eJournals Forum Modernes Theater 22/2

Forum Modernes Theater
fmth
0930-5874
2196-3517
Narr Verlag Tübingen
Es handelt sich um einen Open-Access-Artikel, der unter den Bedingungen der Lizenz CC by 4.0 veröffentlicht wurde.http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/1201
2007
222 Balme

Gespräche, Bekenntnisse, Aussprachen

1201
2007
Miriam Dreysse
fmth2220153
Gespräche, Bekenntnisse, Aussprachen: Populäre Medienformate und zeitgenössische Performance Miriam Dreysse (Gießen) Zwei Männer sitzen sich auf der Bühne gegenüber. Sie schauen sich an. Sie sprechen miteinander. Sie stellen sich Fragen, beantworten diese Fragen, manchmal ausführlich, manchmal kurz, es gibt Nachfragen, nähere Erklärungen, zustimmendes Nicken, erstaunte Blicke, manchmal gemeinsames Lachen. Die Bühne ist bis auf die beiden Stühle, auf denen die Männer sitzen, leer. Neunzig Minuten lang unterhalten sich die beiden, manchmal steht einer von ihnen auf und macht dem anderen etwas vor - einige Tanzbewegungen, eine Schrittfolge, eine Geste, eine Position, Körperhaltung. Meistens aber sitzen sie einander gegenüber und unterhalten sich, fragen und antworten. Pichet Klunchun and myself von Jérôme Bel und Pichet Klunchun (2005) scheint auf der Bühne eine Talkshow-Situation nachzustellen: Es werden keine Figuren gespielt, es wird keine fiktive Geschichte erzählt, keine dramatische Handlung entwickelt, kein Tanz aufgeführt, sondern nur geredet, geredet über sich selbst, über die eigene Kultur und die eigene tänzerische Praxis. Ähnliches lässt sich seit einigen Jahren immer häufiger auf Theater- und Performancebühnen beobachten: talkshow-ähnlich inszenierte Gespräche und öffentliche Bekenntnisse, nicht-professionelle Schauspieler als Darsteller ihrer selbst, Alltägliches und Persönliches. Hier sei nur an Quizoola! (1996) oder auch Speak Bitterness (1994) von Forced Entertainment erinnert; an die in die Kamera geflüsterten oder geschrienen Bekenntnisse, Fragen, Anklagen der Darstellerinnen und Darsteller bei René Pollesch, die Selbstdarstellungen und Selbstbekenntnisse auf den verschiedenen Bühnen und Öffentlichkeitsforen Christoph Schlingensiefs, oder auch die direkt in die Kamera gesprochenen Geständnisse, Ängste, Enttäuschungen, Erwartungen in Arbeiten von Gob Squad (z.B. Room Service, 2003) oder She She Pop (z.B. Warum tanzt ihr nicht? , 2004). Trotz sehr unterschiedlicher Rahmungen, Themen, Inszenierungsstrategien und Darstellungsweisen arbeiten alle diese Beispiele mit Formen des alltäglichen Gesprächs, des Bekenntnisses oder Geständnisses, der Aussprache von Persönlichem und Intimem. Dies sind auch Merkmale der seit den 90er Jahren so populär gewordenen “intimen Formate”, die das Fernsehen zu einem “Ort der Selbstthematisierung und Bekenntnisforum” gemacht haben. 1 Reproduzieren die theatralen Experimente die Mechanismen solcher “Selbstbespiegelungen der Mediengesellschaft”, mit denen Georg Tholen die Talkshow identifiziert? Und wenn nicht, wo genau liegen die Unterschiede? Selbstbespiegelungen Die heute omnipräsente Form der Talkshow mit ‘ganz normalen Bürgern’, also mit nichtprominenten Gästen, entwickelte sich in den 90er Jahren, ebenso andere so genannte intime Formate wie Such- oder Beziehungsshows. Ende der 90er Jahre kam mit Big Brother ein weiteres Format hinzu, das Privatheit und Alltäglichkeit von ‘Normalbürgern’ inszeniert. In allen diesen intimen Formaten spielen Bekenntnisse vor der Kamera, das Aussprechen von Privatem in der Öffentlichkeit eine zentrale Rolle. Bente/ Fromm nennen vier wesentliche Charakteristika für die Affekt-Talkshow: Personalisierung, Authenti- Forum Modernes Theater, Bd. 22/ 2 (2007), 153-166. Gunter Narr Verlag Tübingen 154 Miriam Dreysse zität, Intimisierung und Emotionalisierung. 2 Das jeweilige Thema wird also auf ein Einzelschicksal reduziert, die erzählten Geschichten werden als wahr präsentiert und der Live- Charakter unterstreicht ihre Authentizität, Privates wird öffentlich gemacht und sowohl Inhalt als auch Inszenierung betonen die emotionalen statt der sachlichen Aspekte der Geschichten. Charakteristisch für intime Formate wie etwa den Daily Talk ist also die Präsentation privater, alltäglicher Themen mit nicht-prominenten Gästen, die ihre eigene Geschichte, eigene Erfahrungen erzählen. Betrachtet man die Redundanz und Banalität der Themen, so scheint der Akt der Aussprache durch die persönlich Betroffenen weit wichtiger zu sein als das Ausgesprochene - die Mitteilung selbst wird zum Ereignis. 3 Das Fernsehen erscheint so als maßgebliches Medium auf der Suche nach Identität oder Selbstvergegenwärtigung. Durch das Reden über mich selbst, durch die öffentliche Aussprache des Privaten, scheinbar ganz Eigenen, kurz: indem ich mein Innerstes vor den Augen anderer ausspreche, versichere ich mich meiner selbst: “Sich im endlosen Sprechen präsent, d.h. anwesend und anerkannt zu fühlen, ist eine neue Funktion der Massenmedien”. 4 Foucault hat gezeigt, dass das Geständnis eine “Technik der Wahrheitsproduktion” innerhalb von Machtdiskursen ist, mit der innere Wahrheit nicht ausgesprochen sondern erst produziert wird. Nach Foucault wird das Individuum in der abendländischen Kultur “durch den Diskurs ausgewiesen, den es über sich selbst halten” kann, und dieser Diskurs ist kein spontaner, freiwilliger, sondern eine “Verpflichtung”. 5 Das Geständnis ist somit ein Verfahren der Individualisierung, bei dem das Subjekt zugleich erzeugt und der Ordnung der Macht unterworfen, normalisiert wird. Das Gefühl der Befreiung und Selbstbestätigung durch das Geständnis, das bei den Daily Talks eine wesentliche Rolle spielt, wäre so ein Trugschluss, der sowohl den konstitutiven Mangel des Subjekts als auch seine Einbindung in Machtverhältnisse verdeckt. Die Inszenierung des Geständnisses als Akt der spontanen Wahrheitsäußerung in den intimen Formaten verschleiert die normalisierende Funktion dieser Inszenierung, die enge Verbindung von Individualisierung und Macht. Zentrale Figur der Talkshow ist der Moderator. Er ist, im Gegensatz zu seinen Gästen, prominent und professionell und er hat (weitgehend) die Kontrolle über die Situation - sowohl im Vorfeld hinsichtlich des Profils der Sendung, der Auswahl der Themen und Gäste, der Vorgespräche und Proben mit letzteren, als auch während der Sendung hinsichtlich des Ablaufs, der Gesprächsführung, der Präsentation der Gäste, der Einbeziehung des Publikums etc. Meist stellt der Moderator eine Identifikationsfigur für die Zuschauer dar, er ist aber auch eine Machtinstanz, die richtet oder versöhnt, straft oder vergibt. Sprenger bezeichnet die Talkshow als eine “inszenierte Machtstruktur”, die den Moderator als solistischen Despoten inszeniere. 6 So werde mit baulichen, visuellen, auditiven Mitteln sowie den gestischen und verbalen Aktionen des Moderators der Raum so strukturiert und hierarchisiert, dass “der Despot ohne weiteres als das Zentrum dieses Arrangements zu erkennen ist”. 7 Auch wenn diese hierarchische Zentrierung auf den Moderator in den verschiedenen Talkshows in je unterschiedlichem Maße zu Tage tritt, ja teilweise gerade verdeckt wird, ist sie strukturell doch in allen Shows gegeben. Neben der Inszenierung des Moderators als zentraler Figur ist die Inszenierung der Authentizität des Geschehens, der Erzählenden und des Erzählten, das herausragende Merkmal der Talkshow. Die Talkshow erzeugt die Illusion, mit der Realität identisch zu sein und versucht dabei immer, die Produziertheit dieser Illusion zu verbergen. Bei den Daily Talks handelt es sich um eine nicht-fiktionale Inszenierung, aber eben um eine Inszenie- Gespräche, Bekenntnisse, Aussprachen 155 rung: von Echtheit, Spontaneität, Unmittelbarkeit, Intimität, Emotionalität. Wichtigstes Element dieser Inszenierung ist der Live- Charakter, der durch das Studiopublikum, Überraschungsmomente, sowie häufig durch die interaktive, telefonische Verbindung nach draußen, mit den Fernsehzuschauern, erzeugt wird. Laut Engell akzentuiert der ‘On’-Synchronton die räumliche Präsenz der sprechenden Person. Die Synchronisierung von Ton und Bild, von Hören und Sprechen dient der Produktion von Gleichzeitigkeit, die wiederum Nähe und Echtheit suggeriert. 8 Auf der visuellen Ebene stellen v.a. Halbnah- oder Nahaufnahmen Mittel zur Suggestion von Nähe dar. Auch die Unprofessionalität der Gäste und ihre emotionale Involviertheit garantieren den Eindruck der Authentizität, ebenso wie ein alltagsnaher, persönlicher Kommunikationsstil, der Nähe und Echtheit suggeriert, ein “Unterhaltungsstil der Nähekommunikation”. 9 Hierzu zählen etwa das obligatorische Duzen, der Alltagsjargon, umgangs sprachliche Formulierungen, Schimpfwörter, Dialekte und Sprachfehler. Engell betont die konstitutive Bedeutung der “scheiternden und überschreitenden Rede” in Form von Aussetzern, Versprechern, Sprechpausen, von Tränen und anderen emotionalen Ausbrüchen für die Erzeugung der Unmittelbarkeitssuggestion. 10 Die Stimme fungiere dabei als Zeichen für die körperliche Präsenz der sprechenden Person, als “Selbstvergewisserungsorgan”. 11 Geht man davon aus, dass die Stimme in der abendländischen Tradition identitätsstiftend ist und für eine als natürlich gedachte Verbindung von Körper und Sprache steht, vermag sie gerade in der erwähnten Synchronisierung von Ton und Bild die Illusion eines einheitlichen Individuums zu erzeugen. 12 Die Suche nach einer imaginären Einheit mit sich selbst funktioniert in der Talkshow über den kontrollierenden Blick des Moderators und der Zuschauer, der diese säkularisierte Form der Beichte beglaubigt. Tholen zeigt im Anschluss an Foucault auf, dass die Talkshow und die sie konstituierende “Blick- Ordnung” nicht nur voyeuristische Lust bedient, sondern auch (in Foucaults Sinne) normalisierende Funktion hat. Konstitutiv sei dabei auch, dass es sich um eine Blick-Ordnung handelt, “die sich dem unmittelbaren Beobachten entzieht”, deren Konstruktion also verborgen bleibt. 13 Sichtbare Blickordnungen In Pichet Klunchun and myself begegnen sich der thailändische Khontänzer Pichet Klunchun und der französische Choreograf Jérôme Bel. Sie sprechen über die eigene tänzerische und choreografische Praxis, über die Bedeutung von Tanz in der jeweiligen Kultur, über Religion, über das Verhältnis von Tradition und Gegenwart, über die Darstellung von Tod auf der Bühne. Sie beschreiben Kostüme, Masken, Bewegungen und führen einzelne Bewegungssequenzen vor. Sie befragen sich gegenseitig: erst Bel Klunchun, dann umgekehrt. Die theatralen Mittel der Aufführung sind stark reduziert: eine leere Studiobühne, zwei einfache Holzstühle, als einzige Requisiten zwei Wasserflaschen und ein Notebook, keine Musik- oder Videoeinspielungen, keine expressiven Gebärden, nur alltagsnahe Kleidung. Die Aufmerksamkeit liegt auf den beiden Akteuren und dem, was sie sich erzählen, erklären, demonstrieren. Diese Beschreibungen, Erzählungen, Erklärungen können sehr lang sein, nur selten wird der Erzählende vom Fragenden unterbrochen; die Sprecher erzählen ihre eigene Geschichte in der ihnen eigenen Zeit. Die Reduktion stellt die Theatralität der Situation als ihr Gerüst aus: Auftritt, sich setzen, sprechen, etwas vormachen, ein gesetzter Endpunkt. Die Stühle der beiden stehen einander genau gegenüber, parallel zur Rampenlinie, mit einigen Metern Distanz zwischen ihnen. Sie geben so eine dialogische Situation vor, ohne dabei Intimität zu sugge- 156 Miriam Dreysse rieren - die Beschaffenheit und Position der Stühle, der Abstand zwischen ihnen und zu den Reihen der Zuschauer verräumlichen die Öffentlichkeit der Situation. Diese Schwebe zwischen öffentlicher Form und Privatheit findet sich auch in der Darstellung: Ein weitgehend improvisiertes, alltagsnahes Sprechen sowie individualisierte Kleidung, Körperhaltung und Gestik werden durch die gewählte räumliche Situation formalisiert und als (Selbst-)Inszenierung lesbar. Klunchun trägt schwarze Trainingskleidung (T-Shirt, Leggings), kurze, schwarze Haare und ist barfuß. Er sitzt aufrecht und gerade auf seinem Stuhl, sein Sitzen und alle seine Bewegungen wirken klar, geführt und kontrolliert. Er begleitet sein Sprechen mit kleinen, präzisen Handbewegungen. Im Gegensatz zu Klunchun wirkt Bel betont alltäglich-ungezwungen. Er trägt farbige, modisch weite Kleidung (Jeans und rotes Sweatshirt), große Turnschuhe, seine Haare sind zerzaust, er sitzt öfters nach einer Seite eingesunken oder mit hochgezogenem Knie auf seinem Stuhl. Seine Bewegungen während des Sprechens sind häufig groß und fahrig. Auf den ersten Blick werden so in der Erscheinung und Selbstdarstellung beider kulturelle Klischees reproduziert: Der jugendlichlockere, unkonventionelle Europäer trifft auf den schlichten, formal strengen und disziplinierten Asiaten. Dieser Eindruck wird noch dadurch verstärkt, dass zunächst nur Bel Klunchun befragt, meist sein Notebook auf dem Schoß, also eine Moderatoren-ähnliche Position einnimmt, die eine Hierarchie suggeriert. So scheint zu Beginn - im europäischen Aufführungskontext - die eigene, eurozentrische Perspektive auf das Fremde vorgegeben zu sein. Gleichzeitig jedoch wird gerade durch die formale Reduktion und die räumliche Anordnung diese Kontrastierung beider ausgestellt, und die Mittel der Inszenierung kulturgebundener Vorstellungsbilder werden sichtbar. Beide Akteure sind in gleichem Maße exponiert und vom Zuschauer distanziert. Auch die Moderatorenrolle Bels löst sich relativ schnell auf, da er Klunchun auch bei sehr ausführlichen Erzählungen nicht unterbricht und später selbst zum Befragten wird. Ähnlich wie in der Talkshow wird ein alltagsnaher Sprechgestus gesucht, der sich durch alltagssprachliche Formulierungen, abgebrochene Sätze und Versprecher auszeichnet. Gerade über Versprecher werden dabei kulturelle Missverständnisse inszeniert. So wird immer wieder mit der Aussprache von -l- und -rgespielt, etwa, wenn Bel “play” versteht, Klunchun aber “pray” meint, und später dann von “play” spricht, und Bel es als “pray” aufnimmt. Solche Wortspielereien beziehen sich auf kulturelle Klischees, spielen gleichzeitig mit der semantischen Dimension der Wörter, und stellen aber, gerade in der Wiederaufnahme solcher Wortspiele zu einem späteren Zeitpunkt, auch die Inszenierung des Eindrucks von Alltäglichkeit und Improvisiertheit aus. Die Situation ist so einerseits als alltagsnah inszeniert, andererseits aber klar gerahmt und als Inszenierung kenntlich gemacht. Dies ist gerade hinsichtlich der kulturbezogenen Klischees von Bedeutung: Der eurozentrische Blick, die immer auch kulturellen Mustern folgende Wahrnehmung, die das Fremde erst als Fremdes konstituiert, wird sichtbar gemacht und auf diese Weise gebrochen. Die Blick-Ordnung der Aufführung ist dabei wesentlich. Klunchun und Bel sehen sich ausschließlich gegenseitig an, nie schauen sie ins Publikum, das bereits durch die Anordnung der Stühle aus dieser Blickverbindung ausgeschlossen ist. Anders als im Falle des Talkmasters im Fernsehen gibt es keine zwischen Publikum und Redner vermittelnde Instanz, auch wird keine persönliche Nähe zu den Gästen suggeriert, wie das im TV etwa durch das Mittel der Großaufnahme geschieht. Der Zuschauer ist deutlich von dem Geschehen auf der Bühne distanziert und als Zeuge des Gesprächs auf sich gestellt. Gerade durch Gespräche, Bekenntnisse, Aussprachen 157 diese Distanz aber werden die Blickachsen, wird die zugrunde liegende Blickordnung wahrnehmbar gemacht: Bel und Klunchun betrachten sich gegenseitig, und wir sehen ihnen dabei zu. Mit dem Wechsel des Fragenden wechselt dabei auch die Perspektive des Zuschauers: Wir sehen unseren eigenen Blick auf das Fremde auf der Bühne gedoppelt - mit Bel betrachten wir die zeichenhaften Bewegungen des Khontänzers, mit Klunchun blicken wir auf die Verweigerung der Bewegung durch den Westeuropäer. Distanz und Doppelung verfremden die Blicke, immer ein wenig befremdet ist der Blick auf den anderen, auf Klunchun ebenso wie auf Bel, den wir doch zu kennen meinten. So wird hier auch unsere eigene Wahrnehmung reflektiert, unser Blick auf das Fremde, die Formung dieses Blicks durch diskursive Muster und seine Konstitutionsleistung bei der (V)Erkennung des Anderen. Der Blick auf den Anderen als Anderer wird erfahrbar, das Fremde bleibt fremd, anstatt normativ, voyeuristisch oder identifikatorisch vereinnahmt zu werden. Pichet Klunchun zeigt eine weinende Frau. Langsam, ganz langsam, führt er eine Hand an sein Gesicht, dreht den Kopf zur Seite, seine Beine sind eng zusammen, der andere Arm am Körper, er dreht den Kopf zur Seite, die Hand vor dem Gesicht, manchmal kommt auch eine Träne, sagt er. Jérôme Bel zeigt seine Lieblingsszene. Er steht gerade, schaut geradeaus. “Ich fange jetzt an”, sagt er. Bleibt stehen, schaut geradeaus, tut nichts weiter. Nach einer Weile sagt er: “Ok, that was it”. Beide Szenen verweigern sich auf ihre Weise einer Darstellung, die die Illusion von Realität erzeugt bzw. mit illusionistischer Verkörperung und Identifikation arbeitet. Und beide Szenen öffnen die Darstellung auf den Zuschauer, auf sein subjektives Imaginäres, auf seine eigene Produktivität. Die Form der alltagsnahen Selbstdarstellung wird so durch andere Darstellungsmodi kontrastiert. Gerade die strengen Stilisierungen des asiatischen Tanzes führen dabei vor Augen, dass es neben dem Aussprechen des Eigenen noch ganz andere Möglichkeiten des Zugangs zur Welt und zur subjektiven Erfahrung gibt, die über die Erfahrung des Anderen verlaufen. Formale Merkmale dieser und ähnlicher Sequenzen, in denen ein Tänzer dem anderen etwas vormacht, sind Isolation, Exposition und Unterbrechung. Die einzelnen Sequenzen sind aus ihrem (narrativen, theatralen) Zusammenhang geschnitten und werden szenisch isoliert ausgeführt. Der Akt des Vormachens wird ausgestellt, indem er angekündigt, erläutert und vom Gesprächspartner hinterfragt wird. Die Sequenzen selbst werden meist von Erklärungen und Wiederholungen einzelner Bewegungen oder Positionen unterbrochen. Diese Unterbrechungsstruktur ist ein weiteres Mittel der Verfremdung, das die Konstruktion hervorhebt. Die Nüchternheit der Inszenierung lenkt die Aufmerksamkeit auf die Inhalte, die Reduktion der theatralen Mittel nimmt der Darstellung jede Form von Exotismus oder Folklorismus: keine farbenprächtigen Kostüme und Masken, keine Musik, keine verzaubernden Bewegungsfolgen, keine emotionale Expressivität, sondern eine unaufgeregte Konzentration auf den Akt des Zeigens und das Gezeigte, das so in seiner Eigenständigkeit belassen wird. Diese unterschiedlichen Mittel - explizite Blickordnung, Reduktion, Unterbrechungsstruktur - verhindern die Kolonisation der je anderen Kultur und eine Homogenisierung der beiden Subjekte. Im Gegensatz zu der suggerierten Nähe in den TV-Talkshows bleiben Klunchun und Bel sowohl den Zuschauern als auch sich gegenseitig letztlich fremd, gleichberechtigt einander und dem Publikum gegenüber gestellt. Das Vermögen, zu spielen Rita Mischereit, Leiterin einer Seitensprungagentur, steht in der Mitte der Bühne, dem 158 Miriam Dreysse Publikum gegenüber, sie blickt in den Zuschauerraum, hält ihre Handtasche fest in den Händen, und beginnt zu sprechen: “Mein erster Kunde war ein Doktor Doktor mit einem großen Chemieunternehmen in Heidelberg. Ich hatte fürchterliche Angst an diesem Tag”. Sie spricht zögernd, stockend, wirkt unsicher. “Beim Rausgehen drehte er sich noch einmal um und sagte, fast entschuldigend: ‘Wissen Sie, zu zweit allein ist schlimmer als allein allein’”. Dann bricht Frau Mischereit ab, lacht unsicher, sagt “nein, Entschuldigung”, lacht wieder, schweigt einen Moment, lacht, da ertönt ein Pfiff, die anderen Darsteller laufen schnellen Schritts quer über die Bühne, sie lächelt, sagt “Ich hab’s verpatzt”, immer noch die Zuschauer anblickend. Dann geht sie mit den anderen ab. Für Wallenstein. Eine dokumentarische Inszenierung haben Helgard Haug und Daniel Wetzel von Rimini Protokoll Menschen gefunden, die einen persönlichen Bezug zu Schillers Drama haben oder bestimmte Themen, Geschehnisse, Elemente des Dramas in ihrem eigenen Leben wiederfinden und diese Erfahrungen, Erinnerungen, Begebenheiten auf der Bühne schildern, ohne dass sich dabei der Bezug zum Stücktext für den Zuschauer immer sofort erschließen würde. 14 Es ist eine Theaterarbeit an Wallenstein entlang, die einen direkten Zugriff auf die heutige Wirklichkeit erprobt, indem sie die Darstellerinnen und Darsteller aus ihrem eigenen Leben berichten lässt. So erzählt der Mannheimer CDU-Politiker Otto von seinem Aufstieg und Fall als Bürgermeisterkandidat, der ehemalige Zeitsoldat Hagen Reich berichtet von Training und Simulationen für den Ernstfall, und der Vietnam-Veteran Dave Blalock beschreibt grausame Morde während des Vietnamkrieges und erzählt von den Plänen seiner Kompanie, ihren brutalen Commander umzubringen. Auch wenn das Erzählen von sich selbst, von eigenen Erfahrungen und Erinnerungen, das Bekenntnis bestimmter Taten oder Entscheidungen, auch des eigenen Scheiterns, auf den ersten Blick der “Tyrannei der Intimität” (Sennett) der Daily Talks zu ähneln scheint, so unterscheidet es sich doch grundlegend von diesem. Wesentliches Merkmal der Theaterarbeiten von Rimini Protokoll ist die Offenlegung der Konstruktion. Anstatt Nähe zu suggerieren oder die Illusion zu erzeugen, mit der Realität identisch zu sein, wird das demonstrative und distanzierte Moment des Theaterspielens vor einem Publikum, der Akt des Auftretens und des öffentlichen Sprechens, deutlich vor Augen geführt. So treten die Experten, wie Haug, Kaegi und Wetzel die Darstellerinnen und Darsteller ihrer Theaterarbeiten nennen, fast immer frontal zum Publikum und sprechen ihre Texte aus dieser Position heraus in den Zuschauerraum. Meist werden die Auftritte zusätzlich durch szenische Mittel wie Beleuchtung, ein Podest oder eine Wand, vor die die Akteure treten, exponiert. Einen geschlossenen Bühnendialog gibt es fast nie, meist sprechen die Experten in langen Sequenzen, ohne unterbrochen zu werden. Im Gegensatz zur Talkshow gibt es keine Moderatorenfigur, die eine Verbindung zum Publikum herstellen, den Eindruck eines intimen Dialogs ermöglichen oder die einzelnen Erzählungen kausal miteinander verknüpfen würde. Die Experten treten den Zuschauern direkt gegenüber, so dass die Öffentlichkeit der Situation und damit auch die Position des Zuschauers immer bewusst bleiben. Die Distanz, die erzeugt wird, ist auch eine Distanz der Experten zu sich selbst, zu ihren eigenen Geschichten. Die einzelnen Erzählungen oder Erzählfragmente sind dabei meist unvermittelt aneinander montiert, so dass Raum für subjektive Zugänge geschaffen wird und die verschiedenen Perspektiven nebeneinander bestehen bleiben. Durch all diese Mittel wird nicht nur die Inszeniertheit des Geschehens hervorgehoben sondern es wird auch der einzelne Experte mit seiner Perspektive auf das jeweilige Thema ins Zentrum der Aufmerksamkeit gestellt. Die Themen Gespräche, Bekenntnisse, Aussprachen 159 sind nicht nur Vorwand, sondern Zentrum der Arbeit von Rimini Protokoll, ein Zentrum, das im Laufe der Aufführung dann aus den teilweise höchst divergenten Perspektiven, den unterschiedlichen Verbindungen von einzelnem Experten und jeweiligem Thema, aufgefächert wird. Der Zuschauer erscheint dabei als Zeuge, nicht aber als richtende oder vermeintlich therapierende Instanz. Auch wenn die Ich-Erzählungen der Experten bei Rimini Protokoll den Bekenntnissen von Talkshowgästen ähneln, versucht Rimini mithin nie, die Illusion zu erzeugen, dass die Inszenierungen mit der Realität identisch seien. Gleichzeitig wird durch die “Arbeit am Nicht-Perfekten” sehr wohl der Eindruck von Authentizität, von der ‘Echtheit’ des Erzählten und der Erzählenden erzeugt. 15 Hier ist v.a. das Sprechen zu nennen. Die Stimmen sind in den meisten Fällen deutlich als nicht ausgebildete Stimmen zu erkennen, z.B. durch Dialekte oder Sprachfehler. Die Unprofessionalität der Stimme wird von Haug, Kaegi, Wetzel hervorgehoben und als Zeichen für die Authentizität der Experten sowie für ihre jeweilige Einzigartigkeit eingesetzt. 16 Sie enthält aber wiederum auch ein selbstreflexives Moment der Inszenierungsarbeit, etwa im Fall des hörbar konzentrierten Bemühens einzelner Darsteller um eine präzise Artikulation oder der Reibung, die durch das Verhältnis von offensichtlich Geprobtem und Unprofessionalität entsteht. Immer wieder gibt es Zeichen der Unsicherheit der Akteure wie zögerndes Sprechen, nervöses Räuspern, Hänger und Fehler wie beispielsweise der oben beschriebene ‘Patzer’ von Frau Mischereit. Während im Daily Talk die scheiternde Rede als Konstituens für die Erzeugung des Live-Effekts in einen ganzen Komplex an Mitteln eingebunden ist, der das Geschehen als Realität behauptet und die eigene Künstlichkeit kaschiert, werden bei Rimini Fehler als Zeichen für Realität gerade auf der Folie der offensichtlichen Konstruktion sichtbar. Erst die exponierte Position der Frau Mischereit, in der Mitte der Bühne, frontal dem Publikum gegenüber, vor einer aluminiumbespannten Wand, eingereiht in eine Abfolge gleich strukturierter Auftritte, lässt den Fehler und die Kommentierung des Fehlers durch die Expertin selbst als einen Einbruch des Realen wirken und stellt ihn zugleich in seiner Zeichenhaftigkeit aus. Die theatrale Form lässt das Scheitern oder den Fehler als ein ihr anderes erkennbar werden, als Störung der symbolischen Ordnung, und vermag so subjektive Spontaneität mitteilbar zu machen. Der Eindruck von Echtheit ist nicht abzulösen von der klaren Rahmung, Realität und Inszenierung greifen unauflöslich ineinander, reiben sich aneinander, befragen sich gegenseitig, hinterfragen die Mechanismen der Inszenierung von Realität. Die Arbeiten von Rimini Protokoll suchen nicht, wie häufig angenommen wird, Realität in Form der Experten einfach auf die Bühne zu stellen. Vielmehr zeichnen sie sich durch eine sensible und engmaschige Verwebung von Realität und Fiktion aus. Begreift man mit Wolfgang Iser das Fiktive nicht in Opposition zur Realität sondern als intentionalen Akt des Fingierens, der zwischen Realität und Imaginärem übersetzt, so stellen bereits die Auswahl der Experten und ihrer Erzählungen und die damit einhergehende Dekontextualisierung ebenso wie ihr dramaturgisches und szenisches Arrangement solche Akte des Fingierens dar. 17 Das Fiktive ermöglicht es laut Iser, Realität umzuformulieren und neue Perspektiven auf sie zu eröffnen. Wesentlich dafür sei, dass es seine Fiktionalität entblöße und sich dadurch als Inszenierung zu erkennen gebe. Erst die Entblößung vermag laut Iser, alle “‘natürlichen’ Einstellungen” zur Welt zu suspendieren und die Realität zum Gegenstand einer Betrachtung zu machen. 18 Die Fiktion ermöglicht mithin gerade durch diese Distanznahme einen Zugang zur Realität. 160 Miriam Dreysse Die exponierte und distanzierende Rahmung der Experten-Auftritte dient bei Rimini Protokoll zunächst dazu, den einzelnen ins Zentrum der Aufmerksamkeit zu stellen und ihn zu schützen - vor einer Verletzung seiner Integrität, vor einem voyeuristischen oder kontrollierenden Zuschauerblick. Sie verweist aber auch auf eine Irrealisierung der Realitätsfragmente durch ihre Inszenierung und hinterfragt so die gängige Trennung von Realität und Fiktion. Während Fernsehformate wie der Daily Talk ihre fiktionalen Anteile verschleiern und so vermeintlich natürlich gegebene Sicht- und Verstehensweisen zementieren und die Beteiligten normieren, werden in den Theaterarbeiten von Rimini Protokoll durch die Entblößung der Fiktionalität Wahrnehmungskonventionen hinterfragt, neue Zugänge zur Realität eröffnet und die einzelnen als immer auch andere in Szene gesetzt. Die Grenze zwischen Realität und Fiktion wird nicht nur durch die beschriebenen szenischen Mittel, die Reibung, die durch das Verhältnis von Geprobtem und Unprofessionalität erzeugt wird, verunklärt, sondern auch auf inhaltlicher Ebene. So wurden beispielsweise in der ersten Produktion, die die drei Regisseure gemeinsam erarbeiteten, Kreuzworträtsel Boxenstopp (Künstlerhaus Mousonturm Frankfurt 2000), Berichte der Protagonistinnen der Aufführung aus ihrem Leben im Altenheim mit einer fiktiven Geschichte über ihre Vergangenheit als Rennfahrerinnen verwoben, ohne dass die Trennung zwischen beiden Erzählebenen für den Zuschauer unmittelbar einsichtig gewesen wäre. 19 In Wallenstein wird das Verhältnis von Realität und Fiktion bzw. Theatralität in den Erzählungen verschiedener Experten hinterfragt. So berichtet der Elektrikermeister Friedemann Gassner, wie ihm Texte von Schiller das Leben gerettet hätten und der Politiker Sven- Joachim Otto berichtet von den Inszenierungsstrategien in seinem Wahlkampf als Bürgermeisterkandidat. Auch gibt es immer wieder Situationen, in denen man sich über den Grad an Realität, der dem Erzählten zukommt, nicht sicher sein kann, so z.B. wenn der Vietnam-Veteran Dave Blalock auf offener Bühne von dem Mord an seinem Commander in Vietnam berichtet. Auch die Erzählhaltungen geben dabei nicht unbedingt Auskunft über den Wahrheitsgehalt des Erzählten, sie fächern eher verschiedene Grade an Theatralität auf und verunsichern so die Kategorien zusätzlich. Die Souveränität und politisch geschulte Rhetorik eines Dr. Otto steht neben dem konzentrierten Bemühen um eine deutliche Aussprache bei Friedemann Gassner, dessen Sprechweise wiederum zwischen leicht leierndem Aufsagen von Schillerschen Texten und hörbar geprobtem Sprechen in umgangssprachlichen Formulierungen wechselt. Rita Mischereit ist äußerst souverän, wenn sie am Telefon spricht, wirkt hingegen unsicher, spricht zögernd und leise, wenn sie unmittelbar vor Publikum auftritt. Stephen Summers rappt gegen den Krieg, Robert Helfert singt Soldatenlieder und wechselt zwischen dem Erzählduktus der persönlichen Erinnerung und dem Referieren aktueller Forschungsergebnisse zum Thema Heldentod und Selbstmord. Hagen Reich, ein ehemaliger Zeitsoldat der Bundeswehr, erzählt Geschehnisse aus dem NATO-Einsatz im Kosovo lebhaft nach, verwendet illustrative Gestik, Mimik und Paralinguistik. Seine Erzählungen werden manchmal durch kurze, kollektiv ausgeführte Bewegungschoreographien unterbrochen, die z.B. militärische Einkleiderituale nachvollziehen, seine Erzählung verfremden und theatrale Elemente des militärischen Alltags vor Augen führen. Seine eindringliche, teils emotionale Sprechhaltung beglaubigt das Erzählte, als Zuschauer ist man ganz sicher, dass der alten Frau tatsächlich von Freischärlern in den Unterleib getreten wurde und dass Reich darunter gelitten hat, untätig zuschauen zu müssen. Umso verstörender ist es, wenn man gegen Ende der Aufführung erfährt, dass Gespräche, Bekenntnisse, Aussprachen 161 Reich nie im Kosovo war, dass all die Erlebnisse, von denen er berichtet, im Trainingslager stattgefunden haben: Es waren Simulationen. Und bei einer solchen Simulation, der Simulation einer Vergewaltigung, ist er schließlich auch ausgeschieden, weil er dem Druck nicht länger standhalten konnte, er ist ausgebrochen und über ein - simuliertes - Mienenfeld gerannt. Auch auf der inhaltlichen Ebene wird so die Frage nach der Realität, nach dem Verhältnis von Realität und Fiktion aufgeworfen: Wie echt ist die Realität? Wie kann ich Realität und Fiktion unterscheiden? Kann ich das überhaupt? Und umgekehrt: Kann man den Tod simulieren? Kann man ihn theatral darstellen? Hier wird nicht ‘Echtes’ als Alternative zum Theatralen präsentiert, sondern verschiedene Facetten von Fiktionalität, Realität, Theatralität, so dass sowohl das Theater auf seinen Bezug zur Realität hin als auch die Alltagsrealität auf ihre theatralen Anteile hin befragt wird. Die Entblößung der Fiktionalität eröffnet dabei neue Sichtweisen auf die Wirklichkeit außerhalb des Theaters und hinterfragt Gewissheiten. Im Zentrum stehen die Experten, denen viel Zeit und Raum gegeben wird, ihre Geschichten zu erzählen, denn auch das “Expertentheater” von Rimini Protokoll ist eine Form der Annäherung an andere Menschen, an ihre Erfahrungen und Erinnerungen, keine narzisstische Selbstbespiegelung mittels Identifikation und Illusion. Die Biografien der einzelnen werden nicht als abgeschlossene, der Aussprache harrende Wahrheit vorgestellt, sondern als Verwebung von Eigenem und Fremden, von subjektiver Spontaneität, diskursiver Ordnung und Akten des Fingierens. Die Distanz der Experten zu sich selbst hält dabei auch einen im Grunde ethischen Abstand zu den einzelnen, die gerade nicht als Privatpersonen vor den Zuschauern entblößt, ausgestellt werden. Eine solche Distanz der Darstellung zur Realität, zu den Experten, geht laut Richard Sennett in der “intimen Gesellschaft” verloren, ist aber notwendig für das “Vermögen, zu spielen” - mit sich selbst und mit dem gesellschaftlichen Kontext. 20 Eigenverantwortung Für Standbild mit Randexistenzen von Auftrag: Lorey suchen Stefanie Lorey und Björn Auftrag in der jeweiligen Stadt der Aufführung per Zeitungsannonce Menschen, die etwas auf der Bühne sagen möchten: “Eine Minute freie Redezeit. Wir suchen Menschen für eine Theaterproduktion” lauten die Zeitungsannoncen in etwa. Den Interessierten wird gesagt, dass sie genau eine Minute Zeit haben, in der sie sagen können was sie wollen, und sie sollen bitte eine Lampe von zu Hause, aus ihrem Privatbereich, möglichst ihre Lieblingslampe, mitbringen. Geprobt wird nicht, nur der Ablauf am Tage der Aufführung. 21 Die Bühne ist bis auf zwei Standmikrophone an der Rampe sowie Steckdosenleisten dahinter leer und weitgehend dunkel. Die Aufführung beginnt mit einem eingespielten Uhrticken, das während der gesamten Aufführung andauert und immer deutlich zu hören ist. Eine Frau kommt von hinten zu einem der beiden Mikrophone, sie hält eine Schreibtischlampe im Arm. Ein Spot geht an, sie spricht von der Krebserkrankung ihres Schwagers, die Uhr tickt, sie erzählt und schaut ins Publikum, nach genau 60 Sekunden geht der Spot und das Mikrophon aus. Gleichzeitig geht das andere Mikrophon und der dazu gehörige Spot an, auch hier steht inzwischen eine Frau, deutlich jünger, mit einer Stehlampe neben sich, sie sagt, man solle zu dem stehen, was man sagt, blickt die Zuschauer an, die Uhr tickt, sie tickt noch weiter, als die Frau schon fertig gesprochen hat, sie steht schweigend, bis die Zeit um ist. Ein Mann tritt an das andere Mikrophon, der Spot geht an, die Uhr tickt, er hält eine Fotografenlampe im Arm, er sagt, er habe die Redezeit von einer Person übernommen, die 162 Miriam Dreysse sich nicht sicher war, ob sie es nicht bereuen werde, hier zu sein, und nun stehe eben er hier, die Uhr tickt, er blickt ins Publikum, der Gong ertönt, das Licht geht aus. Spot auf das andere Mikro, eine Frau steht dahinter, sie hält eine kleine Tischlampe, sie erzählt von einem wunderbaren Abend, den sie mit einem Mann verbracht hat, sie spricht so, als erzähle sie eine fiktive Geschichte, der Gong unterbricht sie, das Licht geht aus. Eine andere Frau erzählt, sie sei 52 Jahre alt und arbeitslos und würde gerne, so wie früher, aufstehen für ihren Traum. Eine Frau singt ein Lied. Eine andere kündigt pikante Dinge aus ihrem Privatleben an und spricht dann auf Polnisch weiter. Ein Mann schweigt eine Minute lang. Eine Frau zählt die Sekunden. Wer fertig ist, geht mit seiner Lampe an einen verabredeten Platz auf der Bühne, steckt seine Lampe ein, und steht nun mit diesem gleichsam privaten Licht im Halbdunkeln neben den anderen. So füllt sich im Laufe der Aufführung die Bühne mit den etwa 35 Akteuren, es entsteht ein Gruppenbild, ein Standbild aus Menschen, die normalerweise nicht im Rampenlicht stehen und insofern Randexistenzen der Mediengesellschaft sind - eben ein “Standbild mit Randexistenzen”. Sie stehen gleichsam zwischen dem Spot der Scheinwerfer, dem Licht der Öffentlichkeit, und demjenigen ihrer Privatlampe, ihrer je eigenen Entscheidung für eine Lampe aus ihrem Privatraum. Die Uhr tickt immer weiter, ohne Pause betreten Menschen die Bühne, gehen mit ihrer Lampe und in der von ihnen gewählten Kleidung zum Mikro, schauen in den Zuschauerraum, sprechen von ihrer Arbeitslosigkeit in Zeiten von Hartz IV, sagen ein Gedicht auf, sprechen von der Kluft zwischen Arm und Reich, predigen über Freundschaft und Vertrauen, sprechen in fremden Sprachen, appellieren an die Anwesenden, sich für eine bessere Welt zu engagieren, tragen poetische Texte vor, sprechen über ihr Verständnis von Freiheit, von ihrem Leben, von Einsamkeit, ein Mann singt ein Liebeslied für die im Publikum anwesende Ehefrau, eine Frau erzählt einen Witz, einer spielt Gitarre, eine schreit - so vielfältig die beteiligten Menschen sind, so vielfältig ist das, was sie vortragen, und so unterschiedlich sind auch die Aufführungen in den verschiedenen Städten. Viele sprechen die Redesituation selbst an - wie sie auf die Zeitungsannonce gestoßen sind, warum sie sich entschieden haben mitzumachen, wie sie darüber nachgedacht haben, was sie sagen sollen, wie merkwürdig es ist, jetzt dort zu stehen. So wird immer wieder auf die Produktionsebene der Aufführung verwiesen, ihre Konzeption und Funktionsweise werden offengelegt und die grundsätzliche Frage nach dem Sprechen in der Öffentlichkeit, nach dem Verhältnis von Privatem und Öffentlichem, von Zeigen und Zuschauen aufgeworfen. Diese Hinterfragung der Aufführungssituation wird durch den klaren Aufbau und Ablauf verstärkt. Die Spielregeln sind einfach und einsichtig. Die Zeitvorgabe ist äußerst strikt, sie wird durch das Ticken der Uhr, durch das laute, ratschende Geräusch, das die Redezeit beendet, durch das Abschalten des Mikros und des Lichts hör- und sichtbar gemacht. Der Ablauf der Aufführung und der Bewegungen im Raum sind reduziert und klar geregelt und stellen die theatrale Grundsituation des Auftretens vor ein Publikum ostentativ zur Schau. Einfache Spielregeln, strikte Zeitordnung, Reduktion der Mittel, all dies gibt der Aufführung einen deutlichen Rahmen, macht sie als theatrale Inszenierung kenntlich und erzeugt Distanz zum Zuschauer und zur Realität. Gleichzeitig wirken die Auftritte der einzelnen weitgehend authentisch. Gerade die klare Rahmung hebt auch hier das “Nicht- Perfekte”, die Fehler, Unsicherheiten, Aussetzer als Zeichen der Unprofessionalität und Singularität des einzelnen hervor. Im Gegensatz zu der theatralischen Gefühlsinszenierung des Affekt-Talks oder neuerer Formate wie Deutschland sucht den Superstar oder Gespräche, Bekenntnisse, Aussprachen 163 Germany’s next Topmodel, 22 fördern Konzept und Anordnung von Standbild eher alltägliche, zurückgenommene Formen der Selbstdarstellung. Die Darsteller treten meist in Alltagskleidung auf und verzichten auf theatrale Posen, Bewegungen oder Effekte. Viele berichten tatsächlich von sich, aus ihrem Privatleben, von ihren Wünschen, Hoffnungen, Ängsten. Viele spielen aber auch bewusst mit diesem Versprechen der Intimität bzw. der Wahrheit. Die Entscheidungen über die Nutzung der eigenen sechzig Sekunden öffnen eine große Vielfalt an möglichen Persönlichkeiten, (Lebens-)Entwürfen, Besonderheiten, Eigenarten und scheinen viel über den einzelnen zu erzählen. Zugleich ist die Zeit so knapp bemessen, die Ordnung so strikt, dass die Zuschauer letztlich nur Schnipsel, Andeutungen, erste Eindrücke erhalten, die sie in ihrer Phantasie weiter ausbauen können. Im Gegensatz zum Terror der Intimität des Fernsehens und der von ihm erzeugten Illusion des vollständigen Eindringens in den einzelnen bzw. seiner restlosen Selbstoffenbarung führen Distanzierung und Knappheit hier zu Eindrücken von den Beteiligten, die ebenso vielfältig wie bruchstückhaft sind. Die Einmaligkeit der Aufführung und der Verzicht auf Proben öffnen die theatrale Form für subjektive Spontaneität, die den Zuschauer teilweise auf fast intime Weise zu berühren vermag. Zugleich macht die äußere Form aber auch deutlich, dass die einzelnen sich bewusst selbst präsentieren, ein Bild von sich erzeugen - mag dieses Bild noch so vorläufig, fragmentarisch, unprofessionell, alltäglich sein. Gerade das Wechselverhältnis von Einzelnem und allgemeiner Ordnung, von Privatem und Öffentlichem, macht die Aufführung immer wieder aufs Neue spannend. So wie die Akteure gleichsam zwischen dem Scheinwerfer- und ihrem privaten Licht stehen, so changieren sie auch in ihrem Auftreten zwischen Privatheit und öffentlicher Ansprache, zwischen subjektiver Spontaneität und bewusstem Rollenspiel. Das Besondere, die Unterschiedlichkeit der Beteiligten mit Blick nicht nur auf die Inhalte des Gesagten sondern auch auf die Art und Weise des Sagens wird durch die klare Rahmung hervorgehoben. Gerade die für alle gleiche Grundstruktur und die schnelle Reihung betonen die ganz unterschiedlichen Sprechhaltungen: Manche stolpern durch frei Erzähltes, brechen Sätze ab, zögern, verhaspeln sich, andere sprechen flüssig im Umgangston, vielleicht in einem Dialekt, wieder andere erzählen fast im Märchen-Duktus, distanzieren sich über eine fiktionale Sprechhaltung, manche klingen auswendig gelernt, andere reden geübt und souverän frei. Die Unterscheidbarkeit von Realität und Fiktion, von Selbstdarstellung und Authentizität wird dabei fragwürdig. Der im ersten Moment so alltäglich klingende Umgangston vermag plötzlich ebenso theatral zu wirken wie eine fiktiv wirkende Erzählung, umgekehrt ermöglicht vielleicht erst der fiktionale Ton ein Aussprechen realer Begebenheiten, intimer Vorstellungen, Wünsche. Eine junge Frau sagt: “Das ist eigentlich der Gipfel, da stehe ich hier, und dann dreht mir jemand den Saft ab, oder es ist irgendeine Maschine, und das kotzt mich an, und ich will nicht, dass es jetzt gleich gongt” - aber unerbittlich ertönt der Gong, das elektro-akustische Abbruch-Zeichen, nach sechzig Sekunden, ihr wird das Wort abgeschnitten, das Licht ausgeknipst. Die letztlich autoritäre Struktur, die jede Inszenierung ist, wird hier nach außen gekehrt. Was gerade im Fernsehen verdeckt wird - die kontrollierende und normierende Funktion der medialen Anordnung, des Moderators, der Regie - wird hier als Struktur sichtbar gemacht. In den Zwischenräumen, in den einzelnen Minuten aber besteht tatsächlich eine Freiheit, die sich der Kontrolle der Regie und der formalen Norm entzieht. Lorey und Auftrag stellen das Gerüst zur Verfügung, die Aufführung selbst wird maßgeblich von den Beteiligten gestaltet. 164 Miriam Dreysse Regie erscheint hier nicht so sehr als der schöpferische Akt eines Künstler-Subjekts, denn als ein Prozess des Suchens und Findens und der Konstruktion eines Versuchaufbaus. Patrice Pavis hat angesichts des “Einzugs der Medien in die Theateraufführung” das Verschwinden des Regisseurs als “zentrales, autoritäres Subjekt” beklagt, ohne ein solches Zentrum verlöre die Inszenierung “ihre Daseinsberechtigung”. 23 Tatsächlich treten kollaborative Arbeitsweisen in den letzten Jahren in der deutschen Performance- und Theaterszene wieder verstärkt in Erscheinung, auch unabhängig von der Nutzung neuer Medien, man denke z.B. an die eingangs erwähnten Gruppen Gob Squad oder She She Pop. Auch die Arbeit an der Realität mit der Realität, wie sie bei Gruppen wie Rimini Protokoll oder eben Auftrag: Lorey begegnet, gehorcht nicht der tradierten Vorstellung von einem zentralen, schöpferischen Künstler- Subjekt. Wie Auftrag: Lorey arbeitet auch das Regieteam Rimini Protokoll tatsächlich als Team, bei dem alle drei Regisseure in gleichem Maße an Konzeption und Realisierung beteiligt sind. Zudem beruht ihre Arbeitsweise nicht so sehr auf einem Erfinden, sondern auf einem Prozess der Recherche, des Suchens und Findens von Gegebenem. Und auch bei Rimini Protokoll sind die ‘gefundenen’ Akteure ganz maßgeblich an Gestalt und Inhalt der Aufführung beteiligt. In Standbild wird ein großer Teil der Verantwortung für den Inhalt der Aufführung an die Akteure abgegeben. Bezeichnender Weise gaben Lorey und Auftrag den Beteiligten der ersten Standbild-Aufführung im Berliner Hebbel am Ufer den Begriff ‘Eigenverantwortung’ als mögliche Anregung für ihre Auftritte. Die Akteure vertreten auf der Bühne sich selbst, sie sind für ihre sechzig Sekunden selbst verantwortlich, sie müssen selbst entscheiden, wie sie auftreten und was sie sagen und müssen, im buchstäblichen Sinn, dafür gerade stehen. Die Eigenverantwortung, die in Standbild zugleich inszeniert und tatsächlich gefordert wird, bedeutet Freiheit und Verpflichtung gleichermaßen, auch das macht die Form der Aufführung, die strikten Spielregeln einerseits, das freie Spiel der sechzig Sekunden andererseits, deutlich. Das Regieduo erscheint dabei eher als Idee- und Strukturgeber und Organisationsteam, teilweise tatsächlich als “Organisator des Funktionierens”, wie Pavis die Regisseure des Medientheaters nennt, denn als ein sein Material formendes Künstlersubjekt. 24 Standbild mit Randexistenzen spielt mit dem Versprechen der Mediengesellschaft, ein jeder könne berühmt sein oder werden. Die im Fernsehen weitgehend verdeckt ablaufenden Normierungsprozesse werden als zugrundeliegende Struktur sichtbar gemacht; der Eindruck der Echtheit wird nicht illusionistisch erzeugt, sondern ausgestellt und hinterfragt. Die klare Rahmung ermöglicht es den Beteiligten, sich innerhalb dieses Rahmens frei zu bewegen und ihr eigenes Bild weitgehend selbst zu gestalten, während die Gäste des Daily Talk ihre eigene Inszenierung durch das Medium nicht kontrollieren, nicht einmal einsehen können. Der Rahmen von Standbild setzt die “Randexistenzen” für Momente ins Zentrum der Aufmerksamkeit und verleiht ihnen Verantwortung - für sich selbst, das eigene Bild und für das Gruppenbild. Standbild mit Randexistenzen ist so auch eine Reflexion des Verhältnisses von Stadt und Theater. Es stellt einen Versuch dar, den Pluralismus und die Diversität der Großstadt, die Vielfalt ihrer Bevölkerung, auf die Bühne zu bringen. Es öffnet das Theater auf die Stadt, indem es die Bewohnerinnen und Bewohner nicht nur als Zuschauer, sondern als Akteure auf die Bühne einlädt. Als eine solche Verzahnung von Stadt und Theater, von Theater und gesellschaftlicher Öffentlichkeit, erinnert es in gewisser Weise an die Ursprünge des europäischen Theaters in der griechischen Antike. Die Aufführung erscheint als Momentaufnahme - als Standbild - einer demokratischen Öffentlichkeit, einer Gespräche, Bekenntnisse, Aussprachen 165 Vorstellung von gesellschaftlichem Zusammenleben zwischen Selbstbestimmtheit des einzelnen und seiner Verantwortung für die Gemeinschaft. Der zunehmenden Theatralisierung des öffentlichen Lebens wird hier mit einer sehr einfachen Versuchsanordnung begegnet, die mit den medialen Inszenierungen des Privaten spielt, deren Grundkomponenten ausstellt und sich durch die Reduktion der Mittel und die Öffnung auf die Besonderheiten des einzelnen der Spektakularisierung entzieht. Es stellt Theater als Forum einer Öffentlichkeit vor, die den einzelnen aktiv beteiligt und ihm Raum lässt, sich anderen auf seine Weise mitzuteilen. Lorenz Engell schreibt, der Redezwang im Daily Talk habe die Funktion, den unentrinnbaren Zeitzwang der Vergänglichkeit im kontrollierten Raum des Mediums Fernsehen beherrschbar erscheinen zu lassen. 25 Auf der Bühne tickt bei Auftrag: Lorey erbarmungslos die Uhr, immer weiter, bis zum Ende, nach jeweils sechzig Sekunden erlischt das Licht, ‘stirbt’ der Redner, seine Stimme, die Zeit geht weiter, erbarmungslos. Klunchun und Bel sprechen von Todesarten auf der Bühne, im thailändischen Tanz darf der Tod nicht dargestellt werden, erzählt Klunchun, das bringe Unglück. Der Tod wird auf der Bühne in Form der Trauer um die Toten dargestellt, beispielsweise als Gang der Trauergemeinde. Ganz langsam geht Klunchun über die Bühne, in kleinen Schritten, Zeitlupentempo, Zeit unter der Lupe, von links nach rechts, alles ist still, kein Reden, Klunchun geht, minutenlang, bis zu zwanzig Minuten kann dieses Gehen dauern, erklärt er dann doch noch. Der Tod als Leerstelle, als ungefüllte Zeit, als Zeit, die spürbar wird. Hier wird nicht die Beherrschbarkeit der Zeit suggeriert, sondern ihr Vergehen wahrnehmbar gemacht und Raum geschaffen für das einzelne Subjekt, für das Unsagbare, für das Vermögen zu spielen, das Theater von einem endlosen Reden über sich selbst unterscheidet. Anmerkungen 1 Bettina Fromm, Privatgespräche vor Millionen. Fernsehauftritte aus psychologischer und soziologischer Perspektive, Konstanz 1999, S. 114. 2 Gary Bente, Bettina Fromm, Affektfernsehen. Motive, Angebotsweisen und Wirkungen, Opladen 1997, S. 20. 3 Vgl. dazu Lorenz Engell, “Das Geräusch der Zeit”, in: Claudia Gerhards, Renate Möhrmann (Hrsg.), Daily Talkshows. Untersuchungen zu einem umstrittenen TV-Format, Frankfurt/ Berlin/ NY 2002, S. 97-113, hier: S. 102. 4 Georg Christoph Tholen, Die Zäsur der Medien. Kulturphilosophische Konturen, Frankfurt/ Main 2002, S. 148. 5 Michel Foucault, Der Wille Zum Wissen. Sexualität und Wahrheit 1, Frankfurt a. Main 1977, S. 76, 77. 6 Veit Sprenger, Despoten auf der Bühne. Die Inszenierung von Macht und ihre Abstürze, Bielefeld 2005, S. 12. 7 Sprenger, Despoten auf der Bühne, S. 198. Sprenger zufolge ist die Macht des Moderators immer auch eine prekäre, geprägt von einer “melodramatischen Ambivalenz aus Selbstüberhöhung und Absturz”, ebd., S. 13. 8 Engell, “Das Geräusch der Zeit”, S. 103. 9 Fromm, Privatgespräche vor Millionen, S. 35. 10 Engell, “Das Geräusch der Zeit”, S. 104. 11 Engell, “Das Geräusch der Zeit”, S. 103. 12 Zur identitätsstiftenden Funktion der Stimme in der abendländischen Tradition vgl. Helga Finter, “Die soufflierte Stimme. Klang-Theatralik bei Schönberg, Artaud, Jandl, Wilson und anderen”, in: Theater heute 1/ 1982, S. 45-51. 13 Tholen, Die Zäsur der Medien, S. 148. 14 Die Inszenierung wurde 2005 für die 13. Internationalen Schillertage Mannheim/ Nationaltheater Mannheim in Koproduktion mit dem Deutschen Nationaltheater Weimar erarbeitet und war inzwischen u.a. am HAU Berlin, Schauspielhaus Zürich und Thalia-Theater Hamburg zu sehen. 15 Zur “Arbeit am Nicht-Perfekten” vgl. Jens Roselt (Hrsg.), Seelen mit Methode. Schauspieltheorien vom Barock bis zum postdramatischen Theater, Berlin 2005, S. 377. 166 Miriam Dreysse 16 Zur Inszenierung der Stimme bei Rimini Protokoll vgl. Miriam Dreysse, “Was erzählt eine alte Stimme, was eine junge Stimme nicht erzählt? ” in: Doris Kolesch, Jenny Schrödl (Hrsg.), Kunst-Stimmen, Berlin 2004, S. 68-78. 17 Iser ersetzt die Opposition Realität vs. Fiktion durch die “Triade des Realen, Fiktiven und Imaginären”; s. Wolfgang Iser, Das Fiktive und das Imagniäre. Perspektiven literarischer Anthropologie, Frankfurt a. Main 1991, S. 19. Akte des Fingierens sind ihm zufolge z.B. die Selektion und die innertextliche Kombination; s. ebd., S. 24/ 25. 18 Iser, Das Fiktive und das Imagniäre, S. 38. 19 Für eine genauere Analyse von Kreuzworträtsel Boxenstopp s. Miriam Dreysse, “Spezialisten in eigener Sache”, in: Forum Modernes Theater, Bd. 19/ 1 (2004), S. 27-42. 20 Richard Sennett, Verfall und Ende des öffentlichen Lebens. Die Tyrannei der Intimität, Frankfurt 1983, S. 335; 339. 21 Standbild wurde das erste Mal am Hebbel am Ufer (Berlin, Januar 2004) aufgeführt. Es folgten Aufführungen in Frankfurt/ Main (Künstlerhaus Mousonturm 2004, Schauspiel Frankfurt 2006), an den Münchner Kammerspielen 2005, dem Deutschen Schauspielhaus Hamburg 2005, Teatr Maly, Warschau 2006, Schauspielhaus Zürich 2006, Stadttheater Gießen 2007. 22 Die letzteren unterscheiden sich von den traditionellen intimen Formaten dadurch, dass sie nicht nur an der möglichst perfekten Illusion von Authentizität arbeiten, sondern auch an der offensichtlichen, möglichst perfekten Selbstdarstellung. 23 Patrice Pavis, “Die zeitgenössische Dramatik und die neuen Medien”, in: Josef Früchtl/ Jörg Zimmermann (Hrsg.), Ästhetik der Inszenierung. Dimensionen eines künstlerischen, kulturellen und gesellschaftlichen Phänomens, Frankfurt/ Main 2001, S. 240-259, hier S. 244. 24 Pavis, “Die zeitgenössische Dramatik und die neuen Medien”, S. 245. 25 Engell, “Das Geräusch der Zeit”, S. 111.