Forum Modernes Theater
fmth
0930-5874
2196-3517
Narr Verlag Tübingen
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2008
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BalmeMatthias Rebstock: Komposition zwischen Musik und Theater. Das instrumentale Theater von Mauricio Kagel zwischen 1959 und 1965. sinefonia. 6. Hofheim: Wolke, 2007, 376 Seiten.
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2008
Björn Heile
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76 Rezensionen Summe aufschlussreich. Gleichzeitig geht sie mit einer methodischen Heterogenität einher, die allerdings kein schwerwiegendes Problem für die innere Einheit des Bandes darstellt. Mit Blick auf die im Vorwort vertretene These, dass Themen- und Motivwahl und dramatischer Diskurs des spanischen Gegenwartstheaters vor allem als Reaktion der Autoren auf einen strukturellen Wandel im Theaterbetrieb zu werten seien, wäre zu hoffen, dass sich weitere Einzelstudien anschließen, die dieser Frage unter stärkerer Berücksichtigung institutioneller, kulturpolitischer und inszenierungsbezogener Aspekte nachgehen. Köln H ERIBERT H ÄRTINGER Matthias Rebstock: Komposition zwischen Musik und Theater. Das instrumentale Theater von Mauricio Kagel zwischen 1959 und 1965. sinefonia. 6. Hofheim: Wolke, 2007, 376 Seiten. Obwohl das experimentelle Musiktheater (um einen gebräuchlichen Oberbegriff zu verwenden) bereits auf eine illustre Geschichte von, je nach Definition, über 50 oder sogar fast 100 Jahren zurückblicken kann, steht eine angemessene wissenschaftliche Theorie oder Analysemethode noch aus. Allein aus diesem Grund kann die vorliegende Publikation kaum genug begrüßt werden. Nur wenige Musikwissenschaftler sind mit den Grundbegriffen der Theaterund/ oder Performativitätstheorie vertraut, wohingegen Theaterwissenschaftler, so sie sich mit musiktheatralischen Formen überhaupt auseinandersetzen, selten die rein musikalischen Aspekte angemessen berücksichtigen. Auch in diesem Zusammenhang fällt das Buch positiv auf: Rebstock ist mit der zeitgenössischen Theatertheorie gut vertraut und weiß sie in seine eigene Arbeit einzubeziehen. Aber auch im Hinblick auf die Kagel-Forschung ist der Band mehr als willkommen. Seit Dieter Schnebels Buch von 1970 - das Werk eines damals geistesverwandten Komponisten - wurde die Kagel-Forschung vornehmlich von Musik- Pädagogen wie etwa Karl-Heinz Zarius, Werner Klüppelholz und Rudolf Frisius fortgeführt. Damit soll keineswegs gesagt werden, dass diese Publikationen geringeren Wert hätten, doch ist deren Perspektive und Zielrichtung naturgemäß mit von der Herangehensweise bestimmt. In diesem Sinne ist es erfreulich, dass eine ‘zweite Generation’ von Kagel-Forschern, unter denen Rebstock in vorderster Linie zu nennen wäre, Kagels Werk umfassender wissenschaftlich würdigt und damit auch dessen historische Bedeutung jenseits der vielleicht eher modisch-zeitbezogenen Aspekte herausarbeitet. Hier zeigt sich wieder einmal, in welchem Maße die Nachkriegs-Avantgarden geschichtlich geworden sind und deshalb dementsprechend aufgearbeitet werden müssen. Die Analyse und Interpretation des experimentellen Musiktheaters kann von dieser historischen Distanz und der von letzterer begründeten methodischen Neuorientierung nur profitieren. Das Buch enttäuscht denn auch nicht, obwohl es etwas an den Gepflogenheiten deutscher Dissertationen krankt. Es eröffnet mit der Beschreibung des Forschungsgegenstandes, der Zielsetzung, Methode und Literatur. Bei dieser akademischen Übung gibt es wenige Überraschungen. Jedoch besteht ein gewisser Widerspruch darin, dass Rebstock einerseits den Untersuchungsbereich - aus relativ guten Gründen - auf die Jahre 1959 bis 1965 einschränkt, andererseits aber bemerkt, dass Kagel im Gegensatz zu Cage an der “kompositorischen Kontrolle, der subjektiven Entscheidung des Komponisten und dem Expressiven als Grundanliegen festhält” und sich bei ihm keine “nur für sich stehende[n] Aktion[en] wie im Happening oder beim Fluxus” finden (11). Dies trifft aber nur auf Kagels Werk im genannten Zeitraum zu: In späteren Jahren finden sich dagegen durchaus Stücke wie Privat (1968), Ornithologica multiplicata (1968) und Probe (1971), die in ihrem Experiment-Begriff jede Vorstellung von kompositorischer Kontrolle weit hinter sich lassen. Hier kollidiert also Rebstocks Theaterbegriff mit seiner chronologischen Festlegung. Es folgt der erste Hauptteil, “Kagels instrumentales Theater im Kontext” (29-129), wobei insbesondere das erste Kapitel, “Kagels Argentinien”, extrem aufschlussreich ist. Es handelt sich um den ersten Versuch, Kagels argentinische Forum Modernes Theater, Bd. 23/ 1 (2008), 76-77. Gunter Narr Verlag Tübingen Rezensionen 77 Periode zu beleuchten, wofür der Autor auch nach Buenos Aires gereist ist und landessprachige Literatur mit einbezieht (was bislang, mangels entsprechender Sprachkenntnisse, kaum geschehen ist). Hier hat Rebstock Neuland aufgetan. Es bleibt anzumerken, dass Alejandro Saderman (und nicht Kagel, wie auf Seite 43 behauptet) den Film Muertes de Buenos Aires gedreht hat, Kagel hat nur die Musik dazu geschrieben - also entgegen anders lautenden Berichten durchaus traditionelle Filmmusik komponiert. Kapitel 2-4 handeln in etwas akademischer Weise von den Vorraussetzungen des instrumentalen Theaters orientiert an den bekannten Traditionslinien Serialität, Fluxus, Cage. Es wäre wünschenswert zu erfahren, worin die konkrete Bedeutung dieser historischen Vorläufer für das Werk besteht. Diese Unterlassung allein dem Autor zur Last zu legen, wäre jedoch unfair, handelt es sich hierbei doch um die Gepflogenheiten deutscher Dissertationen, in denen historische Voraussetzungen summarisch abgehandelt und von den Werkanalysen streng getrennt werden. Darin zeigt sich jedoch ein höchst problematisches Geschichtsverständnis: Traditionslinien bestehen schließlich nicht vor dem Werk und unabhängig, sondern werden erst durch das Werk konstruiert. Denn nur wenn sich ein Werk konkret auf eine Traditionslinie bezieht und damit selbst einen Zusammenhang herstellt, kann dieser Kontext als relevant betrachtet werden. Daraus folgt natürlich, dass die kritische Einordnung eines Stückes in seinen historischen Kontext zum Problembereich der Analyse gezählt werden muss und nicht gesondert abgehandelt werden kann, wie es hier - wie in den meisten vergleichbaren Werken - geschieht. Im “Hauptteil II”, die eigentliche Diskussion der behandelten Werke, erfolgt Rebstocks wichtigster Beitrag zur Theorie und Analyse des instrumentalen Theaters. Dabei arbeitet er eine zweidimensionalen Matrix aus, die mit den Polen “instrumentales Konzept” und “Mehrspurkonzept” sowie den “Materialbereichen Musik” bzw. “Theater” operiert. Dies führt ihn zu einer schematischen Darstellung, in der die unterschiedlichen Stücke ihrer theatralischen Anlage gemäß räumlich angeordnet sind (226). Hierbei sind die Unterscheidungen selbst nicht neu, jedoch wurde zuvor nur zwischen “musikalisiertem Theater” und “theatralisierter Musik” differenziert und erst durch Rebstock wird deutlich, dass Kagels Konzeptionen nuancierter und subtiler sind, als es diese eindimensionale Einordnung nahe legte. Um einen kleinen Abstrich zu erwähnen, erscheint mir der Theaterbegriff durch die Einbeziehung von Stücken wie Musik für Renaissance-Instrumente sowie Acustica unter dem Stichwort “Theater der Instrumente” zu weit ausgedehnt. Im dritten Teil, “Analyse des instrumentalen Theaters” (235-349) erläutert Rebstock in einem ausgesprochen diffizilen und schwergängigen Kapitel seine Analysemethode. Nachdem er sich von den meisten gängigen Theorien distanziert hat legt er die Grundprinzipien seiner “Interaktionsanalyse” dar, die vorwiegend auf der Semiotik Nelson Goodmans beruht, welche er von der “traditionellen” Semiotik unterschieden wissen möchte. Leider bleibt jedoch der Sinn dieser Methodendiskussion weitgehend im Dunkeln, und die folgenden, ausgesprochen ausführlichen Analysen sind fast ausschließlich deskriptiver Natur. Methodisch wären Ansätze der opera studies und performance studies eine sinnvolle Ergänzung, um weniger werkzentriert argumentieren zu müssen. Abschließend lässt sich zusammenfassen, dass das Buch das Verständnis von Kagels instrumentalem Theater sowie seinem Gesamtwerk auf eine neue Grundlage stellt. Wer jedoch nach einer grundlegenden Theorie oder einer methodisch fundierten Analysemethode des experimentellen Musiktheaters sucht, wird hier nur bedingt fündig werden. Brighton B JÖRN H EILE