eJournals Forum Modernes Theater 22/2

Forum Modernes Theater
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Narr Verlag Tübingen
Es handelt sich um einen Open-Access-Artikel, der unter den Bedingungen der Lizenz CC by 4.0 veröffentlicht wurde.http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/1201
2007
222 Balme

Intermediale Dramaturgie

1201
2007
fmth2220117
Intermediale Dramaturgie Fallbeispiel: norway.today von Igor Bauersima Petra Maria Meyer (Kiel) Intermedialität ist zum gängigen Prinzip im Gegenwartstheater avanciert. Dabei hat sich ein Wechselspiel zwischen Theater und Radio, Film, Fernsehen, Video oder Internet auch als dramaturgisches Mittel etabliert. Der Titel meiner Ausführungen bezieht sich insofern einerseits auf eine zunehmende Anzahl dramaturgischer Konzepte, für die Intermedialität konstitutiv ist, und andererseits auf eine immer schon gegebene Praxis der Dramaturgie, die inter-medial, zwischen den Medien vermittelnd, operiert. Das Thema behandelt gleichsam einen wesentlichen Aspekt einer “Mediendramaturgie”, die in ihren Voraussetzungen zunächst zu klären ist. Im Anschluss werden die Überlegungen an einem Fallbeispiel verdeutlicht. Alte und neue Voraussetzungen Der Begriff Dramaturgie trägt das Gewicht seiner Geschichte, die untrennbar mit der Entwicklungsgeschichte der Dramentheorie verbunden ist. Doch diese Geschichte stellt keineswegs nur eine Belastung dar. Vielmehr erweist sie sich dort als Chance, wo der historische Wandel eines Verständnisses von Dramaturgie für die Theoriebildung fruchtbar gemacht wird. Schon die ersten Kategorien der Dramentheorie, die Aristoteles in seiner Poetik induktiv aus den zu seiner Zeit gegebenen Texten griechischer Tragiker ableitete, haben eine historisch variante Rezeption erfahren, die sich bis heute fortsetzt. Dass das aristotelische Verständnis des Dramas als “Nachahmung einer Handlung” in Personenrede mit bestimmter Raum- und Zeitstruktur zur dramentheoretischen Norm erhoben wurde, kann als Effekt der Wirkungsgeschichte seiner Schrift insbesondere seit der Renaissance bezeichnet werden. Umgewertet zu einer normativ-deduktiven Dramentheorie fungierte diese lange als Einengung dessen, was unter “Drama” zu verstehen sein soll. Gustav Freytags Die Technik des Dramas von 1863 ist in diesem Zusammenhang exemplarisch. Doch selbst dieser heute in vielerlei Hinsicht indiskutable Klassiker beginnt mit den einleitenden Worten: “Daß die Technik des Dramas nichts Feststehendes, Unveränderliches sei, bedarf kaum der Erwähnung”. 1 Die tradierten ‘Techniken’ des dramatischen Aufbaus sind veränderlich; sie reichen bis in die heutige Film-Dramaturgie hinein, so dass Jens Eder entsprechend für den populären Film bemerkt: Den Plänen von Autoren und Produzenten liegen intuitive und präskriptive Konzepte der Dramaturgie zugrunde. Diese setzen eine Traditionslinie fort, die von Aristoteles’ Poetik über die normativen Dramaturgien des 19. Jahrhunderts bis in unsere Zeit reicht. 2 Ebenfalls bis in die heutige Zeit hinein erhellend und wegweisend ist Gotthold Ephraim Lessings Hamburgische Dramaturgie von 1767. Eine rationalistische Aristoteles- Rezeption wurde ihm im 18. Jahrhundert zum Anlass, der überkommenen Lesart eine andere entgegenzustellen, die die Vorzüge der Dramenformen Shakespeares und Diderots herausstellt. Eine Rückbesinnung auf Historizität und eine historisch variante Eigengesetzlichkeit des Kunstwerks bei Lessing bahnte zudem den offenen Formen im Sturm und Drang einen dramaturgischen Weg. Forum Modernes Theater, Bd. 22/ 2 (2007), 117-140. Gunter Narr Verlag Tübingen 118 Petra Maria Meyer Entscheidend für den vorliegenden Gedankenbestand ist der Umstand, dass Lessing in seiner Sammlung dramaturgischer Beiträge den Begriff “Dramaturgie” prägte und ihn mit der Beschreibung des Aufgabenfeldes eines Dramaturgen als Theaterkritiker verband: “Diese Dramaturgie soll ein kritisches Register von allen aufzuführenden Stücken halten und jeden Schritt begleiten, den die Kunst, sowohl des Dichters, als des Schauspielers, hier tun wird”. 3 Wenn Lessing sein Engagement für eine aktuelle Theaterberichterstattung in der Hamburgischen Dramaturgie auch bald wieder aufgab, so lässt sich dennoch sagen, dass es ein Dramaturg schon zu Lessings Zeiten mit mindestens zwei Medien und zwei Aufgabenbereichen zu tun hatte: 1. Kritik und Analyse dichterischer Buchtexte, insbesondere von Kunst und Technik des Dramas als Teilbereich der Poetik und 2. Kritik, Analyse und/ oder praktisch-szenische Realisation von Stücken in Aufführungstexten des Theaters in Wechselwirkung mit der Ästhetik. In dieser Aufgabenstellung, ein kritisches Register aufzuführender Stücke anzulegen, ist implizit vorausgesetzt, dass der Dramaturg 3. Texte der Dichter hinsichtlich ihres Realisierungspotentials zu beurteilen vermag, dass er also auch ein Analytiker und Kritiker von Medientransformation sein muss. Im historischen Wandel veränderten sich die Schwerpunkte der dramaturgischen Tätigkeit. So wurde der Begriff ‘Drama’ lange Zeit vorrangig mit einer Geschichte verbunden, die der Darsteller im Darstellungsprozess unterstützte. Dann verlagerte sich das Geschehen in den Darsteller selbst hinein - der beispielsweise als Menschendarsteller im 18. Jahrhundert fungierte - um schließlich zu Beginn des 20. Jahrhunderts den Körper selbst als Bühne und jedes Medium als je spezifischen Inszenierungsschauplatz zu entdecken. Die Nutzung verschiedener medialer Inszenierungsebenen kann auch als Auswirkung der Sprachkrise und der sogenannten ‘Retheatralisierung des Theaters’ zu Beginn des 20. Jahrhunderts bezeichnet werden. Sie markierte den Anfang einer Emanzipation des Theaters vom Drama. Das Wort ist nicht länger wortführend. Der Klang der Stimme und die Geräuschhaftigkeit der Verlautbarung, Materialität und Medialität des Raumes, der Farben, des Lichtes werden ebenso zu dominanten, sinnlich wahrnehmbaren Sinnträgern, wie abstraktere Zeichensysteme des Aufführungstextes: insbesondere die Musikkomposition und die Tanzchoreographie. Die diversen turns, vom iconic über den performative und den acoustic bis zum medial turn, wurden von Künstlern bereits vollzogen, bevor die Theorien sie entdeckten und programmatisch einsetzten. Eine Veränderung von Wahrnehmungs- und Erfahrungsprozessen durch die neuen Medien Fotografie, Film, Radio und Fernsehen beeinflusste im 20. Jahrhundert das Schreiben auch fürs Theater. Gerade herausragende Beispiele unter den Dramatikern, die sich den üblichen Beschreibungskategorien der Dramentheorie entziehen und verstärkt mit dem Medienwechsel arbeiten, wie Samuel Beckett oder Bertolt Brecht, betonen den Einfluss neuer Medientechniken. Entsprechend ist die “nicht aristotelische Dramatik” (Lehmann) bei Brecht auch im Wechselspiel mit dem Film zu sehen: Die alten Formen der Übermittlung nämlich bleiben durch neu auftauchende nicht unverändert und nicht neben ihnen bestehen. Der Filmsehende liest Erzählungen anders. Aber auch der Erzählungen schreibt ist seinerseits ein Filmsehender. Die Technifizierung der literarischen Produktion ist nicht mehr rückgängig zu machen. 4 Eine solche “Technifizierung der literarischen Produktion” geht mit der wechselseitigen Intermediale Dramaturgie 119 Beeinflussung der Medien und einer Neupositionierung der Künste einher. Während sich der Film - nach Eder - am ‘geschlossenen Drama’ in der Theorie von Volker Klotz orientiert, das Unterhaltungsprogramm der Medien Film, Radio und Fernsehen durchaus einer dramatischen Fiktion analog der des ‘Theaters der Repräsentation’ folgt, entfernen sich experimentelle Kunstrichtungen von Figurenkonzeption, Handlung und Dialog als Konstruktionsdominanten dramatischer Fiktion. Diese bleiben jedoch in den dramentheoretischen Kategorien der allgemein und systematisch gehaltenen Handbücher der 80er Jahre des 20. Jahrhunderts von Platz-Waury über Pfister bis Geiger und Haarmann 5 richtungsweisend, so dass sie zu neuen Spielarten eines ‘Theaters der medienspezifischen Präsentation oder auch Artikulation’ nur eingeschränkten Zugang bieten. Bei Heiner Müller tritt beispielsweise die chorische Gestaltung einer Polyphonie der Stimmen an die Stelle des Dialogs, Elfriede Jelinek setzt ‘Sprachflächen’ gegeneinander. Wo im ‘Theater der Repräsentation’ gewöhnlich Konflikte zwischen Personen oder Interessengemeinschaften zum Ausgangspunkt einer Geschichte wurden, findet man in Aufführungstexten von Robert Wilson über Heiner Goebbels bis Stefan Pucher nicht selten Konflikte zwischen unterschiedlichen Medien oder medienspezifischen Artikulationsformen. Während der herkömmliche Dramentext als Vorlage zunehmend an Bedeutung verliert, entdeckt das Theater im 20. Jahrhundert andere Bezugstexte, philosophische ebenso wie alltägliche, monomediale Buchtexte ebenso wie filmische oder fernsehspezifische Texte. Insbesondere Vertreter des Tanztheaters setzen in ihren intermedialen Inszenierungen das Formen- und Bildrepertoire des Films und des Fernsehens bis hin zur Daily Soap ein, 6 die als ‘opera’ zunehmend auch in Interaktion mit der Oper auftritt. 7 In auffälliger Weise sind es intermediale Wechselspiele, die in den Medien Theater Radio, Film und Fernsehen oder auch in der Videokunst genutzt werden, um eine ‘repräsentative Darstellungskunst’ zu verlassen und der ‘dramatischen Fiktion’ Spielarten von ‘Anti-Fiktion’ entgegenzusetzen. Intermedialität fungiert als ästhetisch-innovatives Potential und als Strategie einer medialen Selbstinszenierung und -reflexion. Praxis und Theorie einer intermedialen Dramaturgie Als Denken und Versinnlichung von Mediendifferenzen ist Intermedialität Medienreflexion par excellence. Insbesondere durch Autoren und Künstler, die heute zunehmend im Medienwechsel agieren und schon aufgrund der Erfahrung in unterschiedlichen Medien intermediale Wechselspiele generieren, hat Intermedialität auch die Praxis des Dramaturgen entschieden verändert. Mediendramaturgie - wie sie beispielsweise in einer intermedial auch auf theatrale Aufführungssituationen und Performance ausgerichteten Radiodramaturgie praktiziert wird 8 - hat es entsprechend mit einem erweiterten Gegenstandsfeld zu tun, das sowohl monomediale Buchtexte in Form von Dramentexten, Hörspielmanuskripten, Filmskripten oder Drehbüchern umfasst, als auch Partituren, Notationen (auch Tonbandnotationen) sowie bildkünstlerische Konzeptionen und Entwürfe. 9 Der praktisch-szenische Bereich hat sich entsprechend auf plurimediale Aufführungstexte in den Medien Radio, Film, Fernsehen und zunehmend auch auf multimediale Internetszenerien ausgeweitet. Medienübergreifend treten intermediale Verfahren äußerst heterogen auf. Bleibt zu fragen, welche Wissenschaft sich einer solchen Mediendramaturgie annehmen kann. Das plurimediale Feld heutiger Dramaturgie widersteht ja jedem historischen oder typologisch engen, normativen Gattungsverständnis und jeder Sicht von nur einem Medium aus. 120 Petra Maria Meyer Seit Beginn ihrer institutionalisierten Fachgeschichte 1923 in Berlin unter der Leitung von Max Herrmann gehört die Ausbildung zum ‘Dramaturgen’ zu den vorrangigen Zielen der Theaterwissenschaft. Als Kreuzungspunkt der Disziplinen, als “Kunst-, Kultur- und Medienwissenschaft” bietet die Theaterwissenschaft auch für eine Mediendramaturgie wichtige Grundlagen. Ist Mediendramaturgie somit als Domäne der Theaterwissenschaft zu bezeichnen? Das wäre eine unzulässige Vereinseitigung. Vielmehr bedarf das theaterwissenschaftliche Beschreibungs- und Analyseinstrumentarium dort, wo es um die notwendige Neuorientierung hin zur Mediendramaturgie geht, einer Erweiterung, die durch eine Orientierung an einer die traditionelle Dramaturgie modifizierenden Filmdramaturgie, aber auch an der Hörspiel- und Fernsehspieldramaturgie zu leisten wäre. Mediendramaturgie ist natürlich auch - und vor allem - die innere Dramaturgie der Sendungen und der Produktionen. Die gerade im Theater viel diskutierte Produktionsdramaturgie - für Hörspiel und Fernsehspiel ist sie schon seit langem selbstverständlich. Die direkte Mitarbeit an der Produktion gehört für den Hörspieldramaturgen fast immer selbstredend mit zu seiner Arbeit und oft führt der Hörspieldramaturg auch Regie. […] Von daher ist es eigentlich erstaunlich, daß sich das Berufsbild des Dramaturgen nicht viel stärker an der Berufspraxis des Hörspiel- und Fernsehspieldramaturgen mit ihren weitreichenden Kompetenzen ausgerichtet hat. 10 Mediendramaturgie ist in diesem von Knut Hickethier bereits 1985 formulierten Verständnis Dramaturgie der Produktion und Programmgestaltung, der Analyse und Produktion von ästhetischen Konzepten, der Markierung medialer Gattungen, der Herausarbeitung von thematischen und historischen Reihen. Die Spielplandramaturgie des Theaters verschiebt sich hier zu einer Programmdramaturgie, die nach jüngsten Tendenzen rückgängig ist. Eine Bestandsaufnahme des “medialen Strukturwandels” führte schon 1999 zu der Diagnose, daß die moderne Gesellschaft, die wesentlich auf der Programmatik ihrer Programme und deren Durchsetzung beruht, dabei ist, die ‘programmatischen Grundlagen’ für die bisherige Strukturierung ihrer (ökonomischen, kulturellen, politischen etc.) Ereignisse aufzulösen in eine neue universelle Dynamik ihrer Informations-Medien. 11 Mit dem Wechsel vom Werk zum Ereignis zeichnet sich eine Abkehr vom strukturierten Strom der Medienangebote ab, von dem nur noch seltene Themenabende übrig bleiben. Das Radio entwickelt sich gegenwärtig vom Programmzum Designradio. 12 In den Bereichen Fernsehen und Internet wird die zappende Suche in einem immer weniger ästhetisch-inhaltlich strukturierten Angebot, das dagegen zunehmend an kommerziellen Interessen (wie maximale Wiederverwertung etc.) orientiert ist und auf einem medial erweiterten Markt auf den Warenwert beschränkt wird, zum beherrschenden Rezeptionsprinzip. Nicht zuletzt wegen der komplexen Möglichkeiten, intermediale Verfahren zur Medienreflexion auch hinsichtlich solcher Entwicklungen einzusetzen, lassen sich in den wechselseitig verknüpften Bereichen der Theater,- Radio-, Film- oder Fernsehdramaturgien immer mehr intermediale Konzepte finden. Intermedialität avancierte als Meta- Medialität im Sinne der Selbstreflexion medialer Mittel und institutioneller wie kultureller Rahmenbedingungen zum bevorzugten Arbeitsfeld der Künste und zum zentralen Theoriefeld der Medienwissenschaften. Es erstaunt insofern, dass eine intermediale Dramaturgie als theoretisches Modell bislang nicht vorliegt. Zur Analyse gegenwärtiger Dramaturgiekonzepte erscheint keine einzeldisziplinäre Perspektive mehr hinreichend. Dadurch mag dieses Desiderat verständlicher werden, das hier nicht getilgt werden kann. Intermediale Dramaturgie 121 Vielmehr sollen durch einige Überlegungen weitere Untersuchungen angeregt werden. Die folgende exemplarische Analyse eines intermedialen Dramaturgiekonzeptes im Theater macht deutlich, dass ein traditionelles Instrumentarium der Dramentheorie für eine intermediale Dramaturgie notwendig und fruchtbar bleibt. Sie wird jedoch ebenso verdeutlichen, dass dieses Instrumentarium angesichts einer künstlerischen Praxis der Intermedialität nicht ausreicht. Der Begriff “intermediale Dramaturgie” muss somit 1. einem veränderten Gegenstandsbereich, 2. einer neuen medienübergreifenden Aufgabenstellung und 3. einer veränderten dramaturgischen Tätigkeit und der Notwendigkeit einer entsprechend modifizierten Analyse Rechnung tragen. Mit Fokus auf intermediale dramaturgische Konzepte wird im Folgenden von einem Verständnis von Dramaturgie als einem strukturellen und wirkungsästhetisch-strategischen Phänomen ausgegangen. Im Unterschied zu traditionellen Dramentexten bildet sich ein dramaturgisches Konzept häufig im intermedialen Produktionsprozess, so dass eine aufführungsbezogene dramaturgische Analyse geboten ist. Weil der “nicht mehr dramatische Theatertext” die deutliche Tendenz hat, Sinnkonstitution in die Inszenierung zu verlagern, wurde diese Konsequenz bereits berechtigterweise von Gerda Poschmann gezogen. 13 Besteht ein Dramentext nicht mehr vorgängig, sondern resultiert nachträglich aus der Produktion, lässt sich treffender von Produktions- oder Prozessdramaturgie sprechen. Hinsichtlich der Analyse von Phänomenen der Intermedialität erscheint es in diesem Zusammenhang sinnvoll, nicht nur zwischen medialen Inszenierungsebenen, 14 sondern auch zwischen akustischer Dramaturgie, 15 Wort-Dramaturgie und Bild-Dramaturgie zu differenzieren. Zur Wort-Dramaturgie seien ergänzend Ausführungen insbesondere zur vernachlässigten akustischen Ebene und zur Bild-Dramaturgie hinzugefügt. 16 Akustische Dramaturgie Seit der griechischen Tragödie, die keinesfalls so einseitig dem Primat des Optischen unterlag, wie manche glauben machen wollen, 17 wandten sich die Künste des Theaters immer auch an ein Auditorium, das mit einer wirkungsstarken akustischen Dimension aus Sprache, Musik und Geräusch sowie einer chorisch gesteigerten, rhythmisch intensiven, appellativen und emotiven Kraft von Stimmen konfrontiert wurde. Bezogen auf einen “acoustic turn” 18 im Theater des 20. Jahrhunderts seien nur zwei markante, bereits erwähnte Beispiele angeführt: In Theaterstücken von Elfriede Jelinek wird Sprache zum Hauptdarsteller und rückt derart ins Zentrum, dass sie nicht mehr nur Dienstleister der Kommunikation ist, sondern zu deren eigentlichem Zweck avanciert. Dadurch wird Sprache inszenatorisch zu gestaltendes Material für Regisseure wie Einar Schleef, der sie als akustische Verlautbarung in der Zeit überaus musikalisch nutzt. Durch genaue stimmliche Instrumentierung brachte er Dialogizität in jeden Monolog ein und durch chorische Intensität Vielstimmigkeit in jedem Dialog auf die Theaterbühne. 19 Während Regisseure wie Schleef die antike chorische Tradition in eigenständiger Weise wieder aufgreifen, nutzen Regisseure wie Robert Wilson Strategien der Akustischen Kunst oder des Sound-Designs im Film. Sprechstimmen werden lautpoetisch, Singstimmen gestisch und Klang-Objekte wie akustische Skulpturen auf der Hörbühne ausgestellt, indem Wilson sie als “objets sonores” humorig inszeniert. Überlaute und/ oder verfremdete Geräusche fungieren als dramaturgische Höhepunkte, die die 122 Petra Maria Meyer Handlung von Figuren gleichsam umwerten. Entsprechend betont der Regisseur: “Was ich mache, betrachte ich als eine Art ‘optische Musik’”. 20 Zur Realisation dieser “optischen Musik” geht er bezeichnenderweise immer wieder Kooperationen mit Musikern und Komponisten von Philipp Glass über Hans- Peter Kuhn bis Tom Waits ein. Wilsons immer wieder als “Bilder-Theater” charakterisierte Kunst ist auch akustisches Theater. Im Gegenwartstheater spielt die akustische Inszenierung dramaturgisch auf allen Ebenen eine Rolle. Sie fungiert als Zeit- und Raumstrukturierung, wird zur Figurencharakterisierung, zum Stimmungsaufbau und zur Atmosphärengestaltung oder Spannungserzeugung genutzt. Vergleichbar mit der Dolby-Surround-Technik im Kino kann auch im Theaterraum eine Klanggestaltung vorgenommen werden. Durch spezielle Platzierung von Lautsprechern lässt sich der Zuschauerraum in einen Hörraum verwandeln und der Zuschauer in eine akustische Szene integrieren, die ihn intensiv affizieren kann. Sound-Design 21 ist heute auch für Theater konstitutiv, und ein “Sound-Plot” gehört immer häufiger zum Dramaturgie-Konzept. Leitmotive, Keysounds, Klangfarbengestaltung etc. sind strategisch genutzte Inszenierungs-Elemente der Dramaturgie. Bild-Dramaturgie Weniger konkurrierend als vielfältig verbunden mit einem “acoustic turn” ist auch ein deutlicher Dominantenwechsel vom Wort zum Bild zu verzeichnen. 22 Künste- und medienübergreifend tritt das “Bildliche” in den Vordergrund. In intermedialen Wechselspielen werden verschiedene Bildmedien strategisch in unterschiedlicher Weise verwendet und wirkungsästhetisch zusammengeführt. Dabei werden unterschiedliche Bildverwendungsmöglichkeiten gleichzeitig genutzt. Die spezifische Art der Nutzung prägt den Stil des Regisseurs. Der Stil markiert in diesem Sinne die jeweilige Sichtweise sowohl des Künstlers als auch des Mediums, d.h. die medienspezifische Konstruktionsweise. Er stellt nichts weniger als “die Bedingung der Möglichkeit dar, um mit einem Bild überhaupt etwas zeigen zu können”. 23 Da der Bild-Stil wie das Bild selbst wesentlich sichtbar ist, verleiht er Bildern nach Lambert Wiesing ihre Besonderheit, die darin liegt, “daß sie nicht nur Sprachen verwenden, um etwas zu zeigen, sondern daß sie durch das Zeigen, immer auch die Sprachen, mit denen sie arbeiten, selbst zeigen”. 24 Innerhalb der ‘Theaterlandschaft’ lassen sich so unterschiedliche Szenographen wie Achim Freyer und Robert Wilson oder wie Tadeusz Kantor und Jan Fabre angesichts unterschiedlicher Bildverwendungen und Stile kaum unhinterfragt unter einem Begriff des “Bilder-Theaters” subsumieren. 25 Vielmehr besteht in diesem Zusammenhang ein deutlicher Bedarf, die unterschiedlichen Funktionen, die Bilder und intermediale Wechselspiele von Bildmedien in den Dramaturgien dieser Künstler haben, weiter auszudifferenzieren 26 . Eine diesbezügliche Analyse lässt sich nur bezogen auf den jeweiligen Einzelfall vornehmen. norway. today von Igor Bauersima 27 Igor Bauersima gehört zur wachsenden Gruppe von Autoren und Regisseuren in Personalunion, die im Medienwechsel arbeiten 28 . Häufig geht eine ‘Videophase’ den Theaterproben voraus und Video variantenreich in das Theaterstück ein. Filmtheater Bezogen auf seinen Umgang mit Bildmedien und seinen (impliziten) Bildbegriff spricht Bauersima selbst in Anlehnung und Ab Intermediale Dramaturgie 123 Abb. 1 Aus: Igor Bauersima, norway.today, Foto: Sonja Rothweiler © 124 Petra Maria Meyer wandlung eines Diktums von Jean-Luc Godard von “Filmtheater” als einem “Instrument zum Denken” 29 . Das damit verbundene Verständnis von Film lässt sich somit am ehesten filmphilosophisch formulieren. Film wird philosophisch nicht mehr als etwas verstanden, das die Welt abbildet, vielmehr wird er als Medium reflektiert, das Welt im Modus der Bewegung, der Zeit und des Bildes beobachtet, begreift, problematisiert und selber herstellt. Filmisches Denken bedenkt sich dabei selbst, wird sich selber denkendes Denken. Eine selbstbezügliche Reflexion im filmischen Modus verleiht dem Film ebenso wie dem selbstreferentiell sich reflektierenden Theater philosophisches Potential, das insbesondere Gilles Deleuze in seinen Kino-Büchern herausgearbeitet hat. 30 Die kinematographische Maschinerie wird entsprechend nicht nur als technischer, sondern auch als Wahrnehmungs- und Denkapparat verstanden. Mit dieser Umwertung ist auch ein anderer Bild-Begriff verbunden, den Gilles Deleuze in Auseinandersetzung mit den Fersehfilmen Samuel Becketts formuliert: “Und eben das ist das Bild: nicht eine Darstellung des Gegenstands, sondern eine Bewegung im geistigen Bereich”. 31 Wird das Bild derart nicht mehr als Objekt, sondern als Prozess verstanden, so gestaltet sich dieser Prozess von Beckett bis Bauersima insbesondere intermedial. Für Bauersimas intermediale dramaturgische Konzepte ist zudem das Ausgehen von einer immer schon mediatisierten Wirklichkeit und der gegenseitigen Durchdringung von Wirklichkeit und Fiktion kennzeichnend. Durchdringung von Wirklichkeit und Fiktion Dem Theaterstück liegt ein Fundstück aus dem immer schon mediatisierten Alltagsleben zugrunde. Ein Bericht in Der Spiegel über den gemeinsamen “Freitod” zweier Jugendlicher hat den Autor und Regisseur inspiriert. Dem Artikel zufolge wurde diese Selbsttötung bei der Begegnung in einem Internet-chatroom geplant, diesem neuen showroom der Maskenspiele, in dem jeder vorgeben kann, zu sein, was er nicht ist. Die “Geschichten aus der wirklichen Welt”, die Bauersima durch die Kritik zugeschrieben werden, sind Geschichten einer mediatisierten Wirklichkeitswahrnehmung und einer ubiquitären Tyrannei des ‘Als-ob’, die insbesondere das Theater zu reflektieren vermag. Doch der Status des Theaters ändert sich in Relation zu anderen Medien, die historisch variant auftreten. Gegenwärtig ist das Internet der neueste Faktor im Medien-Ensemble, von dem Bauersimas intermediale Dramaturgie ausgeht. Der Autor-Regisseur greift das Lebensgefühl der Internet-Generation auf, um Gegenwartstheater zu machen. Die neue Unsicherheit, die dadurch entsteht, dass man es nicht mehr mit Handfestem, sondern mit nur bedingt Überprüfbarem zu tun hat, mit purer Information, die manipulierbar, vortäuschbar ist, bedingt nach Bauersima eine neue Lebenslethargie. Dass man sich auf unsere Sinnesorgane, unsere Erkenntnismöglichkeiten nicht verlassen könne, dass alles wackelig sei und unklar. Eine negative, düstere, aber leider dominierende Sicht der Dinge. Wenn die Sicherheit aber nur noch darin besteht, dass alles unsicher ist, dann führt das zu einem merkwürdig lethargischen Zustand. 32 Ganz so neu klingt diese Thematik freilich nicht. Vielmehr lässt sich die Wiederkehr einer alten Frage nach der Differenz zwischen Sein und Schein, Wirklichkeit und Fiktion oder Wirklichkeit und Simulation hier vernehmen. Diese Oppositionsverhältnisse setzen ein Wissen davon voraus, was Sein oder was Wirklichkeit ist. Erst die Gewissheit darüber, welche Kennzeichen in einer bestimmten historischen Diskurs-Konstellation Wirklichkeit ausmachen, ermöglicht es, dem Schein, der Fiktion Intermediale Dramaturgie 125 die Prädikate der Wirklichkeit abzusprechen. Prämisse des Stückes ist jedoch die Unsicherheit über diese Prädikate. Schon Friedrich Nietzsche formuliert die Voraussetzung dazu: “Mit der wahren Welt haben wir auch die scheinbare abgeschafft”. 33 Nachdem die “wahre Welt zur Fabel wurde”, gehören frühere Leitdifferenzen zur “Geschichte eines Irrtums”. Nietzsche führt zugleich jedoch ein neues Kriterium der Bewertung ein: die lebensbejahende Kraft. In der Theorie des 19. und 20. Jahrhunderts wird die von Bauersima angesprochene Unsicherheit von Friedrich Nietzsche bis Wolfgang Iser reflektiert. Hat Nietzsche herausgestellt, dass die Grundlagen dessen, was wir wahr oder wirklich nennen, fiktiv sind, so hat Iser verdeutlicht, dass es im Fiktiven sehr viel Realität gibt. Das Fiktive partizipiert am Realen und am Imaginären. 34 Bauersima bindet somit eine grundlegende Unsicherheit an das Lebensgefühl heutiger Jugendlicher. Dadurch gelingt ihm auch auf sprachlicher Ebene eine Aktualisierung dieser philosophisch wichtigen Thematik. “Fake” als Leitmotiv Der aus dem Produktionsprozess resultierende Text ist auf der Ebene der Wort-Dramaturgie durch einen auch medientheoretisch relevanten Schlüsselbegriff geprägt: “Fake”. Dieser Begriff, der im englischen Sprachraum ein breites Bedeutungsfeld umfasst, das von ‘nachmachen’, ‘fälschen’, ‘zurechtmachen’ bis zu ‘vortäuschen’ reicht und in der substantivierten Form ‘Schwindel’ und ‘Fälschung’ ebenso wie ‘Schwindler’ und ‘Schauspieler’ bedeuten kann, wird im Kontext des Theaterstückes performativ ganz in Nietzsches Sinne in eine doppelte, paradoxale Operation eingebunden. Die Protagonisten des Stückes, 35 Julie (Birgit Stöger) und August (Christoph Luser), bezeichnen nicht lediglich etwas als “Fake”, sondern heben “Fake” stets als Relationsbegriff von etwas ab, das nicht “Fake” ist und deshalb als echt oder wirklich bezeichnet werden kann. Wird die Fixierung auf ein Original als wünschenswerter Modus der Repräsentation aufgegeben, hat die Fälschung, das “Fake” nicht mehr unbedingt negative Bedeutung, sondern eventuell auch lebensbejahende, wirklichkeitskonstitutive Kraft. In diesem Sinne kann auch folgende Feststellung von Julie verstanden werden: “Fake muß offenbar nicht immer Fake sein. Fake kann total echt sein, manchmal”. 36 Auch der Hauptreferenzautor des performative turn, John L. Austin, geht davon aus, dass Wirklichkeit ein Relationsbzw. Kontrastbegriff ist, der historisch und situativ variant und immer wieder neu auszuhandeln ist: Die Funktion von ‘wirklich’ ist nicht die, einen positiven Beitrag zur Charakterisierung irgendeines Dinges zu liefern, sondern, die möglichen Beziehungen auszuschließen, in denen etwas nicht wirklich sein kann - und diese Möglichkeiten sind sowohl sehr zahlreich für bestimmte Dinge wie auch ganz verschieden für Dinge verschiedener Art. 37 Die Infragestellung des originalen Werkes, der singulären Schöpfung und Autorschaft hat sowohl eine einschneidende Umstrukturierung in der künstlerischen Praxis seit den 1960er Jahren als auch einen Paradigmenwechsel in der Kunsttheorie bewirkt. 38 Fälschung erweist sich künste- und medienübergreifend häufig als demaskierende Strategie. 39 Im Zeitalter einer aufgrund medientechnologischer Neuerungen zunehmend unbeschränkten Produzierbarkeit (nicht nur Reproduzierbarkeit) von Wirklichkeit führt die künstlerische Praxis des “Fake” einen neuen Rezeptionsrahmen ein, in dem auch Bauersima das ‘Als-ob-Theater’ auf der Theaterbühne zugunsten eines intermedialen Erfahrungsraumes von Verhaltensweisen auflösen kann. Aus dieser Perspektive erweist sich auch der Rückgriff auf einen vermeintlich nicht- 126 Petra Maria Meyer fiktionalen Zeitungstext als Strategie des Regisseurs Bauersima. Der fiktionale Theatertext bezieht sich in diesem Sinne problematisierend auf Wirklichkeit und ermöglicht über fingierte Variationen, Aspekte zu reflektieren, die im Falle einer bloßen Wiederholung der Wirklichkeit unberücksichtigt bleiben würden. 40 Bei der dramaturgischen Strukturierung wird die vorgefundene Organisation der Elemente entsprechend umstrukturiert, durch Selektion und auch durch mediale Neukombination inszeniert. Als selektierte Elemente sind hier die beiden Protagonisten, der Schauplatz, aber auch die Medien, die sie nutzen, zu bezeichnen. Diese werden in ihren medienspezifischen Eigenheiten und Funktionalisierungen im Theaterstück sichtbar gemacht. Bei der Medientransformation war Bauersima bemüht, die lebendige Kraft des alltäglichen Bezugsfeldes nicht zu verlieren und auch auf der Ebene der Figurenkonzeption eine Durchdringung von Medien und Wirklichkeit zu gewährleisten. Schon während des Schreibens seines Stückes norway.today hat sich der Autor und Regisseur in diesem Sinne eine spezifische Besetzung gewünscht. Es sollte ein Schauspielerpaar sein, das auch privat zusammen ist und - an Godard erinnernd - das eigene Leben als produktive Gestaltungskraft einbringt: “Ich will nicht abstrakt schreiben, ich muß mit den Leuten, die das spielen, zusammen sein, wenigstens in Gedanken” 41 . Bauersima verbrachte mit Birgit Stöger und Christoph Luser, den Schauspielern, die Julie und August in der Düsseldorfer Inszenierung von norway.today verkörperten, ein Wochenende in Zürich, bevor er weiterschrieb. Eine solche Praxis unterstützt schon im Schreibprozess sowohl eine Durchdringung von Wirklichkeit und Fiktion als auch eine von Dramaturgie und Inszenierung und erweist sich in der Bühnenrealisation als programmatisch. Auf der Bühne wird Theaterspiel von Beginn an als Fälschung thematisiert. Das Meta-Theater von Bauersima macht unter dem Stichwort “Fake” die basale Kategorie des Theaterspiels selbst zum Gegenstand: die Darstellung. Intermedialität wird in diesem Zusammenhang auch als Verfahren der Darstellung von Darstellung und der Inszenierung von Inszenierung eingebracht. Dadurch wird die Aufmerksamkeit auf die medienspezifische Art und Weise der Darstellung gelenkt und insbesondere über den Kamerablick als Paradigma einer veränderten Wahrnehmung seit der Moderne fokussiert. Dieser wird durch die Videokamera und damit verbundene Bildkontrollmöglichkeiten geführt. 42 Die intermediale Dramaturgie steht hier im Dienst verschiedener Spielarten einer Inszenierung des Ich von der ersten Selbstperformance einer Lebensüberdrüssigen im Internet über die Inszenierung des Ich als Selbstkonstitution für die Anderen (hier: die Angehörigen) via Video bis hin zur Mimikry eines Filmstars und weiter zur Mimesis als Erfindung des Möglichen auf der Videoleinwand. Die folgende Analyse der Inszenierung wird das thematische und dramaturgische Konzept transparenter machen. Exposition Für den Dramatiker ist die Raumkonzeption von jeher entscheidend; bei einem Autor und Regisseur, der aus dem Bereich der Architektur kommt, darf man der Spannung zwischen realem Bühnenraum, einem durch den dramatischen Text evozierten, fiktiven Schauplatz und einem mittels Video inszenierten, virtuellen Bildraum ganz besondere Aufmerksamkeit schenken. Das Stück beginnt auf der leeren Bühne, an einem ‘Unort’, mit einem reduzierten Geschehen vor einer flimmernden Videoleinwand, deren weißes Rauschen alle Möglichkeiten offen lässt. Dadurch bringt sich das Medium selbst zur Ansicht, das noch zu keiner Form gefunden hat bzw. als Medium Intermediale Dramaturgie 127 selbst in der Störung erkennbar wird. 43 Der offene Bühnenraum ist nicht nur zum Virtuellen hin geöffnet, sondern er öffnet sich von Beginn an auch der Wirklichkeit des Theaters, dem Zuschauerraum. Schon während des Einlasses, wenn sich der Zuschauerraum langsam füllt, sitzen Birgit Stöger und Christoph Luser im Zuschauerraum. Sie treten somit aus dem Kreis der Zuschauer, aus der Menge heraus, ins Rampenlicht. Geradezu programmatisch in Hinsicht auf den Themenschwerpunkt des Stückes wird auf diese Weise die zwischen Bühne und Zuschauerraum verlaufende Grenze zur Fiktionalität durchbrochen und die Schranke, durch die Zeichen und Wirklichkeit einander ausschließen, in Frage gestellt. Birgit Stöger tritt in der Rolle der Julie, in Jeans und einem T-Shirt mit aufgedruckter Internetadresse (julie@home.shirt), als erste auf die Bühne. Sie adressiert ihre Worte direkt an die Zuschauer, die sie als User anspricht. Dadurch werden Bühne und Zuschauerraum zu einem chatroom verbunden. Diese Umcodierung lässt sich auch auf eine gemeinsame Eigenschaft von Internet und Theater stützen: Beide sind Medien von Maskenspielen in einer Inszenierungsgesellschaft, die nach Jean Baudrillard im Zeichen einer “Agonie des Realen” agiert. Mit der Formulierung “Agonie des Realen” markiert Baudrillard die Folgen einer Repräsentationskrise. Es habe sich eine folgenreiche Gegenkraft zur Repräsentation entwickelt: die Simulation: Ausgangspunkt der Repräsentation ist ein Prinzip der Äquivalenz zwischen Zeichen und Realem […]. Ausgangspunkt der Simulation dagegen ist die Utopie des Äquivalenzprinzips, die radikale Negation des Zeichens als Wert, sowie die Umkehrung und der Tod jeder Referenz. 44 Gerade am Beispiel des Mediums Computer, in dem jeder sein kann, wer er sein will, ohne auf Äquivalenz zwischen Zeichen und Realem achten zu müssen, wird deutlich, dass eine Differenz zwischen echt und falsch auf diesem Schauplatz nicht mehr gegeben ist. Im Internet kann sich jeder einen avatar zulegen, jeder in jede Rolle schlüpfen. Er nutzt seine persona-Maske weniger als Instrument der Verstellung denn als Instrument der Generierung eines Doppelgängers, eines Simulakrums seiner selbst. Insofern ermöglicht das Medium Computer eine gesteigerte Theatralisierung sozialer Kontakte in neu mediatisierter Wirklichkeit, die an das 17. Jahrhundert erinnert. Was Renate Lachmann für diese Zeit bemerkt, lässt sich auf das 21. Jahrhundert übertragen: Das Simulakrum gibt Ähnlichkeit vor, ohne abzubilden, statt mimetischer Stellvertretung tritt ein Verdopplungsmechanismus ein, eine falsche Doppelgängerei, die das Modell nicht vorordnet, sondern nebenordnet (es gibt weder Urbild noch Abbild oder: indem es nicht mehr repräsentiert werden kann, wird auch das Urbild zum Trugbild). 45 Der Verlust der Differenz von Urbild und Abbild bedingt eine Flut von fiktionalen Bildern, die Lachmann als “Ähnlichkeitstheater” bezeichnet, “[…] ein Ähnlichkeitstheater, in dem jedes Ding zum Phantom eines beliebigen anderen Dings werden kann, die Dinge bebildern sich gegenseitig”. 46 norway. today gibt zu bedenken, dass die “Agonie des Realen” im alltäglichen “Ähnlichkeitstheater” reale Konsequenzen haben kann. Im evozierten ‘anderen’ Schauplatz des Internet, einem empty space, von dem man nicht weiß, wie voll er ist, äußert Julie ihr “Unbehagen an der Kultur”, ihre Absicht, sich das Leben zu nehmen. “Ich passe nicht unter die Menschen”, gesteht sie, ähnlich wie ehemals Heinrich von Kleist, der in einem Brief an Henriette Vogel schrieb, “dass (ihm) auf Erden nicht zu helfen ist”. Zusammen mit ihr nahm er sich 1811 das Leben. Wie Kleist will auch Julie nicht alleine aus dem Leben gehen; so sucht sie im Internet einen Partner für den Suizid; eine moralisch zweifelhafte Tat, die durch die Anstiftung eines Anderen zur Straftat wird. Christoph Luser in der Rolle des 128 Petra Maria Meyer August meldet sich aus dem Zuschauerraum und erklärt sich zu dieser Unternehmung bereit. 47 August teilt mit Julie das Unbehagen an einer dominanten Zeiterscheinung: dem “totalen Fake”. Da er nichts mehr als echt erlebt, empfindet er “das Gefühl des Nichts als echtestes Gefühl.” Nach ihrem chat steht der Freitod als letzte Möglichkeit der “Unmöglichkeit eines echten Lebens im Falschen” (Adorno) im offenen Raum. Julie tritt mit einem doppelten Anspruch auf. Einerseits will sie besonders originell sein, ihren ganz eigenen Weg gehen, nämlich ganz nüchtern, geradezu glücklich, ohne depressiv zu sein, den frühen Freitod wählen. “Es gibt nicht viele Leute, die den höchsten Akt des Lebensvollzuges begreifen, also verstehen, was ‘sich selbst aus der Welt schaffen’ heißt, für die Würde eines Menschen”. 48 Sie präsentiert sich in ihrer Internet-Selbstdarstellungsperformance als jemand, der von der Regel derjenigen abweicht, “die in irgendwelchen sinnstiftenden, lebenserhaltenden Hirnkonstrukten gefangen sind”. 49 Zudem stellt sie sich als Außenseiterin dar, die nicht unter Menschen passt, nicht einmal unter lebensmüde. Die Begründung ihres Unbehagens an Kultur und Gesellschaft ist bezeichnend: “Die Notwendigkeit, eine Rolle zu spielen, und ein innerer Widerwillen dagegen machen mir jede Gesellschaft lästig, und froh kann ich nur in meiner eigenen Gesellschaft sein, weil ich da ganz wahr sein darf”. 50 Im Internet präsentiert sie sich dementgegen in Anpassung an eine medialisierte Wahrnehmung mit Verweis auf filmische Vorbilder. Auf die Frage von August nach ihrem Aussehen, erwidert sie: “Wie Natalie Wood. Wie Natalie Wood vor dem Ertrinken”. 51 Wie ein Star, wie die Schauspielerin, die durch ihre Rolle im berühmten Jugendkultfilm Denn sie wissen nicht, was sie tun / Rebel without a Cause (1955) berühmt wurde und deren Tod ein Rätsel blieb, stellt sie sich verbunden mit einem sprechenden intertextuellen Verweis dar, auf den ich zurückkommen werde. Selbstwahrnehmung ist längst schon von Fiktionen durchtränkt, Verhalten an kulturellen und modischen Praktiken, an Vorbildern und Modellen aus den Medien orientiert. 52 Auf der Theaterbühne wird diese Fiktion - von Anfang an doppelbödig - an die Wirklichkeit einer Schauspielerin gebunden, die Julie spielt, und die hier als - freilich eine andere - Schauspielerin wahrgenommen werden will. Selbstreflexion des Schauspielerstatus, der Verkörperung des “Fake” einerseits, der demaskierenden Maskierung andererseits, markiert die metatheatrale Ebene des Aufführungstextes. - Augusts Reaktion auf Julies Vergleich ist bezeichnend: Ich bin sicher, die sah gut aus, vor dem Ertrinken. Ich stell mir vor, die hatte ein Scheißleben, so als Schauspielerin. Alles immer der totale Fake. Falsche Wände, falsche Böden, falsche Leute, nichts ist echt, und ständig sagt dir wer, was du zu tun hast. Das hält doch keiner aus. Da bleibt dir doch die Luft weg. Ich glaube, als die begriffen hat, dass sie gleich ertrinkt, da hat die echt aufgeatmet. So als Schauspielerin. Ich meine…nein, im Ernst. Das hat was Befreiendes. 53 Dramaturgische Implikationen der Exposition Die Ebene der Wort-Dramaturgie gewinnt durch gezielte Paradoxien ebenso an Komplexität wie die Figurenpsychologie. August wird später am überzeugendsten sein, wenn er sich die Worte und den Denkhabitus eines Anderen aneignet. Die Verlautbarung von Gelesenem lässt ihn authentisch wirken und stellt Identität als Produkt performativer Praxis aus. In der ersten Szene erfolgt eine implizitfigurale Charakterisierung über die Bekleidung und eine explizit-figurale Charakterisierung über sprachliche Eigen- und Fremd- Intermediale Dramaturgie 129 kommentare. Julie tritt herb, cool, abgeklärt, vermeintlich selbstbewusst und pragmatischzielstrebig auf. Sie kommt offensichtlich aus einem bildungsbürgerlichen, begüterten Hause, denn sie unterzieht ihren Gesprächspartner zunächst einer Prüfung. Er soll etwas zum Thema ‘Vernunft’ äußern. Da August sich an Immanuel Kant erinnert, erscheint er geeignet. August gibt sich belesen, tiefsinnig, eigenbrötlerisch, sensibel. Anfänglich wirkt er unsicherer als Julie. Es entsteht der Eindruck, dass er sich lediglich mitziehen lässt. Im Unterschied zum rauen Umgangston, den Julie anschlägt, ist er liebenswürdig, aber auch ausweichend, ein Typ, der nach Zuneigung und Gemeinsamkeiten sucht. Später stehen beide gleichberechtigt nebeneinander, ja August schafft es sogar Julie zu imponieren, die ihren Schutzschild zunehmend zurücknimmt. Die Figurenkonzeption ist dynamisch, die Psychologie der Figuren schnell zugänglich, die dramaturgische Funktion der Exposition klar erkennbar. Bauersima verortet das Geschehen in einem Internetchatroom, informiert den Zuschauer über die beiden Figuren des Stückes und führt in den handlungstreibenden Hauptkonflikt ein. Diese Exposition lässt sich gleichsam als Point of Attack bezeichnen, denn sie konfrontiert den Zuschauer in einem interessanten intermedialen Wechselspiel zwischen Internet und Theater mit den zentralen Problemen der Hauptfiguren, mit ihrer Entscheidung für eine vermeintliche Lösung und dem damit verbundenen Ziel ihres weiteren Handelns. Dadurch ist die zentrale Problematik des Stücks in einer die Imagination des Zuschauers anregenden Weise ausgestellt. In dieser spannungserzeugenden Exposition wird die Frage aufgeworfen, ob die Hauptfigur Julie zusammen mit einem zweiten, vermeintlich gleich gesinnten, gleich gestimmten Jugendlichen in den Freitod gehen wird, eine Frage, die in ihrem Potential zu erschüttern und in ihrer Reichweite nicht nur einen übergreifenden Spannungsbogen für das ganze Stück markiert, sondern die zwischenmenschliche Lebenssituation des Zuschauers mitbetrifft. Die dramaturgische Anlage korrespondiert hier deutlich einem für den populären Film typischen Konzept. Der Zuschauer muss nicht lange herumrätseln, sondern weiß sogleich, worum es geht. Zudem wird er nicht nur intellektuell, sondern emotional angesprochen. Eine Steigerung dieser Ansprache erfolgt im Verlauf des Aufführungstextes nicht zuletzt viszeral: Die Sinne werden durch intermediale Wechselspiele stimuliert, die darüber hinaus andere kognitive und emotionale Wirkungen zeitigen. Zugleich wird deutlich, dass das Theaterstück über die Dramaturgie des populären Filmes sowohl durch metatheatrale Reflexionen, durch paradoxale Wort-Dramaturgie als insbesondere auch im Rekurs auf intermediale Verfahren weit hinauszugehen weiß. Ein sprechender Song Der erste Szenenwechsel erfolgt als musikalische Zäsur. Mit Wouldn’t it be nice von den Beach Boys setzt Bauersima zugleich einen deutlichen Kontrapunkt. Der typische Surf- Sound der Hippie-Ära, mit dem das sonnige Strandleben, ein lebensbejahendes, unbeschwertes und vergnügtes Dasein evoziert wird, steht der so eröffneten Szene diametral entgegen. Die zweite Szene findet in einem eiskalten Bühnenraum statt (Abb. 2). Auf Klaus Baumeisters mit Kunstschnee bedeckter Schräge kommen die Akteure ins Rutschen, sie drohen zu kippen, wie die Schräge selbst, die, zunächst nach hinten geneigt, dem Zuschauer eine bespielbare, schräge Spielfläche zuwendet. (Abb. 3) In der dritten Szene wandelt sich die Schräge. Nach vorne hochgeklappt lässt sie nur noch den Blick auf den Rand einer Klippe 130 Petra Maria Meyer Abb. 2 Aus: Igor Bauersima, norway.today, Foto: Sonja Rothweiler © Abb. 3 Aus: Igor Bauersima, norway.today, Foto: Sonja Rothweiler © Intermediale Dramaturgie 131 Abb. 4 Aus: Igor Bauersima, norway.today, Foto: Sonja Rothweiler © zu. Die Bühnenkonstruktion versinnlicht ebenso reduziert wie überzeugend den fiktiven Handlungsort: einen 600 Meter in die Tiefe herabfallenden Abhang an einem Fjord in Norwegen. In Winterkleidung, auf die der Schnee herabrieselt, treten die zwei einander fremden Selbstmordkandidaten auf, während der sonnige Song verklingt, in dem die Beach Boys romantisch und geradezu konservativ vom Glück der Zweisamkeit, der Ehe und des gemeinsamen Altwerdens singen. Der sprechende Songtext ist deutlicher Bestandteil der akustischen Dramaturgie. 54 Er fungiert wie ein Soundtrack, der vorwegnimmt, was im Bühnenstück geschehen wird, und begleitet nicht etwa die Bildsprache, sondern steht als gleichberechtigte, keinesfalls gleich gestimmte Aussageform im Raum. Schräglage zwischen den Medien Einerseits bleibt die Einheit des Handlungsortes gewahrt. Durch das Kippen der Schräge wird lediglich die Perspektive des Zuschauers auf den Ort verändert. Andererseits kommt die szenische Ausweitung über inszenierte Räume auf der Videoleinwand hinzu. Intermedialität zwischen Theater und Video wird in der zweiten, dritten und vierten Szene zur dominanten Strategie der szenischen Präsentation. Sie steht im Zentrum der vorliegenden Überlegungen, so dass die Geschichte von Julie und August - ihre anfänglichen Vorkehrungen zur Realisation des Suizids, ihre Bemühungen um ein Abschiedsvideo für die Familie und die allmähliche Wende von der Todeszur Liebes- und Lebenssehnsucht - ausschließlich bezogen auf Aspekte der Intermedialität von Interesse sein werden. Psycho- 132 Petra Maria Meyer Abb. 5 Aus: Igor Bauersima, norway.today, Foto: Sonja Rothweiler © Intermediale Dramaturgie 133 logische und philosophische Implikationen eines “Vorauseilens” (Kierkegaard) in den Tod bleiben hier unberücksichtigt. Das Medium Video kommt in verschiedenen, gesellschaftlich relevanten Funktionen zum Einsatz. Es tritt als Überwachungstechnik und Instrumentarium eines Video-Voyeurismus auf, durch das Beobachten und Beobachtet-Werden nicht mehr anstößig, sondern gängige Medienkonvention sind. Video wird als künstlerisches Produktionsmedium ebenso eingesetzt wie als bevorzugtes Gedächtnismedium, das, bezogen auf persönliche Erinnerungen, das Fotoalbum längst abgelöst hat. (Abb. 5) In norway.today tritt Video als Gedächtnismedium zunächst an die Stelle des Abschiedsbriefes. Julie begründet die Mitnahme der Videokamera damit, dass sie ihren Eltern, Geschwistern und Freunden einen Abschiedsgruß hinterlassen müsse. “Ich bringe mich nicht jeden Tag um, ich will das das gut kommt” sagt Julie und unterbricht die Aufnahme, die August von ihr macht. Sie schaut sich den Take erst noch mal an, variiert ihn, übernimmt einen Teil und ändert einen anderen, montiert, inszeniert und konstruiert eine vermeintliche Wirklichkeit, die sie immer wieder selber als “Fake” demaskiert. “Propaganda” nennt sie ihre tröstende Rede an die Familie. Das Medium, das als besonders ehrlich gilt, das, in intimen Momenten genutzt, dazu auffordert, sich ungeschminkt zu präsentieren, erweist sich ebenso als Medium der Selbstinszenierung wie der narzisstischen Selbst- und voyeuristischen Fremdbeobachtung. Prüfend kontrollieren Julie und August ihre Selbstbilder, neugierig halten sie die Kamera auf den anderen. Dabei erscheinen ihre Nahaufnahmen auf der Leinwand und versinnlichen die medialen Differenzen. Während das Theater den Schauspieler in seiner gesamten körperlichen Erscheinung und Bewegung auftreten lässt, verstärkt und vergrößert die filmische Versinnlichung den Ausdruck eines Körperteils: des Gesichtes, des Blickes, eines mimischen Zuckens etc. Video eröffnet im Theater die Möglichkeit einer intermedialen Multiperspektivität, durch die Profil- und Frontalansicht, Totale und Nah- oder Detailansicht, Vorder- und Rückenansicht gleichzeitig gegeben sein können. Filmische Strategien einerseits und der Umgang mit der Videokamera als kulturelle Praxis andererseits kommen vielfältig und selbstreflexiv zum Einsatz. Zwischenzeitlich wird die Kamera auf ein Polarlicht gerichtet, das man nur alle 50 Jahre einmal sehen kann. Diesem transitorischen Ereignis soll das Medium Video Dauer geben. Der Aufzeichnungsversuch, den Julie und August auf der Theaterbühne unternehmen, erfolgt jedoch nicht ohne Reflexion der Mediendifferenz. Das Schönste, was die beiden je gesehen haben, wirkt auf dem kleinen Bildschirm der Kamera nicht. Da es auch auf der Leinwand nicht ohne defizitäre Medialisierung gegeben ist, wird in der Paradoxie der Situation auch das Theater-Fake des Naturereignisses ausgestellt. In der Bewusstmachung bleibt das Ereignis als Abwesenheit in der Anwesenheit auch in der Theater-Präsenz entfernt. Bemerkenswert ist auch die Darstellungsweise der Möglichkeit und Unmöglichkeit einer Liebesbegegnung im Zeitalter von Internet und Video. Analog zum Natur- Ereignis kann auch ein anderes Ereignis, die sexuelle Begegnung in einer gemeinsam verbrachten Nacht, nur in der Abwesenheit anwesend gemacht werden. Im Bühnenraum wird dazu ein auf der nach hinten hoch ansteigenden Schräge platziertes Zelt genutzt, in das sich Julie und August zurückziehen. (Abb. 6) Das von innen beleuchtete Zelt wird zum Objekt des Blickbegehrens. Doch der voyeuristische Blick scheitert an einem undurchsichtigen Stoff; demonstrativ verschließt August das Zelt. Dem Zuschauer ist es nicht möglich zu sehen, was im Innern vor sich 134 Petra Maria Meyer Abb. 6 Aus: Igor Bauersima, norway.today, Foto: Sonja Rothweiler © geht. Das Zelt fungiert als Raum im Raum einer “räumlich verdeckten Handlung”, die anfänglich - nach den Formprinzipien eines Hörspiels - akustisch evoziert wird, denn Julie und August sind für den Zuschauer nicht sichtbar, also visuell abwesend, aber auditiv vernehmbar, somit akustisch anwesend. Derart in die Unsichtbarkeit und Abwesenheit gerückt, wird eine körperliche Annäherung der beiden Protagonisten evoziert: erste Berührungen zwischen Julie und August. Diese Annäherung bleibt jedoch auf der Ebene der Wort-Dramaturgie im Konjunktiv, im Möglichkeitsbereich. Auf der Ebene der akustischen Dramaturgie erweist sich der Umstand, dass der vorherige “Originalton” der Schauspieler nun aus dem Off über Lautsprecher erklingt, als sinnstiftende Unterstützung. Ein stärker im Filmbereich erprobtes Spiel mit “voix acousmatique”, 55 dem besonderen Charakter von Stimmen, deren Quellen nicht sichtbar und dadurch unbestimmt sind. Der Umstand, dass es sich um Stimmen handelt, die auf der Suche nach einem Körper bleiben, lässt gleichsam eine Reflexion von Internetbegegnungen als dem technisch avanciertesten Möglichkeitsraum zu. Erst durch diese akustische Inszenierung wird auffällig, dass es zwischen dem Paar auf der Theaterbühne nur wenige Berührungen gibt. Begegnungen in variierter Form erfolgen dagegen verstärkt auf den Inszenierungsebenen des Imaginären, die über Stimme und Blick zugänglich sind. Im Anschluss variiert Bauersima das Spiel mit dem Blickbegehren des Zuschauers auf der bild-dramaturgischen Ebene. Eine vermeintliche Videoübertragung der Geschehnisse im Innern des Zeltes erscheint im Außen der Bühne auf der Videoleinwand. Während auf der Inszenierungsebene des Theaterschauspiels die intime Begegnung verhüllt und derart besonders erotisch bleibt, kommt das Filmschauspiel auf der Leinwand dem voyeuristischen Blick entgegen, um ihm gleichsam neue, reizvolle Widerstände ent- Intermediale Dramaturgie 135 gegenzusetzen. Die Kamera nimmt ihr Recht, nur das zu zeigen, was sie zeigen will, ostentativ in Anspruch. Sie zeigt ihr verwegenes, verstecktes Zuschauen. Hinter einer Sichtschranke platziert, erlaubt sie nur eine eingeschränkte Sicht der Szene. Im wackeligen Handkamera-Stil zwischen Amateur-Homevideo und Dogma 95-Ästhetik operierend, kommt das Paar mal ganz, mal in kuriosen Teilen ins Bild. So sieht man nur die untere Hälfte der Gesichter bei einem Kuss, der ebenso wie der Restkörper der Protagonisten sowohl aus dem Frame des Bildes als auch aus der Filmgeschichte aller Leinwandküsse herausfällt. Doch auch dieser Filmkuss ist ein “Fake”, zumindest erweist er sich als nicht mit den Bühnengeschehnissen übereinstimmend. Während auf der Leinwand Julie und August noch aneinandergeschmiegt erscheinen, treten sie bereits wieder getrennt auf die Bühne. Wenn sie mit dem signifikant vorherrschenden, körperlichen Abstand voneinander die berühmte Zigarette danach rauchen, erkennt der Theaterzuschauer in der Videoübertragung die Telepräsenz einer Vergangenheit, deren Realitätsgehalt unsicher ist. Das Bild im Prozess ist mehr als ein Bild auch im Sinne Jean-Luc Godards 56 Umgang mit Dekompositionenen und Variationen von Bildlaufgeschwindigkeiten. Entsprechend äußert sich Julie über “die Zeitlupe”: “Du siehst nicht mehr, du siehst bloß, dass du nichts siehst”. Durch den Einsatz von Videofilm-Material wird der Theaterzuschauer zudem mit Direktübertragungen ebenso wie mit vorproduziertem Bildmaterial konfrontiert. Auf der Videoleinwand erscheinen simultan Szenen, die immer wieder sowohl vom Sukzessionsprinzip als auch von der zeiträumlichen Kontinuität der Handlung auf der Bühne abweichen und den Zuschauer mit einer anderen medialen Wahrnehmungssituation und anderer szenischer Darstellung konfrontieren. Auch auf der bild-dramaturgischen Ebene erweist sich das Schwerpunktthema “Fake” als programmatisch. Die vermeintlich enthüllende Kamera verhüllt und täuscht auf ihre Weise. Auf der Bildebene werden derart immer wieder andere eigenständige Aussageformen ins intermediale Bühnenspiel eingebracht, die sich sowohl des Zugriffs der Sprache als auch einer Referenzlogik der Abbilder entziehen. Ein “Ähnlichkeitstheater” hat sich im Sinne von Deleuze und Godard verwandelt, Bilder agieren und reagieren derart aufeinander, dass sie ihre Beschaffenheit gleichsam Erkenntnis stiftend reflektieren. Dabei werden Bilder, die sich auf das Bühnengeschehen beziehen und Bilder, die auf eine Bildergeschichte außerhalb der theatralen Darstellung Bezug nehmen, kombiniert. Auf diese Weise fungiert der virtuelle Bildraum der Videoleinwand auch als Auflösung des deutlich definierten Bühnenortes (Abb. 7). Auf der Leinwand erscheint zwischenzeitlich ein Stadtszenario. Denkt der Zuschauer in der erzählten Zeit des Bühnenspieles, so hat er den Eindruck, der Imagination eines unbeschwerten Lebens von Julie und August als Paar beizuwohnen, der Vergegenwärtigung einer Zukunftsillusion. Phantasien einer Stadt und einer Liebesbegegnung werden auf die Leinwand projiziert. Affektbilder, Groß- und Nahaufnahmen bringen die auf der Bühne verweilenden Schauspieler als Andere und in medienspezifisch anderer Weise dem Zuschauer nahe. In den Straßenszenen fühlt sich das Publikum durch Fahr-, Dreh- und Schwenkbewegungen der Kamera mitten in die Szene hineinversetzt. Wenn man jedoch die Stadt Düsseldorf und den Gustaf-Gründgens-Platz bei Nacht - die Umgebung des Schauspielhauses - erkennt und weiß, dass das glückliche Pärchen im Taxi die Schauspieler Birgit Stöger und Christoph Luser sind, die auch ‘in echt’ ein Paar sind und womöglich nach der Theatervorstellung mit einem Taxi so oder so ähnlich 136 Petra Maria Meyer Abb. 7 Aus: Igor Bauersima, norway.today, Foto: Sonja Rothweiler © häufig nach Hause fahren, dann gewinnt das “Fake” Realität. Die Als-Ob-Wirklichkeit auf der Bühne wird als Fiktion enttarnt, die deutliche Täuschung auf der Leinwand an die Realität rückgebunden. Ob sie tatsächlich in dieser Weise im Anschluss an die Vorstellung nach Hause fahren? Die letzte Gewissheit im Stück, dass “etwas dann echt wirkt, wenn es Fake ist”, weckt wieder Zweifel. Von besonderer Wichtigkeit bei diesem intermedialen Wechselspiel der Begegnung zweier Live-Medien, Theater und Video, ist, dass auf der Leinwand der Projektionen nicht das Selbe als mediale Kopie, das Selbe im Status des Doppels erscheint. Die Videoleinwand wird vielmehr zum Schauplatz, auf dem das Andere des Selben erscheint, so dass zwischen Bühne und Leinwand ein artifizielles Erinnerungs-Spiel der medialen Fiktionen und Strategien entsteht. Die dramaturgische Struktur Die dramaturgische Struktur ermöglicht dem Publikum einerseits einen schnellen Zugang. Andererseits bietet sie ihm durch den Einsatz intermedialer Verfahren eine komplexe und Erkenntnis stiftende Inszenierung. Im Stil eines modernen Dreiakters folgt nach einer klaren Exposition (1. Akt) ein zweiter Akt, der aus zwei Szenen und ein dritter Akt, der wieder aus zwei Szenen besteht. Die Exposition ist entsprechend informativ, die Figuren werden ebenso wie der handlungstreibende Hauptkonflikt vorgestellt, die zentrale, spannungserzeugende Frage wird aufgeworfen. In der ersten Szene des zweiten Aktes wird zunächst die Situation, die sich aus der Exposition ergibt, etabliert. Erste Verwicklungen durch Kontroversen der Protagonisten kündigen sich an. Mit einem zweiten Szenenwech- Intermediale Dramaturgie 137 sel zur dritten Szene verschärfen sich die Verwicklungen, jetzt aus anderer Perspektive mit Blick auf die Felswand und auf Julie am Rande des Abgrunds. In der dritten Szene wird die Bühnen-Schräge nach vorne hochgeklappt, so dass der Zuschauer auf den Rand der Klippe blickt. Durch das Kippen der Schräge wird die Perspektive des Zuschauers auf den Ort und die der Protagonisten auf ihr Tun verändert. August lässt Julie eine Weile über dem Abgrund baumeln, nach dem sie sich so gesehnt hat, und schon kippen - nachdem die Bühne gekippt ist - auch die Handlung und die Stimmung. Genau in der Mitte des Stückes liegt der Wendepunkt. Julie bittet darum, gerettet zu werden. Danach wird sie zum ersten Mal eine Berührung wagen, die nicht auf Abwehr beruht. Zwei Situationen von Anagnorisis, dem plötzlichen Erkennen oder Wiedererkennen der Situation, in der sie sich befinden, werden bei den Figuren kenntlich: zum einen ein Erkennen der lebensgefährlichen Situation, die zum Tode führen kann, zum anderen das Erkennen einer Möglichkeit von Leben, Lebendigkeit, Liebe. Nach einem weiteren Szenenwechsel, im dritten Akt, in einer Situation zu zweit, in der man neugierig auf den Anderen wird, Zuneigung spürt, Spaß mit ihm hat, ein Erlebnis mit ihm teilt, schließlich eine Beziehung nicht mehr ausschließt, die die Beach Boys so romantisch haben anklingen lassen, eröffnet sich diese Möglichkeit, die auch den Ausgang des Stückes prägt. Für die Einschätzung, dass man es hier mit einer “populären” Theaterdramaturgie zu tun hat, spricht auch das “Happy End”. Die zunehmend sympathischer gewordenen Figuren machen dem Publikum zuletzt denn doch nicht das Herz schwer. Sicherlich in Übereinstimmung mit den Werten eines Großteils des Publikums unterlassen sie die Selbsttötung und kehren mit neuer Perspektive in den Alltag zurück. Dazwischen liegen ein Höhe- und Wendepunkt und einige Plot-Points. Plot Point, hier verstanden als ‘Ereignis’, an dem das zu Beginn markierte Ziel erreicht oder verfehlt wird (ein todesverneinender, nicht zu Ende geführter Sprung in den Fjord) oder ein Teilziel zur Konfliktlösung erreicht wird (Video-Abschiedsband und vergebliche Videoaufnahme eines Naturereignisses, lebensbejahende Annäherung der beiden Protagonisten). In traditioneller Weise steigert sich der Konflikt zunächst durch den Partner als Antagonisten und durch die lebensbedrohliche Zuspitzung der Situation. Eine weitere Steigerung erfolgt durch eine Zunahme der Möglichkeiten, den Konflikt zu lösen. Auf allen dramaturgischen Ebenen ist Intermedialität ein entscheidender Faktor und wirkt komplexitätssteigernd. Durch eine Steigerung der Reflexionen zum “Fake” auch hinsichtlich einer “Problematisierung von Wirklichkeit in einer medial geprägten Kultur” (Welsch) findet eine kognitive Steigerung statt. Zudem erfolgt eine emotionale Steigerung durch ein im intermedialen Wechselspiel mit dem Medium Video gesteigertes Wirkungspotential der Situationen. Entscheidend ist insbesondere eine durch Intermedialität erzeugte sinnliche Steigerung. Dadurch, dass unterschiedliche Medien verschiedene Sinne in medienspezifisch unterschiedlicher Weise ansprechen, entstehen gesteigerte Sinnesempfindungen mit höherer Intensität. 57 Verschiedene Höhepunkte entstehen ebenfalls im intermedialen Wechselspiel: Inhaltlicher Höhe- und Wendepunkt ist das Ereignis, bei dem Julie dem Sturz in den Abgrund am nächsten kommt. August übernimmt in diesem Moment die Regie und schmeißt später die Kamera in den Abgrund, so dass erneut eine medienreflexive Ebene ins Spiel kommt. Was die Medien nicht dokumentieren, erinnern, hat nie stattgefunden. Emotionaler Höhepunkt ist sicherlich die intime Begegnung der beiden im Konjunktiv, die via Hörspiel und Video realisiert wird. Kognitiver Höhepunkt ist die gesteigerte 138 Petra Maria Meyer Auseinandersetzung mit der Makrofrage nach dem “Fake”, die in der Produktion eines Abschiedsvideos stattfindet. Dramaturgische Steigerung erfolgt über intermediale Strategien, durch die das Theaterstück nicht nur an sinnlicher Intensität, sondern auch an inhaltlicher Komplexität gewinnt. In diesem Sinne dominiert das Wechselspiel von Video und Theater im dritten Akt. Drei Ereignisse, das Polarlicht, die Liebesbegegnung und das Erinnerungsbzw. Abschiedsvideo, reichern den Grundkonflikt durch medienreflexive Subtexte an. Sie führen die Problematik zu einem ‘Happy End’ der anderen Art: “Ein Glück, von dem wir uns nicht so schnell erholen werden”. Immer wieder resultieren aus einem Dialog der medialen Inszenierungsebenen, aus dem Wechselspiel von Wort-Dramaturgie, akustischer Dramaturgie und Bild-Dramaturgie, die mehrdeutige Bilder im Prozess freisetzt, Doppel- und Mehrfachcodierungen. Dazu gehören philosophische Reflexionen, aber auch schnell zugängliche, intertextuelle Verweise auf sprechende Songs wie Wouldn’t it be nice oder Kultfilme der Kinogeschichte wie Rebel without a cause. Dieser Jugendkultfilm, auf den durch intertextuelle Bezugnahmen verwiesen wird, erweist sich als Prätext, der in bezeichnender Weise transformiert wird. Während in diesem Portrait verschiedener Jugendlicher all diejenigen, die leben wollen, sterben, werden die, die in norway.today sterben wollen, weiterleben, weil sie nicht mehr wissen, warum sie sich umbringen sollten. Anmerkungen 1 Gustav Freytag, Die Technik des Dramas, Darmstadt 1992, Einleitung, S. 3. 2 Jens Eder, Dramaturgie des populären Films, Hamburg 1999, S. 3. 3 Gotthold Ephraim Lessing, Hamburgische Dramaturgie, Stuttgart 1986, S. 11. 4 Bertolt Brecht, “Der Dreigroschenprozeß”, in: Ders., Schriften zur Literatur und Kunst I, Frankfurt/ Main 1967, S. 156. 5 Vgl. Elke Platz-Waury, Drama und Theater, Tübingen 1980, Manfred Pfister, Das Drama, München 1982 und Heinz Geiger und Hermann Haarmann, Aspekte des Dramas, Opladen 1987. Auch die von Volker Klotz eröffneten Zugänge zu geschlossenen und offenen Dramaturgien erscheinen angesichts gegenwärtiger Texte nicht ausreichend. 6 In diesem Sinne spielt Lloyd Newson, Mitbegründer des DV8 Physical Theatre, mit intermedialen Versatzstücken in seiner Choreographie Enter Achilles. In Strange Fish ist ein Wechselspiel mit der Malerei signifikant. 7 Ein interessantes Beispiel stellt in diesem Zusammenhang die intermediale Dramaturgie und Inszenierung von Mozarts Oper Die Hochzeit des Figaro / The Marriage of Figaro in englischer Sprache dar, die Tony Britten und Nicholas Broadhurst 1994 bezogen auf eine Videoaufzeichnung für die BBC im Rückgriff auf Formprinzipien des Theaters und des Fernsehens realisierten. 8 Ich beziehe mich hier auf meine eigene fünfzehnjährige Berufspraxis in einer intermedialen Dramaturgie des WDR Köln in den “Studios Akustische Kunst”. 9 Vgl. exemplarisch dazu das intermediale Dramaturgiekonzept im Wechselspiel zwischen Film und Radio im Hörstück Mirage Kino von Barry Bermange: Petra Maria Meyer, “Sehgewohnheiten durch neue Hörweisen ändern. Intermedialität in Radio, Film und Fernsehen”, in: Dies.: acoustic turn, München 2008, S. 613-650. 10 Knuth Hickethier, “Brauchen Fernsehspiel und Hörspiel eine neue Dramaturgie? ”, in: Schriften der Dramaturgischen Gesellschaft, Bd. 20, 1985, S. 8. 11 Joachim Paech, “Das ‘Programm der Moderne’ und dessen postmoderne Auflösungen”, in: Strukturwandel medialer Programme. Vom Fernsehen zu Multimedia, hrsg. von Joachim Paech/ Andreas Schreitmüller/ Albrecht Ziemer, Konstanz 1999, S. 13-29, hier S. 14. 12 Vgl. Andreas Wang, “Zwischen Dunkelheit und Aufklärung. Der Erfolg des Radios in Intermediale Dramaturgie 139 einer sich verändernden Welt”, in: Meyer, acoustic turn, a.a.O., S. 261-280. 13 Vgl. Gerda Poschmann, Der nicht mehr dramatische Theatertext, Tübingen 1997, S. 259ff. 14 Vgl. Petra Maria Meyer, Intermedialität des Theaters. Entwurf einer Semiotik der Überraschung, Düsseldorf 2001. 15 Der akustische Bereich umfasst den Umgang mit Geräuschen und stimmlichen Potentialen ebenso wie eine Musik-Dramaturgie. 16 Der ‘Bild-Begriff’ im Bildertheater wurde lange Zeit nicht hinreichend ausdifferenziert. Eine Behandlung in einschlägigen theaterwissenschaftlichen Lexika ließ entsprechend auf sich warten. Während er als Stichwort im Theaterlexikon von Manfred Brauneck noch nicht auftritt, wird er in Patrice Pavis’ Dictionnaire du Théâtre aufgeführt. 17 Vgl. Derrick de Kerckhove, “Eine Theorie des Theaters. Die Auswirkungen des Alphabets auf die Wahrnehmung: die Tragödie der Griechen”, in: Ders., Schriftgeburten, München 1995, S. 71-94. Dementgegen haben zumindest einige - wenn auch bislang eher wenige - Theaterwissenschaftler die zentrale auditive Ebene einbedacht: vgl.: Siegfried Melchinger, Das Theater der Tragödie, München 1974 oder auch: Hans-Thies Lehmann, Theater und Mythos, Stuttgart 1991. 18 Vgl. zu dieser medienübergreifenden Wende: Meyer, acoustic turn, München 2008. 19 Vgl. die überaus eindrucksvolle Inszenierung von Elfriede Jelineks Ein Sportstück durch Einar Schleef, die 1998 am Burgtheater in Wien realisiert wurde. Vgl. hierzu auch: Ulrike Haß, “Im Körper des Chores”, in: Transformationen. Theater der neunziger Jahre, hrsg. von Erika Fischer-Lichte et al., Berlin 1999, S. 71-81. 20 Robert Wilson in: Sylvère Lotringer, “Es gibt eine Sprache, die universell ist”, in: Ders., New Yorker Gespräche, Berlin 1983, S. 373ff. 21 Vgl. Deena Kaye und James LeBrecht, Sound and Music for Theatre: the art and technique of design, Boston 1999. 22 Vgl. zur Inbezugsetzung der diversen “turns” Meyer, acoustic turn, a.a.O. 23 Lambert Wiesing, Phänomene im Bild, München 2000, S. 17. 24 Ebd. 25 Vgl. Peter Simhandl, Bildertheater, Berlin 1993, dessen überzeugende Ausführungen durch diese Teilkritik nicht geschmälert werden sollen. 26 Im Kontext der in den letzten Jahren verstärkt vorangetriebenen ‘Bildwissenschaften’ sind auch die Fragen nach Bildern und ihren medialen Erscheinungsformen ins Zentrum der Theaterwissenschaft gerückt, so dass man optimistisch sein kann, dass in diesem Bereich Forschungsdesiderate kontinuierlich reduziert werden. 27 Ich beziehe mich im Weiteren auf folgende Inszenierung von norway.today: Regie: Igor Bauersima, Filmschnitt: Brian Burman, Bühne: Klaus Baumeister, Kostüme: Sandra Fehlemann, Dramaturgie: Frank Radatz, Licht: Wolfgang Wächter, Dauer: 90 Min., Uraufführung: 15. November 2000, Düsseldorfer Schauspielhaus. 28 Igor Bauersima arbeitet seit 1989 medienübergreifend als Drehbuch- und Theaterautor, Musiker (diverse CDs), Film- und Theaterregisseur, 1990 machte er sein Architekturdiplom. 29 Vgl. Bauersima in einem Kurzportrait von Christiane Kühl, in: kulturSPIEGEL 10/ 2001, S. 38. 30 Vgl. Gilles Deleuze, Kino 1, Frankfurt/ Main 1989 und Kino 2, Frankfurt/ Main 1997. 31 Gilles Deleuze, “Erschöpft”, in: Samuel Beckett. Quadrat. Stücke für das Fernsehen, Frankfurt/ Main 1996, S. 49-101, hier S. 90. 32 Bauersima im Interview mit Swenja Klauke, in: Überblick 11/ 2000, S. 75 33 Friedrich Nietzsche, in: Sämtliche Werke, Kritische Studienausgabe, hrsg. von Giorgio Colli und Mazzino Montinari, München 1967-1977, Bd. 6, S. 80. 34 Vgl. Wolfgang Iser, Das Fiktive und das Imaginäre, Perspektiven literarischer Anthropologie, Frankfurt/ Main 1993. 35 Bauersima wählt sprechende Namen, Sommernamen im eiseskalten Szenario. Sie mögen an Figuren bei Henrik Ibsen erinnern, die mit dem Tode sympathisieren. Auch an August Strindberg könnte man denken, der bereits den Realitätsbegriff aufkündigte. Aber das sei nur angedeutet. 140 Petra Maria Meyer 36 Zit. nach Igor Bauersima, norway.today, Das Stück, Frankfurt/ Main 2000, abgedruckt in: TheaterHeute 01/ 01, S. 48-59, hier S. 58. 37 John L. Austin, Sinn und Sinneserfahrung, Stuttgart 1975, S. 94. 38 Vgl. Michel Foucault, Was ist ein Autor, in: Ders., Schriften zur Literatur, Frankfurt/ Main 1988, S. 7-31. 39 Vgl. Stefan Römer, Künstlerische Strategie des Fake. Kritik von Original und Fälschung, Köln 2001. 40 “Ist Fingieren aus der wiederholten Wirklichkeit nicht ableitbar, dann bringt sich in ihm ein Imaginäres zur Geltung, das mit der im Text wiederkehrenden Realität zusammengeschlossen wird.” Iser, Das Fiktive und das Imaginäre, a.a.O., S. 20. 41 Igor Bauersima zit. nach TheaterHeute 01.01., S. 47. 42 Video bietet die Möglichkeit, die Zeit zwischen Aufnahme und Wiedergabe in einer Quasi- Gleichzeitigkeit aufzuheben und die Positionen zwischen Wahrnehmendem und Wahrgenommenem ständig - kontrolliert - zu wechseln. 43 Vgl. Sibylle Krämer, “Das Medium als Spur oder Apparat”, in: Dies. (Hg.), Medien-Computer-Realität. Wirklichkeitsvorstellungen und Neue Medien, Frankfurt/ Main 1998, S. 15. 44 Jean Baudrillard, Agonie des Realen, Berlin 1978, S. 14. 45 Renate Lachmann, Gedächtnis und Literatur, Frankfurt/ Main 1990, S. 30. 46 Ebd. 47 Auch August trägt seine Internetadresse auf dem T-Shirt: “august@home.shirt”. 48 Zit. nach Bauersima, norway.today, S. 48 49 Ebd. 50 Ebd. 51 Zit. nach Bauersima, norway.today, S. 49. 52 Später generiert Julie in ihre Selbstdarstellung die Legende mit ein, mit einem begehrten Filmstar (Brad Pitt) eine Nacht verbracht zu haben. 53 Zit. nach Bauersima, norway.today, a.a.O., S. 49. 54 Entsprechend geht er dem Text des Theaterstückes voran und wurde auch im Programmheft abgedruckt. Vgl. norway.today von Igor Bauersima, Programmheft 68, Neue Schauspielhaus GmbH (Hg.) Düsseldorf 2000/ 2001, S. 36. 55 Dieser Begriff wurde von Michel Chion mit Rekurs auf Pierre Schaeffer in die Filmtheorie des 20. Jahrhunderts eingebracht. Vgl. Michel Chion, La Voix dans le cinéma, Paris 1982. 56 Vgl. Jean-Luc Godard, Liebe Arbeit Kino. Rette sich wer kann (Das Leben), Berlin 1981, S. 122/ 123. 57 Diese drei Arten von Steigerungen differenziert Eder, Dramaturgie des populären Films, a.a.O., S. 92.