Forum Modernes Theater
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Narr Verlag Tübingen
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2007
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BalmeFriedrich-Wilhelm-Murnau Stiftung (Hg.): Ernst Lubitsch Collection. Anna Boleyn. Die Austernprinzessin. Die Bergkatze. Ich möchte kein Mann sein. Sumurun. Restaurierte Fassungen mit neuer Musik. 6 DVD-Set. München: Transit Film, 2006.
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Peter W. Marx
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214 Rezensionen israelischen Gefängnis Khiam gezeigt werden. Hier werden die aktuellen Grenzen politischen Theaters aufgezeigt. Das Gefängnis, welches nun von der Hamas als Mahnmal militanten Widerstandes umgedeutet wird, ist ein vielfach durch Politik und Gewalt aufgeladener Grenzort. Gezielt sucht sich das Living Theatre diesen Ort aus, um sein Anliegen des Gewaltverzichts zusammen mit libanesischen Workshopteilnehmern darstellerisch umzusetzen. Jedoch muss das Theater vor den konkreten Lebens-Geschichten weichen: Den Verzicht auf Gewalt wollen die Workshopteilnehmer aus dem Libanon nicht darstellen, zu groß sind hier die Verletzung und das Ressentiment, die Gruppe teilt sich. Diese Sequenz relativiert den Eindruck, das Living Theatre sei in seiner Forderung nach einem “totalen Theater” anachronistisch. Hier nämlich fungiert die plakative Spielweise des Agitprop als ein wirksamer “Katalysator” (O-Ton Szuszies), um strukturelle Gewalt und einen verdeckten Ausnahmezustand aufzudecken. Im Archiv kann nun auf der Mikroebene szenischer Erprobung nachvollzogen werden, worin diese katalytische Funktion politischen Theaters besteht. In einer konzentrierten Studie nämlich können wir verfolgen, wie der Darsteller John Anthony dem libanesischen Schauspieler Mohammed Issa eine Rolle aus der Living Theatre- Produktion Mysteries and smaller pieces beibringt. Anthony wird für einen Auftritt verhindert sein und muss ersetzt werden. Es handelt sich also um eine Umbesetzung, wie sie im kommerziellen Theater üblich ist. Die Aufgabe Issas besteht darin, eine Gruppe von Rekruten in größter Verausgabung der Stimme anzubrüllen. Es wird englisch gesprochen; der Stimmeinsatz gemahnt an das Klischee amerikanischer Marines. Der libanesische Schauspieler jedoch zeigt auf Grund seines anders gearteten kulturellen Hintergrundes großes Unverständnis für diese Art stimmlicher Verausgabung. Er möchte die Rolle eigentlich nicht spielen. Die Zeit drängt, Anthony leitet an, insistiert, drängt und ist genervt. Vorbei ist es mit dem partnerschaftlichen Dialog der Kulturen. Hier stellt sich die Frage nach Herrschaft und Gewalt also bereits auf der Ebene der Theaterarbeit selbst. Gelingt die Aufführung von Mysteries and smaller pieces in Beirut, die wohl wichtig ist für den Erfolg des anschließenden Workshops, welchen das Living Theater veranstaltet? Andererseits, was erfordert die Präsentation des Stückes an (Proben)Disziplin? Welches Herrschaftswissen und welches Herrschaftsverhältnis schreibt sich hier konkret ein, wenn eine Verkörperung, ein Stimm-Körper gegen deutlichen Widerstand übertragen werden muss, damit die Show funktioniert? Szuszies’ Studie zur Vorgeschichte des Auftritts zeigt, dass die Politizität des Theaters bereits in dem Moment einsetzt, da Menschen zusammen auf einer Bühne etwas miteinander machen. Es ist ein besonderes Qualitätsmerkmal dieser DVD, die Singularität des Living Theatre als einem nunmehr 50 Jahre andauerndem Experiment aufzuzeigen. Solche Singularitäten sind genau dann wichtig, wenn eine Debatte um politisches Theater und dessen Möglichkeit die konkreten Ausdrucksformen zu nivellieren droht. Dass aber das Ästhetische des Theaters nicht von seiner Politizität zu trennen ist und dass es sich erst im Widerstreit von Programmatik, theatraler Praxis und eigener Geschichtlichkeit zeigt - dies lässt sich in Szuszies und Kapers DVD-Archiv studieren. München W OLF -D IETER E RNST Friedrich-Wilhelm-Murnau Stiftung (Hg.): Ernst Lubitsch Collection. Anna Boleyn. Die Austernprinzessin. Die Bergkatze. Ich möchte kein Mann sein. Sumurun. Restaurierte Fassungen mit neuer Musik. 6 DVD-Set. München: Transit Film, 2006. Ernst Lubitsch gehört zu jenen Regisseuren aus der Frühzeit des Kinos, die sich in den letzten Jahren eines erstarkenden Interesses erfreuen können. Obwohl Lubitsch vor allem aufgrund seiner in den USA produzierten Filme immer schon zu den kanonischen Autoren der Filmgeschichte gehörte, galten seine ersten filmischen Versuche als ein Frühwerk, über das man eher mit gnädiger Diskretion den Mantel des Schweigens decken sollte - vor allem jene, in denen er selbst die Figur des Forum Modernes Theater, Bd. 22/ 2 (2007), 214-216. Gunter Narr Verlag Tübingen Rezensionen 215 jüdischen Aufsteigers verkörperte, wie Der Stolz der Firma, Schuhpalast Pinkus oder Meyer aus Berlin. Dies hat sich in den letzten Jahren erfreulicherweise geändert und so wurde Lubitsch im Rahmen der Berlinale 2007 mit einer umfassenden Retrospektive seines Werks gewürdigt. Auch die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit den frühen Lubitsch-Filmen hat zunehmend die spezifischen Qualitäten dieser Stummfilme entdeckt. Es sei an dieser Stelle nur stellvertretend auf den umfassenden Ausstellungskatalog Pioniere in Celluloid. Juden in der frühen Filmwelt, herausgegeben von Irene Stratenwerth und Hermann Simon (Berlin 2004), verwiesen. Nun präsentiert die Murnau-Stiftung gemeinsam mit dem Vertrieb Transit Film eine Sammlung von fünf Lubitsch-Filmen, die in Deutschland zwischen 1918 und 1921 produziert bzw. uraufgeführt wurden. Damit gehören diese Filme zu jener mittleren Phase von Lubitschs Arbeiten, in der er sich von der Sally-Figur und damit von seiner eigenen Schauspielerei verabschiedet hat, neue Stoffe und Filmsprachen erprobt, aber eben noch nicht jene Form gefunden hat, die den legendären ‘Lubitsch-Touch’ ausmacht. Die ersten beiden Filme erinnern in ihrer Thematik und Bildsprache noch sehr an die Sally- Filme Lubitschs, allerdings mit dem entscheidenden Unterschied, dass hier die weibliche Perspektive dominiert: In beiden Fällen verkörpert Ossi Oswalda (1897-1947) den Typus der selbstbewussten jungen Frau, die sich mit den von der patriarchalischen Gesellschaft vorgegebenen Rollenmustern nicht mehr zufrieden geben will. In Ich möchte kein Mann sein (UA 1918) flieht Ossi, wie die Filmfigur heißt, in das Maskenspiel als Mann, um sich schließlich doch wieder in ihre Rollenidentität zu fügen. Überraschend vor allem die offensichtlichen, homoerotischen Obertöne, die durch die Fabel des Films nicht versteckt, sondern eher betont werden. Die Austernprinzessin (UA 1919) ist in einer fiktiven amerikanischen Metropole angesiedelt, die bei näherer Betrachtung dem Berlin der früheren Lubitsch-Filme sehr ähnelt. Ossi Oswalda spielt hier die verzogene Tochter des “amerikanischen Austernkönigs”, die sich in den Kopf gesetzt hat, einen europäischen Prinzen zu heiraten. Ihr Vater, gespielt von Victor Janson (1884-1960), unterstützt ihren Wunsch - nicht aus innerer Überzeugung, sondern um zu verhindern, dass sie, wie angekündigt, in ihrer Wut das gesamte Inventar des Hauses zerstört. Dank einer etwas unmotivierten Verwechslungsintrige heiratet sie schließlich den völlig verarmten Prinzen Nucki, in den sie sich, ohne ihn zu erkennen, verliebt hatte. Die Austernprinzessin ist eine Entdeckung in dieser Kollektion, denn der Film ist nicht nur in seinen ästhetischen Mitteln sehr ausgereift, er spielt auch am deutlichsten mit der konventionellen Lustspielmechanik: So ist etwa der Austernkönig stets von einem Heer von livrierten Lakaien umgeben, die ihm die Tasse oder die Zigarre an den Mund führen oder ihm zum Mittagsschlaf ein zusätzliches Kissen unters Gesäß schieben. Lubitsch spiegelt hier - wie in der Badeszene Ossis - den Taylorismus ins Luxuriöse: Selbst das ‘alle Wünsche von den Augen abgelesen bekommen’ wird zur Arbeit. Auch die dramaturgische Führung ist im Hinblick auf den frühen Film bemerkenswert, denn die Fabel lebt nicht von der psychologischen Motivation der Figuren, sondern wird vielmehr von Einzelszenen angetrieben, deren innere Logik nicht hinterfragt werden kann. Das Happy-End, die Entdeckung der sich Liebenden, unbewusst Verheirateten, geht keineswegs organisch aus der vorigen Handlung hervor, sondern wird abrupt und sehr eilig herbeigeführt. Die drei übrigen Filme zeichnen sich demgegenüber durch einen höheren Aufwand in ihrer optischen Gestaltung und der Erzählweise der Fabel aus. Sumurun (UA 1920) und Anna Boleyn (UA 1920) sind regelrechte Kostümfilme, allein die Spieldauer von jeweils über hundert Minuten gibt einen anderen erzählerischen Rahmen vor. Für den Theaterhistoriker ist Sumurun von besonderem Interesse, denn hier wird eine theatergeschichtliche Genealogie erkennbar: Ernst Lubitsch, von 1910 bis 1917 Mitglied in Reinhardts Deutschem Theater, greift auf eine Pantomime zurück, die Max Reinhardt 1910 in den Kammerspielen inszeniert hatte. Lubitsch kehrt nun mit diesem Film nicht nur zu seinen eigenen künstlerischen Wurzeln zurück, sondern markiert gleichzeitig auch die Differenz zwischen beiden Künsten. Zeigten gerade die frühen Lubitsch-Filme 216 Rezensionen noch jene Prägungen durch die Theaterbühne, die in der Forschung als so charakteristisch für diese Phase des Films beschrieben wird, so zeigt Sumurun sehr klar, dass Lubitsch sich den Stoff, der ihm von der Bühne her vertraut war, in einer innovativen, weil durch das Medium Film geprägten Weise aneignet. Die Schnitte und Kameraeinstellungen schaffen einen eigenständigen Rhythmus, der die medialen bzw. technischen Differenzen zwischen Bühne und Film ausstellt. Gleichzeitig ist die Reverenz an Reinhardt dem Film auch schon in seiner Besetzung eingeschrieben - zum letzten Mal trat in diesem Film Lubitsch selbst als Schauspieler vor die Kamera. Die Bergkatze (UA 1921) schließlich, in dem, wie in Sumurun, Pola Negri (1897-1987) die weibliche Hauptrolle spielt, wird im Vorspann als Groteske bezeichnet und macht diese Genrebezeichnung zum Programm: Optisch durch die Bauten von Ernst Stern geprägt, verbindet der Film komödiantische und melodramatische Elemente zu einer Fabel, die weniger von ihrem Inhalt als vielmehr von der Fülle komischer oder anrührender Einzelszenen lebt. Abgerundet wird diese Sammlung durch einen Dokumentarfilm, der den Lebensweg Lubitschs von Berlin nach Hollywood nachzeichnet. Die aufwendig gestaltete DVD-Box sowie ein Beiheft, von dem man sich im Ganzen aber doch etwas mehr Information gewünscht hätte, komplettieren das Set. Es ist zweifellos aus kulturgeschichtlicher Perspektive verdienstvoll, dass diese Filme nun wieder in einer gut erhältlichen und technisch einwandfreien Form vorliegen. Jenseits ihrer dokumentarischen Verdienste eröffnet die Sammlung dem, der sich auf das den Filmen eigene Bild- und Zeitmaß einlässt, ein großes Vergnügen. Mainz P ETER W. M ARX Uwe Böker, Ines Detmers, Anna-Christina Giovanopoulos (Eds.): John Gay’s The Beggar’s Opera 1728-2004. Adaptions and Re- Writings. Internationale Forschungen zur Allgemeinen und Vergleichenden Literaturwissenschaft, Bd. 105. Amsterdam, New York: Editions Rodopi, 2006. 347 Seiten (engl. u. dt.). Bereits die erste Londoner Aufführungsserie von John Gays Beggar’s Opera im Jahr 1728 ließ keinen Zweifel daran, dass hier eine bemerkenswerte Erfolgsgeschichte ihren Lauf nahm: Besucherrekorde, überfüllte Häuser und Gastspiele verhalfen dem neuen Genre der ballad opera zu einer nie gekannten Popularität und machten ihren Schöpfer John Gay über die Grenzen Londons hinaus bekannt. Der von Uwe Böker, Ines Detmers und Anna-Christina Giovanopoulos herausgegebene Band John Gay’s The Beggar’s Opera 1728-2004. Adaptions and Re-Writings beschäftigt sich mit dieser Erfolgsgeschichte sowohl aus der Perspektive einer zunehmenden Kommerzialisierung von Theater seit Beginn des 18. Jahrhunderts als auch im Hinblick auf das literaturgeschichtliche Phänomen der Adaption und des Re-Writing - im Sinne der Um- und Fortschreibung einer literarischen Vorlage für ein verändertes zeit-, kultur- und sozialgeschichtliches Umfeld. Den Autoren gelingt es im einleitenden Artikel “From Gay to Brecht and Beyond: Imitation and Re-Writing of The Beggar’s Opera - 1728 to 2004”, den wissenschaftstheoretischen Zugang sowohl im Hinblick auf etablierte postmodern geprägte Diskurse als auch hinsichtlich fachspezifischer Grenzen zu erweitern. Der literaturwissenschaftlich-komparatistische Ansatz wird an eine theaterwissenschaftliche Lesart gekoppelt und Aufführungsgeschichte wird als Geschichte beständiger Um- und Fortschreibungen betrachtet: “If we consider theatrical performance to be a kind of re-writing, it is […] an on-going process of story-making and finding new meaning in the contexts of social structures and power relations of a given society at a given historical moment” (19). Der gelungene Brückenschlag zwischen Literatur-, Theater- und Kulturwissenschaft ist die Grundlage für den Facettenreichtum dieses Sammelbandes, der sich ausgehend vom Prototyp der Gay’schen Beggar’s Opera mit diversen Adaptionen und Neufassungen beschäftigt. Die Beispiele reichen von der im 20. Jahrhundert vergleichbar beliebten Dreigroschenoper von Bertolt Brecht und Kurt Forum Modernes Theater, Bd. 22/ 2 (2007), 216-217. Gunter Narr Verlag Tübingen