eJournals Forum Modernes Theater 25/2

Forum Modernes Theater
fmth
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2196-3517
Narr Verlag Tübingen
Es handelt sich um einen Open-Access-Artikel, der unter den Bedingungen der Lizenz CC by 4.0 veröffentlicht wurde.http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/1201
2010
252 Balme

The medium has a message!

1201
2010
Julia Pfahl
Obwohl der Einsatz von technischen Medien auf der Bühne sowie das Spiel mit ihren je medienspezifischen Codes heute kein ästhetisches Novum mehr ist, zeugt die feuilletonistische wie wissenschaftliche Rezeption intermedialer Theaterprodukte nach wie vor von einer begrifflichen Unsicherheit hinsichtlich ihrer Analyse und Bewertung. Diese Beobachtung verweist auf die auch in der Theaterwissenschaft bis heute nicht gelöste Frage nach dem Medienstatus des Theaters sowie der Positionierung des Fachs im Rahmen der daran anschließenden Intermedialtätsdebatte. Mit Rückgriff auf die Medientheorie Sybille Krämers entwirft der Beitrag ein theaterwissenschaftliches Medienverständnis, das den Besonderheiten der Kunstform Theater, nämlich seiner in der leiblichen Kopräsenz von Akteuren und Publikum wurzelnden Unmittelbarkeit, gerecht wird und dem Theater aufgrund seiner performativen Qualitäten sowie seiner spezifischen Anordnung alsWahrnehmungsdispositiv in intermedialen ästhetischen Austauschprozessen eine besonders produktive Funktion zuweist.
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The medium has a message! - Zur Profilierung eines theaterwissenschaftlichen Medienbegriffs Julia Pfahl (Mainz) Obwohl der Einsatz von technischen Medien auf der Bühne sowie das Spiel mit ihren je medienspezifischen Codes heute kein ästhetisches Novum mehr ist, zeugt die feuilletonistische wie wissenschaftliche Rezeption intermedialer Theaterprodukte nach wie vor von einer begrifflichen Unsicherheit hinsichtlich ihrer Analyse und Bewertung. Diese Beobachtung verweist auf die auch in der Theaterwissenschaft bis heute nicht gelöste Frage nach dem Medienstatus des Theaters sowie der Positionierung des Fachs im Rahmen der daran anschließenden Intermedialtätsdebatte. Mit Rückgriff auf die Medientheorie Sybille Krämers entwirft der Beitrag ein theaterwissenschaftliches Medienverständnis, das den Besonderheiten der Kunstform Theater, nämlich seiner in der leiblichen Kopräsenz von Akteuren und Publikum wurzelnden Unmittelbarkeit, gerecht wird und dem Theater aufgrund seiner performativen Qualitäten sowie seiner spezifischen Anordnung als Wahrnehmungsdispositiv in intermedialen ästhetischen Austauschprozessen eine besonders produktive Funktion zuweist. Als der kanadische Theatermacher Robert Lepage in den 1990er Jahren mit seiner Theatersaga The Seven Streams of the River Ota über die großen Theaterfestivals der Welt tourt, vergleicht der Kritiker Franz Wille in Theater heute die Inszenierung mit “ einem amerikanischen Serienformat in der dritten Generation, [deren] Dialoge knapp [. . .] das Lindenstraße-Format erreichen, wenn sie etwas weniger umständlich wären. ” 1 Diese und ähnliche Bemerkungen der Theaterkritik zu Inszenierungen, deren gemeinsames ästhetisches Merkmal der Einsatz technischer Medien auf der Bühne ist, sind für Christopher Balme in seinem 1999 erschienenen Aufsatz “ Robert Lepage und die Zukunft des Theaters im Medienzeitalter ” Anlass zu einer theaterwissenschaftlichen Positionsbestimmung. 2 Angesichts einer zunehmenden medialen Hybridisierung der Bühne müsse die Theaterwissenschaft an den umfangreichen, im Bereich des Theaters jedoch noch wenig verfolgten Forschungsansatz der Intermedialität anknüpfen. Balme sieht die Gründe für die Ablehnung der Vermischung unterschiedlicher medialer Ausdrucksweisen auf der Bühne in der Vorstellung einer Reinheit des Theaters als bildungsbürgerlicher Kunstform begründet. Die Idee einer medialen Spezifität, die gerade für das Theater als einer genuin “ plurimedialen ” 3 Kunstform per se in hohem Maße fragwürdig erscheint, beruhe dabei auf habitualisierten Wahrnehmungskonventionen. Jedes Medium verfüge demnach über eigene Gesetze, die die ästhetische Gestaltung im jeweiligen Medium prägen. 4 Werden diese Gesetze gebrochen, beispielsweise durch die Realisierung der Sehgewohnheiten eines Mediums mit den Mitteln eines anderen, wird diese Wahrnehmungskonvention irritiert - eine intermediale Ästhetik entsteht. “ Wenn das Theater neue ästhetische Ausdrucksmöglichkeiten in den Zwischenräumen des Intermedialen sucht, dann darf die Theaterwissenschaft nicht zögern, ihm dorthin zu folgen ” , 5 fordert Balme abschließend und plädiert für einen wissenschaftlichen Para- Forum Modernes Theater, 25/ 2 (2010), 119 - 132. Gunter Narr Verlag Tübingen digmenwechsel, der nicht mehr die lange verfochtene mediale Spezifität in den Mittelpunkt der Forschung stellt, sondern das Theater in einem größeren medientheoretischen Diskurs verortet. 2010 präsentiert Robert Lepage mit dem neunstündigen Epos Lipsynch sein neuestes Mammutwerk bei den Wiener Festwochen. Obgleich er fast fünfzehn Jahre später ohne Zweifel zu den international anerkanntesten Theaterkünstlern zählt und mit seinen Produktionen regelmäßig auf den großen Festivals der Welt präsent ist, zeugt die Rezeption dieser Inszenierung durch die Theaterkritik im Vergleich von einer nahezu unveränderten Haltung der Rezensenten: “ Lepage interessiert sich für Form mehr als für Inhalt; er mag seine Figuren nur, wenn sie Funktionen innerhalb der Form erfüllen; er unterwirft seine Geschichten einem hybriden Konstrukt und verschleiert mit ihrer Verflechtung den Mangel an Tiefe ” , schreibt etwa Egbert Tholl in der Süddeutschen Zeitung. 6 Die erwartete große “ Verzauberung ” bleibe aus in diesem “ Oberflächen-Drama des Internetzeitalters ” , das stellenweise in “ melodramatischen Kitsch ” abdrifte und nach neun Stunden Lepages “ Illusionskunst ” ziemlich leiden lasse. 7 Abb. 1: Szenenbild Robert Lepage Lipsynch (UA 2010), Acte 1. Foto: © Érick Labbé. Obgleich diese und ähnliche Analysen des jüngsten Theatermarathons des Quebecers mitunter zu unterschiedlichen Gesamturteilen führen und einige Kritiker auch die Faszination der Bilderwelt des ‘ Theatermagiers ’ Lepage hervorheben, ist den meisten Rezensionen eines gleich: Der Fokus der Artikel liegt auf der inhaltlichen Zusammenfassung des neunstündigen Stücks, das, wenngleich nicht immer wertend, formal mit Serienformaten der Fernsehunterhaltung verglichen wird, wobei die ästhetische Seherfahrung völlig diffus mit Begriffen wie “ Wunder ” , “ Magie ” oder “ Zauberei ” beschrieben wird. Mehrere Aspekte erscheinen hier bemerkenswert: Einerseits nämlich, dass im Zentrum der Beurteilung von Theater bei den Kritikern offensichtlich nach wie vor der Text steht und gleichzeitig eine diagnostizierte formale und/ oder ästhetische Nähe des Theaters zu anderen Medienformaten ein kulturdefätistisches Misstrauen hervorruft. Andererseits, dass die intermedialen Bildwelten zwar als faszinierend beschrieben werden, die besondere Ästhetik dieser Darstellungsweisen aber nicht näher beschrieben oder gar analysiert wird. Mehr als zehn Jahre nach der Entdeckung der Intermedialitätsforschung für die Theaterwissenschaft wirft diese augenscheinlich unveränderte Bewertung von intermedialen Theaterformen durch das Feuilleton eine Reihe von Fragen auf: Handelt es sich hier um ein Defizit der Theaterkritik, dem die wissenschaftliche Theoriebildung weit voraus ist? Oder verweist die begrifflich undifferenzierte Beschreibung jener medialhybriden Theaterphänomene nicht vielmehr auch auf ein wissenschaftliches Desiderat? Offensichtlich hat die von Christopher Balme geforderte Partizipation der Theaterwissenschaft an der Intermedialitätsdebatte bisher nicht zur Schaffung der notwenigen Analysemethoden und Klassifizierungskategorien geführt, die die intermedialen Wahrnehmungserfahrungen beschreibbar machen könnten. Dieses Defizit haben auch die québecer Theaterwissenschaftlerinnen Chantal Hébert und Irène Perelli-Contos herausgestellt und da- 120 Julia Pfahl rauf hingewiesen, dass Theaterwissenschaft und -kritik gleichermaßen den visuellen Aspekt der Ästhetik dieses Theaters oftmals ausklammern: “ Si les modes de création ont changé, n'est-il pas impérieux que les modes de réception, d ’ évaluation et de critique changent aussi? ” 8 Neben dem Mangel geeigneter Analysekategorien lässt sich interessanterweise sowohl seitens der Fachpresse als auch bei den Vertretern der Wissenschaft ein hohes Bewusstsein für die durch eine intermediale Ästhetik ausgelöste veränderte Wahrnehmungserfahrung ausmachen. Grund genug also, die theaterwissenschaftliche Position innerhalb der Intermedialitätsdebatte noch einmal zu rekapitulieren und dabei besonders jene Kategorie der Wahrnehmung auf ihr Potential für die offenbar noch ausstehende Formulierung eines differenzierten Beschreibungsvokabulars in den Fokus zu nehmen. Theater - ein Medium? Die theaterwissenschaftliche Forschungsliteratur der vergangenen zehn Jahre zeugt zwar von einem großen Interesse des Fachs an intermedialen Theaterphänomenen 9 , eine einheitliche theoretische Standortbestimmung erfolgte jedoch bis heute nicht. Das “ Theater ist kein Medium - aber es benutzt welche! ” 10 - titelt Diedrich Diederichsen 2004 in einem Vortrag auf der Jahrestagung der Dramaturgischen Gesellschaft und bringt damit den Kern der theaterwissenschaftlichen Intermedialitätsdebatte auf den Punkt: Das Problem der Auseinandersetzung mit technischen und elektronischen Darstellungsformen im Theater liegt bei den Fachvertretern nicht in der Ablehnung der zunehmenden Medieninvasion auf der Bühne. Dass sich das Theater seit jeher der technischen Möglichkeiten seiner Zeit bediente und bedient, ist unbestritten und für die Theaterwissenschaft auch kein Problem der kulturellen Wertigkeit ihrer Kunstform. Der Definition eines theaterwissenschaftlichen Medienbegriffs verwehrt sie sich aber erstaunlich vehement und nachhaltig. Nun sind alle Beteiligten [. . .] an Diskussionen über neue Medien gewöhnt und können oft auf eine besonders reiche Erfahrung an Diskussionen über den Zusammenhang von neuen Medien und Theater zurückgreifen, der mindestens bis an die Anfänge der Avantgarden des 20. Jahrhunderts zurückreicht. Ebenso alt sind alle möglichen Versuche, den Gebrauch der unterschiedlichsten neuen Medien in die Theaterpraxis zu integrieren: wirklich verschiedenartig sind indes die Register, in denen diese Versuche bemerkt, benannt und diskutiert werden. 11 Von diesem Befund zeugt sowohl die Publikation des 8. internationalen Kongresses der Gesellschaft für Theaterwissenschaft, der umfangreich die Fülle, aber auch die Heterogenität theaterwissenschaftlicher Forschung zum Thema ‘ Theater und Medien ’ dokumentiert als auch der von Freda Chapple und Chiel Kattenbelt edierte Band Intermediality in Theatre and Performance (2006). 12 In beiden Publikationen ist ein Ungleichgewicht zu verzeichnen zwischen Beiträgen, die eine definitorische Verortung des Fachs und seines Gegenstands innerhalb der medienwissenschaftlichen Diskurse anstreben und solchen Untersuchungen, die den unterschiedlichsten medialen, intermedialen oder mediensoziologischen bzw. -historischen Phänomenen im Theater nachgehen. Die zahlenmäßig weitaus geringeren Versuche, das Theater in einem größeren medientheoretischen Kontext zu verorten, 13 offenbaren gleichzeitig auch den Grund für die anhaltende Uneinigkeit der Fachvertreter innerhalb dieser Debatte. Angesichts höchst unterschiedlicher Definitionen des Terminus ‘ Medium ’ steht weiterhin, “ [a]m Anfang [. . .], im Blick auf eine Theaterwissenschaft als Medien-Wissenschaft, 121 The medium has a message! - Zur Profilierung eines theaterwissenschaftlichen Medienbegriffs die Gretchenfrage: Wie hältst du's mit dem Medien-Begriff? ” 14 Interessanterweise scheint ein einheitlicher operabler Medienbegriff für die theaterwissenschaftliche Beschäftigung mit Medienphänomenen aber auch nicht unbedingt erforderlich zu sein. Nur so lässt sich die merkwürdige Gleichgültigkeit angesichts der wenig fruchtbaren Suche nach selbigem erklären. Die zahllosen Beispiele theaterwissenschaftlicher Beschäftigung mit intermedialen Erscheinungsformen von Theater scheinen zu beweisen, dass es weniger um theoretische Formelhaftigkeit als um die Erweiterung des Selbstverständnisses des Fachs als eine interdisziplinäre Kultur- und Medienwissenschaft geht. In ähnlicher Perspektive plädiert Balme im Rahmen der Hellerauer Gesprächsrunde 15 für eine Fokussierung auf das Verhältnis von Theater und Medien und versucht damit, die scheinbar unüberbrückbare Differenz zwischen Anhängern eines technizistischen Medienbegriffs, dem die Unmittelbarkeit von Theater entgegensteht und solchen Positionen, die als Theater genuin plurimedial konzipieren, zu überwinden. 16 Ich kenne keine Mediendefinition, die nicht auf das Theater passt. Man findet immer irgendwie eine Möglichkeit, sie auf das Theater anzuwenden. [. . .] Ich glaube, wir haben uns sehr lange mit einem eher technizistischen Medienbegriff beschäftigt, der Medien als Mittel der Speicherung und Übertragung von Informationen definiert. [. . .] Es wird immer schwierig sein, Theater sozusagen in Reinform als Medium zu definieren. 17 Vor dem Hintergrund seines Verständnisses von Intermedialität als dem “ Versuch, in einem Medium die ästhetischen Konventionen und/ oder Seh- und Hörgewohnheiten eines anderen Mediums zu realisieren ” , 18 versucht er stattdessen, die Auseinandersetzung mit den ästhetischen Auswirkungen des Medieneinsatzes im Theater zu stärken und die Frage nach den medienspezifischen Codes und Ausdrucksbzw. Darstellungsformen in den Fokus zu rücken. 19 Genau an dieser Stelle scheint die begriffliche Präzisierung eines theaterwissenschaftlichen Medienverständnisses aber insofern nötig, als nur so erklärt werden kann, wie verschiedene Medien im Theater zueinander ins Verhältnis treten und warum diese Interaktion als eine intermediale Ästhetik wahrnehmbar wird. Wenn Jürgen E. Müller Intermedialität als “ ein konzeptionelles Miteinander ” verschiedener Medien beschreibt, deren “ (ästhetische) Brechungen und Verwerfungen neue Dimensionen des Erlebens und Erfahrens eröffnen ” , 20 bleibt mit Gabriele Brandstetter nach den Mechanismen und Erkennungszeichen einer intermedialen Ästhetik zu fragen: [Ich] möchte nicht Theater und Medien gegeneinander ausspielen, sondern deren Verbund betrachten. [. . .] Was ließe sich als das Ästhetische von Theater oder anderen Medien benennen? Meine These ist, dass das Ästhetische an dem Punkt einsetzt, wo die Medien und das Theater nicht reibungslos funktionieren, sondern wo es Formen von Entzug oder von Widerständigkeit gibt. 21 Somit lassen sich drei Parameter herausstellen, die konstitutiv für die Erarbeitung eines theaterwissenschaftlichen Medienbegriffs sind: Das Theater ist als eine genuin plurimediale Kunstform zu denken, in deren Rahmen unterschiedliche Medien zueinander ins Verhältnis treten können, ohne ihre spezifischen Materialitäten an die Apparatur zu verlieren. Damit kommt dem Theater erstens ein besonderer Status innerhalb der medienwissenschaftlichen Reflexion zu, denn “ im Gegensatz zu den Medien ‘ Photographie ’ und ‘ Film ’ nehmen ins Medium ‘ Theater ’ transformierte Zeichen oder Texte anderer Medien nicht eine gleiche materielle Oberfläche an, so dass im Medium ‘ Theater ’ die 122 Julia Pfahl Differenzen der Medien und materiellen Zeichenträger betont werden ” . 22 Wenn Intermedialität zweitens an die Wahrnehmung von Brüchen, Friktionen, Widerständigkeiten gebunden zu sein scheint, bleibt zu fragen, wie die Interaktion verschiedener (Einzel-)Medien im Medium Theater medientheoretisch zu beschreiben und im Hinblick auf die zum Einsatz kommenden neuen Medien zu differenzieren ist. Ein theaterwissenschaftlicher Medienbegriff muss dann drittens Intermedialität als das ästhetische Miteinander vor dem Hintergrund dieser spezifischen medialen Bedingungen von Theater unter Berücksichtigung der Kategorie von Wahrnehmung beschreibbar machen. Konstitutionsfunktion und Wirkmechanismen von Medien Die Berliner Medienphilosophin Sybille Krämer versucht mithilfe eines kulturwissenschaftlichen Ansatzes die Dichotomie der dominanten Mediendiskurse zwischen Medienmarginalismus und Medienapriorismus zu überwinden und stattdessen einen dritten Weg zu beschreiten, und Medien als Vermittler von etwas zu begreifen, das sie zwar selbst nicht erzeugen, im Vollzug der Übertragung aber gleichwohl mitkonstituieren. 23 Damit distanziert sie sich von einem rein technikzentrierten Medienbegriff, unter den auch das Theater aufgrund seiner unmittelbaren Kommunikationsstruktur nur schwer zu subsumieren ist, und beschreibt Medien stattdessen als “ Apparaturen ” zur “ künstlichen Welterzeugung ” , die an ihrer Botschaft die “ Spur ” ihrer jeweiligen, spezifischen Materialität hinterlassen ” . 24 Medien sind somit nicht lediglich als sekundäre Übertragungsvehikel zu konzipieren, die sich zum Gehalt ihrer Botschaft indifferent verhalten, sondern performativ zu denken in dem Sinne, dass sie das, was sie hervorbringen, auch materiell und ästhetisch prägen. Krämer variiert hier das berühmte Diktum des kanadischen Medientheoretikers Marshall McLuhan ‘ the medium ist the message ’ 25 dahingehend, dass sie die Wirkungslatenz von Medien in ihrer nur scheinbaren Neutralität verortet, als “ blinde[n] Fleck in unserem Wahrnehmen und Kommunizieren ” . 26 Medien wirken wie Fensterscheiben: Sie werden ihrer Aufgabe umso besser gerecht, je durchsichtiger sie bleiben, je unauffälliger sie unterhalb der Schwelle unserer Aufmerksamkeit verharren. Nur im Rauschen, das aber ist in der Störung oder gar im Zusammenbruch ihres reibungslosen Dienstes, bringt das Medium sich selbst in Erinnerung. Die unverzerrte Botschaft hingegen macht das Medium nahezu unsichtbar. 27 Hier diagnostiziert sie wahrnehmungsästhetisch genau jenes Phänomen, das Brandstetter als Moment der intermedialen Interaktion, als “ Formen von Entzug oder von Widerständigkeit ” 28 beschreibt und das aufschlussreich sein könnte für eine Definition einer intermedialen Ästhetik im Theater. Wenn Intermedialität mit Jürgen E. Müller als die Realisierung ästhetischer Konventionen eines Mediums in einem anderen Medium beschrieben werden kann und die Auswirkungen des Einsatzes ‘ fremder ’ Medien eine Wahrnehmungsirritation hervorrufen, erweisen sich die von Krämer beschriebenen Störungen, die das Medium selbst in Erinnerung bringen, auf die Ebene des Theaters übertragen als eben solche Widerständigkeiten, die die medienspezifischen Codes in den Fokus rücken können. In der Verschränkung der höchst unterschiedlichen theoretischen Konzepte McLuhans und des Systemtheoretikers Niklas Luhmann, der Medien im Gegensatz zu McLuhan als indifferent gegenüber ihren Inhalten betrachtet und zwischen Medium und Form als lose und rigide gekoppelten Elementen unterscheidet 29 , argumentiert 123 The medium has a message! - Zur Profilierung eines theaterwissenschaftlichen Medienbegriffs Krämer für eine Konzeption des Medialen im Performativen. 30 Die Wirkungsweise von Medien verortet sie in der konkreten Materialität des jeweiligen Mediums, das an der transportierten Botschaft einen “ Überschuss an Sinn ” , einen “ Mehrwert an Bedeutung ” hinterlässt, der “ von den Zeichenbenutzern keineswegs intendiert und ihrer Kontrolle auch gar nicht unterworfen ist ” . Wie etwa die Stimme als Medium der Rede nicht nur deren Inhalt, deren Botschaft, vermittelt, sondern das Gesagte durch Tonfall, Brüchigkeit der Kommunikation oder Versagen auch kommentiert oder gar unterminiert, ihr also nicht nur als Vollstreckerin oder als Werkzeug dient, sondern daneben selbst auch Aussagen macht, so verhält sich das Medium zur Botschaft “ wie eine unbeabsichtigte Spur zum absichtsvoll gebrauchten Zeichen ” . 31 Durch ihre Unterscheidung zwischen Medien als “ Mittler von etwas ” und technischen Instrumenten als “ Mittel für etwas ” und der Tatsache, dass sie die Botschaft des Mediums als etwas immer in einem Medium Gegebenes denkt, das “ außerhalb des Mediums überhaupt nicht zu existieren vermag ” 32 gelingt ihr eine Differenzierung zwischen technischen Medien wie etwa dem Film oder dem Computer, die sie unter dem Begriff ‘ Apparate ’ subsumiert, und technischen Instrumenten im Sinne von ‘ Werkzeugen ’ , unter denen sie “ physische wie auch symbolische technische Artefakte ” versteht, die der von ihnen vermittelten Botschaft äußerlich bleiben. Medien als Apparate effektivieren “ nicht einfach das, was Menschen auch ohne Apparate schon tun, sondern erschließen etwas, für das es im menschlichen Tun kein Vorbild gibt ” und fungieren somit als Apparate zur “ künstlichen Welterzeugung ” . 33 Dabei konzipiert sie die Unterscheidung zwischen Technik als Werkzeug und Technik als Apparat aber nicht antagonistisch als ontologische Differenz, sondern plädiert für eine doppelte Betrachtungsweise eines Mediums sowohl unter instrumentalen als auch unter apparativen Aspekten, je nachdem ob der technische Akt der Hervorbringung fokussiert, oder nach den besonderen medialen (und ästhetischen) Implikationen der Art und Weise der Hervorbringung gefragt werden soll - eben nach der Spur, die das Medium an seiner Botschaft hinterlässt. Das Theater lässt sich im Kontext dieses Medienverständnisses als eine Apparatur zur künstlichen Welterzeugung beschreiben, das durch die spezifische Art und Weise des Medieneinsatzes neue Welten und Wahrnehmungsweisen eröffnet und gleichzeitig die Modi der Hervorbringung, also die jeweiligen Codes der Darstellung ins Bewusstsein rückt. Medialität als Performativität Indem sich Krämer in ihrem Verständnis von Medien von der Annahme distanziert, diese fungierten nur als Vermittlungsinstanzen, die den von ihnen transportierten Inhalten äußerlich blieben, kritisiert sie implizit die semiotische Unterscheidung zwischen Zeichenträger und Zeichenbedeutung. Stattdessen versucht sie unter zu Hilfenahme des Konzepts der Performativität ein Medienverständnis zu etablieren, das die Performanz des Medialen ins Blickfeld der Erörterung rückt. 34 Als operatives Geschehen liegt der Fokus dabei nicht nur auf dem Inhalt der Botschaft, sondern auch auf der Art und Weise der Hervorbringung, womit die spezifische Materialität des jeweiligen Mediums und damit auch die dem Medium anhaftende Spur ins Blickfeld gerückt wird. Durch die Hervorhebung des Akts des Vollzugs, der als Aufführung von Zeichen auch eine Verschiebung der Zeichenbedeutung impliziert, offenbart sich das kreative und subversive Potential der Performanz des Medialen. Damit fokussiert Krämer das im gegenwärtigen medientheo- 124 Julia Pfahl retischen Diskurs vernachlässigte Charakteristikum des Mediums als Ver-Mittler im Sinne von “ Distanzsetzung bzw. Distanzüberbrückung ” , dessen Elementarfunktion die Aisthetisierung, also das ‘ Wahrnehmbar-Machen ’ und das zu Gesichtbzw. zu Gehör-Bringen ist. 35 Krämer verwendet ‘ Aisthetisierung ’ hier in der ursprünglichen griechischen Bedeutung des Terminus ‘ aisthesis ’ ( άίσθησις ) als ‘ sinnlich vermittelte Wahrnehmung ’ . In einem postmodernen Verständnis des Begriffs verweist sie damit auf eine deskriptive, prozessorientierte Konzeption von Aisthetisierung in der Einsicht, dass “ Erkennen und Wirklichkeit ihrer Seinsart nach ästhetisch sind ” , dass es sich also beim Ästhetischen nicht um “ sekundäre, nachträgliche Realitäten ” handelt, sondern “ dass das Ästhetische schon zur Grundschicht von Erkenntnis und Wirklichkeit gehört ” . 36 Durch die begriffliche Differenzierung zwischen Werkzeug und Apparat sowie ihrer Konzeption des Medialen im Performativen kann Krämers Medienverständnis für die Formulierung eines theaterwissenschaftlichen Medienbegriffs nutzbar gemacht werden. Unter Anwendung der Begrifflichkeiten Krämers kann Theater als Akt der performativen Hervorbringung künstlicher Welten beschrieben werden, wobei sich an seinen Inhalten die Spuren seiner Einzelmedien bewahren. Ein Verständnis von Theater als Medium bewegt sich also auf einer Skala zwischen ‘ Übertragung ’ im Sinne einer Vehikelfunktion und ‘ Erzeugung ’ im Sinne seiner Konstitutionsfunktion. 37 Gleichwohl bleibt zu fragen, warum der Einsatz ‘ fremder ’ Medien wie beispielsweise Video oder Film als intermedial wahrgenommen und beschrieben wird, während die Verwendung ‘ genuiner ’ Theatermedien, worunter etwa Stimme, Körper oder Licht zu subsumieren wären, die beschriebene Wahrnehmungsirritation nicht provozieren? Wie kann also die Interaktion der verschiedenen Einzelmedien des Mediums Theaters differenziert werden, damit die spezifischen Mechanismen von Intermedialität analysierbar werden und erklärt werden kann, warum (nur) bestimmte mediale Interaktionen ästhetisch als intermedial wahrgenommen werden? Bereits in der Rekapitulation der Funktionsweise von Medien hat Krämer wiederholt auf Phänomene hingewiesen, die in der Wahrnehmung des Medialen begründet sind. Unter zu Hilfenahme des Gedankens der Spur, die das Medium an seiner Botschaft hinterlässt, die aber meist unterhalb der Schwelle unserer Aufmerksamkeit bleibt und nur in Momenten der Störung der Übermittlung wahrnehmbar wird sowie in der Akzentuierung des Moments der Aisthetisierung, des Wahrnehmbar-Machens, als Elementarfunktion von Medien, weist sie der Rezeptionsebene des Medialen eine ebenso bedeutende Rolle zu wie der Produktionsebene. Indem Medien das, was sie übertragen, gleichzeitig auch mit hervorbringen, vollziehen sie einen Akt der Verkörperung mittels dessen die Dinge, die sie übermitteln, erfahrbar und wahrnehmbar gemacht werden. Damit entwickelt Krämer ihr Medienverständnis interessanterweise unter Verwendung von Begrifflichkeiten, die dem Bereich des Theaters entstammen bzw. analog auf die Funktionsweise von Theater übertragbar sind, dessen Kommunikationsprozess im reziproken Verhältnis zwischen Ausführenden oder Produzierenden bzw. Vermittelnden und Zuschauenden, als Wahrnehmenden und dabei Mitgestaltenden begründet ist. Krämer plädiert im Anschluss an ihre Konzeption von Medialität als Performativität in Abgrenzung von Luhmann für ein Verständnis der Formgebung von Medien als einer kulturellen Praxis. Kulturelle Praktiken entfalten sich ihr zufolge im Spektrum zwischen Kunst und Kulturtechnik: ‘ Kunst ’ steht hier für das Unerhörte, für Überraschungen, Ereignis, Phantasie, Einzigartig- 125 The medium has a message! - Zur Profilierung eines theaterwissenschaftlichen Medienbegriffs keit, Komplexität, faszinierte Aufmerksamkeit, für den Bruch mit dem Vertrauten, kurz: für Innovation. ‘ Kulturtechnik ’ meint dagegen Veralltäglichung, Routinisierung, Ritualisierung, Gewohnheitsbildung, Dispensierung der Aufmerksamkeit, kurz: Wiederholung. 38 Formgebung als Phänomen medialer Performanz situiert sie in diesem Verständnis also zwischen dem innovativen Potential von Kunst und der Wiederholung in der Kulturtechnik, denn “ [j]ede sich in Wahrnehmungsschemata sedimentierende Kunst zehrt von überkommenen Kulturtechniken und bildet sie zugleich um. ” 39 Abb. 2: Szenenbild Robert Lepage Lipsynch (UA 2010), Acte 5. Foto: © Érick Labbé. An dieser Stelle wird deutlich, warum die medialen Interaktionen des Theaters unterschiedliche Wahrnehmungserfahrungen hervorrufen. Weil das Theater als Kunst- und Kulturtechnik gleichermaßen zu beschreiben ist, manifestieren sich in den medialen Prozessen von Theater differente Phänomene intermedialer Interaktion, die auf den spezifischen Darstellungskonventionen des Mediums Theater basieren. Wenn wir im Theater konventionelle (Einzel-)Medien wie die Stimme oder den Schauspielerkörper oder Licht wahrnehmen und diese Wahrnehmung nicht als intermedial erfahren, dann sind diese medialen Akte als Kulturtechniken zu beschreiben, die zur Gewohnheit geworden sind und der Konvention nach zur medialen Spezifität von Theater zu gehören scheinen. Wenn aber der Einsatz elektronischer Bildmedien die Bühne in einen virtuellen Raum zu verwandeln scheint, wenn der Schauspielerkörper mit einem projizierten Körperbild in Interaktion tritt oder Darstellungskonventionen anderer Medien im Theater zum Einsatz kommen, wird Theater als Kunsttechnik zu einer kulturellen Praxis, die durch die Irritation oder Durchkreuzung der medialen Konventionen von Theater für Überraschungen, Faszination und ästhetische Innovation sorgen kann. Mit Blick auf solche Rezeptionserfahrungen kann Luhmanns Unterscheidung zwischen Medium und Form erklären, dass es auf den Beobachterstandpunkt ankommt, was als Medium und was als Form erfahren wird und wie dadurch das “ Prinzip der aisthetischen Neutralisierung ” 40 gebrochen und das Medium selbst auch beobachtbar werden kann. 41 Weil der performative Vollzug der Medien neben der Realisierung und Phänomenalisierung von Dingen immer auch ihre Veränderung und Unterminierung impliziert, kann das, was verkörpert wird, in andere Kontexte übertragen und somit neu oder anders konstituiert werden. Die Idee der ‘ Verkörperung ’ als kulturstiftende Tätigkeit erlaubt es, ‘ Übertragung ’ als ‘ Konstitution ’ auszuweisen und zu begreifen. 42 Die Bedeutung von Performativität ist in einer zeitgenössisch interessanten und anschließbaren Weise gar nicht ohne einen Bezug auf Medialität zu begreifen. [. . .] Erst die dekonstruktivistische Auseinandersetzung mit dem Performativen im Namen der Schrift einerseits und die kultur- und kunstwissenschaftliche Wiederentdeckung des Performativen andererseits hat das Nachdenken über Performativität bis zu jener Schwelle geführt, von der her Zusammenhänge zwischen Medien und Performanz hervortreten können. [. . .] Das Schwellenphänomen, um das es hier geht, ist der Sachverhalt der Aisthesis, verstanden 126 Julia Pfahl als der bipolar strukturierte Vollzug eines Ereignisses und seiner Wahrnehmung, das auf ein (symbolisches) Ausdrucksgeschehen gerade nicht reduzierbar ist. [. . .] Dabei geht in den Begriff der ‘ Aisthetisierung ’ ein, dass es sich im Wechselverhältnis von Ereignis und Wahrnehmung um ein ‘ in Szene gesetztes ’ Geschehen handelt, welches Akteur- und Betrachterrollen einschließt. 43 Ausgehend von einem Verständnis von Theater als einem performativen Ereignis, das nicht nur repräsentiert, sondern das Gezeigte auch phänomenalisiert, also den Sinnen zugänglich macht, kann Theatralität als Medialität konzipiert werden, bei der es sich aufgrund des der Medialität innewohnenden performativen Überschusses an Sinn eben nicht nur um Darstellung im Sinne von Mimesis handelt, sondern um eine ‘ Aufführung ’ oder Re-Inszenierung von etwas, das in diesem performativen Vollzug immer auch verschoben, verändert und unterminiert wird. Theater als Medium ist so als eine Apparatur zur künstlichen Welterzeugung zu beschreiben, die das, was sie zeigt und vermittelt, gleichzeitig auch mitkonstituiert. Konstitutiv für das von Krämer skizzierte Verhältnis von Medialität und Performativität ist nämlich gerade das Moment der Wahrnehmung dieser medialen Performanz, das als duales Wechselspiel zwischen einem Ereignis und seiner Wahrnehmung die Konstitutionsfunktion eben nicht nur auf der Produktionsebene, sondern gleichermaßen auch beim Rezipienten lokalisiert. Aufgrund ihres Aisthetisierungspotentials phänomenalisieren Medien, machen also die Dinge wahrnehmbar, und im Akt der Wahrnehmung wiederum partizipiert auch der Rezipient aktiv am Moment dieser Inszenierung. Damit wird es möglich, Medialität in Krämers Verständnis auch direkt auf das Theater zu beziehen. Wenn man Theater als einen Ort betrachtet, der durch einen sowohl phänomenalisierenden als auch konstituierenden Darstellungsakt im Spannungsverhältnis von Repräsentation und Performanz gekennzeichnet ist, und sich diese Darstellung mittels Medien und vor den Augen des Publikums vollzieht, die Zuschauer also nicht nur passive Rezipienten bleiben, sondern aktiv an dieser medialen Übertragung und Verkörperung, die immer im Sinne einer performativ vollzogenen Inkorporation gedacht wird, teilnehmen, dann scheint es nicht nur möglich, Krämers Verständnis von Medien und Medialität auf das Theater zu übertragen, sondern es wird offensichtlich, dass das Theater als kulturelle Praxis geradezu exemplarisch das vollzieht, was Krämers Medienbegriff theoretisch zu fassen versucht. Intermedialität als (theatraler) Wahrnehmungsmodus Für die konkrete Beschreibung der intermedialen Interaktionsmechanismen im Medium Theater bleibt gleichwohl die Tatsache, dass es sich beim Theater um ein Plurimedium handelt, das unterschiedlichste Medien wie etwa Film, Fernsehen, Video oder digitale Medien “ unter Beibehaltung ihrer jeweiligen Wahrnehmungsmodi und technischen Repräsentationsbedingungen ” 44 in sein Ausdrucksrepertoire integrieren kann, zu berücksichtigen. Mit Rückgriff auf Krämers Medienverständnis lässt sich Intermedialität als eine Formumwandlung medialer Produkte beschreiben, durch die neue ästhetische Wahrnehmungsformen entstehen, welche aufgrund der Irritation, Verzerrung oder Verschiebung spezifisch medialer Konventionen erfahrbar werden. Auf das Theater übertragen wäre dann zu präzisieren, was genau unter dem medialen Produkt, das dieser Formumwandlung unterzogen wird, zu verstehen ist. Ist es das Theater als ein plurimediales System, das durch die fremd- 127 The medium has a message! - Zur Profilierung eines theaterwissenschaftlichen Medienbegriffs medialen Einflüsse in seiner Ästhetik hybridisiert wird? Wird es durch die Integration technischer Darstellungsmittel oder fremder medialer Konventionen in seiner Gesamtheit einem intermedialen Transformationsprozess unterzogen? Und ergibt sich daraus dann eine Differenzform, oder bleibt das Theate aufgrund seines besonderen medialen Status nicht vielmehr immer Theater? Abb. 3: Szenenbild Robert Lepage Lipsynch (UA 2010), Acte 9. Foto: © Érick Labbé. Um dem besonderen medialen Status des Theaters im Kontext der intermedialen Wechselspiele der Bühne gerecht zu werden, hat Christopher Balme in Anlehnung an Erving Goffman den Begriff des “ Rahmenmediums ” im Sinne eines Hypermediums vorgeschlagen. 45 Damit gelingt es ihm, das “ konzeptionelle Miteinander ” verschiedener Medien theaterwissenschaftlich fassbar zu machen. Der Terminus des Rahmens erhält im Kontext theaterwissenschaftlicher Parameter dabei eine mindestens doppelte Konnotation, denn er kann einerseits den materiellen Rahmen der Proszeniumsbühne und die zum Zuschauer offene Seite des Guckkastens oder in einem dramentheoretischen Zusammenhang die narrativen Bedingungen einer Spielhandlung beschreiben, andererseits aber auch in einem allgemeinsoziologischen Verständnis den sozialen Raum des Theaters als Teilsystem von Gesellschaft benennen. Für seine Verwendung als Schlüsselbegriff intermedialer Austauschprozesse im Theater ist diese Doppeltcodiertheit des Begriffs - ähnlich der Konzeptionalisierung des Mediums als ‘ Werkzeug ’ und als ‘ Apparat ’ - als mediale, also in formaler Hinsicht auf das Theater bezogene Kategorie sowie als soziologische Demarkationsbzw. Definitionsgrenze von entscheidender Bedeutung: Der Begriff der Rahmung dient zur Erforschung des Verhältnisses von medienästhetischen Innovationen, insbesondere hinsichtlich des Theaters zu den [neuen; J. P.] Bildmedien [. . .], und der Reflexion und Thematisierung der Medialität in den Medien selbst [. . .] sowie der Frage, wie der Akt der Rahmung und damit die Apparatur der ästhetischen Perzeption herausgestellt wird. 46 Balme rückt so die ästhetischen Auswirkungen des Medieneinsatzes von Theater ins Zentrum seiner Überlegungen und setzt damit den Akzent auf die Wahrnehmung bzw. die Konventionen von Wahrnehmung. So wie nach Goffman Rahmensetzung auf soziokulturell bedingten Regeln beruht, 47 bestimmt der ästhetische Rahmen des Theaters die in ihm wirksamen Regeln und schafft damit eine auf bestimmten medialen Konventionen beruhende Unterscheidung zwischen Theater und anderen Medien. Im Bewusstsein, dass eine bestimmte Wirklichkeit sowie die Art und Weise ihrer Darstellung im Theater, also in einem spezifischen ästhetischen Bezugssystem, wahrgenommen wird, wird diese Erfahrung zunächst eng auf das jeweilige System, in diesem Fall den theatralen Kontext bezogen, womit erklärbar wird, weshalb bestimmte intermediale Phänomene den habitualisierten theatralen Wahrnehmungsrahmen überschreiten und die beschriebenen ästhetischen Brechungen hervorrufen können, oder - um mit Sybille Krämer zu sprechen - die Spur des (theaterfremden) Mediums sichtbar werden lassen. Mit der Übertragung der Rahmentheorie auf das Theaters sieht Balme eine “ wahr- 128 Julia Pfahl nehmungsstrukturierende Kategorie ” 48 begründet, die den Rahmen als einen Schlüsselbegriff für intermediale Austauschprozesse im Theater identifiziert und das konzeptionelle intermediale Miteinander der verschiedenen medialen Darstellungsformen vor dem Hintergrund der medialen Konventionen des Theaters näher bestimmen kann. Das Theater und seine ihm eigenen Regeln für die Herstellung und die Rezeption von Wirklichkeit dienen als Apparatur ästhetischer Perzeption, durch die die jeweils in seinem Rahmen repräsentierten, thematisierten oder simulierten fremdmedialen Konventionen wahrgenommen werden. Dabei bilden die dem Theater eigenen Regeln für Darstellung und Wahrnehmung die Folie, auf der sich ein Reflexionsraum eröffnet, der in der durch die intermedialen Interaktionen provozierten Hybridisierung theatraler Konventionen den Akt des Betrachtens und die Situation der intermedialen Bezugnahme bewusst machen kann. Abb. 4: Szenenbild Robert Lepage Lipsynch (UA 2010), Acte 5. Foto: © Érick Labbé. In der Form des Theaters als spezifischem Wahrnehmungsbzw. Schauraum offenbart sich seine metareflexive Situation sowohl in Bezug auf seine Ontologie als Medium und als Rahmenmedium als auch hinsichtlich seiner Sonderstellung in intermedialen Wechselbeziehungen. Das Theater zeigt, und zwar nicht nur das Was, sondern auch das Wie, und das nicht nur in Bezug auf seine eigenen Mittel, sondern auch auf die in ihm zur Anwendung kommenden Fremdmedien - es ist, wie Peter Boenisch es formuliert hat, ein “ medientechnologisches Trainingscenter zur Perzeptionsschulung ” , das die spezifischen Codes und Funktionsweisen unterschiedlicher Medien offen legt und damit unsere durch diese beeinflussten Rezeptionsgewohnheiten als solche entlarven kann. 49 Wenn Sybille Krämer Medialität als Performativität konzipiert, dann lässt sich das Theater als ein paradigmatischer Ort medialer Performanz kennzeichnen, der im Moment der (inter)medialen Interaktion die Art der Hervorbringung besonders herausstellen kann und so die unsichtbare Seite seiner Medialität in den Fokus rückt. Das Theater benutzt also nicht nur Medien, sondern ist auch selbst als Medium zu beschreiben. Mit Hilfe eines performativen Verständnisses des Medialen und einer begrifflichen Differenzierung von Medien als Apparaten und Werkzeugen sowie unter Berücksichtigung ihrer Aisthetisierungsfunktion, wie von Krämer formuliert, gelingt es, das Theater als Medium und Rahmenmedium gleichermaßen aufzufassen, das sowohl die jeweiligen im Theater zum Einsatz kommenden Einzel- und Fremdmedien unter Beibehaltung ihrer spezifischen medialen Konventionen wahrnehmbar macht, als auch gleichzeitig durch die besondere Ästhetik der theatralen Rahmung eine intermediale Erfahrung ermöglicht. Damit wird die ‘ zauberhafte Theatermagie ’ im Sinne einer Kunsttechnik nicht nur als ästhetisches Innovationspotential eines Theaters im Medienzeitalter beschreibbar, sondern offenbart auch in der Überwindung einer kulturpessimistischen, rein textfokussierten Bewertung der Bühne den Charakter des Theaters als eine kulturelle Praxis, die den Umgang mit (neuen) Medien als ein in doppelter Hinsicht produktives Verfahren erfahrbar macht. 129 The medium has a message! - Zur Profilierung eines theaterwissenschaftlichen Medienbegriffs Anmerkungen 1 Wille, Franz. “ Mit der Gießkanne im Regen stehen. ” Theater heute 8 (1996): 22. 2 Balme, Christopher. “ Robert Lepage und die Zukunft des Theaters im Medienzeitalter. ” Transformationen. Theater der neunziger Jahre. Ed. Erika Fischer-Lichte [et al.]. Berlin, 1999, 133 - 146. 3 Vgl. exemplarisch Meyer, Petra Maria. “ Theaterwissenschaft als Medienwissenschaft. ” Forum Modernes Theater 12.2 (1997): 115 - 131. 4 Balme 1999, 134. 5 Balme 1999, 144. 6 Tholl, Egbert. “ Funktion folgt der Form. Robert Lepage enttäuscht bei den Wiener Festwochen ” Süddeutsche Zeitung v. 14. 05. 2010: 12. 7 Vgl. u. a. Jandl, Paul. “ Neun Stunden im Halbdunkel. ” Die Welt v. 15. 05. 2010: 36; Stadelmaier, Gerhard. “ Neun Stunden, neun Leben, neun Schauspieler. ” Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 14. 05. 2010: 33; Villiger- Heilig, Barbara. “ Neun Mal Leben, drei Mal Tod. ” Neue Zürcher Zeitung v. 19. 05. 2010: 49. 8 Hébert, Chantal/ Perelli-Contos, Irène. “ L ’œ uvre de Robert Lepage. Voyage(s) métaphorique(s) et décalage(s) perceptif(s). ” Le théâtre québécois 1975 - 1995. Ed. Dominique Lafon. Québec, 2001, 265 - 280, hier 273. 9 Davon zeugen u. a. Veröffentlichungen wie Leeker, Martina, ed. Maschinen, Medien, Performances. Theater an der Schnittstelle zu digitalen Welten. Berlin, 2001; Balme, Christopher/ Moninger, Markus, ed. Crossing Media. Theater - Film - Fotografie - Neue Medien. München, 2004; Chapple, Freda/ Kattenbelt, Chiel, ed. Intermediality in Theatre and Performance. Amsterdam/ New York, 2006; Schoenmakers, Henri [et al.], ed. Theater und Medien/ Theatre and the Media. Grundlagen - Analysen - Perspektiven. Eine Bestandsaufnahme. Bielefeld, 2008. 10 Diederichsen, Diedrich. “ Der Idiot mit der Videokamera. Theater ist kein Medium - aber es benutzt welche. ” Theater Heute 4 (2004): 27 - 31. 11 Diederichsen 2004, 28. 12 Schoenmakers [et al.] 2008; Chapple/ Kattenbelt 2006. 13 Vgl. hierzu bes. Boenisch, Peter M. “ Aesthetic art to aisthetic act: theatre, media, intermedial performance. ” Chapple/ Kattenbelt 2006, 103 - 116. 14 Brandstetter, Gabriele. “ Un/ Sichtbarkeit: Blindheit und Schrift. Peter Turrinis ‘ Alpenglühen ’ und William Forsythes ‘ Human Writes ’ . ” Schoenmakers [et al.] 2008, 85 - 97, hier 85. 15 Leeker, Martina. “ Hellerauer Gespräche: Theater als Medienästhetik oder Ästhetik mit Medien und Theater? ” Leeker 2001, 405 - 433. 16 Vgl. hierzu Pfahl, Julia. Zwischen den Kulturen - zwischen den Künsten. Medial-hybride Theaterinszenierungen in Québec. Bielefeld, 2008: 405 - 433. 17 Balme zitiert in Leeker 2001, 406 f. 18 Balme 1999, 135. 19 Wie Balme plädiert auch Peter M. Boenisch für eine mediengeschichtliche Perspektive, in der er Intermedialität als eine Form von ‘ remediation ’ und als “ effect created in the perception of observers that is triggered by performance ” (Boenisch 2006, 113) beschreibt. Damit stellt auch er Wahrnehmung - hier als ein historisch determiniertes Phänomen - ins Zentrum der Reflexion. 20 Müller, Jürgen E. “ Intermedialität als poetologisches und medientheoretisches Konzept. ” Intermedialität. Theorie und Praxis eines interdisziplinären Forschungsgebiets. Ed. Jörg Helbig. Berlin, 1998, 31 - 40, hier 31 f. 21 Brandstetter zitiert in Leeker 2001, 409. (Hervorhebung im Original). 22 Meyer 1997, 120. 23 Krämer, Sybille. “ Erfüllen Medien eine Konstitutionsleistung? Thesen über die Rolle medientheoretischer Erwägungen beim Philosophieren. ” Medienphilosophie: Beiträge zur Klärung eines Begriffs. Ed. Stefan Münker [et al.] Frankfurt/ M., 2003, 78 - 90. 24 Krämer, Sybille. “ Das Medium als Spur und als Apparat. ” Medien, Computer, Realität. Ed. Sybille Krämer. Frankfurt/ M., 1998, 73 - 94, hier bes. 81 und 84 f. 130 Julia Pfahl 25 McLuhan, Marshall. Die magischen Kanäle. Understanding Media. Dresden/ Basel, 1994, 21. 26 Krämer 2003, 81. 27 Krämer 1998, 74. 28 Brandstetter zitiert in Leeker 2001, 409. 29 Für Niklas Luhmann sind Medien in erster Linie Kommunikationsmittel, die bei der Übermittlung von Informationen zur Distanzüberbrückung dienen. Dabei wird die Distanz aber nicht aufgehoben, sondern transformiert. Luhmann betrachtet Medien als lose verknüpfte Elemente, die faktisch unbestimmt, damit aber potentiell empfänglich für Strukturierungen sind, während er das, was diese losen Verknüpfungen zu strukturbildenden Mustern verdichtet, als Form definiert. Durch ihr hohes Auflösevermögen sind Medien aufnahmefähig für Formen, somit also ohne einander nicht denkbar, stehen aber in einem asymmetrischen Verhältnis zueinander: Während sich die Form durchsetzt, bleibt das Medium passiv, wird aber durch die jeweilige Formgebung nicht verbraucht, sondern erneuert, und ist damit wieder offen für weitere Formgebungen. Nach Luhmanns Theorie nehmen wir daher, wo immer wir Medien begegnen, nicht die Medien selbst, sondern nur ihre konkrete Form war. Vgl. Luhmann, Niklas. “ Das Medium der Kunst. ” Delfin 7 (1986): 6 - 15; ders. Die Kunst der Gesellschaft. Frankfurt/ M., 1987, darin bes. Kap. III “ Medium und Form ” : 165 - 214; ders. Die Gesellschaft der Gesellschaft. Frankfurt/ M., 1997. 30 Krämer, Sybille. “ Über das Zusammenspiel von ‘ Medialität ’ und ‘ Performativität ’ . ” Paragrana 13.1 (2004): 129 - 133. 31 Krämer 1998, 78 f. 32 Krämer 1998, 83. 33 Krämer 1998, 84 f. 34 Sybille Krämer, “ Was haben ‘ Performativität ’ und ‘ Medialität ’ miteinander zu tun? Plädoyer für eine in der ‘ Aisthetisierung ’ gründende Konzeption des Performativen. ” Performativität und Medialität. Ed. Sybille Krämer. München, 2004, 13 - 32. 35 Krämer 2004, 132. 36 Vgl. ausführlicher Barck, Karl-Heinz. “ Zur Aktualität des Ästhetischen. ” Ästhetische Grundbegriffe (ÄGB): Historisches Wörterbuch in sieben Bänden (Bd. 1). Ed. Karl- Heinz Barck [et al.] Stuttgart, 2000, 308 - 317 sowie Böhme, Gernot. Aisthetik. Vorlesungen über Ästhetik als allgemeine Wahrnehmungslehre. München, 2001. 37 Krämer 2003, 80. 38 Krämer 2003, 86. 39 Krämer 2003, 86. 40 Krämer 2003, 82. 41 Luhmann erklärt das Verhältnis von Medium und Form als ein wechselseitig bedingtes, in dem Formen immer nur als Form-in-einem- Medium wahrnehmbar werden, dabei das Medium selbst aber (zunächst) unsichtbar bleibt. Wahrnehmbar werden Medien nach Luhmann erst dann, wenn ein Medium selbst wieder zur Form in einem anderen Medium wird, wenn beispielsweise Geräusche sich zu Worten verdichten und diese wiederum im Medium der Sprache zu Formen der Satzbildung werden. Das Moment der Transformation also, der Übergang von Formen zu Medien und wieder zu Formen ist das Moment im Prozess der medialen Performanz, das Bezugnahme ermöglicht. Vgl. Luhmann 1987, 172. 42 Krämer 2003, 85. (Hervorhebungen im Original). 43 Krämer 2004, 13 f.(Hervorhebung im Original). 44 Moninger, Markus. “ Vom ‘ media-match ’ zum ‘ media-crossing ’ . ” Balme/ Moninger 2004, 7 - 12, hier 9. 45 Balme, Christopher. “ Pierrot encadré. Zur Kategorie der Rahmung als Bestimmungsfaktor medialer Reflexivität. ” Leeker 2001, 480 - 492. 46 Balme 2001, 480 f. 47 Goffman, Erving. Rahmen-Analyse. Ein Versuch über die Organisation von Alltagserfahrungen. Frankfurt/ M., 1993, bes. 31 - 34. 48 Balme 2001, 481. 49 Boenisch, Peter M. “ Theater als Medium der Moderne? Zum Verhältnis von Medientechnologie und Bühne im 20. Jahrhundert. ” Theater als Paradigma der Moderne? Positionen zwischen historischer Avantgarde und Medienzeitalter. Ed. Christopher Balme [et al.] Tübingen/ Basel, 2003, 447 - 456, hier 453. 131 The medium has a message! - Zur Profilierung eines theaterwissenschaftlichen Medienbegriffs