Forum Modernes Theater
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Narr Verlag Tübingen
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BalmeKati Röttger und Alexander Jackob (Hg.). Theater und Bild. Inszenierungen des Sehens. Bielefeld: transcript Verlag, 2009, 322 Seiten.
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Maren Butte
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Rezensionen 193 Kati Röttger und Alexander Jackob (Hg.). Theater und Bild. Inszenierungen des Sehens. Bielefeld: transcript Verlag, 2009, 322 Seiten. Im Zuge des Iconic Turn hat die Erforschung von Bildern stark zugenommen. In den Schriften von Gottfried Boehm, W.J.T. Mitchell, Georges Didi- Huberman und anderen ist die Rede von der Malerei, vom Film und den digitalen Medien. Selten jedoch vom Theater. Nach wie vor scheint die systematische Auseinandersetzung mit dem Theaterbild zu fehlen, abgesehen von vereinzelten Recherchen in der Theaterwissenschaft, die sich beispielsweise dem Tableau Vivant oder den Raumgestaltungen der Moderne widmen. Dabei ist es evident, dass auch das Theater in seiner Geschichte und Gegenwart immer wieder als Ort der Bilder, der Körper- und Szenenbilder, der Sprach- und intermedialen Bilder fungierte. Mit ihrem Sammelband Theater und Bild stellen die Herausgeber Kati Röttger und Alexander Jackob nun erstmals einen weit angelegten Brückenschlag zwischen den Bildwissenschaften und der Theatertheorie und -geschichte her. Der Band versammelt 16 Beiträge von AutorInnen aus verschiedenen Disziplinen, die sich dem Verhältnis von Theater und Bild aus historischen, philosophischen und theoretischen Perspektiven widmen. WissenschaftlerInnen aus den Bereichen Theater-, Film-, Medienwissenschaft, Philosophie und Kunstgeschichte analysieren in historischen Einzelstudien und systematisch-übergreifenden Untersuchungen Fragen des Sehens und des Bildes in den darstellenden Künsten. Der Sammelband bringt in seinen vier Teilen (Ordnungen des Sehens, Intermedialität und Bildinszenierungen, Bild/ Körper und Bild/ Impuls und Geschichte der visuellen Kultur) zahlreiche Aspekte, Diskurse und Themen des Bildlichen im Theater zur Sprache. Den Beiträgen ist eine ausführliche Einleitung der Herausgeber vorangestellt, die die Vielfalt der Themen und Untersuchungsgegenstände in einen größeren Zusammenhang bringt und Konvergenzen herstellt. Bereits zu Beginn des Bandes machen die Autoren deutlich, wie man im weiteren Sinne von Bildern im Theater sprechen kann. Schließlich handelt es sich - anders als beim statischen Gemälde - um eine flüchtige Bildhaftigkeit, um ein Entstehen und Vergehen im Aufführungsgeschehen. Bei Fragen des Bildes im Theater kann es also keinesfalls um einen eng geführten Bildbegriff gehen, sondern vielmehr um einen offenen, durch Bewegung und Medialität bedingten. Der Begriff des Bildes könne, so die Herausgeber, als eine Überschrift zu einem ganzen Phänomenbereich gefasst werden, dessen Vielseitigkeit sich zwischen dem Sichtbaren und dem Verborgenen, zwischen physikalischen und mentalen Prozessen abspielt und erst durch eine konkrete Annäherung unter bestimmten Bezugsgrößen wie Bild und Blick, Bild und Vorstellung usw. Gestalt annimmt (S. 26). Im heterogenen Medium Theater treten Bilder notwendigerweise “im Wechselspiel mit anderen […] Erfahrungswelten wie Sprache und Musik auf”, so die Autoren, daher verschwänden sie manchmal fast vollständig im Bühnengeschehen, obwohl sie dem Theater eine besondere Realität und Erinnerungskraft verliehen und sich oftmals durch einen spürbaren zeitlichen Stillstand kennzeichneten (S. 7). Ganz gleich ob wir dabei an das Theater der Arenabühne, an die Performance-Kunst oder an ein mobiles Theater denken, das sich durch die Stadt bewegt - diese besondere Sichtwerdung der Dinge im Bild, einschließlich der Körper- oder auch Raumbilder, vollzieht sich immer wieder im besonderen Blickgeschehen zwischen szenischen Orten und Zuschauern (S. 9). Das überzeugende Argument dieses “Blick- und Bildtauschs” (S. 8/ 9) bildet hierbei die Einführung eines besonderen Erfahrungsbegriffs und Modus der Sinnerzeugung, die vorwiegend auf der Verbindung bildtheoretischer Konzepte mit der Phänomenologie Maurice Merleau-Pontys basieren. Merleau-Pontys Theorie einer Verflochtenheit von Leib und Welt, von Blick und Ding, wird für die Autoren zu einem der Bezugspunkte für Fragen des Sehens und Erkennens im Theater. Was dem Theater potentiell gegeben sei, so die Autoren, sei das “im physischen Akt des Sehens […] selbst zum Denken [K]ommen” durch die Reflexion von Einstellungen, Perspektiven und Vor- Forum Modernes Theater, Bd. 24/ 2 (2009), 193-194. Gunter Narr Verlag Tübingen 194 Rezensionen Urteilen, deren Voraussetzung die leibliche Anwesenheit des Zuschauers sei (S. 15). Im Verlauf des Bandes werden, so lässt sich zusammenfassen, vor allem drei Formen und Diskurse der Bildlichkeit identifiziert: erstens eine philosophische, die den Zusammenhang von Theatralität, Sehen und Erkenntnis beschreibt (Einführung, sowie Kap. 1.4), zweitens die Bildlichkeit als eine phänomenale im Aufführungsgeschehen, die sich symbolisch, semantisch, intermedial oder rhythmisch zeigt. Von diesem Typus handeln die meisten Aufsätze. Günther Heeg beschreibt in Bild/ Bewegung. Das Theater der Visualität beispielsweise den Zusammenhang von Mortifikation und Verlebendigung in einem historischen Bogen, der vom antiken bis zum postdramatischen Theater reicht, namentlich den Arbeiten von Wanda Golonka und der Socìetas Raffaello Sanzio. Meike Wagner und Martin Schulz besprechen Prozesse der Bildwerdung des Körpers als komplexe Gerinnungsbilder eines Ablaufs. Der dritte Typ der Bildlichkeit ist ein wahrnehmungstheoretischer bis kritischer, der das Theater als Ort der Demaskierung skopischer Regime kennzeichnet. Diese Bildlichkeit kann durch die Verschiebung von Bedeutung und das Offenlegen medialer Strategien Wahrnehmungsgewissheiten destabilisieren und Machtverhältnisse enttarnen. Gerade das Theater als audiovisuelles Sammelmedium, als Ort der Mehransichtigkeit und des Blicktauschs, der Betonung des Hier und Jetzt und der Integration vielfältiger Bild-Technologien, könne Prozesse der Sichtbarkeit und Blickordnungen distanzierend erfahrbar machen und kritisieren (vgl. S. 38). Besonders anschaulich wird dies im Artikel Bilder-Schlachten im Bambiland von Röttger, der offen legt, wie die Schlingensief-Inszenierung von Elfriede Jelineks Stück über den Irak-Krieg durch Strategien des Iconoclash ein kollektives Bildgedächtnis destabilisiert und dem Zuschauer wörtlich die Augen für mediale und politische Strategien öffnet. Auch die Artikel von Anja Müller-Wood und Christopher Balme wenden sich bestimmten Bildsprachen zu: der Wortkulisse des englischen, neuzeitlichen Dramas, das mentale Bild- und Machtpraktiken nutzt; Balme dem postmodernen Musiktheater, das auf ganz eigene Weise die Subtilität, den intertextuellen “Anspielungsreichtum und die spielerische Unbestimmtheit” der Bilder jenseits semiotischer Festschreibungen ins Spiel bringt (S. 274ff). Der Band Theater und Bild ist nicht nur anschlussfähig an die Bilddebatten der Kunstgeschichte, Philosophie und anderer Disziplinen, sondern bearbeitet in seinen thematischen Bezugnahmen immer auch theaterwissenschaftliche Kernfragen der Ko-Präsenz der Zuschauer, Performativität und Methoden des Faches selbst. Besonders hervorzuheben ist die gelungene interdisziplinäre Verbindung von theoretischen und historischen Perspektiven, die mit Ulrike Hass’ Beitrag sogar eine interkulturelle Perspektive auf Schrift und Bild im ostasiatischen Raum umfasst. Leider werden in manchen Beiträgen Visualität und Bild nicht trennscharf, sondern fast synonym verwendet, was in einigen Fällen zu einer Verallgemeinerung von Sichtbarkeit führt. Dennoch überwiegt der Eindruck der pointenreich und dicht gewobenen Argumentation der Aufsätze. Fehlte es bisher an einem allgemeinen Verständnis von Bildern als “Akte, als Vollzüge im Raum des Theaters” (Jackob, S. 100), so verdankt sich dem Sammelband eine ertragreiche Neubefragung des Bildbegriffs, da er die Diskussion zum Bild im Theater nicht nur bündelt und somit übersichtlich macht. Dieser Blick zeigt vielmehr, wie viel eine Verknüpfung von Theater und Bild sowohl für das Verstehen von Bildern als auch von Theater erbringen kann. Basel M AREN B UTTE Heidy Greco-Kaufmann. Zou der Eere Gottes, vfferbuwung dess mentschen vnd der statt Lucern lob. Theater und szenische Vorgänge in der Stadt Luzern im Spätmittelalter und in der Frühen Neuzeit. Theatrum Helveticum 11. Zürich: Chronos, 2 Bd., 672 und 402 Seiten, inkl. CD-ROM. Das seit Bestehen der Theaterwissenschaft und spätestens seit den 1980er Jahren wortreich umspielte Gespenst des Transitorischen scheint, wo theoretisch paradoxerweise gefestigt, auf der Ebene Forum Modernes Theater, Bd. 24/ 2 (2009), 194-196. Gunter Narr Verlag Tübingen
