eJournals Forum Modernes Theater 24/2

Forum Modernes Theater
fmth
0930-5874
2196-3517
Narr Verlag Tübingen
Es handelt sich um einen Open-Access-Artikel, der unter den Bedingungen der Lizenz CC by 4.0 veröffentlicht wurde.http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/1201
2009
242 Balme

Wilfried Floeck / Sabine Fritz (eds.), La representación de la Conquista en el teatro español desde la Ilustración hasta finales del franquismo, Hildesheim/Zürich/New York: Georg Olms Verlag, 2009, 299 Seiten. (Teoría y práctica del teatro, Bd. 18)

1201
2009
Christian von Tschilschke
fmth2420201
Rezensionen 201 Sorgfalt, die auch die anderen Teile des Buches auszeichnet, wird die Methodik der Gesprächsführung ausführlich erläutert und begründet. Sie lässt dann auch keinen Zweifel am theaterwissenschaftlichen Ertrag der Berichte und Erinnerungen, die einen vielsagenden Einblick in die inneren, eher heterogenen Strukturen der jeweiligen Schauspielausbildungen an den genannten Schauspielschulen vermitteln. Allerdings nimmt dieser 139 Seiten umfassende Teil beinahe die Hälfte des Buches ein. Vielleicht wäre man dem überzeugenden Konzept der gegenseitigen Durchdringung von Diskursen, Praxen und Institutionalisierungsprozessen, das der Beantwortung der Frage nach dem heißen West- und kalten Ost-Schauspieler zugrundegelegt wurde, noch besser gerecht geworden, wenn man der “Polyphonie der ‘Sprecher” (S. 8/ 9) ein letztes Wort der Autorin hätte folgen lassen, das Diskurs-Geschichte, Praxis-Geschichte und Institutions-Geschichte der Schauspielausbildung zusammenfassend reflektiert. Amsterdam K ATI R ÖTTGER Wilfried Floeck / Sabine Fritz (eds.), La representación de la Conquista en el teatro español desde la Ilustración hasta finales del franquismo, Hildesheim/ Zürich/ New York: Georg Olms Verlag, 2009, 299 Seiten. (Teoría y práctica del teatro, Bd. 18) Das weltgeschichtliche Ereignis der Entdeckung Amerikas durch Kolumbus, die schrittweise Eroberung der Neuen Welt durch Hernán Cortés, Francisco Pizarro und andere Konquistadoren und die damit verbundene Zerstörung der indigenen Hochkulturen der Inkas und Azteken haben vom frühen 16. Jahrhundert bis in die unmittelbare Gegenwart umfassenden Niederschlag in vielen Nationalliteraturen und literarischen Gattungen gefunden. Für die spanische Literatur ist dieser Themenkomplex naturgemäß immer schon besonders relevant gewesen. Allerdings habe sich die Forschung, wie die Herausgeber des vorliegenden Bandes, Wilfried Floeck und Sabine Fritz, in ihrem kurzen Vorwort betonen, bisher hauptsächlich auf die Epoche des Siglo de Oro und den Aufschwung der literarischen Produktion im Umfeld des fünfhundertjährigen Jubiläums der Entdeckung Amerikas durch Europa im Jahr 1992 konzentriert. So erklärt sich die - alles in allem vorbildlich eingelöste - Absicht, die Darstellung der “Conquista” im spanischen Theater bzw. in dramatischen Texten in der bisher noch kaum gewürdigten Zeitspanne von der Aufklärung bis zum Ende der Franco-Diktatur einer näheren Betrachtung zu unterziehen. Der so entstandene, gattungshistorisch angelegte und im Wesentlichen stoff-, themen- und motivgeschichtlich orientierte Band geht auf ein gleichnamiges Kolloquium zurück, das im Mai 2008 an der Justus-Liebig- Universität Gießen stattfand. Er enthält fünfzehn durchgehend spanischsprachige Beiträge von Hispanisten aus Deutschland, Spanien, den USA und Costa Rica, von denen die meisten bereits zuvor mit einschlägigen oder zumindest thematisch verwandten Arbeiten hervorgetreten sind. Die Beiträge sind so ausgewählt und angeordnet, dass sich tatsächlich ein weitgehend kohärenter und nahezu vollständiger Überblick über die sich wandelnde ästhetische und ideologische Modellierung des “Conquista”-Stoffes im Verlauf von dreihundert Jahren spanischer Theatergeschichte ergibt. Das Spektrum reicht von der Fortsetzung des Barocktheaters im 18. Jahrhundert sowie der gegen dessen Ende dominierenden neoklassizistischen Poetik und der kurzen Mode des empfindsamen Theaters über die Romantik und Postromantik des 19. Jahrhunderts bis hin zu den mehr oder weniger regimetreuen Darstellungen unter der Franco-Diktatur und den ersten Ansätzen eines metahistorischen Dramas Mitte der 1960er Jahre. Lediglich die Avantgarden des ersten Drittels des 20. Jahrhunderts bleiben ausgespart. Mit Herminia Gil Guerreros Beitrag zu Ramón José Sender und Jorge Chen Shams Fallstudie zu Salvador de Madariaga kommen dagegen die spezifischen Motivationslagen des Exiltheaters gleich zweifach zum Tragen. Daneben finden auch andere interessante Teilaspekte Berücksichtigung, etwa die von Bernardita Llanos Mardones an Beispielen aus Mexiko untersuchte Dramenproduktion in den Kolonien selbst, die von Alberto Pérez-Amador Adam rekonstruierten Überliefe- Forum Modernes Theater, Bd. 24/ 2 (2009), 201-203. Gunter Narr Verlag Tübingen 202 Rezensionen rungswege der Figur des Aztekenherrschers Montezuma II., die erst über die italienische Barockoper nach Spanien und von dort in andere europäische Literaturen gelangte, oder das von Ingrid Simson auf seine ideologischen und dramentechnischen Funktionen hin analysierte Bild der indianischen Frauenfiguren im spanischen Theater des 18. Jahrhunderts. Dass es trotz des beschränkten Korpus von ca. zwei Dutzend Dramen kaum zu Wiederholungen kommt, ist vor allem den unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen der Autoren zu verdanken, sodass selbst bei mehrfach thematisierten Werken jeweils andere Aspekte in den Vordergrund treten. So rückt beispielsweise Bernardo María de Calzadas Tragödie Motezuma (sic, 1784) bei Helmut C. Jacobs unter dem übergreifenden Gesichtspunkt des für die aufklärerische Episteme maßgeblichen Gegensatzes zwischen Vernunft und Barbarei in den Mittelpunkt, während sie von Inke Gunia unter der Leitfrage beleuchtet wird, inwiefern sich in der Figur des Konquistadors im spanischen Drama des 18. Jahrhunderts Anzeichen für die Herausbildung eines modernen Subjektverständnisses finden lassen. Auch die Herangehensweise der einzelnen Autoren variiert. Kurt Spang und David T. Gies setzen auf einen breit angelegten Epochenvergleich und gelangen daher auch zu entsprechend allgemeinen Erkenntnissen in Bezug auf die Entwicklung des historischen Dramas zwischen Neoklassizismus und (Post-)Romantik bzw. hinsichtlich der zentralen Gestalt des Hernán Cortés, dessen zwar problematische, aber letztlich doch idealisierte Darstellung in der Aufklärung unter den bürgerlichen Verhältnissen der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts eine radikale Veränderung erfährt. Den Gegenpol dazu nimmt Siegfried Jüttner ein, der sich auf die Interpretation eines einzigen Stückes, Luciano Francisco Comellas Cristóbal Colón (1790), beschränkt, das er dafür einer umso gründlicheren Lektüre unterzieht. Einen besonders aufschlussreichen Zugang wählt Sabine Fritz. Sie konzentriert sich in je zwei Werken aus dem 18. und 19. Jahrhundert auf die unterschiedlichen Darstellungen des Todes des Inkaherrschers Atahualpa, in denen sich die ideologische Ausrichtung des jeweiligen Stückes exemplarisch kristallisiert. Am Interessantesten ist die Lektüre des Bandes zweifellos immer an jenen Stellen, an denen es zu überraschenden Einsichten am konkreten Gegenstand kommt. Das ist etwa der Fall, wenn Siegfried Jüttner den “humanen”, entmythisierten Kolumbus des Spaniers Comella als Korrektiv gegen die Stilisierung des Kolumbus zum “Superhelden der Moderne” im restlichen Europa ins Spiel bringt, wenn Stefan Schreckenberg am Ende seiner Analyse von Pablo Avecillas romantischem Cristóbal Colón (1851) den ungelösten Widerspruch zwischen einer längst ins Leere laufenden nationalpatriotischen und einer protosozialistischen, die Bruderschaft mit der Neuen Welt betonenden Perspektive aufdeckt oder wenn Gero Arnscheidt die affirmativen Züge von Gonzalo Torrente Ballesters Lope de Aguirre (1941) gegen die subversiven abwägt. Entscheidend für die Kohärenz des gesamten Bandes sind jedoch nicht zuletzt die beiden einleitenden Aufsätze von Wilfried Floeck und Manfred Tietz. Floeck schlägt einen weiten historischen Bogen, indem er zunächst die Herausbildung des “triumphalistischen Diskurses” im 16. und 17. Jahrhundert beschreibt, der die Eroberung Mittel- und Südamerikas als einen Akt göttlicher Vorsehung begreift und die christlich-zivilisatorische Mission der Spanier, bei aller Kritik an der “Habgier” der eigenen Leute, als immer schon gerechtfertigt voraussetzt. Damit ist eine Struktur der longue durée, ein über Jahrhunderte hinweg stabiles Diskursgefüge etabliert, das in seinem Ethnozentrismus erst in den 80er und 90er Jahren des 20. Jahrhunderts grundsätzlich in Frage gestellt wird. Wie Tietz dann in seinem Beitrag darlegt, erfährt dieser Diskurs im 18. Jahrhundert eine erhebliche Modifikation, insofern nun eine anthropozentrische Weltsicht, ein stärkerer Gegenwartsbezug, und die Aufwertung wirtschaftlicher Fragen wirksam werden. Unter dem Druck der spanienkritischen Schriften von Robertson, Pauw, Raynal und Diderot gewänne gegen Ende des Jahrhunderts jedoch wieder eine apologetische Haltung die Oberhand. Die Tatsache, dass der von Tietz angeführte ökonomische Diskurs im Theater der Zeit kaum Spuren hinterlassen hat, deutet indessen auch die Grenzen dieser ansonsten sehr gelungenen Publikation an. So verweisen einige Autoren durchaus auf die externen und internen Zwänge, denen das Theater als öffentlichstes aller Medien, zumal in Rezensionen 203 Spanien, ausgesetzt ist, und gewiss werden gelegentlich die kulturpolitische Instrumentalisierung, die Zensur, der Publikumsbezug oder der Umstand hervorgehoben, dass das eine oder andere Stück unaufgeführt bzw. unveröffentlicht blieb oder gar nicht für die Bühne geschrieben wurde. Was dabei tendenziell zu kurz kommt, ist jedoch die Frage nach der Spezifik des dramatischen und theatralen Diskurses über die “Conquista”, die Reflexion über die gattungsmäßigen und medialen Bedingungen seiner Ermöglichung - und Verhinderung. Davon unberührt besteht das Hauptverdienst des Bandes darin, die Entwicklung dieses kulturell so bedeutsamen Diskurses im spanischen Theater durch drei Jahrhunderte hindurch zum ersten Mal zusammenhängend aus wechselnden Perspektiven und unter Berücksichtigung der wichtigsten funktionsgeschichtlichen Aspekte dargestellt zu haben. Dass dabei gleichsam unter der Hand eine Geschichte des spanischen Theaters im Spiegel eines konkreten Themen- und Motivkomplexes entsteht, ist ein willkommener Nebeneffekt. Siegen C HRISTIAN VON T SCHILSCHKE