Forum Modernes Theater
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Narr Verlag Tübingen
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2009
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BalmeChristine Felbeck. Erinnerungsspiele. Memoriale Vermittlung des Zweiten Weltkrieges im französischsprachigen Gegenwartsdrama. Mainzer Forschungen zu Drama und Theater; Bd. 38. Tübingen: Francke, 2008, 377 Seiten.
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2009
Ina Hatzig
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90 Rezensionen Der Autor des gegenwärtigen Theaters ist ein neuer Autor. Er ist ein Autor, der auf den Bühnen groß wurde, ein Theatermensch, dann erst Literat - ein schreibender Regisseur, ein auftretender Schriftsteller. Jean-Luc Lagarce, Olivier Py oder René Pollesch sind zugleich ihre eigenen Regisseure (siehe hierzu bspw. Stefanie Schmitz, 230). Und Dario Fo betritt, wie Klaus Ley ausarbeitet, agitatorisch “in seiner Doppelfunktion als ‘autore/ attore’” (165) wortwörtlich die Bühne. Dramatische Texte nehmen, so legt Wilfried Floeck dar, eine “hybride Position zwischen Literatur und Theater” (134) ein. Und kritisch macht Gunther Nickel darauf aufmerksam, dass Autoren wie Peter Hacks, die dem Regietheater abgeneigt gegenüberstehen, heute von den Bühnen Europas weitgehend verschwunden sind. Die Rückkehr des Autors muss also relativiert werden, zeichnen die Beiträge doch einen Autor, der die Kluft von Dramentext und Bühnenperformanz, von ecriture dramatique und ecriture scenique, von Autoren- und Regietheater überwindet und mit dem verschwundenen Literaten nur noch wenig gemein hat. Die Reise durch die Theaterlandschaft Europas, Russlands und Nordamerikas ist vielseitig, auch wenn hier nur wenige Impressionen geschildert werden können und viele lesenswerte Aufsätze gänzlich unberücksichtigt bleiben. Der Band stellt mit seinen 16 Beiträgen ein reiches Panorama des “Theaters seit den 1990er Jahren” vor, blickt aber auch weiter zurück in die Theatergeschichte und Kulturpolitik der einzelnen Länder. Nicht zuletzt erhält der Leser einen Überblick über die Förderung neuer Dramatik, wie sie an den zahlreichen Preisen und Wettbewerben ablesbar ist und teilweise auch kontrovers - beispielsweise als Vermarktung serieller Produktion (vgl. Sörgel, 122) - diskutiert wird. Dabei bleibt die Anthologie ihrem Gegenstand treu, und dieser ist in erster Linie die Dramatik, dann erst ihre Autoren. Die Verbindung von dramatischem und theatralem Schaffen wird konstatiert. Die Frage nach der Dynamik dieser Prozesse bleibt aber weitgehend offen, was den Band nicht minder zum Objekt anregender Lektüre macht. München J OSEF B AIRLEIN Christine Felbeck. Erinnerungsspiele. Memoriale Vermittlung des Zweiten Weltkrieges im französischsprachigen Gegenwartsdrama. Mainzer Forschungen zu Drama und Theater; Bd. 38. Tübingen: Francke, 2008, 377 Seiten. Die Erinnerungs- und Gedächtniskultur des Zweiten Weltkrieges ist um die Jahrtausendwende von einer Epochenschwelle geprägt. In der Literatur folgt auf die Zeugnisse Überlebender die Erinnerungsliteratur der Nachgeborenen, die diesen Krieg nur medial vermittelt erfahren können. Die kulturwissenschaftlich orientierte Dissertation Christine Felbecks geht davon aus, dass die “jenseits der Schwelle” (12) schreibende zweite Autorengeneration sich ihrer Erinnerungs- und Vermittlungsproblematik bewusst ist und untersucht die textuellen Strategien memorialer Vermittlung in fünfzehn französischsprachigen Dramen, die alle “die Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg als Rückblick handlungsrelevant inszenieren” (22). Felbecks Generationenbegriff orientiert sich dabei an der in der Holocaust- Forschung üblichen Terminologie Karl Mannheims sowie Heinz Budes, wobei hier aber auch der 1939 geborene Dramatiker Jean-Claude Grumberg schon der zweiten Generation (Jahrgänge 1940-1970) zugerechnet wird. Der erste Teil der Studie formuliert den Untersuchungsgegenstand und führt zunächst in den Forschungsstand zur französischsprachigen Gegenwartsdramatik und zu Erinnerung und Gedächtnis ein. Felbecks erfreuliche Untersuchung von bislang noch kaum erforschten französischsprachigen Gegenwartsdramatikern greift aufgrund der spärlichen Forschungsliteratur auch auf parawissenschaftliche Texte zurück (Rezensionen, Internetquellen usw.), wobei die von ihr für die Arbeit durchgeführten Autorenbefragungen, die im Anhang noch einmal abgedruckt sind, “als Ausgangspunkt eigener Hypothesenbildung dienen” (20). Der Gefahr, dass die Stellungnahmen der Autoren (die übrigens weitergehende Informationen für zukünftige Forschungsarbeiten bieten) die Studie zu stark lenken, entgeht Felbeck glücklicherweise dank ihrer kritischen Distanz. Forum Modernes Theater, Bd. 24/ 1 (2009), 90-92. Gunter Narr Verlag Tübingen Rezensionen 91 Die terminologischen und erinnerungstheoretischen Voraussetzungen der Arbeit etabliert Felbeck, indem sie zunächst die einflussreichsten Erinnerungstheorien resümiert, die eine Verortung von Prozessen der Memoria-Phänomene im Spannungsfeld zwischen Individuum, Kollektiv und Kultur ermöglichen. ‘Memoria’ wird dabei in der Tradition der antiken Rhetorik als Sammelbezeichnung für Gedächtnis und Erinnerung verstanden, wobei ‘Gedächtnis’ im Assmannschen Sinn eine Integrationseinheit höherer Ordnung für die Erinnerungen ist, letztere sind einzelne, disparate Akte, sich das im Gedächtnis Gespeicherte bewusst zu machen (vgl. 24-26). Neben den erinnerungstheoretischen Konzepten von Maurice Halbwachs, Aby Warburg, Pierre Nora sowie Aleida und Jan Assmann, die das kollektive Gedächtnis als identitäts- und kontinuitätsstiftendes Medium begreifen, beachtet die Autorin auch die Umbesetzung und Verschiebung in den Gedächtnislandschaften sowie die Interaktion zwischen Bild und Schrift: Die Verbindung von Memoria und topischen Verfahren in der ‘ars memorativa’ und der ‘ars inveniendi’ der antiken Rhetorik sowie Renate Lachmanns Verständnis der Intertextualität als Gedächtnis der Texte, durch die sich Kultur immer wieder neu und umschreibt. Felbeck übernimmt für ihre Studie die Assmannsche Terminologie der drei unterschiedlichen Gedächtnisformen, da so die Schwellensituation der von ihr fokussierten Dramatiker erfasst werden kann: Sie befinden sich “in der Übergangssituation, selbst aus einem kollektiv-kulturell vermittelten Fundus zu schöpfen, zugleich aber wieder in diesen einzugehen und als Mediatoren das kulturelle Gedächtnis für zukünftige Generationen zu prägen” (45) und stehen somit im Spannungsfeld von kommunikativem, kollektivem und kulturellem Gedächtnis des Zweiten Weltkriegs. Die Autorin lehnt jedoch die Vorstellung von einem singulären kulturellen Gedächtnis ab, weil sie davon ausgeht, dass die Dramen gerade angesichts der Holocaust-Thematik mehrere sich überlagernde kollektive Gedächtnisse zeitgenössischer Erinnerungskulturen inszenieren. Ebenso versteht Felbeck Medien nicht nur als Gedächtnisspeicher, es interessieren sie im Sinne von Vittoria Borsò auch die “Einschreibungen der Alterität in die Materialität des Mediums” (46). Für die Textanalysen sind demnach neben Gedächtnis- und Identitätsdiskursen auch mögliche Spuren von Differenz- und Fremderfahrung oder traumatischen Erfahrungen, die sich in Störungen und Leerstellen in der Narration usw. äußern können, sowie intertextuelle Spuren bedeutend. Felbeck interessiert sich somit auf einer thematischen Ebene für das “Gedächtnis im Drama” sowie für die Konstruktionsprinzipien der Dramen als “Gedächtnis des Dramas” (47). Im zweiten Teil der Studie wird nun in aufmerksamen Textanalysen erforscht, wie die fünfzehn Dramen Erinnerung als ein Schreiben auf der Schwelle verhandeln. Während Jean-Claude Grumbergs L’Atelier und auch Patrick Kermanns A dies durch die Einbindung ihrer Einzelstücke in einen Gesamtzusammenhang markieren, vermitteln die übrigen Theaterstücke es über eine in den Text verlagerte Sprachschwellen-, Ortsschwellen- oder Bewusstseinsschwellen-Dramaturgie. Yoland Simons Adieu Marion, Enzo Cormanns Berlin, ton danseur est la mort und Toujours l’orage sowie Serge Kribus’ Le grand retour de Boris S. inszenieren Erinnerung und ihre Vermittlung vordergründig als sprachliches Problem (Aufbrechen von Schweigen, Generationenkonflikt usw.) und verbinden dies häufig mit einer theatralischen Selbstthematisierung, so dass die Überwindung der Sprachschwelle konkret als ‘inszeniertes Erinnerungsspiel’ erfolgt. Gérard Auberts Le voyage sowie Jean Paul Wenzels und Bernard Blochs Vater Land - Le Pays de nos pères verbinden Erinnerung und Vermittlung mit einer Reise durch Raum und Zeit. Eugène Durifs L’Arbre de Jonas und Gilles Boulans Kinderzimmer verknüpfen Erinnerung mit spezifisch semantisierten Topographien, wobei hier die Erinnerungsarbeit mal besonders vom topographischen Rand aus gegen das Vergessen des Verbrechens am Gedächtnisort geschieht oder auch durch die memoriale Funktion von Ruinen und Spuren, die die Vergangenheit in die Gegenwart topographisch eingeschrieben hat. Roland Fichets Plage de la Libération dekonstruiert den die Erinnerung entstellenden lieu de mémoire Résistance, während Bernard Chartreux’ Violences à Vichy den Ort der Kollaborationsregierung auf- 92 Rezensionen greift und Fragmente des non-lieu de mémoire Kollaboration inszeniert. Jean Manuel Florensas Auschwitz de mes nuits, Jean Claude Grumbergs Rêver peut-être und Patrick Kermanns Leçon de ténèbres zeigen eine Dramaturgie der Bewusstseinsschwellen, wobei von einer Dichotomie zwischen Tag/ Bewusstsein und Nacht/ Unterbewusstsein ausgegangen wird, in der ein “nächtliches Theater der lebenden Toten” (262) die Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg wieder als Erinnerungsspiel inszeniert. In dem die Analyseergebnisse zusammenführenden dritten Teil der Studie erkennt Felbeck neben den dominanten Schwellendramaturgien auch eine “Rhetorik des Damals und Heute” (263), da alle Stücke als erinnernde Rückblicke konzipiert sind und so den Einbezug des kollektiven und kulturellen Gedächtnisses der Rezipienten ins Erinnerungsspiel herausfordern. Dies wird durch die Aufsprengung der Fabel in disparate und dissoziative Erinnerungsakte verstärkt. Ebenso zeigt sich häufig eine Auflösung des dramatischen Antagonismus und eine zerstückelte und von Schweigen durchsetzte Sprache der Erinnerung, die als Archiv und Einschreibungsort des kollektiven und kulturellen Gedächtnisses gleichzeitig auch widerständige Diskurse eines Gegengedächtnisses birgt, die durch intertextuelle, intermediale und interdiskursive Verfahren vermittelt werden. Mit Recht verweist Felbeck darauf, dass die textuellen Strategien der Dramen die “Totalität des einen Textsinns” (268) vermeiden. Sie hätte zugleich noch erwähnen können, dass die zweite Autorengeneration somit auch das Problem der Erinnerung und Vermittlung des Zweiten Weltkrieges teilweise dem Rezipienten übergibt. Obwohl die Bedeutung der Inszenierungsbedingungen für den Rezeptionsakt beispielsweise bei der Analyse von Patrick Kermanns A durchaus schon aufgezeigt wird, hätte man sich in diesem Kontext noch gewünscht, dass dies bei den übrigen Erinnerungsspielen in Felbecks sehr lesenswerter Studie auch noch mehr beachtet worden wäre. Gießen I NA H ATZIG Eli Rozik. Generating Theatre Meaning. A Theory and Methodology of Performance Analysis. Brighton, Portland: Sussex Academic Press, 2008. 292 pages. This is a remarkable book. It is one of the few to have appeared in recent times that deal with all the basic theoretical issues concerning theatre, without avoiding or neglecting even the most difficult and controversial issues, such as language or acting. At the same time, Eli Rozik’s book, divided into three parts, remains scholarly in its basic methodological approach, avoiding intuitive or subjective commentary, and trying to preserve its quality of being verifiable not only by its inner logic but also by theatre practice. The latter is shown in Part III, which provides superb examples of performance analysis, based on theoretical assumptions raised and discussed in earlier chapters. Even though most of the issues and concepts presented in this volume are not entirely new, and have been discussed by Rozik in his previously published, highly original works, they are often given a new touch here, clarifying or enriching their intellectual refinement. But this is not just a collection of previously published essays. Many of the chapters included in this volume are new, such as the ones that discuss the concept of the implied direct and the implied reader (chapters 10-11). In times when theory as such has become suspect, and attempts to define or demarcate literary and artistic works are rejected on ideological grounds as ultraconservative, if not reactionary, the appearance of Rozik’s book is even more welcome as a voice that elevates the discussion to a level suitable for a serious intellectual exchange of thought. In Rozik’s book, the reader will find an abundance of information and detailed description concerning practically every aspect of theatrical performance, including the use of the new media on stage, or even the border cases of installations that under certain circumstances become theatrical (as Robert Wilson’s H.G., discussed separately in chapter 16). The possible exception is, perhaps, music, discussed only in passing (the word does not even appear in the index), but this is, I believe, the Achilles’ heel of theatre studies in general. We still have not learned how to describe music Forum Modernes Theater, Bd. 24/ 1 (2009), 92-94. 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