eJournals Forum Modernes Theater 25/2

Forum Modernes Theater
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Narr Verlag Tübingen
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2010
252 Balme

Hellmut Flashar. Inszenierung derAntike. Das griechische Drama auf der Bühne. Von der Frühen Neuzeit bis zur Gegenwart. Zweite, überarbeitete und erweiterte Auflage. München: C. H. Beck, 2009, 428 Seiten.

1201
2010
Julia Stenzel
fmth2520218
Fragestellungen, die die Theaterwissenschaft in Zukunft beschäftigen wird. Die polyphone und dialogische Form der inkludierten Artikel entspricht dem Inhalt, nämlich der Suche nach Vermittlung über Differenzen hinweg, dies eröffnet auch Zugänge für Leser und Leserinnen unterschiedlicher Provenienz. Gent K ATHARINA P EWNY Hellmut Flashar. Inszenierung der Antike. Das griechische Drama auf der Bühne. Von der Frühen Neuzeit bis zur Gegenwart. Zweite, überarbeitete und erweiterte Auflage. München: C. H. Beck, 2009, 428 Seiten. Als Hellmut Flashars Buch zur Inszenierung der Antike auf der Bühne der Neuzeit 1991 erschien, war es das erste seiner Art im deutschsprachigen Raum: Erstmals stand die Bühnenpräsenz des griechischen Dramas im Zentrum einer Monografie. Der Titel des Bandes deutet an, dass in der Inszenierung antiker Dramen immer auch das Antike- und das Selbstverständnis der Inszenierenden eine Rolle spielt: Antiken im Plural sind das Thema, eine Relation zweier Epochen, nicht kontextisolierte Dramentexte. Das lässt auf eine kultur- und theaterhistorische Einbettung hoffen; auf eine Darstellung, die sich nicht mit Detailanalysen begnügt. Und dieses Versprechen löst die Studie in weiten Teilen ein. So überrascht es nicht, dass etliche Rezensenten dem Band trotz Kritik im Detail einmütig den Charakter eines zukünftigen Standardwerks bescheinigten. Die neuere Forschung gibt den Prognosen Recht: Bis heute kommt eine Auseinandersetzung mit der Gegenwart des antiken Theaters an Flashar nicht vorbei. So ist es mehr als erfreulich, dass das Werk 2009 in einer erweiterten Neuauflage erscheint. Allerdings lässt schon die Einleitung ahnen, was der Band dann bestätigt: Die zweite Auflage ist nahezu textidentisch mit der ersten; es kommt lediglich ein Kapitel zur jüngsten Vergangenheit hinzu. Das im Anmerkungsapparat ergänzte Einführungskapitel (I) gibt einen Überblick über die antiken Aufführungsbedingungen; es bietet nach wie vor eine solide Grundlage für die folgenden historisch-kommentierenden Ausführungen. Flashar lässt die Inszenierungsgeschichte des Attischen Dramas auf der Bühne der Neuzeit erst mit den Experimenten des Weimarer Hoftheaters wirklich beginnen; zwischen der Inszenierung des Ödius (Edipo re) auf der Bühne des Teatro Olimpico in Vicenza 1585 (dazu Kap. II) und dem ausgehenden 18. Jh. sei griechische Tragödie und Komödie “ nur mittelbar präsent, in Bearbeitungen, Umdichtungen und mit fremden Zutaten ” (S. 32). Dieser mittelbaren Präsenz ist nichtsdestotrotz ein eigenes Kapitel gewidmet (Kap. III), in dem Flashar einen Überblick v. a. über die Situation in der Romania liefert. Die folgenden Kapitel zeichnen die Entwicklung nach von der Antike-Rezeption in Weimar (Kap. IV) über politische Funktionalisierungen in Preußen (Kap. V) bis hin zur Vereinnahmung durch das Bildungsbürgertum in der 2. Hälfte des 19. Jh. (Kap. VI), um an der Wende zum 20. Jh. im Kontext der Theaterreform neue Formen der Präsentation des antiken Dramas zu diagnostizieren (Kap. VII). Neben den ‘ üblichen Verdächtigen ’ wie etwa Max Reinhardt thematisiert Flashar auch Randfiguren der Theatergeschichte wie Max Oberländer. Ähnliches gilt für die Ausführungen zum Theater der Weimarer Republik (Kap. VIII) und des Nationalsozialismus (Kap. IX). Diese Kapitel wurden, wie auch die zur Nachkriegsgeschichte und zu den ersten Jahrzehnten der Bundesrepublik (Kap. X, XI), bis auf einige Straffungen unverändert übernommen. Angesichts der facettenreichen Diskussion der ersten Auflage konzentriert sich die Besprechung hier auf neu Hinzugekommenes und größere Abweichungen. Leider hat Flashar Anmerkungen der theaterwissenschaftlichen wie der altphilologischen Rezensionen zur Erstauflage großenteils nicht berücksichtigt - sie hätten zur historischen Tiefenschärfe beitragen können. Dass der Text über weite Strecken unbearbeitet bleibt, verleiht ihm einen zuweilen anachronistischen Ton. Kennern der Auflage von 1991 mag auffallen, dass erkleckliche Teile des Abschnitts zur “ globalisierten Antike ” aufs Wort einem nun entfallenen Unterkapitel der Erstauflage entsprechen. Wenngleich Flashar 2009 in der Bewertung des Regietheaters vorsichtigere Töne anschlägt, so sieht er das Verhältnis von Text und Theater doch als Forum Modernes Theater, 25/ 2 (2010), 218 - 219. Gunter Narr Verlag Tübingen 218 Rezensionen prinzipiell unumkehrbare Abhängigkeitsrelation. Bezeichnend ist das Fazit zu den jüngsten Entwicklungen: Die Überschrift, “ Anschwellender Bocksgesang ” , ist bekanntlich der Titel eines Essays von Botho Strauß. Der Titel soll aber lediglich “ anzeigen, daß [. . .] die Präsenz des antiken Theaters [. . .] stark ‘ angeschwollen ’ ist ” (S. 281). Diese Bemerkung weist auf ein Kernproblem der Darstellung: Angesichts der Fülle des Materials kapituliert die Analyse und geht vielerorts über globale Anmerkungen nicht hinaus. Unter dem Titel “ Das Repertoiretheater ” werden schließlich Aischylos, Sophokles und Euripides blockartig nacheinander abgehandelt, was angesichts der nicht mehr in erster Linie an Werkzusammenhängen orientierten Theaterpraxis wenig sinnvoll ist. Das Buch endet mit grundsätzlichen Einlassungen zum Verhältnis von Drama und Theater. In seiner Auseinandersetzung mit Inszenierungen der jüngsten Vergangenheit lässt Flashar es an eben jener hermeneutischen Reflexion fehlen, die er für szenische Auseinandersetzungen mit dem antiken Drama fordert. Hier wird allzu deutlich, dass er das Verhältnis von Theater und Drama als ein dienendes versteht: Das Theater hat das Bedeutungspotential des Dramas lediglich zu erschließen und zu konkretisieren; wo dies nicht gelingt, vielleicht auch gar nicht das Ziel ist, kommt Flashar schnell zu einem negativen Urteil, ja einer Verurteilung der Inszenierungen als ‘ seltsam ’ , ‘ kryptisch ’ , ‘ hermetisch ’ . Literatur - so das implizite Fazit - darf polyvalent sein, Theater muss eine konkrete, aus dem Drama erschließbare Botschaft vermitteln. So kommt der respektable Philologe Flashar immer wieder zu erstaunlich trivialen Interpretationen, etwa wenn er lakonisch bemerkt, in Leander Haußmanns Antigone-Inszenierung (1993) werde Kreon von einer Frau gespielt, “ um das Weibische dieser Gestalt zu betonen ” (S. 325). Überhaupt ist es oft die lakonische Kürze, die zum Problem wird: Die allermeisten Inszenierungen der letzten Jahre handelt Flashar in wenigen Sätzen ab; und die Bewertung orientiert sich in erster Linie am Kriterium der Texttreue. Der Text, so heißt es abschließend, sei die “ wesentliche Errungenschaft ” (S. 351) des europäischen Theaters. Als Zeugen für diese Behauptung nennt Flashar “ einige gerade der besten Regisseure ” (ebd.); wer die besten Regisseure sind, das entscheidet er sehr subjektiv. Leider verzichtet der Band nicht nur nahezu vollkommen auf eine Auseinandersetzung mit der theaterwissenschaftlichen Forschung, sondern auch auf ein Literaturverzeichnis. Zwar ist das Sachregister angesichts der Fülle des Materials hilfreich. Doch eine Orientierung über die neuere Forschungsliteratur ersetzt es nicht. Die in der Neuauflage ersatzlos weggefallenen Bildtafeln sind ein Verlust - gerade angesichts des breiteren, auch nicht-akademischen Publikums, das der Band ansprechen will. In ungemein sympathischer Begeisterung endet der Autor mit einem Plädoyer für die Antike auf der Bühne; wo er mit der überzeitlichen Gültigkeit der antiken Themen argumentiert, fällt er allerdings hinter ausführliche Debatten zurück, die das problematische Verhältnis der konkurrierenden Ansprüche von überzeitlicher Geltung und historischer Singularität in der Formierung von Klassikern problematisiert haben. Aus der Feder eines Altphilologen nimmt sich die Geschichte der Antike-Inszenierung naturgemäß anders aus, als es der Theaterwissenschaftler gewohnt ist. Doch wäre zu wünschen gewesen, dass der Philologe die Nachbardisziplin ernster nimmt, gerade dort, wo es um theoretische und methodische Fragen zum Umgehen mit Aufführung und Inszenierung geht. So bleibt das mit Verve und mit reicher Kenntnis der antiken Dramen geschriebene Buch Einiges schuldig. Doch ist zu erwarten, dass es auch in seiner zweiten Auflage die Auseinandersetzung mit der Inszenierungsgeschichte der Antike befördern wird: Dem Wissenschaftler bietet es wertvolles Material, dem Laien einen Überblick über die Bühnenpräsenz des Attischen Dramas. Lesenswert ist das Buch in jedem Fall. München J ULIA S TENZEL Petra Stuber, Ulrich Beck (Hg.). Theater und 19. Jahrhundert. Schriften der Hochschule für Musik und Theater “ Felix Mendelssohn Bartholdy ” 2. Hildesheim, Zürich, New York: Georg Olms Verlag, 2009, 245 Seiten. Im Zentrum des Bandes Theater und 19. Jahrhundert steht die Idee der Grenzüberschreitung Forum Modernes Theater, 25/ 2 (2010), 219 - 221. Gunter Narr Verlag Tübingen 219 Rezensionen