft beschrieben werden könnte. 1 Dabei steht nicht nur die Theaterprobe selbst als Forschungsgegenstand im Fokus der Betrachtung. Vielmehr kann der Theaterprobenprozess auch als ein dynamischer Ort der Entwicklung und Entstehung zahlreicher ästhetischer Phänomene, künstlerischer Praktiken sowie kollektivkreativer, interaktiver Produktionsräume innerhalb der spezifischen sozialen Wirklichkeit des Theaters verstanden werden. Melanie Hinz und Jens Roselt formulieren in der von ihnen herausgegebenen Sammelpublikation Chaos und Konzept 2 die kreative Dynamik von Probenprozessen als sich gegenüberstehende Spannungsfelder: Auf der Probe prallen Konzepte und Ideen auf Körper und Konditionen. Räume und Zeiten der Probe versprechen dabei eine Ordnung, die durch dynamische Probenprozesse stets in Unordnung gebracht wird. Interessant werden so die Verwirbelungen von Zeitdruck, Raumvorgaben, Erfindungsreichtum, Interpretationen und Lösungen, die Aufschluss darüber geben, wie Vorgänge der Hervorbringung und Entstehung als Kreation und Destruktion vonstattengehen. 3 Konzeption und Improvisation stehen sich dabei ebenso gegenüber wie Vision und Pragmatik, Prozesse des Suchens und Entwerfens ebenso wie des Wiederholens und Verwerfens. Lucas Herrmann 4 beschreibt darüber hinaus Forum Modernes Theater, 31/ 1-2 (2020), 39 - 63. Gunter Narr Verlag Tübingen DOI 10.2357/ FMTh-2020-0004 [. . .] ein Wechselverhältnis von Intentionalität und Emergenz 5 , wodurch sich die Probenarbeit nicht nur in einem Spannungsfeld von Individualität und Kollektivität bewegt, sondern auch vor dem Hintergrund einer Wechselbeziehung von Vorhersehbarkeit und Unvorhersehbarkeit ereignet. Das Zusammenspiel dieser Spannungsfelder und Wechselverhältnisse konstituiert nicht nur den theatralen, sondern vor allem auch den sozialen Prozess im Sinne einer ästhetischen Kommunikation. 6 Das korrespondiert stark mit Hajo Kurzenbergers Verständnis von Theater als ‚ sozialer ‘ Kunstform, die nur in Gemeinschaft mit anderen Menschen funktionieren kann, da es beim kollektiven Prozess des Theaters und der theatralen Aufführung in gleichem Maße um das Gelingen sozialer wie ästhetischer (performativer) Hervorbringungen gehe. 7 Darüber hinaus kann in einem erweiterten Verständnis von Kurzenbergers Beschreibung der Theaterprobe als einem „ Möglichkeitsraum “ 8 - insbesondere hinsichtlich der probenspezifischen Prozesse des Suchens, Ausprobierens und Verwerfens, in dem „ das Fragmentarische und Präsentische der Theaterprobe in gesteigerter Weise erlebbar [wird] “ 9 - die Theaterprobe in der Probenforschung nicht nur als ein Möglichkeitsraum der künstlerisch forschenden Praxis ausgemacht werden. Vielmehr kann sie auch als ein epistemologischer Raum begriffen werden, in dem Wissen ‚ über ‘ eine künstlerische Praxis, ein ästhetisches Phänomen oder eine kreativ-produktive Interaktionsform aus einer Außenbzw. Zwischenperspektive gewonnen werden kann und eine multiperspektivische Untersuchung theaterwissenschaftlicher Forschungsfragen ermöglicht. Katarina Kleinschmidt hinterfragt in ihrer Dissertation Artistic Research als Wissensgefüge. Eine Praxeologie des Probens im zeitgenössischen Tanz 10 kritisch die Vorstellungen von Kunstwissen als ein ‚ anderes Wissen ‘ - ein nicht-sprachliches bzw. nicht-diskursives Wissen - und führt die Tendenz zur „ Mystifizierung “ tänzerischen Wissens auf die Dominanz rezeptionsästhetischer tanzwissenschaftlicher Positionen zurück. 11 Diese Mystifizierung als die Vorstellung einer ‚ Unmöglichkeit ‘ der intellektuellen Durchdringung der künstlerischen Produktionsprozesse durch Außenstehende sucht insbesondere Gay McAuleys Titel Not Magic But Work 12 humorvoll zu ‚ entzaubern ‘ . Auch Annemarie Matzke thematisiert im Kontext der „ Mystifizierung künstlerischen Schaffens “ 13 , dass dieser gerade im Rahmen einer gezielten Erforschung von Proben- und Geneseprozessen - also einer Offenlegung und Analyse der Faktur von theatralen Prozessen - entgegengewirkt werden könne und müsse. Methodisch haben sich hierfür bisher qualitative Forschungsdesigns mit Herangehensweisen der Ethnographie als besonders vielversprechend herauskristallisiert, um das spezifische Wissen 14 offenzulegen, das auf Theaterproben implizit kursiert und expliziert wird, ‚ künstlerisch forschend ‘ im Laufe des Probenprozesses generiert, wiederholt, gespeichert, ‚ enkorporiert ‘ 15 und schließlich während der Aufführung wieder und wieder memoriert wird. Dennoch befindet sich die Entwicklung einer gegenstandsangemessenen, verbindlichen und zugleich dynamischen Methodologie zur Erforschung von Theaterproben noch recht am Anfang. Desiderat: ‚ Grundlagenforschung ‘ der Theaterprobenforschung So wird immer wieder der Ruf unter den probenerforschenden Theaterwissenschaftler*innen nach einem disziplinären und dezidiert auch interdisziplinären Austausch laut, um den ‚ Work-in-Progress ‘ der Methodengenese explizit für die Theaterpro- 40 Tamara Yasmin Quick benforschung gemeinsam voranzubringen. Denn die Theaterprobenforschung gebärt sich als ein genuin interdisziplinär ausgerichtetes Forschungsfeld: Methodologische Herangehensweisen aus anderen Wissenschaftsdisziplinen werden adaptiert und auf die Bedürfnisse und Eigenheiten dieses Forschungsgebiets angepasst. Durch den kollegialen Dialog kann von den bereits gesammelten Erfahrungen und gewonnenen Erkenntnissen in dieser aufstrebenden Forschungsdisziplin profitiert werden und eine kollektive methodologische Ausarbeitung wird ermöglicht. Hinz und Roselt formulieren mit „ Wenn sich die Probenforschung als Zweig der Theaterwissenschaft etablieren soll, müssen auch die methodischen Herausforderungen einer Probenanalyse geklärt werden. “ 16 ein grundlegendes Forschungsdesiderat. Denn die Adaption ethnographischer Forschungsstrategien aus den Sozialwissenschaften, der Anthropologie und Ethnologie kann der Theaterwissenschaft zwar als praktikable Zwischenlösung für die Erforschung von Theaterproben dienen. Die soziale, ästhetische und auch institutionelle Wirklichkeit des Theaters ist jedoch zu spezifisch und die Theaterprobenforschung gleichzeitig zu „ virulent “ in der gegenwärtigen Theaterwissenschaft, wie Bettina Brandl-Risi und Clemens Risi in München 17 anschaulich formulierten, als dass auf Dauer auf einen disziplinären Diskurs hinsichtlich einer Methodologie der aktuellen Probenforschung verzichtet werden könnte. Arbeitskonferenz zu methodologischen Diskursen der aktuellen Probenforschung in München Zum Austausch von Erfahrungen mit den Kolleg*innen, zur gebündelten Sammlung und Diskussion des bisherigen Wissens über die Erforschung von Theaterproben insbesondere hinsichtlich methodologischer Herangehensweisen sowie zur Sondierung des Forschungsfeldes, das durch die probenforschenden Wissenschaftler*innen verkörpert und gestaltet wird, veranstalteten wir am 5. und 6. April 2019 eine Arbeitskonferenz am Institut für Theaterwissenschaft der Ludwig-Maximilians-Universität München, die sich unter der Leitung von David Roesner und mir dezidiert dem Thema „ Methodologische Diskurse der aktuellen Probenforschung “ verschrieb. Zentrale Fragestellungen und Herausforderungen der aktuellen Probenforschung, die im Rahmen der Arbeitskonferenz erörtert werden sollten, schließen u. a. den Zugang zum Feld der Theaterprobe ein, die sich grundsätzlich der Öffentlichkeit entzieht und traditionell einen „ Schutzraum “ 18 für die Beteiligten darstellt, die Datenerhebung im Feld der Theaterprobe, die Datendokumentation, -speicherung sowie -katalogisierung, die Dokumente der Probenforschung, die Verarbeitung und Analyse derselben sowie mehrstufige Schreibprozesse in der Datenerhebung und Datenverarbeitung bis hin zur finalen wissenschaftlichen Veröffentlichung der Forschungsergebnisse. Am ersten Konferenztag stellten die Referent*innen ihre jeweiligen Forschungsprojekte mit besonderem Fokus auf die darin verwendeten Methoden vor. Der zweite Konferenztag, als ‚ round table ‘ konzipiert, widmete sich ausschließlich der Reflexion der vortägigen Vorträge, wobei die Diskussion anhand eines Leitfadens durch die Gastgeber*innen moderiert wurde, um im Kollektiv eine Art ‚ bestpractice-paper ‘ zu entwickeln. Es stellte sich jedoch heraus, dass die Zeit für eine ‚ best-practice ‘ noch nicht reif ist oder auch nie sein wird, da sich die Methoden zur Erforschung von Theaterproben einem Feld anpassen müssen, welches sich im stetigen Werden und Wandel befindet. Dennoch waren wir uns einig, dass ein Ergebnisbericht sinnvoll ist, um den aktuellen ‚ Status quo ‘ der Probenforschung ge- 41 Methodologische Diskurse der aktuellen Probenforschung bündelt darzustellen und unser je individuelles Wissen über die Theaterprobe zusammenzuführen. 19 (Inter)disziplinärer Blick auf den Stand der aktuellen Probenforschung Eine kurze Sondierung des Forschungsstandes erscheint mir hier vor dem Einstieg in die Diskussion lohnend, um an den bestehenden Diskurs anknüpfen zu können. Dabei fällt auf, dass diametral entgegengesetzt zur Anzahl der bereits erschienenen Publikationen zum Thema der weitestgehend blinde Fleck einer dezidierten Reflexion der bereits ‚ erprobten ‘ Strategien und methodologischen Herangehensweisen zur Erforschung von Proben steht. Hier besteht ein großer Nachholbedarf hinsichtlich einer Explikation des Wissens über die Probenforschung. Ebenso wie Matzke im Proben und der Probenforschung eine „ Polyperspektivität “ 20 hinsichtlich des Verhältnisses zwischen der Gegenwart des Prozesses und der Nachträglichkeit der Beschreibung erkennt, lohnt sicherlich auch ein Blick auf bereits veröffentlichte Forschungsarbeiten zu Theaterproben, um deren methodische Herangehensweisen retrospektiv zu reflektieren und Modifizierungen für zukünftige Probenforschungsprojekte daraus abzuleiten. Gay McAuley zieht für ihre Probenforschung 21 Clifford Geertz ‘ Konzept der „ Dichten Beschreibung “ 22 heran. Als teilnehmende Beobachterin je über den gesamten Probenzeitraum hinweg entwickelte sie am Center of Performance Studies der University of Sydney audiovisuelle Dokumentationssysteme; auf die Anwesenheit des*r akademischen Probenforscher*in kann ihrer Meinung nach jedoch trotz ausgefeilter Kameraaufnahmen nicht verzichtet werden: Die Herausforderung des ständigen Wechsels des*r Probenforscher*in zwischen Innen- und Außensicht der Produktion - zwischen Teilnahme bzw. Teilhabe an der sozialen Gruppe der Probengemeinschaft einerseits und der nötigen Distanz und eigenen Reflexion des Geschehens auf der anderen Seite - stelle gleichzeitig auch eine spezifische Qualität der ethnographischen Probenforschung dar. 23 In ihrer einschlägigen Publikation Not Magic But Work: An Ethnographic Account of a Rehearsal Process 24 beschreibt sie mit Hilfe ‚ dichter Beschreibung ‘ einen einzigen sechswöchigen Probenprozess en détail, wobei sie auch Zusatzinformationen zum Stück, zu den Künstler*innen sowie Audio- und Textdokumente aus dem Produktionsprozess miteinbezieht. Dieses Vorgehen ist lose verwandt mit Josette Férals methodischer Idee einer Genealogie von Theaterproduktionen, wobei diese weniger ethnographisch als philologisch und dokumentenbasiert ausgerichtet ist. 25 Es werden in der sogenannten Genetic Research alle Daten, die mit einer Theaterproduktion in Zusammenhang stehen - seien es die verschiedenen Stadien einer Textfassung, das Regiebuch, technische Protokolle, audiovisuelle Daten aus der Probe, Notizen des*r wissenschaftlichen Beobachter*in, aber auch von allen weiteren Beteiligten, Interviews, Gespräche usw. - mit einbezogen, um eine Theaterproduktion in ihrer Gesamtheit erfassen und verstehen zu können. 26 In den bereits erwähnten und zurecht viel beachteten Publikationen von Matzke, Hinz und Roselt sowie Kurzenberger liegt der Fokus vermehrt auf der Theaterprobe als ‚ Forschungsgegenstand ‘ per se, auf Dynamiken des Probierens - Matzke arbeitet mit den drei sich überlagernden Dispositiven Prüfung, Versuch und Übung - und auf künstlerischen Arbeitsweisen unterschiedlicher Regisseur*innen und Künstlerkollektive, insbesondere bei Hinz und Roselt und Kurzenberger. Für das Schreiben über Proben müssen dabei häufig auch neue Formen 42 Tamara Yasmin Quick der Verschriftlichung gefunden werden. So stellt Matzke beispielsweise in ihrem Aufsatz „ Das Theater auf die Probe stellen. Kollektivität und Selbstreflexion in den Arbeitsweisen des Gegenwartstheaters “ 27 einzelne Feldnotizen bzw. Einträge aus einem Probentagebuch - wie aus einem Hinweis an einer Stelle im Aufsatz abgeleitet werden kann 28 - als kleine Intros vor den folgenden Textabschnitt, allerdings ohne auf diese zwischengeschobene abweichende Textsorte genauer einzugehen oder sie zu kommentieren. Wir können aber vermuten, dass ihre Analysen zu den Arbeitsweisen im Gegenwartstheater aus einer Probenbeobachtung entstanden sind, während der u. a. Probentagebücher geführt wurden. Unklar bleibt jedoch, in welchem Forschungssetting die Datenerhebung erfolgt ist, ob noch andere Dokumentationsstrategien konsultiert wurden oder wie die erhobenen Daten letztlich verarbeitet und ausgewertet worden sind. Einen etwas konkreteren Einblick in ihre Methode der Probenforschung - die Kameraethnographie - gibt Geesche Wartmann in Chaos und Konzept. Als Datenerhebungssetting beschreibt sie: „ Die Probenforscherin war (mit einer weiteren Forscherin) als wissenschaftliche Beobachterin mit Kamera, Tonaufzeichnungsgerät und Stift bei ausgewählten Proben anwesend. “ 29 Kameraethnographisch arbeitet ebenso Maximilian Krug in seinem Dissertationsprojekt, beklagt jedoch in seinem Aufsatz „ Collecting Audio- Visual Data of Theatre Rehearsals. (Non-) Intrusive Practices of Preparing Mobile Eye- Tracking Glasses during Ongoing Workplace Interactions “ 30 ausdrücklich ein Defizit an wissenschaftlicher Beschäftigung mit dem Prozess der Datenerhebung in Theaterproben. Er experimentiert neben der audiovisuellen Datenaufnahme durch unterschiedlich positionierte Kameras im Raum auch mit einer Datenerhebung durch ‚ Eye-Tracking Glasses ‘ , die die Fokussierung des zu beobachtenden Geschehens miterfassen. Anna Wessel beschreibt in ihrem Aufsatz „ Methodische Aspekte sprechwissenschaftlicher Probenforschung “ 31 sehr detailliert und anschaulich, sogar unter Einbeziehung ausgewählter Ausschnitte ihres Probentagebuches, ihre Datenerhebung mittels ethnographischer Feldforschung mit aktiv-teilnehmender, offener und unstrukturierter Beobachtung sowie ihre Datenaufbereitung durch qualitative Analysemethoden des Codierens, orientiert an die ‚ Grounded Theory ‘ . Eine Besonderheit in ihrer Reflexion: Es werden auch praktische Fragen berücksichtigt, wie u. a. die Wahl eines geeigneten Probentagebuchformats, der Aufnahmegeräte, Fragen die Datenschutzgrundverordnung betreffend sowie ethischmoralischer Natur. Wessels sprechwissenschaftlicher Forschungsfokus liegt auf der Interaktion zwischen Regisseur*innen und Schauspieler*innen im künstlerischen Kontext, was Auswirkungen auf den Transkriptionsstil hat, der über eine rein inhaltlichsemantische Transkription weit hinausgeht. Axel Schmidt führt eine solche erweiterte Transkription inklusive detaillierter Skizzen und Analysen eindrucksvoll u. a. in seinen Publikationen Spiel oder nicht Spiel? Zur interaktiven Organisation von Übergängen zwischen Spielwelt und Realwelt in Theaterproben 32 sowie dem Aufsatz „ Prefiguring the future. Projections and preparations within theatrical rehearsals “ 33 vor. Er arbeitet mit einem interaktionsanalytischenmultimodalen Zugang zur Probenforschung - als methodisches Setting möglicherweise auch für die theaterwissenschaftliche Probenforschung interessant - und bedient sich in der Datenauswertung Methoden der Konversations- und der Sequenzanalyse. Katarina Kleinschmidt widmet ihren methodologischen Herangehensweisen an die Probenforschung im zeitgenössischen Tanz und den damit verbundenen Herausforderungen eine ausführliche Reflexion in der Einleitung ihrer Dissertation Artistic Re- 43 Methodologische Diskurse der aktuellen Probenforschung search als Wissensgefüge. 34 Sie arbeitete triangulierend mit teilnehmender Beobachtung, Interviews sowie Diskurs- und Bewegungsanalysen und begleitete so über vier Jahre hinweg diverse Tanzproduktionen und Workshops. 35 Die qualitative Datenerhebung erfolgte in Form von Notizen, Beobachtungsprotokollen, Memos, Video- und Audioaufnahmen. 36 Die Datenanalyse wurde durch Verfahren des offenen Codierens und eines anschließenden empirischen Gegenlesens der Daten in Form von wiederholten, vergleichenden Lese- und Schreibprozessen durchgeführt. 37 „ Die auf diese Weise generierten Daten dienen als Korrektiv, um die entstandenen Kategorien immer wieder kritisch zu befragen, aufzubrechen und auf ihre Wirksamkeit für eine ganze Bandbreite an Beispielen hin zu prüfen. “ 38 Des Weiteren fertigte Kleinschmidt im Rahmen von mehrstufigen Schreibprozessen ‚ Vignetten ‘ und ‚ dichte Beschreibungen ‘ an, um durch diese konstruierten Dokumente Spezi fika von Proben exemplarisch auf ihre Wissensmuster hin zu analysieren und zu theoretisieren. 39 Insgesamt einen sehr guten Überblick und eine Art Leitfaden zur ethnographischen Feldforschung bietet das Buch Ethnografie: Die Praxis der Feldforschung 40 , das von Georg Breidenstein, Stefan Hirschauer, Herbert Kaltoff und Robert Nieswand herausgegeben worden ist. Sowohl praktische Prozesse des Feldeinstiegs, der Datenerhebung, der Datenverarbeitung wie auch der Präsentation der Ergebnisse werden darin einleuchtend und fachungebunden dargestellt, sodass ein Transfer auf das Feld der Theaterprobe gut möglich ist. Dieses Handbuch ist mangels disziplinärer Alternativen aus der theaterwissenschaftlichen Forschung mittlerweile zu einer Art ‚ Standardwerk ‘ für die Theaterprobenforschenden geworden, was sich auch in den zahlreichen Verweisen und Zitationen während der Münchner Konferenz widerspiegelte. Im Folgenden sollen nun die zentralen Punkte, Fragestellungen, ‚ Praxis-Tipps ‘ und Ergebnisse der Arbeitskonferenz zusammengefasst und im Kontext des lebendigen Diskurses einer vermehrt praxeologisch ausgerichteten Theaterwissenschaft diskutiert werden. Dabei versuche ich auch stellenweise, das Format unserer Arbeitskonferenz transparent zu machen und orientiere mich strukturell und stilistisch insbesondere an der Abschlussdiskussion. Der ‚ Feldzugang ‘ Sobald die Entscheidung über das Forschungsdesign - eine probenethnographische ‚ Feldstudie ‘ - feststeht, stellt sich die Frage, wie als Wissenschaftler*in Zugang zu einem theatralen Probenprozess zu bekommen ist, wenn man noch nicht ohnehin durch eine künstlerische Doppelfunktion bereits in das Feld integriert ist, beispielsweise als Dramaturg*in, Performer*in, Assistent*in oder Hospitant*in. Proben stellen die spezifische Arbeitssituation des Theaters dar - so argumentiert Matzke vor dem Hintergrund des Arbeitsbegriffs in ihrer Monographie Arbeit am Theater - , in denen Möglichkeiten der szenischen Verwirklichung ausprobiert werden und denen genuin etwas Vorläufiges inhärent ist. 41 So dienen Probenräume den szenischen Akteur*innen als „ Schutzräume “ 42 für ihre „ Findungsprozesse “ 43 , die nicht selten sehr intim und sensibel sind. Dennoch werde aber der „ Mythos Theaterprobe “ manchmal auch mehr nach außen aufgebaut als nötig, relativiert Lisa Großmann. „ Häufig ist es gar kein Problem für die Künstler*innen, wenn auf den Proben noch eine weitere Person sitzt, die sich für ihre künstlerische Arbeit interessiert. “ Im Gegenteil, der persönliche Kontakt werde sogar zu den wissenschaftlichen Beobachter*innen gesucht und im Laufe des Probenprozesses baue sich meist 44 Tamara Yasmin Quick ein Vertrauen auf, da die Arbeit des jeweils anderen geschätzt werde und ihr mit großem Interesse begegnet würde. Das macht deutlich: „ [D]er Zugang ist nicht bloß eine physische, er ist eine soziale Angelegenheit, “ 44 wie es auch prägnant in Die Praxis der Feldforschung formuliert ist. Natürlich komme es aber immer auf das jeweilige Feld und seine Hierarchien an, gibt Axel Schmidt zu bedenken. Dabei stelle sich auch immer die Frage, über welchen Weg der Zugang gesucht würde: ‚ top down ‘ oder ‚ bottom up ‘ ? Breidenstein et. al. vermerken bezüglich der Modalitäten und Dynamiken des Feldzugangs: Der Feldzugang ist also Bestandteil der Forschung, und zwar deshalb, weil das Feld in der Art und Weise, wie es mit dem kontaktsuchenden Ethnografen umgeht, Auskunft über sich selbst erteilt. Man kann etwa relativ schnell erkennen, wie hierarchisch das Feld organisiert ist, ob die Teilnehmer sich trauen, etwas zu sagen oder ob sie lieber auf die höhere Ebene hinweisen, ob Beobachtungen institutionell vorgesehen sind oder eher nicht. 45 Ja š Otrin empfiehlt insbesondere für das institutionalisierte Stadt- und Staatstheatersystem die Variante ‚ top down ‘ , da die meisten Theaterinstitutionen noch immer hierarchisch mit einer Intendanz an der Spitze organisiert seien. Schmidt argumentiert weiter, dass es auch eine große Rolle spiele, welche Methoden der Datenerhebung verwendet würden und welchen „ Invasivitätsgrad “ diese mit sich brächten. Auch hier zeige sich nochmal deutlich, wie hermetisch oder auch wie offen ein Feld sei, wie auf wissenschaftliche Beobachter*innen reagiert werde und welche Methoden der Datenerhebung akzeptiert würden: „ Die Art des Feldzugangs ist eine starke Erkenntnisquelle über das Feld “ , so Schmidt. Doch was ist überhaupt das ‚ Feld ‘ ? „ Ist die Probe selbst das Feld, oder ist sie vielmehr etwas, in dem sich das Feld artikuliert? “ , wirft Schmidt als Frage auf. Lisa Großmann und Stefanie Husel machen in diesem Zusammenhang stark, dass dies gerade der Charakteristik des ethnographischen Arbeitens entspreche, dass sich das Feld erst durch die Forschungsfrage definieren ließe, sich die Forschungsfrage aber gleichzeitig erst im Feld finde. Die Feldbildung und Perspektivfindung stellen in ihrer konstruktiven Wechseldynamik entscheidende Bestandteile des probenethnographischen Forschungsprozesses dar, sie konstituieren sich gegenseitig. Otrin bestärkt dies durch seine eigene Erfahrung: „ Man sollte immer berücksichtigen, dass ein anderer Aspekt, der zunächst gar nicht im Interessensfokus stand, durch das Feld bedingt in den Mittelpunkt rücken kann. Dagegen darf man sich nicht verschließen. “ Dennoch ist es auch nicht möglich, völlig voraussetzungslos in die Feldforschung zu starten, vermutet Roesner. Zumindest ein loses, generelles Erkenntnisinteresse an Einzelaspekten stelle die Voraussetzung für die eigene Positionierung im Feld dar. Zudem sollte man über Möglichkeiten der Begrenzung des Feldes nachdenken - beobachtet man ausschließlich die Theaterproben oder weitet man das Feld beispielsweise auf die Probenpausen, konzeptionelle Gespräche oder die gesamte Institution im Verhältnis zum Produktionsprozess o. Ä. aus? Großmann schlägt im Paper des Arbeitskollektivs für multiperspektivische Praxisforschung in den Künsten eine Differenzierung zwischen der ‚ Probe ‘ und dem ‚ Probenprozess ‘ vor, um eine Abgrenzung des Feldes vom künstlerischen Prozess vorzunehmen und die einzelne Probe vom Prozessualen und dem ‚ Dazwischen ‘ innerhalb eines künstlerischen Produktionsprozesses zu unterscheiden. 46 45 Methodologische Diskurse der aktuellen Probenforschung Positionierung im Feld Das Gespräch konkretisiert sich nun auf die unterschiedlichen Methoden und Perspektiven der Probenbeobachtung, das ‚ soziale ‘ Verhalten während des Feldzugangs und mögliche Strategien der Hilfestellung: Wie positioniert man sich als externe*r Wissenschaftler*in im sozialen Gefüge der Theaterprobe, beobachtet man aktiv-teilnehmend oder nicht-teilnehmend, können sogenannte Gatekeeper den Zugang vielleicht erleichtern, wie in Die Praxis der Feldforschung vorgeschlagen: Durch eine offene Kommunikation der Gatekeeper rechnen Teilnehmer mit der Ethnografin und wundern sich nicht über ihre Anwesenheit; der andere Fall nährt oft Misstrauen und Verdacht, was vom Ethnografen in vielen Gesprächen erst aus der Welt geschafft werden muss. 47 Dass sich der soziale Feldzugang durch Gatekeeper „ kollegialisieren “ lässt, kann ich aus eigener Erfahrung bestätigen. Dies erleichtert die Positionierung im Feld sehr, da so die eigene Anwesenheit zumindest durch die Feldmitglieder nicht mehr grundlegend in Frage gestellt wird - Fragen bezüglich der eigenen Positionierung, des Grades der Assimilierung, der Enkorporierung in das Feld, der Bereitschaft und Reflexion des ‚ Going native ‘ und der stetigen Befremdung der eigenen Position beschäftigen eine*n Probenforscher*in meist ohnehin schon mehr als genug. Eine günstige Voraussetzung für die Theaterprobenforschung sei darüber hinaus, dass Proben generell Orte der Beobachtung, des Mitschreibens und des Diskurses sind, sodass sich Probenforscher*innen nach einer ersten Einführung meist relativ unbehelligt auf der Probe als Teil des Produktionsteams bewegen können, stellen wir in der Diskussion fest. Die Praktiken der ethnographischen Probenforscher*innen unterscheiden sich im Operativen nicht fundamental von denen der anderen beobachtenden Feldteilnehmer*innen wie z. B. der Hospitant*innen, Assistent*innen, Dramaturg*innen oder des Regieteams selbst. Eine unnötige Distanzierung zwischen Feld und Feldforscher*in kann zudem vermieden werden, indem die Methoden der Datenerhebung an jene des Feldes angeglichen werden, empfiehlt Großmann. Schreibt das Feld beispielsweise ausschließlich handschriftlich mit, ist es sinnvoll, als Probenforscherin auch den mobilen Computer zuhause zu lassen, um die Aufmerksamkeit des Feldes nicht unangenehm durch Tippgeräusche zu erregen. Roesner bemerkt in diesem Zusammenhang, dass der Feldzugang - ebenso wie später auch das Verhalten im Feld - immer ein Balanceakt aus Versprechungen und Zugeständnissen sei, da die Gefahr bestehe, den Zugang wieder zu verlieren, was das Scheitern des gesamten Forschungsvorhabens nach sich ziehen kann. Ich würde jedoch argumentieren, dass sich daraus zeitweise auch eine seltsame Schieflage aus Dankbarkeit und fast devotem Verständnis dem Feld gegenüber auf der einen Seite und einer gewissen Indifferenz des Feldes gegenüber der*m Theaterprobenforscher*in auf der anderen Seite ergibt. Korrespondierend dazu pointierte auch Anna Königshofer bei der Jahrestagung der Gesellschaft für Theaterwissenschaft 2018 in ihrem Vortrag „ Wenn die Dramaturgie zur Frage der Technik wird: Rimini Protokolls Produktion Top Secret International als komplexes Steuerungssystem “ 48 : „ Während für die Forschenden das Zugeständnis, am Probenprozess teilnehmen zu können, von zentraler Bedeutung ist, erscheint den Feldmitgliedern ein solches Zugeständnis häufig als gering, da sie an Beobachter*innen auf der Probe gewöhnt sind. “ 49 Dennoch lohne die Frage, inwieweit man als Feldforscher*in dem Feld etwas zurückgeben kann bereits beim Feldzugang, um dem Verhältnis zwischen dem 46 Tamara Yasmin Quick „ Parasitären “ und „ Symbiotischen “ konstruktiv zu begegnen, so Roesner. Auf Grund der „ offensichtlichen Tatsache, dass Proben selbst ein Feld des Experimentierens sind, gibt es hier viele Möglichkeiten, teilnehmende Beobachtung als Teil solcher Prozesse von vorneherein einzuplanen “ 50 , schlägt Jonas Tinius in seinem Paper zur Münchner Arbeitskonferenz vor. ‚ Practice-as-Research ‘ und Theaterprobenforschung? Anna Wessel weist darauf hin, dass nicht nur die äußere Positionierung der Forscher*innenrolle entscheidend für den Erfolg des Forschungsvorhabens ist, sondern auch die eigene innere Positionierung zum Feld: Wie sehr bleibt man in der reinen Beobachter*innenrolle, wie sehr will man sich selbst in den Probenprozess integrieren, wie verschiebt sich vielleicht auch das Verhältnis von einer anfangs rein externen Beobachtung hin zu einer schrittweisen aktiv-teilnehmenden Beobachter*innenrolle? Welche Möglichkeiten der aktiven Teilnahme am Probenprozess gibt es, die auch im Sinne einer praktischen Forschung (auch als ‚ practice-as-research ‘ bzw. künstlerische Forschung bekannt) genutzt werden könnten? Roesner greift diesen Punkt auf, um eine mögliche ‚ Autoethnographie ‘ im Rahmen von Theaterprobenforschung als Methode zu diskutieren. Was bedeutet es, wenn die eigene praktische, womöglich auch künstlerische Arbeit durch eine autoethnographische methodische Herangehensweise zum Feld erklärt wird, um durch das praktische Tun etwas über ein ästhetisches Phänomen oder eine künstlerische Praxis herauszufinden? „ Ergeben sich durch eine solch intrinsische Position mit einer dezidierten Introspektive keine Interessenkonflikte “ , fragt Otrin? Großmann kann aus ihrer zweitweisen Doppelrolle als Wissenschaftlerin und Theatermacherin berichten, dass die Reflexion, die ständige eigene Befremdung im Feld und eine abstrakte Antizipation diverser Perspektiven im Feld nötig seien, um autoethnographische Probenforschung seriös betreiben zu können. Gleichzeitig kann die künstlerische Auseinandersetzung mit der Probenforschung aber ein sehr fruchtbarer Weg sein, um den Blick auf das Material zu weiten, z. B. im Rahmen einer ‚ Lecture Performance ‘ , wie Großmann dies bereits künstlerisch-forschend erprobt hat. Kleinschmidt beschreibt, dass ihre Doppelrolle im Feld als Dramaturgin und Wissenschaftlerin u. a. auch den Vorteil mit sich brachte, dass sie als Wissenschaftlerin dadurch „ auch [Zugang] zu jenen Gesprächen, Proben und informellen Treffen in Krisenmomenten [hatte], die meist nur dem engsten Kreis der Beteiligten offenstehen. “ 51 Kleinschmidt argumentiert weiterhin bezüglich des Forschungsdesigns: [Q]ualitative Forschungsmethoden [eignen sich] besonders auch für Forschende, die wie ich als Dramaturgin und Tänzerin bereits einen Teil des Feldes bilden, und bieten ihnen ‚ Objektivierungsstrategien ‘ , um sich von der Teilnehmer*innenperspektive zu lösen. Eine weitere dieser Strategien bestand darin, wiederholt „ Theaterperspektive “ und „ Rekonstruktion disparater Teilnehmerperspektiven “ aufeinander zu beziehen. 52 Die Prozesse der Perspektivierung, Assimilierung und auch der eigenen Enkorporierung in das Feld müssen stets kritisch befragt werden, doch gleichzeitig steckt darin auch eine ganz spezifische Qualität der Probenforschung. McAuley beschreibt, dass “ the balance between empathic involvement and disciplined detachment ” 53 die Probenforschung konstituieren und spricht sich dezidiert gegen den Versuch aus, die eigene Beobachter*innenposition zu leugnen. Dementsprechend argumentiert auch Lucas Herrmann in seinem Paper: 47 Methodologische Diskurse der aktuellen Probenforschung Es reicht nicht die bloße Anwesenheit, etwa im Sinne eines Zuschauens, sondern Probenrezeption scheint mit einer Partizipation am künstlerischen Prozess verbunden zu sein. 54 [. . .] Diese Teilhabe am künstlerischen Prozess zieht ihre eigenen methodischen Problematiken nach sich, da neben dem ästhetischen Prozess der Inszenierungsentwicklung auch soziale Prozesse, die die Zusammenarbeit der Probenbeteiligten betreffen, in den Blick geraten. 55 ‚ Going native ‘ : Datenerhebung und Verhalten im Feld Die Methoden der Datenerhebung im Feld der Theaterprobe sowie die Herausforderungen bezüglich des Verhaltens des*r Probenforscher*in im Feld - also ein produktives ‚ Eintauchen ‘ in das Feld samt seiner spezifischen Praktiken und diversen sozialen Dynamiken hinsichtlich eines erkenntnisbringenden, kontrollierten ‚ Going native ‘ - standen während der Arbeitskonferenz in München insbesondere in unserem Interesse. Der Anthropologe Jonas Tinius, der selbst als teilnehmender Beobachter viel auf Theaterproben „ herumhängt “ 56 und auch Teil des Arbeitskollektivs für multiperspektivische Praxisforschung in den Künsten ist, betont in seinem Video-Keynote-Vortrag, dass es in der Theaterprobenforschung nicht die ‚ eine ‘ verbindliche Methode der Feldpraxis gebe, sondern vielmehr eine dynamische, „ sich konstant im Dialog mit einem ‚ Feld ‘ rekalibrierende Ansammlung an Methoden “ . Dies stelle eine generelle Eigenart der Ethnographie dar, denn auch in der Anthropologie, den Sozialwissenschaften oder der Ethnologie werde nicht die immer gleiche, erprobte Methode verwendet. Vielmehr handle es sich im methodologischen Diskurs in der Ethnographie immer mehr um eine „ Herangehensweise, die wiederum diverse Methoden beinhalten kann, wie z. B. die teilnehmende Beobachtung, statistische Erfassung oder audiovisuelle Dokumentation. “ Die große Chance, die die Erforschung von Theaterproben mithilfe von ethnographischen Herangehensweisen birgt, bestehe darin, dass ein Blick in grundsätzlich nicht für die Öffentlichkeit bestimmte Prozesse möglich werde, der den Diskurs über künstlerische Arbeitsweisen und Praktiken sowie die Genealogie bestimmter Ästhetiken aus einer Innensicht weiten und schärfen könne, auch wenn „ eine komplett ‚ objektive ‘ Beschreibung eines künstlerischen Prozesses aufgrund der partiellen Perspektiven und subjektiven Wahrnehmungen aller Teilnehmenden dabei wahrscheinlich nie möglich sein wird oder sollte “ , argumentiert Tinius. In Die Praxis der Feldforschung wird in diesem Zusammenhang beispielsweise auch das Verfahren der „ Intensivierung der Beobachtung “ vorgeschlagen, das nach Möglichkeit - nicht jedes Feld eignet sich dafür - durchgeführt werden kann, um durch Variationen in der Beobachtungshaltung zumindest eine schrittweise Annäherung an eine ‚ objektive ‘ Beobachtung zu tangieren und auch Erkenntnisse über die Beobachtbarkeit des Feldes zu gewinnen. Beobachtungsintensivierung meint hier 1) Wiederholungen von Beobachtungen zu anderen Zeitpunkten durchzuführen - das wäre im Kontext der Theaterproben beispielsweise im Rahmen einer weiteren Probenethnographie eines anderen Probenprozesses möglich, 2) die Mobilisierung des*r Beobachter*in hinsichtlich der ‚ äußerlichen ‘ Position im Feld - beispielsweise könnte zu einem späteren Zeitpunkt in der Beobachtung das gezielte ‚ Shadowing ‘ 57 einzelner Akteur*innen eingesetzt werden - , 3) die Fokussierung auf Teilaspekte in der wiederholten Beobachtung und 4) Seitenwechsel bezüglich eines ‚ innerlichen ‘ Perspektivwechsels. 58 In Anbetracht der ständigen ‚ Neukalibrierung ‘ unterschiedlicher Methoden für 48 Tamara Yasmin Quick unterschiedliche Felder stellt sich nun die Frage, aus welchen Wissenschaftsbereichen methodologische Herangehensweisen für die Theaterprobenforschung adaptiert werden können - wir sprachen in der Abschlussdiskussion sogar von einem „ Wildern “ in anderen Forschungsdisziplinen - und wie trans- und interdisziplinäre Expertisen in die Theaterprobenforschung integriert werden können. Als besonders naheliegend werden neben der teilnehmenden Beobachtung mit Feldnotizen und Probenprotokollen die Methode der dichten Beschreibung nach Clifford Geertz, die Methode des narrativen Interviews und offenen, informellen Gesprächs wie auch Methoden der Audioaufnahme, der Kameraführung, Bildkomposition und des Videoschnitts diskutiert. Die besondere Krux hinsichtlich der Frage, welche Daten eines Probenprozesses nun mit Hilfe welcher Methoden erhoben werden können sowie die damit einhergehenden Schwierigkeiten und Herausforderungen fasst Matzke in Arbeit am Theater zusammen: Für den Theaterwissenschaftler, der einen Probenprozess begleitet, ergeben sich spezifische Schwierigkeiten. Durch die Dauer des Probenprozesses, durch das Fehlen eines klar gesetzten Rahmens potenziert sich die Problematik der Auswahl des Materials. Aber auch der soziale Prozess stellt eine begleitende Analyse in Frage. Die Proben beschränken sich nicht darauf, Aufführungen zu sein. Viele Entscheidungen werden außerhalb des Probenraums getroffen. Noch stärker als in der Aufführung ist der Analysierende mit dem Problem konfrontiert, etwas zu verpassen und niemals einen umfassenden Blick auf den Prozess zu bekommen. Wie die Aufführung ist der Probenprozess in seiner Vollständigkeit unbeschreibbar. 59 Vor diesem Hintergrund ergänzt Roesner in der Abschlussdiskussion, auch korrespondierend zu Tinius, dass eine neutrale und umfassende Form der Dokumentation gar nicht möglich sei, da jede Dokumentation, ob Video, Audio oder ausschließlich in Form von Feldnotizen und daraus erstellten Probenprotokollen, bereits eine Auswahl sei, die Spuren auf dem Datenmaterial hinterlasse. Dies gilt, würde ich ergänzen, vor allem für die diversen ethnographischen Schreibprozesse, die bereits auf der Theaterprobe Spiegelungen epistemologischer Prozesse des Begreifbar- und Begrifflichmachens dessen, was da gerade passiert, darstellen und dadurch wiederum Denkprozesse anregen. In Die Praxis der Feldforschung wird die besondere Herausforderung des ethnographischen Schreibens beschrieben: Die besondere Bedeutung des Schreibens in der Ethnografie liegt [. . .] darin, dass im schreibenden Beobachten zugleich eine sprachliche Erschließung von Phänomenen stattfindet, die noch gar nicht in schriftlicher Form vorliegen, sondern erst durch die Beschreibungen zur Sprache gebracht werden. 60 Die enorme Signifikanz und Notwendigkeit von Feldnotizen für die ethnographische Theaterprobenforschung bestätigen wir einstimmig in unseren Diskussionen. Großmann und ich weisen zusätzlich auf die Vorteile des Führens eines zusätzlichen Probentagebuches 61 hin, das es ermöglicht, die Entwicklungen der Theaterproben in größeren Bögen zu erfassen und Raum für Fragestellungen, Anekdoten, Überlegungen und erste Hypothesen zulässt. Das Führen eines Probentagebuches während der kurzen ‚ Feldausstiege ‘ nach Probenende kann auch dem Befremden der eigenen Person und der eigenen Beobachtungen bereits während des Feldaufenthaltes dienen und ist nach meiner Erfahrung gerade in der Retrospektive nach dem endgültigen Feldausstieg sehr wertvoll zu studieren, da die eigenen Erkenntnisprozesse und schrittwei- 49 Methodologische Diskurse der aktuellen Probenforschung sen sprachlichen Konkretisierungen im Akt der Verschriftlichung wiederum Aufschluss auf die prozessualen Entwicklungen der künstlerischen Produktion einer Inszenierung geben können. Schmidt und Wessel arbeiten zudem, quasi als eine ‚ on the fly ‘ -Sortierung und Katalogisierung des erhobenen Audio- und Videomaterials, bereits während der Theaterprobe mit einer sogenannten Matrix, sodass in tabellarischer Form eine Probensequenz gleich mit Timecode und wenigen beschreibenden Stichpunkten festgehalten werden kann. Das erleichtert die anschließende Datensichtung und Materialauswertung entscheidend. Diese vorläufige Beschreibung des erhobenen Materials bedeutet jedoch nicht, dass die Forschungsfrage schon feststehen muss, da die Matrizen ausschließlich der unmittelbaren, ergänzenden Systematisierung des Materials dienen, nicht jedoch eine generelle Notationsstruktur ersetzen können. Zu Technik und Techniken der Datenerhebung Die Diskussion machte deutlich, dass auch die technischen Anforderungen und Herausforderungen der Datenerhebung im Feld der Theaterprobe nicht zu vernachlässigen sind. Was ist hinsichtlich des Equipments zu beachten, welche praktischen Techniken haben sich als besonders vielversprechend erwiesen, von welchen Tipps aus den Felderfahrungen der Kolleg*innen können wir profitieren? Wessel betont, dass die Auswahl der Dokumentationsmittel, seien es Audioaufnahmegeräte, Kameras oder ein passendes Notizbuch, sehr relevant für das Gelingen des Forschungsvorhabens sein kann. Dabei ist schon vorab zu entscheiden, in welcher Qualität Audio- und Videodaten mitgeschnitten werden sollen, welche Perspektiven eingefangen werden sollen und wie viele Aufnahmegeräte benötigt werden bzw. überhaupt zur Verfügung stehen. Dopplungen als Backups können insbesondere bei eventuellen Datenpannen sehr wertvoll werden. Großmann pflichtet bei und empfiehlt, sich vor dem Feldeinstieg auf jeden Fall ausführlich Gedanken über das Handling der Dokumentationswerkzeuge zu machen, um diese nach Möglichkeit dem Feld anpassen könnte. Maximilian Krug, der u. a. mit Schmidt und Wessel in regelmäßigem Austausch im Rahmen von sogenannten Datensitzungen steht, schreibt dazu in „ Collecting Audio-Visual Data of Theatre Rehearsals “ : Within the theatre setting, researchers must carefully decide when and where to place their recording devices without disturbing the often intimate rehearsal processes or without contributing to the anyway tense time pressure of theatre productions. 62 Schmidt, der hauptsächlich mit Kameradokumentationen arbeitet, weist auf das praktische Faktum hin, dass die meisten technischen Geräte Strom brauchen und deshalb die örtlichen Gegebenheiten bereits vor dem eigentlichen Beobachtungsbeginn überprüft werden sollten. Das betrifft auch Fragen der Positionierung von Kameras und Audioaufnahmegeräten, die eigene lokale Positionierung, die Überprüfung der Speicher- und Akkukapazitäten, des Schreibwerkzeugs - digital wie analog - sowie der Licht- und Akustikverhältnisse im Probenraum. Er empfiehlt darüber hinaus, vorab schon Probeaufnahmen vor Ort zu machen, um gegebenenfalls das Dokumentationssetting zu modifizieren sowie eine Checkliste für den Feldaufenthalt abzuarbeiten, eventuell sogar eine sogenannte Feldtasche zu packen, in der neben Ersatzakkus, Speicherkarten und Ladegeräten auch Verlängerungskabel, Schreib- 50 Tamara Yasmin Quick utensilien und - das fügt Wessel als besonderen ‚ Expert*innentipp ‘ hinzu - Gaffer Tape Platz finden. Roesner kommt auf die Unterscheidung zwischen der Kameraaufzeichnung als „ supplement of memory “ 63 auf der einen Seite und der dezidierten ‚ Kameraethnographie ‘ auf der anderen Seite zu sprechen, wie sie beispielsweise die Filmemacherin Elisabeth Mohn zusammen mit Geesche Wartemann am Helios Theater machte. 64 Das Blickinteresse rückt hier in den Fokus, denn in der Kameraethnographie wird nicht versucht, durch eine Totale eine möglichst lückenlose und ‚ objektive ‘ audiovisuelle Dokumentation vorzunehmen. Vielmehr wird durch das Auswählen von Bildausschnitten schon im Feld eine audiovisuelle Interpretation der Theaterprobe ‚ geschrieben ‘ , die die Beobachter*innenposition miterzählt. Zum Stichwort Bildauswahl und Perspektivierung der videographischen Dokumentation von Theaterproben wirft Ekaterina Trachsel ein, dass auch eine Vogelperspektive in manchen Fällen sehr aufschlussreich sein kann. Überhaupt sei es heute in einem Zeitalter der Digitalisierung und des stetigen technischen Fortschritts keine unüberwindbare Herausforderung mehr, ungewöhnliche Kameraperspektiven hervorzubringen, beispielsweise mit Hilfe von GoPros und Mobiltelefonverknüpfungen. Ebenso wichtig wie die qualitative Datenerhebung im ethnographischen Theaterprobenforschungsprozess ist deren Speicherung und systematische Katalogisierung. Es muss geklärt werden, zu welchem Zweck die Daten erhoben werden, was sie leisten müssen. Dienen sie ausschließlich als Erinnerungsstütze oder werden sie als Primärquelle weiterverarbeitet und womöglich sogar veröffentlicht? Welches Dateiformat und welche Qualität sind für die weitere Verarbeitung notwendig oder gewünscht, und wie werden sie zur erleichterten Sichtung und Auswertung sortiert? Schmidt empfiehlt hierfür ‚ sprechende Namen ‘ bei der Abspeicherung des Materials. Ich selbst berichte, dass ich für jeden Probenprozess ein intuitiv verständliches Benennungssystem der Einzeldaten entwickelt habe, das meist das zeitliche Datum und ein Kürzel der Art der Probe beinhaltet sowie einen kurzen Hinweis auf die Beteiligten gibt. Das haptische Hantieren mit der Kamera, dem Audioaufnahmegerät oder den Schreibutensilien im Feld, die allabendlichen Speicherungs- und Benennungsprozesse, die Transkription von Feldnotizen sowie auch das Verfassen eines Probentagebucheintrags dienen zudem der Reflexion der verwendeten Forschungspraktiken und der Rekapitulation der ästhetischen und sozialen Probengeschehnisse während des Feldaufenthaltes und setzen Prozesse der eigenen Befremdung in Gang. Dieses ständige Changieren zwischen ‚ going native ‘ und (temporärem) ‚ coming home ‘ , Teilnahme und Distanz sei vor allem deshalb so entscheidend für den ethnographischen Probenprozess, da die Ethnographie [. . .] in erster Linie eine Art von Forschung [ist], die ‚ in der Anwesenheit und mit denjenigen Menschen ‘ stattfindet, über deren Leben und Praktiken man forscht; und nicht nur eine Erforschung der Objekte, Texte, oder Praktiken, die sie produzieren oder hervorbringen, 65 betont Tinius. Deshalb ist die Transparenz der Forschungspraktiken dem Feld gegenüber nicht nur eine Frage des Respektes, sondern auch eine Frage der Ethik, der Moral und des Vertrauens. Als Theaterprobenforscher*innen bekommen wir exklusive Einblicke in intime und fragile künstlerische Prozesse und erheben sensible personenbezogene Daten, die grundsätzlich nicht von den Künstler*innen zu trennen sind. Nicht nur, da durch die neue Europäische Datenschutzgrundverordnung seit Mai 2018 das Thema Datenschutz in den Köpfen präsen- 51 Methodologische Diskurse der aktuellen Probenforschung ter ist und die Menschen für die Frage, welche Daten über sie gesammelt und gespeichert werden, sensibilisiert wurden, ist ein offener Umgang mit dem erhobenen Datenmaterial innerhalb des Feldes unumgänglich. Im Diskurs mit den Beteiligten über Probenprozesse und die unterschiedlichen Beobachtungen und Wahrnehmungen setzen neue Erkenntnisprozesse auf beiden Seiten ein, die sowohl die künstlerische als auch die wissenschaftliche Arbeit anregen können. Dabei müsse die eigene Beobachter*innenposition aber stets kritisch hinterfragt werden, denn: „ Das Theater ist ein Feld, das hoch reflexiv ist, und die Theatermacher wissen meist sehr genau, was sie da machen “ , warnt Husel. Die Gefahr hinter der großen Chance des persönlichen, interaktiven Feldkontakts bestehe laut Husel darin, die Außenperspektive zu verlieren und am Ende womöglich nur noch das zu sehen, was die Theatermacher*innen in ihrer Arbeit sehen (wollen). Um dieser Gefahr zu entgehen, sei zum einen die bereits mehrfach betonte eigene Befremdung unerlässlich, zum anderen könne dies aber auch durch disziplinäre und transdisziplinäre ‚ Datensitzungen ‘ - dazu noch genauer im Folgenden - mit feldfremden Kolleg*innen aufgefangen werden. ‚ Coming home ‘ : Feldausstieg und Datenverarbeitung „ Nach der Forschung ist vor der Forschung “ , so könnte man die Prozesse der ethnographischen Theaterprobenforschung auch beschreiben, denn auf den Feldausstieg folgt die Sichtung, Aufarbeitung, Auswahl, Analyse, Auswertung und schließlich die Präsentation der Forschungsdaten. Im Folgenden möchte ich mich den Dokumenten der Theaterprobenforschung, den multiplen Transformations-, Übersetzungs- und Schreibprozessen der Theaterprobenforschung vor dem Hintergrund der Hervorbringung unterschiedlicher Narrative, den Methoden der Datenanalyse, auch hinsichtlich der Verwendung von QDA-Software, und schließlich dem ethnographischen Format der Datensitzungen widmen. Die Dokumente der Probenforschung „ Dokumente sind immer auch Dokumente einer Bemühung. Sie dokumentieren eine Interpretations- und Aufzeichnungsleistung. “ , betont Großmann. Dabei seien Dokumente immer etwas „ Gemachtes “ , sagt sie weiterhin mit Verweis auf Daniela Hahns Sammelpublikation Beyond Evidence. Das Dokument in den Künsten 66 . Denn Schriftstücke - wir haben bereits über Feldnotizen, Probenverlaufsprotokolle, Probentagebucheinträge und systematisierende Matrizen gesprochen - , Fotos - vom Probenraum oder dem Dokumentationssetting - und audiovisuelle Mitschnitte - Videound/ oder Audioaufnahmen der Theaterproben, audio(visuell) begleitete Interviews oder offene Gespräche mit den Beteiligten - seien nicht per se ‚ Dokumente ‘ , sondern müssen erst als solche definiert werden. Doch wer erstellt diese Dokumente der Probenforschung? Und was wird letztendlich aus der Theaterprobe als Dokument in den wissenschaftlichen Diskurs und die forschende Praxis herausgetragen und als Dokument bezeichnet? Wie und wann entstehen die Theaterproben-Dokumente, welche Prozesse stellen die Voraussetzung dafür dar? Anhand welcher Art von Dokumenten werden letztendlich die Analysen und Auswertungen in der wissenschaftlichen Aufbereitung gemacht? Mit den Primärdokumenten, mit sekundär daraus hergestellten Transkriptionen, oder anhand sogenannter Fallkollektionen, wie dies z. B. beim interaktionsanalytischenmultimodalen Zugang von Schmidt vorgeschlagen wird? 52 Tamara Yasmin Quick Schmidt empfiehlt, zunächst grundlegend zu unterscheiden zwischen ‚ Felddokumenten ‘ und ‚ Dokumenten des Feldes ‘ , das heißt Dokumenten, die das Feld selbst herstellt und so meist aus einer künstlerischen und intrinsischen Perspektive Auskunft über den Probenprozess und auch die spätere Aufführung geben. Großmann bezeichnet diese in der Diskussion auch als Dokumente, die als Teil des Probenprozesses entstanden sind und diesem quasi inhärent sind, wie z. B. das Regiebuch. Diesen ‚ Dokumenten des Feldes ‘ fallen andere Funktionen zu als den ethnographisch erstellten ‚ Felddokumenten ‘ . Sie entstehen aus einem anders perspektivierten Erkenntnisinteresse und weisen somit auch andere Leerstellen oder blinde Flecken auf als die ‚ Felddokumente ‘ , woraus sich produktive und erkenntnisreiche Reibungspunkte ergeben können. Eine Sammlung aller zur Verfügung stehender Dokumente, die im Rahmen eines Probenprozesses entstehen, sollte deshalb nicht auf Grund voreiliger Entscheidungen über die Forschungsfrage und Quellenauswahl verpasst werden. Besonders komplex, aber auch vorteilhaft, kann die Forscher*innenposition in diesen Zusammenhang werden, wenn eine Doppelrolle zu leisten ist, z. B. als Dramaturg*in / Performer*in / Kurator*in ‚ und ‘ als Wissenschaftler*in. Husel betont, dass wir uns bei der Arbeit mit Felddokumenten immer darüber im Klaren sein müssen, dass wir als wissenschaftliche Beobachter*innen der Theaterprobe im Moment der Datenerfassung zu Autor*innen werden, die starke Setzungen durch die Auswahl, was dokumentiert wird, vornehmen. Korrespondierend dazu schrieb ich in meinem Konferenzpaper „ Die Probe als epistemologischer Möglichkeitsraum? “ 67 : Schon im Moment der allerersten Verschriftlichung von nicht-sprachlichen Ereignissen auf der Probe in Sprache in Form von Feldnotizen passiert ein Transformationsprozess, der ein eigenes Narrativ 68 hervorbringt, denn der mediale Wechsel des Kommunikationskanals von einem nichtsprachlichen, flüchtigen Probenmoment in ein dokumentierbares, bleibendes Schriftstück geht nicht ohne einen „ multiplen Übersetzungsprozess “ 69 und eine Interpretation der wahrgenommenen Ereignisse in das diverse Medium Sprache einher. 70 Weiterhin wird in Die Praxis der Feldforschung beschrieben: Ethnografen [. . .] wechseln von der körperlichen Teilhabe und der Mündlichkeit [bzw. auch von nonverbalen, visuellen oder akustischen Prozessen] zur Schriftlichkeit, von der Interaktion Vieler zu einer einsamen Interaktion mit den eigenen Notizen. 71 Und McAuley in „ Towards an Ethnography of Rehearsal “ : There is no way to present the process, whether in print or on film, without transforming it into a story of some kind [. . .], there is no such thing as a neutral frame or a story without point-of-view. Whatever narrative point of view is adopted is inevitably going to influence the interpretation and colour the analysis. 72 Matzkes Begriff der „ Polyperspektivität des Probens “ 73 kommt hier wieder zum Tragen, da jeglicher Versuch, Proben zu beschreiben und zu analysieren, unvollständig bleiben muss. „ [D]as Verhältnis der Gegenwart des Prozesses und der Nachträglichkeit der Beschreibung [beinhaltet] immer Auswahl und Ausschluss [. . .]. “ 74 Die verschiedenen Zeitkonzepte, die innerhalb von Theaterproduktionen wirken - der Probenzeitraum, Wiederholvorgänge auf Proben, die Aufführung als flüchtige Zeitkunst, vertragliche Arbeitszeiten, die innerhalb der begrenzten Produktionszeit und der Spielpläne eingehalten und disponiert werden müssen 75 - , beziehen 53 Methodologische Diskurse der aktuellen Probenforschung sich somit auch auf eine Achronologie, die in der Probenforschung vorliegt. 76 Mit Hahn gesprochen, „ verschiebt sich der Fokus von der Frage, ‚ was ‘ Dokumente zeigen, auf die Frage danach, ‚ wie ‘ Dokumente zeigen. “ 77 Dokumente „ stiften [nicht nur] einen Bezug zur Wirklichkeit, vergegenwärtigen ein (vergangenes) Ereignis und stellen Evidenzen her “ , 78 was vor dem Hintergrund des in der Theaterwissenschaft vorherrschenden Derrida'schen Wiederholungsbegriffs eine unbedingte Voraussetzung für die wissenschaftliche Erforschung flüchtiger Theaterproben darstelle, 79 sondern gäben vor allem auch Zeugnis darüber ab, wer die Dokumente erstellt und mit welchen „ Versprechen ein Dokument gemacht werde “ 80 , so Großmann. Schmidt betont des Weiteren, dass wir uns bei der Analyse der Probendokumente immer im Klaren darüber sein müssen, dass nicht das flüchtige Probenmoment analysiert wird bzw. werden kann, sondern das ‚ Datum ‘ , das zu Rekonstruktionszwecken generiert worden ist, den eigentlichen Analysegegenstand darstellt. Das bedeutet, dass beispielsweise das Probenvideo, die Audioaufnahme oder das Transkript in Dialog mit der eigenen Erinnerung, Memos, Aussagen der Beteiligten und Dokumenten aus dem Feld analysiert wird, nicht jedoch die Probe per se. Dieses Bewusstsein sei wichtig für einen reflektierten Umgang mit den Dokumenten. Schreibprozesse in der Probenforschung Mehrstufige Schreibprozesse stellen das zentrale Moment der Theaterprobenforschung dar, da sie sich durch alle Forschungsschritte ziehen: das Schreiben von Feldnotizen auf der Probe, das Erstellen von Probenverlaufsprotokollen und „ Beschreibungen “ 81 aus den Feldnotizen heraus sowie das Verfassen von Probentagebucheinträgen nach den Proben, Transkriptionsvorgänge von Audio- und Videomaterial nach dem Probenprozess, das Verfassen von Memos und die Verschriftlichung von Fragestellungen und Hypothesen im Analyseprozess, und schließlich die Literarisierung zur wissenschaftlichen Veröffentlichung der Forschungsergebnisse. Dabei ist all diesen Schreibmomenten eines gemein: Sie stellen Erkenntnisprozesse dar, denn die Verbalisierung von multimedialen, flüchtigen Phänomenen, wie sie auf Theaterproben zu beobachten sind, in Sprache, d. h. deren ‚ Begrifflich-Machung ‘ , steht meines Erachtens nach gleichzeitig auch für die Prozesse eines ‚ Begreifbar-machens ‘ durch ein ‚ In-Worte-fassen ‘ . Ludwig Wittgenstein schreibt der Sprache eine entscheidende Rolle bei der Definition von Verständnisgrenzen zu, denn an Stellen, an denen die Sprache versagt, ende auch die Sinnhaftigkeit des Gedachten. 82 Benennungsvorgänge können meiner Meinung nach in diesem Verständnis als Beschreibungs- und Kategorisierungsvorgänge verstanden werden, denen etwas ‚ Eroberndes ‘ anheim ist. Neues Wissen aus der Theaterprobe wird in diesem übertragenen Sinne ‚ erobert ‘ und durch Schreibprozesse zugänglich gemacht. Großmann spricht auch von einem „ Erschreiben der Probe “ im Feld. 83 So lassen sich womöglich aus den Feldaufzeichnungen heraus Rückschlüsse auf Findungsprozesse innerhalb des Probenprozesses und des Forschungsprozesses schließen, da künstlerische wie soziale wie wissenschaftliche Erkenntnisprozesse auch anhand einer ‚ Begriffsfindungsentwicklung ‘ nachvollzogen werden können. Schreibprozesse können (nicht nur, aber ganz besonders auch in der ethnographischen Theaterprobenforschung) als ‚ epistemologische Schreibprozesse ‘ beschrieben werden, auch korrespondierend zu Hirschauers Formulierung des „ Ruminierens “ 84 als schreibendes und intensivierendes Memorieren. Wessel ergänzt, 54 Tamara Yasmin Quick dass es zudem aufschlussreich sein kann, auf einer Metaebene zu untersuchen, wie sich die eigenen Analysetexte, die dann im Auswertungsprozess entstehen, im Laufe der Zeit verändern und somit auch Konkretisierungsprozesse der eigenen Forschungsfrage nachzeichnen. Mitglieder des Arbeitskollektivs für multiperspektivische Praxisforschung in den Künsten beschreiben darüber hinaus ihre kollektiven Schreibübungen, mit denen die unterschiedlichen Vorstellungen abgleichbar werden, die unterschiedliche Leser*innen von Verschriftlichungen haben. Ein Text werde dann in die Gruppe gegeben mit unterschiedlichen ‚ Übungsaufgaben ‘ wie beispielsweise der Wechsel in ein anderes Tempus oder einen anderen Modus, um dann im Kollektiv zu diskutieren, was es mit dem Text macht, wenn dieser beispielsweise plötzlich im Konjunktiv formuliert ist. Clemens Risi ergänzt, dass auch die Übersetzung in eine andere Sprache manchmal helfen könne, um Texte inhaltlich zu schärfen. Reflexions- und Befremdungsprozesse im disziplinären Austausch auch während aktiver Schreibphasen stellen zentrale Korrektivmomente in der Ethnographie dar, fasst Husel zusammen. Möglichkeiten der Datenverarbeitung und Veröffentlichung Nach der Materialsichtung und -auswahl sowie, falls notwendig, der Aufbearbeitung von Primärdokumenten in Sekundärdokumente in Form von Transkripten oder geschnittenen Audio- und Videosequenzen, stellt sich die Frage nach geeigneten methodologischen Herangehensweisen zur Analyse dieser Dokumente. Bisher haben sich hierfür Sequenzanalysen, die qualitative Inhaltsanalyse nach Mayring 85 und v. a. die Grounded Theory 86 durchgesetzt, die mir persönlich durch ihre zyklische Dynamik und ihre durchgängig induktive Herangehensweise im Codieren sehr passend zur Analyse von Theaterarbeit zu sein scheint, da sie in ihrer Offenheit, ihrem stetigen Modus des Werdens, Suchens, Vergleichens und Neuüberprüfens fast wie ein Äquivalent zur Probenarbeit wirkt. Ein mehrstufiges induktives Codierverfahren kann durch das Material leiten und sowohl die Forschungsfrage aus dem Feld und den daraus erstellten Dokumenten formulieren, als auch Theorien daraus ableiten und schließlich zur Beantwortung der Forschungsfrage führen. Parallel zum Codieren und Subcodieren werden Memos verfasst, die Fragen, Hypothesen und Zwischenerkenntnisse innerhalb des Forschungsprozesses kommentieren. Schmidt pflichtet bei, dass die offenen Codierverfahren der Grounded Theory für ethnographische Forschungsdesigns sehr fruchtbar sein können, da die schrittweise Fokussierung aus dem Material heraus die Erkenntnisprozesse während der Auswertung mitvollziehen kann; das stellt einen großen Vorteil dieser Methodologie im Vergleich zu deduktiveren Analysemethoden dar. Denn die Fragen und Hypothesen würden im Laufe der Zeit „ immer spezifischer, da man aus dem Material heraus lernt, immer mehr weiß und daraus Interessen entwickelt “ , so Schmidt. QDA-Software Roesner warf auch die Frage nach geeigneter Software auf, welche die Datenauswertung möglicherweise erleichtern könnte, sei es bei der Transkription von Audio- und Videomitschnitten, bei der Synchronisierung multimodaler Dokumente und Zusammenstellung im Rahmen von Fallkollektionen oder bei der Codierung und Analyse von Schriftstücken. Wessel und Schmidt haben in diesem Bereich bisher die meiste Expertise 55 Methodologische Diskurse der aktuellen Probenforschung innerhalb unserer Konferenzgruppe entwickeln können. So berichtet Wessel von ihren Erfahrungen mit den Programmen f4 transkript, f4 analyse und MAXQDA: f4 nutze ich zum Transkribieren, teilweise auch zum Codieren, aber eher als Zwischenschritt. Zur Sortierung und Organisation empfehle ich MAXQDA, da darin auch die lexikalische Suchfunktion nach einzelnen Wörtern sehr hilfreich ist. Zudem können auch Videodateien hochgeladen werden. Es ist sehr wichtig, sich Gedanken darüber zu machen, welche Programme für das je spezifische Forschungsvorhaben helfen können und was diese für mich leisten sollen. Unbedingt zu beachten ist auch, dass die Transkripte aus der Analysesoftware dann auch wieder exportiert werden müssen. 87 Schmidt verweist weiterführend auf die Website des Leibniz-Instituts für deutsche Sprache in Mannheim, auf der noch weitere Programme für den qualitativen Forschungsprozess besprochen werden, wie z. B. FOL- KER 88 , das am Institut entwickelt worden ist und von Schmidt auch persönlich zur Transkription genutzt wird. In einigen Programmen ist mittlerweile auch eine Spracherkennungssoftware integriert, die bei Transkriptionen helfen kann. Diese sei jedoch noch nicht ganz ausgereift und noch ungenau, sodass die anschließende Korrekturphase die Zeitersparnis wieder aufwiege, warnt Wessel. Nicht unterschätzt werden solle auch der körperliche Vorgang des Transkribierens, betont Wessel weiterhin, denn dadurch erschließe sich das Material nochmal auf eine ganz andere Weise, „ wenn es einmal komplett durch die eigenen Finger läuft “ . Datensitzungen: Dynamiken des Befremdens In Momenten, in denen ein implizites, schon unterbewusst gewordenes Wissen aus dem Theaterprobenprozess in Frage gestellt wird, beispielsweise in der Diskussion der Dokumente mit feldfremden Kolleg*innen im Rahmen von Datensitzungen, können sich weitere Spezifika hinsichtlich ästhetischer, prozessualer oder interaktiver Dynamiken der sozialen Wirklichkeit des Theaterprobenprozesses offenbaren, deren größtes Potenzial darin besteht, eigene blinde Flecke aufzudecken sowie die eigene Perspektive auf das Material zu variieren. Cordula Schwarze beschreibt in Formen und Funktionen von Topoi 89 die kollektive Arbeitsmethode einer Datensitzung als [. . .] einen methodisch kontrollierten Prozess, in dem Fragen aus der Auseinandersetzung mit dem Material in Expertengruppen diskutiert werden. Diese Gruppe löst in der Sitzung kriteriengeleitet, kommunikativ und zielorientiert gemeinsam eine Aufgabe. Das Kennzeichen von Datensitzungen [. . .] sind zum einen der ungeschützte Umgang mit dem Material und zum anderen das der Gesprächsanalyse gemeinsame sequenzanalytische Vorgehen unter verschiedenen Fragestellungen. 90 Ergänzend dazu formuliert Husel: Das Kunststück, das Praxis-Theoretikerinnen [. . .] leisten müssen, besteht einerseits darin, die Praxis nicht abstrakt/ theoretisch zu überfrachten, sie aber andererseits auch nicht aus einer unreflektierten Teilnehmerperspektive nachzuerzählen. Hierbei treffen sich die Ansprüche von Praxistheoretikern mit denen von Ethnographinnen - und in beiden Fällen bietet sich ein Verfahren an, das sowohl zu intensiver Verwicklung, wie auch zu emphatischer Distanzierungs- und Befremdungsleistung bereit ist. 91 Husel konstatiert weiter, dass Datensitzungen das A und O in der ethnographischen Forschung seien, denn darin werde das Material immer wieder kalibriert. Die Rückmeldung der Kolleg*innen diene als Kor- 56 Tamara Yasmin Quick rektiv und helfe, die Offenheit gegenüber dem Material nicht abzulegen, da so immer wieder reflexive Prozesse des Befremdens in Gang gesetzt würden, die eine Qualität ethnographischen Arbeitens seien. Dabei werde auch der gesamte Forschungsprozess transparent gemacht und mitreflektiert. Auch Wessel kann bereits auf mehrere Datensitzungen mit weiteren Kolleg*innen - u. a. mit Axel Schmidt, Monika Messner und Maximilian Krug - zurückblicken und beschreibt: Die Ausschnitte, die in den Datensitzungen besprochen werden, sind meist sehr kurz und detailfokussiert. Das müssen nicht nur Videodaten, sondern können auch Audiomitschnitte, Feldnotizen oder anderen Formen der Verschriftlichung von Felddaten sein. Über diese kurzen Ausschnitte diskutieren wir 90 bis 120 Minuten im Plenum unter einer bestimmten Fragestellung, die von den Datengeber*innen vorbereitet wird. Wenn die Fragestellung sehr konkret ist, kann sehr detailliert an und mit den Daten gearbeitet werden. Dabei ist es sehr fruchtbar, nochmal eine Fremdperspektive auf sich wirken zu lassen. 92 Schmidt kontextualisiert Wessels Beschreibung weiter durch den Hinweis, dass es sich bei dieser Art von Datensitzung um eine Arbeitsmethode aus der Konversationswissenschaft handelt. Es gebe allerdings ganz unterschiedliche Herangehensweisen an Datensitzungen. Beispielsweise könnten diese auch vollkommen interdisziplinär und heterogen durchgeführt werden. Das Format sei davon abhängig, was man sich von so einer Datensitzung erhofft. Immer sei es jedoch entscheidend, dass der/ die Datengeber*in die Diskussion in Bezug auf die Fragestellung der Sitzung gezielt lenke. #In der Diskussion wurde auch angesprochen, dass es sich bei der Probenforschung offensichtlich um ein Thema handelt, das Erfahrungen und eine gewisse Expertise fordert. Die Fragestellungen, der disziplinäre Kontext und die Auswahl der Datensitzungsgruppe sei daher genauso entscheidend wie eine gezielte Auswahl des Materials. Eine Dokumentation der Datensitzung in Form eines Protokolls oder einer Audioaufzeichnung habe sich darüber hinaus als sehr sinnvoll erwiesen, um mit den Erkenntnissen aus der Sitzung anschließend produktiv weiterarbeiten zu können. Möglichkeiten der wissenschaftlichen Veröffentlichung Wie können nun aber die Ergebnisse aus diesen vielschrittigen Analyseverfahren zu einem wissenschaftlichen Text literarisiert werden? Gibt es alternative Publikationsformate, die auf die Spezifika der Theaterprobenforschung reagieren? Braucht die Theaterprobenforschung vielleicht sogar andere Formate des Schreibens und Präsentierens, wie beispielsweise eine Mediendissertation? Roesner weist auf die Grundproblematik der Theaterwissenschaft hin, dass wir es bei Aufführungen wie auch bei Theaterproben mit Gegenständen bzw. Forschungsfeldern zu tun haben, die sich nicht ausschließlich sprachlich artikulieren, sondern durch viele verschiedene Sinne wahrgenommen werden können und müssen. Von Karl Heinz Hörning wird in Experten des Alltags. Die Wiederentdeckung des praktischen Wissens pointiert: „ Wenn aber Sprache als zentrales Ausdrucks- und Verständnismittel in den Hintergrund rückt, haben wir (als Praktiker) das Problem, diese Alltagspraktiken ‚ zum Sprechen ‘ zu bringen [. . .]. “ 93 Großmann berichtet von ihren Erfahrungen mit einer Online-Publikation, die die Integration von Anschauungsmaterial leichter ermöglichte als eine Printvariante - es gehe ja auch immer um eine adäquate „ Inszenierung des Materials “ . Eine sich im englischsprachigen Raum langsam verbrei- 57 Methodologische Diskurse der aktuellen Probenforschung tende Möglichkeit, den Leser*innen multimediales Forschungsmaterial auch im Rahmen einer Printpublikation zugänglich zu machen, bestehe in einem Link oder QR- Code, der im Buch abgedruckt werde und zu einer Website mit zugehörigem Anschauungsmaterial zur Printpublikation führe, ergänzt Roesner. Schmidt argumentiert hinsichtlich der wissenschaftlichen Schreibprozesse, dass es einen großen Unterschied mache, ob man Beobachtungen verbalisiere - das passiere eher in einem Vergangenheitsmodus, da diese Beobachtungen im Feld vollzogen worden sind - oder ob man Transkripte, Audio- oder Videoaufnahmen beschreibe, die dem*r Wissenschaftler*in präsent vorliegen - diese würden eher in einem Gegenwartsmodus formuliert werden. Eine weitere Herausforderung bestehe laut Schmidt darin, dass man häufig dazu tendierte, „ intentionalistisch “ zu schreiben, also den Handlungen der beobachteten Personen eine Intention zuweisend, ohne jedoch zu prüfen, ob diese Intention in der jeweiligen Situation tatsächlich der Aktion zu Grunde lag. Diese stilistischen Gefahren seien unbedingt in den Formulierungen wissenschaftlicher Publikationen über ethnographische Forschungsdesigns zu beachten. ‚ Recycling ‘ des erhobenen Materials? In Zeiten, die von Nachhaltigkeitsdebatten einerseits und datenschutzrechtlichen Neuerungen andererseits geprägt sind, stellt sich natürlich auch im theaterwissenschaftlichen Kontext die Frage nach dem Umgang mit dem erhobenen Datenmaterial aus ethnographischen Forschungsdesigns. Lucas Herrmann, der Probendokumentationen bereits für die Akademie der Künste Berlin durchgeführt hat, mit dem erklärten Ziel, diese zu archivieren, stellt zur Diskussion, ob Probenmaterial nicht vielleicht generell auch für andere Wissenschaftler*innen eine interessante Quelle sein könnte und Probendokumente womöglich in einem zentralen Archiv aufbewahrt werden sollten, um sie anderen Wissenschaftler*innen oder auch Künstler*innen und Biograph*innen zugänglich zu machen. Cordelia Chenault pflichtet bei, dass der Wert des erhobenen Materials unschätzbar für die Wissenschaftsgemeinde wäre. Allerdings handelt es sich bei jedem einzelnen Forschungsprojekt bereits um Datenmassen, die auch Platz fordern, so ein Einwand. Wo wäre ein zentraler Ort? Wer hätte Interesse an einer Sammlung, analog zu z. B. der Initiative für die Archive des freien Theaters e. V. 94 Dies ziehe des Weiteren aber auch rechtliche Herausforderungen 95 nach sich, da mit der potenziellen Weitergabe an Dritte die Kontrolle über das Material aus den Händen gegeben würde, warnt Schmidt. Über ein System zur Limitation und Kontrolle des Zugangs und der Weitergabe der Originaldaten müsste dringend nachgedacht werden, um die Theaterkünstler*innen und auch die Theaterprobenforschung rechtlich zu schützen. Ausblick Das Theater ist ein sich stetig veränderndes, fortentwickelndes und zugleich in höchstem Maße pluralistisches Feld, sowohl ästhetisch und institutionell, als auch bezüglich der Produktionsprozesse und -verhältnisse. So muss sich eine ethnographisch ausgerichtete Theaterprobenforschung hinsichtlich ihrer methodologischen Herangehensweisen ebenso flexibel gestalten, um sich dem jeweiligen Feld assimilieren zu können. Denn, wie auch Breidenstein et. al. für sämtliche ethnographische Forschungsdesigns zusammenfassen: [Eine] Forschungsstrategie lässt sich nur bedingt methodisieren. Gefordert ist viel- 58 Tamara Yasmin Quick mehr eine Sensitivität, der sich die ethnografische Vorgehensweise unterordnet: Mit ihr reagieren Beobachter flexibel und anpassend auf die Erfordernisse ihres Feldes und dessen Teilnehmer. 96 Im Rahmen der Münchner Arbeitskonferenz „ Methodologische Diskurse der aktuellen Probenforschung “ konnten wir im Plenum viele bereits erprobte Möglichkeiten der methodologischen Herangehensweise bei der Erforschung von Theaterproben diskutieren, von den Erfahrungen der Kolleg*innen lernen und profitieren und unser junges Forschungsfeld gemeinsam in einer produktiven, konstruktiven und sehr kollegialen Atmosphäre und vielen Gesprächen reflektieren und sondieren. Als ein Ergebnis der Konferenz können wir nun einen aktuellen Forschungsstand dieser praxeologisch ausgerichteten Disziplin innerhalb der Theaterwissenschaft als eine strukturierte Zusammenführung und Diskussion der zentralen Fragen, die sich Probenforschende zu stellen haben, als einen Zwischenbericht vorstellen. Die Betonung liegt hier bewusst auf der Vorläufigkeit und dem ‚ Work-in-Progress ‘ des methodologischen Diskurses. Es soll und kann keine Methode oder ‚ best-practice ‘ als finale Lösung definiert werden. Die kollektive Forschungsleistung der Theaterprobenforschung wird auch in Zukunft weiterhin darin bestehen, gezielte Leitfragen zur jeweils eigenen Methodenfindung zu generieren und ein offenes Modell methodologischer Herangehensweisen zu entwickeln, das dem Forschungsfeld gerecht wird. Anmerkungen 1 Forschungsarbeiten und Veröffentlichungen umfassen u. a. Annemarie Matzke, Arbeit am Theater. Eine Diskursgeschichte der Probe, Bielefeld 2012; Stefanie Husel, Grenzwerte im Spiel, Bielefeld 2014; Katarina Kleinschmidt, Artistic Research als Wissensgefüge. Eine Praxeologie des Probens im zeitgenössischen Tanz, München 2018; Alex Flynn und Jonas Tinius (Hg.), Anthropology, Theatre, and Development: The Transformative Potential of Performance, Basingstoke und New York 2015; Jonas Tinius, „ Art as Ethical Practice: Anthropological Observations On and Beyond Theatre “ , in: World Art 7/ 2 (2015), S. 227 - 251, Jonas Tinius, „ Was für ein Theater! Überlegungen zum Spielfeld zwischen ethnographischer Praxis und performativer Kunst “ , in: Berliner Blätter. Ethnographische und Ethnologische Beiträge, 68 (2015), S. 30 - 42; Cordelia Chenault, Beyond Regietheater: The Oper Frankfurt Behind the Curtain, 1979 - 2015, Stony Book University New York 2016; Lucas Herrmann, Die Dokumentation von Theaterproben. Eine interdisziplinäre Methodenreflexion, Universität Hildesheim 2018; Ja š Otrin, Proben am Theater als ‚ On the job ‘ -Personalentwicklungsmaßnahmen, Ludwig-Maximilians- Universität München 2019; aktuelle Promotionsprojekte werden u. a. von Lisa Großmann an der Universität der Künste Berlin, Maximilian Krug an der Universität Duisburg-Essen, Rahel Leupin an der Roskilde Universitet in Dänemark, Anna Königshofer an der Leuphana Universität Lüneburg, Monika Messner an der Paris-Londron-Universität in Salzburg, Tamara Yasmin Quick an der Ludwig-Maximilians-Universität München und Anna Wessel an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg durchgeführt. 2 Melanie Hinz und Jens Roselt (Hg.), Chaos und Konzept: Proben und Probieren im Theater, Berlin 2011. 3 Melanie Hinz und Jens Roselt, „ Poetiken des Probierens “ , in: Hinz und Roselt (Hg.), Chaos und Konzept, S. 8 - 13, hier S. 8. 4 Lucas Herrmann, „ Vom methodischen Umgang mit Rahmungsstrategien bei der Probendokumentation “ , Paper zur Arbeitskonferenz Methodologische Diskurse der aktuellen Probenforschung, München 2019. 5 Vgl. Hajo Kurzenberger, Der kollektive Prozess des Theaters: Chorkörper - Probengemeinschaften - kollektive Kreativität, Bielefeld 2009, S. 9. 59 Methodologische Diskurse der aktuellen Probenforschung 6 Herrmann, „ Vom methodischen Umgang mit Rahmungsstrategien bei der Probendokumentation “ , S. 7. 7 Kurzenberger, Der kollektive Prozess des Theaters, S. 7, 10. 8 Ebd., S. 13, 16. 9 Ebd., S. 16. 10 Kleinschmidt, Artistic Research als Wissensgefüge. 11 Ebd., S. 76 f. 12 Gay McAuley, Not Magic But Work: An Ethnographic Account of a Rehearsal Process, Nachdruck, Manchester 2012. 13 Matzke, Arbeit am Theater, S. 281. 14 Vgl. dazu auch das von Barbara Gronau als Sprecherin geleitete DFG-Graduiertenkolleg Das Wissen der Künste an der Universität der Künste Berlin, https: / / www.udk-berlin. de/ forschung/ temporaere-forschungseinrichtungen/ dfg-graduiertenkolleg-das-wissen-der-kuenste/ [Zugriff am 17. 09. 2019]. 15 Matzke spricht hier von der „ Einübung körperlicher Praktiken im Sinne eines ‚ performativen Wissens ‘“ , vgl. Matzke, Arbeit am Theater, S. 281. 16 Hinz und Roselt, „ Poetiken des Probens “ , S. 11. 17 Bettina Brandl-Risi und Clemens Risi, Keynote-Vortrag „ Probenprozesse in der Oper als Szenarien der Hervorbringung von Wissen über zukünftige Aufführungen. Methodische Heraus- und Anforderungen “ bei der Arbeitskonferenz Methodologische Diskurse der aktuellen Probenforschung, München 2019. 18 Matzke, Arbeit am Theater, S. 88. 19 Mein besonderer Dank gilt den Beteiligten der Arbeitskonferenz - Bettina Brandl-Risi, Cordelia Chenault, Dominik Frank, Lisa Großmann, Lucas Herrmann, Stefanie Husel, Katarina Kleinschmidt, Ja š Otrin, Clemens Risi, David Roesner, Axel Schmidt, Anne Schuh, Jonas Tinius, Ekaterina Trachsel, Anna Volkland und Anna Wessel - für ihre Expertise und ihre Offenheit, diese disziplinär und interdisziplinär zu teilen. Die folgenden Zitationen, jeweils namentlich ausgewiesen, entstammen allesamt der Abschlussdiskussion am 6. April 2019, wenn nicht anders gekennzeichnet. Die gedankliche Arbeit der Beteiligten dieser Arbeitskonferenz bildet im Sinne eines Kollektivprozesses die Grundlage des vorliegenden Artikels. 20 Matzke, Arbeit am Theater, S. 113. 21 McAuley, Not Magic But Work; Gay McAuley: „ Towards an Ethnography of Rehearsal “ , in: New Theatre Quarterly, 14/ 53 (1998), S. 75 - 85. 22 Clifford Geertz, Dichte Beschreibung: Beiträge zum Verstehen kultureller Systeme, Frankfurt am Main 1983. 23 McAuley, Not Magic But Work, S. 5 ff. 24 Ebd. 25 Josette Féral, „ Introduction: Towards a Genetic Study of Performance - Take 2 “ , in: Theatre Research International, 33/ 3 (2008), S. 223 - 233. 26 Vgl. auch das Forschungsprojekt The Didascalic Imagination unter der Leitung von Luk Van den Dries, http: / / dighum.uantwerpen. be/ didascimagination [Zugriff am 17. 09. 2019]. 27 Annemarie Matzke, „ Das Theater auf die Probe stellen. Kollektivität und Selbstreflexivität in den Arbeitsweisen des Gegenwartstheaters “ , in: Beate Hochholdinger-Reiterer et. al. (Hg.), Arbeitsweisen im Gegenwartstheater, Berlin 2015, S. 15 - 33. 28 Ebd., S. 29. 29 Geesche Wartemann, „ Experimentierfelder. Eine kameraethnographische Studie zum Modell des Helios Theaters, das Publikum im Probenprozess zu beteiligen “ , in: Hinz und Roselt (Hg.), Chaos und Konzept, S. 242 - 261, hier S. 242. 30 Maximilian Krug, „ Collecting Audio-Visual Data of Theatre Rehearsals. (Non-)Intrusive Practices of Preparing Mobile Eye-Tracking Glasses during Ongoing Workplace Interactions “ , Paper zur International Conference of Conversation Analysis, Loughborough University 2018. 31 Anna Wessel, „ Methodische Aspekte sprechwissenschaftlicher Probenprozessforschung “ , in: Kati Hannken-Illjes et. al. (Hg.), Stimme - Medien - Sprechkunst, Baltmannsweiler 2017. 32 Axel Schmidt, Spiel oder nicht Spiel. Zur interaktiven Organisation von Übergängen 60 Tamara Yasmin Quick zwischen Spielwelt und Realwelt in Theaterproben, Mannheim 2014. 33 Axel Schmidt, „ Prefiguring the future. Projections and preparations within theatrical rehearsals “ , in: Arnulf Deppermann und Jürgen Schreeck (Hg.), Time in Embodied Interaction. Synchronicity and sequentiality of multimodal resources, Amsterdam 2018, S. 231 - 260. 34 Kleinschmidt, Artistic Research als Wissensgefüge. 35 Ebd., S. 38. 36 Ebd., S. 45. 37 Ebd., S. 45 f. 38 Ebd., S. 46. 39 Ebd., S. 47. 40 Breidenstein et. al., Ethnografie. Die Praxis der Feldforschung, Konstanz und München 2013. 41 Ebd., S. 87. 42 Ebd., S. 88. 43 Sandro Zanetti, „ Proben auf dem Papier “ , in: Hinz und Roselt (Hg.), Chaos und Konzept, S. 171 - 189, hier S. 172. 44 Breidenstein et. al., Die Praxis der Feldforschung, S. 50. 45 Ebd., S 59. 46 Lisa Großmann, Katarina Kleinschmidt, Anne Schuh, Ekaterina Trachsel, Anna Volkland, „ Was ist die Probe? Vorschläge für ein ‚ engagiertes ‘ Feldforschen in den szenischen Künsten “ , Kollektiv-Paper zur Arbeitskonferenz Methodologische Diskurse der aktuellen Probenforschung, München 2019, S. 2. 47 Breidenstein et. al., Die Praxis der Feldforschung, S. 59. 48 Anna Königshofer: „ Wenn die Dramaturgie zur Frage der Technik wird: Rimini Protokolls Produktion Top Secret International als komplexes Steuerungssystem “ , Vortrag vom 9. 11. 2018 an der Jahrestagung der Gesellschaft für Theaterwissenschaft Theater und Technik 2018 in Düsseldorf. 49 Ebd. 50 Jonas Tinius, „ Die Ethnografie als Methode der Theaterwissenschaften? “ , Paper zur Arbeitskonferenz Methodologische Diskurse der aktuellen Probenforschung, München 2019. 51 Kleinschmidt, Artistic Research als Wissensgefüge, S. 46. 52 Ebd., S. 47; vgl. auch Thomas Alkemeyer et. al., „ Kritik der Praxis. Plädoyer für eine subjektivierungstheoretische Erweiterung der Praxistheorien “ , in: Thomas Alkemeyer et.al. (Hg.), Praxis denken. Konzepte und Kritik, Wiesbaden 2015, S. 25 - 50, hier S. 28. 53 McAuley, „ Towards an Ethnography of Rehearsal “ , S. 77. 54 Herrmann, „ Vom methodischen Umgang mit Rahmungsstrategien bei der Probendokumentation “ , S. 2. 55 Ebd., S. 3. 56 Jonas Tinius, „ Die Ethnografie als Methode der Theaterwissenschaften? “ , S. 4. 57 Vgl. u. a. Karsten Müller, Julia David und Tammo Straatmann, „ Qualitative Beobachtungsverfahren “ , in: Gabriele Naderer und Eva Balzer (Hg.), Qualitative Marktforschung in Theorie und Praxis. Grundlagen - Methoden Anwendungen, Wiesbaden 2011, S. 313 - 344. 58 Vgl. Breidenstein et. al., Die Praxis der Feldforschung, S. 79 f. 59 Matzke, Arbeit am Theater, S. 105. 60 Breidenstein et. al., Die Praxis der Feldforschung, S. 35; vgl. dazu auch Stefan Hirschauer, „ Ethnografisches Schreiben und die Schweigsamkeit des Sozialen. Zu einer Methodologie der Beschreibung “ , in: Zeitschrift für Soziologie, 30/ 6 (2001), S. 429 - 451, hier S. 429 f. 61 Vgl. zu ‚ Probentagbuch ‘ auch ebd., S. 440. 62 Maximilian Krug, „ Collecting Audio-Visual Data of Theatre Rehearsals “ , S. 1. 63 McAuley, „ Towards an Ethnography of Rehearsal “ , S. 76. 64 Vgl. Wartemann, „ Experimentierfelder “ , S. 242 - 261. 65 Jonas Tinius, „ Die Ethnografie als Methode der Theaterwissenschaften? “ , S. 8; vgl. auch Sharon Macdonald, „ Ethnography in the Science Museum “ , in: David Gellner und Eric Hirsch (Hg.), Inside Organizations: Anthropologists at Work, Oxford 2001, S. 77 - 96, hier S. 78. 66 Daniela Hahn (Hg.), Beyond Evidence. Das Dokument in den Künsten, Paderborn 2016. 67 Tamara Yasmin Quick, „ Die Probe als epistemologischer Möglichkeitsraum? “ , Paper zur Arbeitskonferenz Methodologische Dis- 61 Methodologische Diskurse der aktuellen Probenforschung kurse der aktuellen Probenforschung, München 2019. 68 Vgl. dazu auch Hirschauer, „ Ethnografisches Schreiben und die Schweigsamkeit des Sozialen “ , S. 434 f: „ Das Transkript schafft also nicht eine Kopie [. . .], sondern ein ‚ Original ‘ (d. h. einen Referenten) für den Diskurs seiner [. . .] Beobachter. Das soziale Original und seine ‚ primäre Sinnstruktur ‘ ist eine kunstvolle [. . .] Reifikation einer beständigen Reinterpretation der Zeit. “ . 69 Breidenstein et.al., Die Praxis der Feldforschung, S. 95. 70 Quick, „ Die Probe als epistemologischer Möglichkeitsraum? “ , S. 9. 71 Ebd., S. 95. 72 McAuley, „ Towards an Ethnography of Rehearsal “ , S. 81. 73 Matzke, Arbeit am Theater, S. 113. 74 Ebd., S. 113. 75 Ebd., S. 237 ff. 76 Quick, „ Die Probe als epistemologischer Möglichkeitsraum? “ , S. 9. 77 Vgl. Hahn, Beyond Evidence, S. 10. 78 Ebd., S. 9. 79 Lisa Großmann, „ Die Dokumente der Probenforschung “ , Paper zur Arbeitskonferenz Methodologische Diskurse der aktuellen Probenforschung, München 2019. 80 Ebd. 81 Zur Dialektik des ‚ registrierenden ‘ und des ‚ rekonstruierenden ‘ Schreibens in der Ethnographie vgl. Hirschauer, „ Ethnografisches Schreiben und die Schweigsamkeit des Sozialen “ , S. 432 ff. 82 Ludwig Wittgenstein, „ Tractatus logicophilosophico “ , Tagebücher 1914 - 1916, in: Werkausgabe, Bd. 1 [8], Frankfurt a. M. 1964. 83 Vgl. hierzu auch Hirschauer, „ Ethnografisches Schreiben und die Schweigsamkeit des Sozialen “ , S. 431. 84 Ebd., S. 441 f. 85 Vgl. u. a. Philipp Mayring und Thomas Fenzl, „ Qualitative Inhaltsanalyse “ , in: Nina Baur und Jörg Blasius (Hg.), Handbuch Methoden der empirischen Sozialforschung, Wiesbaden 2019, S. 633 - 648. 86 Vgl. u. a. Anselm L. Strauss und Juliet Corbin, Grounded Theory. Grundlagen qualitativer Sozialforschung, Nachdruck, Weinheim 1996. 87 Anna Wessel während der Abschlussdiskussion der Arbeitskonferenz Methodologische Diskurse der aktuellen Probenforschung, München 2019. 88 Thomas Schmidt: „ FOLKER. Effizientes Transkribieren von Gesprächen “ , http: / / www1.ids-mannheim.de/ fileadmin/ prag/ Programmbereich_Muendliche_Korpora/ FOLKER_2014_01.pdf [Zugriff am 30. 08. 2019]. 89 Cordula Schwarze, Formen und Funktionen von Topoi, Frankfurt am Main 2010. 90 Ebd., S. 105. 91 Stefanie Husel, „ Vom Proben (und) Erforschen “ , Paper zur Arbeitskonferenz Methodologische Diskurse der aktuellen Probenforschung, München 2019, S. 8. 92 Anna Wessel während der Abschlussdiskussion der Arbeitskonferenz Methodologische Diskurse der aktuellen Probenforschung, München 2019. 93 Karl Heinz Hörning, Experten des Alltags. Die Wiederentdeckung des praktischen Wissens, Weilerswist 2001, S. 192. 94 Initiative für die Archive des Freien Theaters e. V., http: / / www.theaterarchiv.org/ [Zugriff am 30. 08. 2019]. 95 Gerade vor dem Hintergrund der neuen Europäischen Datenschutzgrundverordnung seit Mai 2018 ist dies nahezu unmöglich zu leisten. Die grundsätzliche Bereitschaft und Offenheit vieler Theatermacher*innen gegenüber der Wissenschaft wurde durch diese rechtliche Modifizierung ohnehin befragt, da diese nicht nur für den Schutz der eigenen personenbezogenen Daten sensibilisierte, sondern auch eine allgemeine Skepsis schürte. Dem Akt des Unterschreibens einer Einwilligungserklärung wohnt offensichtlich etwas sehr Formelles, Verbindliches und womöglich auch Bedrohliches inne, dem nur durch gegenseitiges Vertrauen im Feld entgegengewirkt werden kann. Müssten Wissenschaftler*innen erklären, dass die personenbezogenen Daten aus dem Probenprozess nicht nur der eigenen Forschung dienen werden, sondern auch unbekannten Dritten, könnte die Bereitschaft auf 62 Tamara Yasmin Quick Seiten der Theaterschaffenden rapide abnehmen, was im schlimmsten Fall das frühzeitige Ende des aufstrebenden Zweiges der Theaterprobenforschung bedeuten würde. 96 Breidenstein et. al., Die Praxis der Feldforschung, S. 9. 63 Methodologische Diskurse der aktuellen Probenforschung Vorwort zu „ Ich sehe was, was du nicht siehst. “ Modi der Kritik Birgit Peter (Wien) Von 2010 - 2016 fand im Rahmen der so genannten Nachwuchsförderung der Gesellschaft für Theaterwissenschaft der Versuch statt, Doktorand*innen verschiedener Institute und damit Fachkulturen, zusammenzubringen und in gemeinsamer Diskussion eine Keynote für den Kongress der Gesellschaft zum jeweiligen Thema zu entwickeln. Ziel dieser Initiative war die Sichtbarkeit von Forschungszugängen von Doktoand*innen innerhalb der GTW Kongresse zu erhöhen. Die Gruppe wurde vom Vorstandsteam nach einem Call zusammengestellt. Im Zentrum dieser Ausschreibung stand die Bereitschaft, gemeinsam produktiv zu werden, diskussions- und kritikbereit zu sein. Auf den jeweiligen Mitgliederversammlungen der GTW wurde der finanzielle Rahmen beschlossen, der dazu diente, zwei bis drei Treffen der Gruppe sowie die Konferenzteilnahme zu ermöglichen. Als Teil des Vorstandsteam begleitete und moderierte ich diese Treffen und durfte die daraus entstandenen Keynotes moderieren. Für den 2016 in Frankfurt und Gießen abgehaltenen Kongress „ Theater als Kritik “ arbeiteten Melanie Reichert (Kiel), Lucie Ortmann (Leipzig), Sara Tiefenbacher (Wien), Anna Volkland (Berlin) und Marcel Behn (Bern) miteinander. Aus ihren eigenen Dissertationsprojekten heraus entwickelten sie in mehrmonatigem intensivem Austausch Positionen zum Tagungsthema. Diese bildete Basis für den gemeinsamen Vortrag. Der mit Witz und Selbstironie ausgewählte Titel „ Ich sehe was, was du nicht siehst “ erklärte die Zusammenarbeit als perspektivenerweiternde Positionsformulierung. Die fünf äußerst unterschiedlichen Zugänge zu „ Theater als Kritik “ wurden wie folgt gereiht: Melanie Reichert eröffnete mit einer philosophischen Betrachtung zu den Bedingungen der Möglichkeit von Theater und Kritik. Als Gegenrede setzte dann Lucie Ortmann fort. In ihrem Beitrag problematisierte sie kritisch gedachte Settings in gegenwärtigen Kunstinstallationen vor dem Hintergrund kolonialer Dispositive. Sara Tiefenbacher griff den Faden auf, um am Beispiel von polnischen und österreichischen Inszenierungen von Thomas Bernhards Holzfällen der Wirkung von Kritik nachzugehen. Die Institution Stadttheater setzte dann Anna Volkland ins Zentrum ihrer kritischen Fragestellung nach der Verfestigung eines eindimensionalen starren Begriffs vom Stadttheater, das einer kritischen Analyse im Wege steht. Mit einer historiographischen Perspektive, die das Verhältnis zwischen Theater-/ Tanzwissenschaft und Quellenkritik als sich bedingende kritische Praktiken fokussiert, schloss Marcel Behn die Keynote. Als Resümee dieses gemeinsamen Nachdenkens über „ Theater als Kritik “ fand ich in meinen Notizen folgende Formulierung der Gruppe: Ihre Debatten beschrieben sie als „ Agieren im Spannungsfeld der Begrenztheiten des Blicks und Potenzialität der Praxen “ . „ Ich sehe was, was du nicht siehst “ kann als Aufforderung gelesen werden mit offenem Blick die Vielfalt und Heterogenität von Forschungsvorhaben wahrzunehmen und produktiv zu machen. Forum Modernes Theater, 31/ 1-2 (2020), 64 - 64. Gunter Narr Verlag Tübingen DOI 10.2357/ FMTh-2020-0005 Artaud, Barthes und der Mythos der Kritik. Überlegungen zu den Bedingungen der Möglichkeit einer Verbindung von Theater und Kritik Melanie Reichert (Kiel) Die folgende Auseinandersetzung nimmt ihren Ausgang bei einer Problematisierung der Verknüpfung von Theater und Kritik und der Beschreibung ihres aporetischen Charakters, wie sie sich bereits in den 1950er-Jahren bei Roland Barthes findet. Damit werden Überlegungen zu den Bedingungen der Möglichkeit dieser Verknüpfung verbunden, und zwar in zweifacher Hinsicht: Welche kulturellen Bedürfnisse und Konstellationen drücken sich erstens in ihr aus, worauf reagiert sie? Zweitens soll, im Anschluss an die Theatertheorie Antonin Artauds, die zweifellos Einfluss auf Barthes hatte, nach den philosophischen Bedingungen, die tatsächlich ein Theater als Kritik ermöglichen würden, gefragt werden. Daran wird eine Auseinandersetzung mit der Frage geknüpft, ob diese Bedingungen nicht im systematischen Gegensatz zur derzeitigen Konjunktur der Verbindung von Kunst und Kritik zu sehen sind. Abschließend wird untersucht, welche Konsequenzen sich daraus für die Begriffe von Kunst und Kritik, aber auch von Politik sowie ihr Verhältnis zueinander ergeben. Perspektiven der Kritikkritik Der Kunst kritisches Potential zuzusprechen, hat immer noch Konjunktur - auch nach der mächtigen Gegenrede von Luc Boltanski und Eve Chiapello, die die kapitalistische Assimilierung künstlerischer Lebensentwürfe aufgedeckt haben. 1 Die mittlerweile zur Selbstverständlichkeit gewordene Vorstellung von kritischer Kunst verbindet sich implizit mit einer transformativen Vorstellung von Performativität 2 , indem Kritik selbst als performativer Modus des Interventiven gedacht wird: Aus ihrem kritischen Potential, so scheint es, schöpft Kunst ihr Wirken, aus ästhetisch vermittelter, kritischer Betrachtung folgt kritische Praxis. 3 Es stellt sich die Frage, ob nicht nach der Distanzierung vom l ’ art pour l ’ art Anfang des 20. Jahrhunderts die Kunst damit zu jenem Paradigma der Nützlichkeit zurückkehrt, aus dem sie sich durch Zerschlagung ihrer sakralen Bindungen eigentlich gelöst hatte. Der Zusammenbruch der politischen Systeme und besonders die Erfahrungen der faschistischen Diktaturen werden diese Entwicklung entscheidend begünstigt haben - mussten doch sämtliche herkömmliche Formen des Kritischen, Politischen, Interventiven nunmehr als endgültig korrumpiert oder wirkungslos verstanden werden. Zugleich wurde die künstlerische Ausrichtung auf das Schöne, die Einfühlung, den ästhetischen Genuss angesichts der historischen Gräuel verunmöglicht. 4 Auch die sich seit dem 19. Jahrhundert auf dem Gebiet der Philosophie vollziehende Destabilisierung von Gewissheitsordnungen verstärkt die bereits von Schiller gehegte Hoffnung auf die kritische Relevanz des Ästhetischen. Die Kunst springt also zunächst - so ein erster ideengeschichtlicher Interpretationsvorstoß - ein, wo andere Ordnungen versagen. Aus einer solchen Beschreibung der historisch-systematischen Konstellationen heraus drängt sich die Frage nach der Autonomie und Spezifik künstlerischer Ausdrucksgestalten auf. So wäre, mit Adorno, Forum Modernes Theater, 31/ 1-2 (2020), 65 - 75. Gunter Narr Verlag Tübingen DOI 10.2357/ FMTh-2020-0006 nach ihrem Surplus zu fragen, auf Grund dessen ihnen auch angesichts des Versagens bestimmter kultureller Ordnungssysteme - wie Politik oder Wissenschaft - stets mehr als eine bloße Sublimierungsfunktion zukommt. Bereits Mitte der 1950er Jahre hat zudem Roland Barthes in seinen Schriften zum Theater einen Verdacht geäußert, der auch gegenwärtige Diskussionen um das kritische Potential von Kunst prägt. Die Schule machende Formzersetzung der Avantgarde nämlich beschreibt Barthes als kulturelle Immunisierungsstrategie: Man inokuliert der Tradition ein wenig Fortschritt, einen rein formalen übrigens, und schon ist die Tradition gegen den Fortschritt immun; einige Zeichen der Avantgarde reichen aus, um die wirkliche Avantgarde, die umfassende Revolution der Sprachen und Mythen, zu kastrieren. 5 Kritik, Subversivität, Widerständigkeit und weitere Attributionen des Interventiven laufen zudem - so würde ich Barthes ’ Punkt zuspitzen - stets Gefahr, als moderne Ablassformen die nach wie vor bestehende epistemische Ordnung distinguierten Kunstgenusses in moralischer Hinsicht zu nobilitieren. Aus diesen Linien der Problematisierung heraus werde ich im Folgenden zwei Fragestellungen verfolgen und schließlich verschränken: Bietet das Ästhetische künstlerischer Formungen und Prozesse spezifische Modi des Kritischen auch unabhängig von institutionellen Rahmungen? Stützen Behauptungen kritischer Potenz am Ende eben jene gesellschaftlichen Ordnungen, die sie vermeintlich in Frage stellen? Aporien des Kritischen Mit dem Nachwort seiner Mythen des Alltags 6 von 1957 liefert Roland Barthes nicht nur eine semiologische Analyse der Alltagskultur seiner Zeit, sondern auch eine Theorie der Kritik eben dieser Kultur. Mythen sind Aussagen, die verschleiern, dass Bedeutung immer kulturell geschaffen ist und nicht natürlicherweise an den bedeutenden Gegenständen abgelesen werden kann. Ihre Äußerung ist indes nicht ausschließlich prädikativ möglich, sondern ebenso ästhetisch, wie Barthes ’ vielfältige mythologische Miniaturen innerhalb der Textsammlung zeigen. Durch die mythische Naturalisierung des Kulturellen werden gesellschaftliche Machtkonstellationen zementiert, indem sie die „ Spuren [ihrer] Hervorbringung unter der Evidenz des Ewigen “ 7 verbergen. Daher haben sie den Charakter einer Fixierung und Inventarisierung. 8 Diese Fixierung basiert auf dem Modus der Verselbstverständlichung, der der mythischen Aussage eigen ist: Das Ewige versteht sich von selbst, instantan und unabhängig vom Standpunkt der Betrachtung oder der Rahmung seiner Manifestation. Die Rolle des Selbstverständlichen kennzeichnet dabei eine unüberwindbare Ambivalenz, da es innerkulturelle Orientierung allererst ermöglicht und gleichzeitig den Status quo wiederholend bestätigt. Es gibt nun für Barthes durchaus eine Möglichkeit der kritischen Intervention in die Verstellungen des Mythischen, nämlich die theoretische Arbeit der Mythologie. Diese charakterisiert Barthes folgendermaßen: [. . .] da sie für gewiß hält, daß der Mensch der bürgerlichen Gesellschaft in jedem Augenblick in falsche Natur getaucht ist, versucht sie unter den Unschuldigkeiten noch des naivsten Zusammenlebens die tiefe Entfremdung aufzuspüren, die zusammen mit diesen Unschuldigkeiten hingenommen werden soll. 9 Die Mythologie ist dabei deshalb kritische Wissenschaft, weil sie das Selbstverständliche 66 Melanie Reichert entselbstverständlicht, indem sie ein Theater produziert. Hier wird der die Mythen analysierende Mythologe gleichsam zum Zuschauer, zum Ethnologen seiner eigenen Kultur. Im Modus der Theatralität laufen Episteme und Kritik zusammen, insofern Theatralität eine Kluft in das immersive, von Selbstverständlichkeit durchtränkte Alltagsgeschehen einzieht. Ich greife bei meiner Interpretation der Barthes ’ schen Figur des Mythologen an dieser Stelle auf den Begriff von Theatralität zurück, wie ihn Josette Féral und Ronald P. Bermingham fassen: It is an act initiated in one of two possible spaces: either that of the actor or that of the spectator. In both cases, this act creates a cleft in the quotidian that becomes the space of the other, the space in which the other has a place. Without such a cleft, the quotidian remains intact, precluding the possibility of theatricality, much less of theatre itself. 10 Die emersive Wahrnehmungsverschiebung der mythologischen Methode enthüllt bei genauerer Betrachtung die fundamentale Verbindung von Theater und Kritik als Zerschneiden (krinein), die ich im zweiten Abschnitt weiter spezifizieren werde: Theatralität zerschneidet, und zwar das Bündnis zwischen Individuum und Selbstverständlichem. Von dieser kritischen Eigenschaft des Theatralen kann das Theater Gebrauch machen, es kann ihre Wirkungen forcieren, es muss es aber nicht, wie es beispielsweise Bertolt Brechts Kritik an Phänomenen der Einfühlungsdramaturgie offen gelegt hat. Das Theater vermag also potentiell Kritik besonders auf epistemologischem Feld zu entfalten, indem es die bedeutungstheoretischen Konfigurationen des Kulturellen auf ästhetische Weise offenbart. Durch diese Wahrnehmungsverschiebung wird jedoch nicht nur das Selbstverständliche verunsichert, sondern auch die Figur des Mythologen selbst. Diese Verunsicherung geschieht auf zweifache Weise, wie ich nun zeigen möchte, sodass in dieser Figur bereits die beiden entscheidenden Aporien des Kritischen akut werden, die auch heutige Diskussionen um kritische Potentiale von Kunst und Wissenschaft strukturieren. Die erste Aporie ergibt sich aus der Verbindung der Vorstellung eines der Emersion erwachsenden kritischen Blicks mit der Vorstellung eines „ archimedischen “ 11 Punktes von Kritik, so Helmut Draxler. Dabei handelt es sich um ein strukturelles Problem behaupteter kritischer Potenz. Nach Barthes birgt jede Form von Kritik - ob politisch, künstlerisch oder philosophisch - das Risiko, zur Pose zu verkommen, da sie sich stets „ mühelos in den großen semiologischen Mythos des ‚ Versus ‘“ 12 einfügt. Überträgt man dieses strukturelle Problem auf Barthes selbst, so zeigt sich, dass der von ihm angesprochene „ Mythos des ‚ Versus ‘“ auf genau dieser fraglosen Annahme eines solchen „ Außen “ beruht, auf der Annahme eines Standpunktes außerhalb des kulturellen Bedeutungskosmos. Der „ Mythos des ‚ Versus ‘“ verschleiert das fundamentale Verstricktsein auch kritischer Formen in den Status quo. Diese Verstrickung resultiert aber nicht etwa aus moralischer Verworfenheit oder Bigotterie sich kritisch verstehender Individuen, sondern aus der epistemischen Konfiguration kultureller Formen und der daraus resultierenden je eigentümlichen Hermetik, welche die kritisch-interventiven Ansprüche beständig unterläuft. Diese Paradoxie erläutert Barthes am Beispiel des französischen Avantgardetheaters: Zum einen verwirft er [der Künstler] heftig die akademische Ästhetik der Klasse, aus der er selbst kommt, zum andern aber benötigt er diese Klasse, um sein Publikum zu machen; in einer bürgerlichen Gesellschaft zum Beispiel lehnt der Avantgardeschriftsteller die bürgerlichen Werte ab, aber diese Ableh- 67 Artaud, Barthes und der Mythos der Kritik nung, die er zum Schauspiel erhebt, kann letzten Endes nur von der Bourgeoisie konsumiert werden - die Avantgarde ist, mag der Schein auch trügen, eine Familienangelegenheit. 13 Wo Versus behauptet wird, kann es sich also stets nur um Cum handeln, da Kritik, um als solche verstanden zu werden, epistemischer Voraussetzungen bedarf. Diese gefährden allerdings die wirklichkeitsverändernde Kraft der Kritik erheblich, insofern sie dann nur als ein fundamental hermetisches Verfahren gedacht werden kann, also höchstens als Selbstkritik funktioniert. Die zweite Aporie kritischer Verfahren ergibt sich aus der Beschaffenheit des Kulturellen selbst, das ich im Anschluss an die Kulturphilosophie des 20. Jahrhunderts als Prozess menschlichen Hervorbringens, Zurechtmachens und Inventarisierens begreife. So gerinnen kritische Verfahren im Laufe ihrer Etablierung selbst zum Mythos und werden dergestalt Teil eines kulturellen Inventars. Dies führt dann dazu, dass das Kritische, wie z. B. der theatralen Avantgarde, anerkannt wird und so ihren Stachel verliert. Kritik wird zur „ Legende “ 14 , oder, mit Walter Benjamin, zum „ Genre “ als Inbegriff der Geschichtsvergessenheit. 15 Auch Barthes hat dieses Problem beschrieben, für ihn verkommt sie zu einem „ Korpus von Phrasen [. . .], einer katechetischen Aussage “ 16 , ich möchte zuspitzen: zur Selbstverständlichkeit. Wenn nun die kritische Kraft von Theater darin besteht, die Selbstverständlichkeiten des alltäglich Hingenommenen in Frage zu stellen, wirkt diese Kraft dann noch, wenn Modi des Kritischen selbst zur Selbstverständlichkeit geworden sind? Ich möchte nun beide Aporien zusammenführen. Kritik, die - mit Barthes gesprochen - zum Katechismus geworden ist, ist immer hermetisch, das heißt, von der Notwendigkeit einer Komplizen- und Kennerschaft geprägt. Diese hermetische Geschlossenheit steht dann allerdings im fundamentalen Gegensatz zur beanspruchten Wirksamkeit über das Feld der Kunst hinaus, sodass sich die Frage stellt, ob eine solche Paradoxie philosophisch aufgelöst werden kann, ob Behauptungen kritischer Potenz einzuschränken sind oder ob die kritische Wirksamkeit von Theater anders bestimmt werden könnte. Wider das Genre: Von Barthes zu Artaud Barthes selbst hat im Zuge der Studentenrevolte der 1960er Jahre erlebt, wie seine eigene mythologische Methode an den Universitäten mehr und mehr zum Katechismus wurde. Aus dieser Entwicklung folgt für ihn, so zeigen die Texte dieser Zeit, die Notwendigkeit einer Verlagerung der mythologischen Tätigkeit: „ Nicht mehr die Mythen gilt es zu demaskieren [. . .], sondern das Zeichen selbst gilt es ins Wanken zu bringen. “ 17 Im Anschluss an diese Einsicht wird Barthes sich in seinen Texten auf die Suche machen nach dem Auftauchen eines solchen Wankens, das er schließlich im Ästhetischen finden wird. In zahlreichen Essays und philosophischen Miniaturen wird er in den folgenden Jahren Phänomene des Wankens aufspüren - das Korn der Stimme, die Lust am Text, das Punctum der Fotografie, um nur die bekanntesten zu nennen. Im Begriff des Wankens liegt indes, dies ist für unseren Zusammenhang von besonderer Bedeutung, keine Zerstörung des Zeichens, keine Behauptung einer potentiellen Gegenkultur, die nach Abschaffung der Welt der Zeichen aufzubauen wäre - in einem Wort: kein Versus. Vielmehr deutet der Begriff auf die Vergegenwärtigung einer fundamentalen Ungewissheit, die dem vermeintlich Fixierten und Bekannten, dem Selbstverständlichen immanent ist. Ob das 68 Melanie Reichert Zeichen wirklich fällt, bleibt offen und ist nicht von Belang: Im Suspens liegt die besondere Herausforderung, die ich im Zusammenhang der Frage nach der kritischen Potenz von Theater fruchtbar machen möchte. Hierzu werde ich im Folgenden Barthes ’ Interesse an der Ästhetizität und Riskanz der Zeichen mit den Gedanken Antonin Artauds verbinden, über den er sich bewundernd geäußert hat, wenngleich er ihn selten zum Gegenstand dezidierter Auseinandersetzung gemacht hat. 18 Im Theaterkonzept Artauds ist, so meine These, eine am Suspens orientierte Neukonfiguration des Verhältnisses von Theater und Kritik angedeutet, die auch für das gegenwärtige Nachdenken über dieses Verhältnis fruchtbar ist. Die theatertheoretischen Schriften Artauds können so für eine philosophische Theorie der Kulturkritik von Bedeutung sein. Vor diesem Hintergrund zeigt sich nämlich, dass sein theatrales Ins-Wanken-Bringen der Zeichen als ästhetische Praxis „ postrestitutiver Kulturkritik “ 19 zu deuten ist, die Konersmann wie folgt bestimmt: Anders als die restitutive, auf eine überempirische Ordnung vertrauende Kulturkritik operiert die neue, die postrestitutive Kulturkritik immer nur aus dem Inneren der Kultur heraus. 20 Im Gegensatz zum Versus rechnet diese Form der Kulturkritik also mit der Immanenz des Kulturellen. Der Artaud ’ schen Konzeption erwachsen außerdem einige spezifische Tugenden, die für unseren Zusammenhang von Interesse sind. Diese mögen ihre Fruchtbarkeit gerade in einer Zeit entfalten, in der die kritisch-interventive Kraft der Kunst zwar immer stärker behauptet wird, ihre gesellschaftspolitische Potenz angesichts der zunehmenden Infragestellung humanitärer Werte aber zumindest reexaminiert werden sollte, worauf ich am Schluss zurückkommen werde. 21 Bereits 25 Jahre vor Barthes hat Artaud die eigentümliche Spannung, die das Verhältnis von Kultur und Kritik kennzeichnet, zur Grundlage seiner Theatertheorie gemacht, wie ich nun zeigen werde. In „ Das Theater und sein Double “ hat Artaud das Problem der Fixierung kultureller Formen in seine ästhetische Kulturkritik einbezogen, wenn er schreibt: Einer der Gründe für die erstickende Atmosphäre, in der wir leben, ohne mögliche Ausflucht und Zuflucht - und an dem wir alle unsern Teil Schuld haben, selbst die Revolutionärsten unter uns - , liegt in dem Respekt vor dem Geschriebenen, Formulierten oder Gemalten, vor dem, was Gestalt angenommen hat, als wenn schließlich nicht aller Ausdruck am Ende wäre, nicht an dem Punkt angelangt wäre, an dem die Dinge bersten müssen, wenn es einen neuen Aufbruch und einen neuen Anfang geben soll. 22 Diese Kritik verbindet Artaud mit einer Kritik begrifflicher Repräsentation: Das „ Besessensein vom einleuchtenden Wort [. . .] führt zum Verdorren der Wörter “ 23 . Der Fetisch des ewig Einleuchtenden, der Evidenz, des sicheren Bedeutens führt für ihn schließlich zum Verdorren des Denkens 24 . Der Unterdrückung durch fixierte Bedeutungen kann allerdings nicht diskursiv, sondern nur situativ, mit theatralen Mitteln begegnet werden. Diese Annahme Artauds basiert auf seiner Einsicht in die Ereignishaftigkeit körperlicher Repräsentation, wie sie im Theater erfahrbar wird und die sich den Wiederholungsschleifen des Selbstverständlichen entzieht: sehen wir ein, dass [. . .] jedes Wort tot ist, sobald es ausgesprochen ist, und nur in dem Augenblick wirkt, in dem es ausgesprochen wird, dass eine einmal verwendete Form zu nichts mehr nütze ist und nur dazu einlädt, nach einer anderen zu suchen, und dass das 69 Artaud, Barthes und der Mythos der Kritik Theater der einzige Ort auf der Welt ist, wo eine Gebärde unwiederholbar ist. 25 Dabei vertritt Artaud jedoch keinen radikalen Konstruktivismus, der kulturelle Bedeutungen als jederzeit und beliebig veränderbar auffasst. So betont er, „ dass bei der Bestimmung eines Gegenstandes, beim Sinn oder der Verwertbarkeit einer Naturform alles der Konvention unterworfen ist “ 26 . Dennoch können Bedeutungen aufgeweicht und ihre Prozessualität erfahren werden, und dies insbesondere durch die körperliche Dimension des Theaters. Damit soll das Theater zu einem Ort werden, der „ mit dem Werden versöhnt “ 27 . Es lassen sich bei Artaud zwei körperzentrierte Strategien identifizieren, mit denen dies erreicht werden soll. Die erste Strategie besteht in der Konstruktion einer neuen Körpersprache, die zweite im Auflösen von Wortbedeutungen durch die Stimme. Zunächst ist für Artaud die Entwicklung einer eigenen Theatersprache abseits des gesprochenen Dialogs nötig, die sich „ Zeichen, Gebärden und Haltungen, die einen ideographischen Wert besitzen [. . .] “ 28 ,bedient. Dazu gehören pantomimische Darstellungen genauso wie Versuche, über Lichteffekte, Raumtemperatur und Rhythmus die Körper der Zuschauenden zu infizieren. Die Diffusität einer solchen Sprache soll konventionalisierte Bedeutungen ins Wanken bringen. Die zweite Strategie nutzt zwar immer noch das gesprochene Wort, verschiebt aber den Fokus weg vom begrifflichen Verstehen hin zur körperlichen Wahrnehmung der Stimme. So Artaud: die Wörter brauchen nur, statt einzig und allein für das genommen zu werden, was sie, grammatisch gesehen, sagen wollen, unter ihrem klanglichen Gesichtspunkt verstanden [. . .] zu werden [. . .] und schon bildet die Sprache der Literatur sich neu und wird lebendig [. . .]. 29 Der Körper wird hier zu dem Medium, durch das sowohl die Arbitrarität von Bedeutung als auch er selbst als Bedeutungsträger erfahrbar wird. Der Körper ist also nicht als kulturunabhängig gedacht: Dennoch [d. h. trotz der Anarchie der Poesie] muss man zugeben, dass bei der Bestimmung eines Gegenstandes, beim Sinn oder der Verwertbarkeit einer Naturform alles der Konvention unterworfen ist. 30 Besonders in seinen späten Schriften wird diese Einsicht Artaud zur Akzentverschiebung und Radikalisierung seiner Theatertheorie treiben. 31 Artaud greift, in der Terminologie Barthes ’ , sowohl den Mythos der ewig feststehenden Bedeutung als auch den Mythos der begrifflichen Repräsentation an, der fraglos von deren Klarheit und Überzeitlichkeit ausgeht. Artaud setzt hier auf jene Effekte, die Barthes etwa mit der Körnung der Stimme beschreibt: Indem sie Materialität zum Ereignis werden lassen kann, vermag die Form körperlicher Repräsentation Signifikant und Signifikat zu entkoppeln. 32 Der Körper wird also nicht ausschließlich als ein lesbarer, als Bedeutungsträger, erfahren. Vielmehr ereignet sich in seinem Auffälligwerden die Offenbarung seines fundamentalen Entzogenseins: Körper und Bedeutung können niemals völlig zur Deckung gebracht werden - oder anders: Der Körper geht, bei aller kulturellen Determiniertheit, niemals völlig in dem auf, was er bedeutet. 33 Damit machen körperliche Repräsentationsformen die Diffusität dieser vermeintlichen Klarheit und Evidenz erfahrbar und offenbaren so die grundlegende hermeneutische Prekarität „ kultureller Tatsachen “ 34 . Artauds Kulturkritik mündet somit in eine kritische Praxis, die sowohl bezogen auf die Darstellenden als auch bezogen auf die Zuschauenden ästhetisch erfahrbar wird. Sein körperzentriertes Theater bringt Be- 70 Melanie Reichert deutung ins Wanken und belässt sie dort, im Ungewissen. Mit dem Theater als ästhetischer Praxis gerät so nicht zuletzt die Vorstellung künstlerischer Vermittlung unter Druck, die Annahme einer allzeit übersetzbaren, verlässlichen und störungsfreien Bezugnahme auf Bedeutungssysteme, und damit eben auch: das vermeintlich selbstverständlich Kritische im Sinne des Barthes ’ schen Versus. Damit sind also bereits bei Artaud einige Bedingungen der Möglichkeit wie auch die Aporien ästhetischer Kulturkritik vorgezeichnet, die Barthes in den 1960er- und 1970er Jahren bedeutungstheoretisch fundieren wird. Mit Artaud können wir dann auch Barthes ’ Problematisierung des kritischen Versus erweitern: Kritisches Theater ist nicht nur paradox, weil es innerhalb der epistemischen Hermetik einer bestimmten Form verbleibt, sondern auch als spezifisch ästhetische Ausdrucksform ist seine kritische Bezugnahme immer prekär - was nicht heißt, dass sie unmöglich ist. Was aber die Auseinandersetzung mit den bedeutungstheoretischen Implikationen der Artaud ’ schen Ästhetik zeigt, ist die Notwendigkeit einer selbstkritischen, sensiblen Bestandsaufnahme der besonderen - und eben nicht unendlichen - kritischen Potenz theatraler Repräsentation. Diese entfaltet das Theater tatsächlich, entsprechend der Artaud ’ schen Intuition - auf metaphysischem Feld, als Meditation über die Ungewissheit des vermeintlich Gewissen und Gewussten. Hierunter fallen dann auch die Rede von der kritischen Kunst, wo immer sie unhinterfragt erfolgt und zum identitätsstiftenden Genre gerinnt, und letztlich ebenso die weltanschaulichen Grundlagen der jeweils konkreten kritischen Positionierung. Dem Theater kritische Bedeutung und Potenz zuzuschreiben, ist selbst das Produkt eines kulturellen Prozesses; es wäre daher geboten, nach den Bedingungen dieses Prozesses zu fragen. Denn es ist durchaus möglich, dass die allzu vage Zuschreibung von kritischer Potenz Ausdruck eines Legitimationsbedürfnisses angesichts ökonomistischer Prekarisierung inkommensurabler kultureller Ausdrucksgestalten ist, welches - ob gewollt oder ungewollt - theatrale Repräsentationsformen in den Koordinaten einer Kosten-Nutzen-Rechnung organisiert. Prekarität des Kritischen Artauds Konzept konfrontiert mit der epistemisch-hermeneutischen Inkommensurabilität des Kulturellen, insofern das, was sich im Theater als ästhetischer Form ereignet, niemals vollständig in Verstehen überführt werden kann. Es bleibt immer ein Rest, mit dem sich nicht umgehen lässt, der sich nicht zur Identifikation, Orientierung oder kurz: Situationsbewältigung nutzbar machen lässt. Diese Inkommensurabilität zuzulassen, ohne in ein weltabgewandtes L ’ art-pour-l ’ art zu verfallen, ist eine der zentralen Herausforderungen, der sich Artaud mit seinem Entwurf zu stellen versucht. Über sein ideales Theater schreibt er, dass „ die Verärgerung darüber, dass man [. . .] es nicht richtig verstehen kann, [. . .] ein zusätzlicher Reiz “ ist. 35 Mit dem Motiv des reizvollen Nichtverstehens als Schwanken zwischen Lust und Unlust kündigt sich hier bereits eine Verknüpfung von Bedeutungsauflösung, Lust und Kritik an, die 1973 von Barthes in Die Lust am Text weiter konkretisiert, wenn auch nicht abschließend systematisch ausgearbeitet wird. Lustvolle Erfahrungen sind für Barthes Erfahrungen des „ Flackerns “ von Bedeutung, des „ fadings “ , des „ Auf- und Abblendens “ . 36 All dies sind Figurationen der Spannung, und ich möchte auch das bereits 71 Artaud, Barthes und der Mythos der Kritik erwähnte Wanken des Zeichens in dieser Reihe verorten. Das Wanken des Zeichens offenbart sich, so deutet es Barthes an, vor allem dort, wo der sprechende Körper in seiner Materialität wahrnehmbar wird. 37 Man muss dazu „ in ihrer Sinnlichkeit den Atem, die Rauheit, das Fleisch der Lippen, die ganze Präsenz des menschlichen Maules “ 38 hörbar machen, wie es im Gesang, im Radio und im Theater geschehen kann. An dieser Stelle bezieht Barthes sich direkt auf Artaud und seine Fokussierung des klanglichen Aspekts der Worte, die nicht nur sein Theater, sondern auch sein Schreiben durchzieht. Dann „ gelingt es, das Signifikat ganz weit weg zu rücken und den anonymen Körper des Schauspielers sozusagen in mein Ohr zu werfen “ 39 , so Barthes. Für Barthes ereignet sich in dieser Entselbstverständlichung, diesem Auffälligwerden der Materialität ein bestimmtes Verhältnis von Individuum und Kultur, nämlich das der Jouissance. In ihr laufen, so meine ich, Kritik und Episteme zusammen, insofern das Individuum sich hier für einen kurzen Moment aus den Verstrickungen der Unerschütterlichkeits- und Klarheitsbehauptung des Selbstverständlichen löst. Damit setzt es sowohl das Gewebe seiner Kultur, als auch seiner Subjektivität aufs Spiel, weil mit dem Selbstverständlichen eben nicht nur Unterdrückung, sondern auch Orientierung, Identifikation, Sicherheit und Handlungsbefähigung preisgegeben wird. Das Theater wird damit zu einem Ort, an dem der von Barthes behaupteten Notwendigkeit, „ Kritik und Lust nebeneinander bestehen zu lassen “ 40 Genüge getan wird. Mit Blick auf das Konzept Artauds liegt das kritische Potential des Theaters somit in einer körperlich-geistigen, genussvollen Konfrontation mit jener Ungewissheit, die der uneinholbaren Vorläufigkeit kultureller Formungen und Selbstverständlichkeiten erwächst. Damit deutet sich in den theatertheoretischen Schriften Artauds ein Kritikkonzept an, in dem Möglichkeiten zur Überwindung ihres Erstarrens zur Pose durch ästhetische Erfahrung vorgezeichnet sind. Kritik ist hier weder bloßes Versus, noch kann sie durch den ebenfalls allzu vagen Begriff der Reflexion erfasst werden. 41 Im Licht einer philosophischen Theorie der Bedeutungsgenese zeigt sie sich vielmehr als Genuss des Entzugs von Selbstverständlichkeit - die Höhe dieses Anspruchs ist kaum zu überschätzen. Wirklich stimmig wird sie aber nur dann, wenn sie sich im Zeichen dieses Genusses selbst ins Wanken bringt, als performative Selbstprekarisierung mit „ der Bereitschaft zur permanenten Revision der eigenen Grundlagen und Maßstäbe “ 42 . Hier entfaltet Artauds Konzept der Aufweichung erstarrter Formen dann - obgleich selbst durchaus hermetisch, diesen Umstand aber affirmierend - eine zweifache Brisanz für heutige Zuschreibungen kritischer Potenz. Wenn man dieses Konzept nämlich erstens mit der Transitivität kultureller Bedeutung konfrontiert, dann gilt diese Transitivität nicht zuletzt - wie oben bereits angedeutet - für die Zuschreibung einer kritischen Bedeutung von Theater. Dieses ist eben nicht selbstverständlich kritisch. Mit Artaud wäre die Forderung zu stellen, sich der aus solcher Selbstverständlichkeit erwachsenden Gefahr eines diskursverarmenden Kritikspezialistentums wie auch der Herausbildung oberflächlicher kritischer Routinen 43 bewusst und entschieden entgegenzustellen, wenn die Wirksamkeit von Kritik überhaupt ein erstrebenswertes Gut sein soll. 44 Zweitens offenbart eine Annäherung an das Spezifische theatraler Repräsentation die untilgbare Ungewissheit ihres Wirkens. Ob sie überhaupt Wirkung entfaltet, bleibt ebenso ungewiss wie die Frage nach dem Wie dieses Wirkens. So zeigt sich hier zugleich paradigmatisch die fundamentale 72 Melanie Reichert Ambiguität und Unberechenbarkeit kultureller Formen, die eben sowohl zur Stärkung wie zur Schwächung des Status quo beitragen können, ein inhumanes System angreifen oder stützen können. Aus diesen Überlegungen ergibt sich indes keine totale Absage an eine Verbindung von Theater und Kritik, wie oben gezeigt wurde. Artauds Theaterkonzept, das zugleich eine Metaphysik der Kultur enthält, gibt allerdings den Blick frei auf die Potentiale und Begrenzungen, die der Spezifik der Form erwachsen. Vor diesem Horizont zeichnen sich dann Konsequenzen für eine Haltung zum Interventiven ab, die aus der Achtung und Affirmation dieser Spezifik erwachsen kann. Die hier vorgenommene Bestimmung der prekären Wirksamkeit theatraler Kritik erlaubt nämlich schlussendlich auch ihre entschiedenere Abgrenzung vom Interventiven im Sinne des Politischen. Sich die Hermetik und Unberechenbarkeit des theatralen Geschehens einzugestehen und diese sogar als unersetzbare Erfahrung wertzuschätzen, ist eine Lehre aus Artauds Schriften, die politische Brisanz entwickeln kann, insofern sie mit der Einsicht verbunden wird, dass sich mit solcher Kritik eben keine Politik machen lässt. Denn indem mit Artaud die kritische Potenz theatraler Repräsentationsformen zwar näher bestimmt werden kann, die Abgrenzungsnotwendigkeit 45 von politischer Intervention aber dadurch auch umso deutlicher zutage tritt, öffnet sich hier ein Freiraum und vielleicht sogar ein Gebot, außerhalb des Theaters zur politischen Aktion zu finden. So kann der Blick auf Artaud auch der Gefahr entgegenwirken, sich in der Kunst zu verschanzen, im Theater etwas zu suchen, was dort so nicht gefunden werden kann und damit das politische Feld jenen zu überlassen, die es in ein real existierendes Theater der Grausamkeit zu verwandeln drohen. Anmerkungen 1 Vgl. Luc Boltanski und Eve Chiapello, Der neue Geist des Kapitalismus, aus dem Französischen von Michael Tillmann, Konstanz 2006. Außerdem Bojana Kunst, Artist at work. Proximity of art and capitalism, Winchester 2015. Zur Spannung zwischen Kritik-Hype und Kritik-Enttäuschung siehe Ines Kleesattel, „ Kunst und Kritik. Das Problem in Rancières politischer Kunsttheorie und eine Erinnerung an Adorno “ , in: Ines Kleesattel und Leonhard Emmerling (Hg.), Politik der Kunst. Über Möglichkeiten, das Ästhetische politisch zu denken, Bielefeld 2016, S. 184. 2 Erika Fischer-Lichte, Performativität. Eine Einführung. Bielefeld 2012, S. 113 - 129. 3 Zur Charakterisierung von Performativität als wirklichkeitskonstituierend siehe Erika Fischer-Lichte, Performativität, S. 29. Zur Verschmelzung von Theorie, Kritik und Praxis siehe Helmut Draxler, „ Der Habitus des Kritischen. Über die Grenzen reflexiver Praxis “ , in: Transversal 03/ 2008. Abrufbar unter: http: / / eipcp.net/ transversal/ 0308/ drax ler/ de [Zugriff am 25. 07. 2018]. Außerdem Alexander Garcia Düttmann, „ Die teilnahmslose Kunst. Über politische Veränderung und die Unzulänglichkeit der Reflexion “ , in: Lettre International 110, Herbst 2015, S. 121 - 125. 4 Hierzu siehe etwa Theodor W. Adorno, „ Engagement “ , in: Theodor W. Adorno, Gesammelte Schriften, Bd. II Noten zur Literatur, hg. von Rolf Tiedemann unter Mitwirkung von Gretel Adorno, Susan Buck-Morss und Klaus Schultz, Frankfurt a. M. 1996, S. 409 - 430. 5 Vgl. Roland Barthes, Ich habe das Theater immer sehr geliebt und dennoch gehe ich fast nie mehr hin. Schriften zum Theater, hg. von Jean-Loup Rivière, aus dem Französischen von Dieter Hornig. Berlin 2001, S. 122 - 125. 6 Roland Barthes, Mythen des Alltags, aus dem Französischen von Horst Brühmann. Frankfurt a. M. 2012, hier bes. S. 280 - 299 sowie S. 312 - 316. 7 Ebd., S. 146. 73 Artaud, Barthes und der Mythos der Kritik 8 Ebd., S. 146. 9 Ebd., S. 148. 10 Josette Féral und Ronald P. Bermingham, „ Theatricality. The specificity of theatrical language “ . In: Substance. Vol. 31, No. 2/ 3, Issue 98/ 99, S. 94 - 108. 11 Draxler, „ Der Habitus des Kritischen “ , S. 5 f. 12 Roland Barthes, Die Lust am Text. Frankfurt a. M. 2015, S. 81. 13 Barthes, Ich habe das Theater immer sehr geliebt, S. 254. 14 Roland Barthes, Mythen des Alltags, aus dem Französischen von Helmut Scheffel, Frankfurt a. M. 1964, S. 255. 15 Walter Benjamin (Rezension), „ Dolf Sternberger, Panorama oder Ansichten vom neunzehnten Jahrhundert “ , in: Walter Benjamin, Gesammelte Schriften III, hg. von Hella Tiedemann-Bartels, Frankfurt a. M. 1972, S. 575. 16 Roland Barthes, Das Rauschen der Sprache. Kritische Essays IV, aus dem Französischen von Dieter Hornig, Frankfurt a. M. 2006, S. 74. 17 Barthes, Das Rauschen der Sprache, S. 74. 18 Barthes bezeichnet Artaud etwa als einen „ großen Surrealisten “ (vgl. ders., Ich habe das Theater immer sehr geliebt, S. 256) oder sogar als „ heterologische[n] Gott “ (vgl. ders., Über mich selbst, aus dem Französischen von Jürgen Hoch, Berlin 2010, S. 185). Zur Rezeption Artauds durch Barthes vgl. auch Melanie Reichert, Der heterologische Gott. Roland Barthes über die Grenzen und Potentiale des Schreibens mit Artaud, in: Zeitschrift für Kulturphilosophie 2017/ 1, S. 235 - 246. 19 Ralf Konersmann, Kulturkritik, Frankfurt a. M. 2008, S. 8. 20 Ebd., S. 105. 21 Zur politischen Deutung dieses Auseinanderdriftens von Anspruch und Wirklichkeit siehe Michael Hirsch, Logik der Unterscheidung. Zehn Thesen zu Kunst und Politik, Hamburg 2015. 22 Antonin Artaud, Das Theater und sein Double, aus dem Französischen übersetzt von Gerd Henniger, ergänzt und mit einem Nachwort versehen von Bernd Mattheus, Berlin 2012, S. 97. 23 Ebd., S. 155. 24 Ebd., S. 154. 25 Ebd., S. 99 (Herv. M. R.). Gleichwohl existiert grundsätzlich, nach Dieter Mersch, durch Reproduktionstechniken die Möglichkeit einer ereignishaften „ paradoxalen Wiederholung “ , die „ keine Einschreibung und kein Gedächtnis erlaubt (. . .), wenn wir beispielsweise die Stimme eines längst Verstorbenen hören “ . Vgl. hierzu Dieter Mersch, Was sich zeigt. Materialität, Präsenz, Ereignis, München 2002, S. 120. 26 Artaud, Das Theater und sein Double, S. 55. 27 Ebd., S. 141. 28 Ebd., S. 50. 29 Ebd., S. 157. 30 Ebd., S. 55 (Herv. M. R.) 31 Hierzu siehe besonders Artrauds Letzte Schriften sowie Petra Maria Meyer, „ Encore - en corps - a corps “ , in: Forum Modernes Theater 1998/ 1, S. 18 - 41. 32 Zu diesem Phänomen siehe bes. Roland Barthes: Der entgegenkommende und der stumpfe Sinn. Kritische Essays III, aus dem Französischen von Dieter Hornig. Frankfurt a. M. 1990, S. 269 - 278.Vgl. außerdem Mersch, Was sich zeigt, bes. S. 55 - 65. 33 Hier folge ich Dieter Mersch: „ So wäre denn in die Semiotik des Körpers eine Duplizität einzutragen: Lesbarkeit eines kulturell überformten oder abgerichteten Ausdrucks, aber auch ein ausdrucksloses Enthüllen, das dem entspringt, was ihm als materielles Korrelat stets vorgängig bleibt. Zweifellos erscheint die »Sprache des Leibes« kulturell determiniert und kontextuell entschlüsselbar [. . .]. Dennoch bleibt sie an den Eigensinn der Leiblichkeit gekoppelt [. . .]. “ Dieses Enthüllen hat, so Mersch, den Charakter eines Ereignisses, ist also schwer zu kontrollieren. Vgl. Mersch, Was sich zeigt, S. 59 (Herv. i. O.). 34 Den Begriff der kulturellen Tatsache übernehme ich von Ralf Konersmann, der diese als „ Werk “ bestimmt beschreibt: „ Ein Werk ist [. . .] eine Realisierung, die von menschlicher Praxis zeugt. Das Werk verweist auf die Praxis, aus der es hervorgegangen ist, und dokumentiert zudem das Daß dieser Praxis im Horizont situativer Umstände. In 74 Melanie Reichert den Blick kommt damit der Kontextbezug, die Bedingungen der Genese und der Aktualität. Zugleich ist aber das Werk Resultat einer entschiedenen Ablösung, mit der es die Umstände seiner Entstehung immer schon hinter sich gelassen hat. “ Ralf Konersmann, Kulturelle Tatsachen, Frankfurt a. M. 2006, S. 61 (Herv. i. O.). 35 Artaud, Das Theater und sein Double, S. 74. 36 Barthes, Die Lust am Text, S. 14, sowie Ebd., S. 13: „ Weder die Kultur noch ihre Zerstörung sind erotisch; erst die Kluft zwischen beiden wird es. “ Außerdem Ebd., S. 17: „ die Unterbrechung ist erotisch [. . .]: die Haut, die zwischen zwei Kleidungsstücken glänzt [. . .]; das Glänzen selbst verführt, oder besser noch: die Inszenierung eines Auf- und Abblendens. “ Auch bei Artaud ist das Motiv des Auf- und Abblendens und die damit verbundene epistemische Unsicherheit immer wieder präsent, hierzu siehe etwa Artaud, Das Theater und sein Double, S. 42 - 61. 37 Barthes, Die Lust am Text, S. 97. 38 Ebd., S. 98 39 Ebd., S. 98. 40 Roland Barthes, Die Körnung der Stimme. Interviews 1962 - 1980, aus dem Französischen von Agnès Bucaille-Euler, Birgit Spielmann und Gerhard Mahlberg, Frankfurt a. M. 2002, S. 194. 41 Zur Problematisierung des Begriffs der Reflexion siehe Düttmann, Die teilnahmeslose Kunst. 42 Konersmann, Kulturkritik, S. 131. 43 Auf das Problem routinierten Kritikertums verweist Walter Benjamin in seinem Aufsatz „ Der Autor als Produzent “ , in: Gesammelte Schriften Bd. II.2 hg. v. Rolf Tiedemann und Hermann Schweppenhäuser, Frankfurt a. M. 1997, S. 692. 44 Die hier problematisierten Phänomene sind, so möchte ich ausdrücklich festhalten, nicht allein Sache des Theaters oder der Kunst, sondern treten ebensowohl im Rahmen von Zuschreibungen kritischer Potenz auf dem philosophisch-wissenschaftlichen Feld auf. 45 Artaud selbst hat sein Theater explizit vom Interventiven im Sinne des Politischen unterschieden, worüber sich schließlich der Bruch mit der surrealistischen Gruppe um André Breton vollzog. Als Replik auf den Text „ Am hellichten Tag “ , in dem die Gruppe den Ausschluss Artauds und ihren eigenen Anschluss an die Kommunistische Partei Frankreichs verkündete, veröffentlicht Artaud 1927 ein wütendes Pamphlet mit dem Titel „ In tiefster Nacht oder Der surrealistische Bluff “ (Vgl. hierzu Antonin Artaud, Surrealistische Texte, Briefe hg. und übersetzt von Bernd Mattheus. München 1996, S. 147). Darin heißt es bezüglich der surrealistischen Vermischung von Kunst und Politik: „ [. . .] ist der Surrealismus nicht seit jenem Tage tot, da Breton und seine Adepten glaubten, sich dem Kommunismus anschließen zu müssen, und auf dem Gebiet der Tatsachen und der unmittelbaren Materie das Ergebnis eines Tuns zu suchen, das sich normalerweise nur im inneren Bereich des Hirns abspielen konnte. “ Vgl. Artaud, Surrealistische Texte, S. 75. 75 Artaud, Barthes und der Mythos der Kritik Das kritische Potential des Zeigens. Brett Baileys Exhibit Series im / als Netzwerk visueller Wieder-Holungen Lucie Ortmann (Leipzig) Die umstrittene Exhibit Series von Brett Bailey macht historische und vorgefundene visuelle Inszenierungen von Körpern produktiv, indem bestimmte Sujets und Zeigepraxen wiederholt werden. In den Debatten, die sich an dem Projekt entzünden, kommt es zu einer Unterscheidung zwischen Aufführung und Aufführungsfotografie, indem der visuellen Dokumentation abgesprochen wird, die spezifische Wirkmacht der Aufführung wiederzugeben. Ausgehend von dieser ins Feld geführten Differenzierung prüfe ich im Folgenden die Mediatisierung der Exhibit Series genauer. Was tut das von der Aufführung und ihrem Diskurs produzierte und distribuierte Bildmaterial? Mein Beitrag steckt dabei das komplexe und heikle Ineinandergreifen von Aufführung, Aufführungsdokumentation und -präsentation ab. Anhand der Wechselverhältnisse von Vor-Bildern, (Re)Produktionen in Aufführungen und der sie dokumentierenden Visualisierung wird das kritische Potential einer zeigenden Praxis herausgearbeitet. Kritisches Potential beziehe ich nicht nur auf die von Künstler*innen wie Bailey formulierten Absichten der Dekonstruktion und Destabilisierung, sondern fokussiere mit Verweis auf das Bedeutungsfeld von Begriffen wie ‚ heikel ‘ , ‚ prekär ‘ oder ‚ riskant ‘ die vielfältigen, widersprüchlichen Wirkungen von Zeigepraxen. 2009 beobachtet die Kunsthistorikerin Susanne Leeb, dass sich zahlreiche Künstler*innen in Anlehnung an Foucaults Definition von Kritik zu fragen scheinen: „ Von welcher Geschichte wollen wir regiert werden? “ . 1 Sie verstehen „ Geschichte in Bezug auf Erzählformen, Institutionen, Medien und Methoden als Diskurs, aber auch als Zeithorizont [. . .], in den zu intervenieren ist. “ 2 Es ginge ihnen, so Leeb, um „ die retrospektive Injektion eines Möglichkeitssinns und dadurch um eine Öffnung von Geschichte auf eine alternative Gegenwart. “ 3 Immer wieder greifen Künstler*innen in diesem Sinne neu - wiederholend, sich aneignend, zitierend - auf stereotypisierende, hierarchisierende, naturalisierende oder provozierende Darstellungen von Körpern zu, wie beispielsweise auf Posen der historischen europäischen Aktmalerei, denen Aby Warburg bereits ein „ Bewegungs- und Erregungspotenzial “ zugeschrieben hat, „ das sich im je aktuellen Kontext der Bildbetrachtung aktualisiert und transformiert “ . 4 Diese Künstler*innen bringen also visuelle Inszenierungen und mediale Repräsentationen von Körpern zum Einsatz, die in Form zahlreicher Kopien und Aneignungen bereits zirkulieren, Bilder des menschlichen, oft des nackten und sehr oft des weiblichen Körpers, die potentiell affektive, libidinöse oder aversive Wirkungen entfalten. Der Kurator Matthias Michalka hat ein „ paradoxes Genießen “ im Rahmen der Rezeption solcher Bilder und ihrer Reproduktionen beschrieben: „ Wir wissen um die Konstruiertheit, Funktionslogik und das manipulative Potenzial dieser Darstellungen, und dennoch fesseln sie uns “ . 5 Künstler*innen, die solches Bildmaterial einsetzen, es dekontextualisieren und in Aufführungen transferieren, zielen darauf ab, dessen performative, zuschreibende Wirkmächtigkeit zu verdeutlichen oder po- Forum Modernes Theater, 31/ 1-2 (2020), 76 - 89. Gunter Narr Verlag Tübingen DOI 10.2357/ FMTh-2020-0007 tentiell zu dekonstruieren. Dabei geht es ihnen häufig um die Konfrontation ihrer Rezipient*innen mit deren Vorstellungen und vorgefassten Meinungen, die mit bestimmten Körpern verbunden werden. Wiederholendes Zeigen wird als (analytische) Praxis der Visualisierung verstanden, als Werkzeug, um Muster und Einschreibungen heraus- und umzuarbeiten. Diesen Künstler*innen scheint es also genauer um den Impetus zu gehen, nicht dermaßen von Bildregimen regiert zu werden. Tatsächlich werden sich neben den Bildern genauso mediale Überlieferungsformen des verwendeten Bildmaterials und „ spannungsgeladene Präsentationsformen “ konventioneller Ausstellungsdisplays wie Rahmungen, Vitrinen, Podeste oder Dioramen angeeignet. 6 Diese Schau-Anordnungen sind Teil institutioneller und politisch geführter Diskurse, die sich wie die Bildsujets in der Gegenwart fortschreiben. In Sex Museums. The Politics and Performance of Display (2016) deklariert Jennifer Tyburczy den Museumskontext vom 19. bis ins 21. Jahrhundert „ as a pivotal and highly influential site in the construction of modern sexual subjectivity and the categories of normalcy and perversity “ . 7 Das Museumsdisplay verstricke hierarchische Strukturen von „ race, gender, sex and class “ derart komplex mit der Architektur und dem „ layout of the space “ , dass die Prozesse der Konstruktion von Normalität unsichtbar würden. 8 Indem Ausstellungen Normen und Abnormes visualisieren und produzieren, Objekte und Körper kategorisieren und klassifizieren, waren sie von Beginn an Ort und Ziel heftiger Auseinandersetzungen, „ dramatic civil struggles “ . 9 Aktuell werden international zahlreiche Diskussionen um die Frage geführt, welche Darstellungen eine Gesellschaft erlaubt. Rede- und Kunstfreiheit stehen als exklusive weiße Privilegien zur Disposition. 10 Zentral ist dabei die Frage nach Autor*innenschaft: Wer besitzt das Recht, bestimmte Themen und Materialien oder eine bestimmte Geschichte aufzugreifen? Und gleichzeitig geht es um den Schutz derjenigen, die kaum Plattformen haben, sich hör- oder sichtbar zu machen. In den Debatten werden oft die Absage beziehungsweise die Zensur einzelner künstlerischer Arbeiten und Positionen gefordert. So explodieren 2014 Proteste gegen eine Ausgabe der Exhibit Series des weißen südafrikanischen Regisseurs Brett Bailey in London derart, dass das Barbican Centre sich am Eröffnungstag gezwungen sieht, die komplette Veranstaltung mit der Begründung abzusagen, die Sicherheit der Darsteller*innen und Besucher*innen sei gefährdet. 11 Wenige Monate später eskalieren auch in Paris, wo die Exhibit Series bereits 2013 präsentiert wurde, Proteste gegen ihre erneute Programmierung. Bis zu 250 Polizist*innen bewachen vor und während der Aufführungen das Théâtre Gérard Philipe. 12 Brett Bailey entwickelte zwischen 2010 und 2014 eine Serie von sogenannten „ human installations “ , in denen People of Colour objektivierende und exotisierende Szenen vom 17. Jahrhundert bis in die Gegenwart nachstellen. 13 Dabei wieder-holt er Elemente des Settings kolonialer Völkerschauen des 19. Jahrhunderts. Die Exhibit Series lässt sich daher auch als Reenactment lesen, als Projekt, welches sich in spezifischer Weise „ der verkörpernden Wiederholung von Geschichte [widmet] “ , 14 der „ verkörperte[n] Vergegenwärtigung[. . .] vergangener Ereignisse “ . 15 Seine Vernetzung von Bildsujets aus unterschiedlichen historischen und zeitgenössischen Kontexten, textlichen Informationen und institutionalisierten Zeigepraxen versteht Bailey als aufdeckendes Verfahren: ‚ Exhibt B ‘ looks at a system of racial profiling, objectification and dehumanisation [. . .]. It draws a line between the policies of the EU 77 Das kritische Potential des Zeigens. Brett Baileys Exhibit Series towards African asylum seekers, and the human zoos, scientific racism and concealed brutalities of the colonial era. 16 Für die Demonstrierenden kritisiert die Wiederholung der Objektivierung und Exotisierung der ausgestellten Körper in der Exhibit Series nicht, wie von Bailey und den austragenden Institutionen behauptet, den Rassismus der Körperinszenierungen, sondern sie reproduziert ihn: „ Reproduire ≠ critiquer “ ist auf dem Schild einer Aktivistin in Paris zu lesen. In den anschließenden Diskussionen stehen Fragen im Mittelpunkt, ob „ showing “ gleich „ promoting “ bedeute, ob Repräsentation notwendig Mimesis sei, ob „ re-creating certain scenarios, particularly with bodies that are re-coded within those contexts, necessarily means that those power discourses are enacted. “ 17 Schnell wird die Frage zentral, ob die Proteste auf einer „ crude, two-dimensional photographic (mis-)representation “ basieren, wie Stella Odunlami, die als Performerin in der Londoner Ausgabe mitwirken sollte, in einem Interview behauptet. 18 So äußert auch Bailey: „ I regret that a multidimensional performance piece [. . .] has been judged on the basis of two-dimensional photographs “ . 19 In einem „ Letter of Support “ , den Vertreter*innen der produzierenden und veranstaltenden Institutionen nach Absage des Projekts durch das Barbican Centre verfassten, heißt es: „ The actions of the protesters have completely missed the point of ‚ Exhibit B ‘ . How could it be otherwise, as they haven ’ t even seen it? 20 Der Soziologe Kehinde Andrews, der für die Absetzung der Installation protestierte, widerspricht: „ Our position is based on detailed accounts of the exhibition “ , und postuliert: „ If we can ’ t campaign against things we haven ’ t experienced there would be no social movements. [. . .] This is not a discussion about censorship, but about racism, what it is and who has the power to define it “ . 21 Bailey zielt mit seinem Reenactment historischer Schau-Anordnungen zwar auf eine Kritik von Bild- und Blickregimen und den damit verbundenen institutionalisierten Zeigepraxen, indem etwa heutige Bilder von Körpern in einen historischen Kontext gesetzt werden oder indem das „ paradoxe Genießen “ durch immersive Strategien oder die leibliche Kopräsenz des Betrachteten vehement zugespitzt wird. Doch inwieweit kann dieser spezifische Einsatz des visuellen Referenzmaterials dessen exotisierende, hierarchisierende Wirkmacht im Aufführungserlebnis brechen? Wann und für wen wirken Wieder-Holungen produktiv, ermächtigend oder befreiend? Und welche neuen Bilder ‚ speist ‘ die künstlerische Arbeit mit welcher Wirkung wieder in das kulturelle Bildrepertoire ein? Wechselverhältnisse von Vor-Bildern und ihrer (Re)Produktion in der Exhibit Series Die jeweils ortsspezifischen Ausgaben der Exhibit Series changieren zwischen Aufführung und Ausstellung. Besucher*innen erhalten einzeln Einlass und können sich anschließend frei durch einen Parcours bewegen. Ihre szenografische Anordnung umfasst in der Regel zwölf Tableaux vivants, die Bailey unter Verwendung von historischem und vorgefundenem Referenzmaterial wie Fotografien, Gemälden, Beschreibungen aus biografischen Texten und offiziellen Dokumenten entwickelt hat. 22 Chokri Ben Chikha und Karel Arnaut haben Typen von Vorbildern systematisiert, auf die Bailey dabei rekurriert: paradigmatische Figuren der Völkerschauen wie die ‚ Hottentot Venus ‘ , 23 Bilder von Sklav*innen sowie Szenen kolonialer und sexualisierter Gewalthandlungen und Repräsentationen heutiger Geflüchteter. 24 In Anlehnung an das ethnologische, museale Display sind die einzelnen Tableaux 78 Lucie Ortmann eingebettet in ein szenografisches Setting, das textliche Verweise enthält. Schilder geben einen Titel und Informationen zur Vorlage wieder. In der Rubrik „ Found Objects “ stellt Bailey Darsteller*innen als zeitgenössische Geflüchtete aus. Ein Tableau zeigt einen gefesselten Mann auf der Sitzreihe eines Flugzeugs. Auf einem Schild daneben listet Bailey die Namen von Menschen auf, die auf Abschiebeflügen gestorben sind. Die Schilder enthalten des Weiteren die für die Tableaux verwendeten Materialien, die grundsätzlich auch die Angabe „ Zuschauer*innen “ umfassen. Mit Rekurs auf die museale Inventarisierung und Katalogisierung nummeriert Bailey die Darsteller*innen wie Objekte. Bezeichnenderweise hat eine Darstellerin der ‚ Hottentot Venus ‘ in der Exhibit Series beschrieben, wie sie hört, dass männliche Besucher sich über ihren Körper lustig machen, und dass diese sich schließlich entschuldigt hätten: Sie wären zunächst davon ausgegangen, es handele sich bei ihr um eine Skulptur. 25 Der präparierte Körper von Sarah Baartman wurde nach ihrem Tod bis 1976 im Pariser Musée de l'Homme ausgestellt. 26 Ulf Otto hat die Praxis von Reenactments als eine „ Verquickung von Bild und Körper “ beschrieben, welche die Unterscheidung „ zwischen Dokument und lebender Gegenwart “ in Frage stellt. 27 Bailey nutzt diverse Techniken, um Verquickungen von Bildern und lebenden Körpern herzustellen und so hervorzuheben, indem er zum Beispiel einen Darsteller mit einer zweidimensionalen Abbildung rahmt, ihn ‚ in das Bild stellt ‘ . Die Szene zeigt einen Sklaven in den Niederlanden des 17. Jahrhunderts, den Bailey mit dem Zitat eines gemalten Stilllebens aus dieser Zeit und Region verknüpft. Ein anderes Tableau zeigt die Köpfe von vier Darstellern isoliert vom Rest des Körpers, der von Podesten verdeckt wird. Eine weitere Station bildet ein Guckkasten mit einer Szene, die eine Schwarze Frau an das Bett eines Kolonialherren gefesselt zeigt, in der Bailey die spezifische Blickkonstellation, die durch den Einsatz von Spiegeln auf konventionellen europäischen Aktgemälden hergestellt wird, zitiert. Der Vergleich von fotografisch dokumentierten Szenen der Exhibit Series und ihrem visuellen Referenzmaterial macht anschaulich, wie eng Körperpraktiken wie Haltungen, Gesten und Posen, technisch-mediale Bildgebungsverfahren und institutionalisierte (Re)Präsentationsformen miteinander verwoben sind und wie ihr Verbund die Wahrnehmung von Körpern beeinflusst. Die Körper - und auch ihre historischen Kontexte - werden als immer schon medial / bildhaft konstruiert und vermittelt deutlich. Die anhaltende rassistische und fetischisierende Inszenierung Schwarzer Körper als ohnmächtig und zugerichtet wird herausgearbeitet. Im letzten Raum der Installation sind Texte zu lesen, in denen die Darsteller*innen von ihren Erfahrungen mit Rassismus berichten und diese und deren Vermittlung als Motivationen für ihre Teilnahme an dem Projekt angeben. Zuschauer*innen können dort Eindrücke schriftlich festhalten. Allerdings offenbart der Blick auf die visuelle Dokumentation der Exhibit Series, dass viele Aufführungsfotografien durch ihre Bildausschnitte den Fokus auf die reproduzierten Bilder der Körper legen und Baileys situative Praxis des Rahmens und Zeigens, die Schau-Anordnungen mit den jeweils speziell platzierten Rezipient*innen in Bezug zu den Bildern ignorieren. Keine Aufführungsfotografie zeigt darüber hinaus lesende Rezipient*innen oder den erwähnten letzten Raum der Installation. Die Fotografien erzeugen und vermitteln die unterschiedlich gerahmten Tableaux vivants vorrangig wieder als Bilder - und sie rekurrieren dabei bewusst oder unbewusst ebenfalls auf die Inszenierungsstrategien des 79 Das kritische Potential des Zeigens. Brett Baileys Exhibit Series Referenzmaterials. Im Kontext der Exhibit Series werden also neue Visualisierungen produziert, die sich in (Bild-)Archive einschreiben und bestimmte fortführen, indem sie die spezifische Qualität und Wirkmacht des visuellen Materials, das in der Aufführung verhandelt wird, auf eigene Weise reproduzieren. Dokumentationen oder strategische Bildinszenierungen für Vermittlung und Marketing fügen die künstlerische Arbeit wieder in andere Bildregime ein. Als Teil des Aufführungsdiskurses und untrennbar mit der künstlerischen Arbeit verbunden, stellen die visuellen Dokumentationen also potentiell etwas her, das Baileys dekonstruierender Intention, seinem Versuch der kritischen Auseinandersetzung mit den ursprünglichen Kontexten und Funktionen der Bilder, widerspricht. Kritik an Bildregimen und ihre Visualisierung / Wiedereinschreibung und Fortführung des Archivs Sonderbarerweise finden neue Bilder, die von Aufführungen produziert werden, die Bildregime in Bezug auf Vorgängiges, Vorgefundenes verhandeln, selten Eingang in ihre Analysen. Heike Engelke hat hervorgehoben, dass der Fokus in der (theoretischen) Auseinandersetzung mit Reenactments in der Regel auf deren „ parasitäre [m] Verhältnis zu historischen Bildern “ liege, „ seine (museale) Dokumentation und damit Mediatisierung jedoch aus[ge] klammert [würden]. “ 28 Mit Bezug auf Philip Auslander plädiert sie dafür, dass diese „ Fotografien und Videos selbst performativ sein können “ . 29 Diese Perspektive verkompliziert eine mögliche Unterscheidung von Aufführung und dem sie dokumentierenden Bildmaterial, zudem Künstler*innen selbst an den Prozessen der Produktion und Selektion der visuellen Dokumentation und Präsentation ihrer Arbeiten beteiligt sind. Insbesondere bei künstlerischen Arbeiten, die mit Nacktheit in Verbindung mit referentiellen Verfahren operieren, fällt eine deutliche Limitation visueller Dokumentation auf: Oft sind nur wenige Aufführungsfotografien zugänglich und es fehlt das sonst übliche Videomaterial in Form von Trailern. So begrenzte beispielsweise die koreanisch- US-amerikanische Theater- und Filmemacherin Young Jean Lee die visuelle Präsentation von Untitled Feminist Show (2011) auf wenige und bearbeitete Aufführungsfotografien, auf welcher die nackten Körper der Performer*innen mit schwarzen Balken versehen sind. 30 Der Gegensatz zwischen der ‚ Freizügigkeit ‘ der Aufführung und der Bildbearbeitung mit dem Balken ist offensichtlich. Der grafische Eingriff rekurriert auf eine konventionelle Praxis, bei expliziten Posen die primären Geschlechtermerkmale mit Zensurbalken zu überdecken, was eine voyeuristische Spannung erzeugt. Der Einsatz dieses Mittels im Falle der visuellen Ankündigung der Aufführung installiert einen geschützten Raum, der in gewisser Weise die Rahmung der Aufführung auf ihre visuelle Dokumentation überträgt. Er produziert eine Leerstelle, die potentiell auch für das steht, was die Aufführung tut. Denn in ihr werden die expliziten Posen spezifisch eingesetzt und kontextualisiert. Die Aufführung zeigt die Herstellung der Tableaux und die damit verbundene Anstrengung und Freude der Akteur*innen. Ihre unterschiedlichen Körper bilden einen Kontrast zu den stereotypen, klischierten Vorstellungen, welche die von ihnen umgesetzten Posen aufrufen. Schaulust und projizierendes, ‚ einnehmendes ‘ Betrachten werden in der Aufführung und ihrer visuellen Dokumentation und Präsentation zu einem Arbeitsfeld, in dem diese einerseits provoziert und andererseits gestört oder verwehrt werden. Aufführungen, die prekäres Bildmaterial zur Anwendung bringen und dabei das Zeigen von Tabuisiertem wie Nacktheit, 80 Lucie Ortmann Sexualität, Exotik oder Gewalt dezidiert aufgreifen, fordern ihre dokumentierende Visualisierung also besonders heraus. Die kritische Hinterfragung und Kontextualisierung von Aufführungsfotografien und Videos, dem, was sie wie zeigen und was sie dabei hervorbringen, scheint insbesondere in diesem Zusammenhang notwendig. Bilder als konstitutives Element der Kritik an der Exhibit Series Die Sichtung von Videomaterial der Pariser Proteste - ein YouTube-Video zeigt eine zerstörte Glastür des Theaters, einen Blutfleck am Boden und wie Aktivist*innen in das Gebäude drängen - veranlasst Bailey zu einem emotionalen Text, dessen Titel „ Blood on the Tarmac “ sich direkt auf eine Bildeinstellung des Videos bezieht, in dem er formuliert: I wish that photographs of EXHIBIT B had not been published, and that the only access that people had to the work is through the living, vibrating, profound experience of recognizing the equality and humanity in us all, and the horrors of systems that continue to stifle this. 31 Stattdessen ist aber im Kontext der Exhibit Series aus diversen Beweggründen umfangreiches Bildmaterial erzeugt und zugänglich gemacht worden. Dieses Bildmaterial bildete den Ausgangspunkt und konstitutiven Teil - oder war auch Ergebnis - der Erzeugung, Genese und Eskalation der Debatten um diese Arbeit. Nach wie vor sind Fotografien der Exhibit Series auf Baileys Website publiziert. Allerdings wurden, vermutlich als Reaktion auf die Proteste, im Gegensatz zu den Fotografien, die zunächst im Rahmen einer Vermittlung durch Veranstaltungsorte und Festivals kursierten, später Abbildungen ergänzt, die das Setting und auch Zuschauer*innen zeigen. 32 Die Exhibit Series wurde vielfach aufgeführt und gelobt, 33 bevor insbesondere die Ausgabe Exhibit B einen intensiven Protest auslöste. Bereits 2012 war im Rahmen der Aufführungen beim Festival Foreign Affairs in Berlin Kritik geübt worden. Auf dem Symposium „ Stages of Colonialism / Stages of Discomfort “ des Festivals wurde Baileys Arbeit stark angegriffen. Die Autorin Grada Kilomba äußerte dort: „ Sie wolle als Schwarze Frau nicht mehr in koloniale Hierarchien gezwungen werden, um historische Ereignisse zu ‚ verstehen ‘ . “ 34 Iris Cseke sieht die Debatte hier allerdings noch innerhalb des Theater- und Festivalpublikums verankert, d. h. in einem hochspezialisierten und elitären Fachdiskurs. 35 In Netzwerke aus Inszenierung und Öffentlichkeit: Protest, Kunst und Theater auf YouTube (2018) hat sie herausgearbeitet, wie in online-Medien und Kommunikationsforen neue Öffentlichkeiten für lokale Protestereignisse produziert werden. Diese intermedialen Akteursnetzwerke brächten in und mit institutionellen Rahmen wie You- Tube die Ereignisse selbst mit hervor und ermöglichten erst ihre Rezeption, in dem die Kommunikationsräume von Theater- und Kunstöffentlichkeiten aufgebrochen würden. Den Protest gegen Exhibit B führt Cseke als ein Beispiel dafür an. 36 Einerseits werden über online-Foren die visuellen Dokumentationen der Aufführungen wesentlich vielfältiger kommuniziert und wahrgenommen. Andererseits erzeugt die mediale Berichterstattung und Kommunikation der Proteste neue Bildinszenierungen. So eignet sich der Protest parallel zu Baileys Arbeit auf spezifische Weise ebenfalls historische Bildsujets und visuelles Material an: In Paris zeigt ein Schild die Zeichnung eines ausgestellten Körpers, welche eine Darstellerin mit einem wütenden Gesichtsausdruck zeigt, die gefesselten Hände hervorhebend. In London wird der Aufruf zum Boykott auf einem Plakat grafisch historischer Werbung für Völkerschauen nachempfunden. 81 Das kritische Potential des Zeigens. Brett Baileys Exhibit Series Die visuelle Dokumentation der Demonstrationen lässt sich in eine Bildgeschichte des Protests einreihen und steht auch im Kontext einer reißerischen Mediatisierung. Was sie zeigt, steht in einem starken Kontrast zu den Aufführungsfotografien, denn die Fotografien und Videos zeigen Körper in Interaktion, diverse und direkte, auch sprachliche, Ausdrucksmöglichkeiten. Sie zeigen den Kontext einer vielstimmigen, kritischen Rezeption, die auch für die historischen Völkerschauen nachgewiesen wurde, und die Bailey in der Exhibit Series komplett ausklammert. 37 (Re)Produktion in Aufführungen als kritische Praxis Immer wieder provoziert Baileys Inszenierung die Frage, inwiefern sich seine Schau- Anordnung von kolonialistischen Vorbildern unterscheidet. In einem Gespräch antwortet er auf diese Frage wieder mit dem Verweis auf das Medium der Aufführung: On the one hand, it ’ s just theatre. [. . .] None of those are their real selves, they ’ re playing a role. [. . .] It ’ s staging a human zoo, but it ’ s not a real human zoo by any means. So on a very prosaic level it ’ s obviously very different. On another level it ’ s unpacking and critiquing the human zoo. 38 Baileys Gegenüberstellung von aufgeführtem und ‚ realem ‘ Menschenzoo ist problematisch. Zum einen waren die kolonialen Völkerschauen Teil einer Unterhaltungsindustrie und selbst in gewisser Weise „ just theatre “ . Sie verbanden Unterhaltung, (wissenschaftliche) Bildung und den Reiz des Neuen, Spektakulären. 39 Die Darsteller*innen präsentierten auch hier nicht „ their real selves “ , sondern stellten in einem komplett inszenierten Setting kulturelle Identitätskonstruktionen dar. Sie standen in absolut anderen hierarchischen Abhängigkeitsverhältnissen, wurden aber für ihre Tätigkeiten in den Völkerschauen in gewissem Rahmen entlohnt und „ after The Great Exhibition in 1851, ethnographic displays became mass spectacles with performers sometimes spending their whole lifes as professional showmen and women. “ 40 Lara Atkin führt Beispiele an, in denen die Darsteller*innen auf das Publikum reagierten, widerständige Taktiken erprobten oder auf Bedürfnisse eingingen, in dem sie ihre Präsentationen an die Reaktionen des Publikums anpassten. 41 Zum anderen spricht Bailey in dem angeführten Zitat - so wie es auch der bereits erwähnte „ Letter of Support “ tut - dem Transfer in den Kontext des Theaters grundsätzlich zu, das Reproduzierte zu kritisieren. Der Rezeption der Aufführungen der Exhibit Series wird von ihren Produzent*innen eine solche Wirkmächtigkeit unterstellt, dass Personen, die die Aufführung nicht selbst erlebt haben, verweigert wird, diese anhand von diversem Dokumentationsmaterial beurteilen zu können. Heike Engelke hat festgestellt, dass mit der künstlerischen Praxis des Reenactments in kuratorischen und wissenschaftlichen Kontexten häufig selbstverständlich der Anspruch verbunden wird, eine kritische Distanz zum Dargestellten einzuführen, in dem sie von der Freizeitaktivität abgegrenzt wird, welche dagegen auf naivem Realismus und Immersion angelegt sei. 42 Statt ins Auge zu fassen, inwiefern ganz Unerwartetes aus den künstlerischen Adaptionen des Reenactments hervortreten kann, werden ihre Geschichtsbezüge in der Tendenz meist ohne Überprüfung mit einer repräsentationskritischen Destabilisierung gleichgesetzt. [. . .] Letztlich liefert der bloße Verweis, dass das Reenactment bestimmte Momente der Geschichte wiederholt, um ihnen zu einer Präsenz in der Gegenwart zu verhelfen und sie damit unmittelbar, aber aus der kritischen Distanz heraus 82 Lucie Ortmann erfahrbar zu machen, oft eine unzureichende Beschreibung. 43 Auch Susanne Leeb betont, dass künstlerische Reenactments nicht generell als antispektakelhaft, emanzipatorisch oder als per se politisch aufzufassen sind. 44 Engelke hebt daneben einen weiteren Aspekt hervor: Reenactments würden als „ eine Kunst im Modus des Ereignisses “ gelesen, die „ eine Authentizitätserfahrung im flüchtigen Moment des persönlichen Nachvollzugs “ herstellen. 45 Dabei würden ideale, produktive Rezipient*innen vorausgesetzt, die einerseits emphatisch nachvollziehen und andererseits „ das im Sehen Erlebte aus der Distanz betrachten “ . 46 Für Bailey besteht ein wesentlicher Aspekt des Aufführungserlebnisses der Exhibit Series in der intimen, dynamischen Interaktion, die sich insbesondere durch das Wechseln von Blicken zwischen Zuschauer*innen und Darsteller*innen entwickeln soll: Die Performer schauen zurück - ganz direkt blicken sie die Leute an, die sie betrachten. Ich sage den Darstellern immer: Ihr seid eigentlich das Publikum. Und ihr betrachtet die weißen Zuschauer als Performer. Das weiße Publikum agiert zwar als Beobachter - aber hier findet eine merkwürdige Umkehrung statt: Das Publikum schämt sich, dass es die schwarzen Darsteller betrachtet. Augenkontakt wird vermieden. Das ist eine ambivalente Situation. 47 Lara Atkin hat diesen Austausch von Blicken als „ a frame-breaking device “ bezeichnet, der die Grenze zwischen Schauspieler*innen und Publikum auflöse und insbesondere die Zuschauer*innen zu einer Positionierung in Baileys Narration aufrufe. 48 Die Begegnung von Darsteller*innen und Zuschauer*innen erfordere von beiden eine aktive Beteiligung an der Produktion von Bedeutung. 49 Die wenigen Aufführungsfotografien, welche die als integralen Teil der Inszenierung angenommenen Zuschauer*innen in der gemeinsamen Situation mit den Darsteller*innen zeigen, verdeutlichen allerdings, dass der Austausch von Blicken durch die Anordnungen buchstäblich nicht ‚ auf Augenhöhe ‘ stattfinden kann. Die räumliche Trennung und Hervorhebung der Tableaux reglementieren, begrenzen das Ausdrucks- und Kommunikationspotential, sie prägen die Unterscheidung in „ lebende Exponate “ und Zuschauer*innen und materialisieren die Verbindung von „ staging “ und „ caging otherness “ , die Chikha und Arnaut herausgearbeitet haben. 50 Die Blickkonstellationen, so meine These, erzeugen hier keine dynamische Interaktion, sondern letztlich doch ein Verhältnis, das den Zuschauenden ein einnehmendes, größtenteils projizierendes Blicken vorgibt. 51 Diese Fotografien demonstrieren außerdem ein grundsätzliches Problem von Baileys Arbeit: die dezidierte Adressierung eines weißen Publikums. Sie zeigen fixierte und stumme, ästhetisierte Schwarze Körper, und aktive, sich durch das Setting bewegende und sich die Bilder aneignende weiße Rezipient*innen. Dieses Verhältnis reproduziert exakt die hierarchische Struktur der kolonialen Schau-Anordnungen und Bailey wieder-holt damit auch die koloniale Kategorisierung in schwarze und weiße Körper. Wenn Repräsentation auf Intervention abzielt, so Antke Engel, müssen kulturelle Bilder zum Material werden, an dem die Umarbeitung der Machtverhältnisse ansetzen kann. 52 Um zu problematisieren, dass Menschen im Bild-Status fixiert würden, so Kerstin Brandes, müsse die Fixierung als vorläufiges Produkt aufgezeigt werden. Die Bilder sollten nicht als isolierte Objekte, sondern als Teil von Produktionsprozessen, die die Blicke und Codierungen des Sehens hervorbringen, deutlich gemacht werden. 53 Doch genauso wie Bailey in der Exhibit Series die komplexen Rezeptionsprozesse 83 Das kritische Potential des Zeigens. Brett Baileys Exhibit Series ausklammert, so integriert er auch die Produktionsprozesse der Bilder nicht. Seine Inszenierung des Bildmaterials ist auf die Erzeugung einzelner, kompletter Szenerien ausgerichtet, die dezidiert die performative Kraft fixierter Bildinszenierungen produktiv machen. Die dramatisierende und fokussierende Beleuchtung erhellt nur die Tableaux, was den immersiven Effekt verstärkt. Bailey zielt wesentlich auf die Erzeugung von Affekten. Es gehe ihm, wie er selbst betont, vorrangig um die Erzeugung von Trauer und Scham, 54 letztlich um einen moralisierenden Zugriff. 55 Er wählt atmosphärische Räume wie ehemalige Kirchen oder Fabrikhallen als Aufführungsorte aus und der Einsatz von getragenem live-Gesang prägt die Atmosphäre des kompletten Parcours. 56 Bailey betont, dass er Zuschauer*innen mit Schönheit zum Schauen verführen und anschließend durch den Horror des Hintergrundes verunsichern will. 57 Die zahlreichen visuellen Querverweise in den Bildinszenierungen selbst, etwa auf historische Malerei, führen nicht zu einem diskursiven Aufbrechen der Sujets, sondern unterstützen eine grundsätzliche Ästhetisierung. Indem Bailey die Blickkonstellation von Velázquez` Venus vor dem Spiegel zitiert, wiederholt er - und dies bleibt in der Aufführung selbst unreflektiert - die Praxis kolonialer Völkerschauen gerade mit Bezug auf kunsthistorische Darstellungen wie der Aktmalerei als Repräsentation weißer Weiblichkeit, die Schwarze ‚ Hottentot Venus ‘ als anders und abweichend zu deklarieren. 58 Jennifer Tyburczy hebt hervor, dass „ [i]n all display spaces, not only what is seen, but also what is felt are things that are carefully staged “ . 59 In Bezug auf Deborah Gould beschreibt sie „ the production and circulation of particular feelings as exhibitionary technology “ und entwickelt einen „ emotional habitus of museum displays “ . 60 Ein kritischer Umgang mit dem Display müsse Gefühle als diagnostisches Werkzeug einsetzen. 61 Reenactments arbeiten sich häufig an der visuellen und medialen Konstruktion von traumatisierenden, gewaltvollen oder prekären historischen Ereignissen ab. Für Rebecca Schneider fungieren sie als „ an exploration of affect as inquiry “ . 62 An ihnen lassen sich immer auch „ the promises and pitfalls of such investigation “ verdeutlichen. 63 Baileys ‚ Fallstrick ‘ ist zunächst seine eigene Position als Erbe weißer Täter*innen und als Bildproduzent in der Aufführung, die er genauso wenig in die Arbeit integriert wie die aktiv in die Prozesse der abgebildeten Szenen Beteiligten. Die Reproduktion der kolonialen Schau-Anordnung und ihres Blickregimes sowie die Problematisierung der dezidierten Adressierung rufen die Fragen auf: Wer stellt wen aus, wer erzeugt, reproduziert die Bilder der Körper? Baileys eigene Herkunft als weißer, privilegierter Südafrikaner, der unter dem Regime der Apartheit aufgewachsen ist, wurde in der Kritik vielfach hervorgehoben und er selbst vermerkt in Reaktion auf die Proteste: „ I acknowledge that seeing a photograph of a shackled black woman and reading that it is the work of a white South African man can cause deep offence “ . 64 Einige publizierte Fotografien des Probenprozesses zeigen Bailey, wie er die Darsteller*innen wie Material formt, die unbeweglichen Körper so lange bewegt, bis sie die für ihn richtige Stellung eingenommen haben. Bezeichnenderweise gibt Bailey eine spezifische Abbildung als Inspirationsquelle für die Exhibit Series, aber auch für seine Rolle im Produktionsprozess der Arbeit an. 65 Sie zeigt einen potenten weißen Akteur der kolonialen Unterhaltungsindustrie, stehend, während eine Gruppe von People of Colour spärlich bekleidet und traditionell ausgestattet zu seinen Füßen arrangiert ist, auf die er herabblickt. Die Haltung der Arme lässt darüber hinaus den Eindruck entstehen, dass diese Figuren, diese Anordnung sein Werk sei, das quasi ‚ seinen Händen entspringt ‘ . Bailey führt aus: 84 Lucie Ortmann I just wanted to be that guy, and I was like ‚ Oh god, I want to do something like that, just to ruffle some feathers ‘ . So I wanted to go and collect people off the streets and set up an ethnographic zoo in Europe. But I realized that wasn ’ t very PC, and so, because I was commissioned by the German-speaking world [. . .], I zoomed out and I asked: What is the German colonial experience in Africa? [. . .] how do I locate this in the present? 66 Wiederholt beschreibt Bailey die Attraktivität von Bildern der Gewalt und des Leids anderer, zum Beispiel anhand einer Fotografie, die eine Insassin des Vernichtungslagers Ausschwitz zeigt. 67 Doch er macht seine eigene Faszination in Bezug auf das zum Einsatz gebrachte Bildmaterial in der Exhibit Series nicht zum Untersuchungsgegenstand. Stattdessen wird die affektive Ausrichtung der Bilder reproduziert und verstärkt, um Scham über diese Faszination zu erzeugen. Bailey projiziert damit letztlich sein eigenes Verhältnis zum Bildmaterial auf die Besucher*innen. Das kritische Potential des Zeigens Die visuelle (Re)Konstruktion von Arbeiten, die sekundäre, ‚ parasitäre ‘ Verhältnisse zu Vor-Bildern in Aufführungen produktiv machen, die hybride Formen zwischen fixierter Abbildung und lebendiger Verkörperung herstellen, hat sich einerseits als kompliziertes Unterfangen und andererseits als für die Analyse der Arbeiten aufschlussreiches Feld erwiesen. Die Analyse der visuellen Dokumentation der Exhibit Series hat deutlich gemacht, dass Fotografien und Videos allein nicht als empirisches Beweismaterial eingesetzt werden können, um das Tun einer Aufführung belegen oder widerlegen zu können. Sie sind mit anderen Quellen zu ergänzen und zu kontextualisieren, um ihre repräsentierende Funktion und eigene Performativität im Verhältnis zur Aufführung zu überprüfen. Die visuellen Dokumentationen arbeiten allerdings - wie das in diesem Zusammenhang markante Beispiel der Exhibit Series verdeutlicht - vehement an deren Anspruch auf eine neue Zugänglichkeit zum Bildmaterial, auf „ Öffnung von Geschichte auf eine alternative Gegenwart “ (Leeb) mit. Denn sie bestimmen die Rezeption und die Überlieferung der Aufführungen wesentlich mit und somit auch die analytische Arbeit an und mit ihnen. Die Vermittlung und auch die wissenschaftliche Analyse sind dabei ebenfalls als zeigende Praxen zu verstehen, die nicht nur diese komplexen Netzwerke rezipieren oder untersuchen, sondern selber an ihnen teilhaben. Aus der Analyse der diversen Visualisierungen, die im Rahmen der Exhibit Series produziert wurden, lassen sich folgende Fragen entwickeln, die über die hier angeführten Beispiele hinaus für eine Praxis der Aufführungsanalyse relevant sein können: Welche Bildausschnitte zeigen die visuellen Dokumentationen (Fotografie und Bewegtbild) und was erzeugen sie dadurch? Auf welche Bildregime nehmen die Strategien der Bildinszenierung Bezug, welche (re)produzieren sie? Welche „ intermedialen Akteursnetzwerke “ (Cseke) bringen die Inszenierung auf welche Weise als (visuelles) Netzwerk hervor? Welche Szenen oder Praxen werden nicht abgebildet? Inwieweit kommt es zu einer „ Miss-Repräsentation “ (Odunlami) und inwieweit machen die Dokumentationen aber auch ein Miss-Verhältnis zwischen einer kritischen, destabilisierenden Intention und der reproduzierenden Ausführung deutlich? Wie weit bestimmen die Aufführungen den sie dokumentierenden Zugriff mit und rufen die Entscheidungen für bestimmte Bildausschnitte mit hervor? Die Produktion und Distribution von visuellen Dokumenten gehört letztlich untrennbar zur Aufführung, bildet genauso 85 Das kritische Potential des Zeigens. Brett Baileys Exhibit Series einen Zugang zu ihr wie das als ‚ einmalig ‘ reklamierte Erlebnis der Aufführungssituation, das ohnehin nie unvermittelt als ‚ reines ‘ Ereignis wahrgenommen werden kann. Zielt eine künstlerische Arbeit darauf, Bildregime zu destabilisieren, sich von Bildregimen zu emanzipieren, muss sie reflektieren, inwieweit sie diesen in der Wieder- Holung neu zuarbeitet - im Rahmen der Aufführung, aber auch mit ihrer visuellen Dokumentation. Dabei müssen diverse Reaktionen auf Zeigepraxen anerkannt und gehört werden. Verbote und Zensuren künstlerischer Praxen oder bestimmter Darstellungen führen sicher nicht zu gegenseitigem Respekt und Verständnis. Das Aufgreifen heikler Themen und der Einsatz konfrontierender, provozierender Verfahren lösen notwendig Konflikte und Gegenpositionen aus, denen auf institutioneller Ebene (also zum Beispiel vom Barbican Centre) ein Raum eröffnet werden sollte, um konkret Leerstellen, ‚ blinde Flecke ‘ und Fehler deutlich zu machen und zu diskutieren, um Lernprozesse anzuregen. Anmerkungen 1 Susanne Leeb, „ Flucht nach nicht ganz vorn. Geschichte in der Kunst der Gegenwart “ , in: Texte zur Kunst 76, Berlin: Dezember 2009, S. 28 - 44, S. 29. 2 Leeb, „ Flucht nach nicht ganz vorn “ , S. 35. 3 Ebd. 4 Bettina Brandl-Risi, Gabriele Brandstetter und Stefanie Diekmann, „ Posing Problems. Eine Einleitung “ , in: Bettina Brandl-Risi, Gabriele Brandstetter und Stefanie Diekmann (Hg.), Hold it! Zur Pose zwischen Bild und Performance, Berlin 2012, S. 7 - 21, S. 8. Um einige aktuelle Beispiele zu nennen: La belle indifférence (2010) der Choreografin Gaëlle Bourges, Conditions of an Ideal (2016) und Allegory of the painted woman (2019) der Bildenden und Performance Künstlerin Alexis Blake sowie Physical Status Report (2019) der Bildenden Künstlerin Luna Scales. 5 Heike Engelke, Geschichte wiederholen. Strategien des Reenactments in der Gegenwartskunst. Omar Fast, Andrea Geyer und Rod Dickinson, Bielefeld 2017, S. 156. 6 Vgl. Christian Spies, „ Vor Augen Stellen: Vitrinen und Schaufenster bei Edgar Degas, Eugène Atget, Damian Hirst und Louise Lawler “ , in: Gottfried Boehm, Sebastian Eigenhofer und Christian Spies (Hg.), Zeigen: die Rhetorik des Sichtbaren, München 2010, S. 261 - 290. Einige der Aufführungen finden auch in Museen statt. 7 Jennifer Tyburczy, Sex Museums. The Politics and Performance of Display. Chicago und London 2016, S. 2. 8 Tyburczy, Sex Museums, S, 7. 9 Ebd., S. 2. 10 Ein Beispiel ist die Debatte um das Gemälde Open Casket von Dana Schutz, das im Rahmen der Whitney Biennale 2017 gezeigt wurde. Vgl. u. a. Coco Fusco, „ Censorship, Not the Painting, Must Go: On Dana Schutz ’ s Image of Emmett Till “ , in: Onlinemagazin Hyperallergic, publiziert am 27. 03. 2017, siehe: https: / / hyperallergic.com/ 36829 0/ censorship-not-the-painting-must-go-ondana-schutzs-image-of-emmett-till/ [Zugriff am 17. 05. 2019]; Julia Pelta Feldman: „ Das Bild muss weg. Über Kunst, Zensur und Zerstörung “ , Transkription des Radiobeitrags, publiziert am 01. 10. 2017, siehe: http s: / / www.deutschlandfunk.de/ ueber-kunstzensur-und-zerstoerung-das-bild-mussweg.1184.de.html? dram: article_id=394153 [Zugriff am 17. 05. 2019]. Ich verwende eine möglichst diskriminierungsarme Sprache, die durch bestimmte Schreibweisen Begriffe hervorhebt, um nicht unreflektiert auf körperliche Merkmale zu rekurrieren. Die Kursivschreibung verweist darauf, dass es sich bei Kategorien wie weiß und Schwarz um soziale Konstruktionen handelt. Schwarz wird großgeschrieben, da es hier als politisch gewählte Selbstbezeichnung, in Ablehnung kolonialrassistischer Bezeichnungen, verwendet wird. Genauso wird in diesem Text die selbst gewählte Bezeichnung People of Colour eingesetzt. 86 Lucie Ortmann 11 Vgl. u. a. Hugh Muir, „ Barbican criticises protesters who forced Exhibit B cancellation “ , in: The Guardian, 24. 09. 2014, unter: https: / / www.theguardian.com/ culture/ 2014/ sep/ 24/ barbican-criticise-protesters-who-for ced-exhibit-b-cancellation [Zugriff am 17. 05. 2019] und das Video des Protests von Reel Black Media auf YouTube: https: / / www.youtube.com/ watch? v=Bbnq5aaMdcI [Zugriff am 17. 05. 2019]. Darüber hinaus unterschreiben 22.891 Menschen die Petition „ Withdraw the racist Exhibition ‚ Exhibit B - The Human Zoo ‘ from showing at the Barbican from 23rd-27th September “ der Journalistin und Aktivistin Sara Myers. 12 Siehe u. a. den Fernsehbericht von France 24: https: / / www.youtube.com/ watch? v=M0 ETbvVq8yI und (sik): „ Proteste in Paris gegen Brett Baileys ‚ Exhibit B ‘ : Großes Polizeiaufgebot “ , 03. 12. 2014, unter: https: / / ww w.nachtkritik.de/ index.php? option=com_co ntent&view=article&id=10297: proteste-inparis-gegen-brett-baileys-qexibit-bq&catid= 126: meldungen-k&Itemid=100089 [Zugriff am 17. 05. 2019]. Außerdem Brett Bailey: „ Blood on the Tarmac “ , 29. 11. 2014, unter: https: / / www.nachtkritik.de/ index.php? op tion=com_content&view=article&id=10299: 2014-12-03-16-55-07&catid=101&Itemid=8 4 [Zugriff am 17. 05. 2019]. Am Eröffnungstag musste Exhibit B zeitweilig geschlossen werden. An den Folgetagen fanden die Veranstaltungen jedoch statt. 13 „ Human installation “ ist die Bezeichnung, die Bailey für das Format wählt. Die Darsteller*innen werden jeweils neu aus dem Umfeld der Stadt oder Region, in denen die Aufführungen der Exhibit Series stattfinden, gecastet. Die Titel der Ausgaben hat Bailey chronologisch von A nach D bezeichnet. Angaben zur Aufführungsgeschichte siehe: http: / / thirdworldbunfight.co.za/ exhi bit-b [Zugriff am 17. 05. 2019]. 14 Engelke, Geschichte wiederholen, S. 7. 15 Erika Fischer-Lichte, „ Wiederholung als Ereignis. Reenactment als Aneignung von Geschichte “ , in: Jens Roselt und Ulf Otto (Hg.), Theater als Zeitmaschine. Zur performativen Praxis des Reenactments, Bielefeld 2012, S. 13 - 52, S. 13. 16 Zit. nach: Andrew Anderson, „ Art should champion the underdog “ , in: International Arts Manager, 07. 08. 2014, unter: http: / / ww w.internationalartsmanager.com/ blog/ brettbailey-underdog.html [Zugriff am 17. 05. 2019].. Bailey bezeichnet seine Praxis auch als Ausgraben. Siehe Krueger, Gazing at Exhibit A, S. 3. 17 Bojana Jankovic und Diana Damian Martin zit. nach: Diana Damian Martin, „ Exhibit B: A Conversation. A discussion of the issues surrounding the recent cancellation of Brett Bailey's Exhibit B and its ramifications “ , in: Exeunt Magazine, online publiziert am 07. 10. 2014, siehe: http: / / exeuntmagazine.c om/ features/ exhibit-b-a-conversation/ [Zugriff am 17. 05. 2019]. 18 Kehinde Andrews, „ Is art installation Exhibit B racist? “ , in: The Guardian, 27. 09. 2014, unter: https: / / www.theguardian.com/ comm entisfree/ 2014/ sep/ 27/ is-art-installation-exhi bit-b-racist [Zugriff am 17. 05. 2019]. 19 Zit. nach: https: / / www.nachtkritik.de/ index. php? option=com_content&view=article&i d=10299: 2014-12-03-16-55-07&catid=101& Itemid=84 [Zugriff am 17. 05. 2019]. 20 Zit. nach: http: / / thirdworldbunfight.co.za/ w p-content/ uploads/ 2015/ 04/ LETTER-OF- SUPPORT-FOR-EXHIBIT-B-FROM-THE- VARIOUS-PRESENTERS1.pdf [Zugriff am 17. 05. 2019]. 21 Andrews, „ Is art installation Exhibit B racist? “ , 2014. 22 Tableau vivant bezeichnet eine im 19. Jahrhundert besonders populäre Praxis, in welcher die Körper von Darsteller*innen zum „ Projektionsschirm für Bildkonvention und ikonografische Zitate aus dem Inventar der Kunstgeschichte “ werden. Zit. nach Brandl- Risi, Brandstetter, Diekmann Kurztitel einfügen, S. 14. Diese Praxis wird im Anschluss in verschiedenen Kontexten aufgegriffen. Bailey führt sie selbst als eine Inspirationsquelle an. Vgl. Anton Krueger, „ Gazing at Exhibit A: Interview with Brett Bailey “ , in: Liminalities: A Journal of Performance Studies, Vol. 9, No. 1, Februar 2013, S. 9, unter: http: / / liminalities.net/ 9 - 1/ exhibit.pdf [Zugriff am 17. 05. 2019]. 87 Das kritische Potential des Zeigens. Brett Baileys Exhibit Series 23 Die Darstellerin der „ Hottentot Venus “ ist bekannt als Sarah oder Saartje Baartman, ihr tatsächlicher Name ist nicht überliefert. Vgl. Fußnote 4 unter: https: / / en.wikipedia.org/ w iki/ Sarah_Baartman [Zugriff am 17. 05. 2019]. Sie gilt als „ first ethnographic performer to reach mass audiences “ . Zit nach: Lara Atkin, „ Looking at the Other/ Seeing the Self: Embodied Performance and Encounter in Brett Bailey ’ s Exhibit B and Nineteenth-Century Ethnographic Displays “ , in: Safundi: The Journal of South African and American Studies, London 2015, S. 136 - 155, S. 137 unter: https: / / www.tandfonline.com/ doi/ full/ 10.1080/ 17533171.2015.1022415 [Zugriff am 17. 05. 2019]. Immer wieder arbeiten sich Künstler*innen an der historischen Figur ab, z. B. die Choreografin und Performerin Annabel Guérédrat: A Freak show for S (2010), Thola Antamu: Exhibit S: Ode to Saartjie Baartman (2014) oder der Regisseur Martin Ambara / Othni: Sawtche Baartman: Une histoire. Une vie (2019). 24 Vgl. Chokri Ben Chikha und Karel Arnaut, „ Staging/ caging ‘ otherness ’ in the postcolony: spectres of the human zoo “ , in: Critical Arts. South-North Cultural and Media Studies, Vol. 27, Issue 6: Revisiting the ethnographic turn in contemporary art Part 2, London 2013, S. 661 - 683, S. 672, unter: https: / / www.tandfonline.com/ doi/ abs/ 10.10 80/ 02560046.2013.867589 [Zugriff am 17. 05. 2019. 25 Zit. nach Andrews, „ Is art installation Exhibit B racist? “ , 2014. 26 Siehe: https: / / en.wikipedia.org/ wiki/ Sarah_ Baartman#Display_of_remains [Zugriff am 17. 05. 2019]. 27 Ulf Otto, „ Gesten des Anachronismus. Theatrale Medienpraktiken im Reenactment “ , in: Anja Dreschke et. al. (Hg.), Reenactments. Medienpraktiken zwischen Wiederholung und kreativer Aneignung, Bielefeld: 2016, 167 - 192, S. 171 ff. 28 Engelke, Geschichte wiederholen, S. 73. 29 Ebd., S. 75. 30 In Untitled Feminist Show performen sechs Protagonist*innen einer New Yorker queeren Community unbekleidet eine Show, die einer Nummerndramaturgie verschiedener Szenen aus Oper, Musical, Revue und Popkultur folgt. Auf der Website von Young Jean Lee finden sich fünf Fotografien, von denen drei mit den Balken bearbeitet wurden. Siehe: https: / / youngjeanlee.org/ work/ untitle d-feminist-show/ [Zugriff am 17. 05. 2019]. 31 Dieser Text ist zuerst am 29. November 2014 auf Brett Baileys Facebookseite erschienen. Zit. nach: https: / / www.nachtkritik.de/ index. php? option=com_content&view=article&i d=10299: 2014-12-03-16-55-07&catid=101& Itemid=84 [Zugriff am 17. 05. 2019]. 32 Um diese Beobachtung zu belegen, müsste man die Bildbzw. Pressearchive der ausrichtenden Institutionen kontaktieren. 33 Peter Brook bezeichnete die Arbeit von Bailey als „ an extraordinary achievement “ . Zit. nach: Hugh Muir, „ Slavery exhibition featuring black actors chained in cages shut down “ , in: The Guardian, 24. 09. 2014, unter: https: / / www.theguardian.com/ culture/ 2014/ sep/ 24/ slavery-exhibition-black-actors-ca ges-shut-down [Zugriff am 17. 05. 2019]. 34 Zit. nach: Elena Philipp, „ Es geht um die Diskurshoheit “ , 05. 10. 2012, unter: https: / / www.nachtkritik.de/ index.php? option=co m_content&view=article&id=7316: die-de batte-um-brett-baileys-kolonialismus-arbei ten-auf-dem-symposium-qstages-of-colonia lism-stages-of-discomfortq-beim-berlinerfestival-qforeign-affairsq&catid=101: de batte&Itemid=84#comment-45608 [Zugriff am 17. 05. 2019]. Laut Iris Cseke startet außerdem die Initiative Bühnenwatch eine Petition, die aber keine große Aufmerksamkeit erhält. Vgl. Iris Cseke, Netzwerke aus Inszenierung und Öffentlichkeit. Protest, Kunst und Theater auf YouTube, München 2018, S. 114. 35 Ebd., S. 114. 36 Ebd. Neben der absolut maßgeblichen Bedeutung von online-Medien für die Verbreitung und Mobilisierung sei auch auf die größeren Communities von People of Colour in den Städten London und Paris verwiesen. 37 Lara Atkin hat u. a. anhand von Augenzeugenberichten herausgearbeitet, wie die Völkerschauen „ different regimes of looking depending on the perspective of the indivi- 88 Lucie Ortmann dual spectator “ erzeugten, „ a complex range of audience resonses “ hervorriefen. Zit. nach: Atkin, Looking at the Other/ Seeing the Self, S. 144. Proteste gegen Sklaverei gingen auch gegen die Völkerschauen vor. So wurde zum Beispiel der Manager von Sarah Baartman verklagt. Aufgrund deren eigener Aussage wurde die Klage fallen gelassen. Vgl. ebd., S. 144 - 152. 38 Krueger, „ Gazing at Exhibit A “ , S. 4. 39 Vgl. Atkin, “ Looking at the Other/ Seeing the Self “ , S. 144 - 152. 40 Zit. Nach ebd., S. 149. 41 Vgl. ebd., S. 150. 42 Engelke, Geschichte wiederholen, S. 17 f. 43 Ebd., S. 18. 44 Leeb, „ Flucht nach nicht ganz vorn. “ , S. 39 f. 45 Engelke, Geschichte wiederholen, S. 30. 46 Ebd., S. 215. 47 Zit. nach: Susanne Burkhardt, „‚ Es geht um Trauer und um Scham ‘ : Südafrikanischer Theatermacher Bailey über seine Installation ‚ Exhibit B ‘“ , Transkription eines Beitrags von Deutschlandfunk Kultur vom 27. 09. 2012, unter: https: / / www.deutschlandfunk kultur.de/ es-geht-um-trauer-und-um-sc ham.954.de.html? dram: article_id=222479 [Zugriff am 17. 05. 2019]. 48 Atkin, „ Looking at the Other/ Seeing the Self “ , S. 139. 49 Ebd., S. 142 ff. 50 Vgl. Chikha und Arnaut, „ Staging/ caging 'otherness' in the postcolony “ . 51 Insbesondere die Referenzen auf die Blickkonstellationen der konventionellen Malerei wären hier hinsichtlich der Frage nach Voyeurismus noch genauer zu untersuchen. 52 Vgl. Antke Engel, Wider die Eindeutigkeit. Sexualität und Geschlecht im Fokus queerer Politik der Repräsentation, Frankfurt a. M. 2002, S. 132 - 137. 53 Kerstin Brandes (2008) zit. nach Antke Engel, Bilder von Sexualität und Ökonomie. Queere kulturelle Politiken im Neoliberalismus, Bielefeld 2009, S. 147. 54 Vgl. u. a. Burkhardt, „ Südafrikanischer Theatermacher Bailey über seine Installation ‚ Exhibit B ‘“ . 55 Vgl. Chikha und Arnaut, „ Staging/ caging 'otherness' in the postcolony “ , S. 677 f 56 Bailey führt aus: „ Theatres feel to me pretty antiseptic. Working in a deserted factory or a Nazi concentration camp, the associations are deeper and wider “ . Zit. nach: John O'Mahony, „ Edinburgh ’ s most controversial show: Exhibit B, a human zoo “ , in: The Guardian, 11. 08. 2014, unter: https: / / www.t heguardian.com/ stage/ 2014/ aug/ 11/ -sp-exhi bit-b-human-zoo-edinburgh-festivals-mostcontroversial [Zugriff am 17. 05. 2019]. 57 Vgl. Krueger, „ Gazing at Exhibit A “ , S. 3. 58 Vgl. Tyburczy, Sex Museums, S. 41, S. 70 f. 59 Ebd., S. 7. 60 Ebd. 61 Ebd., S. 8. 62 Rebecca Schneider, Performing Remains. Art and war in times of theatrical reenactment. London und New York: 2011, S. 2. 63 Ebd. 64 Bailey, „ Blood on the Tarmac “ . 65 Die Fotografie befindet sich auf dem Deckblatt der Publikation Africans on Stage. Studies in ethnological show business, hg. Bernth Lindfors, Bloomington/ Indiana 1999. Leider ist im Abbildungsnachweis keine Datierung der Fotografie angeben, er lautet lediglich: „ African pygmies, photo courtesy of the Pitt Rivers Museum, University of Oxford “ . 66 Zit. nach Krueger, „ Gazing at Exhibit A “ , S. 3 f. 67 Vgl. ebd., S. 4. 89 Das kritische Potential des Zeigens. Brett Baileys Exhibit Series Mobilität der Kritik am Beispiel von Holzfällen. Eine Erregung Sara Tiefenbacher (Wien) Die folgende Abhandlung setzt sich mit Mobilität von Kritik auseinander. Als Beispiele dienen zwei auf Thomas Bernhards Holzfällen. Eine Erregung basierende Inszenierungen des polnischen Regisseurs Krystian Lupa. Die Frage, wie sich eine ‚ Erregung ‘ in andere kulturelle Kontexte mobilisieren lässt, wird anhand von einer Theaterproduktion in Österreich sowie in Polen aufgezeigt. Dabei verhandelt werden Ausprägungen kritischen Potenzials des Fallbeispiels Holzfällen. Das Fallbeispiel Holzfällen Der Beitrag behandelt zwei Inszenierungen basierend auf Thomas Bernhards Prosaroman Holzfällen. Eine Erregung (1984), die der polnische Regisseur Krystian Lupa am Schauspielhaus Graz und als Neu-Inszenierung am Teatr Polski Wroc ł aw zur Aufführung brachte. 1 Für mich ist dabei von Interesse, wie sich die dem Text Holzfällen inhärente ‚ Erregung ‘ in den beiden Inszenierungen zeigt. 2 Im Besonderen frage ich danach, wie sich eine ‚ inszenierte Erregung ‘ in andere kulturelle Kontexte transferieren bzw. mobilisieren lässt. Denn vielfältiges kritisches Potenzial sowie die Kontextualität des Zeigens können gleichfalls an Produktionen im Sprechtheater Krystian Lupas aufgezeigt werden. 3 Im Folgenden setze ich mich damit auseinander, wie Kritik bei Lupa mobilisiert wird. Seine Produktionen sind ein Beispiel für kulturelle Mobilität zwischen Polen und Österreich. 4 Mobilität ist als dynamisches System zu verstehen, welches - im Gegensatz zu Transfer - mit vielseitigen Bewegungen verknüpft ist. Dieser Begriff wird hier für die Beschreibung eines Austausches im Bereich des Theaters herangezogen, welcher der Vielfältigkeit dieser Beziehungen Rechnung trägt. Dadurch wird der Fokus auf eine Erweiterung des Transferierten und nicht auf ein lineares Verfahren (Transfer von A nach B) gelegt. So werden mit kultureller Mobilität solche Prozesse verknüpft, die mit einer mehrdimensionalen (mehrfachen) Bewegung - zu verstehen als eine Zirkulation - verbunden sind. 5 Anzunehmen, dass Mobilität in gezielte Richtungen steuert, sei eine Illusion, stellt Stephen Greenblatt fest. 6 Dessen Verständnis von kultureller Mobilität und die Fokussierung auf eine mobil gewordene und zirkulierende ‚ Erregung ‘ ist Prämisse für diesen Beitrag. Der Ausgangspunkt dieser Untersuchung zum Modus Mobilität der Kritik ist die Bernhard ’ sche ‚ Erregung ‘ , die im Roman Holzfällen. Eine Erregung formuliert ist. Im Zusammenhang mit dem thematisierten Modus werden verschiedene Ausprägungen von Kritik, die als Variationen dieser von Bernhard in seinem Werk Holzfällen formulierten ‚ Erregung ‘ verstanden werden, anhand der zwei erwähnten Inszenierungen in der Regie von Krystian Lupa, dargelegt. Dem Prosaroman Holzfällen wird dabei kritisches Potenzial zugesprochen. Holzfällen ist eine sehr persönliche und intensive Abrechnung Bernhards mit dem - für ihn - verlogenen Kunstbetrieb, dem Theater sowie der Wiener Künstler*innengesellschaft. Er ist als großer Monolog und in satirisch-sarkastischen Übertreibungen geschrieben. Diesen mit historischen (na- Forum Modernes Theater, 31/ 1-2 (2020), 90 - 100. Gunter Narr Verlag Tübingen DOI 10.2357/ FMTh-2020-0008 tionalen) Skandalen verknüpften Roman, der erst circa dreißig Jahre nach seiner Veröffentlichung ins Polnische übersetzt wurde, 7 bearbeitete der Regisseur Lupa zweimal, in sehr unterschiedlichen Versionen: Zunächst die Inszenierung Holzfällen in Graz im Januar 2014, danach in zeitlich kurzem Abstand, im Oktober 2014, die Inszenierung Wycinka (Polnisch für Holzfällen) in Wroc ł aw. Für mich stellen diese beiden Inszenierungen zwei Varianten, bzw. Ausprägungen kritischen Potenzials des Fallbeispiels Holzfällen dar. Darüber hinaus fungieren sie als Exempel für die Mobilität von Kritik, da sie zudem mit einer Kontextverschiebung verknüpft sind. An diesen beiden Inszenierungen lassen sich verschiedene Perspektiven Lupas aufzeigen, die zugleich eine Beweglichkeit von kritischem Potenzial verdeutlichen lassen. Welche kontextspezifischen Modifikationen die Inszenierung in Polen im Vergleich zu jener in Österreich erfährt und ob hier Kritik unterschiedlich - vom jeweiligen Ort abhängig - geäußert wird, soll anhand der folgenden Ausführungen erläutert werden. Darüber hinaus wird die Bedeutung von Mobilität dargelegt, Kritik in Folge unterschiedlich zu formulieren und für Adressat*innen zugänglich zu machen. Der Roman Holzfällen. Eine Erregung (1984) Im Zentrum des 1984 erschienenen Romans Holzfällen steht ein vom Künstler*innenehepaar Auersberger veranstaltetes „ künstlerisches Abendessen “ , zu dem als Ehrengast ein Burgschauspieler und - wie der Erzähler aus Holzfällen bemerkt - „ ein Musterbeispiel von Antikünstler “ erwartet wird. 8 Der Ich-Erzähler, von vielen als Alter Ego des Autors interpretiert, beobachtet und kritisiert in einem Ohrensessel sitzend das Geschehen um die geladenen Gäste. In Holzfällen rechnet Bernhard mit seinen Mentor*innen sowie befreundeten Künstler*innen ab. Darunter auch mit jenen, die sich in den Fünfziger- und Sechzigerjahren am Tonhof des Ehepaars Lampersberg in Maria Saal (Kärnten) trafen, 9 „ dem Treffpunkt der künstlerischen Avantgarde Österreichs im ersten Nachkriegs-Jahrzehnt “ , 10 wie der Philologe Oliver Bentz festhält. Der Roman löste nach seiner Veröffentlichung 1984 einen Skandal aus, da sich in den Figuren Künstler*innenpersönlichkeiten Österreichs wiedererkennen ließen. 11 Hans Haider, 12 der Holzfällen als „ aggressive[n] Totschlagtitel “ bezeichnete, 13 gab dazu den Anstoß. 1984 berichtete dieser, im Ehepaar Auersberger aus dem Roman Holzfällen, das Ehepaar Lampersberg zu erkennen. Der Roman wurde Gegenstand einer einstweiligen Verfügung und in Österreich vorübergehend beschlagnahmt. Vor Gericht wurden die fiktive Figur Auersberger mit dem Komponisten Lampersberg sowie die fiktive Figur des Erzählers mit der realen Person Thomas Bernhard gleichgesetzt. 14 Auf die temporäre Beschlagnahme des Romans aufgrund dieses richterlichen Beschlusses reagierte Bernhard mit einem Verkaufsverbot. 15 Die Literaturkritikerin Sigrid Löffler fasst die Umstände wie folgt zusammen: „ Die ‚ Erregung ‘ hat einige Leute so erregt, daß sie in Österreich nicht mehr vertrieben werden darf. “ 16 Diese Begleiterscheinung des Romans, dessen Untertitel bzw. Gattungsbezeichnung bereits auf eine ‚ Erregung ‘ verweist, machen Holzfällen zu einem der skandalträchtigsten Werke Thomas Bernhards. Der Roman ging, wie Eva Schindlecker beschreibt, „ als Kuriosum in die Literaturgeschichte “ ein. 17 Denn bei Holzfällen kollidierten Fragen nach der Freiheit künstlerischen Schaffens mit Zensurbestrebungen sowie Eingriffen staatlicher Behörden in Kunstangelegenheiten. 18 Im Roman Holzfällen, der durch diesen Skandal großes Aufsehen erregte und be- 91 Mobilität der Kritik am Beispiel von Holzfällen. Eine Erregung merkenswerte Auflagenzahlen erreichte, hält der Autor Bernhard bedeutende Abschnitte seines Lebens schriftlich fest. Es ist ein „ Stück meines Lebens [. . .], ein entscheidendes Stück “ , so Bernhard und meint weiter, dass er mit dreißig Jahren Abstand „ so Freunde von früher [Fünfziger- und Sechzigerjahre, Anm. S. T.] hereinziehen [kann] zwischen die Buchdeckel “ . 19 Dieses Zitat verweist darüber hinaus auf die im Roman enthaltene persönliche Auseinandersetzung mit der eigenen (Lebens)Geschichte. Gerhard Pail beschreibt diese Aufarbeitung als eine „ individuell notwendige Auseinandersetzung im Sinne einer persönlichen Weiterentwicklung “ . 20 Zudem spricht Pail dem Roman einen „ therapeutisch-progressiven Charakter “ zu und betont, dass dieser „ nicht nur auf Kritik eines sozialen Umfeldes zu reduzieren ist “ . 21 Diese Deutung Pails - mehr zu sein als ‚ nur ‘ Kritik am sozialen Umfeld - wird in diesem Beitrag an der Inszenierung Wycinka überprüft. Dabei werden Aspekte herausgearbeitet, an denen kritische Kommentare des Regisseurs Lupa an vorherrschenden kulturpolitischen Systemen festzumachen sind. Der Regisseur Krystian Lupa Krystian Lupa gilt als „ emblematische Figur des polnischen Theaters “ 22 . Er ist einer der wichtigsten zeitgenössischen Theaterregisseure Polens und steht, wie der Autor und Theaterregisseur Marek K ę dzierski festhält, „ in vielerlei Hinsicht für die Ambitionen und die Errungenschaften des polnischen Theaters der postkommunistischen Ära “ . 23 1995 urteilte der Literaturkritiker und Übersetzer Jerzy Ł ukosz über das Phänomen Lupa, dass dieser nicht nur von polnischer, von polnisch-österreichischer, sondern von weltweiter Bedeutung, wenngleich noch ohne weltweiten Bekanntheitsgrad [sei]. Denn wenn auch immer mehr Menschen auf dieser Welt und besonders in Österreich das Theater des Krystian Lupa kennenlernen möchten, das unübersetzbar und unverpflanzbar ist, so hat doch kaum jemand Lust, deswegen eigens Polnisch zu lernen. 24 Gewiss, diese Aussage ist überholt und Krystian Lupa als Regisseur inzwischen international bekannt. Seine Theaterarbeiten sind preisgekrönt in Polen wie in Österreich, auch da sie für neue künstlerische Herangehensweisen stehen. 25 Lupa bezieht in seiner Theaterarbeit häufig österreichische Autoren ein. 26 Bei den Adaptionen von Werken Thomas Bernhards nimmt er eine Pionierstellung ein, insbesondere im polnischen Theater. Seine vielfältigen Inszenierungen basierend auf Bernhards Werken im In- und Ausland unterstreichen Lupas Position als ‚ Meister der Adaption ‘ , 27 wie er in polnischen Medien bezeichnet wird. 28 Darüber hinaus nimmt Bernhard eine bedeutende Rolle in Lupas künstlerischem Schaffensweg ein. Lupa beschreibt ihn als „ sein trojanisches Pferd “ , 29 als ‚ Vehikel ‘ , bzw. Fahrzeug (von Lupa hier gleichfalls im Verständnis von Jerzy Grotowski verwendet), 30 an dem er seine künstlerische Arbeit maßgeblich und beständig weiterentwickelt. 31 In seinen Inszenierungen verhandelt er stets Fragen nach den Möglichkeiten der Kunst, nach ihren Erkenntniswerten sowie den Grenzen künstlerischer Freiheit. Nicht zuletzt wegen seiner kritischen Kommentare, die den aktuellen Kurs der Politik in Polen betreffen, erregt auch Lupa immer wieder Aufsehen. Holzfällen am Schauspielhaus Graz Wie und dass sich Lupas Theaterarbeiten umpflanzen lassen (zumindest geografisch), kann unter anderem an der 2014 am Schau- 92 Sara Tiefenbacher spielhaus Graz aufgeführten Produktion Holzfällen dargelegt werden. Diese Inszenierung erarbeitet Krystian Lupa mit seinem Team aus Polen mit österreichischen Schauspieler*innen auf Deutsch. Trotz mehrerer Inszenierungen an Theaterbühnen in Österreich ist Holzfällen Lupas erste Bernhard- Inszenierung in Österreich. 32 Sie wird von Rezensent*innen in österreichischen Zeitungen hoch gelobt. Lupa habe Bernhard „ wirklich am feinen Nerv gepackt “ , 33 schreibt ein Kritiker. Ein anderer hebt hervor, dass „ [d]er polnische Regisseur und ausgewiesene Thomas-Bernhard-Experte [. . .] den einst skandalisierten Roman in ein neues Bernhard-Stück verwandelt [hat] “ . 34 Für Holzfällen am Schauspielhaus Graz wurde Lupa 2014 mit dem Nestroypreis für beste Regie ausgezeichnet. 35 Die Dialoge und Monologe dieser Inszenierung sind näher am Prosatext gehalten. Damit ist Holzfällen der Bernhard ’ schen Vorlage weitgehend treuer geblieben und konventioneller ausgefallen, als die darauffolgende polnische Inszenierung Wycinka am Teatr Polski Wroc ł aw, die gleichfalls auf dem Roman Holzfällen. Eine Erregung basiert. Doch, und diese Feststellung scheint für viele Inszenierungen Lupas zu gelten, werden die Texte in seinen Produktionen nicht einfach dem Prosawerk entnommen. Es sind Neuentwicklungen, die insbesondere im Probenprozess entstehen, dem Lupa viel Aufmerksamkeit beimisst und der seinen Inszenierungsstil auszeichnet. Die Dialoge entstehen in Auseinandersetzung mit der literarischen Vorlage. Der Regisseur Lupa arbeitet sich an diesem Werk ab und überführt es „ in eine nicht-literarische Existenz “ , wie er selbst formuliert. 36 Werktreu bedeutet bei Lupa, den Inspirationen und nicht den Wörtern des Romans (oder Dramas) getreu zu bleiben. 37 Er hält fest: „ Ich fühle mich den ursprünglichen Inspirationen oder Intuitionen verpflichtet, die unter dieser Literatur verborgen sind “ . 38 Darüber hinaus transformiert Lupa den Roman Holzfällen, der als langer Monolog verfasst ist, in eine Dialogform, wie er es zuvor schon bei seiner Inszenierung Kalkwerk unternommen hat. 39 Wenn der Ausgangspunkt der Prosaroman und die in ihm formulierte Kritik ist, so zeigt sich eine Variation bzw. Ausprägung kritischen Potenzials am Diskurs über die Vergangenheit, den die Inszenierung in Graz im Bezug zum Roman und des damit verbundenen Skandals aufgreift. Keineswegs nimmt Lupa Abstand von den persönlichen Abrechnungen in Holzfällen. Er setzt sich vielmehr mit den intensiven Kommentaren und Entrüstungen des Künster*innenkreises der 1950er Jahre auseinander, die im Roman Holzfällen thematisiert werden. Lupa fühlt sich, wie erwähnt, den Inspirationen des Autors verpflichtet. Deswegen stellt er die Kritik an jener Künstler*innengesellschaft ins Zentrum, mit der der Erzähler in Holzfällen Eine Erregung, bzw. der Autor Bernhard abrechnet. Lupa inszeniert diese ‚ Freunde ‘ jedoch nicht als Marionetten, sondern gibt ihnen eine eigene Stimme. „ Die Figuren müssen sich verteidigen, sie dürfen nicht bloß einer vernichtenden Kritik ausgeliefert sein “ , äußert sich Lupa in einem Interview. 40 Lupa begann, nach eigenen Aussagen, mit Bernhard zu spielen, indem er die im Roman kritisierten Personen in seiner Inszenierung stärker in Erscheinung treten lässt und vermehrt durch Wortmeldungen einbringt. 41 Dabei wird Bezug zu der in der Bernhard ’ schen Vorlage inhärenten ‚ Erregung ‘ genommen. Doch Lupa zeigt diese nicht nur auf, sondern setzt sich in Holzfällen in Graz mit der Geschichte dieser ‚ Erregung ‘ auseinander. Durch die neu entwickelten Textpassagen zeigt sich in dieser Inszenierung ein anderer Ansatz, bzw. eine andere Ausprägung der im Roman geschilderten ‚ Erregung ‘ . Aus der historischen Distanz Lupas heraus fallen 93 Mobilität der Kritik am Beispiel von Holzfällen. Eine Erregung einerseits die Kommentare der in der Inszenierung Holzfällen am ‚ künstlerischen Abendessen ‘ Beteiligten, die auch hier vom Erzähler zurecht gewiesenen werden, umsichtiger aus. Andererseits wird mit dem Abstand von 30 Jahren eine neue Perspektive auf die im Roman geäußerte Kritik an der Künstler*innengesellschaft geworfen. In Lupas Holzfällen, in seiner Bearbeitung u. a. dieser im Roman enthaltenen Kritik, treten die Figuren des Romans in erneute Konfrontation. Vor allem werden Handlungssträngen, die im Roman knapp ausgeführt sind, besonderes in den Blick genommen. So rückt u. a. die Liebesbeziehung des als ‚ Thomas ‘ personifizierten Erzählers mit der Künstlerin Joana Thul ins Zentrum der Inszenierung. 42 In den Fokus gerät gleichfalls Joanas Selbstmord. Dabei werden existenzielle Fragen nach dem Dasein, zwischenmenschlichen Beziehungen oder moralischen Wertvorstellungen aufgeworfen. Die Vielschichtigkeit dieser Inszenierung wird überdies durch die Entscheidung des Regisseurs hervorgehoben, die Rolle des ‚ Ohrensesselsitzers ‘ in Holzfällen ‚ Thomas ‘ zu nennen. Diese Übereinstimmung des Erzählers mit dem Autor Thomas Bernhard ist das kritische Potenzial, welches in der Inszenierung in Graz deutlich wird. Denn dabei werden Sachverhalte um den Skandalroman reflektiert und rekonstruiert. Das heißt, jene Entscheidung des Gerichts 1984 im Fall Holzfällen, die zur temporären Beschlagnahme des Romans führte: die Gleichsetzung der fiktiven Figur des Erzählers mit der realen Person Thomas Bernhard. 43 Pointiert wird diese kritische Auseinandersetzung zudem am Ende der Inszenierung als die Gastgeberin des Abendessens Maja Auersberg den Erzähler ‚ Thomas ‘ bei dessen Abgang mit den Worten ermahnt: „ Thomas, schreib nicht darüber! “ . 44 Wycinka am Teatr Polski Wroc ł aw In der Inszenierung Wycinka, die Krystian Lupa am Teatr Polski Wroc ł aw mit einem ihm schon bekannten polnischen Ensemble realisierte, zeigt sich eine Variante eines durch Mobilität hervorgerufenen kritischen Potenzials: Indem Lupa Bernhards Erregtsein zum Anlass nimmt, sein eigenes Erregtsein über die aktuellen Missstände im Kunst- und Kulturbetrieb Polens zum Ausdruck zu bringen. Lupa verändert in dieser Inszenierung die Richtung der Kritik und nimmt andere Adressat*innen in den Blick. Er richtet in Wycinka die Abrechnung Bernhards mit der sogenannten feinen Wiener Gesellschaft und dem Kunstbetrieb als eine gegenwärtige Kritik an die polnische Künstler*innengesellschaft. 45 Thema der Aufführung sind nun das Kompromittiertsein der Künstler*innen und deren Schmeicheln um Beifall für ihre - wie der Publizist und Theaterkritiker Witold Mro ż ek formuliert - „ affektierten Posen “ . 46 Die Theaterwissenschaftlerin und Übersetzerin Iwona Uberman meint, dass die Inszenierung die „ Verlogenheit der heutigen Künstlerwelt “ behandelt. 47 Lupas Inszenierungsstil bei Wycinka bedient sich eines provokativen Dialogs. Thematisiert wird auf impulsive Weise die Situation der polnischen Kunst- und Kulturschaffenden im Kreuzfeuer der 2014 noch amtierenden liberalkonservativen Regierung und ihres Kunstverständnisses. Lupa reduziert somit keineswegs die Adaption des Romans auf die Kritik eines sozialen Umfeldes (die Künstler*innengesellschaft), eine Gefahr, auf die Gerhard Pail hingewiesen hat, 48 sondern er ergänzt diese um eigene Positionen und bezieht in kritischen Kommentaren Stellung zu vorherrschenden kulturpolitischen Agenden. Zudem ist in Lupas Inszenierung und den darin klar ersichtlich kulturpolitisch-kritischem Kommentar ein zugespitzter Protest gegen das sich damals schon abzeichnende zunehmend reaktionä- 94 Sara Tiefenbacher re Vorgehen der polnischen Politik abzulesen. Für die Theaterkritikerin Katarzyna Waligóra ist es der lange Monolog der Figur ‚ Thomas Bernhard ‘ , in dem die eindringlichste Kritik der Inszenierung formuliert wird. 49 Darin werden drastische Einschränkungen des Kunstbetriebs durch Maßnahmen der Regierung thematisiert. Diese Szene findet bei beleuchtetem Zuschauer*innenraum statt und wird in Richtung des Publikums gesprochen, was den Eindruck eines Appells an die Öffentlichkeit entstehen lässt. 50 Auf sarkastische Weise kommentiert Lupa damit die bedrückenden Umstände am Teatr Polski Wroc ł aw im Herbst 2014. Damals drohte dem Direktor dieses Theaters, Krzysztof Mieszkowski, die Abberufung. Der stellvertretende Parlamentspräsident Niederschlesiens Rados ł aw Mo ł o ń warf Mieszkowski Misswirtschaft vor und schrieb ihm die Verantwortung für die prekäre finanzielle Lage des Theaters zu. 51 Für den Regisseur Jan Klata kommen diese Art Eingriffe einer „ ökonomische[n] Zensur “ gleich. 52 Auf diese Situation bezieht sich Lupa in einer weiteren Szene und spitzt die drohende Kündigung des Direktors zu. Denn Mieszkowski, der zu diesem Zeitpunkt noch Leiter des Theaters ist, spielt anderweitig in Wycinka in der Begräbnisszene (das Begräbnis von Joana Thul aus dem Roman Holzfällen) einen Pfarrer. Die Szene ist als flashbackartige Filmprojektion auf einer großen Leinwand über der Bühne angebracht zu sehen. Der Pfarrer (Krzysztof Mieszkowski) begleitet darin die Trauergäste zu Joana Thuls Grab. 53 Es liegt nahe, Mieszkowskis Auftritt in dieser Friedhofsszene sowie den Gang zum Grab als kritische Stellungnahme hinsichtlich seiner Absetzung als Direktor des Teatr Polski Wroc ł aw zu sehen. In den polnischen Medien wurde diese Szene als Ausdruck der Kritik an den personellen Umstrukturierungsplänen am Teatr Polski Wroc ł aw aufgenommen - ein kulturpolitischer Kommentar Lupas, der über die Vorlage hinausweist und einen tagesaktuellen Kontext herstellt. 54 Diese auf aktuellen Ereignissen beruhenden und von Lupa aufgegriffenen Kontexte aus dem Jahr 2014 werden in den Aufführungen von Wycinka in den darauffolgenden Jahren weiterentwickelt. Eng verflochten ist damit eine Protestbewegung, die sich gegen die gegenwärtige Regierung und Kulturpolitik richtet, gegen die Propagierung von Werten wie „ Patriotismus, Nationalismus und die Glorifizierung der PiS Helden “ - wie es Lupa formuliert. 55 Wycinka entwickelt sich von Aufführung zu Aufführung zu einem kritischen ‚ Werkzeug ‘ . Die Inszenierung, respektive jede Aufführung von Wycinka, wurde zum Manifest gegen die nationalkonservative Regierung. Explizit wird dies einerseits in dem bereits angesprochenen Monolog der Figur ‚ Thomas Bernhard ‘ (Piotr Skiba), in dem von Künstler*innen, die sich dem katholisch-nationalistischen Staat verpflichtet haben, die Rede ist. 56 Oder etwa im Dialog von Jeanne Billroth (Ewa Skibi ń ska) mit dem Schauspieler des Teatr Narodowy (Jan Frycz) - im Roman Holzfällen ‚ der Burgschauspieler ‘ - in dem auf satirische Weise der neu besetzte Theaterdirektor als Theatergenie der höchsten Klasse beschrieben wird. 57 Der Protest potenzierte sich insbesondere in der letzten (am Teatr Polski Wroc ł aw stattgefundenen) Aufführung von Wycinka im November 2016. 58 Von der Bühne aus verkündeten die Schauspieler*innen am Ende der Vorstellung ein Statement und klebten sich anschließend Klebeband über den Mund als Ausdruck des Protests. Rufe, wie „ Teatr Polski und nicht Morawski “ waren nicht nur auf der Bühne zu vernehmen. 59 Wycinka wurde zur Manifestation gegen derartige Eingriffe der Kulturpolitik. Die Protestbewegung erreichte die Straßen Wroc ł aws und darüber hinaus etliche Festival- und Theaterbühnen Europas, Süd- und Nordamerikas sowie Asiens. 60 Denn 95 Mobilität der Kritik am Beispiel von Holzfällen. Eine Erregung seit 2016 fanden die Aufführungen von Wycinka im Rahmen von internationalen Gastauftritten statt. 61 Die dort verkündete Botschaft der Schauspieler*innen wurde über nationale Grenzen hinaus bekannt. Die damit erreichte internationale Öffentlichkeit schlug sich in einer Unterstützungserklärung der Mitglieder der Union des Théâtres de l ’ Europe - darunter renommierte Regisseur*innen, Schauspieler*innen und Theaterdirektor*innen nieder. 62 Diese äußerten Kritik an den kontroversen Geschehnissen rund um das Teatr Polski Wroc ł aw. Wycinka verweist auch wegen der Auftritte bei Festivals auf eine Modalität der ‚ mobilen Kritik ‘ . Weil Wycinka eine andere Art der ‚ Erregung ‘ als die szenische Bearbeitung von Holzfällen in Graz verarbeitet, verleiht dies dieser Inszenierung des österreichischen Romans einen kulturpolitischen, lokal polnischen sowie gegenwärtigen Subtext. 63 Die ‚ Erregung ‘ Bernhards wird über das regionale Verortet-Sein und über nationale Grenzen hinweg verhandelt. So beziehen sich Lupas Hinzufügungen von Kommentaren und Szenen auf aktuelle politische Auseinandersetzungen in Polen und erweitern durch Mobilität die Reichweite der Kritik. Der Germanist Wendelin Schmidt- Dengler unterstreicht: „ Bernhards Werk scheint - und dies ist eine Qualität, die sehr wohl darin angelegt ist - zur Reaktion zu verpflichten “ . 64 Auf den Roman Holzfällen sowie die Inszenierungen Holzfällen und Wycinka bezogen, ist diese Reaktion in zweierlei Hinsicht darzulegen. Erstens als historische Reaktion, die 1984 die Öffentlichkeit erregte und in ihrer Auswirkung mit dem Skandalroman und den realen Vorbildern der persiflierten Wiener Künstler*innengesellschaft verbunden bleibt. Zweitens als Reaktion des Regisseurs Lupa, die sich in beiden Inszenierungen zeigt. Lupa selbst formuliert seine Reaktion als ein ‚ Sich-Widersetzen ‘ , ‚ Sich-Erwehren ‘ müssen, gegen „ den wilden Strom an Subjektivität [. . .], den Bernhard im Naturzustand transportiert “ . 65 In der Inszenierung Wycinka wird deutlich, wie eine durch Kontextverschiebung hervorgerufene Mobilität der Kritik für polnische als auch internationale Rezipient*innen geschaffen wird. Während in Graz eine ‚ Erregung ‘ Bernhards aus der historischen Distanz heraus inszeniert wird, tritt in Wroc ł aw eine weitere Ebene der ‚ Erregung ‘ hinzu, das eigene Erregtsein des Regisseurs als auch seines Teams. Diese Ebene wird in der Inszenierung Holzfällen in Graz nicht hervorgebracht. In Graz manifestiert sich eine historische ‚ Erregung ‘ , die jedoch aus einem Abstand von mehreren Jahrzehnten sowie mit neuer Perspektive aufgerollt wird. Es ist das Spiel mit der Skandalgeschichte - das Verhältnis zwischen Fiktion und Realität - was in dieser Inszenierung als kritisches Potenzial wahrgenommen werden kann. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass das kritische Potenzial des Textes - die ‚ Erregung ‘ - in beiden Inszenierungen aufgegriffen wird und sich dabei aber jeweils eines anderen Kontextes bedient. Auch werden die Richtung sowie der Gegenstand der Kritik verändert. „ Die Reichweite und Grenze der Kritik bemisst sich daran, ob sie ihre Adressat [*innen] erreicht oder unzugänglich für [sie] bleibt “ , 66 schreibt Tilo Wesche in dem von ihm herausgegebenen Sammelband Was ist Kritik? . Das kritische Potenzial des Bernhard ’ schen Textes zeigt sich in zwei verschiedenen Kontexten: In der Inszenierung Holzfällen in Graz operiert Lupa in einer geografischen und inhaltlichen Nähe zu Bernhards ‚ Erregung ‘ , dem Roman und dem damit verbundenen Skandal. Gleichfalls aber agiert Lupa in historischer Distanz zur ‚ Erregung ‘ sowie der Skandalgeschichte. In Wroc ł aw hingegen ist es die Nähe Lupas zum polnischen Kulturbetrieb und den Angriffen der Kulturpolitik, zugleich die kon- 96 Sara Tiefenbacher textuelle Ferne zum Skandal des Romans in Österreich. Durch ein Verschieben des Kontextes werden unterschiedliche Ausprägungen kritischen Potenzials geschaffen. Am Fallbeispiel Holzfällen zeigt sich aus dem Blickwinkel des Modus der Mobilität, wie Kritik durch kontextuelle, zeitliche und geografische Nähe und/ oder Distanz geäußert wird bzw. erst geäußert werden kann. Anmerkungen 1 Die Premiere von Holzfällen in der Regie von Krystian Lupa fand am 10. 01. 2014 am Schauspielhaus Graz statt, jene von Wycinka (Polnisch für Holzfällen) am 23. 10. 2014 am Teatr Polski Wroc ł aw. 2 Thomas Bernhard, Holzfällen. Eine Erregung, Frankfurt a. M. 1984. Vgl. http: / / ww w.suhrkamp.de/ buecher/ werke_in_baen den_41507.html [Zugriff am 16. 02. 2017]. 3 Siehe den Beitrag von Lucie Ortmann in diesem Heft. 4 Ich beziehe mich dabei auf die ‚ Cultural mobility ‘ Studie von Stephen Greenblatt. Stephen Greenblatt. „ Cultural Mobility: An Introduction “ , in: Stephen Greenblatt et al. (Hg.). Cultural mobility. A Manifesto. Cambridge 2010, S. 1 - 23. In Folge wird der Begriff kulturelle Mobilität verwendet. 5 Vgl. Sara Tiefenbacher, „ Polnisch-österreichische Theatermobilität: zwei Inszenierungen von Thomas Bernhards ‚ Holzfällen ‘“ , in: Micha ł Jamio ł kowski, Nina Oborska und Krzysztof Tkaczyk (Hg.), Theater als Begegnungsort, Warszawa 2016, S. 69 - 81, hier S. 73 - 74. 6 Vgl. Greenblatt, „ Cultural Mobility “ , S. 16. „ [M]obility studies [. . .] need to account for the intense illusion that mobility in one particular direction or another is predestined “ . 7 Die Übersetzung des Romans Holzfällen. Eine Erregung ins Polnische von Monika Muska ł a ist 2011 erschienen: Thomas Bernhard: Wycinka: eksytacja, übers. Monika Muska ł a, Warszawa 2011. 8 Thomas Bernhard, Holzfällen. Eine Erregung, Frankfurt a. M. 1984, S. 30. In der Inszenierung Holzfällen (in Graz) wird der Name Auersberger (Figur im Roman Holzfällen) in Auersberg gekürzt. Vgl. https: / / www.schauspielhaus-graz.com/ play-detail/ h olzfallen/ [Zugriff am 24. 07. 2018]. 9 Maja Lampersberg (1919 - 2004), Sängerin und Gerhard Lampersberg (1928 - 2002), Komponist. Der Tonhof, ein herrschaftlicher Gutshof, in Maria Saal war im Besitz des Ehepaars. Hier verweilten Autor*innen, wie u. a. Christine Lavant, H. C. Artmann, Wolfgang Bauer, Josef Winkler, Peter Turrini, Thomas Bernhard. 10 Oliver Bentz, Thomas Bernhard - Dichtung als Skandal, Würzburg 2000, S. 56. 11 Oliver Bentz zufolge war fast jede Veröffentlichung von Bernhards Romanen sowie Theaterstücken mit einem ‚ handfesten Skandal ‘ verbunden. Bentz, Thomas Bernhard, S. 7. 12 Hans Haider - bekannt in Österreich als Kulturredakteur und Literaturkritiker - war Auslöser des „ Identifizierungsrätsels “ . Bentz, Thomas Bernhard, S. 55 13 Gerhard Ruiss, „ Holzfällen - ein Nachweis “ , in: Alfred Goubran (Hg.), Staatspreis. Der Fall Bernhard, Klagenfurt, Wien 1997, S. 41. 14 Vgl. Bentz, Thomas Bernhard, S. 67. 15 Vgl. ebd., S. 55. 16 Sigrid Löffler, „ Öfter jemand umbringen “ , in: Profil 3. 09. 1984, S. 61 zitiert nach Bentz 2000, S. 63. 17 Eva Schindlecker, „‚ Holzfällen. Eine Erregung ‘ . Dokumentation eines österreichischen Literaturskandals “ , in: Wendelin Schmidt-Dengler, Martin Huber (Hg.), Statt Bernhard. Über Misanthropie im Werk Thomas Bernhard, Wien 1987, S. 13. 18 Vgl. Bentz, Thomas Bernhard, S. 55. 19 Interview Krista Fleischmann und Thomas Bernhard, Das war Thomas Bernhard. Fernsehdokumente 1967 - 1988, Dokumentation 1994, ORF 2, Dauer 00: 39 Min.; hier 00: 32 Min. 20 Gerhard Pail, „ Perspektivität in Thomas Bernhards ‚ Holzfällen ‘“ , in: Modern Austrian Literature 3/ 4 1988, S. 52 - 53. 21 Ebd. 97 Mobilität der Kritik am Beispiel von Holzfällen. Eine Erregung 22 Krystian Lupa spricht mit Marek K ę dzierski, „ Spiritismus und Eruption. Über Theater und Sprache als Instrument zur Berührung der Welt “ , in: Lettre International 119 (2017), S. 46 - 53, hier S. 46. 23 Ebd. 24 Vgl. Anna Milanowski, „ Werke österreichischer Autoren im Theater Krystian Lupas. Ein europäischer Transformationsprozeß “ , in: TRANS Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaft 7 (1999). URL: http: / / www.ins t.at/ trans/ 7Nr/ milanowski7.htm#6 [Zugriff am 31. 07. 2018]. Milanowski zitiert hier: Jerzy Ł ukosz, „ Esch, oder Anarchie. Eine viel beachtete Broch-Inszenierung in Polen “ , übers. A. Woldan, in: Danubius. Beilage zu Morgen 201 (1995), o. S. 25 Vgl. Milanowski, „ Werke österreichischer Autoren “ . URL: http: / / www.inst.at/ trans/ 7N r/ milanowski7.htm#6 [Zugriff am 31. 07. 2018]. 26 Darunter Autoren wie Thomas Bernhard, Robert Musil, Hermann Broch, Werner Schwab sowie Alfred Kubin. 27 Vgl. Tadeusz Nyczek, Alfabet teatru dla analfabetów i zaawansowanych, Warszawa 2005, S. 8. 28 Vgl. Rafa ł W ę grzyniak, „ Kolacja arytyczna jako stypa “ , in: Teatr 1 (2015), S. 12; siehe auch: Inszenierungsdatenbank www.e-teatr. pl. URL: http: / / www.e-teatr.pl/ pl/ osoby/ 111 6,karierateatr.html#start [Zugriff am 31. 07. 2018] 29 Übersetzung S. T., Zitat im Original: „ Bernhard jest moim koniem troja ń skim “ , siehe: Radiointerview mit Krystian Lupa, „ Krystian Lupa: Bernhard jest moim koniem troja ń skim “ , Polskie Radio Dwójka, 13. 10. 2014, o. A. URL: https: / / www.polskieradio.p l/ 8/ 410/ Artykul/ 1257698,Krystian-Lupa- Bernhard-jest-moim-koniem-trojanskim [Zugriff am 03. 05. 2018]. 30 Zum Begriff ‚ Kunst als Fahrzeug ‘ / ‚ art as a vehicle ‘ , siehe: Jerzy Grotowski, „ Od zespo ł u teatralnego do sztuki jako wehiku ł u “ , in: Notatnik Teatralny 4 (1992), S. 32 - 43; oder auf Deutsch: Jerzy Grotowski, „ Von der Theatergruppe zur Kunst als Fahrzeug “ , in: Thomas Richards, Theaterarbeit mit Grotowski an physischen Handlungen, Berlin 1996, S. 179 - 216. 31 Vgl. Gespräch mit Krystian Lupa, „ Krystian Lupa: Bernhard jest moim koniem troja ń skim “ , Polskie Radio Dwójka, 13. 10. 2014, o. A. URL: https: / / www.polskieradio.p l/ 8/ 410/ Artykul/ 1257698,Krystian-Lupa- Bernhard-jest-moim-koniem-trojanskim [Zugriff am 03. 05. 2018]. 32 Fünf Produktionen Lupas wurden bis 2018 auf österreichischen Theaterbühnen aufgeführt, davon vier im Rahmen der Wiener Festwochen: Die Brüder Karamasow / Bracia Karamazow (2000), Klaras Verhältnisse / Stosunki Klary (2004), Die Zauberflöte (2006) sowie die Theaterproduktion Factory 2 (2010). Holzfällen (2014) am Schauspielhaus Graz ist die fünfte Produktion. Es ist gleichzeitig Lupas erste Bernhard-Inszenierung in Österreich. Im Programm der Wiener Festwochen 2019 wird eine weitere Produktion Lupas angekündigt: Proces. 33 Ronald Pohl, „ Gespenstersuche im Hochwald der Erinnerung “ , in: Der Standard, 13. 1. 2014. URL: http: / / derstandard.at/ 1388 650793176/ Gespenstersuche-im-Hochwaldder-Erinnerung. [Zugriff am 16. 02. 2017]. 34 Wolfgang Kralicek in der Jurybegründung anlässlich der Vergabe des Nestroy-Preises 2014 an Krystian Lupa für Regie in Holzfällen am Grazer Schauspielhaus, URL: http: / / www.nestroypreis.at/ show_content2.p hp? s2id=143 [Zugriff am 23. 07. 2018]. 35 Der Nestroypreis ist ein österreichischer Theaterpreis. Er wird seit 2000 jährlich vergeben. Vgl. https: / / www.nestroypreis.at/ [Zugriff am 30. 07. 2018]. 36 Krystian Lupa spricht mit Marek K ę dzierski, „ Spiritismus und Eruption “ , S. 46 - 53; hier S. 47. 37 Vgl. ebd. 38 Ebd. 39 Vgl. ebd. Die Premiere von Kalkwerk in der Regie von Krystian Lupa, der gleichfalls für Adaption und Bühnenbild verantwortlich zeichnet, fand am 7. 11. 1992 am Stary Teatr im. Heleny Modrzejewskiej (Scena Kameralna) in Kraków statt. 40 Ebd. 41 Vgl. ebd. 98 Sara Tiefenbacher 42 Die Rolle des Thomas Bernhards ist auch in anderen Bernhard-Adaptionen Krystian Lupas vertreten. Häufig, wie u. a. in Holzfällen und Wycinka, stellt Piotr Skiba dieses Alter- Ego dar. Vgl. ebd., S. 50. 43 Siehe FN 14. Vgl. Bentz, Thomas Bernhard, S. 67. 44 Vgl. Reinhard Kriechbaum, „ Thomas, schreib nicht darüber! “ , in: nachkritik.de [Zugriff am 10. 01. 2014]. URL: https: / / www.nachtkritik.de/ index.php? option=co m_content&view=article&id=8949: holzfael len-krystian-lupa-verwandelt-in-graz-tho mas-bernhards-roman-in-ein-vier-stundenbuehnenstueck&catid=214: schauspielhausgraz&Itemid=100089 [Zugriff am 24. 07. 2018]. 45 Wie im Folgenden herausgearbeitet wird, sind die Adressat*innen nicht nur jene aus Polen. 46 Vgl. Witold Mro ż ek, „‚ Wycinka ‘ , czyli fenomenalny spektakl Lupy o kompromitacji artystów “ , in: Gazeta Wyborcza, 27. 10. 2014, http: / / wyborcza.pl/ 1,75410,16869485,_Wy cinka___czyli_fenomenalny_spektakl_Lup y_o_kompromitacji.html [Zugriff am 21. 06. 2018]; Zitat im Original „ w pretensjonalnych pozach “ , Übersetzung S. T. 47 Iwona Uberman, „ Theaterbrief aus Polen (14) - Iwona Uberman über den politischen Intendanzwechsel am legendären Teatr Polski in Wroc ł aw, der ‚ Volksbühne von Polen ‘ . Absehbares Desaster “ , in: nachtkritik.de, 26. 10. 2016, https: / / www.nachtkritik.de/ in dex.php? option=com_content&view=arti cle&id=13115: theaterbrief-polen-14-iwo na-uberman-ueber-den-politischen-inten danzwechsel-am-legendaeren-teatr-pols ki-in-wroclaw-der-volksbuehne-von-polen& catid=416&Itemid=100055 [Zugriff am 22. 06. 2018]. 48 Siehe im Teil „ Der Roman Holzfällen. Eine Erregung (1984) “ . Zitat: „ [Die] Funktionsbestimmung solcher Literatur [Holzfällen. Eine Erregung, Anm. S. T.] [ist] nicht nur auf Kritik eines sozialen Umfelds zu reduzieren [. . .] “ . Gerhard Pail, „ Perspektivität in Thomas Bernhards ‚ Holzfällen ‘“ , in: Modern Austrian Literature, 3/ 4 1988, S. 52 - 53. 49 Vgl. Katarzyna Waligóra. „ Nienawdz ę ich, ale mnie wzruszaj ą , in: Didaskalia 14 (2014), S. 5. 50 Vgl. ebd. Katarzyna Waligóra beschreibt diese Szene mit der Bezeichnung ‚ Monolog- Parabase ‘ . Zitat im Original „ monolog-parabaza “ , Übersetzung S. T. 51 Mieszkowski und das Teatr Polski Wroc ł aw waren nicht erst seit 2014 der Kritik ausgesetzt. Bereits im November 2007, ein Jahr nach Mieszkowskis Antritt als Direktor, gab es Anfeindungen durch die Regionalpolitik. Hier waren erste, seitens dieser Politiker*innen geäußerte Anklagen der Misswirtschaft im Umlauf. 2007 stand die Absetzung von Mieszkowski durch die Woiwodschaftsselbstverwaltung schon einmal im Raum. Eine Bewegung unter dem Slogan ‚ Powiedzmy stop niszczeniu teatru, razem obronimy wroc ł awsk ą kultur ę ! ‘ ( ‚ Wir sagen ‚ Stop ‘ zur Zerstörung des Theaters, gemeinsam verteidigen wir die Kultur Wroc ł aws! ‘ ; Übers. S. T.) formierte sich zum Protest gegen die angekündigte Entlassung des Direktors, die schließlich verhindert werden konnte. Jedoch ist, wie im August 2014 klar wurde, die Absetzung von Mieszkowski nur vertagt worden. Denn Mieszkowski wurde zu diesem Zeitpunkt seines Amtes als Direktor des Teatr Polski Wroc ł aw enthoben, ihm wurde stattdessen die Funktion des künstlerischen Leiters zugeteilt. Zwei Jahre später erfolgte die endgültige Absetzung Mieszkowskis. Im August 2016 fand die Neuausschreibung der Position des Direktors des Teatr Polski Wroc ł aw statt. Als neuer Direktor wurde Cezary Morawski, ein der nationalkonservativen Regierung (PiS; Prawo i Sprawiedliwo ś c´ / Recht und Gerechtigkeit) nahestehender Schauspieler, bekannt aus der polnischen Fernsehserie „ M jak Mi ł o ś c´ “ (L wie Liebe; Übers. S. T.) ernannt. Vgl. Stanis ł aw Janecki, „ Najd ł u ż sza wojna Mieszkowskiego “ , in: wSIECI 39, 26. 09. 2016. Vgl. auch: http: / / www.e-teatr.pl/ pl/ ar tykuly/ 228877,druk.html [Zugriff am 07. 04. 2019]. 52 Thomas, Irmer, Anger is an Energy. Thomas Irmer im Gespräch mit Jan Klata, übers. 99 Mobilität der Kritik am Beispiel von Holzfällen. Eine Erregung Thomas Irmer, in: Theater der Zeit 12 (2014), S. 21. 53 Siehe Foto von Natalia Kabanow auf gazeta. pl, das dem Artikel „ Wycinka Lupy dobrze przyj ę ta w Awinionie. Teraz czas na Pary ż“ beigefügt war. Leider nicht mehr abrufbar. http: / / wyborcza.pl/ 51,75475,18311239.html? i=1 [Zugriff am 25. 11. 2015]. Vgl. Miros ł aw Kocur; „ Szlachetny recycling “ , in: teatralny. pl, 27. 10. 2014, http: / / teatralny.pl/ recenzje/ s zlachetny-recycling,753.html [Zugriff am 07. 04. 2019]. 54 Vgl. Rafa ł W ę grzyniak, „ Kolacja arytyczna jako stypa “ , in: Teatr 1 (2015), S. 14. 55 Krystian Lupa spricht mit Marek K ę dzierski, „ Spiritismus und Eruption “ , S. 53. Die Abkürzung PiS steht für die seit 2015 regierende nationalkonservative Partei Prawo i Sprawiedliwo ś c´ (Recht und Gerechtigkeit). 56 Magda Piekarska, „ Protest w Teatrze Polskim: Ostatnia taka ‚ Wycinka ‘ , in: Gazeta Wyborcza Wroc ł aw, 11. 11. 2016, http: / / wroc law.wyborcza.pl/ wroclaw/ 1,35771,20961725, protest-w-teatrze-polskim-ostatnia-taka-wy cinka-wideo.html [Zugriff am 20. 07. 2018]. 57 Ebd. 58 Die letzte Aufführung auf der Bühne des Teatr Polski Wroc ł aw fand am 9. 11. 2016 statt. Einen Tag später, am 10. 11. 2016, wurde Wycinka im Rahmen des internationalen Theaterfestivals ‚ Theater-Olympiade ‘ (The Theatre Olympics / Olimpiada Teatralna), das 2016 in Wroc ł aw realisiert wurde, zum letzten Mal in Wroc ł aw aufgeführt. Vgl.: http: / / www.teatrpolski.wroc.pl/ repertuar/ 20 16 - 11 sowie http: / / www.theatreolym pics2016.pl/ en/ theatre-olympics-world-pla ce-truth [Zugriff am 27. 07. 2018]. 59 Zitat im Original: „ Teatr Polski, nie Morawski “ , Übersetzung S. T; Magda Piekarska, „ Protest w Teatrze Polskim: Ostatnia taka ‚ Wycinka ‘“ , in: Gazeta Wyborcza Wroc ł aw, 11. 11. 2016, http: / / wroclaw.wyborcza.pl/ wr oclaw/ 1,35771,20961725,protest-w-teatrzepolskim-ostatnia-taka-wycinka-wideo.html (20. 07. 2018), Vgl. auch: Henryk Jarczyk, „ Theateraufruhr in Breslau “ , Ö1 Beitrag im Kulturjournal am 02. 09. 2016, https: / / oe1.o rf.at/ artikel/ 450722 [Zugriff am 20. 07. 2018]. 60 U. a. Mai 2015 am Lin Zhaohua Theatre Arts Festival (Peking/ China), November/ Dezember 2016 am Festival d ’ Automne (Paris/ Frankreich), Mai 2017 am Carrefour international de théâtre (Quebec/ Kanada), Januar 2018 am Festival Internacional Santiago a Mil (Santiago/ Chile), Vgl. http: / / www.teatr polski.wroc.pl/ wyjazdy [Zugriff am 27. 07. 2018]. 61 Die Gastauftritte waren durch die Bestellung eines neuen Direktors - Cezary Morawski - am Teatr Polski Wroc ł aw erforderlich geworden. Eine Zusammenarbeit des Regisseurs Lupa sowie einiger Ensemblemitglieder, wie unter dem Vorgänger Mieszkowski, war unter dem neuen Direktor nicht weiter möglich. Zudem wurden einigen Schauspieler*innen die Verträge gekündigt. Aufgrund der personellen Veränderungen realisiert Lupa keine Produktionen am Teatr Polski Wroc ł aw und hat seine jahrzehntelange Regiearbeit an diesem Theater bis auf weiteres für beendet erklärt. 62 Vgl. https: / / www.union-theatres-europe.eu/ in_support_of_the_polski_theatre_in_wrocl aw_ [Zugriff am 27. 07. 2018]. 63 Vgl. Rafa ł W ę grzyniak, „ Kolacja arytyczna jako stypa “ , in: Teatr 1 (2015), S. 13. 64 Wendelin Schmidt-Dengler, „ Von der unbegründeten Angst, mit Thomas Bernhard verwechselt zu werden “ , in: ders., Martin Huber (Hg.), Statt Bernhard. Über die Misanthropie im Werk Thomas Bernhards, Wien 1987, S. 8. 65 Krystian Lupa spricht mit Marek K ę dzierski, „ Spiritismus und Eruption “ , S. 49. 66 Tilo Wesche, „ Reflexion, Therapie, Darstellung. Formen der Kritik “ , in: Tilo Wesche; Rahel Jaeggi (Hg.), Was ist Kritik? , Frankfurt a. M. 2013, S. 193 - 220, hier S. 193. 100 Sara Tiefenbacher „ Brauchen Sie Kunst? Wenn ja: wozu? “ Institutionskritik im Stadttheater der BRD nach 1968 Anna Volkland (Berlin) Der Beitrag beschreibt das v. a. in der zeitgenössischen Kunsttheorie (rückblickend) reflektierte Phänomen ‚ Institutionkritik ‘ als eine auf andere Felder übertragbare, kritische wie selbstkritische Haltung und Praxis, deren Intention die Hinterfragung und Transformation konventionalisierter Machtverhältnisse ist. Ausschnitthaft wird eine spezifische (historische) Möglichkeit eines institutionskritischen Modus im Stadttheater aufgezeigt und knapp nach den jeweiligen zeitspezifischen Annahmen zur Motivation und Legitimation einer solchen kritischen Position der Theaterschaffenden gefragt. Als Besonderheit der Diskursformation um 1968 darf innerhalb der westdeutschen Stadttheaterlandschaft insbesondere die These gelten, dass es einen sichtbaren Zusammenhang zwischen Produktionsweise und ‚ Produkt ‘ , d. h. Inszenierung bzw. Aufführung gebe und folglich ‚ Entfremdung ‘ und fehlende Mitbestimmung im Probenprozess sowie innerhalb der Institution Stadttheater zu überwinden seien. Es zeigt sich zudem, dass die Skizzierung dieser dispositivischen Zusammenhänge neue Forschungsfragen und -perspektiven für eine transdisziplinär und an gegenwärtigen Problemstellungen interessierte Theaterwissenschaft eröffnet. Viele Bezüge zu uns finden wir im Tasso. Viele Fragen schließen sich an, z. B. die: Wozu braucht die Gesellschaft eigentlich Kunst? Nur als Schmuck vielleicht? Oder als sinnentleerte Erbauung? Nur als ein Instrument, die eigenen Emotionen zu ersetzen? Als ein Mittel, das Elend der Welt, die wirtschaftlichen, sozialen und politischen Probleme zu übertünchen? Ist Kunst letztlich nur ein Konsumgut wie so viele andere? Vieles von dieser Auseinandersetzung hätte ich gern dem Publikum vermittelt, aber es gibt nur wenige Szenen im Tasso, in denen sich etwas von meinen Problemen artikulieren kann; [. . .]. Die Frage ist, kann man dem Publikum überhaupt noch Inhalte, die uns betreffen, mit den Mitteln der Kunst vermitteln? Und mit welchen Mitteln? 1 Nach Interessen und Standpunkten fragen Eine kritische Praxis, die von einer beinahe paradoxen Innenposition ausgeht, indem sie mit Distanz auf die eigenen Verhältnisse blickt, beschreibe ich im Folgenden als Modus der Institutionskritik; die eigene Involviertheit, Betroffenheit und ‚ Erregung ‘ sind hier der Ausgangspunkt. Das eigene Betroffensein fällt dem Subjekt allerdings nicht einfach voraussetzungslos zu, die eigene Position innerhalb bestimmter Verhältnisse muss überhaupt erst erkannt, reflektiert und artikuliert werden können und wollen. „ What is to be done? “ , fragte 1970 der Filmemacher Jean-Luc Godard und erläuterte mit Bezug auf Karl Marx und Bertolt Brecht den Unterschied zwischen (einem bisherigen Verständnis nach) „ politischen Filmen “ und dem neuen Ziel: „ politisch Filme (zu) machen “ . 2 Tatsächlich verbanden sich in diesen späten 1960er und 1970er Jahren die Diskurse (und Forderungen) der politischen Linken mit Formen produktiver Kritik, d. h. durchaus praktischen Versuchen mit neuen Haltungen und Handlungsformen und der grundsätzlichen Einsicht in die Forum Modernes Theater, 31/ 1-2 (2020), 101 - 112. Gunter Narr Verlag Tübingen DOI 10.2357/ FMTh-2020-0009 Notwendigkeit des Engagements - innerhalb des künstlerischen wie intellektuellen Schaffens in verschiedenen Ländern. 3 Dabei wurde die Macht der bisherigen Institutionen durch Neugründungen ( „ Gegeninstitutionen “ ) 4 sowie Bekenntnisse zum „ langen Marsch “ 5 durch dieselben mit dem Ziel einer Umwandlung von innen zumindest öffentlich in Frage gestellt. Was heißt das für das heutige Theaterschaffen? Welche Spuren der damaligen Infragestellungen der Institutionen, ihrer Machtstrukturen und Funktionen sind heute zu finden? Und warum wird mit Blick auf ‚ das deutsche Stadttheater ‘ , um das es mir in diesem Beitrag geht, seit Jahrzehnten die Diagnose einer (allerdings je nach politischer Haltung sehr verschieden begründeten) Legitimationskrise gestellt, während nur sehr vereinzelt daran erinnert wird, dass viele heutige Fragen, Konflikte und Lösungsstrategien - zum Beispiel zur Frage einer demokratischen, gar ‚ herrschaftskritischen ‘ Konstitution eines Theaters - keineswegs neu sind? 6 Welche Ansätze zur Erschließung bzw. welche zu weiteren Auseinandersetzungen anregenden Darstellungen eines solchen ‚ vergessenen ‘ Wissens bietet die (deutschsprachige) Theaterwissenschaft? Zwar wurden eine Zeit lang jene Fragestellungen deutlich vernachlässigt, die Theater als gesellschaftliche Institution in den Blick nehmen würden. Mit der neueren Idee eines Theaters als Dispositiv bieten sich aber gerade hierzu produktive Ansätze. 7 Eben diese Perspektive aufgreifend möchte ich zuerst mit Blick auf eine historische Schauspielproduktion - Torquato Tasso, März 1969, Theater Bremen - den von mir vorgeschlagenen Dispositiv-Zusammenhang ‚ Die Theaterschaffenden und die Machtfrage ‘ in Ansätzen skizzieren. Dabei soll deutlich werden, dass die damaligen Auseinandersetzungen der Theaterschaffenden mit der ‚ ihnen Arbeit gebenden ‘ Institution Stadttheater fruchtbar als institutionskritisch zu beschreiben sind. 8 ‚ Institutionskritik ‘ im ‚ Stadttheater ‘ : Begriffe neu denken Der Begriff ‚ Institutionskritik ‘ mag vorrangig mit der Bildenden Kunst und zum Teil dem Autorenkino assoziiert sein. Der dahinter stehende, besonders in den späten 1960er und frühen 1970er Jahren immer wieder formulierte Gedanke, die eigenen Produktionsverhältnisse seien immer Teil jener gesamtgesellschaftlichen (bzw. aus heutiger Sicht: auch globalen) Exklusion und Unfreiheit bedeutenden Verhältnisse, die nicht nur aufgezeigt, sondern auch verändert werden sollen, ist allerdings auch im Theater schon lange bekannt, nur anders benannt. Als Notwendigkeit, „ politisch Theater zu machen “ etwa wird das Godard-Zitat vor allem in der Gegenwart immer wieder paraphrasiert und durchaus auf die damalige Zeit rückbezogen. 9 Der Begriff ‚ Institutionskritik ‘ wird dabei i. a. R. nicht genutzt. (Ich komme hierauf zurück.) Ich verwende die Kurzform ‚ Stadttheater ‘ zunächst als Synonym eines überwiegend staatlich subventionierten, nicht gewinnorientierten Repertoirebetriebs mit überwiegend festangestelltem Schauspieler*innenensemble, der den von der Kulturpolitik in Auftrag gegebenen Anspruch zu vertreten hat, für eine möglichst breite Öffentlichkeit Inszenierungen, Diskussions- und Begegnungsräume vor allem innerhalb einer hierfür vorgesehenen festen Spielstätte zu bieten. 10 Gleichzeitig gestalten sich die jeweiligen ökonomischen, politischen, infrastrukturellen, juristischen und sonstigen Zustände wie Rahmenbedingungen an den konkreten Theaterhäusern allein schon innerhalb Deutschlands sehr unterschiedlich. 11 Es gibt dennoch, so meine These, zu bestimmten Zeiten die einander ähneln- 102 Anna Volkland den Selbsterzählungen der eigenen Geschichte, Aufgaben und Ziele: Wozu, für wen und wie Theater machen? In der Konsequenz müsste ‚ vom Stadttheater ‘ als konzeptuellem Modell gesprochen werden, das aber in seiner jeweiligen Interpretation und Ausführung an den einzelnen Häusern und über die Jahre weder ganz einheitlich noch zwingend unveränderbar ist. Zu beschreiben wäre also - so mein Vorschlag - die Performance der Institution Stadttheater als die immer wieder zu erneuernde Aufführung eines bestimmten Modells, dessen Selbstbeschreibungen, Funktionsbestimmungen und Legitimierungsstrategien sich in Abhängigkeit von den jeweiligen politischen, kulturellen und zeitgeschichtlichen Kontexten aber auch immer wieder verändern. 12 Eine von der Performance der Institution ausgehende Perspektive lenkt den Blick - anders als die immer noch gebräuchliche, auf eine einseitig wirksame und machtvolle Struktur fokussierende Metapher des ‚ Apparats ‘ - darauf, dass es sich bei einer Institution, wie der Soziologe Robert Seyfert betont, um ein „ kunstvolles Gefüge bzw. Arrangement “ handelt, um eine „ Zusammensetzungen heterogener Elemente, die auf diese Weise vorher nicht da waren und deren Aufbau sowie Erhalt einer gewissen Anstrengung bedürfen “ . 13 Seyfert betrachtet Institutionen auch als ein Verhältnis sich wiederholender und zugleich variabler Elemente bzw. laminarer und turbulenter Strömungen - so wie auch jede Aufführung (Performance) mehr oder weniger auf die Reproduktion der verabredeten Elemente eines bestimmten Inszenierungskonzepts (inklusive der teils fest eingerichteten materiellen Bestandteile) abzielen kann, in jedem Fall aber den Möglichkeiten von intendierten wie zufälligen Störungen und Abweichungen ausgeliefert ist. 14 Diese Perspektive auf die Stadttheater als durchaus auch fragile, immer wieder einzurichtende Gefüge, die nicht allein aufgrund der Materialität ihrer Publikumssessel und Drehbühnenschrauben auf eine bestimmte Art funktionieren, betont besonders die individuellen wie kollektiven Handlungen und Spielräume der Akteur*innen. Zu ihnen zählen natürlich in besonders wirkmächtiger Weise Kulturpolitiker*innen und Interessensvertreter*innen, die nicht selbst innerhalb der Institutionen arbeiten, allerdings eben auch die dort künstlerisch Beschäftigten. Ein institutionskritischer Modus wäre jener, in dem eben diese Akteur*innen die Spielräume zu finden und zu nutzen versuchen, um die dominanten ‚ Strömungen ‘ öffentlich sichtbar zu machen und ‚ Turbulenzen ‘ zu erzeugen. Eine solche von Künstler*innen ausgehende (selbst-)kritische Praxis, zu der eigene Diskurse und Handlungsformen gehören, ist bisher als Phänomen innerhalb der gegenwärtigen Stadttheaterlandschaft nicht nur kaum untersucht, sondern auch bereits als Möglichkeit angezweifelt worden: ‚ Institutionskritik ‘ habe es hier nie gegeben, stattdessen sei es in den 1960er Jahren zu Neugründungen Freier Theater gekommen. 15 Dabei zu wenig beachtet wurden die ab spätestens 1968 in der BRD von den Theaterschaffenden selbst ausgehenden (und von Theatermedien wie etwa Theater heute engagiert unterstützten) Diskussionen: Etwa um das Berufsprofil der Schauspieler*innen als nicht mitdenken und -entscheiden sollende, lediglich ausführende Angestellte, um das als veraltet angesehene Intendantensystem oder um die Notwendigkeit, angesichts einer in Konflikte und Kriege verstrickten Welt, neue künstlerische wie auch aktionistische Formen zu finden. Es kam dabei zu einer Reihe von oft auch öffentlich diskutierten Versuchen mit neuen Mitbestimmungsmodellen - keineswegs nur in ‚ freien Gruppen ‘ , sondern an den größeren wie kleineren öffentlich finanzierten Theatern, 103 Institutionskritik im Stadttheater der BRD nach 1968 mit Kollektivregien, Ensembleprojekten und Stückentwicklungen, Publikumsgesprächen und anderen Formaten zur Aktivierung desselben, zu Diskussionen der eigenen gesellschaftlichen Relevanz und zu Projekten für (noch eher selten auch mit) Lehrlingen, Arbeiter*innen oder anderen ‚ Laien ‘ , häufig mit Bezug auf Brechts Lehrstücktheorien. 16 Der Versuch, sich dem ‚ Fall Tasso ‘ (Bremen, 1969) zu nähern Ich möchte mich dem Forschungsdesiderat einer jüngeren Geschichte ‚ des Stadttheaters ‘ und - so mein Vorschlag einer dynamischen, relationalen Perspektive - seiner selbstkritischen Transformationsversuche hier annähern, indem ich einen exemplarischen ‚ institutionskritischen Modus ‘ als ‚ Fall ‘ beschreibe: Ausgehend von v. a. textlichem Primärquellenmaterial rund um Peter Steins Inszenierung des Tasso-Textes von Johann Wolfgang von Goethe als ‚ gemeinsamem institutionskritischen Arbeits- und Erkenntnisprozess der Beteiligten sowie öffentlichem Aktions- und Diskurszusammenhang ‘ wären auch die verschiedenen Kontexte dieser Produktion - etwa institutionelle, personenbezogene, gesellschaftspolitische etc. - ausschnitthaft mit in den Blick zu nehmen. Es ergäbe sich ein komplexerer Problemzusammenhang, der die im Beispiel kristallisierten Interessenkonflikte, (selbst-)kritischen Reflektionen und Lösungsversuche der innerhalb eines Stadttheaters beschäftigten Künstler*innen, hier vor allem der Schauspieler*innen, rahmt als ein Ereignis innerhalb weiterer ‚ institutionskritischer ‘ Entwicklungen in der westdeutschen (Stadt-)Theaterlandschaft und Gesellschaft in den späten 1960er Jahren. 17 Methodisch ist diese Perspektive angelehnt an Gedanken zur Dispositivanalyse, wie sie für theaterwissenschaftliche Forschungszusammenhänge vergleichsweise neu sind und von Lorenz Aggermann wie folgt skizziert werden: Theater als Dispositiv zu betrachten, [sic] bedeutet, es in all seinen Dimensionen der institutionellen Verankerung und Arbeitsweisen, der Produktionswie der Rezeptionsverhältnisse, der gesellschaftlichen Diskurse und ihrer materiell-technischen Praktiken zu beschreiben [. . .]. Es heißt vor allem auch, das Theater in strategischer Beziehung zu einem künstlerischen und (oder) gesellschaftlichen Problem zu begreifen, und zu überlegen, wie sich die je spezifische Materialisation der theatralen Ordnung dazu verhält. Methodisch lässt sich [daraus] die Forderung ableiten, [. . .] an den Sollbruchstellen anzusetzen - den dysfunktionellen oder fiktiven Elementen - , in denen die bestehende Ordnung und die regulierende Vernetztung von Aktanten nicht mehr reibungslos funktioniert. 18 Der im Folgenden vorgestellte Fall beschreibt einen ab 1968 im westdeutschen Theater in verschiedener Form immer wieder auftauchenden Moment, in dem „ die bestehende Ordnung [. . .] nicht mehr reibungslos funktioniert “ und die dispositiven Anlagen als habitualisierte, gleichsam ‚ drückende ‘ Verhältnisse deutlich werden: Die bisher zum Sprechen jeglicher ihnen vorgelegter Texte verpflichteten Schauspieler*innen erkennen, so scheint es, ihre hinter der vermeintlichen Unkonventionalität und Kreativität ihres Berufs versteckte Unfreiheit und stellen, verkürzt formuliert, die Machtfrage. Das heißt, sie üben, mit Foucault gesprochen, „ die Kunst, nicht dermaßen regiert zu werden “ , also Kritik. 19 Das Zitat meines Beitragstitels - „ Brauchen Sie Kunst? Wenn ja: wozu? “ - gehört zu einer Reihe von „ Fragen an das Publikum “ , die das junge Produktionsteam der am Bremer Stadttheater entwickelten Inszenierung Torquato Tasso für eine selbst so benannte „ Pausenveranstaltung “ formulier- 104 Anna Volkland te. 20 Laut Darstellung des Regisseurs Peter Stein wurde die in keiner der heute zur Verfügung stehenden Videoaufzeichnungen dokumentierte Intervention in der Aufführungspause schon bald von der Theaterleitung zensiert. Sie sah etwa unter der (zumindest später im Regiebuch gesetzten) Überschrift „ Kennen Sie Ihre Bedürfnisse? “ einen selbstkritischen Produktionsbericht der fünf Schauspieler*innen vor - gerichtet an das noch im Saal befindliche Publikum. Zudem sollten die wie ein vierstrophiges ungereimtes Gedicht strukturierten „ Fragen “ vorgetragen werden, die auf die möglichst ehrliche, Konventionen nicht gelten lassende Selbstreflektion zu zielen scheinen und darum sicherlich auch Unsicherheit evozierten, möglicherweise auch Parteinahme (etwa: „ Vertritt das Theater Ihre Interessen? “ ): Was ist eine gute Aufführung? Was ist eine schlechte Aufführung? Wir wollen wissen: gut für wen? Schlecht für wen? [. . .] Wir haben das Bedürfnis, Theater zu spielen. Was für Bedürfnisse haben Sie? 21 Daran anschließen sollte sich - so jedenfalls die letztlich vermutlich nie realisierte Idee - eine offene Diskussion mit dem Publikum. 22 Anlass dieses Gesprächsbedürfnisses war eine den fünf beteiligten Schauspieler*innen Edith Clever, Bruno Ganz, Jutta Lampe, Werner Rehm und Wolfgang Schwarz zunehmend Unbehagen bereitende Erkenntnis, die ihr Regisseur angeregt hatte: die Parallelität zwischen der von ihnen dargestellten Lage des Hofdichters Tasso und ihrer eigenen Rolle als am Stadttheater ebenso abhängig beschäftigte und kaum freiere „ Emotionalclowns “ . 23 Die Bremer Analyse des Goethe ’ schen Dramas fokussierte auf den strukturellen Konflikt des selbst mittellosen Tasso mit seinem Herrn und Förderer, dem Herzog von Ferrara, der den Künstler für verschiedene Zwecke benötigte und diesem gewisse Freiheiten gewährte - ihm aber die Verfügungsgewalt über dessen eigenes dichterisches Werk und Leben verwehrte. Ein solcher Fokus auf die komplexen Machtbeziehungen und resultierenden Entfremdungsverhältnisse zwischen Mäzen und Kunstschaffendem war nie derart klar herausgearbeitet, die Frage nach dem Bezug zur eigenen gegenwärtigen Situation (am Theater) so scharf gestellt worden. Neue Perspektiven auf das scheinbar wohlbekannte Goethe-Drama zeigten sich - mit Konsequenzen v. a. für diejenigen, die damit im Spiel umgingen. Edith Clever beispielsweise - wie die Anderen vom Theaterkritiker Erich Emigholz fürs Programmheft befragt, ob das „ eigene kritische Bewusstsein “ durch die Arbeit am Tasso zugenommen habe - stellte fest: Die meisten Schauspieler [. . .] haben ständig Existenzangst. Sie müssen ankommen. Beim Publikum, beim Regisseur, beim Intendanten, bei Kollegen etc. - Will er [sic] eine Rolle nicht spielen, wird er bestenfalls mit dem Argument gezwungen, er solle fürs Haus denken wie ein Intendant. Zur Spielplanbesprechung wird er nicht hinzugezogen. Und selbst Kostüme werden aufgezwungen, wenn der Regisseur es für richtig hält. So träumt jeder Schauspieler davon, einmal Star zu werden, um mehr Rechte zu bekommen. Das heißt, er will Macht. 24 Durch die Tasso-Arbeit habe Clever begriffen, „ daß diese Zustände veränderbar sind, daß es nicht zwangsläufig so sein muß. “ 25 Gleichzeitig erlebt die Gruppe die kompromisslose Durchsetzung der Macht des Intendanten Kurt Hübner - v. a. angesichts der parallel geprobten, dann jedoch abgesetzten Kollektivregieproduktion Frauenvolksversammlung. 26 Dennoch zeigten sich die Schauspieler*innen und der Regisseur vor allem mit sich selbst unzufrieden: Mit 105 Institutionskritik im Stadttheater der BRD nach 1968 ihrer eigenen Arbeit waren sie vollständig im „ schönen “ Kunstrahmen verblieben und ihre eigene Kritik hatten sie als ‚ gut konsumierbare Abendunterhaltung ‘ serviert. „ Die schönen alten Mittel [der Inszenierung] haben Kritik so integriert, daß die Wirkungslosigkeit von Tasso etwa seinem Erfolg entspricht “ , kommentierte Bruno Ganz. Auch an der nicht gleichberechtigten Position der Schauspieler*innen im Produktionsprozess hatte die Gruppe im Wesentlichen nichts verändert. 27 „ Der Fragenkatalog [im Programmheft] könnte den Eindruck erwecken, der Bremer Tasso sei in einer Kollektivarbeit aller Beteiligten entstanden. Das ist nicht der Fall “ , korrigierte etwa Werner Rehm. Er betonte dennoch, die Arbeit am Tasso mit ihren „ winzige[n] Ansätze[n] zu einer kollektiven Arbeit “ auf den Proben sei für ihn „ die wichtigste bisher am Theater “ gewesen. 28 Es zeigt sich schon hier, dass Institutionskritik nicht als ‚ Korrektur ‘ , als Durchsetzung einer Problemlösung verstanden werden kann, dass es sich vielmehr um einen längerfristigen Prozess und eine Anstrengung handelt, die auf sich genommen wird, trotz der Aussicht zu scheitern. 29 Eine Dokumentation dessen samt ausführlicher, bemerkenswert weitsichtiger und reflektierter Stellungnahmen, besonders auch zur Frage nach der Wirksamkeit und tatsächlichen Funktion von Theater in seiner damaligen spezifischen Verfasstheit, erschien 1970 im Regiebuch zur Inszenierung, das die Hauptquelle zum sonst wenig beachteten bzw. nicht dokumentierten Ereignis der Tasso-Pausenveranstaltung darstellt. Das Regiebuch verschafft den Schauspieler*innen zudem eine sonst nie gegebene, souverän in Anspruch genommene Autor*innenposition, die die gängige Rezeption der Inszenierung als einer Aufsehen erregenden Klassiker(neu)inszenierung des sich etablierenden Regisseurs Peter Steins aus mehrfacher Sicht anders perspektivieren kann. Zeitlichkeit von Institutionskritik Kritik ist immer spezifisch, soll sie produktiv sein. Im Nachvollzug muss also ihr Kontext präzise beschrieben werden, auch ihr ‚ Anlass ‘ . 30 Wenn Foucault das Dispositiv benennt als eine „ Formation, deren Hauptfunktion zu einem historischen Zeitpunkt darin bestanden hat, auf einen Notstand zu antworten “ , stellt sich nun u. a. die Frage, wie der 1968/ 69 empfundene bzw. geäußerte ‚ Notstand ‘ westdeutscher Schauspieler*innen begründet werden kann, während deren Arbeitsbedingungen und Rolle innerhalb des Stadttheaters sich zunächst gar nicht verändert zu haben scheinen. 31 An dieser Stelle kann ich weder auf die konkreten Verhältnisse eingehen noch die sich ähnelnden Aussagen der Schauspieler*innen bzw. Theaterschaffenden analysieren, sondern lediglich feststellen, dass sich hier eine Diskursformation herausbildete, in der sich fraglos die damals wichtigen Themen (Mitbestimmung, Mitverantwortung), das politische und gesellschaftliche ‚ Klima ‘ in der BRD kurz nach 1968 spiegelten. Auch wenn die Anlässe der Unzufriedenheit mit dem Theater im Theater lagen, sind die Gründe für deren Bewusstwerdung und die Ermutigung zur öffentlichen Artikulation vor allem ‚ außerhalb ‘ (etwa in gesamtgesellschaftlichen Demokratisierungsprozessen) zu suchen. 32 Dennoch ist die Idee, die gerade die bisher nie gefragten Schauspieler*innen ab 1968 ermutigte, aus ihrer - wie man meinen könnte, eigentlich wenig ‚ Überblick ‘ bietenden - Position als „ de[m] zentrale[n] Standort [. . .] innerhalb der Theaterproduktion “ Kritik am Stadttheater zu üben, nicht so verständlich, wie es scheinen mochte. Als etwa die beiden erst 22 bzw. 23 Jahre alten, am Theater Dortmund engagierten Schauspieler*innen Barbara Sichtermann und Jens Johler in Theater heute den dann viel kommentierten Essay „ Über den autoritären 106 Anna Volkland Geist des deutschen Theaters “ veröffentlichten, beendeten sie ihn u. a. mit der Forderung nach kollektiver Leitung, Mitbestimmung bei Spielplangestaltung, Ensemblezusammensetzung und Rollenbesetzung, kollektiver Regie und Einheitsverträgen sowie der Feststellung: „ Denn das Theater kann nur das nach außen hin zur Wirkung bringen, was seiner inneren Wirklichkeit entspricht. “ 33 Der wahrnehmbare Zusammenhang zwischen dieser „ inneren Wirklichkeit “ , also den Produktionsbedingungen und -weisen im Theater und der „ Wirkung nach außen “ , d. h. den Inszenierungen, die als Aufführungen dem Publikum begegneten und nach öffentlicher Diskussion forderten, galt als gegeben. Der Theaterkritiker Peter Iden bemerkte in seinem Portraitbuch zur Schaubühne am Halleschen Ufer (1970 - 1979) mit Blick auf das zu Beginn dort vereinbarte Ziel der Mitbestimmung aller Mitarbeiter*innen - „ in den künstlerischen Fragen vor allem die Schauspieler “ - zur „ damit verbundene[n] Hoffnung “ : Denn anders als im industriellen Fertigungsvorgang, in dem organisatorische Veränderungen weder den Entfremdungscharakter der Arbeit aufheben, noch unbedingt am Produkt erkennbar werden müssen, schließt jede Reorganisation der Theaterarbeit ebenfalls die Erwartung ein, es werde am Resultat wahrzunehmen sein, unter welchen Umständen es entstanden ist. (Diese andere Erwartung gründet auf der richtigen Vorstellung, Theaterspiel sei mit einem Begriff wie ‚ Entfremdung ‘ grundsätzlich nicht zusammenzubringen.) “ 34 Weder der Begriff der ‚ Entfremdung ‘ ist inzwischen noch üblich, noch ist die Erwartung selbstverständlich, „ es werde am Resultat wahrzunehmen sein, unter welchen Umständen es entstanden ist “ . Dahinter stehen wichtige diskursive Verschiebungen (etwa zum Verhältnis von Subjekt und Arbeit, aber auch von ‚ Wahrheit ‘ und ‚ Kunst ‘ ) wie auch reale Veränderungen der Arbeitsbedingungen, materiellen wie institutionellen Verhältnisse, die sowohl wesentlich flexibler als auch prekärer geworden sind. In der Konsequenz würde ich mit Blick auf die heutigen Verhältnisse und Konfliktlinien innerhalb der Stadttheater etwa nicht mehr das Dispositiv ‚ Die Theaterschaffenden und die Machtfrage ‘ zur Untersuchung vorschlagen (auch wenn es keinesfalls irrelevant geworden ist), sondern eher das Spannungsverhältnis der ‚ Theaterschaffenden zwischen Selbstfürsorge und Institutionsrettung ‘ , das allerdings völlig andere Formen eines institutionskritischen Modus ’ zu beschreiben hätte. Wo ist die Kunst? Perspektiven und Bewegungen Ich habe es bewusst vermieden, meinen Überlegungen eine Definition von ‚ Institutionskritik ‘ voranzustellen. Der längst selbst institutionalisierte und problematisierte Begriff wurde erst rückwirkend auf bestimmte künstlerische Ansätze der 1960er Jahre bezogen. Er meint keinen ästhetischen Regelkanon oder ein bestimmtes Genre, sondern umfasst eine Vielfalt von Positionen und Arbeiten, die kritisch ihre eigenen Produktions-, Präsentations- und Rezeptionsbedingungen reflektieren. 35 Ebenso wie die Künstlerin Andrea Fraser betrachte ich Institutionskritik als eine Praxis, die auf die Veränderung eben jener kritisierten institutionellen Strukturen abzielt. 36 Dabei ginge es nicht nur darum, so Fraser, die substanziellen, sichtbaren Manifestationen dieser Verhältnisse zu transformieren, sondern deren Struktur, insbesondere das Hierarchische in dieser Struktur und die Formen von Macht und Herrschaft, symbolischer und materieller Gewalt, die von diesen Hierarchien produziert werden. 37 107 Institutionskritik im Stadttheater der BRD nach 1968 Ein wichtiger Unterschied zwischen institutionskritischer Praxis und dem allgemeineren Begriff der politischen Kunst bestehe demnach auch darin, dass deren transformative Intentionen „ vor allem gegen jene Formen von Herrschaft gerichtet “ seien, „ die in ihrem direkten Betätigungsfeld wirksam sind “ . 38 Es geht, mit anderen Worten, um den jeweils aktuellen eigenen Ort, nicht etwa nur um die Fehler und Krisen anderswo. Beabsichtigt werde aber auch keine rein selbstreferentielle „ Kunst über Kunst “ , vielmehr wird das eigene Feld in seinen Analogien zu und Verflechtungen mit anderen gesellschaftlichen Feldern gesehen. 39 Eine Frage, die u. a. Stefan Nowotny stellt, erscheint mir absolut relevant, „ ob nämlich der Kritik, die sich in institutionskritischen Praxen manifestiert, nicht zu wenig zugetraut wird, wenn sie auf ihr Kunstsein festgeschrieben wird “ . 40 Die Frage nach der Zuschreibbarkeit eines „ institutionskritischen Modus “ innerhalb des Feldes Theater, ist keine einfache, dies allerdings auch grundsätzlich. Anstelle einer eindeutigen Einordnung unter das Label ‚ Institutionskritik ‘ kann es meiner Ansicht nach nur Vorschläge geben, die sorgfältig zu begründen sind. Mein Kriterium wäre hier nicht, ob Kritik etwa in Form einer ‚ ästhetischen Erfahrungen ‘ angeboten wird, sondern ob ein klarer Bezug auf die eigenen Verhältnisse (der Kunstproduktion) bzw. eine Intervention in diese erkennbar ist und die Absicht, Machtstrukturen und Glaubenssätze innerhalb dieser Verhältnisse zu verändern. 41 (Im Fall der Tasso- ‚ Pausenveranstaltung ‘ war dies der Fall, wenn auch eine grundlegende Umgestaltung der theaterinternen Machtverhältnisse erst kurz darauf an der Westberliner Schaubühne am Halleschen Ufer erprobt werden konnte.) Die Herausforderung im Feld des Theaters besteht - möglicherweise mehr noch als im Feld der Kunst - in der ‚ Neutralisierung ‘ jeglicher politischer Anliegen durch die ‚ Filter ‘ Spiel und Fiktion, d. h. in der Gefahr, dass Kritik eine reine Geste (für das Publikum) bleibt, die den Bühnen mit ihren emanzipatorischen Dramen der Aufklärung samt den bis in die Gegenwart reichenden Revolutionsrufen nur allzu vertraut ist. Eben dies reflektierten die Theaterschaffenden zu jener Zeit, in der sich auch das postdramatische Theater herausbildete, und in der - übrigens auch (und vielleicht besonders) im an Brecht interessierten Theater der DDR - das Verhältnis von Theater und Realität, von ‚ So-tun-als-ob ‘ und tatsächlichem Meinen auf dem Prüfstand zu stehen schien. 42 Dieses Spannungsfeld beschreibt ein ‚ Thema ‘ von Institutionskritik, das auch in der Bildenden Kunst u. a. von Fraser benannt wurde, aber vor allem im Theater immer wieder und verstärkt in der Gegenwart selbstkritische Fragen nach der ‚ eigentlichen Aufgabe ‘ der Institution aufwirft: Wie ‚ real ‘ darf das politische, soziale Engagement eines Stadttheaters, der Umgang mit Utopien sein? Oder: Wie glaubhaft ist es überhaupt? Und steht bzw. stünde es im Widerspruch zum (von wem gegebenen und definierten? ) ‚ Auftrag Kunst ‘ ? 43 Institutionskritik im Stadttheater produziert - dies wäre das Resümee der Ausführungen und sollte das Beispiel der Tasso- Selbstkritik zeigen - entlang der von den Akteur*innen einer bestimmten Zeit jeweils neu definierten ‚ Sollbruchstellen ‘ (der nicht mehr zu ignorierenden Konfliktlinien) öffentlich selbstreflexive Störungen des institutionellen Betriebsablaufs, zu dem auch das Publikum gehört. Dies sind Bewegungen, keine Werke. Anmerkungen 1 Der Schauspieler Werner Rehm antwortet auf die Fragen des Theaterkritikers Erich Emigholz zur Inszenierung von Torquato Tasso, Regie Peter Stein, Premiere am 30. 03. 108 Anna Volkland 1969 im Theater am Goetheplatz Bremen. Werner Rehm, „ 30 Fragen zum Bremer ‚ Tasso ‘ von Erich Emigholz “ , in: Volker Canaris (Hg.), Goethe u. a.: Torquato Tasso. Regiebuch der Bremer Inszenierung, Frankfurt a. M. 1970, S. 143. 2 Jean-Luc Godard, „ What is to be done? “ , übersetzt aus dem Französischen ins Englische von Mo Teitelbaum, in: Afterimage. The Journal of Media Arts and Cultural Criticism 1 (1970), keine Seitenangaben. Deutsche Übersetzung von mir. 3 Ich konzentriere mich in diesem Beitrag auf die Bundesrepublik Deutschland, dennoch ist ‚ 1968 ‘ kein rein ‚ westliches ‘ Phänomen, auch ‚ Institutionskritik ‘ nicht. 4 Zum Begriff der „ Gegeninstitutionen “ vgl. Claus Röger, „ Das Ende, das ein Anfang war. Geschichte einer Gegeninstitution “ , in: Ingrid Gilcher-Holtey (Hg.), „ 1968 “ - Eine Wahrnehmungsrevolution? Horizont-Verschiebungen des Politischen in den 1960er und 1970er Jahren, eBook, 2013, S. 87. 5 Zum „ langen Marsch “ s. Rudi Dutschke, Vorwort zu Ulrike Marie Meinhof, „ Briefe an Rudi D. “ , in: Ulrike Marie Meinhof, Die Würde des Menschen ist antastbar. Aufsätze und Polemiken, Berlin 1980/ 1992, S. 5. 6 Die Rede von der ‚ Krise des (Stadt-)Theaters ‘ lässt sich - mit sich teils wandelnden, teils gleich bleibenden Argumenten - allein mit Blick auf das 20. Jahrhundert bis in die 1950er Jahre zurückverfolgen. 7 Grundlegende Überlegungen zur Anwendung des ‚ Dispositiv ‘ -Begriffs in der Theaterwissenschaft wurden etwa im DFG-Projekt „ Theater als Dispositiv. Ästhetik, Praxis und Episteme der darstellenden Künste “ formuliert und erprobt. Vgl. Lorenz Aggermann, Georg Döcker und Gerald Siegmund (Hg.), Theater als Dispositiv. Dysfunktion, Fiktion und Wissen in Ordnung der Aufführung, Frankfurt a. M. 2017. 8 Auch im Kunstfeld wurden bestimmte Praktiken erst nachträglich (um 1985) als „ Institutional Critique “ bezeichnet; siehe meine späteren Erläuterungen zur Begriffsgeschichte. 9 Vgl. Jan Deck und Angelika Sieburg (Hg.), Politisch Theater machen. Neue Artikulationsformen des Politischen in den darstellenden Künsten, Bielefeld 2011. 10 Verschiedene Ansätze zur Beschreibung der Organisations- und Rechtsformen lassen sich in Kulturbzw. Theatermanagement- Handbüchern finden. Als am aktuell umfang- und sicher auch kenntnisreichsten kann gelten: Thomas Schmidt, Theater, Krise und Reform. Eine Kritik des deutschen Theatersystems, Heidelberg 2017. 11 Zum Problem fehlenden empirischen Materials zur Gesamtsituation der öffentlichen Theaterbetriebe und der starken Heterogenität der einzelnen Häuser trotz grundsätzlich vergleichbarer ‚ Grundstrukturen ‘ siehe Patrick S. Föhl, Kooperationen und Fusionen von öffentlichen Theatern. Theoretische Grundlagen, empirische Untersuchungen und Gestaltungsempfehlungen, Wiesbaden 2011, S. 103. 12 Mit dem hier in seinen Konnotationen schillernden Begriff ‚ Performance ‘ sind praktische Vollzüge gemeint, nicht nur Sprechhandlungen; linguistische, kultur- oder theaterwissenschaftliche Diskurse etwa zur Unterscheidung von ‚ Performativität ‘ und ‚ Performanz ‘ vertiefe ich an dieser Stelle bewusst nicht. 13 Robert Seyfert, Das Leben der Institutionen. Zu einer Allgemeinen Theorie der Institutionalisierung, Frankfurt a. M. 2011, S. 15. Die ‚ Apparat ‘ -Metapher wird bis heute für ein spezifisches Bild ‚ des Stadttheaters ‘ verwendet, das die Institution im Sinne Max Webers v. a. als „ stahlhartes Gehäuse “ beschreibt (Max Weber, Gesammelte Aufsätze zur Religionssoziologie (1920), Tübingen 1988, S. 203; zitiert nach Seyfert 2011, S. 13). Bertolt Brecht und Walter Benjamin betonten dagegen bereits um 1930 in verschiedenen Texten die Notwendigkeit, den ‚ Produktionsapparat ‘ nicht zu beliefern, sondern zu verändern (siehe u. a. Walter Benjamin, „ Der Autor als Produzent “ , in: Walter Benjamin, Gesammelte Schriften. Aufsätze, Essays, Vorträge, Band II/ 2, Frankfurt a. M. 1991, S. 697.). 14 Seyfert, Das Leben der Institutionen, S. 21. Zum Verhältnis von Aufführung und Inszenierung siehe etwa Erika Fischer-Lichte, Äs- 109 Institutionskritik im Stadttheater der BRD nach 1968 thetik des Performativen, Frankfurt a. M. 2004, S. 327 f. 15 Zum grundsätzlichen Zweifel vgl. etwa Esther Boldt, „ Verspielte Institutionen. Ein Vorwort von Esther Boldt “ , in: Melanie Mohren und Bernhard Herbordt (Hg.), Vorgestellte Institutionen / Performing Institutions, Berlin 2015, S. 7 f. Oder auch Henning Fülle, Freies Theater. Die Modernisierung der deutschen Theaterlandschaft (1960 - 2010), Berlin 2017. Daneben wurde natürlich die Selbstreflexivität verschiedener Theaterexperimente beschrieben, der analytische Bezugsrahmen hier blieb aber vorrangig die Aufführung, siehe etwa bei Nikolaus Müller-Schöll, „ Theater außer sich “ , in: Hajo Kurzenberger und Annemarie Matzke (Hg.): TheaterTheoriePraxis, Berlin 2004, S. 342 - 352. 16 Für das Genannte Referenzen zu nennen, ist hier kein Raum; die Autorin dieses Beitrags arbeitet in ihrer Promotion jedoch daran, eben diese Aspekte selbstkritischer Transformationsversuche in der jüngeren westwie auch ostdeutschen (Stadttheater-)Geschichte fundiert nachzuweisen und in ihrer Komplexität darzustellen. 17 Tatsächlich müssen weitere Beispiele und eine Darstellung der Kontexte hier aus Platzgründen entfallen. 18 Lorenz Aggermann, „ Die Ordnung der darstellenden Kunst und ihre Materialisation. Eine methodische Skizze zum Forschungsprojekt Theater als Dispositiv “ , in: Aggermann, Döcker, Siegmund (Hg.), Theater als Dispositiv, S. 22 f. 19 Michael Foucault, Was ist Kritik? , Berlin 1992, S. 11 f. 20 Vgl. “ Fragen an das Publikum “ , in: Volker Canaris (Hg.), Goethe u. a.: Torquato Tasso. Regiebuch der Bremer Inszenierung, Frankfurt a. M. 1970, S. 121 - 159. 21 Ebd., S. 126. Das hier benutzte „ wir “ meint vermutlich das gesamte Produktionsteam. 22 Siehe zum Vorwurf der Zensur durch die Theaterleitung Peter Steins Vorbemerkung zur „ Pausenveranstaltung “ im Regiebuch a. a. O., S. 121. 23 Der Ausdruck „ Emotionalclown “ meint zunächst Tasso. Im Bremer Programmhefttext „ Zum ‚ Tasso ‘“ ziehen Peter Stein und sein Co-Autor Yaak Karsunke jedoch auch die Parallele zur eigenen Theaterarbeit, in offensichtlich großer Identifikation mit der tatsächlichen praktischen Arbeit der Schauspieler*innen: „ Ähnliche Erwartungen wie die höfische Gesellschaft ihrem Dichter, bringt die bürgerliche Gesellschaft ihrem Theater entgegen. [. . .] Wir füllen die bereitgestellten Rollen aus und erfreuen mit kunstvollen Verrenkungen und Verkrampfungen den Blick der Mächtigen. “ (Canaris, Goethe u. a.: Torquato Tasso, S. 135). 24 Clever zitiert nach Erich Emigholz, „ 30 Fragen zum Bremer ‚ Tasso ‘“ , in: Canaris Goethe u. a.: Torquato Tasso, S. 150 f. Auch die anderen Schauspieler*innen, besonders Werner Rehm (vgl. S. 141 - 144), äußerten sich ausführlicher kritisch und selbstkritisch über die Beschneidung der eigenen Fähigkeiten und Wünsche als Schauspieler*in (etwa, in gesellschaftlichen und historischen, nicht nur privat-psychologischen Zusammenhängen zu denken). 25 Ebd., S. 151. 26 Vgl. ebd., u. a. S. 140 sowie Claus Bremer u. a., „ Probennotizen zur Bremer Arbeit an Aristophanes/ Bremer ‚ Frauenvolksversammlung ‘“ als Teil der „ Materialien zur Kollektivarbeit im Theater “ , in: Theater heute April (1969), S. 23 - 24. 27 Canaris, Goethe u. a.: Torquato Tasso, S. 155. 28 Ebd., S. 141 und S. 144. 29 Die Mitbestimmungsversuche an verschiedenen Theatern der BRD bspw. wurden spätestens um 1980 bzw. werden im medialen Diskurs sowie von früheren Protagonist*innen immer wieder als „ gescheitert “ bezeichnet; grundsätzlich wäre zu fragen, in welcher Form von „ Erfolg “ - in Bezug auf das Ziel der Transformation bestimmter Machtstrukturen etwa - gesprochen werden könnte. 30 „ Kritik ist immer die Kritik einer institutionalisierten Praxis, eines Diskurses, einer Episteme, einer Institution, und sie verliert ihren Charakter in dem Augenblick, in dem von dieser Tätigkeit abgesehen wird und sie nur noch als rein verallgemeinerbare Praxis dasteht. “ (Judith Butler, „ Was ist Kritik? Ein 110 Anna Volkland Essay über Foucaults Tugend “ , zuerst 2001, in: Rahel Jaeggi und Tilo Wesche (Hg.), Was ist Kritik? , 3. Aufl., Frankfurt a. M. 2013, S. 221.) 31 Michael Foucault, Dispositive der Macht, Berlin 1978, S. 17; zitiert nach Aggermann Theater als Dispositiv, S. 119. Die Unschärfe zwischen ‚ Schauspieler*innen ‘ und ‚ Theaterschaffenden ‘ muss ich an dieser Stelle bestehen lassen. Tatsächlich wandelte sich die Rolle Ersterer u. a. durch das sich herausbildende (später) sog. ‚ Regietheater ‘ . 32 Vgl. hierzu u. a. Dorothea Kraus, „ Zwischen Selbst- und Mitbestimmung: Demokratisierungskonzepte im westdeutschen Theater der frühen siebziger Jahre “ , in: Ingrid Gilcher-Holtey, Dorothea Kraus und Franziska Schößler (Hg.), Politisches Theater nach 1968. Regie, Dramatik und Organisation, Frankfurt a. M. 2006, S. 125 - 152. 33 Vgl. Johler und Sichtermann 1968 nach Henning Rischbieter, Theater im Umbruch. Eine Dokumentation aus ‚ Theater heute ‘ . Herausgegeben und eingeleitet von Henning Rischbieter, München 1970, S. 130 und S. 136 ff. Zur von Friedrich Nietzsche vertretenen Idee eines notwendigen „ Verlassens der Stadt “ , um einen Standpunkt der Neubewertung des Gewohnten einnehmen zu können, vgl. Martin Saar, „ Die Kunst, Abstand zu halten. Überlegungen zur Logik der Sozialkritik “ , in: Texte zur Kunst 70 (2008), S. 40 - 50. 34 Peter Iden, Die Schaubühne am Halleschen Ufer (1970 - 1979), München, Wien 1979, S. 31. 35 Vgl. zur Frage der unklaren Herkunft des Begriffs „ Institutional Critique “ u. a. Isabelle Graw, „ Jenseits der Institutionskritik. Ein Vortrag im Los Angeles County Museum of Art “ , in: Texte zur Kunst 59 (2005), S. 40 - 53, oder Andrea Fraser, „ From the Critique of Institutions to an Institution of Critique “ , in: Artforum International Magazine Vol. 44, Iss. 1, New York 2005, S. 278 - 285. 36 Andrea Fraser, „ Was ist Institutionskritik? “ , übers. v. André Rottmann, in: Isabelle Graw, Helmut Draxler und André Rottmann (Hg.), Erste Wahl. 20 Jahre „ Texte zur Kunst “ , 2. Dekade, Hamburg 2011, 73 f. 37 Ebd., 74 f. 38 Ebd., 75. 39 Ebd., 73 und 75. 40 Stefan Nowotny, „ Anti-Kanonisierung. Das differenzielle Wissen der Institutionskritik “ , in: Stefan Nowotny und Gerald Raunig, Instituierende Praxen. Bruchlinien der Institutionskritik, Wien 2008, S. 14. Vgl. auch Nowotny 2008, S. 11 zum paradoxen Widerspruch, eine institutionskritische (Kunst-) Praxis im Rahmen der eigenen (kunst)wissenschaftlichen institutionellen Praxis festschreiben, einordnen und bewerten, sprich kanonisieren zu wollen. Die Monographie Institutionskritik als Methode. Hegemonie und Kritik im künstlerischen Feld (2016) von Sønke Gau argumentiert ebenso: „ Institutionskritik als Methode beschränkt sich nicht mehr nur auf das künstlerische Feld, sondern greift auf andere gesellschaftliche Felder über, um so ein erweitertes Spektrum an Handlungsoptionen zu gewinnen. “ (Buchrückentext, Verlagsmeldung). 41 Wenn etwa Matthias Warstat in seinem Vortrag „ Wie man gegen sich selbst protestiert. Institutionelle Kritik im Theater “ im Rahmen der Berliner Ringvorlesung „ The Art of Protest “ (April 2015) definiert, unter „ institutioneller Kritik “ werde „ eine Kunstrichtung verstanden, die sich bemüht, die Reflexion über die institutionellen Bedingungen von Kunst zum integralen Bestandteil von ästhetischer Erfahrung zu machen “ , erscheint mir dies sehr eng gegriffen - zumal, wenn er nach dem „ Wert dieses Impulses für das Theater “ fragend anmerkt, „ dass diese Kritik nicht automatisch in Werke und Aufführungen einging; dass es im Theater nur wenige verstanden haben, eine Kritik an der Institution tatsächlich in der ästhetischen Erfahrung wirksam werden zu lassen. “ (S. 24 f des unveröffentlichten Vortragsmanuskripts.) 42 Der hier angesprochene Konflikt wird von Theaterschaffenden an vielen Stellen (und bis heute) reflektiert (für das in diesem Aufsatz nicht berücksichtigte Theater in der DDR vgl. etwa Petra Stuber, Spielräume 111 Institutionskritik im Stadttheater der BRD nach 1968 und Grenzen. Studien zum DDR-Theater, 1998, S. 225 ff). Präzise formuliert hat ihn Fraser: „ Das offensichtliche, hartnäckige und, wie es scheint, immer größer werdende ‚ Nicht-Zusammendenken ‘ (mis-alignment) zwischen den legitimierenden Diskursen [der Kunstinstitutionen, A. V.] - vor allem hinsichtlich ihrer kritischen Ansprüche - und den gesellschaftlichen Bedingungen der Kunst erschien mir als zutiefst und oft auf schmerzliche Weise widersprüchlich, wenn nicht gar unredlich. “ Nach Fraser: „ Über das die soziale Welt sprechen . . . “ , übers.: Karl Hoffmann, Vortrag gehalten auf dem Symposium „ Wo stehst du, Kollege? ", Berlin, HAU 1, Dezember 2010, in: Texte zur Kunst 81 (2011), S. 88. 43 Zu diesen Fragen ließen sich sehr viele (sowohl theoretische als auch künstlerische) Referenzen nennen. Einen interessanten (institutionskritischen) Diskussionsbeitrag mit Blick auf theatrale Aktionsformen bietet etwa Holger Kube Ventura, „ Gegen Kunsttheorie. Zur Frage nach dem politischen Charakter von Kunst “ , in: Leonhard Emmerling, Ines Kleesattel (Hg.), Politik der Kunst. Über Möglichkeiten, das Ästhetische politisch zu denken, Bielefeld 2016, S. 199 - 210. 112 Anna Volkland Theaterwissenschaft als ethopoietische ‚ feedback-Schleife ‘ . Überlegungen zu einer disziplinären ‚ Sorge um sich ‘ anhand von Gasparo Angiolinis Marionettenballett 1 Marcel Behn (Bern) Nicht das kritische Potenzial theatraler Prozesse und die Modi seiner Entfaltung, sondern das poietische Moment selbstkritisch verfahrender Theatergeschichtsschreibung steht im Fokus dieses Beitrags, der sich mit dem bislang kaum beachteten Marionettenballett (1762) des Ballettreformers Gasparo Angiolini befasst. Als paradigmatisches Beispiel für die weitläufige Indifferenz der Tanz- und Theaterwissenschaft gegenüber figurentheatralen Phänomenen gibt dieses Ballett Anlass zur Hinterfragung fachimmanenter Phänomenhierarchien und Exklusionsmechanismen. Der Beitrag erbringt zum einen den quellengestützten Nachweis, dass die musikhistoriografische Forschung zu Johann Adolf Hasses dramma per musica Il trionfo di Clelia, in welches Angiolinis Marionettenballett inszenatorisch eingelassen war, betreffend Auswahl, Nachweis und Deutung des herangezogenen Quellenmaterials korrekturbedürftig ist. Zum anderen wird diese Praxis der quellengestützten Überprüfung historiografischer Narrative selbst zum Gegenstand methodologischer Reflexion, indem sie als eine fallibilistisch operierende Form theaterwissenschaftlicher Ethopoiesis, d. h. als Modus einer disziplinären ‚ Sorge um sich ‘ theoretisiert wird. 2 Gasparo Angiolinis Marionettenballett: Ein forschungsgeschichtlicher Überblick Ausgangspunkt meiner Recherche zum Marionettenballett bildete Sibylle Dahms ’ Erwähnung desselben in einem von ihr kompilierten und als „ Sonde für die Spurensuche “ 3 beschriebenen Titelkatalog des choreografischen Repertoires dreier Ballettreformer. Zum Œ uvre eines dieser Reformer, Gasparo Angiolini 4 , zählt Dahms ein Marionettenballett, für das sie Werknummer (35), Ort (Wien) und Jahresdatum (1762) der Uraufführung angibt. 5 Aus welcher Feder die musikalische Komposition stammt, zu der dieses Ballett aufgeführt wurde, geht aus dem Eintrag nicht hervor. Einen Quellennachweis oder sonstige Hinweise, die eine zielgerichtete Folgerecherche zu diesem Ballett ermöglichen würden, beinhaltet dieser umfassende Titelkatalog nicht. Erst die Lektüre eines 1923 veröffentlichten Aufsatzes des Musikhistorikers Robert Haas lieferte einen konkreten Ansatzpunkt für die weitere Suche nach Quellenmaterialien. Er schreibt: Zinzendorf erwähnt aus diesem Jahr [1762] auch ein Ballet ‚ Cleopatra ‘ , das Angiolini 1780 in Mailand wiederholte. Wir hören von ihm auch, daß in Hasses ‚ Clelia ‘ ein Marionettenballet eingefügt war, worin man die Armee Porsennas darstellte, die in der Ferne militärische Bewegungen machte. 6 Haas bezieht sich hier - ohne expliziten Quellennachweis - auf den Tagebucheintrag Karl Graf von Zinzendorfs vom 1. Mai 1762, der über eine am Schlosstheater Schönbrunn aufgeführte Vorstellung von Johann Adolf Hasses dramma per musica Il trionfo di Clelia 7 schreibt: „ L ’ Opera fut bien éxécuté, on y a mis du nouveau c.[ ’ est] a. d.[ire] que Forum Modernes Theater, 31/ 1-2 (2020), 113 - 122. Gunter Narr Verlag Tübingen DOI 10.2357/ FMTh-2020-0010 durant le premier ballet des marionettes representant l ’ armée de Porsenna faisaient dans le lointain des evolutions militaires. “ 8 Haas ’ Hinweis auf den Aufführungskontext von Gasparo Angiolinis Marionettenballett erweist sich für eine erste theaterhistorische Einordnung desselben durchaus als hilfreich. Denn unabhängig zunächst davon, dass es sich hierbei spezifisch um ein Marionettenballett handelt, ist festzuhalten, dass es der damaligen Aufführungspraxis durchaus (noch) entsprochen hat, dass dieses in ein dramma per musica eingefügt gewesen ist, entwickelte sich das Handlungsballett als Genre doch erst Mitte des 18. Jahrhunderts vom integralen Bestandteil musiktheatraler Aufführungen zur eigenständigen Kunstform. 9 Jedoch ist Haas ’ Hinweis vor allem deshalb interessant, weil er eine zielgerichtete Suche nach weiteren Primärquellen zum Marionettenballett im musikhistoriografischen Diskurs zu Il trionfo di Clelia nahelegt. Bei näherer Betrachtung jedoch erweist sich dieser Diskurs aufgrund der deutlichen Disparität, die zwischen einzelnen Forschungsarbeiten hinsichtlich Auswahl, Deutung und Nachweis des jeweils herangezogenen Quellenmaterials besteht, als korrekturbedürftig. So konstatiert zum Beispiel die Musikwissenschaftlerin Alina Ż órawska- Witkowska - ebenfalls ohne hierfür einen Quellenbeleg zu liefern - , Il trionfo di Clelia, uraufgeführt am 27. April 1762 am Burgtheater Wien, sei bis einschließlich 25. Juni 1762 noch neunmal in Wien aufgeführt worden. 10 Die Kongruenz ihrer Angabe mit derjenigen Gustav Zechmeisters, der sich auf die im ehemaligen Wiener Hofkammerarchiv aufbewahrten Theatralkassenrechnungen selbigen Jahres stützt, 11 lässt dabei zumindest vermuten, dass sie sich auf diesen beruft. Denn auch Zechmeister stellt fest: „ Die Oper in drei Akten wurde bis zum 25. Juni neunmal wiederholt. “ 12 Diesbezüglich zu erwähnen ist allerdings zum einen, dass Zechmeister sich nur auf die erste Quartalsrechnung der Theatralkassenrechnungen bezieht (bzw. überhaupt beziehen kann, da die zweite Quartalsrechnung nicht überliefert ist) 13 , die eben nur den Zeitraum vom 10. April bis 25. Juni 1762 umfasst. 14 Spätere Vorstellungen wären also aufgrund dieser zeitlichen Eingrenzung bei seiner Zählung unberücksichtigt geblieben. Eine Überprüfung der von Zechmeister herangezogenen Quartalsrechnung ergab jedoch zum anderen, dass die von ihm behauptete Aufführungsanzahl gar nicht anhand dieser Quelle ermittelbar ist, da diese zwar die Theatereinnahmen und -ausgaben des genannten Zeitraums erfasst, nicht aber zusätzlich die Aufführungsanzahl bestimmter Produktionen. Es bleibt also unklar, wie Zechmeister zu dieser Aussage gelangt. Hingegen gibt der Musikwissenschaftler Gerhard Croll mit einem zwar vorhandenen, für Fachfremde aber im Grunde völlig unspezifischen Verweis auf eine „ Statistik des Repertoire-Verzeichnisses “ an, Il trionfo di Clelia sei in seiner Wiener Fassung insgesamt 21-mal aufgeführt worden. 15 Mit „ Repertoire-Verzeichnis “ meint er dabei das von Philipp Gumpenhuber handschriftlich verfasste Repertoire de tous les Spectacles qui ont été donné au Theatre près de la Cour [. . .] depuis le 1. r Janvier jusqu ’ au 31 Dec 1762, wobei Gumpenhuber tatsächlich 21 Vorstellungen dieser Oper zählt. 16 Bezeichnend für die ungenaue musikhistoriografische Aufarbeitung von Il trionfo di Clelia ist auch folgender Zusammenhang. Der bereits erwähnte Robert Haas berichtet in seiner Monografie Gluck und Durazzo im Burgtheater vom Schauspieler und Dichter Louis Dancourt, der auf Anraten seines Freundes Charles Favart nach Wien übersiedelte und diesem in einem Brief seine ersten Eindrücke der ihm neuen Stadt schilderte. 17 Der Brief, auf den sich Haas dabei stützt, ist im Original in französischer Sprache verfasst und eindeutig auf den 25. April 114 Marcel Behn 1762 datiert, also zwei Tage vor der Uraufführung von Il trionfo di Clelia. 18 In diesem Brief, so Haas, schreibt Dancourt von einer „ Oper des berühmten Hasse “ 19 , die er gesehen habe. In einer Endnote vermerkt Haas diesbezüglich, Dancourt meine damit „ [w]ohl Metastasios trionfo di Clelia “ , wobei er hinzufügt: „ Dann wäre das Datum des Briefes der 28. April. Allerdings spricht Dancourt von einer Wiederholung. “ 20 Es entbehrt nicht der Komik, dass Haas Dancourt unterstellt, sich bei der Datierung seines eigenen Briefs um ganze drei Tage geirrt zu haben. Indes, dieser Irrtum gründet in einem Übersetzungsfehler, da Haas das französische Verb „ répéter “ 21 mit ‚ wiederholen ‘ statt mit ‚ proben ‘ wiedergibt. Dem Musikwissenschaftler Bruce Alan Brown unterläuft dieser Übersetzungsfehler zwar nicht, 22 dafür jedoch ein Unterlassungsfehler - den er wiederum mit Haas teilt. Ihre jeweilige Unterlassung besteht darin, den Inhalt des Briefs entweder nicht überprüft oder in Bezug auf diesen nicht deutlich gemacht zu haben, dass Dancourt darin dem Wortlaut nach gar nicht über Il trionfo di Clelia spricht. Sondern, Dancourt schreibt: „ [. . .] le célèbre Hazze a fait hier répéter un opéra de sa composition: c ’ est le Poème de famille de Mostalazio. “ 23 Theaterwissenschaft als ethopoietische ‚ feedback-Schleife ‘ Damit sind nun zwar einige Unstimmigkeiten im historiografischen Diskurs zu Johann Adolf Hasses dramma per musica Il trionfo di Clelia benannt, jedoch noch nichts Näheres über Gasparo Angiolinis Marionettenballett an sich gesagt worden - ein Umstand, der zum jetzigen Zeitpunkt auch nicht zu beheben ist, da sich das ursprüngliche Interesse, in diesem Diskurs Hinweise auf weitere Primärquellen zum Marionettenballett zu finden, bislang nicht einlöste. Insofern ist auch die Bedeutung des betreffenden Tagebucheintrags Zinzendorfs als die einzige bislang bekannte historische Erwähnung dieses Balletts kaum zu überschätzen. 24 Weshalb aber ist dieses Ballett dann überhaupt von theaterbzw. tanzwissenschaftlichem Interesse? Und welchen nennenswerten Beitrag leistet eine so spitzfindige Auseinandersetzung mit der musikhistoriografischen Tradierung von Il trionfo di Clelia für die Tanz-bzw. Theaterwissenschaft? Das Marionettenballett ist, in konstativer Beantwortung der ersten Frage, als Gegenstand theaterbzw. tanzwissenschaftlicher Forschung von zweifacher Relevanz. Zum einen ist es von historischer Bedeutung, weil dessen weitere Erforschung erkenntnisreich wäre sowohl in Hinblick auf das Verhältnis zwischen den theoretisch formulierten Ansprüchen Angiolinis und den historisch bedingten Grenzen ihrer praktischen Umsetzung, 25 als auch hinsichtlich der Frage, ob es sich bei diesem Ballett um eine ästhetische Singularität 26 oder eben doch um ein generisches 27 Phänomen handelte. Und zum anderen ist das Marionettenballett von fachlicher Bedeutung, weil es ein paradigmatisches Beispiel für das Desiderat der noch unerforschten historischen Interferenzen zwischen Figurentheater und Tanz auf diskursiver und ästhetischer Ebene darstellt, 28 und damit zugleich synekdochisch für die weitläufige Indifferenz der Theater- und Tanzwissenschaft gegenüber figurentheatralen Phänomenen als eindeutig in deren disziplinären Zuständigkeitsbereich fallende Untersuchungsgegenstände steht. Angiolinis Marionettenballett ist also auch deshalb interessant, weil es zur Hinterfragung jener implizit operativen Phänomenhierarchien und Exklusionsmechanismen Anlass gibt, die die tanz- und theaterwissenschaftliche Forschung durchziehen. Die Beantwortung der zweiten Frage ist etwas längeren Umfangs und wird reflexiv über eine Methodendiskussion erläutert. 115 Theaterwissenschaft als ethopoietische ‚ feedback-Schleife ‘ Die in vorliegendem Aufsatz geleistete Überprüfung und - bei aller Wertschätzung der individuellen Forschungsarbeiten, auf die sich dieser Beitrag stützt - Korrektur der musikhistorischen Tradierung von Il trionfo di Clelia nach den derzeit bekannten Quellen steht unter dem Vorzeichen des Kritischen Rationalismus Karl Poppers. Popper identifiziert, in Auseinandersetzung mit der Frage nach den Möglichkeitsbedingungen des Erkenntnisgewinns und der Wissensakkumulation, zwei Grundprobleme der Erkenntnistheorie: das Induktionsproblem und das Abgrenzungsproblem. 29 Zur Beseitigung ersteren Problems schlägt er die Methode der Irrtumseliminierung, zur Auflösung zweiteren Problems das Kriterium der empirischen Prüfbarkeit von Aussagen vor. 30 Aus diesen Überlegungen heraus beschreibt Popper, dessen erkenntnistheoretische Position als fallibilistisch bezeichnet wird, 31 die allen Wissenschaften gemeinsame Methode als grundsätzlich aus einem „ Wechselspiel von Hypothesenkonstruktion und kritischer Prüfung “ 32 bestehend, wobei aus diesem Spiel austritt, wer wissenschaftliche Aussagen als endgültig verifiziert und der weiteren Überprüfung für unnötig erachtet. 33 Die Entscheidung, an diesem Spiel teilzunehmen und die dafür erforderliche „ Bereitschaft zur bewußten, kritischen Irrtumseliminierung “ 34 aufzubringen, ist dabei letztlich eine Frage der moralischen Verantwortung. 35 Auf diesen Punkt wird noch zurückzukommen sein. Vor diesem Hintergrund zeichnet sich die fachimmanente Bedeutung kritisch (im Sinne des Kritischen Rationalismus) betriebener Theatergeschichtsschreibung langsam ab. Durch sie lassen sich vermeintlich gesicherte Faktenlagen und scheinbare historische Gewissheiten überprüfen sowie Fehltradierungen und Leerstellen in der theaterhistorischen Forschung identifizieren und korrigieren - und zwar stets in der Gewissheit, selbst einmal dieser fallibilistischen Bewegung zum Opfer zu fallen. Diese Bewegung als rein destruktiv zu betrachten, griffe jedoch zu kurz, denn sie ist immer auch ein potenziell poietischer Akt insofern, als sie zur Konstituierung neuer Forschungsgebiete und Untersuchungsgegenstände beitragen kann. Kritisch betriebener Theatergeschichtsschreibung ist gerade deshalb auch eine fachkritische Dimension inhärent, da sie das Selbstverständnis der Tanz- und Theaterwissenschaft, welche sich nicht nur, aber immer auch über ihre Untersuchungsgegenstände und tradierten Narrative definiert, zur Disposition stellt. Aus diesem Grund ist sie mehr als nur eine Form von Geschichtsschreibung. Sie ist vielmehr Modus - in methodologischem wie ontologischem Sinn - 36 einer disziplinären ‚ Sorge um sich ‘ 37 (nach Michel Foucault), und zwar dergestalt, dass eine kritisch eingestellte und verfahrende Theaterwissenschaft sich erkennend und damit potenziell transformierend zu sich selbst verhält. Um den genauen Mechanismus dieser disziplinären ‚ Sorge um sich ‘ näher zu erläutern, sei zunächst auf eine Gemeinsamkeit Poppers und Foucaults hingewiesen. Diese besteht in ihrer jeweiligen Bestimmung des Verhältnisses von Subjekt und Wissen (Popper) bzw. Subjekt und Wahrheit (Foucault) als reziprokes. Popper geht von der Annahme einer produktiven, wechselseitigen Rückkopplung von Subjekt und Wissen aus, die - durch bewusste Selbstkritik verstärkt - das Subjekt zu ständiger Selbsttranszendenz befähige. 38 In dieser Theorie Poppers, derzufolge das Subjekt durch autogene Selbstkritik stets über sich selbst hinauswachsen könne, sieht Hans Albert deshalb auch den „ Entwurf einer Lebensweise “ 39 begründet. Als eine ebensolche Lebensweise betrachtet Foucault wiederum die unter der Formel epimeleia heautou ( „ Sorge um sich selbst “ ) subsumierten antiken Selbstpraktiken der Introspektion, 40 deren Spezifität - im Gegensatz zur Objekt- 116 Marcel Behn erkenntnis cartesianischen Gepräges, die auf der Annahme beruht, das vernunftbegabte Subjekt erkenne Wahrheit, ohne durch diese selbst verändert zu werden - in der Annahme eines wechselseitigen Bedingungsverhältnisses zwischen Seinsmodifikation und Wahrheitszugang besteht. 41 Popper und Foucault betonen also beide die auf bestimmten Selbstpraktiken - hier: die Praxis der kritischen (Selbst-)Prüfung - beruhende Gleichzeitigkeit von Wissens- (bzw. Wahrheits-) und Subjekttransformation. Dieses von Popper und Foucault identifizierte, reziproke Verhältnis zwischen Subjekt und Wissen (bzw. Wahrheit) stellt dabei ein durchaus geeignetes Modell zur näheren Bestimmung des Verhältnisses zwischen der Tanzbzw. Theaterwissenschaft und ihrer Wissensbestände dar. Insofern es sich bei der fallibilistisch verfahrenden Theatergeschichtsschreibung um eine Form der selbstkritischen Überprüfung ihrer eigenen Erkenntnisse und damit um einen Modus der disziplinären ‚ Sorge um sich ‘ handelt, konstitutiert sich - so werde ich abschließend argumentieren - die Theaterwissenschaft in und durch diesen Modus als ethopoietische ‚ feedback-Schleife ‘ 42 . In seinem Aufsatz „ Ethopoiesis: Foucault ’ s Late Ethics and the Sublime Body “ demonstriert James Lee, wie Foucault in seinem Spätwerk - anders als in seinen am Wechselverhältnis von Wissen und Macht interessierten früheren Arbeiten - 43 den Prozess der Subjektbildung als einer ästhetischen Logik folgend theoretisiert, 44 der zufolge sich das Subjekt durch Schreiben selbst hervorbringt. Diesen über den Akt des Schreibens geschalteten Prozess der Subjektbildung belegt Foucault mit dem Begriff der Ethopoiesis, wobei der Austragungsort dieser Ethopoiesis der Körper ist. 45 Gemeint ist damit, dass vom Subjekt gelesene Texte von diesem zu eigen gemacht, ja buchstäblich einverleibt werden, indem sie sich über die für die Ethopoiesis konstitutiven Verfahren des Transkribierens und Neuschreibens in den Körper des schreibenden Subjekts einschreiben. 46 Das Subjekt tritt so schreibend in ein reflexives, objektivierendes Verhältnis zu sich selbst und unterwandert so die cartesianische Trennung zwischen Text und Subjekt. 47 Der Akt des reflexiven Schreibens erschöpft sich allerdings niemals in reiner Selbstreflexivität. Vielmehr setzt sich das Subjekt schreibend und als Schreibendes ins Verhältnis zu anderen. 48 Foucault geht dabei (am Beispiel des persönlichen Briefs als spezifisches Genre von Schrifterzeugnis) 49 davon aus, dass sich die physische Präsenz des Subjekts durch das Schreiben im Text rematerialisiert und so eine face-to-face Kommunikation mit der/ m/ n jeweils adressierten Anderen ermöglicht. 50 Dieses von James Lee herausgearbeitete Foucaultsche Verständnis schriftbasierter Kommunikation als ethopoietische ‚ feedback-Schleife ‘ , in der sich Subjekte durch die Inkorporation und Neuschreibung fremden Schriftguts schreibend in ein reflexives und zugleich transformatives Verhältnis zu sich selbst und Anderen setzen, weist eine frappierende Ähnlichkeit zu Erika Fischer- Lichtes Konzept der ‚ autopoietischen feedback-Schleife ‘ 51 als konstitutives Moment der Kommunikationssituation theatraler Aufführungen auf. Denn auch Fischer-Lichte geht davon aus, dass „ [d]as Wirken der autopoietischen feedback-Schleife [. . .] die Vorstellung vom autonomen Subjekt [negiert]. “ 52 Sie [die autopoietische feedback-Schleife] setzt den Künstler wie generell alle Beteiligten vielmehr als ein Subjekt voraus, das immer sowohl andere/ s bestimmt als auch sich von anderen/ m bestimmen läßt; sie widerspricht der Vorstellung von einem Subjekt, das kraft eigenen freien Willens souverän entscheidet, was es tun und was es lassen will, das sich unabhängig von anderen und von externen ‘ Handlungsanweisungen ’ frei entwerfen kann als derjenige, der es sein will. 117 Theaterwissenschaft als ethopoietische ‚ feedback-Schleife ‘ [. . .] Die wahrnehmbare Autopoiesis der feedback-Schleife [. . .] eröffnet allen Beteiligten die Möglichkeit, sich im Verlauf der Aufführung als ein Subjekt zu erfahren, das Handeln und Verhalten anderer mitzubestimmen vermag und dessen eigenes Handeln und Verhalten ebenso von anderen mitbestimmt wird, als ein Subjekt, das weder autonom noch fremdbestimmt ist und das Verantwortung auch für eine Situation trägt, die es nicht geschaffen hat, in die es jedoch hineingeraten ist. 53 Diese von Fischer-Lichte beschriebene Verflechtung von Subjektbildung und Verantwortung in der Kommunikationssituation der Aufführung ist für die als ethopoietische ‚ feedback-Schleife ‘ verstandene Kommunikationsituation der Theaterwissenschaft ebenso konstitutiv. Denn als Körperschaft bringt sich die Theaterwissenschaft schreibend selbst hervor, wobei diesen ethopoietischen Prozess aufrechtzuerhalten die Bereitschaft zu konsequenter kritischer (Selbst- )Prüfung und damit zur Annahme moralischer Verantwortung nicht nur für das eigene Schreiben, sondern auch für das Schriftgebäude, das die Theaterwissenschaft gesamthaft konstituiert und auf welches im eigenen Schreiben fortwährend Bezug genommen wird, voraussetzt. Nur in der ständigen Aneignung, Überprüfung, Reiteration und - wo nötig - Modifikation bisheriger Forschungsergebnisse im Modus kritischer Geschichtsschreibung, wie sie hier am Beispiel eines scheinbar belanglosen Marionettenballetts demonstriert wurde, kann die Theaterwissenschaft eine Arbeit an sich selbst vollziehen. Anmerkungen 1 Ich danke Irene Brandenburg für ihre wertvollen Quellenhinweise sowie für ihre Durchsicht einer früheren Version dieses Beitrags. 2 Die Auseinandersetzung mit diesem Ballett erfolgt im Rahmen des vom Schweizerischen Nationalfonds (SNF) geförderten Forschungsprojekts Offene Manipulation. Figurentheater als Movens spartenübergreifender Theater-, Tanz- und Musiktheaterforschung am Institut für Theaterwissenschaft der Universität Bern (Laufzeit: 01. 10. 2016 bis 30. 09. 2019; Leitung: Beate Hochholdinger- Reiterer, Christina Thurner, Andi Schoon). Ziel dieses Projekts ist es unter anderem, figurentheatrale Phänomene als Untersuchungsgegenstände der Theaterwissenschaft aufzuwerten. 3 Sibylle Dahms, „ Das Repertoire des ‚ Ballet en action ‘ . Noverre - Angiolini - Lauchery “ , in: Wolfgang Gratzer und Andrea Lindmayr (Hg.), De Editione Musices. Festschrift Gerhard Croll zum 65. Geburtstag, Laaber 1992, S. 125 - 142; hier S. 127. 4 Gasparo Angiolini, mit bürgerlichem Namen Domenico Maria Angiolo Gasparini (*09. 02. 1731 Florenz, † 16. 02. 1803 Mailand), war Tänzer, Choreograf, Komponist, Tanztheoretiker und - neben Jean Georges Noverre - der wichtigste Vertreter der sogenannten Ballettreform des 18. Jahrhunderts. Vgl. Irene Brandenburg, „ Angiolini, Gasparo “ , in: Annette Hartmann und Monika Woitas (Hg.), Das große Tanzlexikon. Tanzkulturen - Epochen - Personen - Werke, Laaber 2016, S. 20. 5 Vgl. Dahms, „ Das Repertoire des ‚ Ballet en action ‘“ , S. 137. 6 Robert Haas, „ Die Wiener Ballet-Pantomime im 18. Jahrhundert und Glucks Don Juan “ , in: Studien zur Musikwissenschaft 10 (1923), S. 6 - 36; hier S. 26. 7 Über Entstehung und Handlung von Il trionfo di Clelia sagt Klaus Hortschansky: „ Anfang 1762 erhielt Metastasio von Kaiserin Maria Theresia den Auftrag, zur bevorstehenden Entbindung der Erzherzogin Isabella von Parma, der Gemahlin des nachmaligen Kaisers Joseph II., ein Dramma per musica zu schreiben, [. . .]. Mit der Wahl des Stoffs sollte eine Frau verherrlicht werden, der nach Metastasios [. . .] Worten ‘ die Bewunderung und die Liebe der Götter und Sterblichen dieser Gegend ’ zuteil geworden 118 Marcel Behn ist. Gleichzeitig thematisiert die Auseinandersetzung zwischen dem etruskischen König Porsenna und Rom die hinter der Heirat Parma/ Wien zwischen den Habsburgern und den spanischen Bourbonen stehende politische Frage um die Einflußbereiche in Italien und vielleicht auch die vergebliche Belagerung der von Reichstruppen und Österreichern verteidigten Stadt Dresden durch König Friedrich II. von Preußen im Sommer 1760. Der Stoff geht dabei auf die [. . .] Legende von der tapferen Verteidigung der Tiberbrücke durch Horatius Cocles und der mutigen Flucht Cloelias aus der Geiselhaft Porsennas zurück. “ Klaus Hortschansky, „ Il trionfo di Clelia “ , in: Karl Dahlhaus (Hg.), Pipers Enzyklopädie des Musiktheaters, Bd. 2, München 1987, S. 721 - 723, hier S. 721 f. 8 Die Tagebücher Zinzendorfs - aus konservatorischen Gründen nur noch als Digitalisate einsehbar - liegen im Österreichischen Staatsarchiv, Abt. Haus-, Hof- und Staatsarchiv, Signatur: AT-OeStA/ HHStA KA Nachlass Zinzendorf Tagebücher. Dem Verfasser liegt eine Kopie des betreffenden Eintrags vor. Ich danke Melanie Sampayo Vidal vom Walter Benjamin Kolleg der Universität Bern für Ihre Hilfe bei der Entzifferung und Übersetzung dieser von heutiger Orthografie abweichenden, handschriftlich verfassten und darum teils schwer lesbaren Passage. 9 Vgl. Dahms, „ Das Repertoire des ‚ Ballet en action ‘“ , S. 125. Vgl. auch: Gerhard Croll, „ Bemerkungen zum Verhältnis von Opera seria und Ballett im 18. Jahrhundert “ , in: Irene Brandenburg und Elisabeth Richter (Hg.), Gerhard Croll. Gluck-Schriften. Ausgewählte Aufsätze und Vorträge 1967 - 2002, Gluck-Studien, Bd. 4, Kassel 2003, S. 89 - 96. 10 „ L ’ opera ebbe ancora 9 repliche (fino al 25 VI 1762), [. . .]. “ Alina Ż órawska-Witkowska, „ Il Trionfo di Clelia di Johann Adolf Hasse: versione varsaviana “ , in: Alina Ż órawska- Witkowska und Szymon Paczkowski (Hg.): Johann Adolf Hasse in seiner Epoche und in der Gegenwart. Studien zur Stil- und Quellenproblematik. Studia et Dissertationes Instituti Musicologiae Universitatis Varsoviensis, Seria B, Bd. 12, Warschau 2002, S. 83 - 98; hier S. 86. 11 Heute im Österreichischen Staatsarchiv, Abt. Allg. Verwaltungs-, Finanz- und Hofkammerarchiv aufbewahrt, Signatur: AT-OeStA/ FHKA SUS HZAB 365. 12 Gustav Zechmeister, Die Wiener Theater nächst der Burg und nächst dem Kärntnerthor von 1747 bis 1776. Theatergeschichte Österreichs, Bd. 3, Heft 2, Wien 1971, S. 245. 13 Auf Anfrage teilte mir das Österreichische Staatsarchiv, Abt. Allg. Verwaltungs-, Finanz- und Hofkammerarchiv, in einem Schreiben vom 14. 02. 2017 mit, „ dass der genaue Grund für die Lücke in den Theatralkassenrechnungen für den Zeitraum vom 26. Juni 1762 bis einschließlich 24. September 1762 nicht bekannt ist. Es kann sich dabei aber durchaus um Überlieferungsverluste handen, wie sie leider mehrmals in dieser Reihe vorkommen. “ 14 Die erste Quartalsrechnung liegt dem Autor gesamthaft in Kopie vor. 15 Vgl. Gerhard Croll, „ Gluck in Wien - 1762. Zwischen ‚ Don Juan ‘ und ‚ Orfeo ed Euridice ‘“ , in: Irene Brandenburg und Elisabeth Richter (Hg.), Gerhard Croll. Gluck-Schriften. Ausgewählte Aufsätze und Vorträge 1967 - 2002, Gluck-Studien, Bd. 4, Kassel 2003, S. 75 - 83; hier S. 75. 16 Vgl. Philipp Gumpenhuber, Repertoire de tous les Spectacles qui ont été donné au Theatre près de la Cour [. . .] depuis le 1. r Janvier jusqu ’ au 31 Dec 1762, S. 135 (verso). Österreichische Nationalbibliothek, Signatur: Mus.Hs. 34580/ b MUS MAG, http: / / data.onb.ac.at/ rec/ AC14341348 [Zugriff am 09. 03. 2019]. Eine Überprüfung der Zählung Gumpenhubers ergab jedoch, dass sie nicht mit der Zahl der gesamthaft im Repertoire verzeichneten Erwähnungen Clelias (insg. 24) übereinstimmt. Die Diskrepanz lässt sich m. E. auf die Einträge vom 1. Mai (Operntitel nicht ausgeschrieben und deshalb bei der Zählung womöglich übersehen), 3. Juli (eine Probe) und 30. Juli 1762 (ein außerordentliches Konzert an der Accademie de Musique) zurückführen. 119 Theaterwissenschaft als ethopoietische ‚ feedback-Schleife ‘ 17 Vgl. Robert Haas, Gluck und Durazzo im Burgtheater. (Die Opera Comique in Wien), Wien 1925, S. 89 f. 18 Dass Il trionfo di Clelia am 27. April 1762 uraufgeführt wurde, belegen der entsprechende Repertoire-Eintrag Gumpenhubers sowie zwei Rezensionen zur Uraufführung, erschienen im Gazette de Vienne (im Supplement der Ausgabe Nr. 34 vom 28. April 1762: http: / / anno.onb.ac.at/ cgi-content/ ann o? aid=gdv&datum=17620428&zoom=33) und im Wienerischen Diarium (ebenfalls in der Ausgabe Nr. 34 vom 28. April 1762: http: / / anno.onb.ac.at/ cgi-content/ anno? aid= wrz&datum=17620428&zoom=33) [Zugriff am 09. 03. 2019]. 19 Haas, Gluck und Durazzo im Burgtheater, S. 90. 20 Ebd., S. 183. 21 „ [. . .] le célèbre Hazze a fait hier répéter un opéra de sa composition: [. . .]. “ Charles Simon Favart, Mémoires et correspondance littéraires, dramatiques et anecdotiques, Bd. 2. Faksimile-Ausgabe von 1808 [Paris], Genf 1970, S. 264. Dass es sich tatsächlich um eine Probe handelte, bestätigt der entsprechende Repertoire-Eintrag Gumpenhubers. 22 „ Following a rehearsal of Hasse ’ s Il trionfo di Clelia, Dancourt pronounced the orchestra ‘ sublime ’ ; [. . .]. “ Bruce Alan Brown, Gluck and the French Theatre in Vienna, Oxford u. New York 1991, S. 399. 23 Favart, Mémoires et correspondance littéraires, dramatiques et anecdotiques, S. 264. Wie Haas und Brown jeweils zu dem (in Anbetracht des Repertoire-Eintrags Gumpenhubers sicherlich korrekten) Schluss gelangen, hiermit sei Il trionfo di Clelia gemeint, geht aus ihrer Argumentation leider nicht hervor. 24 Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang, dass in der von Maria Breunlich und Marieluise Mader herausgegebenen und kommentierten Ausgabe der Tagebücher Zinzendorfs genau dieser Eintrag vom 1. Mai 1762 elidiert wurde, vgl. Karl Graf von Zinzendorf, Aus den Jugendtagebüchern. 1747, 1752 bis 1763, nach Vorarbeiten von Hans Wagner hrsg. u. komm. von Maria Breunlich und Marieluise Mader, Wien u. a. 1997, S. 282. 25 Dies in der Annahme, Angiolinis Reformbemühungen seien - ähnlich denen seines Kontrahenten Jean Georges Noverres - von „ Inkongruenzen zwischen theoretischem Anspruch und praktischer Realisation “ durchzogen; Sibylle Dahms, Der konservative Revolutionär. Jean Georges Noverre und die Ballettreform des 18. Jahrhunderts, München 2010, S. 155. Eine Gesamtausgabe der tanztheoretischen Schriften Angiolinis wird derzeit von Irene Brandenburger und Sibylle Dahms vorbereitet. 26 Dafür, dass es sich um eine Sonderaufführung handelte, spricht, dass Zinzendorf das Marionettenballett erst (und einzig) mit Bezug auf die Vorstellung von Il trionfo di Clelia am 1. Mai 1762 am Schlosstheater Schönbrunn erwähnt und dabei mit der Formulierung „ on y a mis du nouveau “ (s. oben) explizit auf eine inszenatorische Differenz zur Premiere - die er ebenfalls gesehen hatte (vgl. Zinzendorf Aus den Jugendtagebüchern, S. 282) - aufmerksam macht. 27 Es ist zumindest für den Zeitraum um 1800 überliefert, dass Tänze bzw. Ballette durch Marionetten im Rahmen sog. ‚ Nachspiele ‘ dargestellt wurden, vgl. Lars Rebehn, „ Über das Metamorphosen-Theater. Kleist und die historische Puppenpraxis “ , in: double. Zeitschrift für Puppen-, Figuren- und Objekttheater 26/ 2 (2012), S. 20 - 23. Darüber, ob es Mitte des 18. Jahrhunderts eine vergleichbare Praxis gab, mit denen das Marionettenballett generisch verwandt sein könnte, liegen m. E. bislang keine Untersuchungen vor. 28 Für diese Interferenzen stehen exemplarisch Heinrich von Kleists Über das Marionettentheater sowie Puppenrepräsentationen im Ballett. Bzgl. letzterer meint denn auch Gabriele Brandstetter: „ Ausgehend von E. T. A. Hoffmanns Nachtstück ‚ Der Sandmann ‘ wird der Tanz der Puppe zu einem Paradigma des Balletts in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts, bis in die 1. Hälfte des 20. Jahrhunderts: Coppélia (1870), Nußknacker (1882), Puppenfee (1888), Petruschka (1811) [sic! ], La boîte à joujoux (1921), L ’ enfant et les sortilèges (1925), um nur die 120 Marcel Behn bekanntesten Beispiele zu nennen. “ Gabriele Brandstetter, „ Der Tanz der Statue. Zur Repräsentation von Bewegung im Theater des 18. Jahrhunderts “ , in: Mathias Mayer und Gerhard Neumann (Hg.), Pygmalion. Die Geschichte des Mythos in der abendländischen Kultur, Freiburg i. Br. 1997, S. 393 - 422; hier S. 421. 29 „ Das Induktionsproblem ist die Frage, ob und wann Schlüsse von besonderen Sätzen auf allgemeine Sätze berechtigt sind. Das Abgrenzungsproblem besteht in der Aufgabe, ein Kriterium zu finden, mit dem sich die empirische Wissenschaft einerseits gegenüber Mathematik und Logik, andererseits gegenüber Metaphysik und Pseudowissenschaft abgrenzen läßt. “ Herbert Keuth, Die Philosophie Karl Poppers, Tübingen 2000, S. 27. 30 Vgl. ebd., S. 27. 31 Vgl. ebd., S. 52. Eben aufgrund der fallibilistischen Grundannahme, dass alle Erkenntnis letztlich fehlbar und damit nur vorläufig ist, verhalten sich der Kritische Rationalismus und die neuere, auf konstruktivistischen Annahmen basierende Geschichtsschreibung komplementär zueinander. Denn es wäre ein Missverständnis, die Identifizierung und Offenlegung von Fehlern in der Angabe, Übersetzung und Überprüfung des informationellen Gehalts geschichtlicher Quellen - also Methodenkritik, wie sie hier betrieben wurde - mit der impliziten Formulierung eines Wahrheitsanspruchs gleichzusetzen - ein Anspruch, der seit dem linguistic turn als unhaltbar gilt. In anderen Worten: Die Anerkennung der erkenntnistheoretischen Annahme der unhintergehbar sprachlichen Verfasstheit und Verfügbarkeit von (geschichtlicher) Wirklichkeit hat keinesfalls die Preisgabe methodischer Rigorosität in Form von Richtigkeits- und Objektivitätsansprüchen zur Folge. Vgl. für letztere Ansprüche Peter Borowsky, Barbara Vogel und Heide Wunder (Hg.), Einführung in die Geschichtswissenschaft I: Grundprobleme, Arbeitsorganisation, Hilfsmittel, 5. überarb. u. akt. Aufl., Opladen 1989, S. 18. 32 Jürgen August Alt, Karl R. Popper, 3. vollst. überarb. Aufl., Frankfurt a. M. 2001, S. 42. Herv. i. O. 33 Vgl. Keuth, Die Philosophie Karl Poppers, S. 78. 34 Ebd., S. 388. 35 Vgl. ebd., S. 291. Keuth zufolge leitet Popper hieraus inkonsequenterweise einen Imperativ in Form einer Pflicht zur Fehlerkorrektur ab, vgl. ebd., S. 232. 36 Gemäß der Doppelbedeutung dieses Begriffs als Seins- und Verfahrensweise, vgl. Duden Fremdwörterbuch, 5. neu bearb. u. erw. Aufl., Mannheim u. a. 1990, S. 508. 37 Die Provenienz und Bedeutung dieser Formel werden im Folgenden erläutert. 38 Vgl. Keuth, Die Philosophie Karl Poppers, S. 391. 39 Hans Albert, Traktat über kritische Vernunft, 2. Aufl., Tübingen 1968, S. 41. 40 Vgl. Michel Foucault, Hermeneutik des Subjekts. Vorlesungen am Collège de France (1981/ 82). Übers. v. Ulrike Bokelmann. Frankfurt a. M. 2009, S. 26 f. 41 Vgl. ebd., S. 27, 31, 94 - 97, 240 - 243. Vgl. auch Philipp Sarasin, Michel Foucault zur Einführung, Hamburg 2005, S. 200. 42 Die Bedeutung dieses Begriffs wird im Folgenden erklärt, s. Anm. 51. 43 Vgl. James Lee,: „ Ethopoiesis: Foucault ’ s Late Ethics and the Sublime Body “ , in: New Literary History 44/ 1 (2013), S. 179 - 198, hier S. 182. 44 Vgl. ebd., S. 180. 45 „ The body marks the site of ethopoiesis. “ Ebd., S. 184. 46 „ Transcription and rewriting allow the scholar to repeatedly exercise his body and mind according to the text ’ s parameters. The transcribed text functions as the template that governs the movements and structure of the body. The text regulates how the writer should train and care for this body. After many repetitions of this writing exercise, the text becomes integrated into one ’ s comportment and its most minute reflexes and automatisms. In this model, the writing of a text is the occasion to enter into a productive and regulative relationship with one ’ s physical self. For Foucault, the body can never 121 Theaterwissenschaft als ethopoietische ‚ feedback-Schleife ‘ be complete or ‘ natural ’ without such a constitutive labour of writing. [. . .] For Foucault, a linguistic object regulates the body of the ethical subject. “ Ebd., S. 186. 47 „ Writing turns the subject into its own object. [. . .] The writer cannot grammatically distinguish his status as writing subject from his status as a written object. “ Ebd., S. 194. 48 „ Therefore, if Foucault [. . .] demonstrate[s] that the act of writing establishes the subject ’ s self-reflexive relationship to her own body, the importance of writing is compounded in defining the subject ’ s relation to the other. [. . .] For [. . .] Foucault [. . .], the ethical relation with the other is a mode of poiesis, an ethos defined by the writing practices that reflexively give meaning to the subject ’ s position as subject and as writer in relation to the other. “ Ebd., S. 189. Herv. i. O. 49 Wobei Lee darauf hinweist, dass „ the textual recomposition of the subject is not limited by genre; it matters little if the text produced by the writing subject is a poem, notebook, or letter. It is the work of writing itself, and the conversion of the body into the langauge of the text, that marks the subject ’ s aesthetic nature. “ Ebd., S. 193. 50 „ Foucault insists upon the literal nature of this presence. The letter does not present the writer through description or the summary of information. The letter incarntes the ‘ physical presence ’ and the ‘ real traces ’ of the writer. However, the body of the writer undergoes an important change though the letter. The letter reincarnates the face and body of the writer in the material form of a text. The reader does not gaze upon the living flesh of the writer, but on the writer ’ s body materialized in language. [. . .] What is ‘ real ’ in the letter is not the reality of a living body, but the reality of textual ‘ impressions ’ that gain the status of the body. The writer ’ s ‘ impress ’ converts the body into a textual structure. The letter rematerializes the body as a text. The body ’ s reproduction occurs through the ‘ impress ’ of the writer ’ s hand. The ‘ impress ’ describes the material act of writing the letter, delineating how the writing hand materializes a ‘ face to face ’ encounter between the writer and reader. The movements of the impressing hand ‘ act ’ upon both the writer and reader so as to open up the ‘ face to face ’ encounter between the two. “ Ebd., S. 190 f. 51 Laut Erika Fischer-Lichte „ besteht die mediale Bedingung von Aufführungen in der leiblichen Ko-Präsenz von Akteuren und Zuschauern. “ Erika Fischer-Lichte, Ästhetik des Performativen, Frankfurt a. M. 2004, S. 58. Genau in dieser Ko-Präsenz liegt dabei der autopoietische und zirkelhafte Charakter der Kommunikationssituation zwischen Agierenden und Zuschauenden begründet, denn: „ Was immer die Akteure tun, es hat Auswirkungen auf die Zuschauer, und was immer die Zuschauer tun, es hat Auswirkungen auf die Akteure und die anderen Zuschauer. In diesem Sinne läßt sich behaupten, daß die Aufführung von einer selbstbezüglichen und sich permanent verändernden feedback-Schleife hervorgebracht und gesteuert wird. Daher ist ihr Ablauf auch nicht vollständig planbar und vorhersagbar. “ Ebd., S. 59. Herv. i. O. 52 Ebd., S. 287, Herv. i. O. 53 Ebd., Herv. i. O. 122 Marcel Behn Themenheft: Europe ’ s Staging - Staging Europe herausgegeben von Nicole Haitzinger und Stella Lange Europe ’ s Staging - Staging Europe Nicole Haitzinger (Salzburg) & Stella Lange (Innsbruck) In the context of contemporary performing arts it should, firstly, be stated that theatre is declared as the venue of negotiation for political and social questions and that, secondly, as a consequence, Europe is staged in specified ways; thematic positing such as negotiations of borders, construction of identities or history that weave between fact and fiction are worth mentioning here. It is no coincidence that models of theatre resonate with contemporary playwriting and staging practices where theatre and politics have been articulated explicitly or alternative models of society have been designed. They carry, among others, documentary, historical, commemorative, and utopian features. Transitions from reality to fiction appear blurred, concealed or seemingly definitive. In some cases, contemporary playwriting and staging procedures refer explicitly to historical European theatrical forms such as the Attic tragedy and frequently to the tragic or mournful. This “ (dis)course on Europe ” tested in specific European Countries and particularly at international theatre festivals over the past few years faces, with exceptions, however, a hitherto virtually undifferentiated state of research. The relevance of the topic can also be tracked in a series of recent conferences, newly founded journals, and associations, as well as prominent writers and artists who proclaim their manifestos on theatre and Europe in an avant-garde manner. This edition focuses on those theatrical works that thematically discuss “ Europe ” and its social, political, economic, and cultural questions through a comparative, transnational, or decolonial perspective oriented towards performance analysis. Particular attention is paid to narrative, structural, and aesthetic strategies as well as alterations that the text is subjected to right up to the production and performance on stage. Both aspects should, thus, be taken into account: the relative source text and the theatrical event. More specifically, it begs the question whether theatrical structures, staging practices, and aesthetic parameters initiate a historical reflection on Europe in the context of theatre. With regard to the inquiry of a European or cosmopolitical society, the additional question arises which homogenous or heterogeneous forms of representation can be found for the individual, the group, or community within the theatre and how traditional theatre forms, most notably tragedy, are revisited and undergo a revaluation and update. This is, not least, because the choice of genre, resources, imagery used, and, finally, theatre aesthetics and implication is subject to specific teleological narratives or societal processes of inclusion and exclusion. Europe ’ s Staging: Three Trends in Contemporary Theatre In contemporary theatre, the staging of Europe is to be situated in the complex constellations of politics and aesthetics. If theatre is defined as a practice distinguishable from politics - and we think that in the perspective of theatre, literary studies, and the recognition of numerous historical resonances in the dispositive of a Europeanoriented contemporary theatre, it is imperative in the widest sense - then various trends can be differentiated. We would like to Forum Modernes Theater, 31/ 1-2 (2020), 125 - 129. Gunter Narr Verlag Tübingen DOI 10.2357/ FMTh-2020-0011 introduce three trends briefly that can neither be classified in distinct categories of political or agitational theatre, nor can they be identified with the assertion that in theatre every position, posture, or action/ movement is political per se. (1) Documentary and Investigative Theatre, Documentality, and Forms of Documented Unreliability It is not surprising that the contemporary staging of Europe starts with a revision of documents and their function within different theatrical narratives. The archive of Europe has been grown in size since 1990 and been challenged with transnational narratives and documents from non-European countries - of course not only since the increasing migration to Europe at the end of the 20 th century. Furthermore, the constitution of the archive has changed with the cultural turn that strives to give attention to objects beyond the written paper when thinking only of oral and performative history or the inscription in a global and digital world. Eventually, with the reprise of the new ‘ real ’ or ‘ reality ’ in all arts, documents have become the prioritized reference point. Some producers refer to the genre of ‘ documentary theatre ’ claiming specifically the reference to lived ‘ reality ’ and ‘ truth ’ . Others return to documentary theatre and its last remaining witnesses in order to rewrite national history in a transnational European History. However, as Hito Steyerl and Maurizio Ferraris emphasize with reference to Michel Foucault, the function of document in contemporary arts, in general, rarely lies in mere proof or trustful representation of the presence. On the contrary, in a performative, powerful way, it serves to continue creating this social reality. In migration theatre, where ‘ document ’ also has an existential meaning, similar forms of artistic embedding of documents are possible. Then, documents can even be re-inscribed into precarious bodies exemplifying the crucial question of adequate representation beyond social and media stereotypes. Ultimately, theatre and performances that stage Europe may even rely, in a first step, on investigative strategies but, in a second, on aesthetic realization that emphasize precisely the opposite of their factual nature. (2) Staging Histories in the Plural A second trend in bringing ‘ Europe ’ to the stage is the reflection on Europe ’ s history. Additionally, one can find a reflection about the historiography and development of the European theatre itself. In this way, diverse so-called European classics, especially the Greek tragedy, but also canonical European authors as Shakespeare, or popular European theatre formats like Singspiel are proposed anew and mixed with other motifs. Finally, the rewriting of European history on stage also has consequences for the identity politics of directing: the casting for a multilingual and transcultural equipe that sometimes even reverses gender in order to question Europe ’ s constitutive outside or, when referring also to documentary theatre, that includes witnesses of all ages, sexes, cultures and languages for a ‘ provincializing ’ effect. The critical perspective on former ways of narrating and tackling the history of Europe may consist in a revision of various teleological patterns or focusing on blind spots as, for example, in postcolonial perspectives that emanate from these. In many cases, they refer to some of Europe ’ s haunting “ ghosts ” . These amateurish reproposals of Europe ’ s historiography also question Eurocentric constructions of national identity, opposing it to Transeuropean or Afroeuropean identities. In general, histories of so-called minorities are booming. 126 Nicole Haitzinger/ Stella Lange In historically-oriented stagings we often recognize the reprise of re-enactment as it enables a relational perspective on Europe ’ s past and present at the same time. Hence, reenactment or its utopian form of pre-enactment, can serve as examples for the interweaving of different historical layers. (3) Political Activism in the Context of Theatre and Performance In recent years, an increasing approximation, integration, or appropriation of forms of political activism into European theatre and performance is a third tendency that can be observed. This is to be situated in the wider context of a global rise of protest movements such as the Arab Spring, Occupy, Women ’ s March, Fridays for Futures, etc. Hence, theatre becomes associated with political action in demanding changes in the socio-political realism. Theatre and performance spaces represent political bodies in the sense that theatre makers can be politically active through their works/ stagings. By using their respective aesthetic strategies as forms of resistance or rebellion, art is set as a form of disruption in which aesthetic distance almost dissolves. However, it is exactly this difference between the realm of performative aesthetics and that of politics which marks the potential of theatre as a space for social and political negotiation. It is the capacity of theatre to play, to set a frame in its heterotopian space that may deviate reality through the aesthetic means themselves. Staging performing arts means arranging specific politics of perception which can put tension on cultural norms and change established meanings. Thus, following Jacques Rancière ’ s analysis of the relation between the political and the aesthetic, the distribution and involvement of the senses relates to the fundamental political question of who or what becomes perceptible in a society. Giving space to precarious, unheard voices can be one strategy of politically active performance. Another strategy is transforming or (re-)inventing formats of protest or politics into the realm of theatre. In other words, particles of an activist ‘ aesthetics of uprising ’ can resonate in theatrical ‘ aesthetics of resistance ’ - as well as vice versa - as Hans-Thies Lehmann describes it. The relation between recent aesthetic strategies in European theatre and political activism also becomes evident in questions of being together. This might extend from staged forms of public participation to the creation of temporary spaces for imagining as well as actively experimenting with utopian models of togetherness. While political activism in the context of protest movements is taking place on a global scale, its forms of expression have to be seen as highly specific. The same holds for its theatrical transformations. What becomes political when, where, and with which meaning is fundamentally bound to the historical and cultural context and must, in this sense, always be approached in its very concrete singular manifestation. Interweavings of the Three Aspects in the Articles When it comes to staging Europe in contemporary theatre, factual and putative similarities or contrarieties can be observed according to the authors of this publication. The research perspectives shown in the respective contributions are multifaceted and intertwined. Hence, we would like to present similar exemplary perspectives: first, the reenactment of documents and archives in contemporary theatre; second, the staging of history; and third, performing Europe in forms of protest and resistance. In Singspiel - A Proto-European Phenomenon? A contemporary practice of thea- 127 Europe ’ s Staging - Staging Europe tre, its genealogy and its potentiality, Lorenz Aggermann reevaluates Singspiel as a hybrid artistic performance from a historic perspective. From its beginnings in the 18 th century until its reappearance during the 1990s with artists like Heiner Goebbels, this “ mode of play ” uses a self-reflexive and media-critical manner to (re-)invigorate via opposition to contemporary and disciplinary mechanisms of standardization and normalization, if not even nationalization, on the theatrical stage as well as on a political stage. Looking critically at historical practices in theatre as well as at their immanent cultural archives, one comes to recognize Singspiel ’ s political gesture, namely its interrogation of the relationship to and possible renovation of the normal with the help of the abnormal - that is not necessarily a product of a mere “ European bricolage ” . In Pulse of Europe - Flash Mob - Symphony. Schiller ’ s Ode to Joy and Beethoven ’ s Ninth Symphony as Soundtrack at Public "Stagings" of Europe, Antonia Egel sketches within a historical perspective caesuras of a philosophical-artistic confrontation with the question of how a collective like Europe can grow out of the coming together of individual or rather national states. Beginning with early reflections on a European ‘ fair ’ via Gide's ideas on a possible recovery of an innocent Europe after WW1, the author focuses on Beethoven's Ninth Symphony. By analysing some of the gatherings of the pro-European activist association, Pulse of Europe, it becomes evident that it is actually Beethoven ’ s Ninth Symphony that brings the European concepts of diversity and openness to the fore. The author ’ s argument is that this, and above all the latter, is conceived of as an immanent universal structure - in the interactions between Schiller ’ s lyrics and Beethoven's entire composition that also take into account Europe ’ s inspiring history. In Europe: Resonances of the Mythological Figure in Contemporary Theatre, Nicole Haitzinger shows how Europe resonates as a mythological figure and as an ancient topos in contemporary theatre. For this purpose, the respective historical, mythical, and aesthetic media are related to each other by means of historical references pointing both backwards and forewards. Europa can appear as a mother or warrior (Aeschylus/ Górnicka) or she can resonate in the context of the (white) bull (Ovid/ Castellucci, Linyekula), while as a topos, Europe returns both as a borderland, that is to say as a land of political borders and decisions (Moschus/ Rimini Protokoll), and as a utopian space still inscribed in the stars (Pseudo Eratosthenes/ Quesne). In this historical and transmedial perspective, Europe emerges as a concept that was already sketched in dashed lines in antiquity. Thus, it resonates in contemporary theatre in an updated form and at the same time awakens our political consciousness to the many contemporary challenges and problems of Europe, which have been the subject of debate since antiquity. In Staging Transitory Europe. Precarious Re-enactment Variations from Le Birgit Ensemble's Memories of Sarajevo to Milo Rau's The Dark Ages, Stella Lange explores narrative theatrical forms of a ‘ Europe in flux ’ . After approaching strategies of the Theatre of the Precarious, which rely on the trace-like representation of the Other and, conversely, on the same narrative complementation by the audience, she focuses on the reenactment and its function to narrate past from the point-of-view of the present. Analysing two theatrical works, which replicate special moments in European history based on intensive research and documentation, renders the aesthetically different overlapping of past and present obvious. Depending on the level of the interconnectedness of these time-layers, visions of a ‘ Europe at the 128 Nicole Haitzinger/ Stella Lange threshold ’ may or may not evolve. Hence, the reenactment showcases a paradigmatic form for narrating transitions, as in the case of the ‘ old ’ to the ‘ new Europe ’ , while at the same time rewriting Europe ’ s identity. Finally, these attempts to relate past and present refer also to the Theatre of the Precarious, especially when the murky relation between past and present allows an uncertain, precarious perspective on the future of Europe to emerge. In Enter the Ghosts of Europe: Haunting and Contemporary Theatre, Elisabeth Tropper uses three examples to illustrate how the liminal figure of the ghost is used to haunt contemporary Europe with its oppressed fears: the fear of seemingly foreign migrants and the associated fear of being caught up in the history of colonialism, imperialism, racism, and ultimately, slavery. In the so-called Theatre of Haunting, the three tendencies thus overlap as follows: historical borrowings from Europe's shadow history overlap with a theatrical aesthetic response to the images of mass migration apparently recorded in documentary form in the media. Thus, a political-ethical imperative for Europe itself is eventually formulated, namely to understand these ghosts not as foreign bodies, but as responses and as actual part of European identity. In Leaving and Remaining. The Staging of Europe in the Work of Maxi Obexer, Karsten Forbrig draws our attention to the South- Tyrolean author ’ s elaboration of politically engaged writing using various genres (theatre, novel, radio play, novel essay), which ultimately stages migrants ’ voicelessness in confrontation with Europe ’ s interests. Beginning with the drama Das Geisterschiff, the focus is on migration and the question how to deal with it. However, reflected mainly from a European perspective, the drama reveals Europe ’ s real motivations to capitalise on migration in various ways. Apocalyptic scenarios go hand in hand with a simultaneously critical handling of media documents on ‘ mass migration ’ , whereas utopian views on Europe only emanate from the migrants ’ point of view. As in Tropper ’ s contribution, the influence of media proves to be partly responsible for a rather disparate (self-)image of Europe. Starting from a critical documentary work on the utopian, apocalyptic and actual image of Europe, which retraces the last historical tragedies, the third tendency finally becomes evident, namely the politically motivated interrogation of Europe itself: does it want to define itself by its borders or will it remember its former political-ethical principles once again? In Leaving Lethe for the Bardo: Staging the Disembodied Voices and Silent Bodies of Lampedusa Migrants in the Underworld of Europe, Michelle Cheyne juxtaposes journalistic ‘ stagings ’ of migrants drownings with a “ corpus of corpses ” based on different theatre and ballet productions that are located in the Mediterranean. In the depiction of the half-dead and their setting, the concept of an European Underworld emerges. It is a (not) legal limbo in which the migrant - compared to the bardo of the underworld - has to wait for his new fate in future depending on his status in the past. The trope of the underworld - based on the European canon of Greek myths - however, gives rise to the supposition that the fundamentally social advancement and integration of the migrant is still possible, more than the Theatre of Haunting and its abject strategies implies. In a conscious rejection of stereotypical media images and a gesture of remembrance of the migrant tragedy stories of recent years in Europe, the politico-ethical demand for a hopefully inclusionary behaviour change becomes evident despite all criticism - whereas the Theatre of Haunting rather emphasizes the exclusionary practices. 129 Europe ’ s Staging - Staging Europe Singspiel - A Proto-European Phenomenon? A contemporary practice of theatre, its genealogy and its potentiality. Lorenz Aggermann (Giessen) By analysing Heiner Goebbels ’ latest performance Everything that happened and would happen, the article shows the Singspiel to be a significantly transnational, even proto-European genre. Its structural characteristics reciprocally link today ’ s practice of performing arts with the practice from the second half of the 18th century. In both time periods, the Singspiel answers to the questions and problems of the aesthetic and political regime of the time, standing against rigid regulations more or less predefined by leading media and political paradigms. Through its vernacular, but also transnational practice, the genre opposes national and normalizing trends in theatre and the pernicious idea of instrumentalizing the performing arts as an identity-establishing tool. Today it fosters the advancement of art forms and aesthetic genres in a globalized and digitalized environment. ‘ Normal ’ Theatre At the end of the 18 th century, a specific mode of theatre crystallised in the Central European space, that is to say a certain form of production and distribution of the performing arts. Increasingly this became the ‘ role model ’ for theatre in the 19 th and 20 th century. Performing arts gradually changed from a courtly and commercial undertaking utilizing different medial means of expression to a representational instrument wielded by an increasingly more powerful bourgeoisie to spread its social and cultural values. Paradoxically, this mode of theatre refers to the aesthetic premise of autonomy of art, even though it goes along with the concentration, on both a national level and on stage, on language and the production of a canon and a political instrument. It is through this mode that theatre became a significant element in the process of nation and state building in Germany and some of its neighbouring countries. The Germanspeaking theatre maintained, however, this political orientation as an essential quality until the 20 th century, even after the end of the Second World War, when theatre - in its aesthetic practise as well as in its political public - became a strategic tool for the two competing German nations. The culmination of this mode is seen in ‘ director ’ s theatre ’ , linking guaranteed funding by the public sector to recourse to the predominant cultural canon. 1 These two determinants ultimately ensure a standardized form of production and distribution for the performing arts. While ‘ director ’ s theatre ’ articulates diverse political positions in terms of content, the mode ’ s normalizing and national calculus continues to have an almost unabated effect at the structural and institutional level, as is made clear by contemporary casting and training practise. 2 This prevalent mode of theatre, a monument of public spirit, dedicated to the true, the good, and the beautiful, 3 could be expected to be particularly reflected in the context of institutions such as school, prison and hospital which became the backbone of the nationally organized society in the 18 th and 19 th centuries. As an institution whose effects have an especially productive impact on the subject, rather than repressive, this Forum Modernes Theater, 31/ 1-2 (2020), 130 - 141. Gunter Narr Verlag Tübingen DOI 10.2357/ FMTh-2020-0012 can be attributed to what Michel Foucault calls a process of normalization and disciplining. 4 The involuntary effects of this normalization prevail and are particularly noticeable in the performing arts. They, among others, become evident in a virtually uniform architecture, which was almost completely drawn by a single architectural office (Hellmer and Fellner) in Central and Eastern Europe, in the disciplinary primacy that makes the declaimed word the dominant performance medium, and in the practice of rehearsal through which the principle of valuation and the principle of correction intertwine. 5 On the eve of the 21 st century, a theatre model has emerged that positions itself in opposition to this mode, disavowing, in a way, the national and normative tendencies. The foundation for this lies within a-disciplinary practices. While the ‘ normal ’ mode of theatre showcases language with respect to its theatricality, its contradictions and its limitations, a departure from the primacy of language and a stronger focus on the musicality of the represented and staged elements is apparent in performances of the other mode. Moreover, these performances do not present rehearsed or virtuoso elements. Rather, they test and question constitutive aesthetic components and mechanisms in the mode of play. Given that the new mode takes up an older practise of performing arts in many respects, it can be described using the familiar term Singspiel. Against the backdrop of this rough and rudimentary theatre-historical outline, consideration should be given to the following issues: which policies become operative and evident in the Singspiel, that is to say the abnormal and a-disciplinary performing arts mode? Why does it attract anew attention from both scientific and the artistic fronts? Does its timely relevance lie within its transnational and proto-European orientation? Singspiel The term Singspiel is used most commonly to describe the historic repertoire that was mainly performed by travelling troupes in the 18 th century and that was widely disseminated because of its pop cultural qualities like everyday content, direct speech, entertaining narration and memorable tunes, and not because of the dramaturgical composition of the fable. This specific, vernacular and musical form of theatre was introduced into the German-speaking cultural space as a novelty with the performance of Sydow ’ s Der Teufel ist los (1743) given by Schönemann ’ s troupe in Berlin. 6 It became the key initiator and innovator within the realm of theatre after the Seven Year ’ s War, 7 before it merged into the genre of opéra comique for the most part by the end of the 18 th century. Given that Singspiel, with the exception of a few compositions, was almost entirely left behind by 19 th century theatre practice, 8 it seems to be a phenomenon eminently bound by time and purpose and less of a generalized genre. Why return conceptually to such a form of performing arts, especially when both philological and musicological discussions do not provide a genre-constituting definition, 9 and literary studies choose to promote the bourgeois tragedy to paradigmatic status of this time? 10 From the 1990 s onwards, a loose constellation of equally hybrid and mobile forms appears to be using techniques similar to those of this defunct type of performing art. Although these centrally rely on music and singing to create a staging, they do not regard themselves as a form of opera and are not produced under the roof of this institution. Performances that make use of sonorous and musical register of the elements as opposed to prevailing, linguistic and dialogic dimension; performances that are fund on characteristic voices and bodies more 131 Singspiel - A Proto-European Phenomenon? than on a virtuoso mastery of styles, music, and acting, in order to produce theatricality and musicality; performances, that draw on a repertoire of traditional images, gestures, texts and melodies and present them in a new way against the background of their historical context. Here, the works of Needcompany, Bak-Truppen, ZT Hollandia and, more recent works by Andcompany & Co., Fux, Bürk/ Sienknecht as well as performances by Christoph Marthaler and Heiner Goebbels, the most prominent representatives of this aesthetic, will be considered. Various aesthetic criteria suggest that these performances should be ascribed to the order of Singspiel. These point out the structural characteristics that reciprocally link today ’ s practice of performing arts with the practice from the second half of the 18 th century. In both time periods, the Singspiel can be read as a form that constantly articulates new answers to aesthetic questions and problems as well as to sociopolitical questions and problems of the time by using significantly high cultural input, thus an archive, and processing it through sampling and in different contexts. Set before the formation of clearly distinguished paths for the production, distribution and reception of music and straight theatre, Singspiel launches an intermedially versed, pop culturally informed and predominantly humorous play, which creates a strong innovative force that effectively changes the realm of theatre. Singspiel gradually led to the disciplining and professionalization of the performing arts, which started at the end of the 18 th century, due to its hybrid playful modes and diverse scope. Although - according to Johann Gottlieb Stephanie der Jüngere, one of the most famous and successful librettists of this repertoire - “ mediocre singing, accompanied well, will always be more appreciated than the most wonderful throat with stiffness and discomfort of the body, ” a singer must, “ once the singing has ended, still be able to speak and know how to accompany his dialogue. “ 11 The composition of Singspiel proves itself as a significantly transnational, even proto-European bricolage. Within this Singspiel refers to its own genealogy, to its confinement to history. Its foundations extend over cultural regions and national bordes - nevertheless Singspiel is strongly bound to central european space. The narrative basis is mainly founded on different plots taken from Italian opera buffa, French opéra comique and from English ballad opera. These were Germanized and adapted by travelling troupes and distributed across the country and social classes. Singspiel opposes the pernicious idea of instrumentalizing the performing arts as identityestablishing tool for the reunification of the German nation through a vernacular, but also transnational practice. This practice enables the translation and adaptation of foreign storylines and themes into the target culture, at the same time as it helps to establish an educational canon while still allowing for mutual assimilation of certain civil and courtly orders of values. 12 Through this adaptation, Singspiel, which differs from bourgeois tragedies that exclusively addressed a specific social class, 13 was predestined for the mass entertainment of a heterogeneous audience. After the Seven Year ’ s War, Singspiel was mainly performed in small and medium-sized court theatres because performances by foreign opera troupes were rarely able to be financed. This provided access to elaborate and contemporary stage machinery so that technical equipment and elements gained distinction in the dramaturgy of the Singspiel. These structural and dramaturgical peculiarities form noticeable parallels with contemporary performance practice. At present, larger numbers of smaller companies travel from city to city with mobile performance formats composed in different 132 Lorenz Aggermann languages and usually with vernacular surtitles. Out of preference, they adopt all available technical and medial means and they are regarded as important innovators in the realm of theatre given their abnormal and non-disciplinary modes of productions and distribution. Meanwhile, from the political side there is pressure to increasely integrate this kind of production into the institution of the municipal theatre, thereby transforming the ‘ normal ’ theatre. These performances often view themselves as developing new works or as using an open format in which all theatrical means of expression and all medial forms of representation are used equally, with the result that the performance is occasionally simply a channel for distribution (especially in Heiner Goebbels ’ œ uvre). The creative process is not reflected in the rehearsals but in the performance (such as performances by Gruppe Fux show). They follow the processes of hybridisation and of sampling from a dramaturgical perspective as well as from an institutional perspective. This would be unthinkable without the link to high culture models, dramas, operas (such as stagings by Christoph Marthaler), and pop songs and ballads (such as works by Clemens Sienknecht and Barbara Bürk). They seize upon current socio-political debates and topics and add a new playful framework to these (as we see in examples of works by Andcompany & Co). Through the interaction of their protagonists (as in the case of Needcompany), they significantly challenge the prevailing ‘ director ’ s theatre ’ that draws on canonized texts and virtuoso interpretations by actors. They are based on elements that seem to stage and compose themselves without any author forming them (as in the case of Heiner Goebbels). Even though their confinement to Europe, its discourses, topoi and venues, is not anylonger their main characteristic in a globalized world, these performances still follow the same dramaturgy, the same aesthetical tradition, that favors first and foremost the abnormal. They count essentially on a non-uniformly trained type of actress or actor who cannot be assigned to a profession - musician, actor, dancer - but to the play, which is not based on discipline and training but on incalculable and non-standardized singularity. 14 ‘ Diversity in unity ’ , the maxim of the European Union, gives a concise definiton of this contemporary performance practice. Works by the groups and people mentioned above demonstrate that performing arts currently reposition themselves in light of socio-politics. Like those from the late 18 th century, these approach situations of upheaval explicitly by making scenic capital out of it. They are political in a way that is visible at content-related and structural levels. For one thing, they embrace reassessing the prevalent canon of performing arts and drama. At the same time, using their abnormal, a-disciplinary modes of production and distribution, they criticize and transform the realm of theatre from which they come. It is now proposed to define these as Singspiel. Singspiel should not be defined as a dramatic genre or a norm but the term should be used to indicate a specifically hybrid and transnational quality, the opening up of theatrical aesthetics and its selfreflective, critical and transformative potential. This definition likewise allows to answer the question, how to transform diversity into aesthetic unities? The composition of Singspiel is based on a “ disjunctive synthesis ” from a dramaturgical point of view. 15 Various elements and moments in the dramatic plot get connected, although they resist certain action necessary for this nexus. Music, language and movement do not converge with an eye toward the narrative or to a synthetic overall impression. Instead, the performance positions itself above the play with differences in order to get down to the core of the staging. By 133 Singspiel - A Proto-European Phenomenon? maintaining distance from or occasionally resetting the action, questions of a chosen means of expression and of its theatrical and/ or musical quality gain urgency. The elements of the scene are not staged with respect to their narrative necessity but in light of their visual appeal or their sound potential. Sound and the methods used to produce music, create immensely theatrical moments, on the one hand. Strong theatrical procedures consistently display their musicality, on the other hand. Such “ inter-art movements ” 16 motivate the dramatic plot. Singspiel focuses particularly on them. Intrinsic musicality and theatricality of staged elements, which is often not recognized, evoke fascination for and interest in elements that are shown and disclosed and which stand apart from linguistic understanding or conflictual drama. Time and again, use of sounds, images and movements, and more specifically, preparation and dissemination of these through technical instruments, ensure a ‘ solution ’ for maintaining the events. Ultimately, the release from potentials of play is at stake in opposition to an oppressive superiority of the dramatic content. 17 The conceptualization of Singspiel proposed in this paper, aligns closely with Walter Benjamin ’ s definition, given in his study on the Origins of German baroque tragedy. Benjamin proposes an unconventional, abnormal approach to history, ore more precise: to the genealogy of theatre genres. He does not plead for consciousness and transparency of historical tradition, but emphasizes the idea, that genealogical threads foremost appear in the mode of play. For Benjamin, play is a main driver for aesthetics and their development. Hence Benjamin seizes on the literal translation of tragedy as ‘ mourning-play ’ , stressing the second term, play, above all. In order to follow the “ developement of the play-element ” 18 , Benjamin draws attention to reflection as an essential dramaturgical and aesthetic mechanism: “ The technique is not always transparent, as when the stage itself is set up on the stage, or the auditorium is extended to the stage area. And yet for theater [. . .] the power of salvation and redemption only ever lies in this paradoxical reflection of play and appearance. “ 19 Herein, lies the critical and political quality of this formation. Singspiel uses various expressions and media to open the stage on the stage, even more so than tragedy, in order to reach reflection that becomes self-reflection in the context of stage. In this disjunctive alignment, it questions the specific characteristics of its elements and forms - specifics of music, of singing, of image, of movement and of speech (of dialogue) and of other elements - and explores possible representation modes. It is not necessarily concerned with gathering new forms but new archival material and their scenic function is guaranteed by theatrical tradition. Singspiel is characterized by the consultation of familiar, sometimes pop cultural elements like vaudeville or song, or famous characters, jokes and dialogues. Through its formation “ within forms that are already more or less in operation and underway ” 20 , Singpiel pursues the reflection of the dramatic plot, and makes its paneuropean genealogy productive. This is true for Singspiel in Mozart ’ s time, at the end of the 18 th century, and for the Singspiel works designed by Heiner Goebbels beginning in the middle of the 1990 s and which has been performed with great medial variety right up to the present. Europeras, Europeana and Euronews What does contemporary Singspiel look like and how can one determine its political orientation? Heiner Goebbels ’ recent performance Everything that happened and would happen, which premiered on October 134 Lorenz Aggermann 10, 2018 at Mayfield Depot, Manchester, shows the political framework of contemporary Singspiel. The composition ’ s foundation consists of various archives from which basic materials and elements are distilled. They determine not only content but also the mode of play. Firstly, there is a container with brochures and props designed by Klaus Grünberg for a performance of John Cage ’ s Europeras 1 & 2, directed by Heiner Goebbels at the Ruhrtriennale 2012. Second, there is as a possible linguistic extension of material in the form of Patrik Ou ř edník ’ s Europeana - A Brief History of the Twentieth Century. Third, for visual and medial reference, there are sequences from the program “ No Comment ” by the news network Euronews. These three forms of archives serve as basis for a composition that covers scene and music. This was developed in four workshops in Hanoi, Essen, Paris, and Manchester with ten musicians and dancers respectively, as well as with unidentified volunteers. Goebbels ’ usual mode of production and rehearsal during these workshops, is to confront potential protagonists and players with material and to invite them explore their own approach with the chosen archival materials and, above all, with their scenic and/ or musical skills. The staff responsible for lighting, video, sound, dramaturgy and staging, as well as Heiner Goebbels himself, begin to participate in this play at the same time, before certain acquired sequences, moments, images and sounds are made into scenes and then into a sequence lasting for almost three hours. What can be taken from this? How does it work? What does this play show? Loosely speaking, in the course of performance, tableaux are made from available props. They transfer space, and hence, immediate surroundings of the audience. The composition clearly flirts with the idea of the immersive without abandoning classic division of skene and koilon. While activities to transform are strongly choreographed and further images are projected onto teaser and setting, it is never clear whether tableaux are object of play or whether they are an incidental result of scenic events. The same applies to those transformations, that have impact on the whole space. Occasionally, spectators believe to recognize a familiar portrait, a film scene or a historic scenery. Then the performance space, Mayfield Depot, stands out in its materiality and technical means as neither space nor scene. For example, light and lamps are exposed as realia. The same happens on a musical level. The majority of sound derives from conducted activities and is further enriched with electronic processing. The music does not necessarily favour a melody but creates a soundscape in analogy to the scene. Its subjects and objects occur individually and are evocative of things already heard but their origins remain unclear. It cannot be firmly ascertained, whether sound is heard autonomously, ornamentally, as a result of events or as a part of space of Mayfield Depot. Materials from the above mentioned archives are interwoven into these actions and their on-going transformation. Extracts from Patrik Ou ř edníks Europeana are read in the meantime, or displayed as texts and contradict permanent progress on stage through stupendous counting of what has already been achieved. Important technical inventions, marginal socio-political developments and the manifold horrors of both world wars come up for discussion in a malicious enumeration. Actual news images from Euronews enter the process of permanent transformation. However, they appear less real in this arrangement and more composed and arranged in a highly individual way. Here, a more than curious effect is felt. Do they belong to the archive, that is to say to everything that has already happened, 135 Singspiel - A Proto-European Phenomenon? or to things that are in an emergent state? In the programme, Heiner Goebbels firmly advises against a detailed interpretation of what can be perceived here: Everything that happened and would happen doesn ’ t participate in all the attempts to have yet another opinion as to the meaning of what has happened; quite the opposite. Guided by a deep mistrust in the transmission of a one-directional massage, I don ’ t even try. Everything that happened and would happen seeks to open up a space of images, words and sounds generous enough to avoid the impression that somebody on stage is trying to tell you what to think. It is a space for imagination and reflection, in which the construction of sense is left for everyone to assemble. 21 This aesthetic approach is based on a political bearing inspired by Hanns Eisler. According to musicologist Amila Ramovic, Goebbels, as composer, takes over responsibility for material and for performers: “ The chosen historical and newly invented elements are not set into work by magisterial procedures like appropriation, transformation or interpretation, they are nor revaluated nor recontextualised. Every element is handeled with a clear identity, as the-thing-in-itself. ” 22 Therefore, Ramovic describes Goebbels compositions as anti-authoritarian creations, 23 a definition, that, perhaps very heavily, emphasizes the general power structure effective in performing arts. Even the singular effect of realistic news images cannot be described, even though images certainly revolt against something. It is important to note that staged elements and used images are to be found between two orders that concern their temporality (past? present? future? ) as well as their ontological status. Are the images real? Are they fictional? Are they authentic or staged? It is this vagueness, that raises the question about the normality of these new, mediatized elements. The contemporary process of normalization is mainly determined by digital technologies and their concomitant mediascape. The play, Goebbels launches in Everything that happened and would happen not only provides self reflection and critique of performing arts. It postulates a both profound and playful reflection of the usage and perception of oldfashioned and brand new media, and their postulate for a new ‘ normal ’ . In his lectures on post-popular aesthetics, Diederich Diederichsen indicates that because of omnipresent possibilities of reproducing and distributing everything digitally in contemporary art, certain qualities are underscored. Less emphasis is placed on artistic and fictional characters and on framing of the archive, but on those traces of the real world that appear within. Technical means are especially used and interpreted in view of their indexed impact. They are not implicitly used for the production of abstracted, symbolic signs but particularly for the transfer of realia. 24 New technical means make handling and utilization of things accessible to art. This thesis inevitably generates contradiction from a reception-aesthetic side. Jonathan Crary, for example, clearly shows that “ what seems to constitute a domain of the visual is an effect of other kinds of forces and relations of power “ 25 and is therefore inevitably linked to its staging. Diedrichsen seems to be aware of this objection. In his argumentation, he emphasizes the production-aesthetic side and talks of an effect too. New media suggest the possibility “ to dissolve the medium and not to be sign, but thething-in-itself. “ 26 The superficial explanation of fiction and imagination in classical disciplinary arts confronts focus on factuality and authenticity in post-disciplinary and post-popular aesthetics. While the former works towards distance and perspectivation, elements of the latter come too close in many ways. The question on how to deal with this closeness, which emerges particularly affec- 136 Lorenz Aggermann tively, involuntarily links aesthetics with politics. Images presented by news or other portals direct this closeness, affects, and transform it into a subjective and intentional emotion. 27 But what if this step is skipped and the represented is not immediately interpreted? Goebbels Singspiel focuses the inevitable fact, that medial means never ever transmit realia or ‘ the-thing-in-itself ’ . They automatically undergoe a process of staging, of orchestration, someone or rarely something (like the I Ching or an algorithm) directs. They have both a shaped entrance and fadeout. 28 This goes for oldfashioned media like books, but also for new forms like webcams, and even for more complex media-clusters like archives. Their staging or orchestration, it might be hidden, non-subjective or digitally generated, is an essential condition for their appearance and usage. Therefore an awareness of processes of (aesthetical) shaping and their (hidden) techniques are of great importance today. As play, Everything that happened and would happen is not limited to reflection of this (hidden) shaping. In performance strong emotional effects come to the fore, effects, that have their starting point exactely in the illusory aesthetic assertion, that there might be no shaping at all. The various archives, used by Goebbels, follow this gamble of postpopular aesthetics and let - with definite ironic verve - things speak for themselves. They play with the idea to explicitly transmit realia. Patrik Ou ř edník draws firmly on a non-literary form and paraphrases the style of medieval chronicles. His Short History consists solely of a list of facts. John Cage also resorts to existing operas and gives additional compositional decisions regarding the Chinese oracle I Ching. The images of Euronews program “ No comments ” refrain from any commentary on frame and content. The strategy of aesthetics based on index, here Diederichsen ’ s considerations adapt exceptionally well to Everything that happened and would happen, is subjected to dialectics: “ The more realistic the picture, the more broadly it has to be explained: beginning with simple information regarding its creation, its symbolic formation and its artistic framing and adaptation. That ’ s the dialectic of the indexical: it bawls out of reality, but it doesn ’ t mean anything. ” 29 Goebbels ’ Singspiel is decisively based on this aesthetical dialectics. He accepts its hypothetical premise as challenge and embeds archival material and realia in the performance, even more, he involves ‘ thething-in-itself ’ in a permanent process of restaging. The aesthetic effect, it might be assumed, comes from acting-out its fundamental paradox: No medially transmitted thing speaks for itself. On the contrary, an index effect can only occur due to staging - a process, that allows to abstract from the original time and space of production, from the ‘ construction-site ’ of the image, the sound, the word. 30 The archival material used intentionally is also strongly shaped and staged, and bears a particular perspectivation. Just like Cage ’ s Europeras were planned and designed in response to the hegemony of European cultural and music history, Euronews reacts to the supremacy of American news images with a European perspective - two political concerns. The distilled elements do not stand for themselves but are decidedly directed against something. They have a genealogy and are intentionally aligned and deliberately formed in many ways. The chosen aesthetic strategy, impressively shown in Everything that happened and would happen, is able to examine critically the author ’ s original intention and to disguise it - but the author ’ s position and, as a consequence thereof, the process of shaping cannot be ultimately overcome. 31 Against the background of Singspiel, the handling of material in Everything that 137 Singspiel - A Proto-European Phenomenon? happened and would happen can be described as critically reflective and political. The manner, in which Goebbels stages individual processes and elements with and against each other, causes their mutual and individual reflection. He allows elements to oscillate between their status as object and subject, as the-thing-in-itself or as a means to an end. Occasionally it seems as if scenic elements decide how to appear within the frame of the stage, how to be perceived. Occasionally, it is the other way around, as if elements emerge through technical transformation, through lightning, intensification, in short, through staging. However, further interpretation of the shown actions and their transformation from affect into emotion, does not happen. In consequence, the play allows its elements to come very close to the audience. Sometimes it is too close and the audience has to endure this attraction without further explanation. Everything that happened and would happen conveys a new vision of (self)reflexive aesthetics, of Singspiel in general. It sets an potential impact on real life, opposing the performance, into play. Everything that happened and would happen ventures to play with its scope: the location of the show represents a forth form of archive. The world premiere was not located at a representative building in the middle of the city of Manchester, but at an industrial ruin, at Mayfield Depot. Likewise here, the thing-in-itself is set into play. The dark and disused railway station had to be adapted. Everything that happened and would happen not only deploys available stagecraft but introduces technical instruments and machinery in the (post-)industrial environment. The historical site, characterized by economic production and distribution, was transformed into a theatre and gained unreal, fictional or contingent qualities. Corresponding the play, the buildings seem as if they had always belonged to the imaginative and aesthetic order, as if they had always been ‘ scenery ’ . At the same time, the venue does preparatory work for index-effect. Because it not only suggests its status as part of reality, it also avouches realia in the form of stones and walls and reflects the fictive play therein in its physic and factitious presence. The location is a ruin, a construction site and a stage at the same time, and the play in its innards seems to center on this disparity, inherent to all archival material. Everything that happened and would happen makes use of various qualities of archival material, its staging emphasises its semiotic aspect and its indexical impact. The real, material, not only constitutes (architectonic) frame or dramaturgical base of the play, but also recurs in its core, within the scenes, for example in form of artificial stones and pedestals, that are rolled across the stage and whose choreography is a central part of the show. They are clearly distinguishable as artificial stones and foundations, but as props they entail an indexical quality, they are material testimonies of another time, of a different work (Cage ’ s Europeas). The show does not end on the improvised stage but on a ramp, leading from a construction site whereupon the audience encounters headlights, teasers, stagehands and other elements at different positions. It ends with a view over the nocturnal silhouette of Manchester. Goebbels ’ play goes distinctly beyond the above-mentioned outlined frame and the historical space of Singspiel. It entertains the idea of baroque theatrum mundi. Does that indicate, Singspiel today becomes a globalized phenomenon? The performance turns out to be an outstanding example for the critically reflective calculation of Singspiel as it plays with potential, impact and contradictions of an index-effect. In dealing with available material politically, contemporary mediabased heterogeneity can be achieved aesthetically productive, although it usually cannot 138 Lorenz Aggermann be controlled by a singular artist. 32 By showing the index-effect as result of staging, it offers criticism against media-related hyperpresence and emotionalisation. Even in the realm of theatre in the 18 th century and at the end of the 20 th century, Singspiel can be read as a formation that gives an answer to the questions and problems of the aesthetic and political regime of the time, in a mode of criticism, standing against rigid regulations more or less predefined by leading media and institutions. At both times, the patchwork of sources, an archive, provides basis of this critical practice whereupon various strategies of citation, copying, and staging take effect. Sourrounded by ever changing contexts, scenic elements become involved in a permanent adaptation. Thus Singspiel contrives enrichment and depletion and, in addition, transformation of used archival material. It voices criticism on prevailing and canonized stylistic device and media and provides sustainable innovations in performing arts. The potential of the abnormal Due to this self-reflective and critical aesthetics Singspiel, both in its historic and its contemporary form, can be turned in a playful and impressive critcism of aesthetic and technological means, of media of all kinds, and their use in already existing and upcoming formations. While historical Singspiel answers to differentiation of art and art genres in the 18 th century, its contemporary version tries to set new technological means and media into play. Both have in common, that they reclaim the status of performing arts and the potential of play in a newly constellated aesthetic regime. Singspiel therefore gives insight in the development of aesthetic genres and media discourses. And, not forgotten, in their differences. Within this aesthetical self-reflection, Singspiel strongly refers to its own genealogy, to its confinement to history and to cultural regions, and its self-reflection becomes a mode of self-determination. Is this hypostasis of self-reflection and criticism a proto-european quality? At this point the process of normalization is once again worthy of consideration. In most of the European countries normalization - the very essence of power according to Foucault - is closely linked to nationand state building. Normalization and its effects have a strong national shaping, which becomes quite evident in the arts, as mentioned on the example of German drama and ‘ director ’ s theatre ’ . Although clearing the path for a ‘ normal ’ and national drama, Singspiel brings mainly abnormal and hybrid qualities into play and points to an alternative. The more or less urgent need for alternatives within rigid aesthetical regimes (that are devoted to the idea of a nation) might be the main reason for its dissappearance and for its return, centuries later. Singspiel itself is not a norm according to dramatic forms or art genres. It is a mode of play, that evokes self-reflective, critical and transformative potentials of aesthetic means of all kinds. And it shows ways, how diversity can be made productive, can be handeled in (aesthetic) unities. Today, normalization is mainly determined by digital technologies, and it seems as if the omnipresent mediascape is globalized, and not any longer protoeuropean or bound to other regions - a fallacy. The contemporary Singspiel, Goebbels enfolds, is not only playing with the dialectics of an universallly applicable indexeffect. In the exposure of the shaping of media, of their staging, a genealogy becomes evident, or at least strategics and considerations underneath, that inevitably point at a specific cultural environment. Two thought provoking propositions and subsequent questions might end these remarks on Singspiel, its genealogy and its 139 Singspiel - A Proto-European Phenomenon? potentiality: Like the abnormal, “ while logically second, is existentially first, ” 33 globalized phenomena, while logically omnipresent, are always situated in locatable scenes. This fact, presented by Everything that happened and would happen in exemplary manner, is not only protoypical for the contemporary, but for Singspiel in general. Singspiele and their aesthetical principles are still strongly based on european traditions. But maybe the question european or not is less of a central role, compared to a more urgent one, raised by Singspiel, in working with the difference of incalculable and non-standardized elements: Is a paradoxical ‘ abnormal way of normalization ’ possible? And according to this question, another mode of power, “ that is integrated in the play [. . .], a power, that posseses within itself the principles of transformation and innovation? ” 34 Singspiele are definitely a pretty European form of syncretism in performing arts, a syncretism, that can easily be found in nearly any interdisciplinary or interartistic practice. 35 What goes beyond is their potential for self reflection and self-determination. Singspiele, and their peculiar mode of production are an example for this abnormal mode of power. Their potential for innovation lies foremost therein. Due to their strong affection for the abnormal, Singspiele prove to be a paradigmatic and critical practise, an uncontrollable safety hazard 36 in the aesthetic regime of the time - wherever they are produced and performed. Notes 1 Christopher Balme, “ Stadt-Theater: Eine deutsche Heterotopie zwischen Provinz und Metropole ” , in: Burcu Dogramaci (ed.), Großstadt. Motor der Künste in der Moderne. Berlin 2010, pp. 61 - 76 2 Friedemann Kreuder, “ Theater zwischen Reproduktion und Transgression körperbasierter Humandifferenzierungen “ , in: Stefan Hirschauer (ed.), Un/ Doing Differences. Praktiken der Humandifferenzierung, Weilerswist 2017, pp. 234 - 258. 3 So the friezes on Stadttheater Giessen and on Alte Oper Frankfurt. 4 Michel Foucault, Abnormal. Lectures at the Collège de France 1974 - 1975, trans. by Graham Burchell, London, New York 2003. Michel Foucault, Discipline and punish. The birth of the prison, trans. by Alan Sheridan, New York 1995. 5 The regeneration of valuation and corrections is the fundament of every normalization: “ In any case [. . .] the norm brings with it a principle of both qualification and correction. The norm's function is not to exclude and reject. Rather, it is always linked to a positive technique of intervention and transformation. ” Foucault, Abnormal, p. 50. See further: Annemarie Matzke, Arbeit am Theater. Eine Diskursgeschichte der Probe, Bielefeld 2012, p. 143 ff. 6 Christina Urchueguía, Allerliebste Ungeheuer. Das deutsche komische Singspiel 1760 - 1790, Frankfurt a. M./ Basel 2015, p. 77. Der Teufel ist los as prototype of Singspiel. The performance was not designed as a version of the Italian opera by musicians but by actors on a completely different dramaturgical and institutional premise. 7 Jörg Krämer, Deutschsprachiges Musiktheater im 18. Jahrhundert, Tübingen 1998, p. 60. 8 Urchueguía, Allerliebste Ungeheuer, p. 12. 9 Notations vary, then as now. Besides Melo-, Monoor Duodrama, also deutsche komische Oper, musikalisches Lustspiel, Schauspiel mit Gesang, Operette. 10 Peter Szondi, Die Theorie des bürgerlichen Trauerspiels im 18. Jahrhundert. Der Kaufmann, der Hausvater und der Hofmeister, Frankfurt a. M. 1973, p. 15. 11 “ Ein mittelmäßiger Gesang, von gutem Spiele begleitet, wird immer mehr Anwerth finden als die herrlichste Kehle mit Steifheit und Unbehaglichkeit des Körpers vergesellschaftet. ” Und: “ Ein Sänger muß, wenn der Gesang vorbei ist, auch sprechen können, und seinen Dialog mit dem gehörigen 140 Lorenz Aggermann Spiele zu begleiten wissen. ” Johann Gottlieb Stephanie der Jüngere, “ Vorrede ” (1792), in: Renate Schusky (ed): Das deutsche Singspiel im 18. Jahrhundert. Quellen und Zeugnisse zu Ästhetik und Rezeption. Wuppertal 1980, pp. 91 - 97, here p. 92. 12 Krämer, Deutschsprachiges Musiktheater im 18. Jahrhundert, p. 36. 13 Due to its (idealistic) emancipatory impetus, German bourgeois tragedy of the 18 th century and its accompanying philosophical discourse, is mainly directed at a bourgeois audience. Considered as an educative and selective genre, its impact turned out to be more important in the literary than in the social field. 14 Gerald Siegmund, “ Zwischen Repräsentation und Partizipation. Zur gesellschaftlichen Lage des Theaters ” , in: WestEnd - Neue Zeitschrift für Sozialforschung, 14/ 2 (2017), pp. 27 - 52, here p. 42. 15 Armin Schäfer, Bettine Menke and Daniel Eschkötter, “ Das Melodram. Ein Medienbastard. Einleitung ” , in: Das Melodram. Ein Medienbastard, Berlin 2011, pp. 7 - 18, here p. 8. 16 David Roesner, Musicality in Theatre. Music as a Model, Method and Metaphor in Theatre-Making, Farnham 2014, p. 9. 17 Bettine Menke and Christoph Menke, “ Tragödie, Trauerspiel, Spektakel. Die drei Weisen des Theatralen ” , in: Bettine Menke and Christoph Menke (eds.), Tragödie, Trauerspiel, Spektakel. Berlin 2007, pp. 6 - 16, here p. 7. 18 Walter Benjamin, The Origin of German Tragic Drama. trans. by John Osborne, London, New York 2009, p. 83 19 Ibid., p. 82. 20 Judith Butler, “ What is Critique? An Essay on Foucault ’ s Virtue, ” in: David Ingram (ed.) The Political. (Oxford, Malden 2002), pp. 212 - 228, here p. 226 21 Programme, n. p. 22 “ Sowohl die aus der Geschichte gewählten als auch die neu erschaffenen Materialien kommen nicht ins Werk durch irgendwelche autoritativen Prozeduren wie Aneignung, Transformation oder Interpretation, und sie werden nicht aufgewertet oder rekontextualisiert. Jedes von ihnen wird als Ding ‘ an sich ’ behandelt, mit einer klaren Identität. ” Amila Ramovic´, “ Die Po/ Ethik von Heiner Goebbels Dinge ” , in: Ulrich Tadday (ed.), Heiner Goebbels, München 2018, pp. 81 - 101, here p. 91. 23 Ibid. p. 89. 24 Diederich Diederichsen, Körpertreffer. Zur Ästhetik der nachpopulären Künste. Frankfurter Adorno Vorlesungen. Berlin 2017, p. 9 f. 25 Jonathan Crary, Suspension of Perception. Attention, Spectacle, and Modern Culture, Massachusetts 2001, p. 14. 26 “ sich als Medium aufzuheben, und nicht mehr Zeichen, sondern die Sache selbst zu sein. ” Diederichsen, Körpertreffer, p. 14. 27 For this transfer from affect to emotion in performing arts see: Lorenz Aggermann, Der offene Mund. Über ein zentrales Phänomen des Pathischen, Berlin 2013, p. 234 ff. 28 For Ulf Otto all media inherit theatrical traits. In consequence his study Internetauftritte contains a theatre-history of new media - so the title. (Bielefeld 2013). 29 “ Je wirklicher das Bild, desto mehr bedarf es einer Erklärung im weiteren Sinne: von der simplen Info über seine Entstehungsbedingung bis zur symbolischen oder künstlerischen Rahmung und Bearbeitung. Das ist die Dialektik des Index: er brüllt aus der Wirklichkeit, sagt aber ersteinmal nichts. ” Diederichsen, Körpertreffer, p. 19. 30 Ibid., p. 45. 31 A dilemma found not only in Cage ’ s Europeras but also in Goebbels ’ scores, for example in Schwarz auf Weiß (München: Ricordi 1997) wherein the composer tries to relativize himself in his function by writing long notes on the musical text and on the staging. 32 Diederichsen, Körpertreffer, p. 20. 33 See Georges Canguilhem, The Normal and the Pathological, trans. Carolyn R. Fawcett, New York 2007, p. 243. 34 Foucault, Abnormal, p. 52. 35 See Patrice Pavis, “ Intercultural Theatre today ” , in: Forum Modenes Theater, 25/ 1 (2010), pp. 5 - 15, here p. 14. 36 Urchueguía, Allerliebste Ungeheuer, S. 82. 141 Singspiel - A Proto-European Phenomenon? ‘ Pulse of Europe ’ - Flash Mob - Symphony. Schiller ’ s Ode to Joy and Beethoven ’ s Ninth Symphony as Soundtrack at Public ‘ Stagings ’ of Europe Antonia Egel (Salzburg) This article describes the use of Beethoven ’ s 9th symphony (mostly along with Schiller ’ s text) as a soundtrack when it comes to stagings of Europe in public space. It investigates a wide spectrum of musical idioms ranging from more or less spontaneously sung melodies to neatly choreographed flash mobs as well as to high-end performances of the symphony, which also provides the official anthem of the European Union. The essay shows that Beethoven ’ s music has - notwithstanding the fact that it has been used politically for worst - an openness in itself that allows it to be taken it as a symbol for a modern and pluralized society. The fact that it is a choral piece, in which the chorus can be understood as a congregation of many different individuals, allows it to be seen perhaps as an adequate “ instrument ” of pluralism. Thinking of Europe as a theatre and as a theatre stage is not new, nor is it linked to Europe as it took shape as the European Union in a legal sense. After World War I, the devastation was what shocked nations and citizens all over the continent. As we all know, it was not then, that Europe was shaped as a Union that was constituted first of all by its peaceful aims. Already at that time, however, the idea of a united Europe in which a nation would never again raise weapons against another, was in the air and it was theatre imagery that was used to illustrate this idea. In the only volume of Europa-Almanach edited by Carl Einstein and Paul Westheim in 1925, the opening essay by Hermann Kassack is called “ Fair Europe (Jahrmarkt Europa) ” . According to the author this “ Fair ” was transformed out of a “ scene (Schauplatz) ” : “ See: the theatre Europe becomes a fair - Bravo! ” 1 What was meant as a political satire about attempts to create a “ United States of Europe ” plays on two possibilities of staging: the “ scene ” , that is to say as theatron is a defined space where planned action takes place in order to present it to a (mostly seated) audience, and the “ fair ” , characterized by a great variety of shows available at the same time, where people can stroll along and make their halt or not. Consequently, Kassack calls for simultaneity. Staging Europe, in his view, means showing all different types of arts at the same time and differs from the other homogenously understood United States of Europe. The arts in their variety and incommensurability make the “ fair of Europe ” . At least, public acclamation remains the same: “ Bravo! ” In the same volume it is Oskar Schlemmer, who claims a “ new infancy of the theatre ” (eine “ neue Kindheit des Theaters ” ). This “ new infancy ” could, in his view, be dance as a form of theatre that precedes all language and precedes all local color. Unfortunately, his point is not a supranational theatre but a “ German ballet ” , which has been untouched by other European traditions: The ‘ Triadic Ballet ’ , started before the war, and because of the war foiled in its further development for years, hence could have its debut performance only in 1922. Despite it Forum Modernes Theater, 31/ 1-2 (2020), 142 - 149. Gunter Narr Verlag Tübingen DOI 10.2357/ FMTh-2020-0013 was to represent a complete whole it was meant to be the beginning of how a German Ballet could be formed, without finding itself dependent on of course admirable but at the same time alien parallels of other nations. (Translation AE) 2 This volume, also called „ Panoptikum “ by Kassack, is meant to present all different voices from all different arts to present Europe rather than to talk about it. Like Schlemmer, André Gide also calls for a new infancy or childhood. It is time, thinks Gide, to return to a childlike attitude ( “ kindliche Haltung “ ) that is to be found in what he calls the “ old china ” which, at that same moment, is about to vanish, as he clearly sees. After the devastating war, there seemed to be a longing for a reset, for starting anew, for having a second chance with a new “ childhood ” . Bertolt Brecht ’ s “ Ballade von der Freundschaft ” 3 and the advertisement for Beethovens ’ s symphonies 4 in the same volume implicitly recall the Europe of humanism and friendship in the sense of the ideals of the Enlightenment and the French Revolution. André Gide published a text in 1925, which still remains timely today: From now on none of Europe ’ s countries is able to aim at real progress concerning its own culture in isolation and without other countries indirectly cooperating with them, and [. . .] in respect to politics, to economics and to industry - in every respect - Europe is going toward its destruction [. . .], if every country in Europe has in mind only its own salvation. Dotingness to nationalism: it also is contrary to the deindividualization that internationalism aims at [. . .]. Being most individual, one serves best to common interest; and this holds true for countries as well as for individuals. But this truth must be amplified by the following: in abdication of oneself one finds oneself. (Translation AE) 5 Gide does not plead for a United Europe in a simplistic way. Rather, he clearly marks the difficulties to be considered in bringing together collective interests with individual interests. His suggestion does not appear very complicated: Be yourself and common sense will be a better one. Only, as he adds, being yourself means to forget yourself. It was Friedrich Nietzsche, who laid out the dialectic between the most individualistic attitude, figured through Apollo, and its negation, figured through Dionysus. Forgetting oneself could be interpreted in a Nietzschean, thus Dionysian way, then the individual would completely vanish in collective chaos. Gide takes up in a moderate fashion what Nietzsche expresses immoderately - describing the Ode to Joy of Beethoven ’ s Ninth Symphony - as a drastic image of millions of people dissolving into dust. 6 Neglecting oneself ( “ Verzicht auf sich ” ) does not necessarily mean Dionysian chaos, but maybe simply the ability for a moment to take the other or the collective interest as more important than oneself. How can this be achieved? It is this contradiction that is at stake when it comes to choral staging. Thus, choral staging is an appropriate object to analyse when investigating how mediation between the individual and the collective functions. Since the question in this volume is that of staging Europe, I will investigate how Beethoven ’ s Ninth Symphony, which also provides the music for the European Union ’ s anthem, is staged in an explicitly European context. I will focus on concerts as well as flash mobs, and “ staging ” Europe by more or less spontaneous performances in which “ Beethoven ” is sung as well. Let us begin with the latter. In 2016, an association called ‘ Pulse of Europe ’ was started in Frankfurt am Main, Germany. In the face of increasing nationalism throughout Europe and also in the USA, a couple from Frankfurt wanted to bring together people who appreciate a united Europe in contrast to separatism and na- 143 ‘ Pulse of Europe ’ - Flash Mob - Symphony tionalism. In 2016 and 2017, demonstrations spread widely, especially in Germany. They also spread in other countries of Europe. Meanwhile ‘ Pulse of Europe ’ was awarded with many prizes and it is regarded as an important voice with respect to civil engagement with politics. 7 How is Europe staged in the context of ‘ Pulse of Europe ’ demonstrations? First of all, the movement emphasizes plurality and it seems that this is also essential for the aesthetics of the gatherings. When I describe them in the following, I am describing gatherings documented on the Web, so, of course, not every single gathering that took place is covered. Rather, I try to identify general common features in the different gatherings in different towns that are documented. Of course, this means trying to make generalizations about a movement that does not remain static, but develops and changes all the time, because the process of shaping its identity and goals still goes on. But, maybe this is already part of staging Europe in this special instance? In these cases, Europe is, first of all, staged as a dynamic process. It is participative and in a certain way chaotic, and it is supposed to be this way. Everyone is called to take part in the movement. Everyone is allowed to start the movement in her or his hometown, and programming schedules for the gatherings are open to any sort of ideas how to “ stage ” Europe. This is the presupposition. Thus, it is even more interesting to see that there is a set of elements and prerequisites that appear on stage almost every time. There are the colors: yellow and blue. There are the flags, some used like capes, wound around the bodies of demonstrating people or there are small paper pennants, or hats that are decorated with yellow stars on a blue background and so on. In addition, there are also people who color their faces in yellow and blue in a way that recalls football or soccer games. Rarely, there is a discernable choreography for the gatherings. People usually gather in a loose circle, listening to speakers and talking to one another. Many of the gatherings end with Schiller ’ s Ode to Joy. It is this part of the “ staging ” that I want to look at more closely now. Very often people appear to start singing spontaneously, and very often, not really good music results. This, very likely is also not the intention of those who start singing. Those who know the music and/ or the text join in. Those who don ’ t, just listen. Sometimes people come along, and not a part of the demonstrating group, they come to a halt, amazed to hear Beethoven ’ s melody or just by the fact that a group of people is singing in the streets. Sometimes, the music is amplified through loudspeakers and people can join with their voices or not. 8 At the ‘ Pulse of Europe ’ gathering in Cologne on April 3, 2017, everyone brought his or her instrument from home, and together people played the melody of the anthem. The result is quite cacophonic and so it does indeed show diversity. 9 In Aschaffenburg, a soloist sang the melody. 10 One time, the same soloist was accompanied by an orchestra of high school students. 11 This orchestra followed a model of staging Beethoven flash mobs promoting Europe that is older than ‘ Pulse of Europe ’ . On the Web, three such flash mobs were highly popular. For years almost the only ones to be seen at all: Nürnberg 12 , Leipzig 13 , and, above all, Sabadell (May 19, 2012) 14 . In recent months, however, more were added, like the one at Heidelberger Frühling in the “ mensa ” of the University 15 and most recently, the one at the marketplace in Dornbirn in the Austrian province of Vorarlberg 16 . All of these flash mobs are choreographed with great attention. They are performed by highly professional orchestras and they are sponsored, e. g. by Banc Sabadell (Sabadell), by Evenord-Bank 144 Antonia Egel Nürnberg (Nürnberg) and by Wirtschaftskammer Vorarlberg/ Industriellenvereinigung Vorarlberg/ Land Vorarlberg (Dornbirn). In all these cases, what at the first glance appears to be and is intended to appear to be spontaneous action is of course very wellplanned, well-performed and also filmed in a professional manner. From 2012 (Sabadell) to 2018 (Dornbirn), there is a noticeable change that is directly related to the political situation of Europe. In the age of Brexit and of obvious nationalism, the initiative in Vorarlberg explicitly links itself to European politics. The flash mob at Dornbirn market in 2018 is advertised as “ Event on the occasion of the EU-council Presidency of Austria (Aktion anlässlich des Starts der EU- Ratspräsidentschaft Österreichs) ” and accompanied by the slogan: “ We are Europe (Wir sind Europa) ” . The Sabadell flash mob from 2012, in contrast, appears to be a statement promoting Europe that is also, at the same time, a statement promoting the welfare of that Catalonian town. (The anthem is sung in a Catalonian version, called “ Himne de l ’ Alegria ” .) With respect to staging, it is clear that the Sabadell flash mob shaped the setting of all “ professional ” flash mobs to come. The event starts with one instrument, which given the musical score is either a double bass or a cello. At first, the player seems to be a street-musician, which is signaled so by a hat or an instrument-case placed in front of her or him. At some point someone, usually a child, puts a coin into the case and this serves as a starting point for to begin the final section of Beethoven ’ s Ninth Symphony. Other instruments join in, as if they come out of nowhere, and the gathered people reveal themselves to be, for the most part, a professional choir. As the music continues, the camera shows people who appear to be full of astonishment looking into the open sky as if they were remembering something very beautiful from their childhood. The camera shows children who are full of excitement. One set element is that a child climbs onto a streetlight pole in order to see the orchestra better. At the point when the music (with or without words) speaks of friendship and love, the camera zooms in on a couple or another scene of affectionate closeness. Of course, people in the streets pause to see what is going on. Some join the singing choir. Others just listen and at the end, everyone seems to be full of joy and everyone applauds for everyone. These stagings of Europe, or more precisely of the finale of Beethoven ’ s Ninth Symphony, render visible a moment of peaceful community that emerges, as it would seem, from nowhere, evoked by music, the universal language, and that integrates everyone passing by, gathering a colorful ordinary group of people joined together as one by a welltrained orchestra performing, not in a concert hall, but in the middle of town. As indicated earlier, these flash mobs are taken as models for ‘ Pulse of Europe ’ gatherings. They are, for instance, imitated by a school orchestra or a group of people just bringing their instruments from home. These events, and I assume this is done deliberately, are not very well choreographed and the musicians are not professionals, and few of the films of these events would meet professional standards. They are recorded on smart phones, with the result that often only one voice, probably the voice of the person recording, can be heard. 17 The rather unprofessional nature of such gatherings is, I believe, intentional, because the movement is supposed to stay independent from parties or sponsoring banks, and the movement is also intended to be for all people based on the grassroots idea that invites everyone to “ stage ” his or her Europe. Finally, unconventional performances of the Ode to Joy can be heard as well, like the example from Karlsruhe. 18 145 ‘ Pulse of Europe ’ - Flash Mob - Symphony Performances of Beethoven ’ s Ninth Symphony have historically been linked to politics in as many different ways as politics can devise. After World War II, however, this piece of music was also linked in a special way to the EU and to European integration. 19 While the anthem for the European Union is based on Beethoven ’ s finale, it is an arrangement for brass-ensemble by Herbert von Karajan, 20 which is rarely heard as such. The chorus of the finale has only recently been sung publicly very often, and more or less in tune, as a symbol of people ’ s commitment to the European Union. Whereas the anthem was arranged and meant to be a piece of music without text, 21 , the chorus sung in public most often uses Schiller ’ s words, often in German, regardless of the place 22 . Long before there was an anthem at all and before people started to even know about it, Beethoven ’ s Ninth Symphony was played in concert in order to celebrate freedom, peace and friendship after a century of war and devastation on the continent. 23 Before the anthem was decided upon, there had been “ rudimentary a tradition “ 24 , linking the idea of Europe with Beethoven ’ s music. Esteban Buch shows in detail how difficult it was for the Council of Europe to find a “ European “ anthem. The decision to not put Beethoven ’ s music together with Schiller ’ s text did not stem from the idea of favoring the universal language of music. Instead, it stemmed from the idea that Schiller ’ s (and Beethoven ’ s) ideas were too universally “ universal ” : As to the text of such an anthem, certain reservations were articulated, and first in respect to the actual wording of the ode to joy, which is no specific European creed, but rather a universal one. (Translation AE) 25 The Council was in search of nothing less than a creed - not a religious one or a universally European one. They were looking for an anthem that would not just prolong the tradition of national anthems. At the same time, however, in their discussions regarding European symbols, they stuck to the models for a nation or maybe a united nation. Being universal and thus humanist, Beethoven ’ s music and Schiller ’ s text very likely transcend this idea, despite the ways they had been instrumentalized for nationalistic and totalitarian purposes. If so, the council would have outwitted itself by choosing a universal piece of music that still lacked a creed as an anthem to be played whenever Europe presented itself or whenever Europe would be staged. Could they have anticipated that virtually everyone around the globe would remember the words to this melody in no matter what language and thus, at least inwardly, would be huming a universal creed for mankind, rather than a “ European ” creed? Of course, it has always been the openness of this creed that allowed it to be used as a symbol for one nation and also for communist internationalism. 26 At the same time, it was this openness that always transcended and rejected all attempts to instrumentalize it. If Europeans today stage ‘ their Europe ’ singing more or less in tune Beethoven and Schiller ’ s Ode to Joy, they are structurally singing of universal values that transcend an exclusively European creed. Consciously or not, the founding mothers and fathers did well to not fill in the text for this anthem. They did not and could not know which one to choose and maybe the universal one is not the worst choice. In the same sense, the open field on which the golden stars of Europe appear, was also something that was not intended. The Council argued that one day a European symbol could be placed there, 27 but today, it is just the symbol of the EU as an open field that holds its stars together but at the same time remains undefined. At that time, the Council talked about the “ blue sky of the West ” 28 - maybe today we could think of it as a blue sky that is a blue sky all over the globe? 146 Antonia Egel Accordingly, a Europe that reflects upon its identity has to solve exactly the problem that Gide posed in 1925. Such a Europe needs to be self-aware and individualistic and at the same time it should be willing to integrate many different interests in the universal interest of peace and freedom everywhere on Earth. If we follow Gide ’ s line of thought, we would neither be denying ourselves nor our identity as Europe. At the same time, we would need to refrain from defining this identity as if it were a national identity. 29 The problems facing the founding fathers and mothers of the European symbols might be to our advantage today. Staging Europe as a chorus might serve as an appropriate image for this. A chorus is formed by individuals that find harmony together in a unit of sound that is not homogenous, but rather as a common sound is differentiated in many ways. Beethoven ’ s Ninth Symphony is, in particular, a piece of music that remains so complex and diverse that it is, in the strongest sense of the term, incommensurable. It needs to be heard and interpreted repeatedly in order to be understood, perhaps, increasingly, and also to understand that it is not to be understood fully by a person and in a single lifetime. 30 Thus, Beethoven ’ s piece of music is much more than the melody of its finale. If we sing or play this melody as an anthem, we should be aware of the whole symphony. 31 Maybe as a whole, it offers a true picture of Europe ’ s devastating past and as such, also a picture of the hope we can have in and for our times, not simply for Europe but for mankind, a hope that it might be possible to overcome war and devastation. Staging Europe as a true chorus of as many voices as voices could exist without neglecting a single singer and still managing a pleasant sound in the end is no small task, nor one easily achieved. In this respect, public performances of Beethoven ’ s Ninth Symphony also play an important role in staging Europe. In 2018, the European Central Bank together with hr- Sinfonieorchester staged an “ Europa-Open- Air ” . 32 Beethoven was not the only music on the program — and because of weather conditions, it was not performed. Instead, a great variety of music from all over the world that in some way celebrated the special guest, Lithuania was on the program. This seems to be part of an orchestra ’ s program to go out and reach people in the streets and in public spaces as well as a program of one of Europe ’ s most important institutions to go into the streets and directly meet the people there. When announcing the concert, Mario Draghi emphasized the role of music and culture as moments of connection in times when politics appeared to pull people apart more than join them together. So, music appears to function as politics in a direct way at the same time as music as such plays the major role. It is the art of musicians and conductors to let the music speak for itself rather than to make the music dance to a given tune. 33 So, whenever Beethoven ’ s Ninth Symphony or other great music is played and sung as a contribution to its incommensurability, there is openness to be experienced that perhaps will change people in a very silent way, which only the individual listening will be aware of, or maybe it will not change them. It is this openness that is the challenge. Notes 1 Hermann Kassack, “ Jahrmarkt Europa ” , in: Europa-Almanach 1 (1925), pp. 5 - 6, here p. 6: „ Schauplatz Europa wird ein Jahrmarkt - Bravo! “ 2 Oskar Schlemmer, “ Der theatralische Kostümtanz “ , in: Europa-Almanach 1 (1925), pp. 189 - 191, here p. 191: “ Das triadische Ballett, vor dem Krieg begonnen, durch diesen in der Weiterarbeit auf Jahre vereitelt, konnte infolgedessen erst 1922 seine Uraufführung erleben. Es sollte - obwohl ein 147 ‘ Pulse of Europe ’ - Flash Mob - Symphony geschlossenes Ganzes darstellend - den Anfang dessen bedeuten, wie ein deutsches Ballett zu gestalten wäre, ohne in die Abhängigkeit von zwar bewundernswerten aber doch wesensfremden Parallelerscheinungen anderer Nationen zu geraten. ” 3 Bertolt Brecht, “ Ballade von der Freundschaft ” , in: Europa-Almanach 1 (1925), p. 21. 4 See Europa-Almanach 1 (1925), p. 285. 5 André Gide, “ Europas Zukunft ” , in: Europa- Almanach 1 (1925), pp. 24 - 33, here p. 33: “ Kein Land Europas (kann) von nun ab nach wirklichem Fortschritt seiner eigenen Kultur streben, wenn es sich isoliert und andere Länder nicht indirekt mitarbeiten, und (. . .) in politischer, ökonomischer und industrieller Hinsicht - in jeder Hinsicht - (geht) ganz Europa dem Untergang entgegen (. . .), wenn jedes Land Europas nur sein eigenes Heil ins Auge zu fassen gedenkt. Vernarrtheit in dem (sic! ) Nationalismus: er widersetzt sich auch der Entpersönlichung, die der Internationalismus erstrebt. [. . .]. Indem man am individuellsten ist, dient man dem allgemeinen Interesse am besten; und das ist für Länder ebenso wahr wie für Individuen. Aber diese Wahrheit muß durch die folgende verstärkt werden: Im Verzicht auf sich findet man sich. ” 6 Friedrich Nietzsche, Die Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik, KSA I, pp. 29 - 30. 7 See https: / / pulseofeurope.eu [accessed 30 September 2019]. 8 Düsseldorf, 11th of May 2017: https: / / www. youtube.com/ watch? v=P7ZyUfRBMl4 [accessed 30 September 2019]. 9 See: https: / / www.youtube.com/ watch? v=q2b LHyYaK6M [accessed 30 September 2019]. 10 https: / / www.youtube.com/ watch? v=bZUx OKdfdeE [accessed 30 September 2019]. 11 https: / / www.youtube.com/ watch? v=R1e1zC w2Tv4 [accessed 30 September 2019]. 12 https: / / www.youtube.com/ watch? v=a23945b tJYw [accessed 30 September 2019]. 13 https: / / www.youtube.com/ watch? v=ZxUm q2tOQ2Q [accessed 30 September 2019]. 14 https: / / www.youtube.com/ watch? v=GBaHP ND2QJg [accessed 30 September 2019]. 15 https: / / www.youtube.com/ watch? v=_qjiV m6Lzdc [accessed 30 September 2019]. 16 https: / / www.youtube.com/ watch? v=QwL F68ue0Bg [accessed 30 September 2019]. 17 See for instance: https: / / www.youtube.com/ watch? v=P7ZyUfRBMl4 [accessed 30 September 2019]. 18 https: / / www.youtube.com/ watch? v=7bcxY bIzR0c [accessed 30 September 2019]. 19 See Andreas Eichhorn, Beethovens Neunte Symphonie. Die Geschichte ihrer Aufführung und Rezeption, Kassel 1993, especially pp. 289 - 339 and Esteban Buch, Beethovens Neunte. Eine Biographie. Aus dem Französischen von Silke Hass, Berlin/ München 2000, and also Dieter Hildebrandt, Die Neunte. Schiller, Beethoven und die Geschichte eines musikalischen Welterfolgs, München/ Wien 2005. 20 https: / / europa.eu/ european-union/ sites/ euro paeu/ files/ docs/ body/ european-anthem-20 12.mp3 [accessed 30 September 2019]. It is worth listening to this version attentively. It is an excerpt from Beethoven ’ s finale and it is rather quiet, perhaps even a little hesitant. Karajan knew what he was doing, when he put it like that, removing all the pathos. 21 See Buch, Beethovens Neunte, pp. 301 - 303. 22 See for instance 24 June 2016 in London: https: / / www.classicfm.com/ composers/ bee thoven/ news/ ode-to-joy-brexit-protest-lon don/ [accessed 30 September 2019]. 23 This was done most famously by Leonard Bernstein in Berlin for Christmas in 1989. He put together an orchestra of musicians from the West and the East and broadcasted the concert to the whole world, changing the word „ Freude “ to the word „ Freiheit “ . See: https: / / www.youtube.com/ watch? v=IInG5 nY_wrU [accessed 30 September 2019]. 24 “ Europarat, Beschluß 492 ” (1971), zitiert nach Buch, Beethovens Neunte, p. 301: „ ansatzweise eine Tradition “ . 25 “ Europarat, Beschluß 492 ” (1971), zitiert nach Buch, Beethovens Neunte, p. 302: „ Was den Text für eine solche Hymne anbelangt, wurden gewisse Vorbehalte, zunächst hinsichtlich des aktuellen Wortlauts der Ode an die Freude, geäußert, der kein spezifisch 148 Antonia Egel europäisches Glaubensbekenntnis darstellt, sondern eher ein universelles. “ 26 See Buch, Beethovens Neunte, p. 295. 27 See Markus Göldner, Politische Symbole der europäischen Integration, Frankfurt a. M. u. a. 1988, pp. 33 - 84, esp. p. 81. 28 See ibid., p. 82. 29 Some expressions, for instance, from the European Union remind us of expressions familiar from nationalism. This, of course, is not what the movement aims to do, but by trying to strengthen European identity with the best intentions, it adopted, probably unconciously, symbols and statements of national identity. For instance the slogan „ mit europäischen Grüßen “ (see for instance www.eud-freiburg.eu/ über-uns/ ) was taken from „ mit deutschem Gruß “ . Only the adjective was changed. As shown above, the European Council was also thinking in terms of national identity while they were searching for European symbols. Because there were none to be find in this way, they left it open. Why don ’ t we now chose this openness as shaping and living European identity? 30 See David B. Green, The Imagining of Community in Works of Beethoven, Verdi, and Shostakovich, New York et al. 2010, p. 127. 31 Dieter Hildebrandt argues that we should understand Beethoven ’ s symphony as a „ Hymnus auf die Vergeblichkeit “ (Hildebrandt, Die Neunte, p. 347). Maybe, if we understand this, the music, including all the disappointments and horrors it also shows, can once again be a symbol of hope. Without hope, we cannot move on. The less this hope neglects the horrors of history and of present day, the stronger it can perhaps be. For the incommensurability of Beethoven ’ s symphony, see also David B. Green, The Imagining of Community in Works of Beethoven, Verdi, and Shostakovich, New York et al. 2010, p. 168. 32 See https: / / www.youtube.com/ watch? v=48w 5IO6dNmw [accessed 30 September 2019]. 33 Ricardo Muti, for instances, stages the symphony with the Chicago Symphony Orchestra as an intense promise that this might be possbile, this harmony, but also as an illustration of how unlikely it is. https: / / www.youtube.com/ watch? v=rOjHhS5MtvA [accessed 30 September 2019]. 149 ‘ Pulse of Europe ’ - Flash Mob - Symphony Europa: Resonances of the Mythological Figure in Contemporary Theatre Nicole Haitzinger (Salzburg) She teases with those flashes, yes, but once you yield to human horniness, you see through all that moonshine what they really were, those gods as seed-bulls, gods as rutting swans - an overheated farmhand's literature. Who ever saw her pale arms hook his horns, her thighs clamped tight in their deep-plunging ride, watched, in the hiss of the exhausted foam, her white flesh constellate to phosphorous as in salt darkness beast and woman come? Nothing is there, just as it always was, but the foam's wedge to the horizon-light, then, wire-thin, the studded armature, like drops still quivering on his matted hide, the hooves and horn-points anagrammed in stars. 1 Derek Walcott, Europa (1981) This article analyzes appearances of Europa in ancient myth, tragedy and historiography, as well as resonances of this figure in contemporary theatre. The study combines two lines of thought, both rooted in theatre studies. First, the figure of Europa is specifically defined as female in the multifarious ensemble of our cultural memory - Zeus disguised as a bull abducts the royal Phoenician daughter Europa and carries her off to Crete. Second, the far-reaching and numerous resonances of Europe as myth from Ovid ’ s Metamorphoses. In contrast to the ancient model of female suffering both thoughts remain relevant for understanding stagings of Europa in the present. The topic embodies the contemporary need to empower the feminine through body and voice and will be exemplified using various examples such as Magnificat (2011), Rimini Protokoll ’ s Hausbesuch Europa (2015), Philippe Quesne ’ s Big Bang (2010). This paper analyzes appearances of Europa in ancient myth, tragedy and historiography, as well as resonances of this figure in contemporary theatre. My study combines two lines of thought, both of which are rooted in theatre studies. First, the figure of Europa belongs to a group of characters who are specifically defined as female in the multifarious ensemble of our cultural memory. This fact is often forgotten with respect to Europa although it is not with respect to Medea, Helena, Antigone or Iphigenia. Second, the fate of Aeschylus ’ tragedy Carians with Europa as the main protagonist, which has only survived in fragments, corresponds with the detachment from the character ’ s name. Europe becomes the name of a continent that was not thought to be one. Jacques Derrida turns to Valéry ’ s metaphor to highlight this in his own profoundly lucid Forum Modernes Theater, 31/ 1-2 (2020), 150 - 159. Gunter Narr Verlag Tübingen DOI 10.2357/ FMTh-2020-0014 characterization of Europe: “ A cape, a little geographical promontory, an ‘ appendix ’ to the body and to the ‘ Asian continent ’ , such is in Valéry ’ s eyes the very essence of Europe, its real being ” . 2 In addition to the various tropes used to stage Europa in history, philosophy and politics, this figure also continues to perform in the cultural institution of the theatre. Here, I understand the resonance of this character as an echo in a broader sense. In the theatre, Europa, known from the ancient myth and from the tragedy, can be staged and aesthetically experienced in various manners: she can be embodied concretely in a character role as we see in the comédie-héroïque Europe, commissioned in 1643 by the Cardinal Richelieu or she can be a topos as we see in Rimini Protokoll ’ s 2015 Hausbesuch Europa. The role and the topos of Europe can be exemplary defined as two opposing aspects, even though their interrelations predominate in theatre practice. The Conception of Europe as Territory in Herodotus ’ Worldview Herodotus ’ Histories is a paradigmatic turning point within ancient thinking. It marks the moment when historiography gains ascendancy over myth. But of Europe it is plain that none have obtained knowledge of its eastern or its northern parts so as to say if it is encompassed by seas; its length is known to be enough to stretch along both Asia and Libya. [. . .] But as for Europe, no men have any knowledge whether it be surrounded or not by seas, nor whence it took its name, nor is it clear who gave the name, unless we are to say that the land took its name from the Tyrian Europa, having been (as it would seem) till then nameless like the others. But it is plain that this woman was of Asiatic birth, and never came to this land which the Greeks now call Europe, but only from Phoenice to Crete and from Crete to Lycia. 3 While the Histories were written against the backdrop of mythology, Herodotus was visibly committed to providing evidence as the basis for a geographically precise definition of Europe. Nonetheless, certain mysteries prevail. Is the landmass Europe surrounded by sea in all four cardinal directions? How did the formerly nameless land get its name? Herodotus argues that the mythological figure was not an eponym. That Europa was abducted from Asian Phoenicia and transported to the island of Crete, which was not thought to be part of the European continent, by Zeus in the form of a bull. After giving birth to her three sons, Minos, Sarpedon, and Rhadamanthys, she returned to the Asian Lycia. The myth permeates Herodotus ’ logos, although an ambiguous distinction is made between the figure Europa and the territory of the same name. Since antiquity, the performing arts have figured the character and the territory as two distinctly separate entities. Europa ’ s Present Existence “ Is Europe the product of a universal idea, whose contemporary existence can be adequately captured in terms of some earlier figure or trope? ” 4 : Stuart Hall ’ s question in his essay In But Not of Europe. Europe and Its Myths seems to me to be key for understanding Europa as figure from a contemporary perspective. It is possible that the old myths, which not solely derive from Greek thought, produce narratives that invoke cultural memories and are relevant to present times.The capacity to invent Europe without eurocentrism 5 is revolutionizing. This means thinking of models that were already in play at the dawn of European civilization and that are in existence as it decays. Here, symptomatically, Ivan Krastev points to the decay of the European Union - caused either by nationalistic monopolization or fragmenta- 151 Europa: Resonances of the Mythological Figure in Contemporary Theatre tion - which had been long unthinkable. 6 According to Krastev, migrants have become historical actors who will decide on Europe ’ s fate. 7 Thus, at present, the wide-ranging phenomenon of endangered majorities calls into question the viability of a deeply-rooted openness to cosmopolitanism in many parts of Europe. Since the middle of the 1980 s, renationalization, the new global economy, the reconfiguration of global power relationships and the emergence of super power hegemonies, has created a kind of intellectual inversion and attention has focused on probing how that which is exterior to Europe defines and constitutes Europe. Thinkers like Ernesto Laclau (1985), Judith Butler (1993), Jacques Derrida (1991), Achille Mbembe (2017) repeatedly describe how figures and scenarios of migration render an enlarged Europe imaginable. In Sortir de la grande nuit, Achille Mbembe sagely interrogates what appears self-evident, namely that democracy is deeply interwoven with the fate of the specific institutions that constitute borders. 8 In considering the future of democracy, he raises three vital questions. The answers to these questions seem to lead to a certain helplessness in the context of contemporary Europe: (1) Who is my neighbor? (2) How does one treat one ’ s enemy? (3) What about foreigners? 9 Greek thought - whether philosophy, political theory, or theatre - is essentially contingent on that very disputation of these questions. Different paradigmatic answers to these questions regarding the criteria for belonging, hospitality and exclusion criteria are articulated in a variety of ways, framed alternatively either rhetorically or theatrically. These responses attest to either close entanglement with myth as in the case of theatre or distanced entanglement with myth as in the cases of philosophy and political theory. The practice of disruptive theatre is distinct from politics. It complicates the prevailing ideology, whether this is seen as a set of ideas or as a set of worldviews, 10 simply because ideology is only one of the parameters that subtends theatre. Europa as Enigmatic Figure In Greek and Roman thought and even far beyond these, various figures of Europa appear as mutually interdependent without one prevailing, tying her down or distinctly enchaining her. Europa needs to be understood as an inexhaustible and enigmatic trope, modelled variously as a figure in which what is present and what is distant intertwine: it is told again and again, it is depicted and staged. Currently, numerous facets of Europa ’ s trope are established within a theatrical context that accentuates the ambivalence and the ‘ darker side ’ of the myth. These serve to situate ancient Greek culture within a nexus of eclectic interrelations with the Middle East and North Africa. 11 I would like to analyze four models of the figure Europa. These form effectively four tropes from Greek and Roman thought. They remain relevant to understanding stagings of Europa in the present. Thus, I will focus on one specific aspect that relates directly to the topics discussed in this publication. The prototypical scenario, Zeus disguised as a bull abducts the royal Phoenician daughter Europa and carries her off to Crete. This is a constant formula that is embroidered upon in Greco-Roman thought. In Homer ’ s Iliad, for instance, Europa is attributed as the “ daughter of far-famed Phoenix, who bore me [Zeus] Minos and godlike Rhadamanthys ” . 12 After her forced migration, this female who came from somewhere else, is responsible for a new ‘ European ’ dynasty that results from the birth of her son Minos and, as the mother of godlike Rhadamanthys, she is the catalyst for 152 Nicole Haitzinger the drafting of legislation in the underworld. Where does Europa come from in Homer ’ s world? Ancient Phoenicia can be defined geographically as a narrow coastal strip leading from northern Israel through Lebanon to what nowadays constitutes southern Syria. As the confederation of several city states of the Levant, Phoenicia was one of the most important forces linked to migration and colonization in the Mediterranean until the sixth century before Christ. Mark Woolmer ’ s study A Short History of the Phoenicians (2017) highlights specific characteristics that appear particularly relevant to the link between mythical and historical thinking in descriptions of Europe ’ s origins. First of all, Phoenicia was a network of autonomically mercantile city states and as a result, Phoenicians did not distinguish themselves through a joint ethnic identity. Instead, “ they typically defined themselves according to the city state in which they held citizenship (i. e. ‘ I am a man of Byblos ’ or ‘ I am from Tyre ’ rather that ‘ I am Phoenician ’ [. . .]) ” . 13 Second, Phoenicia was a maritime migration and colonization powerhouse with Carthage as the Phoenician colony par excellence. 14 Third, the eclectic cultural and artistic artifacts and practices featured various borrowings from Egypt, Assyria and Syria and they demonstrate the multilayered cultural interrelations in the ancient Mediterranean world. 15 Greek philosophers and historiographers acknowledged the invention of the first alphabet, which is considered to be an independent cultural achievement. This goes back to 1100 years before Christ and migrated to the West and to Greece as a result of maritime expansion. Now, let us return to the figure of Europa in tragedy and epic and how this resonates in contemporary theatre. As some sort of preamble, the painting Il Ratto di Europa and the mythical figure on an antique vase should be visualized here, signed by Assteas and dating back to the fourth century before Christ. 16 Specifically, in the image on the vase, Zeus is depicted as bull who is carrying the abducted Europa across the sea. This motif is not new in the repertoire of the Hellenistic world. Still, the theatricality of actions portrayed on this vase are exceptional. Recent archaeological research accentuates its links to Aeschylus ’ (lost) tragedy Carians 17 built upon three aspects: first, the image of a bull with light fur contrasts with Europa who sits on his back wearing an highly-ornamented dress whose ends - in an exceptionally beautiful way - become the sail. Second, Europa ’ s body is segmented in three: (1) the head turns foreward to the left, that is to say toward the west, in the direction of the still nameless continent; (2) the torso with both arms faces forward, with the left hand holding a cornet and the right hand the sail/ dress; and (3) the lower body and both legs point to the right, that is to say back toward the east and eventually to Phoenician Asia. In this scene, Europa can be seen as a tragic character, a figure torn between West and East, between continents. The additional cast of characters grouped on the front of the vase (Aphrodite, Hermes, Eros, Scylla, the personification of Crete, Photos and Triton) and on the back (Dionysus, the god of theatre, with maenads and satyrs), frame the staged and theatrical representation of the myth. Aeschylus ’ Carians: Europa as Lamenting Mother and Warrior Resonating in Marta Górnicka ’ s Magnificat In Carians, the previously mentioned fragment of an otherwise lost tragedy by Aeschylus, Europa bewails her abduction by Zeus to the detriment of her father in a monologue. As a mortal woman she was forced into marriage and underwent the painful experience of childbirth three times: “ I, a mortal woman, united with a god, gave up the 153 Europa: Resonances of the Mythological Figure in Contemporary Theatre honour of virginity, and was joined to a partner in parenthood; three times I endured a woman ’ s pains in childbirth, and my fertile field did not complain nor refuse to bear to the end the noble seed of the Father. ” 18 In Greek thought, there is a strong equivalence between giving birth and fighting in a battle, between the female pain of labor and the male wound in war, as Nicole Loraux underscores in The Experiences of Tiresias. “ The model for suffering is feminine ” . 19 The intensity of the black pain is associated with pain experienced by women and by warriors who are fatally injured in battle. Tragedy, which functions by destabilizing any kind of representation, complicates gender relations to their very limits. It is no coincidence that Europa ’ s births are, once again, reversed in Aeschylus ’ virtuously ambiguous language. He activates the dual meaning of the words and the equation with military conflict. Europa suffers in childbirth like a warrior suffering from his wounds. “ [S]torm-tossed with anxiety, ” 20 she fears the death of her third son Sarpedon who is fighting in the Trojan War and, in fact, already dead when she gives this prophetic arranged speech: “ My hope is slender, and it rests on the razor ’ s edge whether I may strike a rock and lose everything. ” 21 Europa is a lamenting and martially attributed mother abducted and raped by Zeus, Her first son, Minos, is fated to establish a patriarcal regime by generating an expanding dynasty. The second, Rhadamanthys, is fated to bear responsiblity for the underworld ’ s legislation. The third, Sarpedon, is fated to die in war. On a vase painting from 390 B. C., which Oliver Taplin links to Aeschylus ’ Carians, Europa is portrayed specifically as a figure from tragedy. In a theatrical mechane scene, the winged twins Hypnos (sleep) and Thanatos (death) bring Sarpedon, Europa ’ s son who died in Troy, to Lycia in southwestern Asia Minor. There is no doubt that this is a royal Europa. She appears like a queen sitting on a type of throne and dressed in orientally-ornamented clothes with tight cuffs. In Aeschylus ’ tragedy, Europa is presented in the guise of a lamenting queen and martial mother. Deprived of her Phoenician ancestry and honour by Zeus, she faces two constants that characterize Greek civil society: first, the obligation to endure the pain of childbirth in order to preserve the polis and second, the obligation to accept her son ’ s death in battle as legitimate. At least, Aeschylus gives her a voice in his tragedy. . . In Magnificat (2011), the Polish director Marta Górnicka stages a women ’ s choir that bears witness to urgent contemporary need to empowering the feminine through body/ voices. In an interview with Dawid Kasprowicz and Peter Ortmann, Górnicka states that there is no neutral language, no genderless language in culture. There is no language that does not describe women in an ideologised way. For this reason, she chooses to blend different linguistic styles and rhetorical forms. She believes that the policy of hybridization works like a bomb, detonating language and causes an explosion on stage. 22 The rhythm of the Latin verses of the Magnificat and Johann Sebastian Bach ’ s fivepart composition serve to structure the choir comprised of 25 Polish women from different generations and professions. In the Song of Mary from the first century A. D. and in a time of violence, the articulation of that which no one was allowed to voice in public is legitimized by the virgin who is a mother at the same time.In contrast to the predominantly rigid image of Mary as maternal vessel promoted by the Catholic Church, Górnicka ’ s scenario declares Mary an empowered figure an gives her an influential martial voice similar to Europa ’ s in Aeschylus ’ Carians: “ Deposuit potentes de sede et exaltavit humiles. ” 23 Górnicka ’ s Magnificat (2011) is a polyphonic pop-cultural postopera based upon a complexly interwoven 154 Nicole Haitzinger collage of texts from The Bacchae by Euripides, the Bible, Polish newspapers, recipes, passages from Jelinek, and fragments from the national poet Michiewicz. It is staged vocally and physically through choreographic formations. Górnicka ’ s artistic starting and vanishing point depends on two characters that form a dyad: Mary, who is simultaneously mother of a son whose divinity is disputed and virgin and the wild Agave from The Bacchae, who unknowingly rips her son into pieces in maenadic rage. In European contemporary theatre, the female lament appears in different forms. The sorrow of the mothers, whether Europa or Mary, imposes itself as a revolt against the principles of exclusion. Moschus ’ Europa, or the Fight for Supremacy: “ The Land Opposite ” and Resonances of the (Still) Nameless Europe in Rimini Protokoll ’ s Hausbesuch Europa. In Moschus ’ epyllion Europa, Cypris (another name for Aphrodite) sends a dream to Europa shortly before dawn. At this time it is important to note that in Greek thought dreams were considered specifically realistic and as constituting reality. Two continents compete: “ she saw two continents contend for her, Asia and the land opposite; and they had the form of women. Of these, one had the appearance of a foreigner, while the other resembled a native woman [. . .]. ” 24 The still nameless continent, characterized as foreign and violent in this paradoxal genealogical construction, takes possession of Phoenix ’ s daughter via Zeus. Thus, it seizes the political and cultural supremacy in the Mediterranean area (Europe, Asia, North Africa) and this is legitimized through a number of mythical and dynastic interrelations. What is Europe? Is it a geographical border, a cultural identity, an association of states? In Hausbesuch Europa, theatre collective Rimini Protokoll ’ s initiates the search for artistic answers to these precise questions. According to the dramaturge Imanuel Schipper, achieving a draft of a specific dramaturgy that stages the audience is the main artistic goal in Rimini Protokoll ’ s oeuvre. Hausbesuch Europa, conceived of as “ a performance you can put in your hand luggage ” 25 , can be understood as a deliberate trial testing democracy in a post-democratic Europe. To explain the relationship between politics and aesthetics of Rimini Protokoll, Schipper refers to the description of society, introduced by the sociologist and political scientist Colin Crouch in a polemic gesture in Coping with Post-Democracy (2000). He suggests that democracy can only develop, “ when there are major opportunities for the mass of ordinary people actively to participate, through discussion and autonomous organisations, in shaping the agenda of public life, and when these opportunities are being actively used by them. ” 26 Hausbesuch Europa is theatre that takes place in different European cities in private flats. The host is allowed to invite two friends, thirteen additional guests attend with purchased tickets. They ‘ play ’ at a table covered with a white paper map upon which the European borders are marked in black. A simultaneously futuristic and retro 1980 s style dominates as a so-called “ random generator ” spits out temporally-organized guidelines for the guests who become actors in this performance. The game begins with an explanation of the rules and the guests learn that it is about “ networking between you and your relationship to Europe and the world ” , that is to say it is about the people sitting at the table and, more significantly, about how big a piece of cake you get in the end. 27 The game is structured so that players can reach five levels. Five aspects of the EU 155 Europa: Resonances of the Mythological Figure in Contemporary Theatre treaties, signed in chronological order, serve as the motor for the action. Level 1 is based upon the idea of a European network as articulated in the foundational treaty for what becomes the EU. This treaty was signed in 1951 between six countries (Belgium, France, Western Germany, Italy, Netherlands and Luxembourg), who declared themselves to be the “ European Coal & Steel Community ” . In the preamble, they emphasize the goals: “ to substitute for historic rivalries ” and to unite “ peoples long divided by bloody conflicts ” ; to maintain peace and raise “ the standard of living ” which are the “ common bases for economic development ” . These serves to define the EU is an economic association that promotes peace. 28 The first level consists mainly of questions regarding the border between the private and the political. But, against the backdrop of questions like “ What was the last political issue you had a debate about at this table? ” 29 the players are told to preheat the oven for the cake to 180 degrees. Level 2 takes up the Luxembourg Compromise. This is an agreement from 1966 that establishes “ a universally acceptable compromise ” , agreeing to disagree “ where a country believed that its vital national interests might be adversely affected ” . 30 A matter needs to be discussed until a compromise has been reached In the second phase of the game, guests statistically evaluate questions like “ Who has a job that pays enough to live from it? ” or the question of trust in democracy. 31 A pie chart illustrates the quasiempirically won results and depicts these by percentage. This sets the stage for level 3, which operates on the basis of the first major revision of the founding European treaty, signed by twelve members states of the EU in 1986 in The Hague. This Single European Act, introduced the rule of “ qualified majority ” and did away with the requirement for unanimity in the name of efficiency. It allows players to prevent decision lag. 32 This performance phase of Hausbesuch Europa promotes group decisions. At level 4, two important aspects introduce to competition and dissent: (1) the Dublin Convention from 1990 makes the point-of-entry country responsible for handling applications for asylum and (2) the Treaty of Maastricht from 1992 defines the economic level that countries have to reach in order to enter the European Union. This strategic round of the game is about winning points by making anonymized decisions. Teams are formed grouping people who have shown similarities during the course of the game. They may share, for example, similar beliefs regarding democracy. Each team answers questions like: “ If (the) total budget (of the EU) was divided between the inhabitants of the EU, how much would each inhabitant have to pay [. . .]? ” 33 Depending on the answers they give, teams win or lose points. They may even fight for points by arm wrestling. Each team elects or chooses a representative by number of points. The fifth and final level is devoted to sharing the cake depending on the number of points achieved by each team. This is based on the Treaty of Lisbon (2007) which establishes the status of legal personality for the European Union. At this point, the rule of double majority is also instituted and this prevents small countries from blocking decisions. Now, the participants have to decide if the winning team should be excluded from the distribution of cake or if it should get schnapps. The fully baked cake is cut into smaller and larger pieces and shared according to the number of points each team has reached. Hausbesuch Europa conveys the complex history of the European Union and its conception of democracy as a small comprehensible narrative articulated in different treaties. In the third phase, Moschus ’ small epic is read out about the dream of two continents, the conflict between Asia and the still nameless continent for possession of the 156 Nicole Haitzinger Phoenician girl and the prophecy about the girl ’ s abduction by Zeus in the form of a bull. Like the story of how the EU came to be, Europe ’ s ancient myth of descent bears witness to the struggle for supremacy, regardless of whether this struggle is continental and/ or within European, cultural and/ or economic. Ovid ’ s Metamorphoses: Resonances of Europa and the White Bull as Fiction in Faustin Linyekula ’ s La Création du Monde The resonances of Europe as myth from Ovid ’ s Metamorphoses are numerous and far-reaching. While the motives and the narration in this Latin work are similar to Moschus ’ earlier and shorter Greek epic, the concept of transformation is emphasized more in Ovid ’ s fiction. This Roman poet uses the dynastic interweaving of gods, humans, stars, animals and plants to construct myth in a literary mold. Ovid situates Phoenicia to the left of Maia ’ s star. Maia was transformed into a star in the Pleiades: “ My son [Mercury], always faithful to perform my [Jupiter/ Zeus ’ s] bidding, delay not, but swiftly in accustomed flight glide down to earth and seek out the land that looks up at your mother ’ s star from the left. The natives call it the land of Sidon. ” 34 Zeus appears in form of a white bull: “ His colour was white as the untrodden snow, which has not yet been melted by the rainy south-wind ” 35 , “ quippe color nivis est ” . 36 This white bull comes from a still nameless continent. In the early modern period, the color white is associated with Europa. She is figured with fair skin in paintings and in the performing arts. The institution of this trope of a white Europa is legitimized by a reversal in the interpretation of the myth of Europa found in Ovid ’ s literary work of art. The whitewashing of figures in European theatre is currently staged as topos or theme in many ways. Artistic interpretations of and allusions to this are numerous and varied. For instance, Romeo Castellucci ’ s staging of Schönberg ’ s opera Moses and Aron (2015) uses a light-coloured Charolais bull instead of an abstracted golden calf and this causes a theatrical scandal. In La Création du Monde 1923 - 2012, Faustin Linyekula specifically argues against ballet as mostly ‘ white ’ art. Casting for roles of the so-called ‘ classics ’ in German-language municipal theatre repertories is shifting. Director and staging decisions are increasingly influenced by identity politics. This makes the plurality of European society on stage visible. Signature pieces include Antigone Sr./ Twenty Looks or Paris is burning at the Judson Church by Trajal Harrell and Marlene Monteiro Freitas ’ Bacchae: Prelude to a purge should be seen in this light. Both of these examples interweave ancient tragedy with narratives and motifs like movement and alterity/ foreign-ness (cultural, historical, genre). Pseudo-Eratosthenes ’ Catasterismi: Resonances of Europe Beyond Borders in Philippe Quesne ’ s post-utopian world, Big Bang (2010) Mythological origins of celestial alignment are indicated in the Catasterismi ( “ placing among the stars ” ) and the justification of the zodiac sign Taurus reads as follows: the bull (Zeus) should be placed among the stars because he took Europa from Phoenicia to Crete across the sea, as Euripides says in Phrixus. Others say that the bull is Io ’ s reflection and because of her, Zeus honored the bull. In Greek thought, various versions of the myth are possible. Initially, the model is the one that figured in Euripides ’ lost tragedy. In contemporary theatre, a world without borders from a European perspective is imagined in several ways and utopian scenarios are frequently constructed. Works by 157 Europa: Resonances of the Mythological Figure in Contemporary Theatre the French theatre director Philippe Quesne offer useful examples of this current practice in contemporary theatre. The name of his company Vivarium can be understood as programmatic. It proclaims the ambition to display human and tangible existence through the microcosm of theatre. Big Bang (2010) is his signature piece proposing a new (or returning) and non-doctrinal surreal aesthetic in a period of global political, economical and ecological crisis. Briefly described, Big Bang is: [. . .] as much a gigantic explosion as it a founding theory or a simple book onomatopoeia. The play takes place on a small island, on which a shipwrecked group will remake the world, as they go back to the origins to replay history in an accelerated fashion. The island serves as a frame for a sequence of images, short scenes, small musicals, a quasianatomical study of an unexpectedly transplanted human microcosm. Of course, people and animals, Language and Silence, Everything and Nothing coexist here: the whole river of life, from plankton to postmodernism. 37 Big Bang carefully critiques contemporary society, which is seen as in profound crisis because of globalisation, virtualisation and post-Fordism. It warns that it is at the brink of an (ecological) apocalypse which, however, it not a certainty. The artistic practices used to catalyse a surrealist aesthetic on stage include, among others, the mise-en-scène of the seemingly quotidian. Through these every-day objects, the figures create situations charged with a multiplicity of meanings that emphasize all potential ambiguity. 38 Big Band showcases a post-utopian scenario from an European perspective, offering a window onto a world emerging after its doom, without mentioning the figures or the topos of Europe. This returns us to the Derek Walcott poem that initially framed this discussion. In it, this Caribbean writer underscores the connection between Europe and the stars and describes Europe ’ s identity as alterity. By recognizing ambiguities in how figures are modelled and mobilized in terms of the link between poetic beauty in and decolonial thought, Walcott offers an example of how updating myths about Europe in culture and politics or in contemporary art serve as a means to nourish a sense of identity. As stagings by Marta Górnicka, Rimini Protokoll oder Philippe Quesne/ Vivarium discussed here demonstrate, theatre can serve as the “ caisse de resonance ” , that is to say the sound box and sounding board that amplifies the echos of classical antiquity intimately linking Europa (as a figure) and Europe (as a topos, as territory), without losing sight of their resonance for the present. Notes 1 Nina Kossman (ed.), Gods and Mortals, Modern Poems on Classical Myths, New York 2001, p. 22. 2 Jacques Derrida, The Other Heading Reflections on Today ’ s Europe, Bloomington & Indianapolis 1992, p. 21. 3 Herodotus, The Persian Wars, Volume II: Books 3 - 4, Cambridge 1921, p. 245 and p. 247. 4 Stuart Hall, “’ In But Not of Europe ’ : Europe and Its Myths ” , in: Luisa Passerini (ed.), Figures d ’ Europe, Brussels 2003, pp. 35 - 46, here p. 35. 5 Jacques Derrida, “ Le souverain bien - ou l ’ Europe en mal de souveraineté ” , in: Cités 30: 2 (2007), pp. 103 - 140, here 107. 6 Ivan Krastev, Europadämmerung, Berlin 2017, p. 18. 7 Ibid., p. 28. 8 Joseph-Achille Mbembe, Ausgang aus der langen Nacht, Berlin 2016, p. 117. 9 Ibid., pp. 117 - 118. 10 Hans-Thies Lehmann, “ Aesthetics of revolt? Crossovers between politics and art in new social movements ” , Talk, Berlin 2012, 158 Nicole Haitzinger https: / / www.berlinerfestspiele.de/ en/ aktuell/ festivals/ berlinerfestspiele/ archiv_bfs/ ar chiv_programme_bfs/ foreign_affairs/ ar chiv_fa12/ fa12_programm_gesamt/ fa12_ver anstaltungsdetail_46687.php [accessed 26 June 2018]. 11 Martin Bernal ’ s Black Athena, London 1987, was an key figure and served as the intellectual foundation for this shift in perspective. See also Michael Rice ’ s The power of the Bull, London 1998. Both inform Stuart Hall ’ s In but not of Europe. 12 Homer, Iliad, Volume II: Books 13 - 24, Cambridge 1925, 14.321 - 322. 13 Mark Woolmer, A short history of the Phoenicians, London/ New York 2017, p. 4. 14 See Mark Woolmer 2017, p. 170. 15 See ibid., p. 139. 16 See Pasquale Ferrara, “ Il Cratere Di Europa Di Assteas ” , in: Archeologia Classica 60 (2009), pp. 353 - 368. 17 See ibid., p. 362. 18 Aeschylus, Fragments, Carians or Europa, Cambridge 2009, vs. 5 - 9. 19 Nicole Loraux, The Experiences of Tiresias, Princeton 1995, p. 34. 20 Aeschylus 2009, vs. 15. 21 Ibid., vs. 22. 22 Dawid Kasprowicz and Peter Ortmann, “ Keine Bewegung ohne Stimme ” , https: / / www.trailer-ruhr.de/ keine-bewegung-ohne-s timme [accessed 21 January 2019]. 23 Carl Hermann Bitter, Johann Sebastian Bach, Berlin 1865, p. 181. 24 Theocritus, Moschus, Bion, Theocritus. Moschus. Bion, Cambridge 2015, p. 451, vs. 8 - 11. 25 Helgard Haug, Stefan Kaegi and Daniel Wetzel, “ Home Visit Europe “ , https: / / www.rimi ni-protokoll.de/ website/ en/ project/ hausbesu ch-europa [accessed 22 January 2019]. 26 Colin Crouch, “ Coping with Post-Democracy “ , https: / / www.fabians.org.uk/ wp-con tent/ uploads/ 2012/ 07/ Post-Democracy.pdf [accesses 22 January 2019]. 27 Rimini Protokoll, “ Hausbesuch Europa ” , https: / / vimeo.com/ 203094772 [accesses 22 January 2019]. 28 Office for Official Publications of the European Communities, Treaties establishing the European Communities, Luxembourg 1987, p. 25. 29 Rimini Protokoll, “ Hausbesuch Europea ” , https: / / vimeo.com/ 203094772 [accessed 22 January 2019]. 30 CVCE: EU by UNI: LU, “ The Luxembourg Compromise “ , https: / / www.cvce.eu/ con tent/ publication/ 1997/ 10/ 13/ 501a4bc3f295 - 447f-a98a-3c1d50b46cd9/ publishable_ en.pdf [accessed 22 January 2019]. 31 Rimini Protokoll, “ Hausbesuch Europa ” , https: / / vimeo.com/ 203094772 [accessed 22 January 2019]. 32 Office for Official Publications of the European Communities, Treaties establishing the European Communities, Luxembourg 1987, p. 41. 33 Rimini Protokoll, “ Hausbesuch Europa ” , https: / / vimeo.com/ 203094772 [accessed 22 January 2019]. 34 Ovid, Metamorphoses, Volume I: Books 1 - 8, Cambridge 1916, vs. 2.837 - 840. 35 Ibid., vs. 2.852 - 853. 36 Ibid., vs. 2.852. 37 NXTSTP, “ Philippe Quesne Paris, Big Bang “ , https: / / www.nxtstp.eu/ philippe-quesne [accessed 22 January 2019]. 38 For example, the inflatable dinghy in Big Bang can be interpreted as lifeboat or as a fun object used during the holidays. It is called Challenger just like the space shuttle that exploded. 159 Europa: Resonances of the Mythological Figure in Contemporary Theatre Staging Transitory Europe. Precarious Re-enactment Variations from Le Birgit Ensemble ’ s Memories of Sarajevo to Milo Rau ’ s The Dark Ages Stella Lange (Innsbruck) In the theatre productions of the Birgit Ensemble, Memories of Sarajevo (2017) and Milo Rau's The Dark Ages (2015), the Bosnian war becomes the starting point for a far-reaching reflection on Europe's past and present "status quo" through the respective adapted narrative form of re-enactment. Usually understood as a realization of the past or, instead, an absent-present, by following Mathias Meiler, one sheds light on the re-enactment as a certain way of narrating a historical transition and, at the same time, problematizing this choice of 'translation'. Thus, the different degrees of mediation between ‘ unfamiliar ’ and 'familiar', 'present' and 'absent', with the help of various theatrical means, give rise to different implications with regard to the relationship between past and present Europe. In light of the manifold transitions in Europe since 1989, we observe a growing need for reflection and consciousness about Europe ’ s identity, history and historiography. Some of the latest theatre productions also dedicate themselves to the question of Europe - what it has been so far, what is seems to be today, how it will change tomorrow. In the following, I analyse two exemplary productions approaching them firstly from the Theatre of the Precarious and secondly from the theoretical perspective of ‘ Re-enactment ’ . Bringing these approaches together and observing them from the new perspective of a transitional Europe, will help old and new concepts and realizations of the reenactment emerge. In Transition: Questioning Europe ’ s Past, Present, and Future Since 1989 at the latetst, Europe has undergone many transformations caused in particular by the collapse of the Soviet Union that went hand in hand with Eastern Europe ’ s simultaneous political and economic opening towards the West and vice versa, which prepared the way for a neoliberal Europe. 1 Historical events like the Yugoslav Wars from 1991 to 2001 make us aware that the period of reconciliation between East and Western Europe was not as straightforward as some overly synthetic or idealistic history books would make us believe. 2 Political agreements like the Maastricht Treaty (1992) that turned the European Communities into a transnational European Union, sought to strengthen the Eurozone by introducing the common currency ‘ Euro ’ in 2002, led - step by step - to the desired unified ‘ EU-rope ’ that has taken up its position against the other global players. This ‘ egalitarianism ’ policy that for the sake of a strong Union aims to stabilize the economic and political situation of 15 countries in 2004, and later, in 2013, of 28 countries, each with specific historical, cultural, social, and especially different economic and political backgrounds has met with reactionary or critical attitudes from the beginning. However, ‘ EU-rope ’ s ’ positive wind of change still dominates the skepticism. Initially, that was changing slowly and Forum Modernes Theater, 31/ 1-2 (2020), 160 - 174. Gunter Narr Verlag Tübingen DOI 10.2357/ FMTh-2020-0015 nearly imperceptibly with the growing unemployment rate, particularly in the Southern and Eastern European countries. It has changed more quickly since the economic crisis in 2008. Moreover, the unstable power relations in the so-called Middle East and North Africa (e. g. the Syrian Civil War since 2011, violent oppressive politics following the Arab Spring in 2010) have caused many people to migrate to Europe in hope of a better future. Yet, unemployment, unstable working and living conditions within Europe, the ongoing discourse about border controls, lack of residence permits or work permits inside the EU remain unresolved problems. Alongside these crises of legitimacy regarding Europe and, foremost, regarding the responsibility of the EU, sociologists, labor lawyers and philosophers characterize the present as the Age of ‘ Precariousness ’ and ‘ Precarity ’ 3 referencing a general state of uncertainty and bodily vulnerability that predominantly influence today ’ s Post-Fordism societies in Europe and beyond. Growing consciousness of having lost decisive securities at the dawn of Neoliberalism in the 1970s together with entry into a global, transcultural society result in significant changes for the former national states. In a wide-ranging state of disorientation, Europeans are starting to rethink their situation. Concerned about their identification as future, about how things will work out, they have once again begun to question their past as well as their present. Having obviously lost a former status quo of Europe, remembering as searching for one ’ s own identity and one ’ s own values seems again indispensable. Artists, cultural experts, and most especially historians claim it is necessary to rethink European identity. Early voices highlighted the significance of the continued lack of a foundational myth for Europe 4 . Others - already in 1985 - analysed the diverse unconscious reductions in European historiographies: e. g., the hegemonic reduction of Europe to the ‘ leading countries ’ , the misleading equation of Europe and Christianity, or the teleological reduction to a Europe aligned on the path to European Unification. 5 Alternatively, in the context of education, scholars have already underlined the need to rewrite and reconstruct European historiographies in the light of pluralism and diversity. 6 Theatre of the Precarious In the context of the critical circumstances within Europe, many theatre pieces have been dedicated lately to the “ diverse discontinuities that effect on persons ’ life and future ” 7 and which Katharina Pewny has called the “ Theatre of the Precarious ” . Interpreting these productions related to war, trauma or the economic crisis, she has analysed some of the most important characteristics that often recall their post-dramatic frame. The representation of the ‘ Other ’ , implicitly associated with a non-economic utility 8 is particularly in question. Adopting Butler ’ s skepticism about the adequate visual representation of ‘ Other ’ s ’ pain and vulnerability particularly through mass media, producers especially within the Theatre of the Precarious have experimented new non-representational paradigms in order to problematize the often stereotyped or limited visual representations and recognition of the ‘ Other ’ in our societies. Mobilizing mainly to non-visual effects like acoustic, olfactory and haptic stimuli, producers aim to create “ multi-sensory encounters ” 9 that engage the audience while referring back to the remaining trace(s) of the ‘ Other ’ on the stage: The absence of the other (on stage) is evidence of previous suffering, the existence of a trauma that is made present through incessant rainfall, through song, through record- 161 Staging Transitory Europe ings of songs and radio interviews, and through painful seating arrangements within (sic! ) theater spaces. Therefore, the spectators ’ corporeal perception can be read not only as traces of the other but, more precisely, as traces of its disappearance. Its character of the trace carries in it the double nature of the traumatic, of being simultaneously absent and present. 10 This way, the ‘ Other ’ is situated between the visible and the invisible, presence and absence in order to problematize its precarious social and political ‘ representation ’ . 11 When we also think of the contemporary production conditions of theatre, especially of the growth of travelling productions within Europe, one may conclude that the Theatre of the Precarious ultimately invites a metaaesthetic reflection. First, it does this by staging the “ theatre work itself [a]s precarious, in the sense that staging the transitory cannot take place on stable ground ” 12 , and, second, by problematizing the representational limits of the ‘ Other ’ who only exists in a liminal status whether it be economic, legal or social precarity and, thus, is only present in a transitional way. Apart from this general critique of representation that echoes post-dramatic tendencies, the Theatre of the Precarious has further implications with respect to the audience and to the conceptualization of the narrative. First, the trace-like, metonymic sensory “ encounter ” with the ‘ Other ’ demands a live, participating audience, which in Pewny ’ s eyes mainly works through a bodily involvement - a sensory stimulus that, e. g., initiates a reflection about the partial or even impossible representation while evocating possible ways for empathy. 13 Musical, haptic or olfactory stimuli along with fragmentary contextual information may incite the audience to rethink, reconstruct or (re)write the missing elements of the narrative represented on stage unsettling the typical fixing function of the narrative. 14 Of course, inherent in this, is the postcolonial drive to enable the audience to (re-)act to the narrative and reclaim their own agency instead of merely accepting the political, economic and social circumstances. Therefore, we can conclude ultimately that Pewny already senses a metanarrative function within the analysed precarious theatre narrations. When she states that the representation of the ‘ Other ’ follows non-representational patterns revealing blanks or further narrative inconsistencies that subsequently demand rethinking, reconstructing or even rewriting on behalf of the audience, she is pointing to the instable, transitory content and its effects on the further (re)construction of the narrative form. This returns us to the initial observations regarding the ongoing transformation process within Europe. It is a plausible idea that theatre productions dealing with a contemporary changing and precarious Europe will reflect some of the aesthetic choices from the Theatre of the Precarious. Le Birgit Ensemble ’ s Memories of Sarajevo (2017) and Milo Rau ’ s The Dark Ages (2015) deal with the ‘ shadows ’ of Europe ’ s history at least thematically. These include, amongst others, the Yugoslav Wars and the Second World War. They all represent bitter chapters of the multiracial continent Europe that speak specifically against its idealistic conceptualization as pure. Furthermore, they all belong to the ‘ ghosts ’ that are still haunting Europe. 15 By adding or re-elaborating contemporary witnesses ’ private stories and perspectives, the productions mainly focus on Europe ’ s micro and macro history while aesthetically connecting past, present, and future. For this reason, they often fall back on a traditional historical theatre form, namely, the re-enactment. But is the ‘ re ’ enactment, the literally taken repetition of a former historical narrative, able to respond 162 Stella Lange to the new challenges of rewriting Europe ’ s historiography in the light of the latest transitions and theatrical reforms that form the post-dramatic Turn? Between ‘ Present-Past ’ and ‘ Past-Present ’ : The Theory Quarrel and The Relating Function of Re-enactments Wolfgang Hochbruck was one of the first to provide a historically-based typology of living history phenomenon, differentiating between the ‘ re-enactment ’ and other similar forms like, e. g., the live action role-play (LARP) or the pageant - a historical parade. In his view, all these subgenres are subject to a ‘ commodification ’ , which - instead of teaching or solving historical inconsistencies - actually aims to entertain and to facilitate the identification process of the participants following the same rule. In contrast to some time travel novels, the time-jumpers are not concerned with the journey, but with the arrival, with the imagined presence in other times and different worldliness, which is constructed as a world of experience. The presumed story is appropriated, performatively processed and dramatically performed, whereby the most important basic assumption is that it is not about a performance of historical material per se (as the enactment in a historical drama), but about a re-performance of something that has taken place in this way or at least in sufficient similarity: a re-enactment. 16 According to Hochbruck, the participants ’ desire to immerse themselves in another, distant world often has to do with the assumption that the imagined former circumstances were more manageable and easier control than the present times. However, he underscores that the constructed “ parallel worlds ” do not stand for themselves. Rather they represent “ a realization [of a past] whose transfer in the present is not overwritten like a palimpsest but problematizes the own shifting ” 17 . Regardless, in practice, and especially in the reception process, reflection about the shift of a past into a present, often disappears. 18 It is, therefore, the crucial question of reception that makes the practice and the theory and discussion of re-enactment complicated. In the light of this problem, the first attempts to theorize and define ‘ re-enactment ’ within German theatre studies were often criticized. Equating ‘ re-enactments ’ with ‘ performances ’ , Fischer-Lichte deduced from her performativity theory (2012) that these “ could not be conceptualized otherwise than unique events in the hic et nunc ” 19 . Along this line, Hochbruck does not deny the possible realization effect in theatrical terms but insists: “ the main part of the tension derives only from the relation between the representation in the present and the image of the long-ago-history. ” 20 Consequently, Fischer-Lichte ’ s definition falls short of the complexity of re-enactments. At least an implicit aspect of a performative ‘ realization ’ in theatrical terms cannot be denied in the alternative premises of the re-enactment, like e. g., if one speaks of the possibilities of the nostalgic participants ’ immersion into a period of the past or if one assumes the re-enactment to be an anachronistic model that refers to an obsolete, still unitarian concept of subjectivity. 21 In context with these contradictory receptions, maybe the differentiation into ‘ historical ’ and ‘ artistic ’ re-enactments is mandatory. 22 With regard to the critique of reviving apparently the past in present times, Günther Heeg speaks of the “ mythos of immediacy [. . .] as an authentic History- Event ” 23 and even underscores the counterfunction of re-enactments. In his eyes, [r]ealization implies and suggests the complete revival of past phenomenon, while the 163 Staging Transitory Europe inanimate, emerging in the re-enactment, marks the resistance in the name of all dead sexes to their instrumentalization by the present. They haunt the present in their dead form of non-presentable, non-(re)presentable remains: as ghost, symptom and unredeemed, as recurring and repeated, as repetition. The repetition [literally in German ‘ wieder-holen ’ , the act of bringing again/ bringing back, SL] of the remains transforms the sequence of times into a space-time of the ‘ present-past ’ and the ‘ past-present ’ . In it, all representations are surrounded by the shadow of the non-representable, which questions their presence and reveals them as ‘ absent-presents ’ . The suspicious spacetime, which emerges through the re-enactment in the present, is here to be described as that of afterlife and survival. 24 Like Heeg, Inke Arns describes an unusual displacement of the past into the present “ that actually enables an impossible perspective on history ” 25 . Moreover, she also highlights the mediatedness of history that the artistic device ‘ re-enactment ’ challenges especially at a time when any picture at any time can become its own simulacrum. In this situation of the potentiated spectacle, there is a fundamental feeling of insecurity about the status and the authenticity of images. 26 Indeed, Arns like Heeg emphasizes that the rather prominent representational critique within the praxis of the re-enactment echoes the basic assumptions of the Theatre of the Precarious. While Heeg is speaking of “ incomplete images ” or rather “ fragments of images without any origin ” 27 that only provide us the access to the original by virtue of their afterlife, Arns speaks of the general “ growing feeling of insecurity about what the images actually mean ” 28 in times of mass media. In her view, the re-enactment is not intended to showcase “ the ‘ authenticity ’ beyond the images ” 29 but rather to interrogate the meaning of these images for us or rather for our present situation. Furthermore, the immanent media critique of re-enactments can even appear as consciously incorporated “ meta-comments about their pure mediality ” . 30 If we follow the art historian ’ s analysis further, we might eventually conclude that the evoked insecurity towards the images may also derive - if not in an exponential manner - from the artistic device of the re-enactment itself as it modulates the proximity-distancerelation between the historic events and the presence of the audience. In this way the artistic re-enactment confronts the general feeling of insecurity about the meaning of images by using a paradoxical approach: through erasing distance to the images and at the same time distancing itself from the images. 31 Thus, in addition to declaring the image to be precarious, Arns also affirms an unsettling function for the re-enactment itself that is based on two opposing aesthetic mechanisms that may also be the reason for the former discussed theory quarrel, which tries to locate the re-enactment between ‘ immersion ’ and ‘ distance ’ , ‘ presence ’ and ‘ absence ’ - that is to say, the factors known to describe a possible reception. Therefore, it is difficult to make a general statement about the question of reception in historical as artistic re-enactments. Depending on the spectator ’ s introspective process (amongst others, the capacity for empathy, the ability to recognize metanarrative structures) and his/ her modes for interacting with the performance, a re-enactment can, in principle, lead to complete immersion. Thus, it can still represent an anachronistic theatre model and refer to an obsolete concept of subjectivity while partially (or actually) overcoming it. 32 As such, re-enactments generally require balancing, in a reflexive, theoretical mode, between ‘ past ’ and ‘ present ’ - e. g. at 164 Stella Lange what distance does ‘ past ’ still remain alive in ‘ present ’ - and consequently also in an emotional mode - e. g. at what distance does the spectator consciously feel this balance between ‘ past ’ and ‘ present ’ ? Following Heeg ’ s thoughts about the transcultural theatre, one might eventually deduce the paradigmatic dialogue between “ familiar ” (cf. German eigen) and “ unfamiliar ” (cf. German fremd) that is also in the structure and reception of a re-enactment trying to relate a distant, if not unknown ‘ past ’ to a close, obviously known ‘ present ’ . This hermeneutic balancing may even lead to an unexpected insight: the revelation of the ‘ unfamiliar ’ within the ‘ familiar ’ that subsequently speaks for a relating reconceptualization of ‘ familiar ’ and ‘ unfamiliar ’ - the actual ‘ gesture ’ 33 of contemporary transcultural theatre that stages ‘ Europe ’ and that definitely goes beyond a mere intention of ‘ immersion ’ . [T]heater producers and other artists all over the world are currently turning to the remnants of their respective cultural traditions. Not to reassemble them into the whole of a national culture, but to examine the individual parts for their usability in a changed, evolving world. This presupposes a position vis-à-vis one's own cultural past, which is characterised both by distance and immersion. In this position, they bring the fragments of cultural traditions into a constellation with the present, in order to gain a future through this ‘ bringing back ’ of the past. [. . .] [They aim for] crossing cultural boundaries towards a transcultural community. [. . .] The prerequisite for this is to distance oneself from one's own supposed cultural tradition. This requires a foreign view from outside, even if it is taken from within. 34 This line of argument, which highlights the re-enactment function connecting different components or rather concept of worlds, reappears in the work of the linguist and media scholar, Matthias Meiler. I will conclude this section by explaining his methodological approach to re-enactments since it differs from the main analytical premises so far at the same time as it helps to rethink and analyse the theatrical modes of narrating and mediating ‘ Europe ’ in the exemplary contemporary stagings that I will discuss in the end of my article. Like Ulf Otto (2012), Meiler, does not specifically question the aspect of ‘ repetition ’ or rather ‘ the bringing back of past ’ which focuses on the prefix ‘ re- ’ but, instead, challenges for the binding particle ‘ -en ’ in re-enactment - the prefix of (to) ‘ act ’ . This way, he interrogates the “ medializing quality ” 35 of re-enactments. In doing so, he seeks to underscore the decisive but often unconsciously applied techniques of selecting, putting again together and reframing what is meant to be a “ past ” in the light of a (subjective) “ presence ” . In fact, the process of putting and perspectivating a certain past moment of history into a presence etymologically corresponds to the ‘ -en ’ . That brings along the performative aspect of the enactment. Hence, reviving or re-enacting is fundamentally different from the experience that lies behind us, because it is already embedded in a reflection of ‘ today ’ on ‘ yesterday ’ - it is no longer naive, it is no longer "innocent". Meiler quotes Collingwood ’ s The Idea of History (1946) to draw the attention to this concrete inner ‘ hiatus ’ : If I want to be sure that twenty years ago a certain thought was really in my mind, I must have evidence of it. That evidence must be a book or letter or the like that I then wrote, or a picture I painted, or a recollection (my own or another ’ s) of something I said, or of an action that I did, clearly revealing what was in my mind. Only by having some such evidence before me, and interpreting it fairly and squarely, can I prove to myself that I did think thus. Having done so, I rediscover my past self, and re-enact these thoughts as my thoughts; judging now better than I could then, it is to be hoped, their merits and defects. 36 165 Staging Transitory Europe Collingwood ’ s rediscovery of the “ past self ” recalls Heeg ’ s recognition of something ‘ unfamiliar ’ within the ‘ familiar ’ . Moreover, it emphasizes Meiler ’ s critique. Collingwood does not specify with which cultural techniques or “ practices of transcription ” 37 he manages to create and medialize a plausible red thread within the re-enactment out of a bundle of heterogeneous ‘ evidences ’ of the past. Instead of speaking about narrative techniques to transpose these pieces of evidence into a narration by processes of selection, arrangement and perspectivation, the media linguist and network specialist Meiler speaks of “ transition, translation, reference and transformation processes ” 38 . This way, he brings to mind the range of ways to connect diverse elements beyond linguistic modes of connection. Eventually he underscores exploring the aesthetic or historic modes, the ‘ how ’ of the relating 39 , or the mode of ‘ mediation ’ in reference to Collingwood ’ s ‘ principle of [following SL] identity in difference ’ 40 . Highlighting the transitional moment between ‘ past ’ and ‘ present ’ , ‘ familiar ’ and ‘ unfamiliar ’ , ‘ factual ’ an ‘ fictional ’ , the gesture of the re-enactment obviously corresponds very well to the productions that focus thematically on a Europe in flux. Connecting back to Pewny ’ s Theatre of the Precarious we can imagine similar ways of relating techniques and discovering new ones in the following analysis of examples from the re-enactment variations by Le Birgit Ensemble and Milo Rau that both tackle the Yugoslav Wars. Re-enacted Europe - Europe in Transition The selected theatrical pieces by Le Birgit Ensemble (Paris) Memories of Sarajevo (2017) and Milo Rau (Zurich/ Berlin/ Gent) The Dark Ages (2015) thematise moving and mostly tragic caesuras in European History. In the first case, they recall the bloody wars of the Orthodox Serbs against the Muslim Bosnians in the name of ‘ ethnic cleansing ’ in Yugoslavia between 1992 - 1995. The second case re-elaborates two different critical moments in Europe ’ s history by interweaving the Yugoslav Wars (1991 - 1999) with the Second World War (1933 - 1945) and its xenophobic politics. At the origin of all these conflicts lies the problem of lack of tolerance when the ‘ familiar ’ and ‘ unfamiliar ’ cohabitate, or, in a nutshell, of acceptance of the ‘ Other ’ - be it ethnic, religion, sex, language or culture. All these productions follow more or less the ‘ gesture ’ of the re-enactment because each searches for an adequate mode through which to relate the enacted war period or riot of the past in a reflected, subjective frame of Europe ’ s present. Le Birgit Ensemble: Memories of Sarajevo (2017) In comparison with Rau ’ s production, Memories of Sarajevo still corresponds the most to what is generally meant as a reconstruction 41 of the past - or rather a re-enactment. The producers Julie Bertin and Jade Herbulot, both born around 1989, offer an uncompromising assessment: the wars in ex-Yugoslavia (still) represent historical lacunae in their education as well as in the (European) collective memory. In order to understand what happened at that time, they started to doing research, conducting several interviews with contemporary witnesses, and listening and watching various documents in the National Audiovisual Institute in Paris. The traditional historical frame of the reenactment becomes evident by the chronological arrangement of the script of the play structured by the main political events of that time. 42 For example, from the dawn of the treatise of Maastricht in Feb- 166 Stella Lange ruary 1992, to the siege of Sarajevo that occurred shortly thereafter, to the repartition of Ex-Yugoslavia, to the Dayton Agreement in 1995, the main chronological dates of the Yugoslavian conflict and its tragic significance within the European framework are successively projected onto the screen in the background of the stage. The scenery is changed to reflect respectively the celebration hall for the Maastricht Treaty, the precarious daily life in Sarajevo ’ s barracks, a bloody slaughter bathed in red light to the characteristic sounds of Nirvana, and the negotiation rooms of the competitors, the Serbian President Slobodan Milosevic and the self-style Serbian ruler Radovan Karadzic. At times, these different time layers are superimposed using a second upper stage level in the background that represents either the egomaniacal politicians of Yugoslavia arguing or the passive European Union - each of these contrast with the poor and precarious daily life of the civil population during the war (cf. fig. 1). In addition, the actors and actresses alternatively slip into the role of the main political figures or represent the simple folk of Sarajevo in the typical dress from the 1990s. With the aid of these recurring scenarios, the audience ’ s immersion into the times of the Bosnian wars is probable. However, as both producers underline, they did not seek to produce a documentary theatre. 43 Rather, they thought of different estrangement effects to produce a Brechtian distance for reflection. One of the main ideas of these estrangements is precisely to crack the described first impression of a chronologic reenactment, namely by mixing fictional and factual as well as different historical periods. Thus, during the celebration of the Maastricht Treaty, the Habsburgian Arch- Fig. 1: Le Birgit Ensemble: Memories of Sarajevo © Pascal Victor 167 Staging Transitory Europe duke Franz Ferdinand of Austria-Hungary is revived, while the mythical figure ‘ Europe ’ passes through crying bitterly in the war scenes of Sarajevo mourning her tragic selfinjury caused by East and West Europeans ’ intolerance or ignorance (cf. Fig. 1). In parallel with these different layers of time, the audience is asked to find out their relationships with one another. Obviously, the Archduke revives because the Habsburg ’ s real imperial policies and only apparent attempt to initiate federalist structures in the Slavic countries constitute one of the key moments that sets the stage for the conflict in Yugoslavia that will occur 90 or so years later. In addition, the visible parallel between the glamorous imperialist Franz Ferdinand and the sparkling evening dress of the EU-politicians put them all in a questionable light, challenging what political goals they really stand for. Here, the present perspectivation of the past by means of a strong critique and parody of the EUpoliticians, who did not intervene in the bloody Yugoslavian conflict for a long time - is evident. This is especially true, when one recalls that the critique is anticipated - even before the chronological narration of the war events starts. In addition, the reappearance of the mythological figure ‘ Europe ’ in a blank white, innocent cape obviously calls to mind both the multi-ethnic origin of the continent itself as well as the violent conquest of Europe by Zeus in the guise of a bull. Therefore, multi-ethnicity and the topic of violence, and the figure of imperialism runs through Europe ’ s history like a red thread. What is, moreover, especially conspicuous, however, is that the producers sought to change the gender of the most important main politicians. Two women perform the roles of the Bosnian-Serbian Radovan Karad ž ic´ and his political competitor, the Serbian President Slobodan Milosevic, both of whom were implicated in the Chetnik ’ s genocide against the Muslim Bosniaks - the Srebrenica massacre - and the intolerant policy of Alija Izetbegovic, the Bosniak President of Bosnia-Herzegovina. On the other hand, some of the EU-politicians - men as women - are also represented by their opposite sex. With this feminist approach to gender, the producers obviously draw attention to the culturally conceptualized Eurocentric dualism of ‘ masculinity ’ and ‘ femininity ’ where in a neoliberal perspective the former, stronger, potential, and richer dominates the latter, weaker, unimportant and poorer. By attributing the female gender exactly to those who always wanted to represent the masculine principle, they try to break up this dualism, which also constitutes one of the bases for the unresolved conflicts between Western and Eastern European countries since the Yugoslav wars. Just as importantly, the non-representational reference to the main cruel rulers enables a figurative commentary that may also refer to similar ethnic conflicts and genocides in Europe ’ s and in the World ’ s past and present. Finally, the described cross-dressing across gender lines reveals also a hidden comment on European politics, which until now obviously have not got past its imperialistic attitude. This way, the burlesque imitation of the mainly Western European Union ’ s politicians directly refers to a ‘ travesty of justice ’ . Literally spoken, it signifies a fiasco and an utter disaster criticising the politicians ’ hypocrisy and their unfair treatment against the Eastern European countries. 44 In comparison with Milo Rau ’ s production, Memories of Sarajevo, despite the several estrangement effects used, promotes, at most, an immersion in the past figures and times. Therefore, it corresponds best to the idea of a re-enactment as a reconstruction of past times. The correlation with present perspectives becomes evident with the analysed estrangement effects. Still, it is more 168 Stella Lange difficult to deduce a concrete reference to a future or to a vision for Europe. Rather, Europe and the EU were subjected to a critique and in the sober light of this, stand, still or again, at the threshold between the imperial desires of power, influence and domination and a possible vision for solidarity and community, which remain very difficult to realize. Mediation between the past and present - according to Meiler - is mainly achieved through the layering of different critical and violent moments of European history and through the changing color within the representation of gender that finally can be read as a manifesto for the ‘ Other ’ . While the first color reveals historical forms of coherence, cohesion and constancy as violence or intolerance for the ‘ Other ’ , the latter tentatively proposes a possible vision for another Europe by reconfiguring political and economic hierarchies and values within Europe. Milo Rau: The Dark Ages (2015) In comparison with Memories of Sarajevo, the historical period in The Dark Ages by Milo Rau is not anymore differentiated by a chronological reconstruction. In fact, the production is not a re-enactment because its main characters do not re-enact a certain period. Instead, they remember their different pasts as private persons, ascending actors, and contemporary witnesses of different historical times. However, the process of remembering sometimes approaches a reenactment, especially, when Sanja Mitrovic´ (Serbian), Subdin Music´ (Bosnian) and Vedrana Seksan (Serbian) remember the Bosnian Wars from 1992 - 1995, or when Manfred Zapatka (German) remembers the final years of the Second World War around 1945. Given their aesthetic frame, these apparently mini-re-enactments that last for one scene are intended less to enable an immersion for one of the actors and more to enable an immersion in the past for the spectators themselves. As such, the audience rewatches, for example, the already mediatized images from news broadcasts or similar private videos of the war in Sarajevo on a big screen behind the official stage in order to be reminded of the terrors blindly accepted by the European Union. With different documents, news or video extracts, photos, or music, the production team re-enacts the atmosphere of these difficult political times without claiming to offer a documentary theatre. As a consequence, the narration does not follow a common thread. Rather, the past atmosphere of those years is reconstructed 45 via a fragmentary discourse. On the one hand, this reveals the different spectres of Europe ’ s history - the unfinished Fig. 2: Milo Rau: The Dark Ages © Thomas Dashuber - Subtitle: “ Imagine it, holding your father ’ s head. ” 169 Staging Transitory Europe challenges and problems, the unsaid, the blanks. On the other hand, it implies (the danger of) a recurring history, one that only proceeds in circles, returning in the bitterest colors to the extermination of the ‘ Other ’ respectively during the Second World War and during the Bosnian War. Both aspects come together in model fashion when the Bosniak Sudbin explains how he excavated his father ’ s head years after the Chetniks had aggressively attacked his family and home. The following quotation of the play gives one an idea of how the personal retelling of the circumstances turns into a mini-re-enactment. In 1998, right after I returned to Bosnia, I received the message that I could retrieve my father from the well. There ’ s a group of men who do this dirty job. His remains were in there. And before my eyes they hauled him out of there. One part at a time. There was no body, just bones. But he was wearing synthetic clothes and that doesn ’ t disintegrate so easily. They collected the bones from every corpse and sent them to pathology in Sanski Most for identification. When it comes to identifying corpses, we Bosnians are world champions. I recognised my father by the clothes as soon as he had fetched him out. He was wearing my pullover. One of his shoes was outside in front of the well, a bit swallowed up by the grass. The other one was at the bottom of the well. I stood there the whole time and watched it all happen. Imagine it, holding your father ’ s head. Just bones. A skull. 46 With the last three sentences, the perspective changes. Sudbin - always shown in a closeup on the screen behind the traditional stage - directly addresses the single spectator by being on familiar terms with him or respectively her. Additionally, Subdin opens his palms towards the sky forming a bowl and, thus, re-enacts the gesture of holding his father ’ s skull in his hands (cf. Fig. 2). Simultaneously, the famous scene of Hamlet is called to mind; the Shakespearian drama which recurs throughout The Dark Ages. Hence, with the help of this re-enactment scene addressed particularly to and re-constructed for the audience, the spectator may immerse her/ himself in the Sudbin ’ s crucial situation. The re-enactment does not, however, principally re-present an image of the past as was more likely the case in Memories of Sarajevo. Instead, it refers quite directly to its absence or rather to its latency and lack, amongst others, caused by Bosnia ’ s post trauma. Here, the relation of present and past, presence and absence is not as concrete as in the first play. This becomes even clearer if one examines the relationship between the actors and their narratives. For the most part, there is no effort to relate the own history with the ‘ Other ’ - nor to relate their personal emotions with the ‘ Other ’ as everybody is speaking in his or her mother tongue. The re-enactment as a paradigm for connecting different worlds is negated. It links only superficially with the structure of the topic of European wars. It does not, however, promote a concrete linguistic and emotional dialogue of past and present, absence and presence. Rather it refers to the missing links among European histories, cultures, languages and historiographies. Nonetheless, a subtle mediation can be seen. The projected act titles on the screen, the emotional mirror effect of similar closeup “ mini dramas ” among the actors or the common recitation of extracts from Hamlet imply, at best, possibilities for relating to one another. However, this possible connecting function of past and present, presence and absence only works on a visionary, hardly conscious meta-level. It has not been realized yet, or maybe, will never be realized at all. Thus, we only can snatch re-enactment moments or fragments in which a re-construction of the past still coincides and connects with a present, conscious and reflexive perspectivation about what has 170 Stella Lange actually be lost. Or the connection of past and present Europe has already resulted too precarious that one may agree with Andreas Tobler who speaks of “ the farewell of the reenactment ” 47 . Conclusion The theoretical discussion shows that reenactment is neither to be reduced to a performatively-generated ‘ presence ’ , an anachronistic theatre model, nor to those elements to ‘ be brought back ’ into collective memory. Rather, the re-enactment aims to connect and to mediate between past and present, presence and absence, familiar and unfamiliar, or in a nutshell, between different worlds and views. The previously stated historical beginning of a new European age in 1989 at a time of transitions and upheavals begs the need for new histories and historiographies of Europe. As we have seen, different theatre productions with relevant impulses appear to respond to this need for reflection by specifically thematising the transition from a past into a present Europe. Analysis of the examples of Le Birgit Ensemble ’ s Memories of Sarajevo and Milo Rau ’ s The Dark Ages illustrates the producers ’ experimentation with the genre of the re-enactment and its immanent idea of “ reconstruction ” . Whereas in Memories of Sarajevo the original, chronological thread that serves as the basis of the re-enactment is still made visible, in The Dark Ages we are challenged more in our quest to find the remains of a red thread since all chronological patterns seem to have vanished. The reenactment appears only in an abrupt and fragmentary form. Of course, these different narratives, together with various aesthetic choices, like the use of screens, have an impact on the modes used to immerse the audience in the ‘ story ’ and alongside the protagonists. Generally, it can be stated that both productions change the tone through use of techniques to create proximity as well as distance. We have seen that Memories of Sarajevo highlights parallels or similarities between different historical layers within European historiography despite the common chronological “ red ” thread. In the larger picture, this can give us a hint regarding connecting and mediating between past and present. Moreover, the interchanging of the main protagonists ’ sexes alludes to the culturally controversial, namely, to hierarchical power relations between ‘ male ’ and ‘ female ’ , between ‘ powerful ’ and ‘ powerless ’ . It hypothetically performs its queer-like dissolution in vision of an equal positioning of each member in the European Union - be it ‘ male ’ or ‘ female ’ , economically and politically stronger or less, belonging to the ‘ West ’ or to the ‘ East ’ of Europe. In The Dark Ages, on the contrary, we can only sense a possible dissolution of those power relations on a metanarrative level where the use of projected scene titles or mirroring close-ups renders the topical and emotional relationality evident. Despite the lingering traumas of the Second World War and, more recently, of the Yugoslav Wars, the absent dialogue between the protagonists and the missing that connects on a linguistic, cultural, cognitive and probably also on an emotional level turns the mediation between ‘ past ’ and ‘ present ’ into a mere vision. According to Rau ’ s ‘ Theatre of the Real ’ this mediation, however, can still be realized if the tenor of The Dark Ages implies exactly the opposite: a possible negotiation between past and present. Thus, the way ‘ past ’ and ’ present ’ are mediated and the transition from a past into a new Europe in both productions is thematised turns out to be uncertain. The perspective on Europe ’ s future remains precarious. Obviously, both re-enactment variations are still based on the premise that understanding the past in relation to our 171 Staging Transitory Europe present is fundamental for delineating Europe ’ s future. However, both productions analyse different problems with regard to this mediation just as they offer different solutions. This can be done explicitly in performance, as in the nearly realized case in the crossing between of sexes on the stage (Memories of Sarajevo). It can be done implicitly in performance, as is the case of the mirror effect of close-ups that evoke a possible world of empathy (The Dark Ages). Finally, the re-enactment can be conceptualized as a paradigmatic form for problematizing historical changes - in these cases, particularly the transition from a past into a present Europe. Questioning the relationship between past and present on a meta level, the re-enactment actually searches for ways to orient itself and possibly (new) directions. Therefore, the re-enactment - at least those productions examples studied - fulfil the opposite of an anachronistic model that would only aim to stabilize and confirm old (nationalists ’ ) views and values. To conclude, the uncertainty of future and the simultaneous indecision of planning this future reflects the basic feeling of precarity. Consequently, these re-enactments align with the Theatre of the Precarious. As such, the precarious re-enactment reflects also the politically and medially motivated critique of representation. Eventually, it focuses on the contact with the ‘ Other ’ that in our case of connecting to and mediating between ‘ West ’ and ‘ East ’ Europe is central to questioning Europe ’ s (new) identities. Notes 1 Philipp Ther, Die neue Ordnung auf dem alten Kontinent: Die Geschichte des neoliberalen Europa, Frankfurt a. M. 2014. 2 Cf. John Hirst, The Shortest History of Europe, Melbourne 2009. 3 Cf. Judith Butler, Frames of War: When Is Life Grievable? , London/ New York 2016; Isabell Lorey, Die Regierung der Prekären, Wien/ Berlin 2012. 4 Cf. Wolfgang Schmale, Scheitert Europa an seinem Mythendefizit? , Bochum 1997. 5 Cf. Karl-Ernst Jeismann, “ Europäische Identität - der Beitrag des Geschichtsunterrichts ” , in: Karl-Ernst Jeismann, Geschichte als Horizont der Gegenwart. Über den Zusammenhang von Vergangenheitsdeutung, Gegenwartsverständnis und Zukunftsperspektive, ed. by Wolfgang Jacobmeyer, Paderborn 1985, pp. 259 - 279; here pp. 262 - 263. 6 Bernd Schönemann, “ Didaktische Varianten der Präsentation europäischer Geschichte im Unterricht ” , in: Kerstin Armborst and Wolf-Friedrich Schäufele (eds.), Der Wert ‘ Europa ’ und die Geschichte. Auf dem Weg zu einem europäischen Geschichtsbewusstsein, Mainz 2007, pp. 128 - 138; here p. 131. 7 Katharina Pewny, “ Performing the Precarious. Economic Crisis in European and Japanese Theatre (René Pollesch, Toshiki Okada) ” , in: Forum Modernes Theater; 26 (2011), pp. 43 - 52; here p. 43. 8 Katharina Pewny, “ Tracing the Other in the Theatre of the Precarious (Lola Arias, Elfriede Jelinek, Meg Stuart, Wajdi Mouawad, Christoph Marthaler) ” , in: Arcadia 2014, 49 (2), pp. 285 - 300; here: p. 295. 9 Ibid., p. 290. 10 Ibid., p. 298. 11 Cf. Johanna Schaffer, Ambivalenzen der Sichtbarkeit. Über die visuellen Strukturen der Anerkennung, Bielefeld 2008, pp. 83 - 88. 12 Cf. Pewny, “ Performing the Precarious ” , p. 48. 13 Cf. Pewny, “ Tracing the Other in the Theatre of the Precarious ” , p. 287. 14 Ibid., p. 288. 15 See the contribution of Elisabeth Tropper. 16 Wolfgang Hochbruck, Geschichtstheater. Formen der ‘ Living History ’ . Eine Typologie, Bielefeld 2013, p. 8. 17 Ibid., p. 9. 18 Ibid., pp. 9 - 10. 19 Erika Fischer-Lichte, “ Die Wiederholung als Ereignis. Reenactment als Aneignung von 172 Stella Lange Geschichte ” , in: Jens Roselt and Ulf Otto (eds.): Theater als Zeitmaschine. Zur performativen Praxis des Reenactments. Theater- und kulturwissenschaftliche Perspektiven, Bielefeld 2012, pp. 13 - 52; here p. 13. 20 Cf. Hochbruck, Geschichtstheater, p. 13. 21 Cf. Ulf Otto, “ Re: Enactment. Geschichtstheater in Zeiten der Geschichtslosigkeit ” , in: Jens Roselt and Ulf Otto (eds.): Theater als Zeitmaschine. Zur performativen Praxis des Reenactments. Theater- und kulturwissenschaftliche Perspektiven, Bielefeld 2012, pp. 229 - 254; here p. 232; cf. Hochbruck, Geschichtstheater, p. 19. 22 Inke Arns, “ History Will Repeat Itself. Strategies of Re-enactment in Contemporary (Media) Art and Performance ” , in: Inke Arns and Gabriele Horn (eds.): History Will Repeat Itself. Strategien des Reenactment in der zeitgenössischen (Medien-)Kunst und Performance./ Strategies of Re-enactment in Contemporary (Media) Art and Performance, Frankfurt a. M. 2007, pp. 37 - 63; here pp. 41 - 43. 23 Günther Heeg, “ Reenacting History: Das Theater der Wiederholung ” , in: Günther Heeg (ed.): Reenacting History: Theater & Geschichte, Berlin 2014, pp. 10 - 39; here p. 12. 24 Ibid., p. 13. 25 Arns, “ History Will Repeat Itself ” , p. 58. 26 Inke Arns and Gabriele Horn, “ Foreword and Thanks ” , in: Inke Arns and Gabriele Horn (eds.): History Will Repeat Itself. Strategien des Reenactment in der zeitgenössischen (Medien-)Kunst und Performance./ Strategies of Re-enactment in Contemporary (Media) Art and Performance, Frankfurt a. M. 2007, pp. 6 - 11; here p. 7. 27 Cf. Heeg, “ Reenacting History ” , p. 14. 28 Cf. Arns, “ History Will Repeat Itself ” , p. 43. 29 Ibid. 30 Ibid., p. 55. 31 Ibid., p. 43. 32 Cf. Otto, “ Re: Enactment. Geschichtstheater in Zeiten der Geschichtslosigkeit ” , p. 232. 33 Cf. ibid., p. 231. As it is still in discussion, if the “ specific contemporary ” (ibid.) re-enactment forms an own genre taking into account its problematic historicizing as its still missing relating to the historical drama, I take up Ulf Otto ’ s denomination of ‘ gesture ’ . According to Otto and Christel Weiler, ‘ gesture ’ seems to be adequate as it refers to the performative and symbolic body practice within the re-enactment. Besides, both underline that this binding to cultural gestures may also be a reason for a “ rhetorical excess ” (ibid.). Stating so both call this in question if the re-enactment is actually commenting on our view about the ‘ past ’ or if it meets rather with a popularising and medializing culture and need of our times. 34 Günther Heeg, “ Einleitung ” , in: Günther Heeg and Jeanne Bindernagel: Das transkulturelle Theater, Berlin 2017, pp. 7 - 11; here p. 8 - 9. 35 Matthias Meiler, “ Über das -enin Reenactment ” , in: Anja Dreschke at al. (eds.), Reenactments: Medienpraktiken zwischen Wiederholung und kreativer Aneignung, Bielefeld 2016, pp. 25 - 39; here p. 26. 36 Robin G. Collingwood, The Idea of History, Oxford 1963 [1946], pp. 295 - 296. 37 Cf. Meiler, “ Über das -enin Reenactment ” , p. 29. 38 Ibid.. 39 Cf. ibid, pp. 29 - 30; emphasis by the author. 40 Ibid.. 41 Cf. Explanation to Nicole Haitzinger ’ s “ Auf dem Weg zur Auflösung des ‚ Re- ‘” , in: Martin Obermayr, Reenactment als künstlerische Strategie in der gegenwärtigen Medien- und Performancekunst, Wien 2011, pp. 77 - 78: http: / / othes.univie.ac.at/ 13129/ [accessed 15 March 2019]. 42 Cf. the structure of the script (translated from French into English SL): Prologue; First Part: The Division (February - April 1992); Second Part: The Siege (Spring/ Summer 1992), Third Part: The Agreements (Autumn-Winter 1995), in: Le Birgit Ensemble (Julie Bertin, Jade Herbulot), Memories of Sarajevo, October 2017. 43 Cf. Interview of Le Birgit Ensemble, “ Principes d ’ écriture ” , in: Press kit for Dans les ruines d ’ Athènes, 2017, p. 6. See Julie Bertin/ Jade Herbulot: “ Nous ne quêtons pas une ‘ vérité historique ’ . Ce sont les symboles attachés aux événements dits "historiques" qui 173 Staging Transitory Europe nous intéressent et, ainsi, leurs déformations et leurs transpositions possibles. [. . .] Aussi, nous nous intéressons, en début de millénaire, à ce qui a façonné notre mémoire collective 1 . ” ( “ We do not question the ‘ historic Truth ’ . Rather, we are interested in the symbols that come along with the so-called ‘ historic ’ events and, subsequently, their possible deformations and transpositions. [. . .] Moreover, at the beginning of the Millennium, we are interested in what has shaped our collective memory. ” ) 44 Cf. “ travesty ” , in: Merriam-Webster Dictionary: https: / / www.merriam-webster.com/ dic tionary/ travesty [accessed 10 April 2019]. Many thanks to Michelle Cheyne for this very interesting reference! 45 Cf. Obermayr, Reenactment als künstlerische Strategie in der gegenwärtigen Medien- und Performancekunst, pp. 77 - 78. 46 Milo Rau, “ The Dark Ages ” , in: Milo Rau (ed.): Die Europa Trilogie/ The Europe Trilogy, Berlin 2016, pp. 128 - 221, here p. 199. 47 Andreas Tobler, “ Die monströse Rückseite der Normalität. Wie ein Blick in die offene Mündung einer Waffe: Mit ‘ The Dark Ages ’ hat der Schweizer Regisseur Milo Rau in München den zweiten Teil seiner Europa- Trilogie uraufgeführt ” , in: WOZ N.16/ 2015, 16 April 2015: https: / / www.woz.ch/ 1516/ mi lo-rau/ die-monstroese-rueckseite-der-nor malitaet, [accessed 12 March 2019]. 174 Stella Lange Enter the Ghosts of Europe: Haunting and Contemporary Theatre Elisabeth Tropper (Luxembourg/ Trier) Ever since the beginnings of theatre, the stage has been a ‘ haunted ’ site, populated by spectres of many kinds. Unlike most publications on this subject, this paper explores haunting not as a meta-theatrical concept or as a historiographic metaphor, but as a phenomenon of subalternity, violence and trauma. It, furthermore, discusses haunting as the incursion of someone (or something) that has been excluded from the collective consciousness and/ or the socio-political life of a community or a collective sphere, namely a certain construction called ‘ Europe ’ . By analysing three contemporary theatre productions from Austria/ Germany, Denmark and Germany/ Cameroon as to how they allow certain ‘ ghosts ’ of Europe entry into the theatrical event and thus translate instances of haunting into the aesthetic realm, this paper aims both to fill an academic void and to suggest a decidedly panand trans-European perspective. Introduction: Theatre, Ghosts, and Europe The stage has always been a ‘ haunted ’ site. Ancient Greek tragedians included a variety of revenants in their (pre-)dramatic constellations: In Aeschylus ’ The Persians, Queen Atossa conjures up the ghost of her deceased husband Darius. In The Eumenides by the same author, Clytemnestra returns from the underworld to seek revenge for her assassination through her son Orestes. Euripides even places a revenant at the beginning of his tragedy Hecuba: In the course of the prologue, the ghost of Polydorus predicts the discovery of his own corpse and the sorrow that is going to beset his mother Hecuba. Beyond such concrete representations of the ghostly on stage, which can also be found in more recent plays like those by Caryl Churchill (Cloud Nine, Fen, Hotel) or Roland Schimmelpfennig (Spam, Das fliegende Kind), the invocation of the dead has often been considered a cornerstone of the theatre, if not its origin. 1 Heiner Müller once suggested that “ the invocation of the dead ” may be regarded as a central function of drama, making it necessary to continue “ the dialogue with the dead [. . .] until they have released the future that has been buried with them ” 2 . Despite the multifaceted presence of the ghostly in the realm of theatre, little has been written about the relationship between theatre and haunting. Apart from a handful of anthologies and monographs such as Cities of the Dead: Circum-Atlantic Performance (1996) by Joseph Roach, Ghosts: Death ’ s Double and the Phenomena of Theatre (2006) by Alice Rayner, The Haunted Stage: The Theatre as Memory Machine (2011) by Marvin Carlson, or the edited volumes Theatre and Ghosts: Materiality, Performance and Modernity (2014) and “ Lernen, mit den Gespenstern zu leben ” : Das Gespenstische als Figur, Metapher und Wahrnehmungsdispositiv in Theorie und Ästhetik (2015), ghosts and haunting have received little attention in the field of theatre studies so far. The aim of this paper is to contribute to this neglected topic by proposing a decidedly panand trans-European perspective on the Forum Modernes Theater, 31/ 1-2 (2020), 175 - 186. Gunter Narr Verlag Tübingen DOI 10.2357/ FMTh-2020-0016 subject. I do not engage with haunting as a meta-theatrical concept or as a historiographic metaphor, but instead seek to understand haunting as a phenomenon of subalternity, violence and trauma, and furthermore as the incursion of someone (or something) that has been excluded from the collective consciousness and/ or the socio-political life of a community or a collective sphere: here, from a certain construction called ‘ Europe ’ . Theatre, then, becomes a site where the presence of a haunting is realised in manifold ways. After offering a theoretical and terminological foundation for the German concept of ‘ Heimsuchung ’ and its English counterpart ‘ haunting ’ as well as of the so-called ‘ spectral metaphor ’ , I will look at three contemporary theatre productions from Austria/ Germany, Denmark, and Cameroon/ Germany, as to how phenomena and figures relating to ghostliness and haunting, which are in turn connected with particular European self-descriptions and geopolitical practices, are produced in them, are staged and/ or are subjected to critical reflection. ‘ Heimsuchung ’ / Haunting and the Spectral Metaphor The German noun ‘ Heimsuchung ’ retains the concept of ‘ Heim ’ or ‘ home ’ , which has the connotations of a friendly, familiar place, a place where one is ‘ at home ’ , a dwelling or dwelling-place, a closed circle or a protected place of assembly. Its English equivalent ‘ haunt ’ probably refers to the Old Norse ‘ heimta ’ , which means ‘ to bring home ’ (but also to ‘ demand ’ or ‘ claim ’ ). 3 Thus, both Heimsuchung and haunting can be traced back to the Old Norse word for ‘ home ’ , heimr. The home, as an inner space that is protected and worth protecting, is by definition something that is threatened. There is always the danger that its borders will be violated, or that its threshold will be crossed without permission - as in the case of trespassing or of ‘ Heimsuchung ’ , haunting. It is no coincidence that there are legal resonances here: ‘ Heimsuchung ’ was originally a legal term for ‘ im Hause aufsuchen ’ , or ‘ seeking in the home ’ , that is, the assault on one ’ s home, ‘ Hausfriedensbruch ’ (literally ‘ breaking the peace of the house ’ ). 4 Thus, ‘ Heimsuchung ’ can, first of all, be regarded as an act of transgression. Somebody or something from outside penetrates into some kind of closed interior and spreads fear and panic, or at least makes their presence felt in an undesirable manner. The actual appearance is preceded by something that manifests itself in the process: haunting always contains an element of repetition in the sense of a return of some kind. In Les spectres de Marx, Derrida points to the paradoxical coincidence of primacy and repetition: “ A question of repetition: a specter is always a revenant. One cannot control its comings and goings because it begins by coming back. ” 5 The figure of the ghost, in which phenomena associated with haunting are frequently concretised, is itself part of a larger set of spectral imagery. In recent decades the ‘ spectral metaphor ’ has become increasingly accepted in the humanities and social sciences as both a figure of thought and an experiential model, first and foremost due to the transgressive and ambiguous qualities of the ghost. It is a liminal creature, breaking through both temporal and spatial boundaries. Manifest and disembodied, dead and alive at the same time, it belongs to thresholds and transitions, or, in other words, to a third position that transcends the binary order. The ghost ’ s ‘ in-betweenness ’ places it potentially outside hegemonic control. However, this liminal status is doubleedged: located between different time frames, between life and death, between materiality and immateriality, the ghost 176 Elisabeth Tropper finds itself at the same time beyond the structures in which it attempts to take effective action. Thus, the status of ghost is always a precarious one, threatened by exorcism and domestication, by invisibility and dispossession. 6 This is all the more true for those to whom the spectral metaphor is attributed. Due to its liminal qualities, the ghost has become a cipher for marginalised groups of people and subordinate positions, that is, for so-called “ living ” or “ present ghosts ” who “ already in their lifetime, resemble dispossessed ghosts in that they are ignored and considered expendable, or, sometimes at the same time, become objects of intense fear and violent attempts at extermination ” . 7 These ‘ spectralised ’ and often demonised subjects are forced to the social margins, into spaces outside the social network - while, at the same time, remaining tied to the inner order since their exclusion is constitutive of it. They are the “ homines sacri ” Giorgio Agamben speaks of, caught in a paradoxical status of “ inclusive exclusion ” 8 . Among the groups of people to whom the spectral metaphor is repeatedly applied are refugees and the so-called ‘ illegal immigrants ’ 9 . Keeping marginalised individuals in mind, the ghost, thus, represents a figure of (socio-political) invisibility, of dispossession and of non-agency. At the same time, it bears the potentiality of empowerment, since it remains, after all, a creature that can “ go from being overlooked to demanding attention by coming to haunt “ 10 , that is to say, by returning to the realm from which it has been ejected. Obviously, haunting is generally depicted from the perspective of the person who is haunted. But if we turn to the second part of the compound noun ‘ Heimsuchung ’ , those who do the haunting come into focus. As Elisabeth Bronfen emphasises, ‘ Heimsuchung ’ also means that something is ‘ seeking a home ’ . 11 Hence, haunting is not only a phenomenon of transgression and border violation, but essentially one of insistence: To haunt is to seek a home, to demand a reaction, to insist on a recognition that has hitherto been denied. “ [T]hat which haunts like a ghost [. . .] demands justice, or at least a response. ” 12 Enter the Ghosts of Europe If haunting implies the incursion of something that was previously excluded (or, in more psychoanalytical terms, was repressed or abjected) from the space into which the incursion takes place, we must conclude that what haunts Europe today fundamentally belongs to it, to its history, to its selfdescriptions and to its self-conceptions. When I use the word ‘ Europe ’ I am of course aware that I am not dealing with a clearly defined and demarcated entity. It is, however, precisely the fault lines around certain constructions of Europe that I am interested in, the thresholds and blind spots from which the ghosts of the present day, the ‘ present ’ or ‘ living ghosts ’ , emerge. I am referring here, first of all, to an understanding of Europe that subtends the European Union as a reference framework and as a foundational myth, based on a sequence of supposedly universal notions which are declared to be common European heritage: humanism, human rights, freedom of movement, democracy - despite the consistent negation of their universality in political praxis. Furthermore, I am referring to a European self-conception from which particular historical facts have been omitted, such as Europe ’ s fundamental involvement with colonialism and slavery as well as with neo-colonial practices and policies of the present day. Finally, despite its commitment to processes of internal de-bordering, the Europe I am addressing here is increasingly sealing itself off, both spatially and ideolo- 177 Enter the Ghosts of Europe: Haunting and Contemporary Theatre gically, thereby turning itself into, to put it drastically, “ a continental camp where non- Europeans are ‘ included by exclusion ’ and ‘ excluded by inclusion ’” 13 . It is, therefore, my opinion that through its eclectic understanding of itself, its selective memory and, not least, its increasingly rigid border and asylum policies, contemporary Europe has allowed a variety of ghosts to emerge. The aesthetic and discursive strategies through which theatre may allow the ghosts of Europe entry into the theatrical event and thus potentially into public consciousness, can be regarded as “ counter-(re)presentations ” 14 , or, more generally, can be subsumed under the German term ‘ Vergegenwärtigung ’ , that is to say, ‘ manifestations ’ or ‘ enactments in the present ’ . Their objective is, in Derrida ’ s words, “ to let something arrive in the present (faire arriver quelque chose au présent) ” 15 , by utilising the totality of symbolic practices and means of communication available to theatre. The following reflections refer to theatrical representations of two hauntings of Europe which, ultimately, are scarcely imaginable without each other: on the one hand, the European history of imperialism as well as colonialism and their continuation in the present, and on the other hand, the so-called ‘ refugee crisis ’ , which has turned the Mediterranean into “ the largest mass grave of contemporary migration ” 16 . As performance artist Tania El Khoury notes: “ One can no longer write, think or reflect about the Mediterranean Sea without imagining it as a death trap for refugees of war. ” 17 The Mediterranean Ghosts of Elfriede Jelinek/ Nicolas Stemann (2013/ 14) and Christian Lollike (2016) The starting-point for Elfriede Jelinek ’ s Die Schutzbefohlenen (The Charges) are the events surrounding the journey of a group of asylum-seekers who marched from the Traiskirchen refugee camp to the centre of Vienna and set up a protest camp in front of the Votive Church in November 2012. In addition, it reflects upon the refugee catastrophes off of the island of Lampedusa as well as upon Austrian and European migration and border policies in general. The intertextual reference for Die Schutzbefohlenen is Aeschylus ’ tragedy Hiketides (The Suppliants), the only surviving part of the Danaid Tetralogy. The suppliants are Danaus ’ fifty daughters, who land on the coast of Argos and beg King Pelasgus for asylum. They are fleeing the fifty sons of their uncle Aegyptus, who want to force them into marriage. Pelasgus faces a dilemma that is developed discursively in the dialogue between him as protagonist and the women as chorus: on the one hand, there is the divine commandment of hospitality and, on the other, the danger of military conflict with the rejected suitors. The women begging for asylum find themselves in a precarious intermediary state, reduced to their bare lives - no longer belonging to one world, not yet belonging to the other. This uncertain state between different worlds and legal systems also characterises the suppliants in Jelinek ’ s text: “ And it is happening now, it might already have happened when you are watching this, what fate imposed on us, that is, the end. The disappearance. [. . .] We are not here. We have come, but we are not here at all. ” 18 These are the words of the living dead, the homines sacri, trapped in a liminal state between life and death, but also between departure and arrival, echoing the status of “ frozen movement ” 19 which is regarded as typical of the situation of contemporary migrants. Moreover, the identity of both the enunciator and the addressee in the ancient Greek ritual of hiketeia (i. e. the formalised plea for religious and political protection preceding 178 Elisabeth Tropper the asylia) remain unclear: In Die Schutzbefohlenen, voices and fragments of discourse merge imperceptibly into each other, such that there is never a final answer as to who is actually speaking or as to who is addressed by the generalised and generalising ‘ we ’ of the text. In Die Schutzbefohlenen ‘ Vergegenwärtigung ’ - enactment in the present, ‘ faire arriver quelque chose au present ’ - is thus realised first and foremost through a kind of ‘ present absence ’ , that is, a notion of absence and not-belonging made accessible through the linguistic and structural characteristics of the text, most notably through the permanent withdrawal of a coherent speaker position. While reproducing, to a certain extent, the marginalised status of refugees through their textual representation, Jelinek employs language as a means to uncover the mechanisms through which the ‘ ghosting ’ of people functions in language. By allowing the everyday talk of a ‘ flood ’ or ‘ wave ’ of refugees to tip over into an image of their physical erasure, she reveals the potentially lethal element inherent in the dehumanising imagery of the public discourse surrounding refugees. “ The people are already in the fluids and are being dissolved there, yes, we are being dissolved like packet soups, we don ’ t have to worry anymore, that ’ s the best part of it [. . .] we are being dissolved, just no one who wants to drink us, that wouldn ’ t be a good idea, the countries wouldn ’ t stomach that anymore, and more they cannot stomach. More of us is not possible. ” 20 Nicolas Stemann ’ s original production for the Theater der Welt festival in Mannheim (in cooperation with the Thalia Theater Hamburg) in 2014 has been the subject of a heated debate which I do not intend to discuss here. Suffice it to say that the dispute was sparked first and foremost by the presence of ‘ genuine ’ refugees on stage, whom the director had report on their experiences, occupy the theatre space as silent witnesses or speak passages from Jelinek ’ s text, as well as by the use of blackface in one particular scene. 21 Stemann ’ s staging of Die Schutzbefohlenen relies on theatre performance as a shared experience in time and space, where the ghosts of contemporary Europe can be made to appear. Here, ‘ Vergegenwärtigung ’ refers, first of all, to the sheer physical presence of those who are (at least in part) the subjects of Jelinek ’ s text. Still, visibility must not be confused with recognition, and the mise en scène, as committed as it may be, is by no means immune to the reproduction of stereotypes and ethno-somatic stratification. As for Stemann ’ s staging, the refugees remain ‘ the Others ’ of the scenic constellation. The deconstructive gesture, which is employed by the protagonists (four members of the Thalia Theater and two freelance actors) and realised through alternating roles, cross-dressing, parody, hyperbole, ironic songs and constant shifts in attitude towards the text as well as towards its contents, contrasts strongly with the status of the refugees, who are presented as ‘ authentic ’ witnesses of the events to which Jelinek refers. For them, no change of role is intended. Nevertheless, by allowing refugees access to the stage - a site where they are often talked about, but supposedly do not belong - Stemann, in my opinion, attempts to transcend the spectral metaphor and the status of present-absent in Jelinek ’ s text. For the albeit liminal and ephemeral period of the theatrical event, the refugees involved in the performance assert their presence, their arrival within Europe, and they are given a forum - as limited as it may be - in which they can articulate their desires and demands. Accordingly, at one point the members of the chorus proclaim with the conjoint force of their voices, and as if to counter the concluding sentence of the main text of Die 179 Enter the Ghosts of Europe: Haunting and Contemporary Theatre Schutzbefohlenen, “ We are not here. We have come, but we are not here at all ” 22 : “ WE ARE HERE! ” The refugees ’ status within the performance remains, however, as unresolved as their legal status outside the theatrical sphere. The logic of exclusion inherent in the public discourse on refugees and the aspects of haunting that follow from it, as well as the anxious fantasies of European societies regarding the eruption of the supposed Other into their protected area, is also a central point of reference for Living Dead by Danish author and theatre director Christian Lollike. This becomes especially evident in Lollike ’ s own staging of the play at Pakhus Theatre in Copenhagen in 2016. The set of Living Dead is a realistic reproduction of a kitchen. This realism, though, is immediately disrupted by the visual appearance and acting style of the performers. A, B and C, as the text refers to them, traverse the stage in slow-motion, as if spellbound by fear or fighting an inner resistance. When they speak, their words are stretched and decelerated in a similarly unnatural manner. Their irises are entirely black, giving them an uncanny and fearful look, their skin has an unnatural shine to it. In Living Dead, the simplifying and demonising aspects of discourses regarding refugees are exhibited not through language, but through means of figurative realisation. By letting the objects of such discourses virtually appear as the undead - both in the mediated minds of the protagonists and in concrete scenic images - Living Dead stages the anxious waiting for, literally, a “ black, Islamist mass of zombies ” ( “ den der sorte islamistiske zombiemasse ” 23 ). B claims to have heard of refugees rising out of the sea, half-eaten by fish, and of a virus spreading from the reception camps. The dramaturgical arc unfolds mainly through character C, embodied by Özlem Saglanmak. While A and B are essentially interchangeable, C has an individual position within the ensemble. Fig. 1: Die Schutzbefohlenen, Thalia Theater Hamburg, © Krafft Angerer 180 Elisabeth Tropper Her flatmates accuse her of having infected herself with the zombie virus, regarding her increasingly as a threat to the community. Eventually, C mutates into a zombie indeed, going through a painful transformation in the course of which her body gradually disintegrates while, at the same time, she regains her human features. Towards the end of the performance, in a scene reminiscent of the visual aesthetic of splatter movies, C is executed over and over again. Overall, Living Dead exhibits a drastic visual language, which itself performs a kind of transgression insofar as it repeatedly exceeds the comfort zone of the audience. It overwhelms its viewers through elements of horror, shock and violence, as well as by creating a permanent atmosphere of anticipatory anxiety which is reinforced by the underlying musical score. The zombie, in which Lollike concretises the idea of haunting, originally derives from the religious practices of the Haitian religion of Vodou and has been endowed with all kinds of frightening features by western popular culture, such as the habit of forming hordes, insatiability and the danger of infection. Lollike takes up these elements and interweaves them with the imagery found in public discourse. Like Jelinek, he takes certain images implicit in the European public discourse on refugees literally. The recurring language describing a wave of refugees swamping Europe (often combined further with the idea of a (bio-)political agenda, namely the ‘ islamisation ’ of Europe) corresponds to the image of a relentless horde of zombies as introduced by contemporary zombie films. However, Lollike employs the zombie metaphor in its full semantic spectrum. His characters look and behave like the undead themselves: with their slow movements and weirdly extended pupils, they appear to be members of a zombielike affluent society, dominated by fatigue, fear, and a neoliberal work ethic that relies Fig 2: Still from a filmed version of Living Dead by Sort/ Hvid and Aarhus Teater, © Søren Meisner 181 Enter the Ghosts of Europe: Haunting and Contemporary Theatre on the production of “ dead men [and women] working ” 24 . Living Dead is not a play about refugees, but about Europe. By taking the zombie metaphor literally, Lollike translates the anxieties of postcolonial European societies of a takeover of their protected inner spheres through an external ‘ Other ’ into the theatrical constellation and mirrors them back to his audience in the shape of an unsettlingly twisted and grotesque mimicry (unsettling not least in its deliberate reproduction of racist stereotypes). In one scene, uncanny figures in niqabs circumambulate the room and gradually come to occupy the space. In another, a grotesque dance of the undead, who are represented as racist archetypes of people of colour, turns into a more and more aggressive gesture of begging, thus crossing the boundaries between stage and audience in an uncomfortable manner. The staged images of Living Dead are clearly intended to make the audience uneasy and to provoke further engagement with the events witnessed. Invoking Europe ’ s Blind Spot: Fin de Mission (2016) The third and last theatrical work I wish to discuss here can be regarded as a postcolonial project in the sense described by Leela Gandhi, namely as an endeavour “ devoted to the [. . .] task of revisiting, remembering and, crucially, interrogating the colonial past ” 25 , with the further objective of excavating its ties to the present. FIN DE MISSION. Ohne Auftrag Leben. Die erste deutsch-kamerunische Oper(ation) über das Gedächtnis der Sklaverei (FIN DE MISSION. Living without a mission. The first German-Cameroon opera (tion) on the memory of slavery) was produced in 2016 in a collaboration between the German group Kainkollektiv (namely Fabian Lettow and Mirjam Schmuck) and Fig 3: Still from a filmed version of Living Dead by Sort/ Hvid and Aarhus Teater, © Søren Meisner 182 Elisabeth Tropper Martin Ambara from the Cameroon Laboratoire de Théâtre de Yaoundé OTHNI. It is a theatrical reflection on colonialism as the ghostly background to modern age - the ‘ repressed obverse ’ of European identity, as the production ’ s programme note puts it. In Fin de Mission, whose title alludes, of course, to Heiner Müller ’ s Der Auftrag (The Mission) from 1979, diverse manifestations of cultural performance are woven into each other without any hierarchy of status: European and African musical traditions, forms of song, dance and theatre, as well as ritual practices - resulting in a truly “ syncretic performance ” 26 , which exhibits both the features of Western ‘ postdramatic ’ theatre and the “ total theatre paradigm ” of African performance cultures. 27 Inevitably, for audiences both in Europe and Cameroon, where the production was performed as well, some unintelligibility remains, be it on grounds of language (the performance itself is multilingual), be it due to an encounter with unknown aesthetics, practices, and references. Quotations from texts, film and sound recordings are treated in a similar nonhierarchical manner, provoking a visual synchronicity and polyphony which, at times, takes the audience to the limits of what they can process, both in terms of cognitive and sensational impressions. The layering and intermingling of traditions from different sources extends as far as to the costumes. Already in the opening scene, the female performers are dressed in clothes combining African fabrics with shapes that evoke European court dress from the 17 th century, such as corsages and farthingales, thereby translating the fundamental entanglement of European and African histories into a simple visual sign. The theatrical space explicitly becomes a site where spirits are evoked. Shortly after the beginning of the performance, a ritual is initiated, a séance to call up the dead and to articulate the starting-point for the theatrical endeavour, investigating who is responsible for the injustice that has taken place. The spirits of the victims do not respond, however. It is other ghosts that are conjured up, namely the ‘ evil spirits ’ of the west: colonialism, imperialism, racism, and slavery. Fig. 4 and 5: Fin de Mission, Ringlokschuppen Mühlheim, © Michael Wolke While Fin the Mission relies to a considerable extent on techniques from documentary theatre and provides its audience with vast information about the colonial history of Cameroon, it remains, at the same time, a theatrical reflection on absence. A variety of dramaturgical and staging devices are employed in order to keep the absence of Europe ’ s ‘ forgotten ’ (repressed, abjected) colonial ‘ others ’ explicit, whether through silhouettes projected onto the rear of the stage performing a dance of the dead, or whether through dozens of chairs from Cameroon (the central element of the stage 183 Enter the Ghosts of Europe: Haunting and Contemporary Theatre design) which, in their nakedness, inevitably point to a ‘ present absence ’ . As metonymic objects, they receive a ghostly status themselves, since chairs, after all, “ are among those basic human objects that echo the human body ” 28 . In one scene, the dancer Catherine Jodoin throws herself from chair to chair in a wild choreography, as if the invisible spirits were taking possession of her body. History as haunting does not only “ bite back ” , as Michel de Certeau has stated 29 , it also latches on. In one scene, David Guy Kono and Madeleine Pélagie Nga Alima point to the irresolvably interwoven African and European histories and the incessant presence of Europe ’ s post-colonial ghosts in a statement similar to the self-assertion inherent in the “ WE ARE HERE ” of Stemann ’ s chorus of refugees. “ Whatever border is being built, it will never be possible to prevent people from coming to Europe. Because they are already there! [. . .] Yes, because we have already consumed each other. We have eaten the other and the other has eaten us. Now we are digesting each other. ” 30 Conclusion The concept of haunting (or ‘ Heimsuchung ’ ) points to both constraints and potentials, to a lack of agency and to a subversive and transformative force. “ Haunting always harbors the violence, the witchcraft and denial that made it, and the exile of our longing, the Utopian. ” 31 Given this ambivalence, haunting, as I have tried to show here, can be a fruitful concept when looking at works of contemporary theatre which permit Europe ’ s excluded ‘ Other(s) ’ into the presence of the performance. A ‘ theatre of haunting ’ thus necessarily combines the aesthetic with the ethical and the political, as it sets out to counter the structures that turn people into ‘ living ghosts ’ , whether through discursive and/ or spatial presence, or through evoking the wounds and lacunae in which the ghostly develops its force as something that has not been atoned for and where there has been no closure. Of course, such theatrical endeavours are constantly burdened with the threat of reproducing stereotypes and creating new forms of spectralisation and misappropriation, especially when based on unequal power relations “ between the knowing investigator and the (un)knowing subject of subaltern histories ” 32 . Furthermore, being itself a “ site of exclusion and demarcation ” 33 , European theatre ’ s own blind spots and fault lines, as well as those of its creators and scholars, should be kept in mind. Thus, ‘ haunting ’ could also serve as an analytical key for modes of self-reflection and introspection as well as for detecting the intratheatrical revenants of contemporary European theatre. That, however, begs a paper in its own right. Notes 1 Cf. e. g. Roland Barthes, Camera Lucida. Reflections on Photography, New York 1981, p. 31: “ We know the original relation of the theater and the cult of the Dead: the first actors separated themselves from the community by playing the role of the Dead ” . 2 “ Ein Gespräch zwischen Wolfgang Heise und Heiner Müller ” , in: Heiner Müller, Gesammelte Irrtümer 2: Interviews und Gespräche, Frankfurt a. M. 1990, pp. 50 - 70, here p. 64. 3 Cf. Merriam-Webster Dictionary: https: / / www.merriam-webster.com/ dictionary/ hau nt [accessed 30 August 2019]. 4 Cf. “ Heimsuchung ” , in: KLUGE: Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache, Berlin/ New York 2002, p. 402. 5 Jacques Derrida, Specters of Marx: The State of the Debt, the Work of Mourning and the 184 Elisabeth Tropper New International, New York/ London 1994, p. 11. 6 Cf. Esther Peeren, Feared yet Disposable: The Spectral Lives of Undocumented Migrants, talk given at the University of Luxembourg (March 18, 2016). 7 Esther Peeren, The Spectral Metaphor. Living Ghosts and the Agency of Invisibility, London 2014, p. 14. 8 Giorgio Agamben, Homo Sacer. Sovereign Power and Bare Life, Stanford 1998, p. 8. 9 Cf. Peeren, The Spectral Metaphor, p. 187. 10 Ibid., p. 8 [emphasis E. T.]. 11 Elisabeth Bronfen, “ Vorwort ” , in: Gisbert Haefs (ed.): Ambrose Bierce: Werke in vier Bänden, vol. 3, Zürich 2015, pp. 7 - 29, here p. 10. 12 María del Pilar Blanco and Esther Peeren, “ Introduction: Conceptualizing Spectralities ” , in: María del Pilar Blanco and Esther Peeren (eds.): The Spectralities Reader. Ghosts and Haunting in Contemporary Cultural Theory, New York 2013, pp. 1 - 27, here p. 9. 13 Mekonnen Tesfahuney and Magnus Dahlstedt, “ Maze of Camps. (Im)mobilities, Racism and Spaces of Exception ” , in: Maria Holmgren Troy and Elisabeth Wennö (eds.): Space, Haunting, Discourse, Cambridge 2008, pp. 170 - 199, here p. 173. 14 I am borrowing this term from Rieke Bolte who introduced it in her dissertation about medial and aesthetic procedures confronting the disappearance of tens of thousands of people during the Argentinian dictatorship between 1976 and 1983. Cf. https: / / edoc.huberlin.de/ handle/ 18452/ 17559 [accessed 30 August 2019]. 15 Jacques Derrida, “ Marx, das ist jemand ” , in: e-Journal Zäsuren - Cesures - Incisions 1 (2000), pp. 58 - 70, here p. 65. 16 Paolo Cuttitta et al., “ Die Grenze demokratisieren ” , in: Kritische Justiz 3 (2011), pp. 244 - 252, here p. 248. 17 Tania El Khoury, “ Swimming in Sewage ” , in: Performance Research 21/ 2 (2016), pp. 138 - 40, here p. 140. 18 Elfriede Jelinek, Die Schutzbefohlenen, in: Elfriede Jelinek, Die Schutzbefohlenen. Wut. Unseres, Reinbek bei Hamburg 2018, pp. 7 - 225, here p. 97. ( “ Und es geschieht jetzt, ist vielleicht schon geschehn, wenn Sie dies sehn, was verhängt uns vom Geschick war, nämlich das Ende. Das Verschwinden. [. . .] Wir sind gar nicht da. Wir sind gekommen, doch wir sind gar nicht da. ” ) 19 Tom Holert and Mark Terkessidis, Fliehkraft. Gesellschaft in Bewegung - von Migranten und Touristen, Köln 2006, p. 46. 20 Jelinek, Die Schutzbefohlenen, pp. 63 - 64. ( “ Die Menschen sind schon im Flüssigen und werden dort aufgelöst, ja, wir werden aufgelöst wie Tütensuppen, wir müssen uns keine Sorgen mehr machen, das ist überhaupt das Beste dran [. . .] wir werden aufgelöst, bloß trinken tut uns keiner, das wäre nicht gut, das vertragen die Länder nicht mehr, und mehr vertragen sie nicht. Mehr von uns geht nicht. ” ) 21 As representative for the protests surrounding the use of blackface in Die Schutzbefohlenen cf. Wagner Carvalho, “‘ Geht ’ s noch? ’ - Ein Zwischenruf von Wagner Carvalho ” : https: / / theatertreffen-blog.de/ tt15/ gehts-no ch-ein-zwischenruf-von-wagner-carvalho [accessed 30 August 2019]; Matthias Dell, “ Unser Problem ” , in: Theater der Zeit 10 (2014), pp. 15 - 17. I would argue, though, that blackface is deployed as a critical and meta-theatrical means here, that is, a demonstration rather than a reproduction of racist stereotypes. 22 Jelinek, Die Schutzbefohlenen, p. 97. 23 Christian Lollike, Living Dead, unpublished script, September 2016, p. 21. 24 Cf. Carl Cederström and Peter Fleming, Dead Man Working, Winchester 2012. 25 Leela Gandhi, Postcolonial Theory. A Critical Introduction, New York 1998, p. 4. 26 According to Christopher Balme, “ theatrical syncretism ” can be regarded as “ a conscious, programmatic strategy to fashion a new form of theatre in the light of colonial or post-colonial experience. It is very often written and performed in a europhone language, but almost always manifests varying degrees of bior multilingualism. Syncretic theatre is one of the most effective means of decolonizing the stage, because it utilizes the performance forms of both European and indigenous cultures in a creative recombina- 185 Enter the Ghosts of Europe: Haunting and Contemporary Theatre tion of their respective elements, without slavish adherence to one tradition or the other. ” Christopher Balme, Decolonizing the Stage: Theatrical Syncretism and Postcolonial Drama, Oxford 1999, p. 2. 27 Cf. Praise Zenenga, “ The Total Theatre Aesthetic Paradigm in African Theatre ” , in: Nadine George-Graves (ed.), The Oxford Handbook of Dance and Theater. Oxford 2015, pp. 236 - 51. 28 Alice Rayner, Ghosts. Death's Double and the Phenomena of Theatre, Minneapolis, London 2006, p. 110. 29 Cf. Michel de Certeau, Histoire et psychanalyse entre science et fiction, Paris 1987, p. 85. 30 Kainkollektiv/ OTHNI, Fin the Mission: Ohne Auftrag Leben, unpublished script, p. 40. The original passage is in French and German. 31 Avery F. Gordon, Ghostly Matters: Haunting and the Sociological Imagination, Minneapolis, London, 2008, p. 207. 32 Gandhi, Postcolonial Theory, p. 2. 33 Jan Deck, “ Politisch Theater machen - Eine Einleitung ” , in: Jan Deck and Angelika Sieburg (eds.): Politisch Theater machen. Neue Artikulationsformen des Politischen in den Darstellenden Künsten, Bielefeld 2011, pp. 11 - 28, p. 24. 186 Elisabeth Tropper “ Leaving and Remaining ” - The Staging of Europe in the Work of Maxi Obexer Karsten Forbrig (Nantes) Nominated for the Ingeborg-Bachmann-Prize in 2017 with her novel-essay Europas längster Sommer the German speaking novelist and playwright Margareth “ Maxi ” Obexer explores in her work three key concepts, namely identity, migration and the staging of Europe through several artistical approaches and formats. The following article will retrace chronologically some of these migration movements and representations of Europe in order to show the development of these different genres in the work of the co-founder of NIDS - Neues Institut für Dramatisches Schreiben (New Institute for Dramatic Writing). It will be demonstrated that Obexer, starting from her personal migrant experience, progressively proceeds towards an engaged writing which - despite all the critique - in the end tries to defend a European utopia based on interpersonal relationships, hospitality and exchange. Long before the historical sentence “ We can do this! ” was pronounced by Angela Merkel in response to the 2015 migrant crisis and long before the German public became aware of the multiple human catastrophes taking place in the Mediterranean, notably along the Italian coast, the Germanophone novelist and playwright Margareth “ Maxi ” Obexer had already focused work on European migrant history. Nominated for the Ingeborg Bachmann Prize in 2017 for her novel-essay Europas längster Sommer, 1 Obexer explores this subject through several artistic approaches and in various formats including short novels, semi-fictional novels, fictional dramas, radio dramas, semifictional dramas, and documentary theatre. Despite the differences in the forms used, the author from Brixen in South Tyrol persists in her questioning of three key concepts or topics: identity, migration and the staging of Europe. In the following essay I will retrace chronologically some of these migration movements and representations of Europe in order to present the development of these subjects in the work of the co-founder of NIDS - Neues Institut für Dramatisches Schreiben (New Institute for Dramatic Writing). A Stranger in Her Own Tongue Despite all the misdirection that a biographical approach could imply, it seems obvious in the case of Margareth “ Maxi ” Obexer, that the main focus of her writing is deeply linked to her origin. Born in 1970 as a member of the German-speaking minority in the north of Italy, she has always had a special relation to language as a vector for identity construction. During her adolescence, she experienced the paradox of a life as an Italian citizen in a German-speaking enclave that isolated itself from the European reality around it. After a first “ break-out ” from Brixen to Bozen during her time at secondary school, Obexer left the suffocating atmosphere of the former Austrian province to do her studies in Vienna and Berlin where she also started to live her homosexual identity. It is actually this sec- Forum Modernes Theater, 31/ 1-2 (2020), 187 - 197. Gunter Narr Verlag Tübingen DOI 10.2357/ FMTh-2020-0017 ond “ break-out ” that gives more and more shape to a feeling that Obexer already experienced at home: being a stranger in her own (mother) tongue. As a representative of so-called minor language, she was confronted to the normative power of the standard German and its exclusionary effects. This double-bind feeling of attraction and repulsion towards the author ’ s mother tongue received literary expression in the short prose anthology Das Herz eines Bastards, 2 and most especially in the eponymous short story, as well as in Die Wortlose. 3 Whereas the latter text clearly ties in with a modern critique of language, Das Herz eines Bastards reflects more on the somatic effects or physical translations of this experience of foreignness. In an allegorical turn, the narrator associates herself with a mutt, a bastard dog, that cannot cope with the purebreds and their world surrounding her but who, nevertheless, discovers the advantages of being marginal, of being special. Fifteen years later, the self-declared “ dog lover ” , Obexer will integrate these rather personal experiences and analysis in her novel-essay about the European migrant crisis. Staging the European Perspective With the eyes of an inner European migrant or a “ bastard ” as she would call herself, Obexer focuses during the following years on “ Europe ’ s growing unease with regard to certain incidents in the European margins ” , 4 as it is euphemistically stated in Das Geisterschiff. 5 This dark allegorical comedy in 22 scenes based on personnel research at the Sicilian coast was created during an artist ’ s residency at Schloss Solitude near Stuttgart. The “ play ” 6 stages the European perspective on the migration crisis in three complementary strands of narration. All three are linked by the tragic death of 283 people off the “ Silucien ” coast near “ Portoceleste ” 7 and “ The European Congress concerning Europe ’ s growing unease with regard to certain incidents in the European margins ” 8 that also takes place in the fictional town. Unlike the German edition, the English translation by Marlene Norst contains paratextual elements that resulted from the first experiences staging Das Geisterschiff in cooperation with Obexer: Although there are different and changing scenes, it is advisable not to stage them naturalistically but on a single stage space. The actors are partly on stage already or remain on stage after their entry, which takes account of the fact that, although the play is a fiction, it is based on documentary evidence and has the potential for further ‘ negotiation ’ . The use of film and/ or video material might well be considered so as to provide visuals of the ship-wreck, other ships and refugee boats, while Live-Cams could be used to show the on-looker as someone who looks on. 9 Even though Obexer rarely works as a stage director, she often contributes to the productions as a consultant, co-director or dramatic adviser, which allows her to pursue her work and to adapt the texts in order to develop a stronger impact according to the type of media (theatre, radio, exhibition) and the kind of audience that she is dealing with. The explicit promotion of postdramatic aesthetics in order to underscore the documentary elements and to reinforce the interpellating nature of the “ merged ” scenography is the product of a first stage experiment. A partisan of the evolving text, Maxi Obexer likewise recommended the use of those techniques to focus the dramatic action in the final monologue of the curator during our collaboration in the context of the “ Creation & Crisis ” - Project in March 2017 in Nantes, France. In the intervening time, she also extracted the second narrative strand concerning the 188 Karsten Forbrig two cruise ship passengers and transformed it into an original play entitled Die Fliegenden Holländer 10 - The Flying Dutchmen. This text deals already with the crime of aiding and abetting illegal entry and residence. Obexer focused again on this topic in her prizewinning documentary-based radio play Illegale Helfer. 11 The main narrative of Das Geisterschiff is driven by two ambitious young journalists who intend to jumpstart their careers by winning the prize for the most promising young journalist that will be awarded on the occasion of the “ European Congress ” . In order to create an authentic but more exciting piece of investigative journalism, the two career-minded reporters plan to do a series of interviews about the drownings. They start with the fisherman Christoforo Volpe, who supposedly found human bones in his nets. After, the two journalists continue their investigation by confronting representatives of the different authorities: political (the Mayor), legal (the Assessor), and religious (Don Palatino) with the facts and with their lack of adequate response. One of the secondary strands of narration stages two cruise ship passengers on their way to the forum. These two, like the inhabitants of Portoceleste, are above all characterized by their profession. The first introduces himself as a mortician who has obviously joined the forum for professional purposes only. The second one reveals himself to be an academic specialized in the humanities who tries to exploit the migrant crisis for his next scientific paper. The dramatic construction is completed by the character of the female curator who appears throughout the play in several monologues and who is looking for the perfect artistic contribution to the congress. In a certain way Obexer follows the Austrian tradition of the Volksstück and relies on allegoric characters, burlesque effects and a self-denouncing logorrhoea. By alternating among the narrative strands 12 and the social spheres of media, politics, religion, science and arts Obexer succeeds in displaying the specifically European ways of dealing with these daily human catastrophes that seems to be perceived of either as a threat or as an economic opportunity. The two journalists, for instance, try to manipulate the testimony of Volpe by alternately putting pressure on the fisherman, pretending feelings of compassion and insisting on the fact that they want to hear “ about the bones ” . 13 The Assessor, to take another example, is the incarnation of the flimsy opportunist politician seeking power, who first dehumanises, almost obliterates the affair by reducing it to a question of international maritime law before revealing his deeply rooted racism in a speech marked by colonial imagery. ASSESSOR: It ’ s millimeters that separate us from the Black Continent, we are the furthest point, the last tip of civilized Europewith a hint of blue eyes and then there ’ s Africa, Africans and Cannibals! Do you understand now? It only needs a few dead people in the water and everybody takes us for them. Millimetres. And yet kilometers and the whole of the Occident separate us. 14 While the one representative of the political and legal spheres draws an image of Europe as a fortress that needs to be defended against the “ Cannibals ” , the other seems to preach hospitality. MAYOR: Well then, not just three months, not six months, Portoceleste has set itself the goal of creating tourism that extends for more than twelve months. We ’ re aiming at a year with thirteen, even fourteen months. The beaches are clean, the dung heaps you would have found there ten years ago, have vanished, we welcome visitors. 15 The ongoing transformation of the small seaport into an artificial tourist attraction without any proper sustainable economic life described by the mayor is based, on the 189 “ Leaving and Remaining ” - The Staging of Europe in the Work of Maxi Obexer one hand, on the stereotype folkloric image of Southern Italy and, on the other hand, on the spectacularisation and commercialisation of the migration crisis through inaugurations of memorials or the organisation of social gatherings like the “ European congress ” . It seems to be rather obvious that the actual presence of migrants would be “ bad for business ” . Hypocrisy instead of hospitality - without any doubt the rhetoric flexibility of the mayor outclasses his assessor. Therefore it is no surprise that the highest-ranking political representative succeeds in perverting the question of responsibility in the name of the Rule of Law: MAYOR: In Europe, everyone has the right to arrive. To begin with everyone must be allowed to arrive. At least to find out if it was the right move. So it is, somehow, also one ’ s duty to arrive. Not to arrive and in the process to be killed, somehow goes against one ’ s own rights. 16 One could easily continue the list of double moral standards in the play with the selfimportant, but completely passive academic or the priest, Don Palatino, who hands over illegal migrants to the police. Instead, we will turn our attention to the female curator and the complex connections between the arts, the art-market, social engagement and the migration crisis. The four counterpoint-like monologues given to this character allow Obexer to ask questions about a possible parasitical relation between misery and engagement with that misery by the artist for individual, political, self-promotional or commercial reasons. Her artistic choice speaks for itself: CURATOR: The group is called “ Much Identity ” Yes, “ much ” like “ much ” , and their idea is nothing less than a new world-classification system! Yes / They divide the world up in a new way according to: spices, smells and tastes, / They subdivide countries by the way they smell. / States are created like: / Safran, Coriander, Garlic or Pepper / Identity cards, passports / are all a matter / of whether those belonging to the territory of Curry, Paprika. / or Chili, are to be numbered among / Cloves, Cinnamon, Vanilla / or Juniper, Thyme and Fennel. / There ’ ll be new axes, / The Rice, Wheat, Polenta, / Lentils, Semolina, and Potato axes. / How will nations / be formed? From now on from: / Cabbage Rolls, Wheatbran, Couscous, / Bean-zones, Mint-provinces, Sour cream-land. / Eating habits will be the deciding factor, / assuming the status of a religion. The motive is: / the dissolving of ingrained world divisions according to: / Nations, Religions, Languages or Colours. Important is: / the unmasking of national frontier divisions as constructs [. . .]. 17 This artistic concept is one of the rare alternatives to the Eurocentric vision exposed by the play. The group of artists “ Much Identity ” and the performers of “ The Ugly Parcel ” 18 seem to be the only ones still capable of critical reflection and able, moreover, to translate or transform those ideas into direct action. Nevertheless, this observation is subject to restrictions because, on the one hand, the engagement is based on their privileged socio-cultural position - a European performance-group pointing out the difficulties of migration that they have never experienced themselves - and, on the other hand, the commercial interrelations also represented by the character of the female curator continue to exist. Throughout her four monologues, Obexer develops this dialectic position. She opposes an “ utopian ” and an “ apocalyptic ” orientation of the artwork. This dichotomy calls to mind the Brechtian differentiation between an engaged critic and emancipated epic form and a dramatic form which encourages, like for the German playwright, the passive “ culinary ” attitude of consumerism towards the arts. This attitude is represented by the 190 Karsten Forbrig younger mistress of her husband and business associate, Rudi. 19 This in accordance with her political values as well as in an act of vengeance against her unfaithful husband, the female curator closes her inaugural speech for the “ European Congress ” with an injunction against double moral standards and for a new political utopia: CURATOR: Put a stop to your soup morality! Stop preventing everything! Stop it. You ’ re standing in the way! You haven ’ t got the right! You have no right to feel guilty! Put a stop to your impotence! Haven ’ t you got any utopias? As long as you have no utopias you have no right to apocalypses! No right to uneasiness! 20 The EU-topian Glance Across the Mediterranean Utopia or even EU-topia are the terms that also fit the image of Europe developed by the young Nigerian woman, Helen, who is the protagonist of Obexer ’ s novel Wenn gefährliche Hunde lachen 21 , published in 2011. Maxi Obexer created this with the help of the NGO Women in Exile basing it mainly on interviews with female migrants. The novel relates Helen ’ s long and painful journey to Germany. Before publishing the novel, the interview material was used for her audio-installation Defending Europe at the Franzenfeste near Bozen on the occasion of the European Art Biennale “ Manifesta ” in 2008. The 161 pages are subdivided in three parts, which correspond to the main parts of her journey: from Lagos/ Nigeria to Tanger/ Morocco, the period in the Moroccan brothel, the journey within Europe. To tell her story, Obexer introduces several layers of narration starting with a heterodiegetic narrator who is interrupted by long passages of dialogue. She contrasts the ongoing narration with excerpts from Helen ’ s diary that appear in italics. Each entry is written as a letter to one of her family members and depending on to whom she writes, the story changes. While the letters to the whole family underscore her gratefulness and emphasize the positive aspects of the new life to come, Helen partially confides in her sister, Pat, and only in Pat, about how her beloved Benjamin betrayed her, about the prostitution that paid for the crossing, and about the loss of her unborn child because of an abortion pill she took following the orders of the local administration upon her arrival in Tarifa. By adopting this strategy, Obexer creates two effects: she draws a more complex psychological profile of her protagonist who is slowly driven to the brink of mental illness and consequently, this shift provokes blind spots and uncertainties within a narrative that is expected and organised chronologically by the analepsis at the very beginning. Furthermore, the alternating forms of narration seem still to contain a trace of their former use in the audioinstallation. At least, the text invites a certain type of staging or “ mise en voix ” . Nevertheless, what keeps Helen going, despite all the suffering that she describes or circumscribes in her letters, is her bright and shiny EU-topia. Besides, I do not want to stay in Spain, I already told you if you remember, I will maybe go to Italy but not to Rome, I rather prefer Milan or Bologna. Maybe I will much further to the North, to Germany or Norway. We will see where I like it the most. It depends also on what they can offer to me and what kind of University I will choose. [. . .] But I can not predict the things yet. I also find Switzerland quite interesting, I heard a lot of good things about Belgium. Or the Netherlands [. . .] To Amsterdam, for instance. Just the name is beautiful. 22 In the eyes of Helen, the European topography is dislocated, reduced to some Western European countries and metropoles like 191 “ Leaving and Remaining ” - The Staging of Europe in the Work of Maxi Obexer Paris. 23 The life that she imagines within this supposedly open-minded Europe is based on the representations of a society of abundance that appear in the movies, television broadcasts and advertisements: Dear parents, dear Victor, Pat, I can see Europe, I can even smell it, I see the lights of Europe, those are the lights of an esplanade, people with ice cream in their hands walking around under the street lights. They are sitting around in cafés, drinking fresh -made lemonade, white wine, sparkling wine or champagne. I see them hanging around on the stairs in front of a museum, also on those in front of the university, they read newspapers and books, they discuss, laugh, smoke cigarettes, they catch the bus, they wave to each other, taxis honk, the tramway jingles, just an ordinary day in Europe. Your Helen. 24 Helen becomes the victim of her own desires and projections in which “ Europe ” becomes a cipher for the Promised Land. The sacralisation is necessary in order to survive the martyrdom. That is the profound sense of the parallelism at the end of the prayer given by the preacher Isaac in the Moroccan ghettos: “ Nobody will succeed to take away from you what you are dreaming about, what you have a right to, what you are fighting for! It is only you that count! You and God! You and Europe ” ! 25 The journey to Europe becomes a kind of personal salvation story which, in the case of Helen, even leads to epiphany-like hallucinations when she starts to see guardian angels. The constant suffering from her martyrdom provokes a slight change in Helen ’ s mind. She starts to distinguish between her ideal “ Europe ” and the Europeans - especially white men that “ crush us with their meaty male bodies when they lay down on us ” . 26 The contrast between the ideal and her experience of Europe gets more and more difficult to bear for Helen. Once arrived on the so-called old continent, her belief in Europe dies with her child. She slowly realises that, despite all efforts, she will not be able to escape her origins. This is a destiny that Tabita, her inmate in the Spanish refugee camp, resumes quite well: “ Stop pretending. We are here in Africa! In AFRICA! Do you understand! AFRICA! Even though it calls itself Europe. Nobody among us imagined the things like this but it is true. Those who really look at it, they see AFRICA ” ! 27 Helen finally resists the pain of her loss and escapes from the Spanish hospital. Thanks to illegal help, she makes her way to Germany. Finally, at her goal Helen suffers a nervous breakdown in the home for asylum seekers and ends her journey in psychiatric treatment. Remaining Traces of Migration Despite all the cruelty of Helen ’ s experience, it has an universal dimension shared by all migrants, namely, an indelible trace of their journey. Those traces are in the centre of Obexer ’ s latest work, that is to say the novelessay Europas längster Sommer and the documentary-based play Gehen und Bleiben. While the novel moves in the direction of autobiographically marked prose, with Gehen und Bleiben, Obexer establishes her dramatic work at the Hans-Otto-Theater in Potsdam. The period of creation, the topics and the material for both texts are to a certain extent interlaced - once again a sign of the ongoing writing process in this author ’ s work. The novel reflects on the multidimensional migration of the female first person narrator. On her journey from Brixen to Berlin, the protagonist witnesses the illegal border crossing of five men with whom she shares a train compartment. Starting from this rather short parenthesis within the narrative, one follows the narrator through different episodes of her life that she begins to understand as an experience of migration: the removal from Brixen to Berlin, her 192 Karsten Forbrig coming out, as well as historical events like the fall of the Berlin Wall or the Balkan Wars. Among those episodes, the one about the self-experiment concerning the change of citizenship that is the most instructive. By imposing this administrative process upon herself, the female narrator is, for instance, confronted to the different standards of treatment that the refugees have to accept depending on their origin. The willingly chosen position of an implied observer gives the protagonist the occasion to reflect on her own identity: Tyrolese? Italian? German? European? Does “ Freizügigkeit ” 28 really signify “ freedom of movement ” ? When and where does a migration movement start? Is it the removal from the north to the south of Germany? Is it the famous “ Rübermachen ” , the escape movement from East to West Germany that Obexer is often confronted with in Berlin? Do we have to cross borders in order to be a legitimate migrant? And if so what kind of borders? The observation is quite disillusioning: “ The people here call themselves European - or at least they would like to call themselves this way. But still they only recognize Europe because of its borders. Not because of Europe ” . 29 This dichotomy of form and content, appearance and substance, the administrative construction of Europe and the lived cultural reality is constantly perceptible. It is this gap between the humanist ideal and the daily routine that Helen already experienced in Wenn gefährliche Hunde lachen. As if Europe needed the migrants to save the European ideal, to remind the Europeans of their privileges and responsibilities. Instead, the protagonist has to accept the dehumanising categorisation in front of the “ Ausländereinwohnermeldeamt ” - the “ residents ’ registration office for foreigners ” - in the middle of an industrial zone in the outskirts of Berlin. In the eyes of the narrator, Europe seems to have forgotten its values and principles. It has lost its utopian potential: Europe constantly offers the possibility of its betrayal. It is strategically abused for political reasons. It is mounted to be overthrown at once. Discovered to be undermined at once. [. . .] It is also a seismograph for the future development of Europe. A unified country or a Europe of the Nations. A Europe of the Nations will not exist for long time; Nations do not need Europe. At the latest they will not need it anymore once they rearmed and transformed themselves in nationalist fortresses thanks to neoliberal politics in the EU. 30 It is, however, not that difficult to resist this kind of interpretation. To transcend the outer form, the border, and head to the content, the interpersonal praxis since “ it is not because the world is subdivided by frontiers that the human beings are moving within it but because it is a world ” . 31 Elsewhere the protagonist adds: “ Europe starts where the movements of migration begin to be perceivable, where they become a part of the common narratives and where they form the fundament for new self-conception ” . 32 Following this basic precept, the female narrator starts to design her own “ Europe ” which is comprised of all the encounters and stories that she has heard. Every human being, every anecdote is opening a space of imagination, a trace that is giving new outlines to the concept “ Europe ” . The mental map that results from this reinvention of the European continent largely exceeds the territorial boundaries. Her Europe ranges from the American East Coast to India, from Rwanda to the Baltic Sea. At the end of Gehen und Bleiben a similar mental map is drawn by Sharon from Israel. By doing so, the young woman invites the audience to question their own lives about experiences of migration and to contribute to the project of a new modelling, a new spatial organisation without any borderlines: Let us take this stage for a world map. Here is the Middle East, over there is North-Africa 193 “ Leaving and Remaining ” - The Staging of Europe in the Work of Maxi Obexer and over here is Europe. There you can find America and on the other side is Asia. And somewhere over there in the last row you can find Australia. You can imagine all the different ways that link those continents, countries, cities, villages, streets one to another, connected by moving people. Moving in one direction or another. 33 Prior to this “ reinvention ” of the world, the spectator gets to know to 12 migrants from Syria, Israel, France, Russia, Macedonia and Iran who all agreed to take part in the theatre-experiment conducted by Clemens Bechtel and Maxi Obexer. They are all nonprofessionals. They agreed to share their personal experience and to develop a theatrical performance out of their testimonies. But as to Obexer, they tried to avoid the typical effects of spectacularization and exploitation of personal misery: We absolutely wanted to avoid that the evening turns into a kind of human freak-show where the refugees are practically exposed. Following the motto: they experienced something extraordinary that we can watch at. We did not want to look for a rather sensational refugee stories. The media are full of them. But that is not the way of the theatre, not our way. I immediately proposed to call the project Leaving and Remaining and by doing so to place the focus of the play on the opposite of the stereotypical refugee reports. 34 The question of theatrical genre was of no interest for the author as she affirmed in an interview with Lena Schneider: “ In Germany we care too much about a strict separation between the documentary theatre and other forms of theatre. Behind every play there is research. An author cannot create something exclusively out of itself ” . 35 Nevertheless the staging is clearly based on techniques of the documentary theatre but the material is not just “ transcripted ” on stage. Moreover, Obexer and Bechtel work with their sources - performer and text - to obtain their semifictional play. The distancing effect results at the first sight only from the mix of media or technical means like microphones on rather minimalist staging. The audio-loops of testimonies call to mind the other artistic approaches of Obexer. They are melded with traditional and pop songs of Rammstein 36 or Francis Cabrel performed by the actors - an artistic technique well-known from the work of Falk Richter, among others. To shape what one could call the “ authenticity trap ” Bechtel and Obexer install a second layer of distancing by mixing the stories and role distribution. The amateur actors can therefore not just keep a certain level of intimacy but can also develop stronger cohesion within the group. In this play, as in the novel being simultaneously written, Obexer values the interpersonal relations as the decisive vector, not the border, nor the passport. Therefore, Gehen und Bleiben could be just as well read as a chapter of the novel. Therefore, every little episode of this “ longest European summer ” stages Europe - and maybe needs to be staged. Conclusion Given the more than a dozen texts about oppression, exploitation, resistance, historical and political responsibility, texts about migration, and texts about Europe, one can clearly demonstrate that the texts of Maxi Obexer contest and are, of course, contestable. This was the case at the occasion of her 2017 lecture for the Ingeborg Bachmann Award. Hubert Winkels, president of the jury, accused her, for example, of socioliberal conformism, of a stereotypical condemnation of Europe, of too much emphasis and a dubious observer position that makes her benefit from her literary material. This was rather harsh criticism. If one takes a closer look on the literary and theatrical work of 194 Karsten Forbrig the Berliner-by-choice it becomes obvious that the novel presented for the competition follows a logic and coherent development in her writing process that is as to say consubstantial with a critical reflection on the concepts of “ identity ” , “ migration ” and “ Europe ” . Her texts evolve from a rather introspective voice towards an engaged writing that wants to speak out loud for the voiceless but does not pretend to usurpation. Furthermore, her writing or staging strategies seem to set the stage for others. As the example of Das Geisterschiff has shown, one can also state that Maxi Obexer is aware of the difficult moral questions that the arts are confronted with in the context of the migration crisis. Finally, her accusations may be stereotypical in terms of something that has become “ common sense ” but it does not make them less documented nor less necessary in the actual political context. What appears as a condemnation is a requirement, a requirement for a “ Europe ” that defines itself by his content and not his borders. Notes 1 Maxi Obexer, Europas längster Sommer, Berlin 2017. 2 Maxi Obexer, Das Herz eines Bastards. Erzählungen, Athesia, Bozen 2002. Personal translation. The heart of a bastard. 3 Personal translation. The wordless. 4 The translation has been kindly provided by the author herself. It was created in order to perform the play for an English-speaking audience. It has not yet been edited or published. Maxi Obexer, The Ghost Ship, trad. Marlene Norst, p. 9. 5 Maxi Obexer, Das Geisterschiff, Stuttgart 2005. 6 Obexer rejects deliberately on any kind of genre or categorisation, ibid., p. 1. 7 Ibid., p. 4. 8 Ibid., p. 9. 9 Maxi Obexer, The Ghost Ship, p. 1. 10 Maxi Obexer, Die Fliegenden Holländer, Köln 2015. 11 Maxi Obexer, Illegale Helfer, Köln 2016. The text won the Eurodram-Award 2016 as well as the Geisendörfer-Prize 2016. 12 The subdivision of the play is made in the following order: Journalists at Portoceleste (a), the female curator on her way to Portoceleste (b), the two cruise ship passengers on their way to the forum (c), (a/ b/ c/ a/ c/ a/ c/ b/ a/ c/ a/ c/ a/ b/ a/ c/ a/ c/ a/ b/ c/ a). 13 Maxi Obexer, The Ghost Ship, p. 31. 14 Ibid., p. 40. 15 Ibid., p. 42. 16 Ibid., p. 45. 17 Ibid., pp. 9 - 10. 18 Ibid., p. 28. 19 Ibid., p. 48. 20 Ibid., p. 62. 21 Maxi Obexer, Wenn gefährliche Hunde lachen, Wien 2011. Personal translation. When dangerous dogs laugh out loud. 22 “ Außerdem will ich nicht in Spanien bleiben, das habe ich schon mal gesagt, wenn du dich erinnerst, vielleicht geh ich nach Italien, aber nicht nach Rom, eher nach Mailand oder Bologna. Oder überhaupt viel weiter in den Norden, nach Deutschland oder Norwegen. Es wird sich zeigen, wo es mir besser gefällt. Hängt ja auch davon ab, was sie mir bieten können und welche Universität mir am Ende gefällt. [. . .] Aber so genau kann ich das noch nicht sagen. Ich finde ja auch die Schweiz nicht uninteressant, von Belgien habe ich auch schon Gutes gehört. Oder Holland. [. . .] Nach Amsterdam zum Beispiel. Schon der Name ist schön ” . Obexer, Wenn gefährliche Hunde lachen, pp. 47 - 48. Personal translation. 23 “ Einige von ihnen kennen Paris in- und auswendig, die spazieren darin herum, sie haben sich Stadtkarten organisiert und sich Bilder aus dem Internet geholt, die können dir jeden Platz in Paris beschreiben, auch Barcelona und Rom, hier sind alle europäischen Städte vertreten, zumindest in ihrer Phantasie, so wie sich fast alle afrikanischen Länder hier finden lassen ” . Obexer, Wenn gefährliche Hunde lachen, p. 12. 195 “ Leaving and Remaining ” - The Staging of Europe in the Work of Maxi Obexer 24 “ Liebe Eltern, lieber Victor, Pat, ich sehe Europa, ich kann es sogar riechen, ich sehe die Lichter Europas, es sind die Lichter einer Hafenpromenade, die Straßenlaternen, unter denen die Menschen entlanglaufen, mit einem Eis in der Hand. Sie sitzen in Cafés auf den Plätzen, sie trinken frisch gepresste Limonade, sie trinken Weißwein, Sekt und auch Champagner. Ich sehe sie auf den Treppen von Museen herumlungern, auch auf denen der Universität, sie lesen Zeitungen und in Büchern, sie unterhalten sich, lachen, rauchen Zigaretten, sie springen in den Bus, winken sich zu, Taxifahrer hupen, eine Straßenbahn bimmelt, ein ganz gewöhnlicher Tag in Europa. Eure Helen ” . Obexer, Wenn gefährliche Hunde lachen, p. 34. Personal translation. 25 “ Keinem wird es gelingen, euch zu nehmen, wovon ihr träumt, worauf ihr Anspruch habt, wofür ihr kämpft! Nur ihr selbst zählt! Ihr und Gott! Ihr und Europa ” ! Obexer, Wenn gefährliche Hunde lachen, p. 63. Personal translation. 26 “ [. . .] niederdrücken, wenn sie sich mit ihren fleischigen Männergewichten auf uns legen ” . Obexer, Wenn gefährliche Hunde lachen, p. 96. Personal translation. 27 “ Hör auf, dir etwas vorzumachen. Wir sind hier in Afrika! In AFRIKA! Verstehst du! AFRIKA! Auch wenn es sich Europa nennt. Das hat sich zwar niemand von uns so vorgestellt, aber es ist so. Wer hinschaut, sieht hier AFRIKA ” ! Obexer, Wenn gefährliche Hunde lachen, p. 116. Personal translation. 28 The german term “ Freizügigkeit ” refers on the one hand to the freedom of mouvement but signifies on the other hand a kind of libertinage or sexually explicit behaviour or the ignorance of certain moral standards. Obexer, Europas längster Sommer, p. 12. 29 “ Die Menschen hier nennen sich Europäer - oder würden sich gern so nennen. Noch erkennen sie Europa an seinen Grenzen. Nicht an Europa ” . Obexer, Europas längster Sommer, 2017, p. 7. Personal translation. 30 “ Europa bietet stets die Möglichkeit, es zu verraten. Es wird startegisch benutzt und machtpolitisch missbraucht. Es wird bestiegen, um es zu Fall zu bringen. Oder ausgegraben, um es zu untergraben. [. . .] Es ist heute auch ein Seismograph dafür, in welche Richtung sich Europa ziehen lässt. In ein gemeinsames Land oder in ein Europa der Nationalstaaten. Ein Europa der Nationalstaaten wird es nicht lange geben; Nationalstaaten benötigen kein Europa. Sie benötigen es spätestens dann nicht mehr, wenn sie sich dank der neoliberalen Wirtschaftspolitik der EU zu neuen nationalistischen Festungen aufrüsten konnten ” . Obexer, Europas längster Sommer, p. 51. Personal translation. 31 “ [n]icht der Umstand, dass die Welt in Grenzen aufgeteilt ist, lässt die Menschen ziehen, sondern der Umstand dass es eine Welt ist. ” , Obexer, Europas längster Sommer, p. 94. Personal translation. 32 “ Europa beginnt dort zu existieren, wo seine Einwanderungen sichtbar werden, wo sie zum erzählerischen Gemeingut gehören und wo sie zu Europas Selbstverständnis werden ” , Obexer, Europas längster Sommer, p. 84. Personal translation. 33 “ Nehmen wir diese Bühne als eine große Weltkarte. Hier ist der Mittlere Osten, dort Nordafrika und hier ist Europa. Dort drüben findest du Amerika und auf der anderen Seite Asien. Und irgendwo dort in der letzten Reihe ist Australien. Du kannst dir vorstellen, auf wie viele Arten diese Kontinente, Länder, Städte, Dörfer, Straßen miteinander verbunden sind durch die Menschen, die umherziehen. In eine Richtung oder beide ” . Obexer, Gehen und Bleiben, Spielfassung Hans-Otto-Theater Potsdam, Köln, 2017, p. 36. Personal translation. 34 “ Es war uns wichtig zu vermeiden, dass der Abend so eine Art Menschenschau wird, bei der Geflüchtete quasi ausgestellt werden, nach dem Motto: Die haben da etwas Besonderes erlebt, wo wir nun draufglotzen können. Und dann fahndet man nach besonders spektakulären, sensationellen Fluchtgeschichten. Davon sind ja die Medien bereits voll. Aber das ist nicht der Weg des Theaters, nicht unser Weg. Ich habe also gleich vorgeschlagen, das Projekt Gehen und Bleiben zu nennen und so eine thematische Fokussierung jenseits der üblichen Flucht- 196 Karsten Forbrig berichterstattung vorzunehmen ” . Obexer im Gespräch mit Christopher Hanf, Das Theatermagazin 37, 2017. Personal translation. 35 “ In Deutschland wird ohnehin viel zu sehr an dieser strengen Unterscheidung zwischen Dokumentartheater und anderem Theater festgehalten. Hinter jedem Stück steht eine Recherche. Man kann als Autor nie nur aus sich selbst schöpfen. ” , Lena Schneider, “ Die Sprachkanoniere ” , Potsdamer Neueste Nachrichten, 13. 03. 2017. https: / / www.pnn.de/ kultur/ gehen-und-bleiben-am-hans-ottotheater-potsdam-die-sprachkanoniere/ 2136 0892.html [accessed 30 August 2019]. Personal translation. 36 Obexer, Gehen und Bleiben, pp. 21 - 22. 197 “ Leaving and Remaining ” - The Staging of Europe in the Work of Maxi Obexer Leaving Lethe for the Bardo: Staging the Disembodied Voices and Silent Bodies of Lampedusa Migrants in the Underworld of Europe Michelle Cheyne (Dartmouth) This article looks at tropes used to represent European-bound migration, notably the experience of “ Lampedusa ” migrants who drown or are rescued in the Mediterranean. It considers how the same evocative tropes can be instrumentalized for varying reasons and with very different consequences. Attention is focused on evocative tropes that remain easy to manipulate, notably the image of the orange life-jacketed African refugee as the “ zombie refugee ” or the “ living dead ” . We examine how the trope of the Mediterranean as a cemetery is constructed and mobilized in the performing arts (theatre, contemporary ballet) and the larger consequences of adopting such an image. Specifically, we interrogate how symbolizing this maritime space as a cemetery transforms the figure of the migrant in the public imagination and ask whether alternatives, either real, or potential exist that might possible reshape the public ’ s vision of the figure of the migrant. On June 28, 2018, the morning the “ Europe ’ s Staging - Staging Europe ” conference began in Innsbruck, I checked the local and international news. Two images and the accompanying commentary caught my attention because they bring us to the very heart of the question of how Europe is staged and on what stages this happens. At the same time, both underscored for me the unconscious ways in which the original proposal for this current paper on artistic representations of the trans-Mediterranean migrant 1 experience is rooted in my own Europhilic assumptions, on the one hand, and the ways the abstract was the product of a more optimistic moment in history, on the other. As the reports from ZIB and the BBC illustrate, the ways in which issues and institutions — here migration and the EU — are viewed are subject to change. Moreover, these shifts in public perception, at times, appear to accelerate. How accurate the impression of sudden change might be remains a larger and thornier question that we will not tackle here, even if gauging the accuracy of impressions and claims is of interest to us. In this chapter, I will be specifically discussing how the figure of the migrant and the trope of boats foundering off the coast of Lampedusa serve to stage the European Union and its ideals, even as they problematize it. The two news pieces to which I refer, however, offered an alternative reading, one that marries anxiety, xenophobia, and Euroscepticism to stage the impossibility of Europe. In fact, the vision of Europe that the Austrian and British journalists offered respectively in late June 2018 mobilizes precisely the same figures and images analyzed in this paper. Let us examine how. The first report appeared in the 7 a. m. broadcast of ZIB (Zeit im Bild), the news for ORF 2, one of the four Austrian public news channels. Two minutes into the program, the screen is visually split. On the right, we see the female newscaster, Gaby Konrad, speaking to us directly about Malta ’ s accepting the arrival of a vessel carrying a group of rescued migrants that Italy had prevented from docking. The journalist appears from the waist up and against the background of an early morning sky over city lights. On the left side, a large Forum Modernes Theater, 31/ 1-2 (2020), 198 - 210. Gunter Narr Verlag Tübingen DOI 10.2357/ FMTh-2020-0018 still frame shows the prow of a small docked ship. The ship ’ s hull is bright blue and the upper decks and wheelhouse white. This contrasts sharply with the bright orange of life jackets worn by the people standing crammed on board. The quay is equally crowded, but with people in hazmat suits and crowd barriers. This image occupies roughly 2/ 3rds of the left of the screen and contains the caption “„ Lifeline “ in Malta angelegt ” ( “ Lifeline ” docked in Malta). ZIB ’ s logo appears at the lower left under this. This is followed by a full screen shot of the scene with voice-over. Konrad ’ s story gives the bare bones: a group of migrants foundering at sea as they sought to find Europe only arrived at its shores after an emergency summit in which E. U. leaders and diplomats arrived at a grudging compromise. As the migrants disembarked, however, Malta indicated that it would no longer accept humanitarian rescue ships until there was further clarification as to whether the aid boats in question were following international law. In this report, Europe appears just as “ at sea ” or “ lost ” as the boat of migrants in the face of protectionism from the different constituent nations. The second image and text comes from a story filed for the BBC news website by their Europe editor Katya Alder. The subject is the same, but the rhetoric more charged. Here, under the provocative title “ Europe ’ s migration crisis: Could it finish the EU? ” , 2 we see a side view of the same search and rescue ship from the registered association, Mission Lifeline. In this AFP photograph, Mission Lifeline ’ s boat is still out at sea and in the middle of a rescue attempt under a forbidding grey sky. In the foreground, on the right, there is a small black zodiac manned by three aid workers in black clothing and red helmets. In the background, covering more of the visual frame, we see a much larger, over-loaded grey inflatable boat alongside the Mission Lifeline ship. Visually, the bright orange life vests worn by the people seated in this grey boat strike a vibrant and familiar note against the blue hull of the ship. The caption under this image reads “ The splits within the EU have been highlighted by Italy ’ s refusal to accept migrants carried by NGO rescue boats in the Mediterranean. ” Adler ’ s article begins: “ Hardened Eurosceptics might love to think the EU ’ s in trouble, but as leaders gather in Brussels for their summer summit on Thursday, dedicated Europhiles are also sounding the alarm. ‘ The fragility of the EU is increasing, ’ warns the EU Commission chief Jean-Claude Juncker. ‘ The cracks are growing in size. ’” 3 Here, the BBC — less than nine months before the original date for Britain to leave the EU — stages a Europe that is actively breaking apart in a way that frightens even “ dedicated Europhiles ” . The Europe staged by the Austrian and British journalists is a Europe under siege, but to a large extent, this siege is just as much from xenophobia and Euroscepticism as from migration and refugees seeking asylum. I would argue that these images of rescue boats full of migrants are used here to stage the limits of Europe, not as borders, but as ontological and political impossibilities. These images and others like them are harnessed to represent the European Union and its ideals as untenable and unviable. Add spin and the same images used to represent Europe can be appropriated to represent the impossibility of Europe instead of hope and rescue. Now, the idea that figures can be manipulated to show one thing and its opposite is not new. So, why point it out? My flagging this phenomenon serves a double purpose. First, it allows us to shift our attention slightly and move the discussion from staging Europe, per se, to staging the experience of European-bound migrants and, in particular, the “ Lampedusa ” migrants, that is to say those who head towards this Italian island in their attempts 199 Leaving Lethe for the Bardo: Staging the Disembodied Voices and Silent Bodies of Lampedusa Migrants to reach Europe. Second, focusing our attention on these two images also underscores the fact that the same tropes can be instrumentalized and are instrumentalized for different reasons and with different consequences. Articulating this is important because I want to suggest that the more evocative a trope is, the more it can be manipulated. The more a figure resonates and feels pregnant with meaning — whether it be the image of the orange life-jacketed African refugee or that of the “ zombie refugee ” or the “ living dead ”— the more likely it is that we may have trouble perceiving first, how and when this trope refers to different things and second, how and when it creates different consequences. This paper is born out of a desire to better understand how the trope of the Mediterranean as a cemetery is used in the performing arts (theatre, contemporary ballet) and the larger consequences of adopting such an image. How is the trope constructed and how often is it mobilized? When the figure of this maritime space as cemetery is used, how does that symbolic choice transform the figure of the migrant in the public imagination? Are there alternatives, either real, or potential? Would they reshape the public ’ s vision of the figure of the migrant? Bodies of Water, Bodies of Evidence Let us begin by turning to bodies: bodies of water and bodies of evidence. The dead and drowned bodies of migrants mark the boundaries and limits of the European Union to the South. While humanitarian action seeking to preserve life responds to the “ waves ” of migration across the Mediterranean, artistic response to the migrant experience has tended to focus on the humans lost, on those who do not survive. The memorializing impulse is strong in these works. Consider, for example, Mimmo Paladino ’ s sculpture Porta di Lampedusa, Porta d ’ Europa 4 that stands on the southern shore of the island of Lampedusa looking out over the Mediterranean towards Africa. Alternately called the Door of Lampedusa, the Door of Europe, or the Lampedusa Gate in English translation, this artistic monument was dedicated on June 28, 2008. What could be a wall in refractory ceramic standing five meters high and three wide is transformed into an open door. Amani and Arnoldo Mosca Mondadori and their charitable organization, the Fondazione Amani 5 commissioned the sculpture in “ memory of those migrants who lost their lives at sea ” . 6 The Alternativa Giovani e la Comunità of Koinonia, Italian Ministry of the Interior and the UN Hugh Commissioner for Refugees also supported the project. 7 The Fondazione Amani explains that “ [t]he monument stands as a memorial for future generations to the inhuman tragedy of so many migrants dead and dispersed in the Mediterranean, often without witnesses ” . 8 Their website emphasizes the need to keep the dead present in the memory of the living. Thus, it insists: “ La Porta di Lampedusa un monument ai vivi ” ( “ the Lampedusa Gate a monument to the living ” ), while it still focuses on the dead: “ La Porta di Lampedusa opens on a sea where it is estimated that in the last ten years, 10,000 people have perished while attempting the difficult crossing. In a certain sense, this is an unfinished work. It can remain as a sign of peace and a place to collect oneself (luogo di raccoglimento 9 ), or it can become a cold funeral monument like so many others, or it can spread wide and become the symbol of a Europe that opens towards Africa, towards a new welcome and solidarity. ” 10 The performing arts and the written word are also used to memorialize the migrants who have died. Works by playwrights like Lina Prosa (Trilogia del Naufragio: Lampedusa Beach, Lampedusa Snow, 200 Michelle Cheyne Lampedusa Way 11 ), Marco Martinelli (Rumore di acque 12 ), and Anders Lustgarten (Lampedusa 13 ) as well as works by choreographers like Crystal Pite (In the Event 14 , Flight Pattern 15 ) and Bruno Bouché (Undoing World 16 ) create a corpus of corpses. 17 The number of dead keeps growing. Already in 2010, Martinelli has the narrator in Rumore di acque describe the situation as: “ questa montagna di morti/ che si alza immacolata verso il cielo ” ( “ this mountain of the dead/ that rises immaculate towards the heavens ” ). 18 Yet, as we look at how these bodies are reanimated, we note that in these seven works, this mountain of dead bodies, this corpus of corpses, is not waves of zombie hordes. Hence, in these texts, the phenomenon that we observe differs from the image of a haunted Europe evoked and invoked through the theatrical practice on European stages as one sees in the specific examples of Elfriede Jelinek ’ s Die Schutzbefohlenen 19 , Nicolas Stemann ’ s staging of this at the 2014 „ Theater der Welt “ , and Christian Lollike ’ s Living Dead (2016) 20 . Indeed, the trope of the zombie is invoked in productions of the two plays. Nevertheless, the portrayal of the dead in these seven examples (Lampedusa Beach, Lampedusa Snow, Lampedusa Way, Rumore di acque, Lampedusa, In the Event, Flight pattern, Undoing World) differs starkly from Jelinek ’ s and Lollike ’ s plays. I would suggest that it is important to probe the tropes used to characterize the migrants — dead and alive — in other works further before we look at the concept of the bardo as an alternative trope or image to describe theatrical practice engaging with the notion of migration on European stages. Thus, I suggest reexamining the spectral metaphors and related notions of haunting and ghosting and ghostly border crossing that have become quite popular in critical discourse. Raising the Dead or Bringing the Dead to Life? Laure Sarnelli ’ s 2015 article “ The Gothic Mediterranean: Haunting Migrations and Critical Melancholia ” , 21 references and extends Hanif Kureishi ’ s 2014 piece in The Guardian, “ The Migrant Has No Face, Status, or Story ” 22 . Kureishi argues strongly for the importance of tropes that form what Sarnelli defines as the “ Gothic Mediterranean ” . Note the language Sarnelli and Kureishi use. Sarnelli speaks of “ haunting migrations ” , “ ghost ships ” , “ shipwrecks and drownings that haunt the Mediterranean ” , “ the migrant condition of living death ” , “ massive invasion ” , “ inhuman waves ” , “ contagion, horror, omnivorous figures ready to eat you alive ” 23 . Kureishi, on the other hand refers to a “ Zombification of the Other ” in his description of the figure of the migrant. Unlike other monsters, the foreign body of the immigrant is unslayable. Resembling a zombie in a video game, he is impossible to kill or finally eliminate not only because he is already silent and dead, but also because there are waves of other similar immigrants just over the border coming right at you. Forgetting that it is unworkable notions of the “ normal ” - the fascist normal - which make the usual seem weird, we like to believe that there was a better time when the world didn ’ t shift so much and everything appeared more permanent. We were all alike and comprehensible to one another, and these spectres didn ’ t forever seethe at the windows. Now there seems to be general agreement that all this global movement could be a catastrophe, since these omnivorous figures will eat us alive. From this point of view, the immigrant is eternal: unless we act, he will forever be a source of contagion and horror. 24 Note how he points to “ the undead who still invade, colonize, and contaminate our borders ” , “ migrants as dehumanized beings living in a liminal space ” and he states, 201 Leaving Lethe for the Bardo: Staging the Disembodied Voices and Silent Bodies of Lampedusa Migrants “ unlike other monsters, the migrant is unslayable, the zombie in a video game, haunting interloper with no face and no status ” , insisting that “ [t]his group fantasy and prison of cliché - a base use of the imagination - reduces the world to a gothic tale where there is only the violence of exclusion, and nothing can be thought or done. ” 25 It is fascinating to see the extent to which such figures of speech and the images of “ ghost ships ” and the “ living dead ” resonate in relation to trans-Mediterranean migration and in discussions of drownings and rescue efforts off the coasts of Libya and of Lampedusa. I would speculate that the popularity of these tropes regarding clandestine migration, human trafficking, and the process of claiming asylum are linked in part to the large numbers of migrants who drown in these dangerous sea crossings. At the same time, these tropes offer a striking way to describe the legal limbo in which asylum seekers and refugees often themselves. Yet, it is precisely this seductive resonance that forces us to reassess the evidence to make sure that we are not in an echo chamber. When we look carefully at the texts and choreographies of the seven pieces I am discussing, we note there is a disconnect. Despite the popularity of the images linked to Sarnelli ’ s “ Gothic Mediterranean ” , which is supposedly haunted by the living dead, these works do not mobilize the tropes of zombies or ghosts to portray the dead. Likewise, they do not speak of ghost ships ferrying the dead. Thus, the seven pieces I am discussing stand in contrast to the German, German-Camerounais, and Danish productions of Jelinek ’ s Die Schutzbefohlenen and Lollike ’ s Living Dead. The rhetoric of contamination or cannibalism are not used in the works I am discussing. In these pieces, the dead do not “ invade ” or “ overrun ” European countries. The migrants who ask for asylum are most definitely not dead. The ships that carry these migrants are not peopled with ghosts. The Mediterranean dead are quite literally that. Perhaps the closest we get to this would be in Lustgarten ’ s Lampedusa when the Italian narrator describes the grueling rescue attempt during a storm at sea in which he and his friend Salvatore fish 57 dead bodies out of the sea and to Stefano, each one of them appears to have the same face as Modibo, the migrant who has befriended him, 26 or in Crystal Pite ’ s ballet, In the Event, where a migrant woman ’ s drowning and passing from life to death are related as a flashback. In fact, just as we do not find ghosts per se as figures in these seven texts, we also do not find zombie-like undead. It is true, however, that the dead bodies come back to life, but this is through the agency of the European artist or storyteller. In their productions, Prosa, Martinelli, Lustgarten, Pite and Bouché do systematically bring the figure of the refugee to life as they attempt to relate the experience of the trans-Mediterranean migrant. All of these artists exploit the representative and symbolic potential of their media to reincarnate the voices and reanimate the bodies of the Lampedusa dead in productions that layer political action, aesthetics, and artistic experimentation. These 21 st -century European playwrights and choreographers use a variety of rhetorical, gestural, and staging techniques to confront spectators with the human cost of human trafficking and migration across the Mediterranean. Furthermore, based on close readings, I would argue that by temporarily ferrying the figure of the dead migrant back towards the living, these pieces do more than commemorate the dead and lay them to rest. These works also render visible a European underworld peopled by those — both the living and the dead — whom the Schengen space seeks to exclude. We find a striking artistic representation of this in Jason Decaires Taylor ’ s underwater sculpture, The Raft of Lampedusa 27 (2016) which 202 Michelle Cheyne can be found in the Museo Atlantico, 14 meters down off of the southern coast of Lanzarote. The Raft of Lampedusa provides a striking artistic representation of this European underworld. Still, Taylor ’ s marinegrade cement sculpture of a small inflatable raft with migrants and three corpses on the ocean floor off a Spanish island references Gericault ’ s Radeau de la Méduse and not a “ Gothic Mediterranean ” . The European Underworld It comes as little surprise that the image of the underworld peopled by dead Europeanbound migrants is a strong and evocative one. Thus, the trope of the underworld begs further analysis. One the one hand, it connects to the criminal underworld of the human trafficking industry and its infamous business model that increases its profits whenever Europe attempts to respond to foundering boats and drowning migrants. On the other, it connects to an underworld that vibrates with memories of Greek myth. Europa, Orpheus, Charon, the Styx, Lethe all rise to mind for those schooled in Greek myth. These echos feel particularly strong since journalism and critical discourse have popularized the description of the Mediterranean as a vast cemetery. Esther Peeren insists in The Spectral Metaphor. Living Ghosts and the Agency of Invisibility (2014) that the “ Mediterranean has turned into a mass grave ” 28 and Tania El Khoury “ Swimming in Sewage ” (2016) suggests that one cannot “ reflect about the Mediterranean sea without imagining it as a death trap for refugees of war. ” 29 If you do a google search for the “ Mediterranean ” and “ cemetery ” , the prevalence of this image in journalism stands out. The aptness of these images is undeniable and it is easy to assume they will be adopted by artists. Do they? Despite the impressionistic notion that the description of the Mediterranean as a cemetery is a common artistic trope, textual analysis does not back this up for the seven works I examined for this paper. Only Martinelli ’ s Rumore di acque refers to the Mediterranean as a cemetery. Back then/ every day two or three boats/ adrift/ On every big boat/ at minimum one corpse/ that you are not going to tow to land/ you toss it back in the sea/ there ’ s a funeral for you/ there ’ s no more efficient cemetery than that/ no cheaper one/ A little cosy place down there costs nothing/ all done up like it should be/ Atmoshpere/ What ’ s there to say about the atmosphere/ Light and fish, sand and reefs/ suggestive/ that was his funeral/ on every boat, minimum of one corpse [. . .]. 30 Yet, whether the term cemetery is used explicitly or not, clearly these plays and ballets refer to an underworld that is a seabed piled with unrecovered, drowned bodies of dead victims. At the same time, the plays also portray the Mediterranean, whether above or below the waterline as an underworld in the sense of a space outside of legality. Whether the focus points to the traffickers or to the illegal migrants as the guilty parties, they are all presented as part of the criminal underworld. In Lampedusa Way, the last part of Prosa ’ s Trilogia del naufragio, Mahama and Saif are the foster parents who have each travelled legally to Lampedusa in search of the body or news of their respective foster children. The audience knows, of course, that the foster children, Shauba and Mohamed, have died. At the end, still waiting to hear news, Mahama and Said do not board the boat back to Africa when they are supposed to. Instead, they melt into this underworld that is the space of illegality. “ M AHAMA : “ We didn ’ t choose. . ..look, the ship has already sailed./ S AIF : We are illegal aliens! ” 31 A few lines later, Saif asks who they will be ( “ chi saremo ” ) and Mahama re- 203 Leaving Lethe for the Bardo: Staging the Disembodied Voices and Silent Bodies of Lampedusa Migrants sponds “ [t]wo old illegal aliens who are out of their heads ” ( “ due vecchie clandestini fuori di testa ” ). 32 Leaving Lethe for the Bardo Far from being the dominant trope used to stage migrants in artistic productions, the image of the zombie is used by some Europeans artists to condemn European xenophobia and anxiety over market competition. Curiously, as we saw earlier with Kureishi ’ s description of migrants and Adler ’ s description of the European Union, the condemnation or critical stance actually stage a hostile view, which may not be intended. Kureishi portrays migrants as monsters, the zombie hordes, contagion, and horror, while Adler portrays the EU as splintering apart and a finished. The figure of the Lampedusa migrant and the underworld are key here, insofar as they remain strongly associated with dead bodies, with criminal networks, and with potential responses to integrating migrants. I would argue that the xenophobia and anxiety are about the dead bodies and more about integrating live bodies. Furthermore, I would suggest that the performing arts have often staged the dead bodies as an attempt to increase pressure upon society, governments and supranational institutions to improve their integration of migrants. Kureishi ’ s use and description of the trope of the Gothic Mediterranean denounces the gap between need and action. It articulates frustration artistically. Jelinek, and Lollike ’ s productions tap into the same trope to express deep frustration with social injustices. Prosa, Martinelli, Lustgarten, Pite, and Bouché also engage artistically with the subject of the injustices facing migrants. Artistic engagement complicates the notion of art by adding in a separate criterium for evaluating quality. Suddenly, aesthetics and performance no longer suffice. Ethics also are considered. Moreover, this ethical dimension inherits the paradoxical tension of the need to mask and deny material benefits and gains by the artist. (The need for the artist to have “ pure and philanthropic intentions ” is not new. Victor Hugo was instrumental in imposing and normalizing this in the 19th century and his legacy lives on.) The uncompromising stance of the artist stands as guarantee of not having been compromised, and yet in practice does uncompromising mean uncompromised? Paradoxically, in his condemnation of hypocrisy and what constitutes the “ fascist normal ” , Kureishi demonstrates the purity of his own ethical stance using statements like: Unlike other monsters, the foreign body of the immigrant is unslayable. Resembling a zombie in a video game, he is impossible to kill or finally eliminate not only because he is already silent and dead, but also because there are waves of other similar immigrants just over the border coming right at you. 33 While this is one way to engage artistically and while the trope of the Gothic Mediterranean is a striking and memorable one, it is not the only mode of engagement. In fact, the examples above suggest that the frequency of use of this type of engagement may be perceived as overly prevalent because it is so memorable. The uncompromising stance works like a Derridean supplement 34 : the more one attempts to prove artistic ethical integrity, the more the tensions at root become obvious. While the Gothic Mediterranean and zombie hordes may be provocative and evocative, to what extent does it play to European audiences ’ delight in the macabre? To what extent does it appeal to cultural — and intellectual — fashion trends? Do the artists reproduce the very phenomenon they denounce? Those are deeper questions that cannot be conjured away. 204 Michelle Cheyne They remain constant challenges for all artists. While the Gothic Mediterranean may be a more memorable way of speaking about migration, in the first two decades of the 21 st century, artistically-engaged practice appears more inclined to memorialize the migrant dead, laying them to rest publicly and less inclined to raise them as frightening spectres. To be clear, my research, here, looks at a corpus of texts that does not include Jelinek ’ s or Lollike ’ s texts nor does it include Maxi Obexer ’ s prose works, Wenn gefährliche Hunde lachen 35 and Europas längster Sommer 36 nor Obexer ’ s play, Gehen und Bleiben, which Karsten Forbrig discusses in his chapter “ Leaving and remaining ” - The Staging of Europe in the work of Maxi Obexer ” in this present volume. Thus, if I suggest that the productions of Jelinek and Lollike ’ s two plays do not align in terms of the phenomenon I am describing, the Obexer texts do appear, at first glance, to use similar tropes and mechanisms, I want to emphasize that these are provisional conclusions. Further analysis of the Jelinek, Lollike, and Obexer texts and performances would be needed. It would be useful to investigate to what extent this hypothesis is true. How can we understand the artistic practice that aligns with what we observe in the cases of Prosa, Pite, Lustgarten, Martinelli, and Bouché? Does memorialization instrumentalize art in a political process of pacification and integration? Have the artists sold out? Worse, are the artists merely trying to increase their professional and economic capital? Here, the accusation of “ socioliberal conformism ” and exploitation of the subject of migration that Hubert Winkels, the president of the jury for the Ingeborg Bachmann Award, levelled at Obexer for her 2017 lecture for that award points to just these questions. It is an accusation that might be levelled at the artists whose work I am studying. Prosa, Martinelli, Lustgarten, Pite, and Bouché have all won awards for their artistic pieces that represent the migrant experience and, very often, migrant deaths. They are routinely quizzed on their motivations. Let us look at how Bouché and Pite have responded since modern dance is often seen as a more opaque mode of artistic expression and since interviews with Prosa, Martinelli, and Lustgarten may be more familiar. In preparing the publicity page for the Ballet de Paris website, Solenne Soriau probes Bouché ’ s regarding his objectives in Undoing World asking the choreographer what themes his ballet tackles and whether it is political. His answer accounts for his interest in both senses of the term: For this piece, which in a way marks my farewell to the Paris Opera, the theme of a quest seemed an obvious one: the quest for elsewhere, a change of direction, another reality. I placed this quest at the heart of my work, with all that it implies in terms of physical and mental trials: wilderness, exile, the loss of familiar landmarks and even a certain chaos engendered by these changes of direction. One can interpret this in the light of recent events but also in a more metaphysical sense. [. . .] I have been directly confronted with the refugee issue in my own life but I didn ’ t want to pass on a message or create a polemical work. I ’ m more concerned by poetic constructions. I wanted to open up pathways, widen horizons of interpretation. My sources of inspiration were as much Dante and the passage through hell in The Divine Comedy as recent events, which have touched me a lot. The capacity to care for others has been part of my thinking in my work with the dancers. 37 Bouché explicitly acknowledges the political and artistic dimensions of his work, but emphasizes his engagement with the issue of migration is dominated by his position as an artist concerned with “ poetic constructions ” and universals. Parenthetically, the develop- 205 Leaving Lethe for the Bardo: Staging the Disembodied Voices and Silent Bodies of Lampedusa Migrants ment of poetic constructions, should not be dismissed since it teaches audiences a new vocabulary for understanding and engaging with the world. Pite, for her part, addressed similar questions when interviewed at the Edinburgh International Festival in 2017. She explains first her own artistic practice: I try to work with big ideas. I try to work with things that I cannot understand or that cannot be understood. I try to work with with (sic) the unimaginable. And because I am reaching far into things that I don ’ t necessarily have the capacity to hold, then that ’ s the state that I need to be in when I ’ m working with it. The state of being at my limit, the limit of what I can manage. Then it feels like there is this vital tension [. . .] when I try and convey a specific passage of dance it is because I am trying to get at something that cannot be expressed in words and maybe needs to bypass verbal language in order to resonate. 38 She describes her ballet Flight Pattern designed for the Royal Ballet in London: I feel that this creation [Flight pattern] is my way of coping with the world at the moment and I can ’ t not talk about it. . .. This began with a choice of music and I chose the first movement of Górecki ’ s Symphony No. 3 . . . because at the time of making that choice, I was as most people are busy with the humanitarian crisis that we are facing and the plight of the refugees and the feeling that this is really the story of our time. So, the title of the work is Flight Pattern and I was caught by the word flight in its double meaning of to flee, to escape, to leave an impossible situation and that sense of hope and possibility and a kind of freedom that is yearned for. [. . .] I am working with cast of 36, which is a big number, but what amazes me when I work with a big group is how intimate the experience can still be. . .. Working in the theater, the collaborative aspect, building something together that is bigger than all of us. . . As I have been working on the piece, I have felt a sense of being overwhelmed, of crushed or pressurized by the subject. . . I wonder whether I have the capacity to manage something so overwhelming, but at the end of the day, I know that is really, it is only through dance that I have any hope of speaking clearly and truthfully about something that I care so deeply about, so I have to try. 39 Pite emphasizes her engagement, but also how dance, her artistic medium, is a language through which she can contribute to improving a situation. As in the case with Obexer, Prosa, Martinelli, and Lustgarten, the position of the engaged artist balances between critique, education, and art. The focus of the works in this corpus lies predominantly in educating the public in order to change behaviors. They navigate between the intensely personal and the universal as they memorialize dead migrants, in specific, and victims, more generally, in hopes of effecting social change. In light of the unspoken — an optimistic — ideal of a European Union that inclusively integrates refugees and migrants that subtends these pieces, I would argue that these works function less as cemetery and more as an “ artistic bardo ” . The notion of “ artistic bardo ” that I want to introduce owes a great debt to Georges Saunders ’ novel, Lincoln in the Bardo 40 (2017) which itself mobilizes the Tibetan Buddhist concept of an intermediary space in between death and rebirth. Specifically, the OED defines it as “ (in Tibetan Buddhism) a state of existence between death and rebirth, varying in length according to a person ’ s conduct in life, and manner of, or age at, death. ” 41 Pema Khandro Rinpoche ’ s description of the bardo links it to bereavement that she describes in a way that brings in once more the “ living dead ” : In bereavement, we come to appreciate at the deepest, most felt level exactly what it means 206 Michelle Cheyne to die while we are still alive. The Tibetan term bardo, or “ intermediate state, ” is not just a reference to the afterlife. It also refers more generally to these moments when gaps appear, interrupting the continuity that we otherwise project onto our lives. 42 Hence, the trope of the bardo allows us to describe the feeling of “ living death ” that the migrant experiences without characterizing the migrant as a monster. Wikipedia — which, granted, is not a vetted academic source — develops this idea further: [Bardo] is a concept which arose soon after the Buddha's passing, with a number of earlier Buddhist groups accepting the existence of such an intermediate state, while other schools rejected it. In Tibetan Buddhism, bardo is the central theme of the Bardo Thodol (literally Liberation Through Hearing During the Intermediate State), the Tibetan Book of the Dead. Used loosely, “ bardo ” is the state of existence intermediate between two lives on earth. According to Tibetan tradition, after death and before one's next birth, when one's consciousness is not connected with a physical body, one experiences a variety of phenomena. These usually follow a particular sequence of degeneration from, just after death, the clearest experiences of reality of which one is spiritually capable, and then proceeding to terrifying hallucinations that arise from the impulses of one's previous unskillful actions. For the prepared and appropriately trained individuals, the bardo offers a state of great opportunity for liberation, since transcendental insight may arise with the direct experience of reality; for others, it can become a place of danger as the karmically created hallucinations can impel one into a less than desirable rebirth. 43 Saunders ’ novel, Lincoln in Bardo, emphasizes — and arguably extends — the crucial role that past actors and present actors play while the dead person is in this intermediary space. It also posits the danger of remaining in the bardo. The resonance with the migrant experience is strong. Both are traumatic intermediary states. For both, the quality of the next state of existence depends largely on a range of factors, including the person ’ s past, age at “ passing ” , length of time in the intermediary space, help they receive transitioning to the new state, and willingness to let go of the previous state. Pite, in an interview with BBC journalist Kristy Wark, describes her ballet, In the Event, speaking about just such a process: I wanted to try and evoke a stage in the journey of these people that is more of that limbo state of having left one situation, having left an impossible situation, to not yet have entered the next phase of life, to be in between, so the past is clinging to you and there are flashbacks and there are memories and there are wonderings and regrets and yet the future is still completely unformed and uncertain. I was imagining what is it like to come up against a border or a holding area, or a waiting room, a checkpoint, a camp and to be held and to not be able to move forward and to not be able to move back. 44 Creating a representation of this nature appears, thus, as an effort to make the audience understand, at a visceral level, the migrant experience. Given the similarities in the two structures — migration and the bardo — , I would suggest that the bardo offers a useful paradigm to understand the mechanisms at work in politically-engaged drama and dance staging the Lampedusa dead and European underworld as an intermediary space between the migrants ’ past and different options for a future. I want to suggest that the works in the corpus I analyze reanimate the bodies and attempt to amplify the silenced voices of living and drowned migrants through a mechanism of “ artistic bardo ” that is tied to the artists ’ idealism (even if it is highly critical idealism) with respect to Europe. In these artistic representations of 207 Leaving Lethe for the Bardo: Staging the Disembodied Voices and Silent Bodies of Lampedusa Migrants the trans-Mediterranean migration, playwrights and choreographers attempt to integrate both dead and living migrants into Europe and they suggest that these migrants can nourish Europe in different ways. Such a portrayal is of particular relevance. The positive role of migrants stands in contrast with the negative images that journalism and political discourse mobilize so often. I would argue that the trope of the bardo accounts better for how politically engaged drama and dance attempt to stage the Lampedusa dead and European underworld. I specifically mean that it does this at a structural level in terms of how the performance text and production is constructed. They focus on the intensely personal and emotional to help frame both the experience and the solution as necessarily universal. Here, the memorialization of the dead on an individual scale and on a monumental scale is a key step to engaging — hopefully, although success is never guaranteed nor achieved permanently — the audience in inclusionary behavioral change. These texts present an intermediary space, but not the ‘ living dead zombie landscape ” of the Gothic Mediterranean. Instead, these artists probe this intermediary space between the migrants ’ past and different options for a future and they also probe the role of Europeans in improving or degrading the new life for the migrant. Lustgarten ’ s play Lampedusa actually takes this idea and makes it reciprocal by explicitly suggesting that these migrants can nourish Europe. Clearly, all of these artists are showing ways that the migrants nourish European art and they are invested in suggesting that integrating migrants into the European imaginary is imperative. Lustgarten, however, pushes it the furthest claiming: They ’ ve given us joy. And Hope. They ’ ve brought us the things we have nothing of. And I thank them for that. (pause) They don ’ t know what ’ ll happen. If either of them [Modibo and his wife Aminata] will get to stay long term. But they ’ re here, in this moment, alive, and living. And that is all you can ask for. (pause) I defy you to see the joy in Modibo and Aminata ’ s faces and not feel hope. I defy you. 45 Lustgarten is not alone in his efforts to inspire compassion in the audiences. All of these artists seek to do this and their efforts are related to an attempt to show the migrants as part of a European story, but a European story that is ultimately optimistic. This notion of migrants contributing positively to the host country ’ s culture is particularly interesting since it stands in contrast with journalism and political discourse that tend to burden the figure of the migrant with negative connotations. Notes 1 I am deliberately using the term “ migrant ” and not “ asylum seeker ” or “ refugee ” . I want to look very precisely at the migrant experience without differentiating between those who wish to move to a new culture and country for personal or economic reasons and those who are fleeing for their lives. Why? There are similarities in the experiences regarding feelings of displacement, exclusion, cultural ignorance, and xenophobia. Parts of the migrant experience are universal. Moreover, “ refugee ” is a term for a particular category of migrants granted protective status because of vulnerability and yet, at the same time, once one is a refugee, one is no longer a migrant, but an immigrant. The journey has ended even if the challenges of integration and inclusion have not. Asylum seeker is also a specific term for vulnerable migrants who flee to safety as well as migrants who may or may not fit these criteria but who seek state/ international protection abroad. Asylum seekers are, by definition, still in transit if not necessarily in present movement. Shorthand leads to slippage among these terms in 208 Michelle Cheyne both inclusionary and exclusionary discourses despite the ontological and legal specificities that distinguish between them. 2 https: / / www.bbc.com/ news/ world-eu rope-44632471 [accessed 30 August 2019]. 3 Ibid. 4 http: / / www.schengenborderart.com/ portfo lio/ mimmo-paladino-porta-di-lampedusaporta-deuropa/ [accessed 30 August 2019]. See also http: / / www.amaniforafrica.it/ cosafacciamo/ la-porta-di-lampedusa/ 10-anniver sario-della-porta-di-lampedusa/ and http: / / www.spiegel.de/ international/ europe/ afri cans-remembered-a-memorial-for-europes-lost-migrants-a-560218.html [accessed 30 August 2019]. It is perhapas a fitting coincidence that the international conference that gave rise to this volume began on the 10 th anniversary of the unveiling of the Porte of Europe monument on Lampedusa. 5 http: / / 206.189.250.253: 8080/ fondazione-a mani/ [accessed 30 August 2019]. 6 http: / / www.amaniforafrica.it/ cosa-facciamo/ la-porta-di-lampedusa/ 10-anniversario-del la-porta-di-lampedusa/ [accessed 30 August 2019]. 7 https: / / www.google.com/ search? client=fire fox-b-1-d&q=un+commis+refugees [accessed 30 August 2019]. 8 Ibid. 9 http: / / www.amaniforafrica.it/ cosa-facciamo/ la-porta-di-lampedusa/ la-porta-di-lampedu sa [accessed 30 August 2019]. I have deliberately chosen the literal translation despite its being less graceful. While “ luogo di raccoglimento ” is a place for reflection or contemplation, the etymology here echoes so strongly with the idea of gathering together, collecting together at a place of loss and dispersal, that a clumsy but resonant word seems more appropriate to me. 10 “ La Porta di Lampedusa si apre su un mare dove si stima che negli ultimi dieci anni siano perite diecimila persone tentando una difficile traversata. È, in un certo senso, un ’ opera incompiuta. Può restare come un segno di pietà e un luogo di raccoglimento, o diventare un freddo monumento funebre come tanti, o allargarsi e diventare il simbolo di un ’ Europa che si apre verso l ’ Africa, verso l ’ accoglienza e una solidarietà nuova. ” Translation my own. http: / / www.amanifora frica.it/ cosa-facciamo/ la-porta-di-lampedu sa/ la-porta-di-lampedusa [accessed 30 August 2019]. 11 Lina Prosa, Trilogia del Naufragio: Lampedusa Beach, Lampedusa Snow, Lampedusa Way), Spoletto, 2013. 12 Marco Martinelli, Rumore di acque, Spoletto, 2010. 13 Anders Lustgarten, Lampedusa, London, 2015. 14 Crystal Pite, In the Event, World premiere on 16 April 2015. This ballet premiered four days after a ship carrying approximately 550 migrants sank and approximately 400 died. It was the largest loss of life in such an accident in the Mediterranean since 13 October 2013. The drowning of those 400 people was eclipsed days later by a single ship sinking from which only 28 people were rescued. The remaining 700 - 900 people all drowned. 15 Crystal Pite, Flight Pattern, World premiere March 2017. https: / / www.roh.org.uk/ produc tions/ flight-pattern-by-crystal-pite [accessed 30 August 2019]. 16 Bruno Bouché, Undoing World, World premiere 13 June 2017. 17 This list is by no means exhaustive. Other chapters in this volume discuss artists and works that I have not mentioned here, which highlights how partial my list is in both senses of the term. 18 Martinelli, Rumore di acque, p. 58 19 Elfriede Jelinek, Die Schutzbefohlenen in Die Schutzbefohlenen. Wut. Unseres, Reinbek bei Hamburg 2018. 20 Christian Lollike, Living Dead, unpublished script, September 2016. Cited by Tropper. 21 Laura Sarnelli “ The Gothic Mediterranean: Haunting Migrations and Critical Melancholia ” , Journal of Mediterranean Studies 24/ 2 (2015), pp. 147 - 165. 22 Hanif Kureishi, “ The Migrant Has No Face, Status, or Story ” , in: The Guardian (30 May 2014). https: / / www.theguardian.com/ books/ 2014/ may/ 30/ hanif-kureishi-migrant-immi gration-1 [accessed 30 August 2019]. 209 Leaving Lethe for the Bardo: Staging the Disembodied Voices and Silent Bodies of Lampedusa Migrants 23 Sarnelli, “ The Gothic Mediterranean ” , pp. 147 - 165. 24 Kureishi, “ The Migrant Has No Face, Status, or Story ” . 25 Ibid. 26 Lustgarten, Lampedusa, p. 28. 27 https: / / artimage.org.uk/ 21278/ jason-decair es-taylor/ the-raft-of-lampedusa - lanzarote - museo-atlantico - 2016 and for a description of the installation and museum, see https: / / www.pbs.org/ newshour/ arts/ europes-firstunderwater-museum-offers-a-stark-remin der-of-the-refugee-crisis [accessed 30 August 2019]. 28 Esther Peeren, The Spectral Metaphor. Living Ghosts and the Agency of Invisibility, London 2014, p. 187. 29 Tania El Khoury: “ Swimming in Sewage ” , in: Performance Research 21: 2 (2016), pp. 138 - 40, p. 140. 30 “ Erano anni quelli / ogni giorno due tre barconi/ alla deriva/ Su ogni barcone/ minimo un cadavere/ / che mica stavi a riportarlo a terra/ lo ributtavi a mare/ quello era il suo funerale/ Non c ’ è cimiterio più eficiente economico/ Un posticino lagggiù non costa niente/ addobbato come si deve/ Ambiente/ che dire dell ’ ambiente/ luce e pesci, sabbia e scogli/ suggestivo/ quello era il suo funerale/ Su ogni barcone/ minimo un cadavere, ” translation my own. Martinelli, Rumore di acque, p. 26. 31 “ M AHAMA : Non abbiamo scelta. . . guarda, la nave è già partita./ S AIF : siamo clandestini! ” . Translation my own. Prosa, Lampedusa Way, p. 102. 32 Ibid. 33 Kureishi, “ The Migrant Has No Face, Status, or Story ” . 34 Jacques Derrida, De la Grammatologie, Paris, Éditions de Minuit (Critique), 1967. 35 Maxi Obexer, Wenn gefährliche Hunde lachen, Wien 2011. 36 Maxi Obexer, Europas längster Sommer, Berlin 2017. 37 Solène Souriau, „ Choreography as a Means of Resistance: Encounter with Bruno Bouché “ . https: / / www.operadeparis.fr/ en/ m agazine/ choreography-as-a-means-of-resis tance [accessed 30 August 2019]. 38 https: / / www.youtube.com/ watch? v=9tSBk T9AFWA [accessed 30 August 2019] and Mel Spencer, “ Crystal Pite: Flight Pattern is My Way of Coping with the World at the Moment: The Canadian Choreographer's New Work for The Royal Ballet Addresses the Refugee Crisis ” , March 9, 2017: https: / / www.roh.org.uk/ news/ crystal-pite-flight-pat tern-is-my-way-of-coping-with-the-worl d-at-the-moment [accessed 30 August 2019]. 39 Ibid. 40 George Saunders, Lincoln in the Bardo, New York, 2017. 41 https: / / en.oxforddictionaries.com/ defini tion/ bardo [accessed 30 August 2019]. 42 Pema Khandro Rinpoche, “ The Four Points of Letting Go in Bardo, 15 July 2017, https: / / www.lionsroar.com/ four-points-for-lettinggo-bardo/ [accessed 30 August 2019]. 43 https: / / en.wikipedia.org/ wiki/ Bardo [accessed 30 August 2019]. 44 https: / / www.youtube.com/ watch? v=SYv1v Q-5wKk [accessed 30 August 2019]. 45 Lustgarten, Lampedusa, p. 33. 210 Michelle Cheyne Rezensionen Matthias Warstat, Florian Evers, Kristin Flade, Fabian Lempa und Lilian Seuberling (Hg.), Applied Theatre. Rahmen und Positionen, Theater der Zeit Recherchen 129, Berlin: Theater der Zeit 2017, 307 Seiten. Die Anwendung theatraler Verfahrensweisen in einem nicht-ästhetischen Kontext, um diesen gezielt zu verändern - so lassen sich die verschiedenen Arten von Applied Theatre allgemein beschreiben. Der Sammelband Applied Theatre. Rahmen und Positionen zielt darauf ab, das ästhetische und politische Potenzial dieser Theaterform auszuloten. Die Ausgangsfrage dabei lautet: Wie können ästhetische Praktiken des Theaters als instrumentelles Verfahren in nicht-ästhetischen Kontexten genutzt werden und welche Probleme bringt dieses Nutzungsdenken mit sich, wenn man die nicht vollständig intentional kontrollierbare Aufführungssituation bedenkt? Eine konkrete Wirkung durch die ästhetische Qualität eines Aufführungsereignisses anzustreben, setzt das Verhältnis von politischer Absicht, künstlerischer Praxis und ethischer Verantwortung in Spannung. Denn es ist gerade die konkrete Intention in nicht-ästhetische Kontexte bzw. soziale Strukturen zu intervenieren, die eine konstitutive ethisch-politische Ambivalenz von Applied Theatre bedingt. Dies betrifft beispielsweise hierarchisierende Verhältnisse von Anleitenden und Teilnehmenden, Zuschreibung von ‚ Hilfsbedürftigkeit ‘ oder der Ersetzung staatlicher Aktivitäten durch künstlerische Projekte. Die Einleitung der Herausgebenden entwirft entlang der Termini Rahmen, Intervention, Dispositiv und Wiederholung eine allgemeine funktionalistische Theorie des Applied Theatre. Dabei zielt die Erörterung jedes der vier Termini auf die Herausarbeitung der für Applied Theatre typischen Spannung von Emanzipation von und Kritik an realen politischen Bedingungen einerseits, sowie einer Eingliederung in bestehende institutionelle Strukturen und Stabilisierung von sozialen Funktionsprozessen andererseits. Hervorzuheben ist dabei der Begriff des Rahmens, der auch im Untertitel des Bandes auftaucht. Als Rahmen begreifen die Herausgebende verhaltensleitende ‚ Sinneinheiten ‘ , in denen soziale Situationen erfasst und interpretiert werden. Darauf aufbauend meint Rahmung die jeweils konkrete Aktualisierung eines solchen Rahmens, also Situationen durch bestimmte Handlungen mit einem ‚ Sinn ‘ zu versehen. Applied Theatre lässt sich so als Verschiebung von ästhetischen Rahmungen in soziale Rahmen beschreiben, womit diese Rahmen als veränderbar erscheinen (sollen). Das spezifische Potenzial von Applied Theatre liegt, so die These des Bandes, im produktiven Umgang mit dieser Dynamik der Rahmungen und den damit verbundenen politisch-ethischen Ambivalenzen. Dieser These gehen die zwölf Beiträge des Bandes, in drei inhaltliche Abschnitte gegliedert, nach, indem sie die Beziehung zwischen den Intentionen, den ästhetischen Praktiken und den konkreten Folgen verschiedener Applied- Theatre-Projekte herausarbeiten. Der erste Abschnitt unter dem Titel „ Paradoxien der Fürsorge “ widmet sich Ansätzen von Applied Theatre, die wirkungsästhetisch als ‚ Heilung ‘ verstanden werden und erörtert den dabei vorausgesetzten Subjektstatus. Lilian Seuberlings Beitrag „ Rahmen wechsel dich! Die Unfreiwilligkeit der Übertragung “ geht der Dynamisierung von subjektkonstitutiven Machtrelationen durch theatertherapeutische Arbeit nach. Auf der psychoanalytisch geprägten Vorstellung des Unbewussten basierend, legt sie dar, dass Unfreiwilligkeit im Handeln nicht immer als repressiv empfunden wird. Therapie konzeptioniert Seuberling als speziellen Rahmen, in dem Subjektivität zur Disposition stehen kann. Die gezielte Übertragung (ergänzend zur unbewussten) von Vergangenheit in die Gegenwart, will das dynamische Machtverhältnis von Unfreiwilligkeit, Unbewusstem und Subjektivität im Therapieprozess transparent machen. Anhand einer theatralen Aufstellungsarbeit erläutert sie, wie dort in Hinblick auf Geschlecht soziale Zuschreibungen wirksam bleiben, doch zugleich andere Umgangs- Forum Modernes Theater, 31/ 1-2 (2020), 211 - 212. Gunter Narr Verlag Tübingen DOI 10.2357/ FMRe-2020-0019 weisen mit Geschlechtlichkeit ermöglicht werden und so Aktualisierung und Umdeutung von subjektivierenden Machtrelationen interagieren. Der zweite Abschnitt „ (Neben-)Wirkungen “ wendet sich gruppendynamischen Aspekten von Applied Theatre zu. Besonders eindrücklich ist James Thompsons Beitrag „ Ein Hacken und Stechen “ . Darin reflektiert Thompson selbstkritisch eines seiner Projekte in Sri Lanka und zeigt ethisch-politische Grenzen von künstlerischer ‚ Nachsorge ‘ in gewaltsamen politischen Konfliktsituationen auf. Ebenfalls lesenswert ist Julius Heineckes Darlegung, dass bestimmte Formen von Applied Theatre in Afrika trotz interkulturellem Anspruch kolonialistische Strukturen aktualisieren. In seiner Argumentation parallelisiert er die kolonialistische Verdrängung afrikanischer Trickster mit dem Ausschluss der Zanni aus der Commedia dell ’ Arte in der Aufklärung. Beide Figurentypen drücken ein soziale Normen hinterfragendes ‚ Zwischen ‘ aus, das einem rationalistischen Imperativ entgegensteht. Diese theatrale Degradierung wird von Heinecke als Ausdruck einer eurozentrisch-kolonialistischen Logik gedeutet, die sich, wie er diskursiv nachweist, bis in entwicklungspolitischen Konzepte von z. B. ‚ Development Theatre ‘ fortschreibt und auch deren Managementpraxis prägt. Sein Beitrag schließt mit konkreten Vorschlägen für ein interkulturelles Kulturmanagement basierend auf einer ‚ Ästhetik der Entähnlichung ‘ . Die dritte Sektion „ Institutionen “ untersucht Phänomene des Applied Theatre in Hinblick auf ihre organisatorischen und (kultur)politischen Entstehungsbedingungen. Für Applied Theatre und die Frage der Institutionskritik konstatiert Sruti Bala im abschließenden Beitrag des Bands drei relevante Verhältnisse zu Institutionen: Den Rückzug aus bestehenden Institutionen, die Neuschaffung institutioneller Verankerungen, die Veränderung bestehender Institutionen. Institutionenkritik, so erläutert Bala an zwei Beispielen, muss immer die jeweiligen politischen Bedingungen reflektieren unter denen kritische Intervention durch, sowie Partizipation an theatralen Formaten überhaupt möglich sind. Will man Institutionskritik als eine widerständige Kunstpraxis betreiben, brauche es ein breites, nicht-westliches Verständnis von Institution und Kritik. Bala beschließt ihren Text mit der Vorstellung mehrerer Theaterprojekte, die zwar mit kritischer Geste auftreten, ohne jedoch konkrete institutionelle Bedingungen zu adressieren. Dies bietet, so Bala, auch die Möglichkeit für einen interkulturellen Metadiskurs über Institutionenkritik. Insgesamt ist der vorliegende Band eine aufschlussreiche Bestandsaufnahme zum Einsatz theatraler Formen außerhalb konventionell ästhetischer Kontexte. Insbesondere die abwechslungsreiche Zusammenstellung der Untersuchungsgegenstände, die vom mittelalterlichen Höllentraktat bis zum Personalmanagement in Unternehmen reicht, vermittelt überzeugend die Heterogenität und Vielfalt von Applied Theatre sowie deren ästhetische Potenziale und ideologische Risiken. Mit der in der Einleitung eingeführten, auf einer Heuristik von Rahmen und Rahmungen basierenden, Theorie, wird diese Vielfalt überzeugend fundiert. So bietet der Band Anschlussmöglichkeiten an die Debatte über das Verhältnis von Ethik und Ästhetik, als auch weitere Impulse für die sich ausprägende Forschung zur institutionellen Ästhetik, d. h. der gegenseitigen Beeinflussung von institutionellen Voraussetzungen und künstlerischen Praktiken. München S IMON G RÖGER Johanna Zorn, Sterben lernen: Christoph Schlingensiefs autobiotheatrale Selbstmodellierung im Angesicht des Todes, Forum Modernes Theater 49, Tübingen: Narr Francke Attempto Verlag 2017, 275 Seiten. Johanna Zorns Buch Sterben lernen: Christoph Schlingensiefs autobiotheatrale Selbstmodellierung im Angesicht des Todes analysiert drei späte Theaterarbeiten Schlingensiefs: Eine Kirche der Angst vor dem Fremden in mir (2008), Mea Culpa (2009) und Unsterblichkeit kann töten. Sterben lernen! - Herr Andersen stirbt in 60 Minuten (2009), in denen der an Lungenkrebs erkrankte Regisseur sein eigenes Leben „ von der Grenze des Forum Modernes Theater, 31/ 1-2 (2020), 212 - 214. Gunter Narr Verlag Tübingen DOI 10.2357/ FMRe-2020-0020 212 Rezensionen bevorstehenden Todes her “ (S. 16) zum zentralen Thema machte. Der fünfte Punkt des zweiten Kapitels ist der Kern der Arbeit. Hier beschreibt Zorn das Theatergenre ‚ Autobiotheatralität ‘ . Sie geht von einer Vielzahl an Bezügen aus, die im ästhetischen Ausdrucksfeld der Autobiographie Tradition haben. Dazu gehören die analytische Selbstaussprache im Tagebuch, religiöse Beicht- und Bekenntnisformen und die psychoanalytisch geprägte Gesprächstherapie. In Schlingensiefs Inszenierungen erscheinen sie, so analysiert Zorn, durchgehend in theatral-medial transformierter Gestalt, wenn etwa das Selbstbekenntnis als Tonband-Dokument eingespielt und darüber hinaus auch von Schauspielern vorgetragen wird. Dabei entwickelt Schlingensief die Techniken der photographischen und filmischen Mehrfachbelichtung weiter und entlockt dem Theater Möglichkeiten, die aus der Literaturgeschichte bekannten Momente der Ich-Multiplikation und des Doppelgänger-Motivs in eine mehrschichtige, multiperspektivische Medialisierung der eigenen Person zu überführen. So werden auf der Bühne verschiedene Lebenszeiten des Ichs collagiert. In Kirche der Angst lässt Schlingensief „ einen Film, auf dem er als Kind zu sehen ist, mit seiner Tonbandstimme aus der jüngsten Vergangenheit kollidieren. In Mea Culpa wiederum kommentiert er im Rahmen eines Auftritts seine als Film archivierte Vergangenheit als Regisseur “ (S. 110). Zorn beschreibt bezogen auf diese beiden Inszenierungen sowohl analytisch-zerlegende Darstellungsmodi, die das Ich vervielfältigen, als auch komponierende Techniken, mit denen die Ich-Fragmente wieder zu Effekten des Ichs zusammengesetzt werden. Als Pointe eines groß angelegten Abrisses der Geschichte der Autobiographie im zweiten Kapitel von Augustinus über Rousseau und Goethe bis zu Dilthey und Misch, Lejeune, Pascal, Lacan, Derrida und anderen unterscheidet Zorn schließlich drei Formen der theatralen Selbstpräsentation Schlingensiefs: Erstens stellt Schlingensief sich selbst dar (Autopräsenz), zweitens wird sein Leben in filmischen, fotografischen und akustischen Dokumenten präsentiert (autopräsentes Archiv) und drittens lässt er Schauspieler sein Ich verkörpern (Autofiguration). Darüber hinaus spielt Schlingensief auf der Bühne selbst Rollen oder wird in den Rollen anderer Schauspieler erkennbar. Haben die dargestellten Figuren selbst mythischen Status, so spricht Zorn von einer Automythographie, bei der Schlingensief „ sich mitsamt seinem prekären existentiellen Zustand in eine Legende “ wie Parsifal, Amfortas oder Beuys einschreibt (S. 109). Verglichen mit literarischen Autobiographien wird die sprachliche Wiedergabe des Eigenen, wenn Schlingensief selbst auftritt, durch den repräsentational-verkörpernden Charakter des Theaters intensiviert, und der Erkenntnis, dass durch literarische Sprache das eigene Selbst erst geschaffen wird, entspricht der performativ-hervorbringende Grundzug des Theaters. In den folgenden drei Kapiteln liegt der Schwerpunkt jedoch gar nicht auf einer hieran anschließenden medialen Analyse - und das ist zugleich die Stärke der Arbeit. Es handelt sich um die erste umfassende Aufarbeitung der vielfältigen Bezüge in den drei späten Theaterarbeiten Schlingensiefs. Sie sind - auch mit Blick auf einen möglichen Einsatz in der Lehre - übersichtlich in Grafiken zusammengefasst. Was beim Besuch der Aufführungen unmöglich ist, nämlich die Quellen der Texte, Filme und Kompositionen im Einzelnen zu erkennen und auch die Kontexte, denen sie entstammen, mit in die Interpretationen einzubeziehen, ist hier auch unter Berücksichtigung von Schlingensiefs Regiebüchern geleistet worden. Im umfangreichsten, dritten Kapitel analysiert Zorn, wie das in Kirche der Angst dargestellte Ich durch drei Referenzrahmen codiert wird: durch den persönlich-intimen Rahmen zwischen Selbstaufgabe (Akzeptanz des Todes) und -behauptung (Auflehnung gegen den Tod), den künstlerischen Rahmen mit der Präsentation verschiedener Fluxfilms und filmischen Reenactments sowie den religiös-weltanschaulichen Rahmen, dem das katholische Schuldmotiv entnommen ist. Trotz der Abweichungen vom Schema der katholischen Messe, die Zorn erhellend in ein Verhältnis zu anderen Mythemen der Inszenierung setzt, interpretiert sie überraschenderweise, Schlingensief übernehme am Ende „ im eigentlichen Sinne die Rolle Jesu Christi “ (S. 153) und binde das Ich „ doch wieder an die göttliche Barmherzigkeit “ zurück (S. 166). Ein vierter Rahmen wird implizit mit der „ Fokussierung auf 213 Rezensionen messbare Größen des eigenen Lebens “ (S. 128) genannt, wenn Schlingensief das Röntgenbild seiner Lunge als „ faktisch verbürgte Bedingung seiner Existenz “ (S. 127) auf Leinwände projiziert. Die klugen Interpretationen der Szenen und inhaltlichen Abläufe in Mea Culpa werden durch informative Exkurse ergänzt, etwa zu Wagners Parsifal, Schlingensiefs Bayreuther Zeit und seinen animatographischen Arbeiten sowie zu Jelineks Tod-krank.Doc, also zu Werken, die Mea Culpa mit zu Grunde liegen. Entlang dieser und weiterer Intertexte vermag Zorn die zunächst verwirrende Handlung zwischen Ayurveda-Zentrum, Traumsequenzen und afrikanischem Opernhaus sowie das dichte Geflecht der Bilder, Texte und Auftritte in den drei Akten „ Blick aus dem Jenseits ins Hier “ , „ Jenseits der Grenze “ und „ Blick von hier ins Jenseits “ in ihren Bedeutungsschichten aufzuschlüsseln. Bezogen auf Sterben lernen beobachtet Zorn treffend, dass Schlingensief in dieser von Pfallers Konzept der Interpassivität geprägten Inszenierung nicht wie in den beiden vorangegangenen als zentrale Figur, sondern als Störfaktor auftritt. Das erinnert an seine früheren Aktionen und demonstriert, so ließe sich hinzufügen, die Heterogenität seiner Inszenierungsstile ‚ im Angesicht des Todes ‘ . Die von Zorn mehrfach wiederholte Interpretation, Schlingensief habe hier zu einem distanzierteren Inszenierungsstil gegriffen, weil es ihm gesundheitlich und psychisch besser gegangen sei, ist fragwürdig, betonte er doch bereits im Eingangsmonolog der Premiere am 4. Dezember 2009 die Worte „ in mir sieht es dunkel und schwarz aus “ . Das Kapitel bietet ein breites Panorama an philosophischen Positionen zum ‚ Sterben lernen ‘ , lässt dabei jedoch gerade die Mystiker Nikolaus von Kues und Meister Eckhart außer Acht, die in der dramaturgischen Vorbereitung der Inszenierung in Schlingensiefs Austausch mit dem Theologen Johannes Hoff eine besondere Rolle gespielt haben, und geht kaum auf deren szenische Umsetzung ein, etwa auf die Kreuzprozession im zweiten Akt, die eine besondere Nähe zu den mitlaufenden Zuschauern aufbaute. Das erste Kapitel bietet kompakte Zusammenfassungen des journalistischen Echos der Inszenierungen. Die Auseinandersetzung mit der Forschung zu Schlingensief ist allerdings unvollständig. Mehrere Beiträge, die schon deutlich vor Abschluss der vorliegenden Dissertation, also vor 2014/ 15 publiziert waren, etwa zur Autofiktion bei Schlingensief, zu den Paradoxien in seinem Theater oder zu seinen Animatographen, finden keine Erwähnung. Alles in allem steht jedoch außer Frage, dass es sich bei der dicht geschriebenen Arbeit um einen großen Gewinn für die Wissenschaft zum Gegenwartstheater sowie zu Christoph Schlingensief handelt. Bielefeld L ORE K NAPP Marita Tatari, Kunstwerk als Handlung. Transformationen von Ausstellung und Teilnahme, München: Fink 2017, 233 Seiten. In Kunstwerk als Handlung umreißt Marita Tatari einen Begriff des handelnden Kunstwerks, der verbreitete Vorstellungen zu Performativität und zum Postdramatischen unterläuft. An Grundlagentexten der Theaterwissenschaft orientiert und als Grundlagenforschung zwischen den Feldern der Geschichtsphilosophie und der Theorie des Dramas verortet, arbeitet Tataris Studie dabei eine Reflexivität der Aufführung heraus, die sie im Anschluss an Jean-Luc Nancy als Aktualisierung von Alterität und Selbstdifferenz im sinnlichen Element begreift. Entgegen eines Vorrangs der Präsenz und der Verwirklichung, so die These Tataris, verschiebe sich die Ordnung des Ästhetischen im Zeitalter nach einer Geschichtsteleologie heute zur Aufführung einer unendlichen Singularität. Die Theaterformen der Gegenwart seien weniger als eine Überwindung des (in sich geschlossen verstandenen) dramatischen Kunstwerkes zu begreifen, sondern vielmehr als eine Transformation jenes Feldes, welches von jeher durch Ausstellung und Teilnahme geprägt gewesen sei. (S. 10/ 11) Eine Geschichte des Theaters abseits der Auffassung von geschichtsteleologischem Fortschritt, so ließe sich der Zielpunkt der Studie zusammenfassen, sei nicht nur für eine Analyse von Gegenwartstheater hilfreich, wie Tatari im letzten Kapitel und auf vergleichsweise kleinem Raum mit der Diskussion von Arbeiten Forum Modernes Theater, 31/ 1-2 (2020), 214 - 217. Gunter Narr Verlag Tübingen DOI 10.2357/ FMRe-2020-0021 214 Rezensionen von Jürgen Gosch, Laurent Chétouane, Hofmann&Lindholm und anderen aufzuzeigen sucht. Sie helfe auch retrospektiv dabei, dem (klassischen) Drama eine ästhetische Qualität abzugewinnen, in der die sinnliche Entfaltung des Sprechens, des Spiels und die Charaktere als Intensitäten des Sinnlichen zu einem Eigenrecht kommen (S. 77/ 78). Im Denken der französischen Philosophie verwurzelt, begreift Tatari die „ Ästhetik des Abendlandes “ ausgehend von Jean-Christophe Baillys Studie Le champ mimétique als eine Geschichte der Distanz. Darstellung als „ Bezug ohne Bezugspunkte “ geht demzufolge darüber hinaus lediglich Darstellung eines oder für ein Subjekt zu sein oder die Produktion von Subjektivitätseffekten zum Zweck zu haben: „ Das Zuschauen ist nicht das Zuschauen bestimmter Individuen, die sich auf einen Gegenstand beziehen, sondern es ist das Stattfinden der Alterität, die sich in dem sich ausstellenden sinnlichen Bezug öffnet. “ (S. 38) In ihrer Auseinandersetzung mit Fragen der Darstellung verweist sie - wie im Verlauf der Studie häufig - auf Nancys Begrifflichkeit des „ Mitseins “ , d. h. eine den Aspekt einer gleichursprünglichen Alterität des Erscheinens (des Daseins) akzentuierende Lektüre der Philosophie Martin Heideggers. Den „ sich ausstellenden Bezug “ der Darstellung bringt Tatari - in Form einer Kritik der Kritik - gegen die These vom Zeitalter einer geschlossenen Repräsentation in Stellung, welche das Drama lediglich als Semiotechnik einer bürgerlichen Subjektideologie begriffen habe. (S. 68) Friedrich Kittler etwa reduziere im Rückgriff auf Reinhart Koselleck das Drama in seiner Lektüre von Lessings Emilia Galotti auf die Hervorbringung des Selbst und des gelungenen Selbstbezugs: „ Im Drama - und das meint bei Kittler in der Dialektik der handelnden Charaktere - sieht er das Hervorbringen des Paradigmas dieser neuen „ Intersubjektivität “ und zwar als eine Sprachordnung, die die Utopie, den Mangel oder das Imaginäre ihres Fundaments verbirgt. “ (S. 65) Die Kritik des dramatischen Modells habe, Tatari zufolge, die dichotomische Struktur und seine Aufhebung ins Sprachlich-imaginäre dem Drama einerseits untergeschoben und andererseits als widersprüchliche und schlechte Aktualisierung von Subjektivität charakterisiert. Die mit der Begrifflichkeit des Postdramatischen angestoßene Auseinandersetzung mit der Krise des bürgerlichen Dramas (Szondi) werde als Selbstverwirklichung des Theaters durch das Hervortreten der Theatralität charakterisiert (Hans-Thies Lehmann, Erika Fischer-Lichte), bewege sich dabei aber noch in jener Fortschrittslogik, die dem Kritisierten mit der Behauptung einer nun überwundenen dialektisch-zwischenmenschlichen Geschlossenheit der Repräsentation, seinerseits unterstellt wurde. In einer solchermaßen aufgestellten Kritik am Drama, die in ihm nur die Repräsentation von Natürlichkeit der Gestalten und Bildlichkeit ihrer Individualität (S. 77, Günther Heeg) erkennt, gehen, so Tatari, die spezifisch ästhetischen Merkmale des Theaters als Theater verloren, nämlich die Ausstellung und Teilnahme an der Aufführung eines sinnlichen Erscheinens. (S. 16 ff.) Tataris mitunter harte Polemik gegen die genannten Referenzen der Theorie des Theaters im 20. Jahrhundert, denen sie nur ein einseitiges Verständnis der dramatischen Epoche zugesteht, liefe bei teilweise inhaltlicher Berechtigung in jenen Momenten Gefahr, zu einem die eigene These desavouierenden Moment zu werden, wo sie in der Unterstellung von Naivität und im Eifer des Generalvorwurfs die Details aus den Augen zu verlieren droht. Der zentrale und überzeugende Einsatz des dritten Kapitels zumindest stellt sich diesem Eindruck entgegen. Eine Reevaluierung des Sinnlichen, die etwa den Austritt des Individuums aus dem „ substantiellen Boden des Chors “ und damit das „ Mit-Erscheinen in der Endlichkeit “ statt der sittlichen Handlung fokussiert (S. 134), und das gegen geläufige theatertheoretische und -historische Entwürfe durchaus zu Recht eine neue Position im Feld der Theaterforschung und des Denkens des Ästhetischen beansprucht, erarbeitet Tatari mit einer Lektüre des Handlungsbegriffs aus den in Studien zum dramatischen Theater sowie dem Theater nach dem Drama heute häufig nur noch implizit vorausgesetzten Vorlesungen über die Ästhetik von Hegel. Mit ihrer stichhaltigen Analyse schließt sie an Hans- Thies Lehmanns (unausgeführte) Bemerkung an, dass sich auch „ klassisches dramatisches Theater “ aufgrund des Doppelsinns der Handlung von Figuren und ihrer Verstrickung in Umstände und 215 Rezensionen Zufälle etwas auszeichne, das über die subjektphilosophische Dimension „ einer Repräsentation des Handelns als intendiertem Tat-Handeln hinausgeht “ . [Vgl. Hans-Thies Lehmann, „ Tragödie und postdramatisches Theater “ , in: Bettine Menke, Bettine und Christoph Menke (Hg.), Tragödie - Trauerspiel - Spektakel, Berlin: Theater der Zeit 2007, S. 213 - 227]. Mit dem paradoxen Begriff der Handlung gebe Hegel der Nachwelt die Aufgabe einer im Feld der Kunst erforderlichen Infragestellung ihrer selbst mit. Hegel habe die seiner Philosophie inhärente Fortschrittsideologie anhand der Kunst und ihres zu Beginn der Vorlesungen betonten Vergangenheitscharakters, den Tatari, Hegel wortgetreu folgend, als „ Schranke “ bezeichnet, in Frage gestellt: „ Das „ Nach “ der Kunst bringt diese Differenz von sich, die die Kunst ist, zur Erfahrung. “ (S. 97) Sie sei damit weder als Mittel der Selbststeuerung zum Fortschritt (anglosächsischer Diskurs) noch als krisentheoretische (Selbst-)Reflexion der Leere des Sinnes in der Folge Heideggers und der Marxisten (kontinentaler Diskurs) zu begreifen. (S. 90/ 91) Die Untersuchungen zum „ sich ausstellenden Bezug “ , die Tatari in Hegels Begriff der Handlung vornimmt, sind neben der Prägung seitens Jean-Luc Nancy von Texten Jacques Derridas, Alexander García Düttmanns und Werner Hamachers beeinflusst und insistieren auf der Unmöglichkeit einer Schließung der Repräsentation. (S. 92) Mit ihrem Schwerpunkt auf dem autonomen ästhetischen Charakter des Kunstwerkes als einem sinnlichen Erscheinen, grenzt sich Tatari von Hegel-Lesarten etwa Christoph Menkes und Juliane Rebentischs ab, deren Arbeiten sie als Beitrag zu einer Normativität für eine gute Subjektivität beschreibt. (S. 102) Wie sie mit Dieter Henrich ausführt, habe die Kunst, in der Unmöglichkeit ein Gesamtbewusstsein der Lebensverhältnisse zu begründen, einen „ partialen Charakter “ , der im „ Verzicht auf die Utopie “ und als Bewusstsein einer abgründigen Totalität auf die die „ unvordenkliche Einheit von Selbst und Sein “ verweise. (S. 91) Die auf den Plan gerufenen nicht-menschlichen Prozesse, die in der Kunst heute zwar besonders aktuell, jedoch auch im bürgerlichen Theater qua Kunst als Technik bereits von nicht zu unterschätzender Bedeutung sind, eröffnen dabei speziell eine Brechung der Binarität anthropozentrischer und nicht-anthropozentrisch gedachter Zwecke. (164) Anhand einer Relektüre von Kleists Marionettentheater schreibt Tatari, dass entgegen der kanonischen Interpretation de Mans, der „ Mechanik dem Ausdruck, Tanz dem Drama, Technik dem Körper, grammatikalische Fälle der Interpretation “ (173) entgegensetzt, aus einer anderen Ordnung der Produktion nach dem Verfall einer teleologischen Verfertigungs- und Werkideologie auch ein anderer Weg der ästhetischen Erfahrung der Zuschauer*innen resultiert: Mit dem Puppenspieler, der von einer Mechanik ersetzt werden könne, müsse ein die Dekonstruktion der geschichtsteleologischen Sicht auf die Kunst und das Theater weiterführendes „ Stattfinden seines mangelnden Endzwecks “ als das Eigenste des ästhetischen Geschehens gefasst werden, das sich nicht als Mangel oder Abwesenheit - nicht als Unmöglichkeit eines Endzwecks - sondern als „ Raumzeit der ästhetischen Erfahrung “ den Zuschauer*innen gegenüber vermittelt. (175) Handlung ist Tatari zufolge weder nur das, was Protagonist*innen tun oder nicht tun, noch, was von Künstler*innen, Schauspieler*innen, Performer*innen oder Zuschauer*innen ausgeht. (27) Vielmehr sei Handlung jenseits der Vorstellung eines Geschehens auf der Bühne im und als Theater, als Entfaltung des Sinnlichen, die Unruhe der Erscheinung als dessen Form des Erscheinens. (148 f.) Aufführung und Teilnahme erfolgt dabei, wenn sie nicht auf das Regime des Guckkastens reduziert ist, stets als Aktualisierung einer im Sinnlichen ko-existierenden Differenz. Handlung, wie sie von Hegel nach dem Untergang der griechischen Tragödie beschrieben werde, bringe zur Anschauung und Empfindung, was ihr entgeht, ohne dabei auf einen ihr äußerlichen Zweck zu verweisen. (99) Die Kunst bezieht ihre immer wieder beschworene Autonomie dabei nicht aus einem in der Geschichte virtuell präfigurierten Zweck oder aber der Abwendung von derlei Überbleibseln der geschichtsteleologischen Tradition, sondern aus ihrer „ aktiven Alterität “ (224), die als Handlung eine sinnlich verwirklichte Differenz des Erscheinens und damit zu sich selbst zum Ausdruck bringt: „ Sie [die Kunst] ist verstärkt in Unruhe, in Suche, in Wandlung. “ (226) Als Forderung einzeln betrachtet werden zu müssen, ist jedes Werk als handelndes zu ver- 216 Rezensionen stehen. Das Kunstwerk als Handlung, so ließe sich aus Tataris Formulierungen um die „ Zweideutigkeit des Telos “ (122) schlussfolgern, ist als Umformulierung der nach Kant propagierten Zweckmäßigkeit ohne Zweck, der einzig auf seine Veräußerung bezogene Selbstzweck, der auf nichts als sein Erscheinen und seine Andersheit gerichtete Telos ohne Telos. Die Stärke von Marita Tataris Studie, nämlich herauszuarbeiten, dass auch in Zeiten der Vorherrschaft der Guckkastenbühne und des klassischen dramatischen Formverständnisses bereits ein Begriff der Handlung nach Hegel zu beschreiben vermag, dass eine Ordnung des Ästhetischen jenseits der Ideologie des Werkes als das Stattfinden von Bezugnahmen im sinnlichen Element zu verstehen wäre und das Ganze der Theatersituation mit einem erweiterten Verständnis von Bühne und im Sinne von Ausstellung und Teilnahme betrifft, markiert zugleich einen Schwachpunkt in ihrer Arbeit. Auch wenn sie mit der Feststellung einer gegenwärtigen Verschiebung einsetzt, liegt diese Schwachstelle in der tendenziellen Vernachlässigung von Fragen nach dem Theater als einem historischen Dispositiv, mit denen Überlegungen zu einer Ordnung des Erscheinens im Drama gewichtiger noch konfrontiert werden müssten. Ein solches Verständnis des Theaters als historisches Phänomen und unter Einbeziehung epistemischer Prämissen schlägt bei aller inhaltlicher Divergenz etwa der Band Theater als Dispositiv vor. [Aggermann, Lorenz/ Döcker, Georg/ Siegmund, Gerald (Hg.): Theater als Dispositiv. Dysfunktion, Fiktion und Wissen in der Ordnung der Aufführung, Frankfurt am Main: Peter Lang 2017.] Dabei bleibt jedoch festzuhalten, dass Kunstwerk als Handlung. Transformationen von Ausstellung und Teilnahme eine insbesondere theoretisch ansprechende und anspruchsvolle Arbeit ist, die ihre Überlegungen mit Betrachtungen zeitgenössischer Theaterarbeiten im Tanz und Theater knapp beschließt, eine wertvolle Neubetrachtung historischen Materials in den Blick nimmt und damit einen wichtigen Beitrag zu den offenen Begriffsfragen leistet, nachdem derjenige des Werkes unter geschichtsphilosophischen Gesichtspunkten verschüttet worden ist. Frankfurt am Main M ARTEN W EISE Lorenz Aggermann, Georg Döcker und Gerald Siegmund (Hg.), Theater als Dispositiv. Dysfunktion, Fiktion und Wissen in der Ordnung der Aufführung (Reihe: theaomai. Studien zu den performativen Künsten 9), Frankfurt am Main: Peter Lang 2017, 276 Seiten. Hat die Theaterwissenschaft eine gemeinsame Methodik? Und wie ließe sich das, „ was gemeinhin als Theater behauptet und erfahren wird, theoretisieren “ (S. 7)? Eine Frage, deren Diskussion heute umso dringlicher wird: Angesichts einer sukzessiven Neoliberalisierung der Hochschulen und einer immer stärker waltenden Konkurrenz der einzelnen Disziplinen um Fördertöpfe und Drittmittel, gerät auch die Theaterwissenschaft zunehmend in Legitimationszwang, ihre wissenschaftlichen Erkenntnisse und ihre Methodik zu verteidigen. Mit Theater als Dispositiv. Dysfunktion, Fiktion und Wissen in der Ordnung der Aufführung ist nun ein Sammelband erschienen, der eben jene Fragen nach den Voraussetzungen des Faches sowie nach den Normen, Regeln und Ordnungen seines Gegenstandes vor dem Hintergrund des Dispositiv-Modells verhandelt. Die Publikation ist hervorgegangen aus dem DFG Forschungsprojekt Theater als Dispositiv am Institut für Angewandte Theaterwissenschaft an der Justus-Liebig-Universität Gießen und schließt dabei an einige vorangegangene Veröffentlichungen zum Begriff des Dispositivs an, wie diejenigen von André Eiermann, Ulrike Haß, Rudolf Münz und Birgit Wiens an. Sich im Rahmen dieses Feldes auf das maßgeblich auf Foucault und seine Epistemologie zurückgehende Modell des Dispositivs zu beziehen, erlaubt in der theoretischen Arbeit die Analyse von Theater als einer epistemischen Ordnung. Dies heißt vor allem, Theater als ein historisches Phänomen zu verstehen und unter epistemischen Prämissen nach den Bedingungen seiner Verfasstheit, seines Wissens und seinen unterschiedlichen Ausformungen zu fragen. Eine umfassende und detaillierte Einführung in das Thema und in die wissenschaftliche Verortung des Bandes bietet zu Beginn Lorenz Aggermanns Aufsatz „ Die Ordnung der darstellenden Kunst und ihre Materialisationen “ . Die Problematik Forum Modernes Theater, 31/ 1-2 (2020), 217 - 221. Gunter Narr Verlag Tübingen DOI 10.2357/ FMRe-2020-0022 217 Rezensionen rein aufführungstheoretischer Ansätze, wie sie maßgeblich durch Erika Fischer-Lichte bestimmt worden sind, und solcher einer neuen Phänomenologie des Theaters (Roselt) sieht er unter anderem darin begründet, dass sie sich als Theorie und Methode „ über und vor allem vor die Erfahrung von Kunst “ stellten, „ um ein abstraktes Forschungsobjekt sowie wissenschaftliche Plausibilität und Objektivität zu gewinnen “ (S. 9). Oft werde gerade im Falle einer „ Fokussierung auf ein methodisches Zentrum “ der Aufführung „ nur das erkannt und ausgewiesen, was der begriffliche Apparat und die damit einhergehende Methode zulässt “ (S. 9). Das Novum des Ansatzes, Theater als Dispositiv zu betrachten, sieht Aggermann dagegen vor allem darin, die Materialisierung in einer Aufführung und die Herausbildung historischer und gegenwärtiger Formate „ weit differenzierter als bislang im Wechselspiel historischer, gesellschaftlicher, institutioneller und ästhetischer Bedingungen “ untersuchen zu können “ (S. 22). Das methodische Fundament dieses Ansatzes besteht demzufolge darin, Theater weiter gefasst „ in all seinen Dimensionen der institutionellen Verankerung und Arbeitsweisen, der Produktionswie Rezeptionsverhältnisse, der gesellschaftlichen Diskurse und ihrer materielltechnischen Praktiken “ (S. 22) zu betrachten. Demgegenüber überrascht es, dass gleich der nächste Beitrag Dirk Baeckers mit dem Titel „ Die Performance in ihrem Element “ genau diese Fragen nicht verhandelt, sondern aus soziologischer Perspektive das Dispositiv Theater vielmehr als etwas verstanden wissen will, das hauptsächlich durch ein nahezu geschlossenes System der Selbstreferenz funktioniert. Kunst unterscheide sich von „ anderer Kommunikation dann nur insofern, als sie noch diese Selbstreferenz zur Darstellung bringt, zum Erlebnis beobachtbarer Beobachtungen werden lässt “ (S. 36). Performances definiert Baecker als „ Dispositive der Selbstreferenz in einem ausgezeichneten Sinne “ , in denen es keine heterogenen Elemente, sondern „ nur noch Unterschiede “ gebe (S. 37). Es bleibt zu fragen, ob dieser stark formalisierte Ansatz, der Theater lediglich als eine einem „ Formenkalkül “ unterliegende Unterscheidungsoperation - als „ Kunst der Verwerfung “ (S. 41) - betrachtet, nicht den Blick für das verliert, was das Dispositivmodell in dem von Aggermann beschriebenen Sinne ausmacht, nämlich für die historischen und epistemischen Bedingungen, die diese Unterscheidungen erst möglich machen - aber auch für das, was sich einer Differenzierung entzieht oder eben als Dysfunktionales zurück bleibt. So erscheint es für die Diskussion wesentlich produktiver, den Fokus weniger auf Formalisierungskriterien als auf die je spezifischen Konfigurationsweisen von Theaterdispositiven zu legen. Dieser Prämisse folgen die nächsten drei Beiträge Andreas Hetzels, Nikolaus Müller-Schölls und Ulrike Haß ‘ , die unter der thematischen Klammer „ Antike und moderne Konfigurationen “ zusammengefasst sind. Antike und moderne Konfigurationen Hetzel arbeitet heraus, dass sich entgegen der Tatsache, dass Foucault das Theater zunächst zu den Heterotopien zählt und damit ausdrücklich nicht in den Bereich des Dispositivs fasst, die klassische Tragödie als Dispositiv einer Demokratisierung lesen lasse. Anhand von Foucaults Lektüre von Euripides ‘ Ion und seinen Untersuchungen zur parrhesia zeigt Hetzel exemplarisch auf, wie das Dispositiv weniger als Disziplinierungs- und damit wesentlich antidemokratischer Unterdrückungsapparat verstanden werden müsse, sondern vielmehr ein Potential zur Öffnung und Transformation aufweise. Mit Rückgriff auf Lyotard, Deleuze und Rancière schlägt er vor, Theater als Dispositiv als eine „ Erweiterung der Grenzen des Sagbaren “ zu begreifen. Eben diese Frage nach dem Unsagbaren eines Dispositivs, steht im Fokus der nächsten beiden Beiträge. Für Nikolaus Müller-Schöll stellt die Dispositivanalyse für die Theaterwissenschaft eine Möglichkeit dar, sich von der Annahme eines „ natürlichen Gegenstand[es] “ (S. 67) als Zentrum des Faches, wie sie in aufführungstheoretischen und theaterhistoriographischen Ansätzen erfolgt, zu lösen und stattdessen für ein „ Theater des Unsichtbaren “ (S. 86) einzutreten. Dieses versteht sich als explizit politische Perspektive im Anschluss an das, was Agamben das „ Unregierbare “ des Dispositivs nennt: Zwar setzt auch für Müller-Schöll das Dispositiv des Thea- 218 Rezensionen ters eine „ Referenz des Theaters auf das Theater “ voraus, die er aber im Gegensatz zu Baecker als Referenz auf das definiert wird, „ was sich seiner Kontrolle entzieht “ (S. 87) - auf die „ konstitutive Zäsur “ und das „ potentiell dysfunktionale “ des Theaters (S. 87). Damit erfordert für ihn eine Dispositivanalyse, Agamben und Deleuze folgend, nicht nur eine Betrachtung der Konstitutionsweisen von Dispositiven und seiner relationalen Gefüge, sondern eben auch eine Untersuchung dessen, was in jedem Dispositiv als „ Unregierbares “ de-konstituierend mit wirkt: Anhand der Wiederkehr der Harlekinfigur zeigt er auf, wie diese als Zäsur und Bruchstelle innerhalb des neuzeitlichen und dann bürgerlichen Theaterdispositivs die „ Dispositivität “ (S. 87) desselben Dispositiv aufscheinen lässt. Auch Ulrike Haß widmet sich demjenigen „ was einem Dispositiv notwendigerweise entgeht “ (S. 89), formuliert dabei jedoch am Beispiel Kleists das grundlegende strukturelle Problem einer Anwendung des Dispositivbegriffs auf das Theater. Ihr Augenmerk liegt, ähnlich wie Müller-Schölls, auf einer „ Öffnung “ (S. 91) des Aufführungs- und Theaterbegriffs. Damit tritt sie für ein Theater „ im weitesten Sinn “ ein, das als „ konfigurierendes, ungleichzeitiges zwingend in sich selbst auseinandertretendes Phänomen “ zu begreifen sei (S. 93). Als ein solches widerstrebe ihm jedoch gerade die strategische Funktion des Dispositivbegriffs, vor allem wenn dieser im Anschluss an Agamben zu sehr in einem disziplinarischen und institutionellen Sinne gebaucht werde. Gerade Agambens Aufruf, das „ Unregierbare zum Vorschein zu bringen “ , appelliere als „ hybrider politischer Auftrag “ an einen Zweck, der die Übernahme eines solchen Konzeptes für das Theater unbrauchbar mache (S. 93). In diesem Sinne verwirft sie das Modell eines Theater als Dispositiv und schlägt stattdessen vor, die „ Aufführung als Dispositiv “ zu denken. Was Ulrike Haß hier am Beispiel Kleists herausarbeitet, ist nichts minderes als der blinde Fleck des Dispositivmodells: Theater an einem konkreten, historischen Zeitpunkt als Dispositiv zu begreifen, heißt, es notwendigerweise in seiner dispositivischen Formatierung zu verfehlen. Im nächsten Abschnitt „ Anomalie und Dysfunktion der Ordnung “ verschiebt sich der Fokus hin zu vornehmlich theoretischen Analysen des philosophischen Dispositiv-Modells und seiner Genealogie. Petra Löffler schlägt in einer den Titel des Bandes umkehrenden Bewegung vor, das Dispositiv als Theater zu denken und knüpft damit an das von Martin Puchner eingeführte Modell eines „ theatrical turn in philosophy “ an. Mit Rückgriff auf Deleuzes Methode der Dramatisierung plädiert sie dafür, den Begriff des Dispositivs selbst in seiner Genese aus einer Vorstellung des Theaters als Verräumlichung von Macht und Differenz zu begreifen. Die Aufführung stellt für Löffler damit nicht nur eine Versuchsanordnung dar, in der neue Denkweisen erprobt und praktiziert werden können, sondern, so ließe sich ihre Argumentation weiterführen, das Theater selbst wird zur Praxis des Denkens. Insofern ist Löfflers Beitrag auch als ein Versuch zu verstehen, die häufig ideologisch verfestigte Trennlinie zwischen Theorie und Praxis aufzulösen. Matteo Pasquinelli hingegen widmet sich in einer begriffsgeschichtlichen Untersuchung der Genealogie des philosophischen Dispositivmodells bei Foucault und Canguilhem, die zugleich eine Kritik an Agambens christlichtheologischer Fundierung desselben in Was ist ein Dispositiv? darstellt. Pasquinelli zeigt auf, dass sich Foucaults Konzept des biopolitischen Dispositivs auf George Canguilhems Konzept einer sozio-organischen Normativität, und noch weiter, auf die Schriften des Neurologen Kurt Goldstein zur Struktur des Organismus zurückführen lässt und damit eher aus einem technologischen Machtverständnis des 17. Jahrhundert resultiert als aus einer „ hegelianisch hergeleiteten Übertragung des positiven Religions-Paradigmas “ (S. 134). Miriam Schaub knüpft mit ihrer Analyse ebenfalls an Canguilhems Theorie des A-Normalen an und beleuchtet anhand des ästhetischen Dispositivs von Kubrick ’ s Dr. Strangelove ein grundsätzliches Problem von Dispositiven als strategische Ordnungen. Deren fortwährende Normativierung zugunsten einer totalen Berechenbarkeit resultiert in einer Dysfunktionalität der Dysfunktion - in einem Nicht-Scheitern- Können der Dispositive. Im „ Zeitgenössische Konstellationen “ betitelten dritten Teil des Bandes wenden sich die Beiträge nun wieder konkreter dem Theater und der Performance zu. Für Butel steht der Dispositivbegriff für einen epistemischen 219 Rezensionen Umbruch vom Repräsentationstheater zu jenen Praktiken, die sich von der „ erstarrten Architektur “ eines mimetischen Theaters und „ insbesondere dem Text “ gelöst haben (S. 174). Als „ Antwort auf das Theater der einzigen Repräsentation “ , erlaubt das Theater als Dispositiv für ihn in erster Linie eine „ Rückkehr zum Politischen “ (S. 177). Butel schreibt ihm dabei eine klar emanzipatorische Funktion als antiideologische Gegenposition zu Kontrollstrukturen, Entfremdung und Kulturindustrie zu. Er betont also vor allem den strategischen Charakter des Dispositivs. Die „ Meisterleistung des Theaters “ liege darin, „ das Prinzip der Deregulierung, welches das spezifische Merkmal der liberalen Ideologie ist, verkehrt und sich als Prinzip der Regellosigkeit zu eigen gemacht zu haben “ (S. 178). Ob nicht aber gerade die Betrachtung des Theaters als Dispositiv erfordern würde, auch seine Verstrickung in (neo)liberale Produktionsmechanismen und die damit einhergehende Reproduktion desjenigen in die Betrachtung einzubeziehen, von dem es sich abzusetzen vorgibt, lässt Butel offen. André Eiermann, dessen Studie „ Postspektakuläres Theater. Die Alterität der Aufführung “ als eine der ersten innerhalb der Theaterwissenschaft auf den Foucaultschen Dispositivbegriff zurückgreift, wendet sich in seinem Beitrag einer grundlegenden Problematik jener theaterwissenschaftlichen Diskurse zu, die die Aufführung als ihr ausschließliches methodisches Zentrum begreifen. Der Dispositivbegriff ermögliche es dagegen, gerade die nichthinterfragten Grunddispositionen jener aufführungstheoretischen Diskurse in den Fokus zu nehmen und damit den Aufführungsbegriff auf dasjenige zu erweitern und zu öffnen, was sich jenen als nichtdiskursive Praktiken entziehe. Zu diesen rechnet Eiermann Aspekte des Scheins, die er in der seit Beginn des 20. Jahrhundert vorherrschende „ anti-illusionistische Episteme “ (S. 189) der Theaterwissenschaft zugunsten einer Objektivitätsbehauptung negiert sieht. Er plädiert demnach dafür, Begriffe wie Schein, Illusion und Täuschung wieder verstärkt in das Dispositiv der Aufführung und seiner Analyse einzubringen. Versteht man das Theater als Dispositiv als die Öffnung des Theaterbegriffs hin zu weiteren es konstituierenden Praktiken, so erscheint es nur schlüssig, auch die Szenographie und ihre Praktiken des Raums darin miteinzubeziehen. Birgit Wiens Beitrag hingegen schlägt vor, Szenographie als autonome Kunst- und Gestaltungsform zu untersuchen und sie, damit Patrice Pavis folgend, als eigenständiges Dispositiv zu begreifen. Es bleibt indes zu fragen, inwiefern eine solche scharfe Abgrenzung des szenographischen Dispositivs von demjenigen des Theaters gewinnbringend ist. Akute Notstände Die letzten drei Beiträge nehmen ihren Ausgang von Foucaults strategischer Bestimmung, das Dispositiv antworte - zu einem spezifischen historischen Zeitpunkt - auf einen Notstand. Alexander Jacob wählt einen medienkritischen Zugang und fragt, inwiefern das Theater eine experimentelle Anordnung für eine Auseinandersetzung mit der gegenwärtigen Krise der Geisteswissenschaften sein könnte. Angesichts digitaler Technologien und biokynetischer Experimentalforschung stellt für Jacob gerade das Theater als „ Körperkunst “ eine Möglichkeit dar, Natur- und Geisteswissenschaften in einen „ kritischen, experimentellen Dialog “ zu bringen - eine „ Arbeit am Dispositiv “ , die er als problematisch, aber notwendig beschreibt (S. 234). Bojana Kunst hingegen problematisiert die Vorstellung eines „ radikalen Einsatzes “ (S. 235), wie er seit den Anfängen der Performancekunst vorherrscht: Statt widerständiger Akt der Befreiung zu sein, fügten sich diese Subjektivierungspraktiken heute vielmehr produktiv in die sozioökonomische Machtordnung ein. Angesichts einer solchen, jede Widerständigkeit assimilierenden Ordnung, erachtet Kunst auch die Möglichkeit zur Profanierung des Dispositivs in der darstellenden Kunst für nicht mehr gegeben. Allein in der Fokussierung „ auf die radikale De-Subjektivierung “ erkennt sie der Performance das Potential als „ Versuchsanordnung zur Befreiung der Subjekte “ zu fungieren (S. 252). Der letzte Beitrag stellt sich die Frage der ‚ Anwendbarkeit ‘ der Dispositivanalyse, allerdings in einem gänzlich anderen Bereich, nämlich jenem der Theologie. Christian Berkenkopf geht, ähnlich wie Matteo Pasquinelli. von der theologischen Verortung des Dispositivbegriffs bei Agamben aus und unter- 220 Rezensionen sucht die Sünde als ethisches Dispositiv der Theologie, das er ebenfalls im Sinne Foucaults als Antwort auf einen gesellschaftlichen Notstand deutet. Für ihn eröffnet die Dispositiv-Forschung innerhalb der Theologie die Möglichkeit einer Kritik der Traditionsbildung und damit einer „ Selbstreflexion “ (S. 262). Auch wenn der Titel dieses letzten Abschnitts „ Akute Notstände “ zunächst das Gegenteil suggerieren könnte, zeigt der Band „ Theater als Dispositiv “ sehr deutlich, dass die Reduktion des Theaters auf eine einzige Aufgabe, nämlich lediglich Antwort auf und Korrekturinstanz für soziale und gesellschaftliche Probleme zu sein, es „ als Ort konstitutiver Ungleichzeitigkeit und Mit-Teilung “ (S. 93) grundsätzlich verfehlt. So heterogen und interdisziplinär die versammelten Beiträge auch sind, umso mehr Relevanz und Wichtigkeit erhält der Band als Gegenposition zu jenen theaterwissenschaftlichen Ansätzen, die Theater und seine Aufführung entweder ungeachtet dessen historischer, genealogischer und institutioneller Voraussetzungen als ‚ ästhetische Singularität ‘ behaupten oder aber zu solchen, die allein die Aufführung zu ihrem methodischen Zentrum erklären. Frankfurt am Main J ULIA S CHADE 221 Rezensionen Autorinnen und Autoren Lorenz Aggermann studied Theatre, Film and Media studies and European Ethnology at Universität Wien and Freie Universität Berlin. After several years as dramaturge he worked as research assistant at Universität Bern and was part of the DFG-project “ Theater as dispositif ” at JLU Giessen. Marcel Behn studierte Theater- und Medienwissenschaft mit Nebenfach Anglistik (B. A.) an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen- Nürnberg, sowie Tanzwissenschaft mit Nebenfach Englische Literaturwissenschaft (M. A.) an der Universität Bern. Seit 2016 ist er Doktorand am Institut für Theaterwissenschaft der Universität Bern und forscht dort im Rahmen des vom Schweizerischen Nationalfonds (SNF) geförderten, interdisziplinären Forschungsprojekts Offene Manipulation. Figurentheater als Movens spartenübergreifender Theater-, Tanz- und Musiktheaterforschung zu Bühnenadaptionen von Heinrich von Kleists „ Über das Marionettentheater “ . Michelle Cheyne (Ph. D.) is Associate Professor of French at the University of Massachusetts Dartmouth. Michelle Cheyne specializes in 19th-Century literature and theatre. Her research interrogates exclusive representations those marginalized in pluralistic societies and the role of artistic media in the symbolic institutionalization and constitution of identity. Antonia Egel received her Ph. D. in German literature from Albert-Ludwigs-Universität Freiburg and is currently holding a Lise-Meitner- Position at Salzburg University. Main research fields: Modern European drama and theatre, especially the chorus as a figure between the individual and the collective, Austrian Literature, Inter-Arts-Studies. Her works include: Musik ist Schöpfung. Rilkes musikalische Poetik, Würzburg 2014; Freiträumen. Über Peter Handkes Schauspiel "Die Unschuldigen, ich und die Unbekannte am Rand der Landstraße" mit Abstechern zu Wim Wenders ’ "pina. Ein Film für Pina Bausch", in: Tobias Keiling/ Robert Krause/ Heidi Liedke (ed.), Muße und Moderne, Tübingen 2018, pp. 245 - 265; Wenn Bilder singen. Barnett Newmans Cantos, in: IYH 16 (2017), pp.96 - 106. Karsten Forbrig (Dr. phil.) is currently teaching Theatre, Literature and Translation within the “ classes préparatoires aux Grandes écoles ” at the École Centrale Nantes. His research interests are German Theatre and Cinema, Drama and Theatre in Language Education, Translation and Cultural Mediation. From 2014 until 2018 he managed and curated the international project “ Création & Crise ” that strengthened the cooperation between artistical practice, academic research and teaching at higher educational institutions. Simon Gröger, M. A., studierte Theaterwissenschaft und Philosophie an der LMU München. Derzeit promoviert er als Mitglied des Internationalen Doktorandenkollegs MIMESIS über Theaterästhetik und politische Dynamik in den Arbeiten Milo Raus, ebenfalls an der LMU München. Nicole Haitzinger is Professor at the Department of Art History, Musicology and Dance Studies at the University of Salzburg. Since 2019 she is part of the leading team of the FWF-funded project Border Dancing across Time P31958 (together with Sandra Chatterjee and Franz Anton Cramer) and scientific head of the inter-university doctoral program Science and Art; co-convenor of the university course Curating in the Performing Arts (with Sigrid Gareis in cooperation with the LMU, Christopher Balme). Selected publication: Resonanzen des Tragischen. Zwischen Ereignis und Affekt (Turia + Kant, 2015). Lore Knapp ist seit 2014 Akademische Rätin auf Zeit an der Universität Bielefeld und seit 2017 Mitglied des Jungen Kollegs der Akademie der Wissenschaften und der Künste Nordrhein- Westfalen. Sie studierte Neuere deutsche Literatur, Theaterwissenschaft und Musikwissenschaft an der Freien Universität Berlin sowie Violon- Forum Modernes Theater, 31/ 1-2 (2020), 222 - 224. Gunter Narr Verlag Tübingen cello und Musikpädagogik an der Universität der Künste Berlin. Im Rahmen der Friedrich Schlegel Graduiertenschule für literaturwissenschaftliche Studien promovierte sie über den Eingang des theologischen Denkens in literarische und performative Formen der Gegenwart sowie in die philosophische Beschreibung von Kunst. Ihr Habilitationsprojekt bezieht sich auf die Rezeption britischer Schriften in der Aufklärungsästhetik. Stella Lange received her doctorate at the Universities of Graz and Giessen in Romance Languages/ Comparative Literatures with a study about the manifestation of emotions in epistolary novels in the transition from the 18th to the 19th century (publisher Winter 2016). Since October 2016, she is a researcher in Italian Literature and Cultural Studies at the University of Innsbruck. Her post-doc research project, since October 2018 additionally funded by the Austrian Science Fund (FWF), deals with the narratives of the new and precarious Europe in contemporary theatre and migration cinema. Lucie Ortmann studierte Dramaturgie an der HMT Leipzig und anschließend Medienkulturanalyse an der Universität Düsseldorf. Sie arbeitet seit 2007 als Dramaturgin in den Bereichen Schauspiel und Tanz. Lucie Ortmann war Wissenschaftliche Mitarbeiterin des DFG-Projekts Verzeichnungen. Medien und konstitutive Ordnungen von Archivprozessen der Aufführungskünste der HMT Leipzig und des HZT Berlin. Sie ist Redaktionsmitglied des Online-Magazins map: media archive performance: http: / / www. perfomap.de/ . Tamara Yasmin Quick studierte Musiktheaterwissenschaft an der Universität Bayreuth sowie Dramaturgie an der Theaterakademie August Everding. Anschließend war sie Dramaturgin für Musiktheater und Ballett am Salzburger Landestheater, bevor sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin in das DFG Projekt „ Theatermusik heute als kulturelle Praxis „“ an die LMU München wechselte. Dort promoviert sie zu Live- Theatermusik im Gegenwartstheater. Weitere Zusammenarbeiten verbinden sie derzeit mit den Münchner Kammerspielen, dem Theater Koblenz und dem Münchner Rundfunkorchester u. a. Melanie Reichert studierte Philosophie an der Universität Trier und der Universität Kiel. Nach dem Studium war sie Assistentin in den Bereichen Regie und Dramaturgie an verschiedenen deutschen Theatern. Von 2015 - 2018 hatte sie Lehraufträge an der Muthesius Kunsthochschule Kiel inne. Sie ist derzeit wissenschaftliche Mitarbeiterin am Philosophischen Seminar der Universität Kiel, wo sie seit 2013 an ihrer Dissertation zur Bedeutung des Nichtverstehens bei Barthes, Brecht und Artaud arbeitet. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen in der Kulturphilosophie, Ästhetik und Epistemologie, wobei sie einen besonderen Akzent auf die Erforschung von Erscheinungsformen von Kritik und Subversivität legt. Julia Schade promoviert zur Darstellung von Temporalität und Geschichtlichkeit in den Arbeiten von u. a. Rabih Mroué und William Kentridge an der Goethe-Universität Frankfurt und ist Promotionsstipendiatin der Studienstiftung des deutschen Volkes. Sie arbeitete 2015 bis 2017 als wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Theaterwissenschaft in Frankfurt, war 2017/ 18 Gastdoktorandin an der Brown University und ist freie Dramaturgin. Sara Tiefenbacher studierte Theater-, Film und Medienwissenschaft sowie Slawistik (Polnisch) in Berlin, Wien und Wroc ł aw und arbeitet als Projektmitarbeiterin im Forschungsprojekt (FWF) ‚ Historiography - Ideology - Collection ‘ am Institut für Theater-, Film- und Medienwissenschaft der Universität Wien. In ihrem Dissertationsprojekt beschäftigt sie sich mit polnisch-österreichischer Theatermobilität, u. a. mit Inszenierungen der Werke Thomas Bernhards im polnischen Theater. Elisabeth Tropper is dramaturge and researcher in Literary and Theatre Studies. She is currently completing her dissertation project on Europe ’ s Hauntings in Contemporary Theatre at the University of Luxembourg, where she has an assistant position since 2014. The anthology Vorstellung 223 Autorinnen und Autoren Europa - Performing Europe, co-edited by her, was published by Theater der Zeit in 2017. Anna Volkland studierte Dramaturgie an der Hochschule für Musik und Theater Leipzig und Tanzwissenschaft an der Freien Universität Berlin. Ab 2008 arbeitete sie als Theater- und Tanzdramaturgin, u. a. am Bühnenstudio des Bauhaus ’ Dessau, am DNT Weimar oder am Theater Osnabrück, wo sie 2011 auch den Theater der Zeit-Rechercheband Die neue Freiheit zum bulgarischen Theater nach 1989 mitherausgab. Seit 2014 ist sie wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Theorie und Geschichte des Theaters an der Universität der Künste Berlin; ihr Promotionsprojekt recherchiert und beschreibt ‚ Institutionskritik im deutschen Stadttheater ‘ seit den späten 1960er-Jahren in der BRD und der DDR bis in die jüngste Vergangenheit. Meike Wagner ist Professorin für Theaterwissenschaft an der Universität Stockholm und forscht zu zeitgenössischem Figurentheater, Performancekunst, Medialität, Öffentlichkeit, Theater im 18. und 19. Jahrhundert. Sie habilitierte an der LMU München mit der Schrift Theater und Öffentlichkeit im Vormärz. Berlin, München, Wien als Schauplätze bürgerlicher Medienpraxis (Berlin 2013) und promovierte an der Universität Mainz mit der Dissertation Nähte am Puppenkörper. Der mediale Blick und die Körperentwürfe des Theaters (Bielefeld 2003). Sie war an den Universitäten Mainz und München als Theaterwissenschaftlerin tätig. Marten Weise promoviert an der Goethe-Universität Frankfurt a. Main zum Thema „ Dialog und Dialogizität “ . 2016/ 17 dort wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Theaterwissenschaft, seitdem Lehrbeauftragter. Aufsätze zu Kafka, Mad Men, Melville, Michaux (im Erscheinen), Nietzsche; Mitherausgabe von Kafka und Theater (Thewis 2017). Johanna Zorn (Dr. phil.) ist Theater-, und Literaturwissenschaftlerin. Derzeit ist Sie als Akademische Rätin am Institut für Theaterwissenschaft der LMU München tätig, wo sie unter dem Arbeitstitel „ Im Maßstab 1 zu 1 - Ästhetische Aporien der Deckungsgleichheit “ an ihrer Habilitation arbeitet. Ihre Schwerpunkte in Forschung und Lehre umfassen Theorie und Ästhetik des (experimentellen) Gegenwartstheaters, Diskurse medialer Relationen, Ästhetik und Kunstphilosophie sowie Fragen zu Theater und Gesellschaft. 224 Autorinnen und Autoren FORUM MODERNES THEATER begründet von Günter Ahrends (Bochum) herausgegeben von Christopher Balme (München) Schriftleitung: Berenika Szymanski-Düll (München) in Verbindung mit Evelyn Annuß (Wien),Wolf-Dieter Ernst (Bayreuth), Doris Kolesch (Berlin), Peter Marx (Köln), Martin Puchner (Cambridge, Mass.), Kati Röttger (Amsterdam), Gerald Siegmund (Gießen), Meike Wagner (Stockholm) und Matthias Warstat (Berlin) FORUM MODERNES THEATER erscheint zweimal jährlich. Das Jahresabonnement kostet € 72,-, das Einzelheft € 45,- (jeweils zzgl. Postgebühren).Vorzugspreis für private Leser € 60,- (zzgl. Postgebühren/ Lieferung und Rechnung an Privatadresse), sofern Sie dem Verlag schriftlich mitteilen, dass Sie die Zeitschrift ausschließlich für den persönlichen Gebrauch beziehen. Erfolgt keine Abbestellung bis zum 15. November, so verlängert sich das Abonnement automatisch um ein Jahr. Wir bieten zusätzlich ein kombiniertes Print- & Online-Abonnement sowie ein ausschließliches Online-Abonnement an. Bitte kontaktieren Sie den Verlag. Publikationssprachen: Deutsch, Englisch Für unverlangt eingesandte Manuskripte wird keine Gewähr übernommen. Die Richtlinien für die Eingabe von Manuskripten können unter http: / / www.meta.narr.de/ zeitschriften/ stylesheetfmth.pdf abgerufen werden. Eine Verpflichtung zur Besprechung unverlangt eingesandter Bücher besteht nicht. www.forum-modernes-theater.de Anschrift der Schriftleitung: Dr. Berenika Szymanski-Düll Ludwig-Maximilians-Universität Institut für Theaterwissenschaft Georgenstraße 11 80799 München fmt@lrz.uni-muenchen.de Rezensionsexemplare bitte senden an: Prof. Dr.Wolf-Dieter Ernst Theaterwissenschaft GW1 Zimmer 2.18 Universitätsstr. 30 95447 Bayreuth W.Ernst@uni-bayreuth.de Anschrift des Verlags: Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG, Dischingerweg 5, D-72070 Tübingen Fax +49 (0 70 71) 97 97 11,Tel. + 49 (0 70 71) 97 97 0 Internet: www.narr.de, eMail: info@narr.de Hannah Fissenebert Das Märchen im Drama Eine Studie zu deutschsprachigen Märchenbearbeitungen von 1797 bis 2017 Forum modernes Theater 1. Auflage 2019, 313 Seiten €[D] 78,00 ISBN 978-3-8233-8314-7 e ISBN 978-3-8233-9314-6 Das Märchendrama stellt innerhalb der deutschsprachigen Dramatik eine eigene Tradition dar. Die Studie zieht erstmalig eine große Linie von der Romantik bis in die Gegenwartsliteratur. Die Relevanz dieses Korpus für die Dramenliteratur zeigt sich in den vielfältigen intertextuellen, reflexiv-kritischen Perspektiven und zeitgenössischen Fragestellungen der Märchenbearbeitungen. Methodisch verbinden sich medien- und gattungstheoretische Fragestellungen mit kultur- und sozialhistorischen Aspekten, um die bislang unterschätzte Verwandtschaft des Märchens mit dem Theater greifbar zu machen. THEATERWISSENSCHAFTEN Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG \ Dischingerweg 5 \ 72070 Tübingen \ Germany Tel. +49 (07071) 97 97-0 \ Fax +49 (07071) 97 97-11 \ info@narr.de \ www.narr.de FmTh_ZS_2015_31_02.indd 4,6 FmTh_ZS_2015_31_02.indd 4,6 21.01.2020 14: 20: 01 21.01.2020 14: 20: 01 enthält das Themenheft: Europe’s Staging - Staging Europe herausgegeben von Nicole Haitzinger und Stella Lange Forum Modernes Theater Inhalt: Heft 1 Christopher Balme (München) . Editorial 5 Aufsätze Meike Wagner (Stockholm) . Das Spiel der Liebhaber - Ästhetische Bildung im bürgerlichen Amateur-Schauspiel 7 Johanna Zorn (München) . Lange weilen können Maßlose Dauer und begrenzte Zeiterfahrung in einer Ästhetik des Durativen 26 Tamara Yasmin Quick (München) . Methodologische Diskurse der aktuellen Probenforschung - Zwischenbericht aus einer (noch jungen) Forschungsdisziplin in der Theaterwissenschaft 39 Birgit Peter (Wien) . Vorwort zu „Ich sehe was, was du nicht siehst “ Modi der Kritik 64 Melanie Reichert (Kiel) . Artaud, Barthes und der Mythos der Kritik Überlegungen zu den Bedingungen der Möglichkeit einer Verbindung von Theater und Kritik 65 Lucie Ortmann (Leipzig) . Das kritische Potential des Zeigens Brett Baileys Exhibit Series im / als Netzwerk visueller Wieder-Holungen 76 Sara Tiefenbacher (Wien) . Mobilität der Kritik am Beispiel von Holzfällen. Eine Erregung 90 Anna Volkland (Berlin) . „Brauchen Sie Kunst? Wenn ja: wozu? “ Institutionskritik im Stadttheater der BRD nach 1968 101 Marcel Behn (Bern) . Theaterwissenschaft als ethopoietische ‚feedback-Schleife‘ Überlegungen zu einer disziplinären ‚Sorge um sich‘ anhand von Gasparo Angiolinis Marionettenballett 113 Heft 2 · Themenheft: Europe’s Staging - Staging Europe Nicole Haitzinger (Salzburg) & Stella Lange (Innsbruck) . Europe’s Staging - Staging Europe 125 Lorenz Aggermann (Giessen) . Singspiel - A Proto-European Phenomenon? A contemporary practice of theatre, its genealogy and its potentiality 130 Antonia Egel (Salzburg) . ‘Pulse of Europe’ - FlashMob - Symphony Schiller’s Ode to Joy and Beethoven’s Ninth Symphony as Soundtrack at Public ‘Stagings’ of Europe 142 Nicole Haitzinger (Salzburg) . Europa: Resonances of the Mythological Figure in Contemporary Theatre 150 Stella Lange (Innsbruck) . Staging Transitory Europe Precarious Re-enactment Variations from Le Birgit Ensemble’s Memories of Sarajevo to Milo Rau’s The Dark Ages 160 Elisabeth Tropper (Luxembourg/ Trier) . Enter the Ghosts of Europe: Haunting and Contemporary Theatre 175 Karsten Forbrig (Nantes) . “Leaving and Remaining” - The Staging of Europe in the Work of Maxi Obexer 187 Michelle Cheyne (Dartmouth) . Leaving Lethe for the Bardo: Staging the Disembodied Voices and Silent Bodies of Lampedusa Migrants in the Underworld of Europe 198 Rezensionen Forum Modernes Theater ∙ Band 31 ∙ 2020 ∙ ISSN 0930-5874 2020 Band 31 FmTh_ZS_2015_31_02.indd 1,3 FmTh_ZS_2015_31_02.indd 1,3 21.01.2020 14: 20: 01 21.01.2020 14: 20: 01
