eJournals Forum Modernes Theater 23/2

Forum Modernes Theater
fmth
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2196-3517
Narr Verlag Tübingen
Es handelt sich um einen Open-Access-Artikel, der unter den Bedingungen der Lizenz CC by 4.0 veröffentlicht wurde.http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/1201
2008
232 Balme

Peter W. Marx: Ein theatralisches Zeitalter. Bürgerliche Selbstinszenierung um 1900. Tübingen/ Basel: Francke Verlag, 2008, 420 Seiten.

1201
2008
Petra Löffler
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Rezensionen 163 Hulfeld eröffnet die wichtige Möglichkeit einer tiefgehenden Diskussion der historiographischen Fachtradition und hat damit einen Meilenstein für weitere theaterhistoriographische Forschung gesetzt; insbesondere im Hinblick auf Methoden und die Reflexion der eigenen Arbeitswerkzeuge. München M EIKE W AGNER Peter W. Marx: Ein theatralisches Zeitalter. Bürgerliche Selbstinszenierung um 1900. Tübingen/ Basel: Francke Verlag, 2008, 420 Seiten. Die Zeit um 1900 ist von Historikern und Soziologen oft als eine krisenhafte Epoche gewaltiger sozialer und kultureller Umwälzungen beschrieben worden, in der das lange 19. Jahrhundert ziemlich abrupt in die Moderne katapultiert wurde. Der Zuwachs an sozialer und tatsächlich erfahrbarer Mobilität, die damit verbundenen Anforderungen im Berufswie im Privatleben sowie die vielfältigen verlockenden Angebote der Konsumgesellschaft schufen eine Alltagswirklichkeit, in der die bürgerlichen Lebens- und Subjektentwürfe alles andere als stabil bleiben konnten. Der Bürger nahm daher dankbar Rollenmodelle an, die über ein hohes Identifikationspotential verfügten. Am Beispiel des als “falscher Prinz” Berühmtheit erlangten Harry Domela, der gekonnt und gewitzt die Autoritätsgläubigkeit deutscher Bürger für seine Selbstinszenierung ausnutzte, zeigt Peter W. Marx den Zusammenhang zwischen Autoritätsverlust und der kompensatorischen Funktion inszenierter Autorität. Die “kollektive Sehnsucht nach einem aristokratischen Herrscher” (11) offenbarte demnach ein Trauma im kollektiven Unbewussten der Deutschen, die nach der in ihrem Verständnis katastrophalen Niederlage des Ersten Weltkriegs einstiger wilhelminischer Größe nach trauerten. Marx attestiert dieser Zeit ein Höchstmaß an verdrängendem Inszenierungswillen und zugleich “die soziale Relevanz und Notwendigkeit symbolischen Rollenspiels” (16). Deshalb spricht er dezidiert - trotz Vorbehalten gegen den im alltäglichen Sprachgebrauch unpräzise verwendeten Begriff - von einem “theatralischem Zeitalter”. Zu diesem Befund passt die Tatsache, dass Domelas Geschichte 1927 verfilmt wurde und er darin höchst selbst die Rolle seines Lebens als “falscher Prinz” übernahm: Der Hochstapler, der mit großem Erfolg Aristokraten mimte, führt sein Rollenspiel nun im neuen Unterhaltungsmedium Film auf und vor. Das in der Figur Domelas fassbare Ausmaß theatraler Selbstinszenierung, die gleichwohl von der zeitgenössischen Medizin als Unvermögen pathologisiert wurde, zwischen Realität und Rolle unterscheiden zu können, sieht Marx als Blaupause für das Verhältnis zwischen Theater und Gesellschaft um 1900 an. Diesem prekären Verhältnis wendet er sich in einer Reihe von Einzeluntersuchungen zu. Zunächst jedoch schlüsselt Marx seine methodischen Überlegungen zu den Bedingungen bürgerlicher Selbstdarstellung auf und bezieht damit zugleich seine informierte Arbeit auf aktuelle kulturwissenschaftliche Diskussionen. Er entwirft ein anspruchsvolles Modell, in dem performative Praktiken, das kollektive Imaginäre und die Zirkulation kultureller Werte miteinander verwoben sind. Ziel dieses Modells ist es darzulegen, dass das Theater “innerhalb gesellschaftlicher Verhandlungen [...] eine zentrale Rolle ein[nimmt], weil hier Rollenmuster gezeigt und ‘durchgespielt’ werden” (28). Den Theaterbesuch sieht Marx zudem als eine kulturelle Praxis der Selbstinszenierung des Publikums. Gleichzeitig bestimmt er die Inszenierung als ein “Schnittstelle zwischen der Sphäre der Öffentlichkeit und dem Markt” (38), an der komplexe Austauschprozesse zwischen den performativen Praktiken, dem kollektiven Imaginären und der Wertezirkulation stattfinden. Das “theatralische Zeitalter” um 1900 gewinnt so für Marx gerade durch die neuen Formen einer Öffentlichkeit an Konturen, die sich dezidiert am Konsum orientiert. Sein Analyseinstrumentarium erprobt Marx zunächst an drei kanonischen Theaterstücken, in denen das komplexe Zusammenspiel von nationaler und Identitätspolitik auf und hinter der Bühne verhandelt wurde. Am Beispiel der Bühnenfiguren Tell, Nathan und Shylock, der Aufführungspraxis dieser Stücke und zahlreicher Forum Modernes Theater, Bd. 23/ 2 (2008), 163-164. Gunter Narr Verlag Tübingen 164 Rezensionen Quellen aus ihrer Wirkungsgeschichte entwickelt er eine genealogische Perspektive auf die Austauschprozesse zwischen dem je individuellen Rollenspiel der Interpreten, den ästhetischen und politischen Motiven der Inszenierungen und den kollektiven Wunschvorstellungen des Publikums. Diesen sehr unterschiedlich angelegten Rollen ist nach Marx jedoch gemeinsam, dass sie das kollektive Imaginäre sichtbar zu machen vermögen. Besonders gelungen ist in dieser Hinsicht die Schilderung der Ausführungspraxis von Schillers zur Nationaldichtung avanciertem “Tell”. Marx’ Studie gelingt es hier, Verbindungen zwischen Text- und Bildelementen zu knüpfen, die allmählich ein Geflecht unterschiedlicher Kräfte und Wirkungen bilden. Nicht immer gelingt es Marx so überzeugend, seine vielfältigen Quellen im Dienst der Argumentation zu entfalten. Dies wird dadurch erschwert, dass er sein profundes theaterhistorisches Wissen allzu detailreich ausbreitet und darüber die Ansprüche seines Analysemodells vernachlässigt. Den engen Rahmen der historischen Aufführungsanalyse verlässt Marx im zweiten Teil seiner Studie, wo er die gleichzeitige Konjunktur des Bauerntheaters und des großstädtischen Unterhaltungstheaters behandelt. Populäre, ja triviale Theaterformen wie die Posse und die Operette interpretiert er als Modelle eines Gemeinschaftserlebnisses, die womöglich “einen wesentlich größeren Anteil an der Bewältigung der (auch traumatischen) Modernisierung” (204) als die Hochkultur hätten. Damit relativiert Marx gleichzeitig die Bedeutung der heroischen Rollenbilder, die er im ersten Teil herausgearbeitet hatte. Leider fällt sein Fazit am Ende der einzelnen Kapitel oftmals sehr allgemein aus, etwa wenn er notorisch die Opposition Stadt - Land, Kultur - Natur heranzieht, ohne deren wechselseitige Dynamiken wirklich zu entfalten. Wenig überzeugend argumentiert die Studie etwa, wenn sie den Erfolg lokaler Bauerntheater der nostalgischen Ausprägung einer “ursprünglichen, ethnischen Identität” (230) und einer Renaissance des Mimus zuschreibt oder diesem Theater die Funktion eines Heilmittels gegen Entfremdung attestiert. Im Sinne von Marx’ eigenem Modell der “Kulturen der Zirkulation” greifen solche Urteile zu kurz. Erst im Kapitel über den großstädtischen Theaterkonsum und die Verbindung von Spektakel, Schaulust und Warenhaus entwickelt dieses Modell in vollem Umfang interpretatorische Plausibilität. Fraglich bleibt letztlich auch die Beschränkung auf das Theater als Modell und Vorbild des “theatralischen Zeitalters”, entwickelt sich doch nicht erst seit der Jahrhundertwende eine Vergnügungsindustrie außerhalb des Theaters - zumal der groteske Körper, auf den Marx immer wieder rekurriert, genauso im Schaustellermilieu und Zirkus verankert ist. In dieser Hinsicht wären sowohl die Ausprägung neuer Formen massenhafter Unterhaltung (wie dem seit 1895 sich etablierenden Film) als auch der Austausch und die Konkurrenz zwischen den etablierten Orten wie dem Theater und den neuen Orten, wie den Vergnügungsparks gerade in Hinsicht auf die Programmatik der “Kulturen der Zirkulation” stärker zu konturieren. Nicht von ungefähr bettet Marx im zweiten Teil seine Studie thematisch die frühen “Sally”-Komödien von Ernst Lubitsch ein, in deren zentraler Figur er den Prototyp einer modernen Aufsteigermentalität und ethnisch geprägten Identität ausmacht, und widmet der Konjunktur des Ausstellungswerts ein eigenes Kapitel. Wien P ETRA L ÖFFLER Bruce D. McClung: Lady in the Dark: Biography of a Musical. Oxford, New York: Oxford University Press, 2007, 274 pages. Lady in the Dark: Biography of a Musical by Bruce D. McClung is very promising from the outset. The book offers us a ‘virtual ticket’ to the shortlived history of a prominent American musical in relation to its wider social, cultural and political frameworks. McClung’s exceptionally engaging and confident style of writing succeeds in taking the reader back to the opening night of Lady in the Dark on 23 January 1941. We meet the producer and script-writer Moss Hart, the lyricist Ira Gershwin, the ‘émigré composer’ Kurt Weill, the ensemble Forum Modernes Theater, Bd. 23/ 2 (2008), 164-166. Gunter Narr Verlag Tübingen